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Medizin
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<hr />
<div>{{Dieser Artikel|beschreibt die Heilkunst. Zu Medizin im Sinne von [[Arzneimittel]] siehe dort.}}<br />
Die '''Medizin''' ist die [[Wissenschaft]] der [[Wikipedia:Prävention|Vorbeugung]], [[Diagnose|Erkennung]] und [[Therapie|Behandlung]] von [[Krankheit]]en oder [[Wikipedia:Trauma (Medizin)|Verletzungen]] bei [[Mensch]]en und [[Tier]]en.<br />
<br />
Sie wird von medizinisch ausgebildeten [[Wikipedia:Heilkunde|Heilkundigen]] ausgeübt mit dem Ziel, die [[Gesundheit]] zu erhalten oder wiederherzustellen. Dabei handelt es sich meist um [[Arzt|Ärzte]], aber auch um Angehörige weiterer [[Heilberuf]]e. Zum Bereich der Medizin gehören neben der '''Humanmedizin''' die [[Zahnmedizin]], die [[Tiermedizin|Veterinärmedizin]] (Tierheilkunde) und in einem weiteren Verständnis auch die [[Wikipedia:Phytomedizin|Phytomedizin]] (Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten und Schädlingen). In diesem umfassenden Sinn ist Medizin die Lehre vom gesunden und kranken [[Wikipedia:Lebewesen|Lebewesen]].<br />
<br />
Die Kulturgeschichte kennt eine große Zahl von unterschiedlichen medizinischen Lehrgebäuden, beginnend mit den Ärzteschulen im europäischen und asiatischen Altertum, bis hin zur modernen Vielfalt wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Medizin umfasst auch die anwendungsbezogene Forschung ihrer Vertreter zur Beschaffenheit und Funktion des [[Wikipedia:Menschlicher Körper|menschlichen]] und [[Wikipedia:Körper (Biologie)|tierischen Körpers]] in gesundem und krankem Zustand, mit der sie ihre Diagnosen und Therapien verbessern will. Die (natur)[[wissenschaft]]liche Medizin bedient sich dabei seit etwa 1845<ref>[[Wikipedia:Axel W. Bauer|Axel W. Bauer]]: ''Medizin, naturwissenschaftliche (1850–1900).'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 938–942; hier: S. 938.</ref> zunehmend der Grundlagen, die [[Wikipedia:Physik|Physik]], [[Wikipedia:Chemie|Chemie]], [[Biologie|Biologie]] und [[Wikipedia:Psychologie|Psychologie]] erarbeitet haben.<br />
<br />
Neben dieser Hauptströmung, die teilweise als [[Schulmedizin]] oder konventionelle Medizin bezeichnet wird, gibt es es Systeme, die einen anderen kulturellen Ursprung haben, oder sich [[Paradigma|paradigmatisch]] unterscheiden. Diese werden unterschiedlich benannt, z.B. [[traditionelle Medizin]], [[Alternativmedizin]] oder [[Komplementärmedizin]]. Ein Impuls zur Integration von solche unterschiedlichen medizinischer Ansätze findet sich in der [[Integrative Medizin|integrativen Medizin]]. <br />
<br />
==Zum Medizinbegriff==<br />
'''In der europäischen Tradition'''<br />
<br />
Das Wort ''Medizin'' leitet sich ab von {{laS|''medicina'' bzw. ''ars medicina''}}, „ärztliche Kunst“ oder die „Heilkunde“, von ''mederi'', ‚heilen‘ – zu indogermanisch ''med-'', ‚Heilkundiger‘.<ref>[[Wikipedia:Friedrich Kluge|Friedrich Kluge]]: ''Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.'' De Gruyter, Berlin 1975, S. 470.</ref><br />
<br />
Die Heilkunst (lateinisch auch ''ars medicinae''<ref>Rudolf Laux: ''Ars medicinae. Ein frühmittelalterliches Kompendium der Medizin.'' In: ''Kyklos.'' Band 3, 1930, S. 417–434.</ref>) wird selten auch die ''Iatrik'' genannt (ausgesprochen ''Iátrik'', vom [[Wikipedia:Griechische Sprache|griechischen]] [[Wikipedia:Substantivierung|substantivierten]] Adjektiv {{lang|grc|ἰατρική [τέχνη]}}, [[Altgriechische Sprache|altgriechische]] Aussprache ''{{lang|grc-Latn|iatrikḗ [téchnē]}}'', „ärztliche Kunst“ oder „ärztliches Handwerk“; häufiger in Zusammensetzungen wie „[[Wikipedia:iatrogen|iatrogen]]“, „[[Wikipedia:Pädiatrie|Pädiatrie]]“ oder „[[Wikipedia:Psychiatrie|Psychiatrie]]“<ref name="Duden Dt. Universalwörterbuch">[[Duden]] ''Deutsches Universalwörterbuch''. Verlag Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 5.&nbsp;Auflage, Mannheim 2003 [http://www.duden.de/rechtschreibung/Iatrik online-Fassung]</ref>).<br />
<br />
'''Bei den nordamerikanischen Indianern'''<br />
<br />
Der Begriff „Medizin“ (als ''médecine'' von französischen Trappern erstmals für Heilungszeremonien der von ihnen mit Ärzten gleichgesetzten [[Wikipedia:Schamane|Schamane]]n der [[Wikipedia:Plains-Indianer|Plains-Indianer]] gebraucht)<ref>Norbert Kohnen: ''Medizinmann.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 956 f.; hier: S. 956.</ref> wird hier nicht im Sinne von ''Heilkunde'' oder ''Arznei'' gebraucht, sondern bezeichnet im [[Europäische Sprachen|europäisch]]-[[Wikipedia:Englische Sprache|englischen]] Sprachgebrauch eine „geheimnisvolle, transzendente Kraft hinter allen sichtbaren Erscheinungen“. Das indianische Medizinsystem magisch-animistischer Prägung, auch das gesamte präkolumbische Amerika einschließend, führt Krankheiten auf Tabuverletzungen zurück, die zu einer Störung der Harmonie zwischen Mensch und seiner Umwelt führen, und lässt sich als Form des [[Wikipedia:Schamanismus|Schamanismus]] bezeichnen. Ein Schamane (als Heiler bzw. „Medizinmann“) nutzte verschiedene bewusstseinsverändernde, eine Himmels- oder Seelenreise ermöglichende Methoden zur Versöhnung mit nichtmateriellen Mächten und rituelle Handlungen, um diese Harmonie wiederherzustellen.<ref>Doris Schwarzmann-Schafhauser: ''Indianermedizin, nordamerikanische.'' In: [[Werner E. Gerabek]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 665.</ref> Erst im Laufe der Zeit erkannte man, dass indianische „Medizin“, die jedoch auch die auf Heilkräutern und physikalischen Therapieverfahren beruhende Medizin<ref>Doris Schwarzmann-Schafhauser (2005), S. 665.</ref> im engeren Sinne einschließt, weit über die Heilkunde hinausgeht<ref>Norbert Kohnen: ''Medizinmann.'' 2005, S. 956.</ref> ''(siehe [[Wikipedia:Medizinbeutel|Medizinbeutel]] oder [[Wikipedia:Medizinrad|Medizinrad]])''. Die indianische Medizin erinnert vielmehr an das polynesische [[Wikipedia:Mana (religiöse Praxis)|Mana]].<br />
<br />
==Heilkunde==<br />
Die Medizin ist eine praxisorientierte [[Wikipedia:Erfahrungswissenschaft|Erfahrungswissenschaft]]. Ziele sind die [[Wikipedia:Krankheitsprävention|Prävention]] (Vorbeugung) von Erkrankungen oder von deren Komplikationen; die Kuration ([[Wikipedia:Heilung|Heilung]]) von heilbaren Erkrankungen, oder die [[Wikipedia:Palliativmedizin|Palliation]] (Linderung) der Beschwerden in unheilbaren Situationen. Auch die [[Wikipedia:Rehabilitation|Rehabilitation]] (Wiederherstellung) der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Patienten ist Aufgabe der Medizin. Ärzte und nichtärztliche Therapeuten erstellen dafür Behandlungspläne und überwachen den Behandlungsverlauf. In Deutschland verpflichtet das [[Wikipedia:Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten|Patientenrechtegesetz]] im {{§|630f|BGB|buzer}} [[Wikipedia:Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] den Arzt oder Zahnarzt in der [[Wikipedia:Krankengeschichte|Patientenakte]] „sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen.“ Die Aufzeichnungspflicht der gesamten Krankengeschichte ist im Übrigen Bestandteil der [[Wikipedia:Standesrecht|Berufsordnungen]]. Alle patientenbezogenen Unterlagen unterliegen dem [[Wikipedia:Datenschutz|Datenschutz]]. Im medizinischen Alltag werden im Idealfall wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Resultaten der [[Wikipedia:Anamnese|Anamnese]], [[Wikipedia:Befund (Medizin)|Befunderhebung]] und [[Diagnose]]stellung sowie der ärztlichen Intuition und Erfahrung kombiniert, um dem einzelnen Patienten gerecht zu werden.<br />
<br />
Dabei ist die persönliche [[Wikipedia:Patient-Arzt-Beziehung|Patient-Arzt-Beziehung]] wesentlich, die immer dann entsteht, wenn jemand mit einem Gesundheitsproblem bei einem Arzt Hilfe sucht. Nach Ansicht der Medizinhistoriker hat sich diese Beziehung mit dem Aufkommen der modernen Medizin fundamental gewandelt. Das Expertenwissen und die Fachautorität der einheitlich ausgebildeten Ärzte hat sie in eine dominante Rolle erhoben, die [[Wikipedia:Barbier|Barbier]]e, [[Wikipedia:Lithotomus|Steinschneider]], aber auch akademische Mediziner früherer Zeit mit ihren oft erfolglosen Krankheitstheorien nicht hatten. Die Ärzteschaft hat heute die weitgehende Definitionsmacht, was [[Krankheit]] ausmacht und welche medizinischen und medizinisch-politischen Maßnahmen dagegen ergriffen werden sollten. Hingegen hat die bürgerliche Gesellschaft (in Deutschland seit der späten Kaiserzeit) versucht, den [[Wikipedia:Paternalismus|paternalistischen]] Ermessenspielraum der Ärzte zurückzudrängen, etwa durch die 1884 (''Richard Keßler'') erstmals veröffentlichte juristische Einstufung ärztlicher Eingriffe als [[Wikipedia:Trauma (Medizin)|Körperverletzung]], für die die Zustimmung des Patienten unabdingbar ist. Es wird nunmehr eine [[Wikipedia:Deliberation|deliberative]] Leistung vom Therapeuten erwartet, dessen Fachwissen die freie Entscheidungsgewalt des Patienten stützt, nicht ersetzt. Die damit verbundene Pflicht zur [[Wikipedia:Ärztliche Aufklärung|ärztlichen Aufklärung]] ist unangefochten; sowohl in international gültigen Dokumenten wie der [[Wikipedia:Deklaration von Helsinki|Deklaration von Helsinki]] als auch im nationalen Strafrecht und den [[Wikipedia:Berufsordnung|Berufsordnung]]en der Medizinalberufe findet sie ihren Niederschlag.<br />
<br />
Sowohl Ärzte als auch andere Heilberufe verwenden einen analytischen Krankheitsbegriff: die Krankheit als Funktionsstörung des Organismus. Auf Basis einer Vertrags- und Vertrauensbeziehung können Daten zur Krankengeschichte ([[Wikipedia:Anamnese|Anamnese]]) erhoben werden und eine gründliche [[Wikipedia:klinische Untersuchung|klinische Untersuchung]] durchgeführt werden. Technische Verfahren zur [[Wikipedia:Medizinische Untersuchung|medizinischen Untersuchung]] mithilfe eines [[Wikipedia:Laboratoriumsmedizin|Labors]], [[Wikipedia:Bildgebendes Verfahren (Medizin)|bildgebender Verfahren]] wie Röntgen und vieler anderer Untersuchungsverfahren wie des [[Wikipedia:Elektrokardiogramm|Elektrokardiogramm]]s ergänzen die gesammelten Informationen. Zur ärztlichen Kunst gehört es, die Vielzahl der Fakten und Beobachtungen zur [[Diagnose]] zu integrieren. Nur eine korrekte Diagnose ermöglicht die erfolgreiche [[Therapie]]. Dieser analytische Krankheitsbegriff der wissenschaftlichen Medizin hat – übernommen auch von vielen alternativen Therapeuten – die [[Wikipedia:Ontologie|ontologischen]] Vorstellungen früherer Jahrhunderte weitgehend abgelöst. Umstrittene Grenzfälle der Krankheitsdefinition sind [[Wikipedia:Behinderung (Sozialrecht)|Behinderungen]] und [[Wikipedia:psychische Erkrankung|psychische Erkrankung]]en, deren Definition stets auch gesellschaftlich beeinflusst war.<br />
<br />
==Gesundheitssystem==<br />
<br />
[[Datei:GKV-Ausgaben.png|mini|Ausgaben der deutschen Krankenkassen 1993–2006]]<br />
<br />
{{Hauptartikel|Gesundheitssystem}}<br />
<br />
Den nationalen juristischen und finanziellen Rahmen für die Ausübung der Heilkunde stellt das jeweilige [[Gesundheitssystem]] eines Staates dar. Während des Mittelalters leisteten Kirchen und Kommunen mit [[Wikipedia:Hospital|Hospitälern]] und angestellten Ärzten eine rudimentäre Form der Krankenfürsorge. Nach dem Aufkommen der mächtigen [[Wikipedia:Nationalstaat|Nationalstaat]]en zogen diese zunächst die Kontrolle und Aufsicht über die Heilberufe an sich, verabschiedeten [[Wikipedia:Approbationsordnung|Approbationsordnung]]en und [[Wikipedia:Gebührenordnung|Gebührenordnung]]en. [[Wikipedia:Preußen|Preußen]] schaffte 1852 die überkommene Trennung des Ärztestandes zwischen Chirurgen und Ärzten ab und schloss die [[Wikipedia:Chirurgische Schule|Chirurgenschulen]]. Auf Betreiben liberaler Kreise, zu denen auch [[Wikipedia:Rudolph Virchow|Rudolph Virchow]] gehörte, erlaubte die erste [[Wikipedia:Gewerbeordnung (Deutschland)|Gewerbeordnung]] des [[Wikipedia:Deutsches Reich|deutschen Reiches]] (1871) die [[Wikipedia:Therapiefreiheit|Therapiefreiheit]] auch für nichtapprobierte Behandler, die mit dem bis heute gültigen [[Wikipedia:Heilpraktikergesetz|Heilpraktikergesetz]] (1939) erhalten blieb.<br />
<br />
Unter der Kanzlerschaft [[Wikipedia:Otto von Bismarck|Otto von Bismarck]]s gab sich Deutschland das weltweit erste allgemeine soziale Sicherungssystem, mit Einschluss einer [[Wikipedia:Gesetzliche Krankenversicherung|gesetzlichen Krankenversicherung]] für alle Arbeitnehmer und deren Angehörigen, die heute 90 % der Bevölkerung umfasst. Die niedergelassenen Ärzte organisierten sich gegen die zunächst übermächtige Verwaltung ([[Wikipedia:Hartmannbund|Hartmannbund]], 1900) und setzten in [[Wikipedia:Ärztestreik|Ärztestreik]]s die heutige [[Wikipedia:Selbstverwaltung|Selbstverwaltung]] durch, nach der die [[Wikipedia:Kassenärztliche Vereinigung|Kassenärzte]] für die Sicherstellung der ambulanten Krankenversorgung allein verantwortlich sind und dafür eine [[Wikipedia:Gesamtvergütung|Gesamtvergütung]] erhalten (Notverordnung, 1931). Nach der Wiedervereinigung wurden auch die in der DDR üblichen [[Wikipedia:Poliklinik|Ambulatorien]] aufgelöst oder in Arztpraxen umgewandelt. Die [[Wikipedia:Gesundheitsamt|Gesundheitsämter]] spielen außerhalb von Katastrophen keine Rolle in der Krankenversorgung. Die stationäre Medizin in [[Krankenhaus|Krankenhäusern]] blieb dagegen in überwiegend staatlicher Hand. Deutsche Krankenhäuser schließen Versorgungsverträge mit den Krankenkassen ab und erhalten zudem Investitionskostenzuschüsse aus Steuermitteln, haben also eine ''duale Finanzierung'', die völlig von der kassenärztlichen Schiene getrennt ist. Zahlreiche Reformen der [[Sozialgesetzbuch V|Gesundheitsgesetzgebung]] haben versucht, die damit drohende Doppelversorgung mit teurer Infrastruktur (etwa medizinische [[Wikipedia:Großgerät|Großgerät]]e) zu verhindern. Andere Industriestaaten haben andere Lösungen erarbeitet. So gibt es entwickelte Nationen mit nationalen, steuerfinanzierten Gesundheitssystemen (so das [[Wikipedia:National Health Service|National Health Service]] in Großbritannien) oder mit weitgehend unregulierten Anbietermärkten (so das [[Wikipedia:Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten|Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten]]). In anderen europäischen Staaten gibt es regulierte Märkte mit starkem öffentlichen Sektor; beispielsweise trägt im [[Wikipedia:Gesundheitssystem Deutschlands|Gesundheitssystem Deutschlands]] die öffentliche Hand über die [[Wikipedia:Gesetzliche Krankenversicherung|Gesetzliche Krankenversicherung]] und die staatlichen Klinikzuschüsse ca. 80 Prozent der gesamten Ausgaben zur [[Krankenbehandlung]].<br />
<br />
Mit der Zunahme der Ärzte und Kliniken, der verbesserten technischen Möglichkeiten, und des [[Wikipedia:Demographischer Wandel|demographischen Wandels]] ging eine kontinuierliche Verteuerung des Gesundheitswesens einher, gegen die zahlreiche [[Wikipedia:Gesundheitsreform|Gesundheitsreform]]en eingesetzt wurden. Diese legten nicht nur Leistungsumfang und Bezahlung fest, sondern regulierten in zunehmendem Maße auch die konkrete Leistungserbringung und Qualitätskontrolle. Über die so eingeführte [[Wikipedia:Rationalisierung (Ökonomie)|Rationalisierung]] (Effizienzsteigerung), implizite und explizite [[Wikipedia:Rationierung|Rationierung]] (Leistungsbegrenzung), und die erreichte [[Wikipedia:Verteilungsgerechtigkeit|Verteilungsgerechtigkeit]] debattiert die Gesellschaft intensiv.<br />
{{Siehe auch|Sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen|Zwei-Klassen-Medizin}}<br />
<br />
Eine verbreitete Klassifikation der medizinischen Versorgung unterscheidet drei Sektoren:<br />
{{Anker|Medizinische Grundversorgung}}<br />
<br />
*Die ''medizinische Grundversorgung'' (englisch ''primary care'', „Hausarztmedizin“) wird von [[Wikipedia:Arztpraxis|Arztpraxen]], allgemeinen [[Krankenhausambulanz]]en und anderen öffentlichen ambulanten Einrichtungen getragen. Etwa 90 Prozent der akuten und [[Wikipedia:chronisch|chronisch]]en Gesundheitsprobleme sollen auf dieser kostengünstigen und flächendeckenden Ebene behandelt werden.<br />
*Die ''sekundäre Versorgung'' (englisch ''secondary care'', Schwerpunktversorgung, „Facharztmedizin“) bilden niedergelassene und angestellte Fachärzte aller Richtungen sowie andere Spezialisten, die auf [[Wikipedia:Ärztliche Behandlung#Überweisungen|Überweisung]] der Primärärzte tätig werden. Die [[Wikipedia:Facharzt|Facharzt]]behandlung findet ambulant oder [[Krankenhaus|stationär]] (nach Aufnahme in einem Krankenhaus) statt. Innerhalb dieses Sektors werden Notaufnahmen, Intensivstationen, Operationssäle, Labor- und Röntgendiagnostik, [[Wikipedia:Physikalische Therapie|Physikalische Therapie]] vorgehalten.<br />
*Die ''tertiäre Versorgung'' (''tertiary care'', Maximalversorgung) beruht auf spezialisierten Kliniken und Zentren, die größere Regionen oder mehrere Städte mit besonders teuren und aufwendigen Leistungen versorgen, etwa Unfall- und [[Verbrennungszentrum|Verbrennungskliniken]], [[Krebszentrum|Krebszentren]], Transplantationskliniken und [[Wikipedia:Neonatologie|neonatologische]] Zentren.<br />
<br />
Daraus lassen sich für das Gesundheitssystem relevante und messbare [[Wikipedia:Kennzahl|Kennzahl]]en bilden, wie etwa die Arztdichte (Ärzte je 1.000 Einwohner) oder die Krankenhausbetten-Dichte (Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner). Städte die hier innerhalb Deutschlands ganz vorne liegen sind etwa [[Wikipedia:Heidelberg|Heidelberg]] und [[Wikipedia:Regensburg|Regensburg]].<ref>https://www-genesis.destatis.de/gis/genView?GenMLURL=https://www-genesis.destatis.de/regatlas/AI014-1.xml&CONTEXT=REGATLAS01</ref><ref>vgl. Wirtschaftswoche, Nr. 49, 2014, Städteranking, S. 28</ref><br />
<br />
==Spektrum der Medizin==<br />
[[Datei:Intensivstation fcm.jpg|mini|Patient auf der [[Wikipedia:Intensivstation|Intensivstation]] einer Klinik in [[Wikipedia:Mannheim|Mannheim]]]]<br />
[[Datei:ICU1a.jpg|mini|Moderne [[Wikipedia:Intensivstation|Intensivstation]] in [[Wikipedia:Bagdad|Bagdad]]]]<br />
Die Vielfalt der Gebiete und Teilgebiete sowie die Zunahme des Wissens haben zu einer Aufgliederung der Medizin in eine große Anzahl von [[Liste medizinischer Fachgebiete|Fachgebieten]] und Subspezialisierungen geführt. Die Grundlage der wissenschaftlichen (bzw. naturwissenschaftlichen)<ref>Vgl. auch [[Robert Jütte]]: ''Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute.'' C.H. Beck Verlag, München 1996, ISBN 3-406-40495-2, S. 27–32 (''„Naturheilkunde“ kontra „naturwissenschaftliche“ Medizin (1850–1880)'') und S. 32–42 (''„Kurpfuscherei“ kontra „Schulmedizin“ (1880–1932)'')</ref> Medizin bilden die Naturwissenschaften ([[Biologie|Biologie]], [[Wikipedia:Chemie|Chemie]], [[Wikipedia:Physik|Physik]]), speziell [[Wikipedia:Humanbiologie|Humanbiologie]], [[Anatomie]], [[Wikipedia:Biochemie|Biochemie]], [[Wikipedia:Physiologie|Physiologie]], ergänzt durch Psychologie und Sozialwissenschaften (vgl. [[Wikipedia:Medizinsoziologie|Medizinsoziologie]], [[Epidemiologie]], [[Wikipedia:Gesundheitsberichterstattung|Gesundheitsberichterstattung]] und [[Wikipedia:Gesundheitsökonomie|Gesundheitsökonomie]]). Im deutschen [[Wikipedia:Medizinstudium|Medizinstudium]] werden diese Fächer als [[Wikipedia:Vorklinik|Vorklinik]] im ersten Abschnitt zusammengefasst. ''Klinische Fächer'' befassen sich mit der Krankenbehandlung selbst. Zu ihnen gehören die traditionellen Fächer der [[Wikipedia:Innere Medizin|Inneren Medizin]] und der [[Wikipedia:Chirurgie|Chirurgie]], der [[Wikipedia:Frauenheilkunde|Frauenheilkunde]] und [[Wikipedia:Geburtshilfe|Geburtshilfe]], und seit ca. 1800 der [[Wikipedia:Kinderheilkunde|Kinderheilkunde]]. Jüngere Spezialisierungen sind zum Beispiel die [[Wikipedia:Augenheilkunde|Augenheilkunde]], [[Wikipedia:Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde|Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde]], [[Wikipedia:Pulmonologie|Pulmonologie]], [[Wikipedia:Sozialmedizin|Sozialmedizin]] und [[Wikipedia:Psychiatrie|Psychiatrie]]. Im 20. Jahrhundert bildeten sich technikorientierte Fächer wie [[Wikipedia:Radiologie|Radiologie]] und [[Wikipedia:Strahlentherapie|Strahlentherapie]], und Fachgebiete mit integrativem Anspruch wie [[Wikipedia:Geriatrie|Geriatrie]] und [[Wikipedia:Palliativmedizin|Palliativmedizin]]. Zu diesen ärztlichen Fachgebieten gehören auch Subspezialisierungen wie [[Wikipedia:Kinderkardiologie|Kinderkardiologie]], [[Wikipedia:Neuroradiologie|Neuroradiologie]], [[Wikipedia:Suchtmedizin|Suchtmedizin]] und viele andere, deren Inhalte zum Beispiel in Deutschland in der [[Wikipedia:Musterweiterbildungsordnung|Musterweiterbildungsordnung]] der [[Wikipedia:Bundesärztekammer|Bundesärztekammer]] kodifiziert sind.<br />
<br />
Hinzu treten die Aufgabengebiete der übrigen [[Heilberuf]]e, etwa die [[Wikipedia:Krankengymnastik|Krankengymnastik]], [[Wikipedia:Logopädie|Logopädie]], [[Wikipedia:Medizinisch-Technischer Assistent|medizinisch-technische Assistenz]], [[Wikipedia:Medizinischer Fachangestellter|medizinische Assistenz]], die ebenso wie der Arztberuf eine hohe Spezialisierung und [[Wikipedia:Professionalisierung|Professionalisierung]] erlangt haben. Insbesondere die [[Wikipedia:Krankenpflege|Krankenpflege]] hat sich von der rein karitativen Hilfestellung mittlerweile zu einer akademischen Wissenschaft und selbstständigen Stütze der Krankenversorgung entwickelt.<br />
<br />
[[Datei:Dried Lizard and Starfish (theloneconspirator).jpg|mini|Traditionelle Heilmittel in China]]<br />
{{Anker|Alternativmedizin}}<br />
Neben dieser staatlich sanktionierten und kontrollierten Medizin steht eine Vielzahl von [[Alternativmedizin|alternativ- oder komplementärmedizinischen]] Angeboten, die definitionsgemäß an den medizinischen Hochschulen nicht gelehrt werden. Je nach ihrem gesellschaftlichen Stellenwert können einige dieser Lehren und Methoden dennoch einer gewissen Standardisierung und Akademisierung (durch privatrechtliche Verbände und Schulen) unterliegen und in die staatliche Gesundheitsfinanzierung aufgenommen werden; in Deutschland zum Beispiel die ''besonderen Heilverfahren'' [[Homöopathie]], [[Pflanzenheilkunde]], [[Anthroposophische Medizin]] und [[Akupunktur]]. In den USA ist die [[Wikipedia:Osteopathie (Alternativmedizin)|Osteopathie]] ähnlich breit verankert. Viele komplementäre Methoden (Diätetik, [[Ordnungstherapie]], [[Naturheilkunde]]) sind von weiten Teilen der praktizierenden Ärzteschaft anerkannt; andere (traditionelle Medizinsysteme, [[Wikipedia:Volksheilkunde|Volksheilkunde]]) zumindest von vielen Ärzten. Zahllose ungesicherte Methoden und Verfahren stehen am Rand des Spektrums und werden nur von einzelnen Behandlern angewendet; manche gelten als gefährlich für die Patienten (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Clark-Therapie|Clark-Therapie]], [[Wikipedia:Germanische Neue Medizin|Germanische Neue Medizin]]). In den USA und in Deutschland werden Versuche, Hochschulmedizin und Komplementärmedizin miteinander zu verbinden, auch mit dem Schlagwort ''Integrative Medizin'' bezeichnet.<ref>Joachim Müller-Jung: [http://www.faz.net/aktuell/wissen/integrative-medizin-vom-gebot-zur-alternativen-heilkunst-11489819.html „Integrative Medizin“] in F.A.Z. 11. Oktober 2011</ref><br />
{{Belege fehlen}}<br />
Aufgrund der mangelnden Theoriebildung kann die Medizin nur eingeschränkt als [[Wissenschaft]] bezeichnet werden. Der Ansatz der [[Evidenzbasierte Medizin|Evidenzbasierten Medizin]] versucht hier Abhilfe zu schaffen, indem die klinische Entscheidungsfindung an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet wird, das heißt, Therapieformen werden nur dann akzeptiert, wenn ihre Wirksamkeit mittels [[Klinische Studie|klinischer Studien]] nachgewiesen wurde. Allerdings sind die meisten klinischen Studien falsch<ref>{{Literatur |Autor=[[Wikipedia:John Ioannidis|John Ioannidis]]|Titel=Why Most Published Research Findings Are False |Sammelwerk=PLoS Medicine |Band=2 |Nummer=8 |Verlag= |Ort= |Datum=2017-03-19 |Seiten=e124 |DOI=10.1371/journal.pmed.0020124 |PMC=1182327 |PMID=16060722}}</ref> und nutzlos<ref>John Ioannidis[http://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1002049 ''Why most clinical research is not useful.''], PLoS medicine 13.6 (2016)</ref>. Am grundsätzlichen [[Wikipedia:Versuch und Irrtum|Versuch-und-Irrtum]]-Vorgehen der medizinischen Grundlagenforschung änderte dieser Fortschritt bisher nichts. Dennoch bildet die Medizin zusammen mit den [[Wikipedia:Naturwissenschaft|Naturwissenschaft]]en in der heutigen Wissenschaftslandschaft, insbesondere an [[Wikipedia:Universität|Universität]]en, einen Eckpfeiler der [[Wikipedia:Forschung|Forschung]] und Finanzierung, womit auch ihr hohes Ansehen in der Allgemeinheit teilweise begründet werden kann. Dies wurde zuletzt im Rahmen der [[Wikipedia:Exzellenzinitiative|Exzellenzinitiative]] deutlich.<br />
<br />
{{Siehe auch|Liste medizinischer Fachgebiete}}<br />
<br />
==Geschichte==<br />
<br />
[[Datei:The Doctor 1653 Gerard Dou.jpg|mini|hochkant|Harnschau im 17. Jahrhundert]]<br />
<br />
{{Hauptartikel|Geschichte der Medizin}}<br />
<br />
Im Altertum bildeten sich in den Hochkulturen von China, Indien, und im Mittelmeerraum unterschiedliche Medizinsysteme heraus, die vielfach verändert und vermischt auch in der westlichen [[Alternativmedizin]] eine große Rolle spielen. Die [[traditionelle chinesische Medizin|traditionelle chinesische Medizin]] entstand etwa im zweiten Jahrtausend vor Christus aus einfachen Dämonen- und Ahnenheilkulten; in der nachkonfuzianischen Zeit differenzierte sie sich zu dem noch heute bestehenden naturphilosophischen System aus [[Wikipedia:Yin und Yang|dualen]] und [[Wikipedia:Fünf Wandlungsphasen|elementaren Entsprechungen]]. Die praktische Medizin stammt aus der Zeit um 300 v. Chr., die [[Wikipedia:Pharmakologie|Pharmakologie]] wurde mit dem Werk von [[Wikipedia:Tao Hongjing|Tao Hongjing]], die [[Akupunktur]] mit dem anonymen Werk [[Wikipedia:Huangdi neijing|Huángdì Nèijīng]] (Innerer Klassiker des Gelben Fürsten) begründet. In der Neuzeit unter Einfluss der kommunistischen Regierung und der zunehmenden westlichen Rezeption wurden die Techniken perfektioniert und standardisiert, die ursprüngliche magische Dämonenlehre dagegen aufgegeben.<br />
<br />
Die [[Ayurveda]]-Medizin Indiens wurde ebenfalls um 500 v. Chr. aus den älteren, magisch-theistischen Glaubensinhalten definiert. Sie beruht theoretisch auf einer Temperamentenlehre verbunden mit einer Gleichgewichtsphysiologie der Lebensenergien Luft, Galle und Schleim, praktisch auf Ernährung und Meditationsübungen. Erste schriftliche Hinweise dazu finden sich schon im [[Wikipedia:Arthashastra|Arthashastra]]; ausführliche Lehrbücher stammen von [[Wikipedia:Sushruta|Sushruta]], [[Wikipedia:Charaka|Charaka]] und [[Wikipedia:Vagbhata|Vagbhata]]. Auch [[Yoga]] wird zur Heilbehandlung angewendet.<br />
<br />
In der [[Wikipedia:Medizin des Altertums|Medizin der ägyptischen, griechischen und römischen Antike]] wurzelt die heute weltweit verbreitete, westliche Medizin. Historiker teilen die antike Medizin in vier Phasen ein. Die erste, theurgisch-magische Medizin behandelte Kranke in Tempeln und versuchte, göttliche Heilwunder auszulösen. Ihr Ende wird mit der Lebenszeit des [[Wikipedia:Hippokrates von Kos|Hippokrates von Kos]] assoziiert. Hippokrates war Namensgeber, sicher aber nicht der einzige Ursprung einer neuen Naturphilosophie aus [[Vier-Elemente-Lehre|Elementenlehre]] und [[Wikipedia:Humoralpathologie|Humoralpathologie]], die ärztliches Handeln vom direkten Einfluss der Gottheiten unabhängig machte. Die hippokratische Praxis aus [[Diagnose]], [[Therapie]] und [[Wikipedia:Prognose|Prognose]] ist bis heute üblich; die hippokratischen Fallbeschreibungen gelten als Ursprung der heutigen wissenschaftlichen Medizin.<ref>[[Wikipedia:Max Pohlenz|Max Pohlenz]]: ''Hippokrates und die Begründung der wissenschaftlichen Medizin.'' Berlin 1938.</ref> In der folgenden ''hellenistischen'' Phase bildeten sich neben der hippokratischen weitere Ärzteschulen aus, etwa die der [[Wikipedia:Empiriker (Ärzteschule)|Empiriker]], der [[Wikipedia:Methodiker|Methodiker]] oder der [[Wikipedia:Pneumatiker|Pneumatiker]]. Schließlich folgte die griechisch-römische Phase, gekennzeichnet durch herausragende Autoren wie [[Wikipedia:Aulus Cornelius Celsus|Celsus]], [[Wikipedia:Pedanios Dioscurides|Dioskur]] und [[Galenos|Galen]]. Deren anatomische, pharmakologische und chirurgische Werke bestimmten neben denen des Hippokrates bis zur [[Wikipedia:Aufklärung|Aufklärung]] das medizinische Denken im [[Wikipedia:Abendland|Abendland]].<br />
<br />
In der [[Wikipedia:Byzantinisches Reich|byzantinischen Epoche]] wurden die antiken Vorbilder tradiert und durch [[Wikipedia:Pulslehre|Pulslehre]] und [[Wikipedia:Harnschau|Harnschau]] ergänzt. [[Wikipedia:Arabische Medizin|Islamische Gelehrte]] übernahmen die medizinischen Traditionen und entwickelten Schulen für [[Wikipedia:Botanik|Botanik]], [[Wikipedia:Diätetik|Diätetik]] und [[Wikipedia:Chirurgie|Chirurgie]], darunter herausragend das Werk des [[Avicenna]]. Die klassischen Autoren, meist in islamischer Übersetzung und Kompilation, blieben der Kernbestandteil der westlichen Medizin bis zum 16. Jahrhundert. Die einflussreichste Medizinschule gab es in [[Wikipedia:Salerno|Salerno]]. Neue Beiträge der [[Wikipedia:Klostermedizin|Klostermedizin]] des [[Wikipedia:Mittelalter|Mittelalter]]s waren astrologische und theologische Komponenten sowie die [[Signaturenlehre|Signaturenlehre]], nach der Heilpflanzen durch ihre äußeren Eigenschaften erkennbar sind – eine Vorstellung, die in ähnlicher Form erst viel später von der Homöopathie wieder aufgegriffen wurde.<br />
<br />
Der Begriff Medizin stammt ursprünglich von den ''Medicini'', die im Jahre 1302 in [[Wikipedia:Bologna|Bologna]] erstmals eine [[Wikipedia:Leiche|Leiche]] [[Wikipedia:Sezieren|seziert]] hatten<ref>[http://books.google.de/books?id=46s88pqPHvkC&pg=PA49&lpg=PA49&dq=medicini+1302+bologna&source=bl&ots=ZlgR1r3KLg&sig=7iLdexWLIMUowOSyrGjzaCEFRk0&hl=de&sa=X&ei=8MJfUuzyBoTNswappoG4DQ&ved=0CDkQ6AEwAQ#v=onepage&q=medicini%201302%20bologna&f=false Gill Davies, ''The Illustrated Timeline of Medicine'', 2011, S. 49]</ref> und dies ab 1306 regelmäßig durchführten. Nach jahrhundertelangem Stillstand lösten sich die Mediziner in der [[Wikipedia:Renaissance|Renaissance]] von den antiken Vorbildern. Der Anatom [[Wikipedia:Andreas Vesalius|Andreas Vesalius]] war Sinn- und Vorbild eines neuen Gelehrtentyps, der aufgrund eigener Anschauung schrieb und Widersprüche zu Hippokrates und Galen aushielt. Gleichzeitig revolutionierte [[Wikipedia:Ambroise Paré|Ambroise Paré]] die Chirurgie, und [[Paracelsus]] verwarf in seiner [[Wikipedia:Iatrochemie|Iatrochemie]] die hippokratische Säftelehre. Im 17. Jahrhundert begann mit den Experimenten des [[Wikipedia:Francis Bacon|Francis Bacon]] das Zeitalter der wissenschaftlichen Medizin, das bis heute andauert. Die Krankheitstheorien waren noch nicht wie heute gefestigt; erst im 19. Jahrhundert setzte sich die [[Wikipedia:Pathologie|Pathologie]] gegen konkurrierende Lehren wie die [[Wikipedia:Humoralpathologie|Humoralpathologie]] oder die [[Wikipedia:Christoph Wilhelm Hufeland|Hufelandsche]] ''Lebenskraft'' endgültig durch.<br />
<br />
Das 20. Jahrhundert war schließlich geprägt von enormem Wissenszuwachs und demzufolge Ausdifferenzierung von zahlreichen medizinischen Fachrichtungen, etwa der [[Wikipedia:Bakteriologie|Bakteriologie]], der [[Hygiene]], der [[Wikipedia:Anästhesiologie|Anästhesiologie]], der [[Wikipedia:Sozialmedizin|Sozialmedizin]] oder der [[Wikipedia:Psychiatrie|Psychiatrie]]. Gleichzeitig gewannen die Industriestaaten zunehmend Aufsichtsfunktionen über das [[Gesundheitswesen]], und es etablierte sich teilweise ein nationales Gesundheitssystem, wie etwa das [[Wikipedia:National Health Service|NHS]] in England. Zerr- und Schandbild der staatlichen Überwachung bildete die [[Wikipedia:Medizin im Nationalsozialismus|Medizin im Nationalsozialismus]]. Den gegenwärtigen Endpunkt der Entwicklung bildet die [[evidenzbasierte Medizin]] und die flächendeckende Einführung von [[Wikipedia:Qualitätsmanagementsystem|Qualitätsmanagementsystem]]en in allen Bereichen der Patientenversorgung.<br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*{{WikipediaDE|Portal:Medizin}}<br />
*{{WikipediaDE|Kategorie:Medizin}}<br />
*{{WikipediaDE|Medizin}}<br />
*{{WikipediaDE|Apparatemedizin}}<br />
*[[w:Liste medizinischer Fachbibliotheken|Liste von Fachbibliotheken, virtuellen Fachbibliotheken und Sondersammelgebieten – Medizin]]<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*William DePrez Inlow: ''Medicine: its nature and definition''. In: ''Bulletin of the History of Medicine'' 19, 1946, S. 249–273. {{ISSN|0194-1100}}<br />
*Wolfgang U. Eckart: ''Geschichte der Medizin.'' 6. Auflage. Springer, Berlin 2009, ISBN 978-3-540-79215-4.<br />
*Roy Porter: ''Cambridge illustrated history. Medicine.'' 4. Auflage. Cambridge University Press, Cambridge 2009, ISBN 978-0-521-00252-3.<br />
*Stefan Schulz, Klaus Steigleder, et al. (Hrsg.): ''Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin.'' Suhrkamp, Frankfurt/M. 2006, ISBN 978-3-518-29391-1.<br />
<br />
==Weblinks==<br />
{{Commonscat|Medicine|Medizin}}<br />
{{Wikibooks|Regal: Medizin}}<br />
{{Wikiquote}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikiversity|Fachbereich Humanmedizin|Fachbereich Humanmedizin}}<br />
{{Wikinews|Kategorie:Medizin|Medizin}}<br />
{{Wikisource|Heilkunde|Medizin}}<br />
<br />
*{{DNB-Portal|4038243-6|TEXT=Literatur zum Schlagwort}}<br />
<br />
===Abhandlungen, Specials, Projekte===<br />
<br />
*[http://www.zbmed.de/ Fachinformationszentrum: Deutsche Zentralbibliothek für Medizin, Köln]<br />
*[http://www.aezq.de/ Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ)]<br />
*[http://www.biomedcentral.com/home/ BioMedCentral (englisch) – Open-Access-Projekt]<br />
*{{Webarchiv | url=http://www.ub.uni-duisburg-essen.de/recherch/fachinfo/medizin/medlinks.shtml | wayback=20080215134446 | text=Ausführliche Linksammlung der Universitätsbibliothek Essen zu medizinischen Themen}}<br />
<br />
===Medizinische Suchmaschinen===<br />
<br />
*PubMed: Datenbank der National Library of Medicine (USA, englisch) − [http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez Website]<br />
*Medpilot: Suchmaschine der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin – [http://medpilot.de/ Homepage]<br />
<br />
===Zeitschriften===<br />
<br />
*Deutsches Ärzteblatt – [http://www.aerzteblatt.de/ Homepage]<br />
*British Medical Journal – [http://bmj.bmjjournals.com/ Homepage] (englisch)<br />
*The Lancet – [http://www.thelancet.com/ Homepage] (englisch)<br />
*The New England Journal of Medicine – [http://content.nejm.org/ Homepage] (englisch)<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4038243-6|LCCN=sh/85/083064}}<br />
<br />
[[Kategorie:Medizin (allgemein)|!]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia|datum=11. November 2019|oldid=194781277|oldid-lokal=3257}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
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Enzyklopädie
2024-03-12T08:02:07Z
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<hr />
<div>[[Datei:Danimarca XIII secolo, plinio historia naturalis.JPG|mini|Die ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' des [[Wikipedia:Plinius der Ältere|älteren Plinius]] in einer reich illustrierten Ausgabe des 13.&nbsp;Jahrhunderts]]<br />
[[Datei:Larousse secXIX.jpg|mini|''Nouveau [[Wikipedia:Éditions Larousse|Larousse]] illustré'', 1897–1904]]<br />
[[Datei:2020 11 04 004 Meyers Konversations Lexikon.jpg|mini|[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Meyers Konversations-Lexikon]], 4. Auflage, Bände 1–16 (1885–1890)]]<br />
[[Datei:Bertelsmann Lexikothek.jpg|mini| ''[[Wikipedia:Bertelsmann Lexikothek|Bertelsmann Lexikothek]]'' in 26 Bänden, in der Auflage von 1983]]<br />
Eine '''Enzyklopädie''' ({{Audio|De-Enzyklopädie.ogg}}), früher auch aus dem [[Wikipedia:Französische Sprache|Französischen]]: '''Encyclopédie''' (von {{grcS|ἐγκύκλια παιδεία|enkýklia paideía|de=Kreis von Wissenschaften und Künsten, welche jeder freie Grieche in der Jugend treiben musste, bevor er ins bürgerliche Leben eintrat oder sich einem besondern Studium widmete}}, d.&nbsp;h. was wir heute „Grundausbildung, allgemeine Erziehung, Allgemeinbildung“ nennen),<ref>{{Literatur |Autor=[[Wikipedia:Wilhelm Pape|Wilhelm Pape]], Max Sengebusch (Bearb.) |Titel=Handwörterbuch der griechischen Sprache |Auflage=3. Auflage, 6. Abdruck |Verlag=Vieweg & Sohn |Ort=Braunschweig |Datum=1914 |Online=http://images.zeno.org/Pape-1880/K/big/Pape-1880----01-0711.png |Abruf=2021-01-18 |Kommentar={{lang|grc|παιδεία|paideía|de=Erziehung}} ist Femininum, weshalb das attributiv verwendete Adjektiv {{lang|grc|ἐγκύκλιος|enkýklios|de=kreisförmig, im Kreise herumgehend, allgemein}} im Altgriechischen demselben Genus folgt; es ist bei Pape leider nur abgekürzt gedruckt}}</ref> ist ein besonders umfangreiches [[Wikipedia:Nachschlagewerk|Nachschlagewerk]]. Der Begriff ''Enzyklopädie'' soll auf Ausführlichkeit oder eine große Themenbreite hinweisen, wie beispielsweise bei einem Menschen, dem enzyklopädisches Wissen nachgesagt wird. Es wird eine Zusammenfassung des gesamten Wissens dargestellt. Die Enzyklopädie ist demzufolge eine überblickende Anordnung des Wissens einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Raumes, welche Zusammenhänge darstellt. Daneben werden als Fachenzyklopädien solche Werke bezeichnet, die nur ein einzelnes Fach- oder Sachgebiet behandeln.<br />
<br />
Die Bedeutung des Begriffes Enzyklopädie ist fließend; Enzyklopädien standen zwischen Lehrbüchern einerseits und [[Wikipedia:Wörterbuch|Wörterbüchern]] andererseits. Als älteste vollständig erhaltene Enzyklopädie gilt die ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Vor allem die große französische ''[[Wikipedia:Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers|Encyclopédie]]'' (1751–1780) hat die Bezeichnung „Enzyklopädie“ für ein [[Wikipedia:Wörterbuch#Wörterbuch – Sachwörterbuch – enzyklopädisches Wörterbuch|Sachwörterbuch]] durchgesetzt. Aufgrund der alphabetischen Anordnung werden Enzyklopädien oft als [[Wikipedia:Lexikon|Lexika]] bezeichnet.<br />
<br />
Die heutige Form des Nachschlagewerkes hat sich vor allem seit dem 18.&nbsp;Jahrhundert entwickelt; dabei handelt es sich um ein umfangreiches Sachwörterbuch über alle Themen für eine breite Leserschaft. Im 19.&nbsp;Jahrhundert kam der typische neutral-sachliche Stil hinzu. Die Enzyklopädien wurden klarer strukturiert und beinhalteten neue Texte, keine bloßen Übernahmen älterer (fremder) Werke. Eines der bekanntesten Beispiele im deutschen Sprachraum war lange Zeit die ''[[Wikipedia:Brockhaus Enzyklopädie|Brockhaus Enzyklopädie]]'' (ab 1808), im englischen die ''[[Wikipedia:Encyclopædia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'' (ab 1768).<br />
<br />
Seit den 1980er-Jahren werden Enzyklopädien ferner in digitaler Form angeboten, auf CD-ROM und im Internet. Teilweise sind es Fortführungen älterer Werke, teilweise neue Projekte. Ein besonderer Erfolg war die 1993 erstmals auf CD-ROM herausgegebene ''[[Wikipedia:Microsoft Encarta|Microsoft Encarta]]''. Die 2001 gegründete ''[[Wikipedia]]'' entwickelte sich zur größten Internet-Enzyklopädie.<br />
<br />
== Begriff ==<br />
=== Definitionen ===<br />
[[Datei:Cyclopaedia, Chambers - Volume 1 - 0008.jpg|mini|[[Wikipedia:Frontispiz|Frontispiz]] der ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'' von 1728 mit Hinweisen auf den Inhalt]]<br />
<br />
Die Althistorikerin Aude Doody nannte die Enzyklopädie eine Gattung, die man nur schwer definieren könne. Enzyklopädismus sei das Streben nach universellem [[Wikipedia:Wissen|Wissen]] oder auch die Summe des allgemeinen Wissens (einer bestimmten Kultur). Konkret sei die Enzyklopädie ein Buch, „das entweder die gesamte Garnitur des allgemeinen Wissens oder ein erschöpfendes Spektrum an Material über einen spezialistischen Gegenstand versammelt und ordnet.“ Die Enzyklopädie beanspruche, einfachen Zugang zu Informationen über alles zu verschaffen, das der Einzelne über seine Welt wissen muss.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;12&nbsp;f.</ref><br />
<br />
Für das Selbstverständnis von Enzyklopädien werden oftmals die [[Wikipedia:Prolog (Literatur)|Vorworte]] der Werke ausgewertet.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert.'' Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;23–24.</ref> Im 18. und vor allem 19. Jahrhundert betonten sie, dass sie Wissen zusammenfassen, und zwar nicht für Fachleute, sondern für ein breiteres Publikum.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert.'' Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;25–31.</ref> Im Vorwort des ''Brockhaus'' etwa heißt es 1809:<br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=Der Zweck eines solchen Wörterbuchs kann auf keinen Fall der sein, ''vollständige'' Kenntnisse zu gewähren; es wird vielmehr dieses Werk – welches eine Art von Schlüssel sein soll, um sich den Eingang in gebildete Zirkel und in den Sinn guter Schriftsteller zu öffnen – aus den wichtigsten Kenntnissen, der Geographie, Geschichte, Mythologie, Philosophie, Naturlehre, den schönen Künsten und andern Wissenschaften, bloß diejenigen Kenntnisse enthalten, welche ein jeder als gebildeter Mensch wissen muß, wenn er an einer guten Conversation Theil nehmen oder ein Buch lesen will […]<br />
|Autor=Vorrede. In: ''Brockhaus Conversations-Lexikon'', 1809<br />
|ref=<ref>Vorrede in: ''Brockhaus Conversations-Lexikon''. Band&nbsp;1, Amsterdam 1809, S.&nbsp;5–14, hier S.&nbsp;8/9 (Hervorhebung im Original). Siehe [http://www.zeno.org/Brockhaus-1809/M/Einf%C3%BChrung/Vor-+und+Nachreden+der+Buchausgabe/Vorrede+zu+Bd.+1 Zeno.org], abgerufen am 21. Juni 2011.</ref>}}<br />
<br />
Der Bibliothekswissenschaftler und Enzyklopädie-Experte [[Robert Collison]] schrieb um 1970 für die ''Encyclopaedia Britannica'' einleitend im entsprechenden ''Macropaedia''-Artikel:<br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=Heutzutage denken die meisten Leute bei einer Enzyklopädie an einen vielbändigen Abriss allen verfügbaren Wissens, komplett mit Landkarten und einem detaillierten Index, sowohl mit zahlreichen Anhängen wie Bibliografien, Illustrationen, Listen von Abkürzungen und fremden Ausdrücken, Ortsverzeichnissen usw.<br />
|Autor=Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece<br />
|Quelle=Artikel „Encyclopaedias and Dictionaries“. In: ''Encyclopaedia Britannica'', 1998<br />
|ref=<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;258. Original: „Today most people think of an encyclopaedia as a multivolume compendium of all available knowledge, complete with maps and a detailed index, as well as numeorus adjuncts such as bibliografies, illustrations, lists of abbreviations and foreign expressions, gazetteers, and so on.“</ref>}}<br />
<br />
=== Entwicklung zum modernen Begriff ===<br />
Der moderne Begriff „Enzyklopädie“ setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen: {{lang|grc|ἐγκύκλιος|enkýklios}}, im Kreis herumgehend, auch: umfassend, allgemein, sowie {{lang|grc|παιδεία|paideía}}, Erziehung oder Unterricht. Das daraus zusammengesetzte {{lang|grc|ἐγκύκλιος παιδεία}} verwies auf die „chorische Erziehung“, meinte also ursprünglich die musische Ausbildung junger freigeborener Griechen im Kreis des [[Wikipedia:Chor (Theater)|Theaterchores]].<ref>Ulrich Dierse: ''Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftlichen Begriffs''. Diss. Bochum 1977. Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1977, S.&nbsp;5/6.</ref> Eine verbindliche Auflistung der vermittelten Fächer gab es bei den Griechen nicht. Moderne Forscher ziehen es vor, den griechischen Ausdruck als allgemeine Erziehung zu übersetzen, im Sinne einer grundlegenden Bildung.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;45–47.</ref><br />
<br />
Der Römer [[Wikipedia:Quintilian|Quintilian]] (35 bis ca. 96 nach Christus) griff den griechischen Ausdruck auf und übersetzte ihn.<ref>Quintilian, ''Institutio oratoria'' 1,10,1.</ref> Bevor Jungen zu Rednern ausgebildet würden, sollten sie den Bildungsweg (den ''orbis ille doctrinae'', wörtlich: Kreis der Lehre) durchlaufen. Auch [[Wikipedia:Vitruv|Vitruv]] bezeichnete mit {{lang|grc|ἐγκύκλιος παιδεία}} eine Vorbildung für die bei ihm angestrebte Spezialisierung zum Architekten. Dementsprechend variierten die genannten Fächer.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;46–48.</ref> Quintilian erwähnt für Redner beispielsweise die Bereiche Geometrie und Musik.<br />
<br />
Unklar bleibt, was [[Wikipedia:Gaius Plinius Secundus|Plinius]] gemeint hat, als er die {{lang|grc|τῆς ἐγκυκλίου παιδείας|(tês enkýkliou paideías)}} im Vorwort zu seiner ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' (ca. 77 n. Chr.) erwähnte. Das liegt nicht nur an der Unbestimmtheit der möglichen Fächer, sondern auch an Undeutlichkeiten der Textstelle.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;50/51.</ref> Die {{lang|grc|ἐγκύκλιος παιδεία}} wurde schließlich zu einer Sammelbezeichnung für die sich im Römischen Reich ausbildenden [[Wikipedia:Sieben Freie Künste|(sieben) freien Künste]], die ''artes liberales''.<ref>Ulrich Dierse: ''Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftlichen Begriffs.'' Dissertation Bochum 1977. Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1977, S.&nbsp;6.</ref><br />
<br />
[[Datei:Ringelbergius, 'Lucubrationes...KYKLOPEDEIA...' ed. Basel 1541 original.JPG|mini|hochkant|Basler Ausgabe von [[Wikipedia:Joachim Sterck van Ringelbergh|Joachim Sterck van Ringelbergh]]s ''Lucubrationes, vel potius absolutissima κυκλοπαίδεια …'', 1541]]<br />
[[Datei:Pavao Skalić; Enciklopedija ili znanje svijeta svetih i svjetovnih struka (1559).jpg|mini|hochkant|Titelseite der [[Wikipedia:Stanislav Pavao Skalić|Paul Scalichs]] „Encyclopaedia …“, veröffentlicht 1559 in [[Wikipedia:Basel|Basel]]]]<br />
Das Wort Enzyklopädie geht auf eine fehlerhafte Rückübersetzung der Stelle bei Quintilian zurück. Dieses ''tas Encyclopaedias'' in Plinius-Ausgaben seit 1497 setzte dann den Ausdruck durch. Es wurde als griechische Übersetzung von ''orbis doctrinae'' angesehen. In [[Wikipedia:Nationalsprache|Nationalsprache]]n erschien der Ausdruck dann in den 1530er-Jahren. In der Mitte des 16.&nbsp;Jahrhunderts konnte man das Wort ohne weitere Erklärung in Buchtiteln für Werke verwenden, „in denen die Gesamtheit der Wissenschaften nach einer bestimmten Ordnung dargestellt wird“, so Ulrich Dierse. Die Betonung lag dabei nicht auf Gesamtheit, sondern auf Ordnung.<ref>Ulrich Dierse: ''Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftlichen Begriffs''. Diss. Bochum 1977. Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1977, S.&nbsp;7/8.</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Guillaume Budé|Guillaume Budé]] verwendete die lateinische Neuschöpfung 1508 im Sinne einer allesumfassenden Wissenschaft oder Gelehrtheit. Wohl zum ersten Mal in einem Buchtitel erschien das Wort 1527. Damals veröffentlichte der südniederländische Pädagoge [[Wikipedia:Joachim Sterck van Ringelbergh|Joachim Sterck van Ringelbergh]]: ''Lucubrationes, vel potius absolutissima {{lang|grc|κυκλοπαίδεια}}, nempe liber de ratione studii'' („Nachtarbeiten, oder vielmehr vollständigste ''{{lang|grc|κυκλοπαίδεια|[kyklopaideia]}}'', also ein Buch über die Methode des Lernens“). Als Haupttitel eines Buches tauchte es zuerst 1559 auf: ''Encyclopaediae, seu orbis disciplinarum'' (''Encyclopaedia'', oder der Kreis der Fächer) des Kroaten [[Wikipedia:Pavao Skalić|Pavao Skalić]].<ref>Encyclopedie. In: ''Grote Winkler Prins''. Band&nbsp;8. Elsevier. Amsterdam/Antwerpen 1991, S.&nbsp;326–329, hier S.&nbsp;326.</ref><br />
<br />
Die englische ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'' von 1728 war ein alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk, ein ''dictionary of the arts and sciences''. Der Durchbruch des Namens Enzyklopädie kam erst mit der großen französischen ''[[Wikipedia:Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers|Encyclopédie]]'' (1751 und Folgejahre). Nach dem Vorbild dieses Werkes etablierte sich der Begriff für ein allgemeines Sachwörterbuch.<br />
<br />
Daneben wurde das Wort auch für die Erkenntnis von der Einheit des Wissens verwendet; in diesem Sinne beschrieb der Philosoph Christian Appel seinen 1784 an der Universität Mainz eingerichteten „Lehrstuhl für allgemeine Enzyklopädie“. In der Erziehung gehe man von einfachen sinnlichen Eindrücken und Erfahrungen aus, dann komme man über einen Abstraktionsprozess zu zusammenhängenden wissenschaftlichen Weisheiten. Diese seien aber verstreut, daher brauche man eine Zusammenfassung. So solle die Enzyklopädie nicht am Anfang des Universitätsstudiums stehen, sondern am Ende, als Krönung.<ref>Ulrich Dierse: ''Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftlichen Begriffs''. Diss. Bochum 1977. Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1977, S.&nbsp;45.</ref> Für die Erforschung der Enzyklopädien wiederum hat sich der Begriff [[Wikipedia:Enzyklopädik|Enzyklopädik]] eingebürgert.<br />
<br />
=== Andere Bezeichnungen ===<br />
[[Datei:Theatrum Vitae Humanae 1565.jpg|mini|hochkant|''[[Wikipedia:Theatrum Vitae Humanae|Theatrum Vitae Humanae]]'', „Schauplatz des menschlichen Lebens“, 1565]]<br />
<br />
Während bei den Römern die Titel von Nachschlage- und Lehrwerken meistens eher nüchtern waren, überwogen seit der [[Wikipedia:Spätantike|Spätantike]] bis in die Frühe Neuzeit [[Wikipedia:Metapher|Metapher]]n:<br />
* Vergleiche mit der Natur, mit Gärten, Blumen und Nahrung waren besonders häufig. Der Autor war beispielsweise ein Blumenpflücker oder eine fleißige Biene, die das Wissen wie Blütenstaub sammelt. Die Werke hießen dann ''Florilegia'' (Blumensammlung), ''[[Wikipedia:Liber Floridus|Liber Floridus]]'' (Blühendes Buch) oder ''[[Wikipedia:Hortus Deliciarum|Hortus Deliciarum]]'' (Garten der Kostbarkeiten).<ref name="Schneider1">Ulrich Johannes Schneider: Bücher als Wissensmaschinen. In: ders.&nbsp;(Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit.'' WBG, Darmstadt 2006, S.&nbsp;9–20, hier S.&nbsp;12.</ref><ref name="Luff1">Siehe Robert Luff: ''Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. „Imago mundi“-Werke und ihre Prologe.'' Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, S.&nbsp;421.</ref><br />
* Beliebt waren auch Verweise auf das Licht, das den Leser erleuchten soll: ''Elucidarium'', ''[[Wikipedia:Lucidarius|Lucidarius]]''.<ref name="Luff1" /><br />
* Die Bücher waren Kostbarkeiten: ''Tresor'' (Schatz),<ref name="Luff1" /> ''Gemma gemmarum'' (Schmuckstück der Schmuckstücke), ''Schatzkammer mechanischer Künste'' ([[Wikipedia:Agostino Ramelli|Agostino Ramelli]]),<ref name="Schneider1" /> ''Margarita'' (Perle).<br />
* ''Theatrum'', Schauplatz, wie in ''[[Wikipedia:Theatrum Anatomicum|Theatrum Anatomicum]]'' verwies auf den Darstellungscharakter.<ref name="Schneider2">Ulrich Johannes Schneider: Bücher als Wissensmaschinen. In: ders.&nbsp;(Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit.'' WBG, Darmstadt 2006, S.&nbsp;9–20, hier S.&nbsp;15.</ref><br />
* ''Bibliotheca'' war ein Hinweis darauf, dass das Werk aus älteren Büchern zusammengestellt war.<ref name="Schneider1" /><br />
* Man sah das Werk als Spiegel der Welt: ''Speculum'', ''imago mundi''.<ref name="Luff1" /><br />
* Auf Wasserquellen bezog sich der ''Livre de Sidrac, la fontaine de toutes sciences'', und auf die [[Wikipedia:Allegorie|Allegorie]] des Stadtbaus der ''Livre de la Cité des Dames''.<ref name="Luff1" /><br />
* ''Historia'' war in der Naturkunde wegen Plinius geläufig und bedeutete ursprünglich das geordnete Wissen.<ref name="Schneider2" /> Ansonsten war ''Historia'' normalerweise eine chronologische Abhandlung, in die man geografisches und biografisches Wissen einflocht.<br />
* ''Ars magna'' (Große Kunst) ist bei [[Wikipedia:Ramon Llull|Ramon Llull]] und [[Wikipedia:Athanasius Kircher|Athanasius Kircher]] der Anspruch, eine hervorragende Leistung zu präsentieren.<ref>[[Wikipedia:Athanasius Kircher#Werk|Athanasius Kircher]]: ''Ars magna lucis et umbrae'' von 1646.</ref><br />
<br />
Alphabetisch angeordnete Enzyklopädien hießen oder heißen ''Dictionarium'', ''[[Wikipedia:Wörterbuch|Wörterbuch]]'' oder ''[[Wikipedia:Lexikon|Lexikon]]''.<ref name="Schneider2" /> Weitere Bezeichnungen lauten: ''Enzyklopädisches Wörterbuch'', ''Sachwörterbuch'', ''[[Wikipedia:Realwörterbuch|Realwörterbuch]]'', dazu ''Reallexikon'' und ''Realenzyklopädie'', ''[[Wikipedia:Konversationslexikon|Konversationslexikon]]'', ''[[Wikipedia:Universallexikon|Universallexikon]]'' usw.<br />
<br />
Im Englischen und Französischen war ''dictionary'' beziehungsweise ''dictionnaire'' weit verbreitet, oft in der Zusammenfassung ''dictionary of the arts and sciences'' beziehungsweise ''dictionnaire des arts et des sciences''. Im Deutschen spiegelt sich das im Titel der ''[[Wikipedia:Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste|Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste]]'' von Ersch-Gruber (1818–1889) wider. Als Künste sind gängigerweise die mechanischen und handwerklichen Künste zu verstehen, und der Begriff der Wissenschaft sollte nicht zu eng aufgefasst werden, so wurde die Theologie damals noch selbstverständlich zur Wissenschaft gezählt. ''Real'' oder ''Realia'' steht für Sachen im Gegensatz zu Begriffen oder Wörtern, ein ''Realwörterbuch'' ist also ein Sachwörterbuch und kein Sprachwörterbuch.<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
{{Hauptartikel|Geschichte und Entwicklung der Enzyklopädie}}<br />
<br />
Literarische Gattung und Begriff laufen in der Geschichte der Enzyklopädie nicht parallel zueinander. Darum lässt sich darüber streiten, ob es vor der Neuzeit überhaupt Enzyklopädien gegeben hat. Zumindest waren sich die [[Wikipedia:antike|antike]]n und [[Wikipedia:mittelalter|mittelalter]]lichen Autoren einer solchen literarischen Gattung nicht bewusst. Es herrscht weite Übereinstimmung, beispielsweise die ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' aus dem Alten Rom als Enzyklopädie anzusehen. Dabei besteht allerdings die Gefahr einer [[Wikipedia:Anachronismus|anachronistischen]] Sichtweise, nämlich ein antikes Werk mit modernen Augen zu sehen und es unangemessen zu interpretieren, warnt Aude Doody.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;11, 44.</ref><br />
<br />
Die Historiker sind sich nicht darüber einig, welches Werk als die erste Enzyklopädie anzusehen ist. Das liegt einerseits daran, dass viele Werke verloren gegangen sind und nur noch aus kurzen Beschreibungen oder Bruchstücken bekannt sind. Andererseits gibt es keine verbindliche Definition einer Enzyklopädie, manche Historiker berücksichtigen auch einen enzyklopädischen Ansatz im Sinne eines Strebens nach Umfassendheit.<ref name="Murphy1">Trevor Murphy: ''Pliny the Elder’s Natural History.'' Oxford University Press, New York 2004, S.&nbsp;11–13 und 194–195.</ref><br />
<br />
=== Altertum ===<br />
[[Datei:Milkau Ein Römer liest eine Schriftrolle 83-2.jpg|mini|Römer liest eine Schriftrolle, Spätantike]]<br />
<br />
Als ein geistiger Vater der Enzyklopädie wird der griechische Philosoph [[Wikipedia:Platon|Platon]] genannt. Er hat zwar selbst keine Enzyklopädie verfasst, aber mit seiner [[Wikipedia:Platonische Akademie|Akademie]] zu Athen verschrieb er sich dazu, die ganze Bildung jedem intelligenten jungen Mann zur Verfügung zu stellen. Von einem enzyklopädischen Werk von Platons Neffen [[Wikipedia:Speusippos|Speusippos]] (gestorben 338 v. Chr.) sind nur noch Fragmente erhalten. Einen enzyklopädischen Ansatz, im Sinne von umfassend, hat man auch [[Wikipedia:Aristoteles|Aristoteles]] nachgesagt.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350&nbsp;B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;21/22.</ref><br />
<br />
Die Griechen sind für ihre intellektuellen Erkundungen und ihre philosophische Originalität bekannt. Sie haben ihr Wissen aber nicht in einem einzelnen Werk zusammengefasst.<ref name="Murphy1" /> So gelten die Römer als die eigentlichen Erfinder der Enzyklopädie.<ref>Sorcha Cary: ''Pliny’s Catalogue of Culture. Art and Empire in the Natural History.'' Oxford University Press, New York 2003, S.&nbsp;18.</ref> In der Römischen Republik gab es bereits die Briefserie ''Praecepta ad filium'' (etwa 183&nbsp;v.&nbsp;Chr.), mit der [[Wikipedia:Marcus Porcius Cato der Ältere|Cato der Ältere]] seinen Sohn unterwies.<ref name="Collison5">Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;271.</ref><br />
<br />
Vor allem entstand die Enzyklopädie in der Kaiserzeit, da sie den weiten Horizont solcher Menschen brauchte, die ein Weltreich beherrschten.<ref>Trevor Murphy: ''Pliny the Elder’s Natural History.'' Oxford University Press, New York 2004, S.&nbsp;195.</ref> Die erste der eigentlichen Enzyklopädien waren die ''Disciplinarum libri IX'' von [[Wikipedia:Marcus Terentius Varro|Marcus Terentius Varro]] (†&nbsp;27&nbsp;v.&nbsp;Chr.). Die zweite Enzyklopädie waren die ''Artes'' des Arztes [[Wikipedia:Aulus Cornelius Celsus|Aulus Cornelius Celsus]] (gestorben um 50&nbsp;n.&nbsp;Chr.).<ref>Trevor Murphy: ''Pliny the Elder’s Natural History.'' Oxford University Press, New York 2004, S.&nbsp;196.</ref> Varro war der Erste, der die allgemeinbildenden Fächer zusammengefasst hat, aus denen später die freien Künste wurden. Zusätzlich zu jenen Fächern, die dann im Mittelalter zum [[Wikipedia:Bildungskanon|Kanon]] wurden, nahm er Medizin und Architektur auf. Die ''Hebdomades vel de imaginibus'' sind siebenhundert Kurzbiografien großer Griechen und Römer; davon sind nur vereinzelte Bruchstücke überliefert, ebenso wie von den ''Discliplinarum libri''. Varro hatte großen Einfluss auf Autoren der ausgehenden Antike.<ref>Burkhart Cardauns: ''Marcus Terentius Varro. Einführung in sein Werk''. Universitätsverlag C.&nbsp;Winter, Heidelberg&nbsp;2001, S.&nbsp;77–80.</ref><br />
<br />
Von überragender Bedeutung jedoch war die ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' des Politikers und Naturforschers [[Wikipedia:Plinius der Ältere|Plinius]]. Der Verwalter Plinius war es gewohnt, die Welt in Einheiten und Untereinheiten eingeteilt zu sehen. Sein Werk wurde um das Jahr 77&nbsp;n.&nbsp;Chr. geschrieben und gilt nun als einzige Enzyklopädie des Altertums, die vollständig erhalten ist. Im Mittelalter fand man sie in fast jeder anspruchsvollen Bibliothek.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;25–26.</ref> Das Besondere an ihr war die beanspruchte und immer wieder thematisierte Universalität. Sie diente Plinius auch als Erklärung dafür, dass er vieles nur sehr kurz beschreiben konnte.<ref>Sorcha Cary: ''Pliny’s Catalogue of Culture. Art and Empire in the Natural History.'' Oxford University Press, New York&nbsp;2003, S.&nbsp;18–21.</ref><br />
<br />
Ein anderer römischer Enzyklopädist mit weitreichendem Einfluss war [[Wikipedia:Martianus Capella|Martianus Capella]] aus Nordafrika. Er verfasste zwischen 410 und 429 n. Chr. eine Enzyklopädie, die oft ''Liber de nuptiis Mercurii et Philologiae'' („Die Hochzeit der [[Wikipedia:Philologie|Philologie]] mit [[Wikipedia:Mercurius|Merkur]]“) genannt wird und zum Teil in Versen geschrieben wurde. Die sieben Brautjungfern entsprachen den Kapiteln des Werks und diese wiederum den [[Wikipedia:Sieben Freie Künste|sieben freien Künsten]].<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;27–28.</ref><br />
<br />
=== Frühes Mittelalter ===<br />
[[Datei:Karte Isidor.jpg|mini|hochkant|Konrad Millers Rekonstruktion der Welt (1898) nach den Angaben in Isidors ''[[Wikipedia:Etymologiae|Etymologiae]]'' aus dem 7.&nbsp;Jahrhundert]]<br />
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Nach dem Untergang des Römischen Reiches bewahrte der Politiker [[Wikipedia:Cassiodor|Cassiodor]] mit seiner Kompilation ''Institutiones divinarum et saecularium litterarum'' (543–555 n. Chr.) Teile des antiken Wissens im [[Wikipedia:Frühmittelalter|Frühmittelalter]]. Dazu hatte er sich in ein von ihm selbst gegründetes Kloster im Süden Italiens zurückgezogen.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;28.</ref> Während Cassiodor noch Weltliches und Geistliches voneinander trennte, integrierte zwei Generationen später Bischof [[Wikipedia:Isidor von Sevilla|Isidor von Sevilla]] die christliche Lehre in die antike Gelehrsamkeit.<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;271/272.</ref><br />
<br />
Isidors Enzyklopädie ''[[Wikipedia:Etymologiae|Etymologiae]]'' (um 620) wollte die Welt dadurch deuten, dass er Begriffe samt Wortherkunft erklärte. Durch das Erkennen des wahren Sinn eines Wortes wurde der Leser im Glauben unterwiesen. Isidor gab allerdings zu, dass manche Wörter willkürlich gewählt sind.<ref>Lenelotte Möller (Hrsg.): ''Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla''. MatrixVerlag. Wiesbaden 2008, S.&nbsp;12–13.</ref> Die Forschung hat viele Vorlagen Isidors ermittelt. Seine eigene Leistung bestand darin, daraus ausgewählt sowie eine klare, gut angeordnete Darstellung in einfachem Latein abgeliefert zu haben. Brüche im Text lassen vermuten, dass Isidor sein Werk nicht vollendet hat.<ref>Lenelotte Möller (Hrsg.): ''Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla''. MatrixVerlag. Wiesbaden 2008, S.&nbsp;14–16.</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Rabanus Maurus|Rabanus Maurus]], der 847 zum Mainzer Erzbischof geweiht wurde, stellte ein Werk ''[[Wikipedia:De universo|De universo]]'' zusammen, das großteils Isidors Text übernahm. Rabanus begann jedes seiner 22 Kapitel mit einer geeigneten Textstelle Isidors und ließ vieles weg, das ihm für das Verständnis der Heiligen Schrift unnötig erschien. Dazu gehörten für ihn insbesondere die freien Künste. Viele spätere Werke des Mittelalters folgten außerdem seinem Beispiel, mit Gott und den Engeln zu beginnen.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;36/37.</ref><br />
<br />
=== Hoch- und Spätmittelalter ===<br />
[[Datei:Der naturen bloeme volkeren Detmold LB 70 f 12r.jpg|mini|hochkant|Fremde Völkerschaften in ''Der naturen bloeme'', 13.&nbsp;Jahrhundert]]<br />
Auf den antiken und frühmittelalterlichen Enzyklopädien bauten die Werke des europäischen Hochmittelalters auf (um 1050 bis 1250). Um 1230 stellte Arnoldus Saxo die lateinische Enzyklopädie ''De finibus rerum naturalium'' zusammen.<ref>[[Wikipedia:Franz Josef Worstbrock|Franz Josef Worstbrock]]: ''Arnoldus Saxo.'' In: ''[[Wikipedia:Verfasserlexikon|Verfasserlexikon]].'' 2. Auflage. Band 1 (1978), Sp. 485–488.</ref> Das größte enzyklopädische Werk aus der Mitte des 13.&nbsp;Jahrhunderts war das ''[[Wikipedia:Speculum maius|Speculum maius]]'' des [[Wikipedia:Vincent von Beauvais|Vincent von Beauvais]] mit fast zehntausend Kapiteln in achtzig Büchern. Es deckte nahezu alle Themen ab: im ersten Teil, ''Speculum naturale'', Gott und die Schöpfung, einschließlich der Naturgeschichte; im ''Speculum doctrinale'' das praktische moralische Handeln sowie das scholastische Erbe; im ''Speculum historiale'' die Geschichte der Menschen von der Schöpfung bis ins dreizehnte Jahrhundert. Ein vierter Teil, ''Speculum morale'', wurde nach Vincents Tod hinzugefügt und basierte vor allem auf [[Wikipedia:Thomas von Aquin|Thomas von Aquin]]s Werken.<ref name="Collison6">Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;272.</ref><br />
<br />
Der Südniederländer [[Wikipedia:Jacob van Maerlant|Jacob van Maerlant]] verteilte sein enzyklopädisches Wissen auf mehrere Werke: Im [[Wikipedia:Alexanderroman|Alexanderroman]] ''Alexanders Geesten'' (um 1260) band er tausend Verse ein, die einen gereimten Weltatlas ausmachen. In ''Der naturen bloeme'' (um 1270) behandelte er die Natur, und im ''Spiegel historiael'' (um 1285) die Weltgeschichte. Er war der erste europäische Enzyklopädist, der in einer (nichtromanischen) Volkssprache geschrieben hat. Seine Werke sind vor allem Bearbeitungen lateinischer Vorlagen, wie ''[[Wikipedia:Liber de natura rerum (Thomas von Cantimpré)|De natura rerum]]'' von [[Wikipedia:Thomas von Cantimpré|Thomas von Cantimpré]] und ''Speculum historiale'' von [[Wikipedia:Vincent von Beauvais|Vincent von Beauvais]], doch lässt er viele Details weg, wählt aus, fügt Inhalte von anderen Autoren hinzu und schöpft zu einem geringen Teil auch aus eigenem Wissen von der Welt. Er moralisierte und glaubte zum Beispiel an die Zauberkraft von Edelsteinen. Dennoch steht Maerlant für eine vergleichsweise moderne, kritisch-forschende Naturauffassung im Geiste des [[Wikipedia:Albertus Magnus|Albertus Magnus]].<ref>Frits van Oostrom: ''Stemmen op schrift. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur vanaf het begin tot 1300''. Uitgeverij Bert Bakker. Amsterdam 2006, S.&nbsp;504–509.</ref> Zu den mittelalterlichen Vorläufern heutiger Enzyklopädien zählt auch das im 13. Jahrhundert entstandene Werk ''[[Wikipedia:De proprietatibus rerum|De proprietatibus rerum]]'' von [[Wikipedia:Bartholomaeus Anglicus|Bartholomaeus Anglicus]].<ref>Georg Steer: ''Bartholomäus Anglicus.'' In: [[Wikipedia:Burghart Wachinger|Burghart Wachinger]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''[[Wikipedia:Verfasserlexikon|Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon]].'' 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 1: ''‚A solis ortus cardine‘ – Colmarer Dominikanerchronist.'' de Gruyter, Berlin/New York 1978, Spalte 616 f.</ref><ref>M. C. Seymor u.&nbsp;a.: Bartholomaeus Anglicus and his Encyclopedia. Aldershot/Hampshire und Brookfield/Vermont 1992.</ref><br />
<br />
Im Spätmittelalter und in der Renaissance (ca. 1300–1600) zog teilweise bereits eine Darstellung ein, die wissenschaftlicher<ref>Vgl. auch Volker Zimmermann: ''Die Heilkunde in spätmittelalterlichen Handschriftenenzyklopädien.'' In: ''Sudhoffs Archiv.'' Band 67, 1983, S. 39–49.</ref> auftrat und weniger auf dem Christentum beruhte. So befreite sich das anonyme ''Compendium philosophicae'' (um 1300) von den Legenden, wie sie seit Plinius durch die Enzyklopädien wanderten; der spanische Humanist [[Wikipedia:Juan Luis Vives|Juan Luis Vives]] baute in ''De disciplinis'' seine Argumente auf der Natur, nicht auf religiöser Autorität auf.<ref name="Collison6" /> Vives wollte nicht über die Natur spekulieren, sondern die Natur beobachten, um für sich und seine Mitmenschen etwas Praktisches zu lernen.<ref>Carlos G. Noreña: ''Juan Luis Vives''. Martinus Nijhoff. Den Haag 1970, S. 247/248.</ref> Trotz dieser Ansätze bevölkerten bis ins 18.&nbsp;Jahrhundert Wundertiere und Monster die Enzyklopädien, wo sie unproblematisch der Natur zugerechnet wurden.<ref>Ulrich Johannes Schneider: Bücher als Wissensmaschinen. In: ders.&nbsp;(Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit''. WBG, Darmstadt 2006, S.&nbsp;9–20, hier S.&nbsp;11.</ref><br />
<br />
=== Außereuropäische Kulturen ===<br />
Mehr noch als die westlichen waren die chinesischen Enzyklopädien Zusammenstellungen bedeutender Literatur. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie eher weitergeführt als erneuert. Oft vor allem für die Ausbildung von Beamten bestimmt, folgten sie normalerweise einer traditionellen Anordnung. Die erste bekannte chinesische Enzyklopädie war der „Kaiserspiegel“ ''Huang-lan'', der etwa 220 nach Christus auf Befehl des Kaisers erstellt wurde. Aus diesem Werk ist nichts überliefert.<ref name="Collison1">Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;276.</ref><br />
<br />
[[Datei:Jiaxian.jpg|mini|hochkant|Seite aus der erhaltenen Kopie der chinesischen ''[[Wikipedia:Yongle Dadian|Yongle Dadian]]'', 15.&nbsp;Jahrhundert]]<br />
Das ''T’ung-tien'', etwa 801 fertiggestellt, behandelt Staatskunst und Wirtschaft und wurde mit Ergänzungsbänden bis ins 20.&nbsp;Jahrhundert weitergeführt. Eine der wichtigsten Enzyklopädien, ''Yü-hai'', wurde etwa 1267 zusammengestellt und erschien 1738 in 240 gedruckten Bänden. Als erste moderne chinesische Enzyklopädie gilt die ''[[Wikipedia:Ciyuan|Tz’u-yüan]]'' (1915), sie gab die Richtung für spätere Werke vor.<ref name="Collison1" /><br />
<br />
Der persische Gelehrte und Staatsmann [[Muhammad ibn Ahmad al-Chwārizmi]] stellte 975–997 einen arabischen „Schlüssel zu den Wissenschaften“ zusammen, ''Mafātīḥ al-ʿulūm''. Er war zweifellos mit den Grundzügen der griechischen Geisteswelt bekannt und bezog sich teilweise auf Werke des Philo, Nikomachos oder Euklid. Seine Enzyklopädie teilt sich in einen „einheimischen“, arabischen Teil, darunter das Meiste, das heute als Geisteswissenschaften angesehen wird, und einen „fremden“.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;39/40.</ref><br />
<br />
Die [[Wikipedia:Ikhwan al-Safa|Brüder der Reinheit]] in [[Wikipedia:Basra|Basra]] (heutiger Irak), eine Gruppe von [[Wikipedia:Neuplatonismus|neuplatonischen]] Philosophen, die der [[Wikipedia:Ismailiten|Ismāʿīlīya]] nahestanden, waren vor allem 980–999 aktiv und arbeiteten gemeinsam an einer Enzyklopädie. Ihre Kompilation wird ''Rasāʾil Iḫwān aṣ-Ṣafāʾ'' („Sendschreiben der Brüder der Reinheit“) genannt. Auch sie kannten die griechischen Gelehrten und hatten ausgesprochene Vorlieben. Umgekehrt gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die westlichen Enzyklopädie-Autoren die arabisch-islamischen Quellen gekannt hätten. Die chinesischen Enzyklopädien wiederum waren sowohl vom christlichen als auch vom islamischen Kulturkreis getrennt.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;41&nbsp;f.</ref><br />
<br />
{{Siehe auch|Enzyklopädien aus dem chinesischen Kulturkreis|Enzyklopädien aus dem islamischen Kulturkreis}}<br />
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=== Frühe Neuzeit ===<br />
[[Datei:1708-harris-ttlpg.jpg|mini|hochkant|Dem Titelblatt zufolge beschreibt das ''[[Wikipedia:Lexicon technicum|Lexicon technicum]]'' (1704) nicht nur die Begriffe der Künste, gemeint sind die Handwerkskünste, sondern die Künste selbst.]]<br />
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''[[Wikipedia:Margarita Philosophica|Margarita Philosophica]]'' von [[Wikipedia:Gregor Reisch|Gregor Reisch]] (1503) war eine weit verbreitete allgemeine Enzyklopädie, ein Lehrbuch für die sieben freien Künste. Sie war die erste Enzyklopädie, die nicht in Handschriften, sondern sofort gedruckt erschien. Ebenso wie die ''[[Wikipedia:Enzyklopädie (Aventinus)|Encyclopaedia]]'' von [[Wikipedia:Johannes Aventinus|Johannes Aventinus]] (1517) und die ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Cursus Philosophici|Encyclopaedia Cursus Philosophici]]'' von [[Wikipedia:Johann Heinrich Alsted|Johann Heinrich Alsted]] (1630) folgte sie einer systematischen Ordnung.<br />
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Das ''[[Wikipedia:Le grand dictionaire historique|Grand dictionaire historique]]'' (1674) von [[Wikipedia:Louis Moréri|Louis Moréri]] war das erste große, nationalsprachliche, alphabetische Nachschlagewerk für die Themenbereiche Geschichte, Biografie und Erdkunde. In seiner Tradition steht das eigentümliche ''[[Wikipedia:Dictionnaire historique et critique|Dictionnaire historique et critique]]'' (1696/1697) von [[Wikipedia:Pierre Bayle|Pierre Bayle]], das Moréris Werk ursprünglich korrigieren und ergänzen sollte. Zu eher knappen Artikeln lieferte Bayle einen überaus ausführlichen und kritischen Apparat von Anmerkungen. Da Bayle in erster Linie diejenigen Gegenstände behandelte, die ihn persönlich interessierten, ist sein Werk als ein [[Wikipedia:Ego-Dokument|Ego-Dokument]], eine intellektuelle Autobiografie anzusehen. Es war eher neben, nicht anstelle einer allgemein gehaltenen Enzyklopädie zu verwenden.<ref>Helena Henrica Maria van Lieshout: ''Van boek tot bibliotheek. De wordingsgeschiedenis van de ''Dictionaire Historique et Critique'' van Pierre Bayle (1689–1706).'' Diss. Nimwegen, Grave 1992. S.&nbsp;228/229.</ref><br />
<br />
Denkt man bei Enzyklopädien heutzutage vor allem an biografisches und historiografisches Wissen und weniger an naturwissenschaftliches, so war dies um 1700 umgekehrt. Damals entstanden die ''dictionnaires des arts et des sciences'', Wörterbücher der (mechanischen, handwerklichen) Künste und der Wissenschaften. Biografische und historiografische Informationen fehlten großteils. Als Wörterbücher brachen sie, im Unterschied zu den meisten früheren Werken, mit der thematischen Anordnung.<ref>Richard Yeo: ''Encyclopaedic visions. Scientific Dictionaries and Enlightment Culture''. Cambridge University Press, Cambridge 2001, S.&nbsp;14–16.</ref> Mit [[Wikipedia:Antoine Furetière|Antoine Furetière]]s ''[[Dictionaire universel, Contenant generalement tous les mots françois tant vieux que modernes, & les termes de toutes les sciences et des arts|Dictionnaire universel des arts et sciences]]'' (1690) begann diese neue Richtung in der Geschichte der Enzyklopädie. Vergleichbar waren das ''[[Wikipedia:Lexicon technicum|Lexicon technicum]]'' (1704) von [[Wikipedia:John Harris (Mathematiker)|John Harris]] und dann die ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'' (1728) von [[Wikipedia:Ephraim Chambers|Ephraim Chambers]].<br />
<br />
Doch schon in direkter Nachfolge dieser erfolgreichen Werke kam es zu einem weiteren Schritt, der Überbrückung des Gegensatzes von naturwissenschaftlich-philosophischem und biografisch-historischem Nachschlagewerk. Hier ist nicht zuletzt das eben in diesem Sinne benannte ''[[Wikipedia:Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste|Universal-Lexicon]]'' (1732–1754) von [[Wikipedia:Johann Heinrich Zedler|Johann Heinrich Zedler]] hervorzuheben. Das in 64 Bänden herausgegebene Großwerk war die erste Enzyklopädie mit Biografien noch lebender Personen.<br />
<br />
=== Zeitalter der Aufklärung ===<br />
[[Datei:Encyclopedie volume 5-341.jpg|mini|Abbildung einer [[Wikipedia:Saline|Saline]] aus der [[Wikipedia:Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers|Encyclopédie]], 1768]]<br />
[[Datei:Oval-room.JPG|mini| Ovaler Saal des [[Wikipedia:Teylers Museum|Teylers Museum]], erbaut 1784; die obere Galerie beherbergt vor allem Enzyklopädien]]<br />
Die mit Abstand berühmteste Enzyklopädie der Geschichte ist die große französische ''[[Wikipedia:Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers|Encyclopédie]]'' (1751–1772, Ergänzungsbände bis 1780). Sie führte zwar kaum eigentliche Neuerungen ein, wurde aber gerühmt wegen ihres Umfanges, der thematischen Breite, der systematischen Unterbauung, der vielen Abbildungen, nämlich zweitausendfünfhundert, während die Konkurrenten allenfalls einige hundert Abbildungen aufwiesen. Dennoch war sie weniger erfolgreich und einflussreich als oft angenommen, denn allein schon wegen ihrer schieren Größe erreichte sie relativ wenige Leser, verglichen etwa mit der weitverbreiteten und mehrfach wiederaufgelegten ''Cyclopaedia''.<ref>Frank A. Kafker: The Influence of the ''Encyclopédie'' on the eighteenth-century encyclopaedic tradition. In: Frank A. Kafker: ''Notable encyclopedias of the late eighteenth century: eleven successors of the Encyclopédie''. The Voltaire Foundation. Oxford 1994, S.&nbsp;389–399, hier S.&nbsp;389/390.</ref><br />
<br />
Vor allem gilt sie mit ihrer kritischen und weltlichen Einstellung als Schmuckstück der [[Wikipedia:Aufklärung|Aufklärung]], der gesamteuropäischen Bildungsoffensive. Angriffe von Seiten der [[Wikipedia:Römisch-katholische Kirche|Kirche]] und Schwierigkeiten mit der [[Wikipedia:Zensur (Informationskontrolle)|Zensur]] überschatteten ihre Entstehung ebenso wie spätere Streitigkeiten zwischen den Herausgebern [[Wikipedia:Denis Diderot|Denis Diderot]] und [[Wikipedia:Jean-Baptiste le Rond d’Alembert|Jean-Baptiste le Rond d’Alembert]]. Diderot und viele seiner Mitautoren brachten an verschiedenen Stellen in der Enzyklopädie Kritik gegen bestimmte Vorstellungen in der herrschenden Gesellschaft an. Das Werk war als solches das Ergebnis der Leistung vieler [[Wikipedia:Enzyklopädist (Encyclopédie)|Enzyklopädisten]] und konnte wohl aber letztlich nur dank des Einsatzes von [[Wikipedia:Louis de Jaucourt|Louis de Jaucourt]] endgültig fertiggestellt werden, letzterer stellte sogar auf eigene Kosten Sekretäre ein. In den letzten zehn Bänden, die er großteils selbst geschrieben hat, gibt es weniger polemische Fundstellen als in den ersten sieben, was sie für den heutigen Leser weniger interessant machen könnte.<br />
<br />
Im englischsprachigen Raum blühte die ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'', zunächst in Schottland herausgegeben, ab dem 20.&nbsp;Jahrhundert in den USA. Die erste Auflage (1768–1771) bestand aus drei Bänden und war in Qualität und Erfolg eher bescheiden. Die Qualitätsverbesserung der zweiten Auflage trug zum Erfolg der dritten bei, die bereits 18&nbsp;Bände umfasste. Wenn die ''Encyclopaedia Britannica'' die Zeiten überdauerte, während die große französische ''Encyclopédie'' ihren letzten, bescheidenen und umgeformten Nachfolger 1832 hatte, lag dies am Mut der Herausgeber, Neuerungen zuzulassen. Außerdem war die politische Entwicklung in Großbritannien ruhiger als in Frankreich, das unter den Folgen der [[Wikipedia:Französische Revolution|Revolution von 1789]] zu leiden hatte.<ref>Frank A. Kafker: Epilogue: the tortoise and the hare: the longevity of the ''Encyclopaedia Britannica'' and the ''Encyclopédie'' compared. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;299–307, hier S.&nbsp;302, 307.</ref><br />
<br />
=== 19.&nbsp;Jahrhundert ===<br />
[[Datei:Edfu.jpg|mini|[[Wikipedia:Tempel von Edfu|Tempel von Edfu]], Zeichnung aus ''[[Wikipedia:Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit|Pierers Konversationslexikon]]'', 1891]]<br />
<br />
Um 1800 trat ein neuer erfolgreicher Typus der Enzyklopädien auf. Entstanden war er aus dem [[Wikipedia:Konversationslexikon|Konversationslexikon]], das zunächst [[Wikipedia:Renatus Gotthelf Löbel|Renatus Gotthelf Löbel]] mitgestaltet hatte. 1808 wurde sein unvollendetes Werk, 1796 begonnen, von [[Wikipedia:Friedrich Arnold Brockhaus|Friedrich Arnold Brockhaus]] aufgekauft. Es behandelte zeitgenössische Themen über Politik und Gesellschaft, um eine gebildete Unterhaltung in einer sozial durchaus gemischten Gruppe zu ermöglichen. Mit den Auflagen von 1824 und 1827 ging der Verlag F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus dazu über, zeitlosere Themen aus der Geschichte, später auch aus Technik und Naturwissenschaft zu bevorzugen, da die stete Erneuerung der Bände mit aktuellen Themen zu teuer wurde.<ref>Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;123–126.</ref><br />
<br />
Im ''Brockhaus'' waren die Themen auf viele kurze Artikel aufgeteilt, wodurch das Lexikon schnell über einen Begriff informieren konnte. Ähnlich machte es auch die ''Britannica'', die anfänglich noch teilweise aus langen Artikeln bestanden hatte. Während der ''Brockhaus'' von den Geisteswissenschaften her kam und die Naturwissenschaften später integrierte, war es bei der ''Britannica'' umgekehrt.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert.'' Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;36.</ref><br />
<br />
In jenem Jahrhundert wurde das Schulwesen in den europäischen Ländern erheblich ausgeweitet. Zusammen mit drucktechnischen Verbesserungen führte dies dazu, dass immer mehr Menschen lesen konnten. Gab es um 1800 im deutschsprachigen Raum 470 [[Wikipedia:Verlagsbuchhandel|Verlagsbuchhandlungen]], so waren es hundert Jahre später im Deutschen Reich 9360.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;21.</ref> Entsprechend wurden Enzyklopädien nicht mehr in Auflagen zu mehreren Tausend, sondern zu mehreren Zehntausend oder gar Hunderttausend gedruckt. Von 1860 bis 1900 bemühten die Enzyklopädien sich um eine gleichmäßigere Behandlung und um Standardisierung. Die Wertschätzung für statistisches Material war groß.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;50.</ref><br />
<br />
In Deutschland teilten sich vor allem der ''Brockhaus'', der ''[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Meyer]]'', der ''[[Wikipedia:Pierer's Universal-Lexikon|Pierer]]'' und für das katholische Publikum der ''[[Wikipedia:Herders Conversations-Lexikon|Herder]]'' den Markt. ''Brockhaus'' und ''Meyer'' hatten je ein Drittel Marktanteil. Daneben gab es Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts etwa fünfzig weitere Verlage, die Enzyklopädien anboten.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;23.</ref> Manche Enzyklopädien schlossen mit ihrem Namen bewusst an einen berühmten Vorläufer an, so die ''Chambers’ Encyclopaedia'' der Brüder Chambers, die nur dem Namen nach an die ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'' von [[Wikipedia:Ephraim Chambers|Ephraim Chambers]] erinnerte.<br />
<br />
=== 20.&nbsp;Jahrhundert ===<br />
[[Datei:Yuzhakov Big Encyclopedia Australian fauna.jpg|mini|Tierwelt Australiens in einer typischen Bildtafel, russische Enzyklopädie vom Anfang des 20.&nbsp;Jahrhunderts]]<br />
<br />
Um 1900 verfügten die meisten westlichen Länder über wenigstens eine umfangreiche und neuere Enzyklopädie. Manche konnten eine Tradition von fünfzig oder gar hundert Jahren vorweisen. Fachleute behandelten in der Sprache des betreffenden Landes viele Themen. Die Beiträge waren in alphabetischer Reihenfolge und schlossen Biografien lebender Personen mit ein, ebenso Bebilderungen, Landkarten, Querverweise, Indizes und Literaturlisten am Ende längerer Artikel. Wich eine Enzyklopädie von diesem Konzept ab, überlebte sie nicht lange. Doch auch die übrigen kamen nur über ein oder zwei Auflagen hinaus, wenn fähige Herausgeber dahinter standen. Ferner konnten Revolutionen und [[Wikipedia:Weltkrieg|Weltkrieg]]e gute Enzyklopädien zu Fall bringen.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350&nbsp;B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New&nbsp;York 1966, S.&nbsp;199/200.</ref><br />
<br />
Der [[Wikipedia:Erster Weltkrieg|Erste Weltkrieg]] hat die Entwicklung teilweise unterbrochen, und unter anderem in Deutschland erschwerte die [[Wikipedia:Deutsche Inflation 1914 bis 1923|Inflation]] zunächst die Wiederaufnahme. Bei Meyer etwa führte dies zu der Entscheidung, den ''Großen Meyer'' von 20 auf zwölf Bände zu verkleinern, wodurch ein neuer, mittelgroßer Enzyklopädie-Typ entstand.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt am Main 2007, S.&nbsp;441–462, hier S.&nbsp;447.</ref> In den 1920er-Jahren wandten die Großenzyklopädien sich an ein deutlich breiteres Publikum als vor dem Krieg und legten noch mehr Wert auf die sachliche Darstellung. Das Layout war moderner, es gab mehr Abbildungen; beim ''Brockhaus'' (ab 1928) wurden farbige Bilder per Hand eingeklebt.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt am Main 2007, S.&nbsp;441–462, hier S.&nbsp;442.</ref> Die Werbung wurde erheblich ausgeweitet, in Kundenzeitschriften und Informationsbroschüren stellte Brockhaus nicht nur das Produkt, sondern auch Idee und Beteiligte vor; Marktanalysen wurden eingeführt.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt am Main 2007, S.&nbsp;441–462, hier S.&nbsp;457/458, 460.</ref><br />
<br />
Eine Herausforderung eigener Art waren die totalitären Regimes. Beispielsweise im [[Wikipedia:Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen Deutschland]] (1933–1945) wurde der Angestelltenbereich des Brockhaus-Verlags [[Wikipedia:Gleichschaltung|gleichgeschaltet]], inhaltlich musste man Zugeständnisse an die [[Wikipedia:Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums|parteiamtliche Prüfungskommission]] machen. So nahm der 1933 neu aufgelegte ''Kleine Brockhaus'' aktualisierte Biografien zu Hitler, Göring und anderen NS-Größen auf, ebenso neue politische Begriffe. Die Parteiideologen waren damit nicht zufrieden, aber der Verlag verwies auf das internationale Ansehen des ''Brockhaus'', das auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht gefährdet werden dürfe. Wesentlich weniger zurückhaltend war das Bibliographische Institut. Seine Vorstandsmitglieder schlossen sich rasch der NSDAP an, 1939 bewarb man den ''Meyer'' als einziges parteiamtlich empfohlenes Großlexikon.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;162.</ref><br />
<br />
In den Jahrzehnten nach dem [[Wikipedia:Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] boomten Enzyklopädien und ihre Verlage. Im deutschsprachigen Raum führte das dazu, dass die beiden bedeutendsten Enzyklopädie-Verlage, F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus und [[Wikipedia:Bibliographisches Institut|Bibliographisches Institut]] (Meyer), eine starke Konkurrenz von Seiten anderer Verlage erlebten. Vor allem Großverlage erschlossen mit populären Nachschlagewerken eine breitere Leserschaft und einen erheblichen Marktanteil bei den kleinen und mittelgroßen Enzyklopädien. [[Wikipedia:Piper Verlag|Piper]] brachte 1972 ein Jugendlexikon heraus, Bertelsmann kam mit der zehnbändigen ''[[Wikipedia:Bertelsmann Lexikothek|Lexikothek]]'' (1972, mit thematischen Zusatzbänden), [[Wikipedia:Droemer-Knaur|Droemer-Knaur]] zwei Jahre später ebenfalls mit einem zehnbändigen Werk. Die Einzelhandelsketten [[Wikipedia:Kaufhof|Kaufhof]] und [[Wikipedia:Tchibo|Tchibo]] boten einbändige Lexika an.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;271.</ref> [[Wikipedia:Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus|Brockhaus und Bibliographisches Institut]] fusionierten 1984; im Jahre 1988 kam [[Wikipedia:Langenscheidt-Verlag|Langenscheidt]] als Mehrheitsaktionär hinzu, womit einem großzügigen Angebot von [[Wikipedia:Robert Maxwell|Robert Maxwell]] begegnet wurde.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;275, 280, 285.</ref><ref>Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;173.</ref><br />
<br />
=== Elektronische Enzyklopädien ===<br />
Bereits in der ersten Hälfte des 20.&nbsp;Jahrhunderts gab es Ideen zu einer neuartigen Form der Enzyklopädie. Der [[Wikipedia:Science-Fiction|Science-Fiction]]-Autor [[Wikipedia:H. G. Wells|H. G. Wells]] träumte um 1938 beispielsweise von einer ''World Encyclopaedia'', die keine hastig geschriebenen Artikel anbieten solle, sondern sorgfältig zusammengestellte Auszüge, die beständig von Experten überprüft werden.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New&nbsp;York 1966, S.&nbsp;17/18.</ref> Wells glaubte an den damals neuen [[Wikipedia:Mikrofilm|Mikrofilm]] als billiges und universelles Medium.<ref>Dan O’Sullivan: ''Wikipedia. A New Community of Practice?'' Ashgate. Farnham, Burlington 2009, S.&nbsp;77.</ref><br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=Diese Welt-Enzyklopädie wäre der geistige Hintergrund jedes intelligenten Menschen auf der Welt. Sie wäre lebendig und würde wachsen und sich beständig verändern, anhand von Revision, Erweiterung und Ersetzung durch die originären Denker überall in der Welt. Jede Universität und Forschungseinrichtung sollte sie speisen. Jeder frische Geist sollte in Kontakt mit ihrer dauerhaften redaktionellen Organisation gebracht werden. Und auf der anderen Seite wären ihre Inhalte die übliche Quelle für die Lehraufgaben von Schule und Hochschule, für die Verifizierung von Fakten und die Prüfung von Aussagen – überall auf der Welt.<br />
|Autor=Herbert George Wells, 1936<br />
|ref=<ref>Herbert George Wells: ''Lecture delivered at the Royal Institution of Great Britain, November&nbsp;20th''. 1936, S.&nbsp;3–35, hier S.&nbsp;14. „This World Encyclopaedia would be the mental background of every intelligent man in the world. It would be alive and growing and changing continually under revision, extension and replacement from the original thinkers in the world everywhere. Every university and research institution should be feeding it. Every fresh mind should be brought into contact with its standing editorial organization. And on the other hand, its contents would be the standard source of material for the instructional side of school and college work, for the verification of facts and the testing of statements – everywhere in the world.“ Zitiert nach: [[q:en:World Brain#World Encyclopaedia|Wikiquote]], abgerufen am 20. Juni 2011.</ref>}}<br />
<br />
Dreißig Jahre später kommentierte der Enzyklopädie-Experte Robert Collison, dass die perfekte Enzyklopädie sich wohl nie in der von Wells vorgestellten Form verwirklichen lasse. Es gebe diese perfekte Enzyklopädie bereits in der unperfekten Form der großen Bibliotheken, mit Millionen von Büchern, durch Indizes und [[Wikipedia:Bibliothekskatalog|Kataloge]] erschlossen. Eine Schar von Bibliothekaren und Bibliografen stellten das alles Einzelpersonen oder Gruppen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Täglich lieferten Autoren und Herausgeber neue Bücher und Artikel.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350&nbsp;B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;19/20.</ref><br />
<br />
[[Datei:Bundesarchiv B 145 Bild-F077948-0006, Jugend-Computerschule mit IBM-PC.jpg|mini|Computer im Jahre 1988]]<br />
In den 1980er-Jahren kamen die ''[[Wikipedia:Personal Computer|PCs]]'' in die Privathaushalte. Doch die elektronische beziehungsweise digitale Herausforderung wurde von den Enzyklopädie-Verlagen lange Zeit nicht erkannt. Im Vorwort der 26-bändigen niederländischen ''[[Wikipedia:Winkler Prins|Winkler Prins]]'' von 1990 heißt es, die Redaktion habe die eventuelle Anwendung neuer, elektronischer Medien untersucht. Doch für das Hintergrundwissen, wie diese Enzyklopädie es anbiete, sei und bleibe die klassische Buchform das handlichste Medium.<ref>Encyclopedie. In: ''Grote Winkler Prins''. Elsevier. Amsterdam / Antwerpen 1990, S.&nbsp;5/6.</ref><br />
<br />
1985 wollte die Software-Firma [[Wikipedia:Microsoft|Microsoft]] eine Enzyklopädie auf [[Wikipedia:CD-ROM|CD-ROM]] herausbringen. Der gewünschte Partner, ''Encyclopaedia Britannica'', schlug eine Zusammenarbeit jedoch aus. Damals hatten nur vier bis fünf Prozent der US-Haushalte einen Computer, außerdem fürchtete der Britannica-Verlag um das aufgebaute intellektuelle Image der eigenen Enzyklopädie.<br />
In den 1990er-Jahren kam dann der große Durchbruch der elektronischen Enzyklopädien. Der ''Brockhaus'' sah 2005/2006 jedoch auch einen rückläufigen Trend: Enzyklopädien würden wieder gedruckt werden. Er verwies auf sich selbst sowie auf die französische ''[[Wikipedia:Encyclopædia Universalis|Encyclopædia Universalis]]'' (2002) und die ''Encyclopaedia Britannica'' (2002/2003). Es sei von einer dauerhaften doppelgleisigen Entwicklung mit elektronischen und Printenzyklopädien auszugehen.<ref name="Brockhaus1">Enzyklopädie. In: ''Brockhaus Enzyklopädie''. Band 8. 21.&nbsp;Auflage, F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus. Leipzig/Mannheim 2006, S.&nbsp;174–180, hier S.&nbsp;179/180.</ref><br />
<br />
==== CD-ROM-Enzyklopädien ====<br />
[[Datei:Print vs. bytes.jpg|mini|Dänisches ''Lademanns leksikon'' gedruckt und (Mitte) als CD-ROM]]<br />
[[Datei:Brockhaus 2007 dvd.JPG|mini|''Brockhaus'' auf DVD, 2007]]<br />
<br />
1985 erschien bereits eine reine Text-Enzyklopädie auf [[Wikipedia:CD-ROM|CD-ROM]], ''Academic American Encyclopedia'' von Grolier, auf der Basis des Betriebssystems DOS. Dann brachte im April 1989 der Britannica-Verlag eine CD-ROM-Enzyklopädie heraus, allerdings nicht das Flaggschiff unter eigenem Namen. Man veröffentlichte vielmehr eine Multimedia-Version der erworbenen ''Compton’s Encyclopaedia''.<ref>Shane Greenstein, Michelle Devereux: {{Webarchiv |url=http://www.kellogg.northwestern.edu/faculty/greenstein/images/htm/Research/Cases/EncyclopaediaBritannica.pdf |text=The Crisis at Encyclopaedia Britannica |wayback=20130313000034}} (PDF; 462&nbsp;kB), Kellogg School of Management, S.&nbsp;5/6. Abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
Microsoft seinerseits hatte 1989 die auslaufende ''Funk and Wagnalls Standard Reference Encyclopedia'' aufgekauft, die billig in Supermärkten angeboten worden war. Mit einem sehr kleinen Mitarbeiterstab wurden die Texte aufgefrischt und erweitert, auch mit Bildern und Audio-Dateien versehen. 1993 kamen sie dann als ''[[Wikipedia:Microsoft Encarta|Microsoft Encarta]]'' heraus. Die Kunden erhielten sie zusammen mit dem Computer-Betriebssystem [[Wikipedia:Windows|Windows]], sonst kostete sie hundert Dollar. Damals besaßen schon zwanzig Prozent der US-Haushalte einen Computer.<ref>Shane Greenstein, Michelle Devereux: {{Webarchiv |url=http://www.kellogg.northwestern.edu/faculty/greenstein/images/htm/Research/Cases/EncyclopaediaBritannica.pdf |text=The Crisis at Encyclopaedia Britannica |wayback=20130313000034}} (PDF; 462&nbsp;kB), Kellogg School of Management, S.&nbsp;7/8. Abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
Ein Jahr später folgte Britannica mit einer CD-ROM-Version der ''Encyclopaedia Britannica''. Man erhielt sie als Zugabe zur Druckversion oder aber für stattliche 1200 Dollar. Bis 1996 senkte Britannica den Preis auf zweihundert Dollar, doch da beherrschte die ''Microsoft Encarta'' den Markt für digitale Enzyklopädien bereits. Britannica war von dem Ansehen seiner Enzyklopädie so überzeugt gewesen, dass es den neuartigen Konkurrenten nicht ernst genommen hatte. Von 1990 bis 1996 sanken die Einkünfte aus der ''Encyclopaedia Britannica'' von 650 Millionen auf nur noch 325 Millionen Dollar jährlich. Der Eigentümer verkaufte sie 1996 für 135 Millionen an einen Schweizer Investor.<ref>Shane Greenstein, Michelle Devereux: {{Webarchiv |url=http://www.kellogg.northwestern.edu/faculty/greenstein/images/htm/Research/Cases/EncyclopaediaBritannica.pdf |text=The Crisis at Encyclopaedia Britannica |wayback=20130313000034}} (PDF; 462&nbsp;kB), Kellogg School of Management, S.&nbsp;9–11. Abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
==== Internet-Enzyklopädien ====<br />
{{Hauptartikel|Online-Enzyklopädie}}<br />
[[Datei:Nupedia, the open content encyclopedia 2000-03-04.png|mini|Hauptseite der ''[[Wikipedia:Nupedia|Nupedia]]'', der unmittelbaren Vorläuferin der ''[[Wikipedia]]'', 4.&nbsp;März&nbsp;2000]]<br />
<br />
Schon 1983 erschien mit der ''Academic American Encyclopedia'' die erste Enzyklopädie, die sich [[Wikipedia:online|online]] präsentierte und ihren Inhalt über kommerzielle Datennetze wie [[Wikipedia:CompuServe|CompuServe]] anbot.<ref name="Collison5" /> Als das Internet einen eigentlichen Massenmarkt erschloss, waren die ersten [[Wikipedia:Online-Enzyklopädie|Online-Enzyklopädie]]n 1995 die ''Academic American Encyclopedia'' sowie die ''Encyclopaedia Britannica''.<ref name="Brockhaus1" /><ref>Alternativ wird die Geburt von ''Britannica Online'' auf das Jahr 1994 datiert. Shane Greenstein, Michelle Devereux: {{Webarchiv |url=http://www.kellogg.northwestern.edu/faculty/greenstein/images/htm/Research/Cases/EncyclopaediaBritannica.pdf |text=The Crisis at Encyclopaedia Britannica |wayback=20130313000034}} (PDF; 462&nbsp;kB), Kellogg School of Management, S.&nbsp;7. Abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
Jene Enzyklopädien waren nur gegen Bezahlung aufrufbar. Normalerweise zahlte der Kunde ein Jahresabonnement für den Zugang. Daneben kam es zu Vorschlägen für Online-Enzyklopädien auf der Grundlage [[Wikipedia:Freies Wissen|Freien Wissens]]: Die Inhalte sollten unter gewissen Bedingungen wie der Herkunftsnennung frei und kostenlos bearbeitbar und weiterverbreitbar sein. Dieser Gedanke tauchte zwar noch nicht ausdrücklich in Rick Gates’ Aufruf<ref>[http://listserv.uh.edu/cgi-bin/wa?A2=ind9310d&L=pacs-l&T=0&P=1418 listserv.uh.edu], Universität Houston, abgerufen am 20. Juni 2011. Gefunden über die englischsprachige Wikipedia: [[:en:History of Wikipedia]], ([[:en:Special:PermanentLink/428572701?title=History of Wikipedia|diese Version]]).</ref> zu einer ''Internet Encyclopedia'' von 1993 auf, wohl aber in [[Wikipedia:Richard Stallman|Richard Stallman]]s Ankündigung<ref>[http://www.gnu.org/encyclopedia/free-encyclopedia.html Announcement of the Project], GNU.org, abgerufen am 20. Juni 2011.</ref> (1999) einer ''Free Universal Encyclopaedia'' im Rahmen des [[Wikipedia:GNU|GNU]]-Software-Projektes.<br />
<br />
Als der Internet-Unternehmer [[Wikipedia:Jimmy Wales|Jimmy Wales]] und sein Angestellter [[Wikipedia:Larry Sanger|Larry Sanger]] im Jahre 2000 die ''[[Wikipedia:Nupedia|Nupedia]]'' online stellten, war das Echo gering. Nennenswerten Andrang erhielt eine „freie“ Internet-Enzyklopädie erst, als Wales und Sanger das [[Wiki]]-Prinzip einführten. Bei einer solchen Website kann der Leser selbst unmittelbar Veränderungen anbringen. Der 15. Januar 2001 gilt als der Geburtstag der ''[[Wikipedia]]'', die seitdem zur mit Abstand größten Enzyklopädie angewachsen ist. Sie wird überwiegend von [[Wikipedia:ehrenamt|ehrenamt]]lichen Autoren geschrieben, die Kosten für den Server-Betrieb werden durch Spenden an die Betreiber-Stiftung gedeckt, die gemeinnützige [[Wikipedia:Wikimedia Foundation|Wikimedia Foundation]].<br />
<br />
Anfänglichen Zweifeln an der Zuverlässigkeit der ''Wikipedia'' wurde von mehreren Studien begegnet, dass die Fehlerrate vergleichbar mit der in traditionellen Enzyklopädien sei.<ref>Stern: [http://www.stern.de/digital/online/wikipedia-wissen-fuer-alle-3217272.html Wikipedia. Wissen für alle], Dezember 2007, abgerufen am 27. Juni 2011.</ref> Kritischer sind Vergleiche mit Fachenzyklopädien und Fachliteratur.<ref>Zeit Online: [https://web.archive.org/web/20120121000933/http://histnet.ch/dox/110129.pdf Je umstrittener, desto besser] (PDF; 83&nbsp;kB), Interview mit [[Wikipedia:Peter Haber (Historiker)|Peter Haber]], 8. Juli 2010, abgerufen am 27. Juni 2011; Annette Lorenz: [http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6884/ ''Beurteilung der Qualität zahnmedizinischer Einträge in Wikipedia – ein Vergleich mit zahnmedizinischer Fachliteratur''], Diss. Freiburg 2009, abgerufen am 27. Juni 2011.</ref> Qualität hat aber nicht nur mit sachlicher Korrektheit zu tun, wie der Historiker [[Wikipedia:Roy Rosenzweig|Roy Rosenzweig]] 2006 anführte, sondern auch mit gutem Stil und [[Wikipedia:Prägnanz|Prägnanz]]. Hier lasse die ''Wikipedia'' noch oft zu wünschen übrig.<ref>Roy Rosenzweig: {{Webarchiv |url=http://chnm.gmu.edu/essays-on-history-new-media/essays/?essayid=42 |text=''Can History be Open Source? Wikipedia and the Future of the Past'' |wayback=20180401181824}}, 2006, abgerufen am 27. Juni 2011.</ref><br />
<br />
Außer der ''Wikipedia'' existieren weitere Online-Enzyklopädien, teils auf anderen Grundlagen beruhend. So verlangt ''[[Wikipedia:Citizendium|Citizendium]]'' (seit 2006) beispielsweise die namentliche Registrierung der Autoren, die ausgewiesene Fachleute für ihr Thema sein sollen. ''[[Wikipedia:Google Knol|Google Knol]]'' (2008–2011) überschreitet die Grenzen einer Enzyklopädie und gibt den Autoren größte Freiheit, inhaltlich und bezüglich der Eigentümerschaft ihrer Texte. ''[[Wikipedia:Wissen.de|Wissen.de]]'' (seit 2000) hat ein breites Angebot auch von nicht unbedingt enzyklopädischen Inhalten, mit Quizfragen und viel Multimedia.<br />
<br />
[[Datei:Oh no!!! Someone threw away wikipedia!!!.jpg|mini|hochkant|Bände der niederländischsprachigen ''Winkler Prins'' werden entsorgt, Amsterdam 2010]]<br />
Dadurch ist die Nachfrage nach Printenzyklopädien und kostenpflichtigen elektronischen Enzyklopädien stark zurückgegangen. 2009 gab die ''Microsoft Encarta'' auf, die ''Britannica Online'' bemüht sich, mit Anzeigen zu überleben. Dabei hat sie sich teilweise der ''Wikipedia'' angepasst, denn sie ist kostenlos zugänglich und ruft die Leser zu Verbesserungen auf, die allerdings von Angestellten kontrolliert werden. Der ''Brockhaus'' wurde 2009 von der Bertelsmann-Tochter [[Wikipedia:Wissen Media Verlag|Wissen Media]] übernommen; das [[Wikipedia:Bundeskartellamt|Bundeskartellamt]] hatte trotz der marktbeherrschenden Position von Bertelsmann die Übernahme genehmigt, da der Lexikonmarkt zu einem Bagatellmarkt geschrumpft sei.<ref>Bildungsklick.de: [http://bildungsklick.de/a/68058/bundeskartellamt-gibt-uebernahme-des-brockhaus-verlages-durch-bertelsmann-frei/ ''Bundeskartellamt gibt Übernahme des Brockhaus Verlages durch Bertelsmann frei''], abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
== Fachenzyklopädien ==<br />
[[Datei:Lueger2.jpg|mini|Aufgeschlagener Band des ''[[Wikipedia:Lexikon der gesamten Technik|Lexikons der gesamten Technik]]'' von [[Wikipedia:Otto Lueger|Otto Lueger]], 1904]]<br />
[[Datei:Pauly-Wissowa 3 retouched.jpg|mini|hochkant|''[[Wikipedia:Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft|Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft]]'']]<br />
[[Datei:13-11-02-olb-by-RalfR-22.jpg|mini|Das Gesamtwerk der [[Wikipedia:Oeconomische Encyclopädie|Oeconomischen Encyclopädie]] in der [[Wikipedia:Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften|Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften]]]]<br />
<br />
Das Wort ''allgemein'' bei ''allgemeines Nachschlagewerk'' bezieht sich sowohl auf das allgemeine Publikum als auch auf die Allgemeinheit (Universalität) des Inhalts. Fachenzyklopädien (auch Spezialenzyklopädien genannt) beschränken sich auf ein bestimmtes Fach wie die Psychologie oder ein Themengebiet wie die Dinosaurier. Oft, wenn auch nicht notwendig, sprechen sie eher ein Fachpublikum an als ein allgemeines Publikum, denn vor allem Fachleute interessieren sich für das Fach in besonderem Maße. Zur Abgrenzung von der Fachenzyklopädie nennt man die allgemeine Enzyklopädie zuweilen auch Universalenzyklopädie. Definiert man eine Enzyklopädie allerdings als ein fächerübergreifendes Nachschlagewerk, dann ist ''Universalenzyklopädie'' ein [[Wikipedia:Pleonasmus|Pleonasmus]] und ''Fachenzyklopädie'' ein [[Wikipedia:Oxymoron|Oxymoron]].<br />
<br />
Wenngleich die meisten Fachenzyklopädien ebenso wie die allgemeinen Enzyklopädien nach dem Alphabet geordnet sind, so hat sich bei Fachenzyklopädien die thematische Anordnung noch etwas stärker gehalten. Allerdings erhalten fachlich begrenzte Nachschlagewerke in thematischer Anordnung normalerweise die Bezeichnung [[Wikipedia:Handbuch|Handbuch]]. Die systematische Anordnung bietet sich an, wenn das Fach bereits selbst stark einer Systematik folgt, wie die Biologie mit der [[Wikipedia:Nomenklatur (Biologie)|binären Nomenklatur]].<br />
<br />
Als vielleicht erste Fachenzyklopädie kann die ''Summa de vitiis et virtutibus'' (12.&nbsp;Jahrhundert) angesehen werden. Darin behandelte [[Wikipedia:Raoul Ardent|Raoul Ardent]] die Theologie, Christus und die Erlösung, das praktische und asketische Leben, die vier Haupttugenden, das menschliche Verhalten.<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;268/269.</ref><br />
<br />
Von einzelnen Ausnahmen abgesehen entstanden Fachenzyklopädien vor allem seit dem 18.&nbsp;Jahrhundert, und zwar auf dem Gebiet der Biografie, wie das ''Allgemeine Gelehrten-Lexicon'' (1750/1751). Fachenzyklopädien folgten oft dem Aufstieg des entsprechenden Faches, so kam es im späten 18.&nbsp;Jahrhundert zum ''Dictionary of Chemistry'' (1795) und auch danach zu vielen weiteren Chemiewörterbüchern. Vergleichbar war der Publikationsreichtum nur auf dem Gebiet der Musik, beginnend mit dem ''Musikalischen Lexikon'' (1732) des Komponisten [[Wikipedia:Johann Gottfried Walther|Johann Gottfried Walther]]. Auf ihrem Gebiet ohnegleichen ist die ''[[Wikipedia:Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft|Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft]]'' (1837–1864, 1890–1978).<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;269/270.</ref><br />
<br />
Eine der bekanntesten populären Fachenzyklopädien wurde ''[[Wikipedia:Brehms Thierleben|Brehms Thierleben]]'', begründet von dem Sachbuchautor [[Wikipedia:Alfred Brehm|Alfred Brehm]] 1864. Es erschien im [[Wikipedia:Bibliographisches Institut|Bibliographischen Institut]], das auch ''Meyers Konversations-Lexikon'' herausbrachte. Die große Ausgabe aus den 1870er-Jahren hatte bereits 1.800&nbsp;Abbildungen bei über 6.600&nbsp;Seiten und zusätzlich Bildtafeln, die auch gesondert, zum Teil eingefärbt, erhältlich waren. Die dritte Auflage 1890–1893 setzte 220.000&nbsp;Exemplare ab. 1911 brachten Tiermalerei und Naturphotographie ein neues Niveau der Abbildungen mit sich.<ref>Georg Jäger: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;1: Das Kaiserreich 1870–1918. Teil 2. Saur, Frankfurt am Main 2001, S.&nbsp;541–575, hier S.&nbsp;566/567.</ref> Das Werk wurde, schließlich auch digital, bis ins 21.&nbsp;Jahrhundert weitergeführt.<br />
<br />
Seit dem Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts erschienen ferner Enzyklopädien über bestimmte Länder oder Regionen. Dabei sind die geografischen Enzyklopädien von den [[Wikipedia:Nationalenzyklopädie|Nationalenzyklopädie]]n zu unterscheiden, die sich auf ihr eigenes Land konzentrieren. Beispiele sind das ''Deutsche Kolonial-Lexikon'' (1920), ''The Modern Encyclopaedia of Australia and New Zealand'' (1964) und das ''Magyar életrajzi lexikon'' (1967–1969).<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;270.</ref> Der letzte Band der ''[[Wikipedia:Große Sowjetische Enzyklopädie|Großen Sowjetischen Enzyklopädie]]'' (1.&nbsp;Auflage) hatte sich ausschließlich mit der Sowjetunion beschäftigt, er wurde 1950 als zweibändige ''Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken'' in der DDR veröffentlicht.<ref>A. Rewin, Ju. Schmuskis: Die Entwicklung der Enzyklopädien in der UdSSR. In: Hans-Joachim Diesner, Günter Gurst (Hrsg.): ''Lexika gestern und heute''. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1976, S.&nbsp;263–296, hier S.&nbsp;292.</ref> Der ''[[Wikipedia:Fischer Weltalmanach|Fischer Weltalmanach]]'' (1959–2019) behandelt die Länder der Welt in alphabetischer Reihenfolge, und zwar in aktuell gehaltenen Bänden pro Jahr.<br />
<br />
Das größte jemals in deutscher Sprache gedruckte Lexikon hatte 242 Bände. Das Werk mit dem Titel ''[[Wikipedia:Oeconomische Encyclopädie|Oeconomische Encyclopädie]]'' wurde zwischen 1773 und 1858 großteils von [[Wikipedia:Johann Georg Krünitz|Johann Georg Krünitz]] herausgegeben. Die Universität Trier hat dieses Werk vollständig digitalisiert und online verfügbar gemacht.<br />
<br />
{{Siehe auch|Liste der Spezialenzyklopädien}}<br />
<br />
== Aufbau und Ordnung ==<br />
Enzyklopädien hatten bis in die Frühe Neuzeit eher den Charakter von Sach- oder Lehrbüchern. Schwieriger noch scheint die Unterscheidung zwischen Enzyklopädien und [[Wikipedia:Wörterbuch|Wörterbüchern]] zu sein. Es gibt keine scharfe Trennung nach Sachverhalten und Wörtern, denn kein Sprachwörterbuch kommt ohne Sacherklärung aus, kein Sachwörterbuch wie eine Enzyklopädie kann auf sprachliche Hinweise verzichten.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;18.</ref><br />
<br />
Die einzelnen Beiträge zu einer Enzyklopädie sind entweder alphabetisch oder nach einem anderen System geordnet.<ref>Enzyklopädie. In: ''Meyers Enzyklopädisches Lexikon''. Band&nbsp;8, Bibliographisches Institut. Mannheim, Wien, Zürich 1973, S.&nbsp;8–13, hier S.&nbsp;8.</ref> Im letzteren Fall spricht man häufig von einer „systematischen“ Anordnung, wenngleich auch das Alphabet als System angesehen werden kann und daher der Ausdruck „nichtalphabetisch“ korrekter wäre. Die systematisch angeordneten Enzyklopädien kann man ferner danach unterscheiden, ob die Einteilung eher pragmatischer oder gar willkürlicher Art ist, oder ob ein philosophisches System dahinter steckt. Anstelle von „systematisch“ verwendet man oft auch den Ausdruck „thematisch“.<br />
<br />
=== Systematische Anordnung ===<br />
{{Hauptartikel|Liste von Systematiken in Enzyklopädien}}<br />
[[Datei:ENC SYSTEME FIGURE.jpeg|mini|hochkant|[[Wikipedia:Baum des Wissens|Baum des Wissens]] in der ''Encyclopédie'', 18.&nbsp;Jahrhundert, angelehnt an [[Wikipedia:Francis Bacon|Francis Bacon]]. Den Fähigkeiten des Menschen wurden Themengebiete zugeordnet: dem ''Gedächtnis'' die Geschichte, der ''Vernunft'' die Philosophie (unter anderem mit den Naturwissenschaften), der ''Einbildungskraft'' die Dichtkunst.]]<br />
<br />
Für den wahren Gelehrten sei allein die systematische Anordnung zufriedenstellend, schrieb Robert Collison, weil sie nahe verwandte Themen nebeneinanderlege. Dabei ging er davon aus, dass die Enzyklopädie als ganze oder zumindest in großen Stücken gelesen wird.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New&nbsp;York 1966, S.&nbsp;3.</ref> In der Natur gibt es aber keine zwingenden Zusammenhänge. Systeme sind beliebig, weil sie durch einen menschlichen Reflexionsprozess zustande kommen. Dennoch hat eine systematische Darstellung einen didaktischen Wert, wenn sie logisch und praktikabel ist.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;315.</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Gaius Plinius Secundus|Plinius]] beispielsweise hat viele verschiedene Ordnungsprinzipien verwendet. In der Erdkunde beginnt er mit der vertrauten Küstenlinie Europas und schreitet dann fort zu exotischeren Erdteilen; die Menschen behandelte er vor den Tieren, da die Menschen wichtiger seien; in der Zoologie beginnt er mit den größten Tieren; bei den Seelebewesen mit denen des Indischen Ozeans, weil diese am zahlreichsten seien. Der erste behandelte römische Baum ist die Weinrebe, da sie am nützlichsten ist. Die Künstler erscheinen in der chronologischen Reihenfolge, Edelsteine nach ihrem Preis.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;27.</ref><br />
<br />
Eine systematische Anordnung war traditionell die übliche, bis seit dem 17./18.&nbsp;Jahrhundert die alphabetische sich durchsetzte. Dennoch gab es auch noch danach einzelne größere nichtalphabetische Werke, wie die unvollendet gebliebene ''[[Wikipedia:Die Kultur der Gegenwart|Kultur der Gegenwart]]'' (1905–1926), die französische ''Bordas Encyclopédie'' von 1971 und die ''Eerste Nederlandse Systematisch Ingerichte Encyclopaedie'' (ENSIE, 1946–1960). In der ursprünglich zehnbändigen ENSIE sind einzelne namentlich gezeichnete Großbeiträge nach thematischer Ordnung aufgeführt. Für die Suche nach einem einzelnen Gegenstand muss man das Register bemühen, das wiederum eine Art Lexikon für sich ist.<ref>Zur ENSIE siehe: H.&nbsp;J.&nbsp;Pos: Algemene Inleiding. In: ''Eeerste Nederlandse Systematisch Ingerichte Encyclopedie''. Band&nbsp;1. E.N.S.I.E. Amsterdam 1946, S.&nbsp;V–XVI, hier S.&nbsp;VI–VII zur Rechtfertigung des systematischen Prinzips, S.&nbsp;XXIV zur Verwendung und zum Register.</ref><br />
<br />
Nachdem die Enzyklopädien meist alphabetisch angeordnet wurden, brachten viele Autoren doch noch im Vorwort oder in der Einleitung eine Wissenssystematik an. Die ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'' hatte (wie schon der ''Brockhaus'' 1958)<ref>Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;164/165.</ref> seit 1974 einen einführenden Band namens ''Propaedia''. Darin legte der Herausgeber [[Wikipedia:Mortimer Adler|Mortimer Adler]] einleitend die Vorzüge eines thematischen Systems dar. Damit könne man einen Gegenstand finden, selbst wenn man die Bezeichnung nicht kennt. Der Band schlüsselte das Wissen auf: zunächst in zehn Großthemen, innerhalb dieser in eine Vielzahl an Sektionen. Am Ende der Sektionen wurde auf entsprechende konkrete Artikel verwiesen. Später fügte die ''Encyclopaedia Britannica'' jedoch noch zwei Index-Bände hinzu. Bei der ''Propaedia'' heißt es, sie diene vor allem dazu zu zeigen, welche Themen behandelt werden, während der Index zeige, wo diese behandelt werden.<ref>How to use the Propaedia. In: ''Propaedia. Outline of Knowledge and Guide to the Britannica.'' 15.&nbsp;Auflage, Chicago 1998, S.&nbsp;4.</ref><br />
<br />
1985 ergab eine Umfrage unter amerikanischen wissenschaftlichen Bibliotheken, dass 77 Prozent die neue Anordnung der ''Britannica'' weniger nützlich fanden als die alte. Eine Antwort kommentierte, die ''Britannica'' käme mit einer vierseitigen Anleitung daher. „Alles, das so viel Erklärung benötigt, ist verdammt nochmal zu kompliziert.“<ref name="Bailey1">Edgar C. Bailey Jr.: ''Acquisition and Use of General Encyclopedias in Small Academic Libraries.'' In: RQ 25, Nr. 2 (Winter 1985), S. 218–222, hier S. 220.</ref><br />
<br />
Keine Enzyklopädie an sich, aber doch enzyklopädischer Art sind Sachbuchreihen, in denen nach einem einheitlichen Konzept viele verschiedene Themen behandelt werden. International zu den bekanntesten gehört die 1941 gegründete französische Reihe ''[[Wikipedia:Que sais-je ?|Que sais-je&nbsp;?]]'' mit über dreitausend Titeln. In Deutschland erscheint bei [[Wikipedia:Verlag C. H. Beck|C.&nbsp;H.&nbsp;Beck]] die Reihe ''C.&nbsp;H.&nbsp;Beck Wissen''.<br />
<br />
=== Alphabetische Anordnung ===<br />
[[Datei:UBN Encyclopaedia Britannica.JPG|mini|Die international bekannteste moderne Enzyklopädie im Druck: ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'', 1990er-Jahre.<br /> Der erste Band, mit grünem Streifen, ist die systematische '''''Propaedia''''' („Outline of Knowledge“) mit ihren Verweisen zu ''Micropaedia'' und ''Macropaedia''.<br /> Dann folgt, mit roten Streifen, die '''''Micropaedia''''' („Ready Reference“), eine klassische Kurze-Artikel-Enzyklopädie mit ca. 65.000 Artikeln.<br /> Die '''''Macropaedia''''' („Knowledge in Depth“), unteres Brett, behandelt Großthemen in etwa siebenhundert Artikeln.<br /> Hinter der ''Macropaedia'' schließlich steht, mit blauen Streifen, der zweibändige, alphabetische '''Index''' mit Verweisen zu ''Micropaedia'' und ''Macropaedia''.]]<br />
Lange Zeit gab es überhaupt nur wenige Texte in alphabetischer Anordnung. Es handelte sich im Mittelalter vor allem um [[Wikipedia:Glossar|Glossar]]e, also kurze Wörtersammlungen, oder Listen wie zum Beispiel von Arzneien. Glossare entstanden seit dem 7.&nbsp;Jahrhundert, und zwar dadurch, dass Leser sich schwierige Wörter auf Einzelblättern (nach Anfangsbuchstaben) notierten und dann daraus eine Liste machten. Die alphabetische Anordnung befolgte man meist nur nach dem ersten oder höchstens dritten Buchstaben, wobei man nicht sehr konsequent vorging. Viele Wörter hatten zudem noch keine [[Wikipedia:Orthographie|einheitliche Schreibweise]]. Selbst im 13.&nbsp;Jahrhundert war die strenge alphabetische Reihenfolge noch selten.<ref>Olga Weijers: Funktionen des Alphabets im Mittelalter. In: Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit''. WBG, Darmstadt 2006, S.&nbsp;22–32, hier S.&nbsp;22/23, 25.</ref><br />
<br />
Als einige der wenigen frühen alphabetischen Enzyklopädien werden unter anderem genannt: ''De significatu verborum'' (2.&nbsp;Hälfte des 2.&nbsp;Jahrhunderts) von [[Wikipedia:Marcus Verrius Flaccus|Marcus Verrius Flaccus]]; ''Liber glossarum'' (8. Jahrhundert) von [[Ansileubus]]; und vor allem die ''[[Wikipedia:Suda|Suda]]'' (um 1000) aus dem Byzantinischen Reich.<ref>Enzyklopädie. In: ''Meyers Enzyklopädisches Lexikon''. Band&nbsp;8, Bibliographisches Institut. Mannheim, Wien, Zürich 1973, S.&nbsp;8–13, hier S.&nbsp;9.</ref> Sie haben allerdings eher den Charakter von [[Wikipedia:Sprachwörterbuch|Sprachwörterbüchern]]; bezeichnenderweise sind die Einträge in der ''Suda'' meist sehr kurz und befassen sich oft mit sprachlichen Themen, etwa mit Redewendungen. Nach den alphabetischen Werken des 17.&nbsp;Jahrhunderts war es dann vor allem die große französische ''[[Wikipedia:Encyclopédie|Encyclopédie]]'' (1751–1772), die den Begriff „Enzyklopädie“ endgültig mit der alphabetischen Anordnung verband.<br />
<br />
Ulrich Johannes Schneider verweist darauf, dass Enzyklopädien zuvor der „universitären und akademischen Kultur der Wissensdisponierung durch Systematisierung und Hierarchisierung“ folgten. Die alphabetische Anordnung aber habe die Enzyklopädien davon entkoppelt. Sie ist sachorientiert und gewichtet die Inhalte neutral.<ref>Ulrich Johannes Schneider: ''Die Erfindung des allgemeinen Wissens. Enzyklopädisches Schreiben im Zeitalter der Aufklärung''. Akademie Verlag: Berlin 2013, S. 17/18.</ref> Die alphabetische Anordnung verbreitete sich, weil sie den schnellen Zugang erleichterte. Eine dieser Enzyklopädien, die ''Grote Oosthoek'', meinte 1977 im Vorwort, es handele sich um eine Frage der Nützlichkeit, nicht des wissenschaftlichen Prinzips. Die schnelle Information aus fremden Fachgebieten erhalte man durch einen großen Reichtum an Stichwörtern, so spare man Zeit und Energie.<ref>Jac. L. Griep: Encyclopedie. In: ''De Grote Oosthoek.'' Band&nbsp;7. Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij BV. Utrecht 1977, S.&nbsp;19–22, hier S.&nbsp;22.</ref> Laut einer Umfrage von 1985 ist ''ready reference'', das schnelle Nachschlagen, der wichtigste Zweck einer Enzyklopädie, während das systematische Selbststudium wesentlich seltener genannt wurde.<ref name="Bailey1" /><br />
<br />
Für den Herausgeber war es einfacher, wenn ein größeres Werk thematisch aufgeteilt war. Ein thematisch abgegrenzter Band konnte leicht unabhängig von anderen geplant werden. Bei der alphabetischen Anordnung hingegen muss (zumindest theoretisch) bereits von Anfang an feststehen, wie man den Inhalt auf die Bände verteilt. Man musste alle [[Wikipedia:Lemma (Lexikographie)|Lemmata]] (Stichwörter) kennen und die Querverweise vereinbaren.<ref>Philipp Blom: ''Enlightening the World. Encyclopédie, The Book That Changed the Course of History''. Palgrave Macmillan. New York, Houndsmille 2004, S.&nbsp;43.</ref><br />
<br />
Selbst diejenigen Enzyklopädisten, die für die systematische Einteilung plädierten, entschieden sich aus praktischen Gründen für die alphabetische Anordnung. Dazu gehörte auch [[Wikipedia:Jean-Baptiste le Rond d’Alembert|Jean-Baptiste le Rond d’Alembert]] von der großen französischen ''Encyclopédie''.<ref>Ulrich Dierse: ''Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftlichen Begriffs''. Diss. Bochum 1977. Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1977, S.&nbsp;56.</ref> Ein späterer Herausgeber und Bearbeiter dieses Werks, [[Wikipedia:Charles-Joseph Panckoucke|Charles-Joseph Panckoucke]], wollte wieder eine thematische Anordnung durchsetzen. Doch er verteilte die Artikel nur auf verschiedene Sachgebiete, und innerhalb dieser Sachgebiete erschienen die Artikel in alphabetischer Reihung. Diese ''[[Wikipedia:Encyclopédie méthodique|Encyclopédie méthodique]] par ordre des matières'' war damit eine Sammlung von 39 Sachwörterbüchern.<br />
<br />
=== Artikellänge ===<br />
Auch innerhalb der alphabetisch angeordneten Werke gibt es immer noch eine Reihe von unterschiedlichen Möglichkeiten.<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;147.</ref> So können Artikel zu Einzelthemen lang oder kurz sein. Das ursprüngliche Konversationslexikon ''[[Wikipedia:Brockhaus Enzyklopädie|Brockhaus]]'' ist das typische Beispiel für eine Kurze-Artikel-Enzyklopädie,<ref name="Collison3">Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;262.</ref> mit vielen, dafür kurzen, einen einzelnen Gegenstand beschreibenden Artikeln. Für den Zusammenhang sorgen [[Wikipedia:Querverweis|Querverweis]]e auf andere Artikel oder vereinzelte zusammenfassende Beiträge.<br />
<br />
Lange-Artikel-Enzyklopädien hingegen enthalten große, an lehrbuchartige Abhandlungen erinnernde Artikel zu relativ weiten Themen. Ein Beispiel ist der ''Macropaedia'' genannte Teil der ''Encyclopaedia Britannica'' in den 1970er- bis 1990er-Jahren. Hier ist es für den Leser nicht immer deutlich, in welchem Großartikel er den ihn interessierenden Gegenstand suchen muss. Als Nachschlagewerk gut nutzbar ist eine solche Enzyklopädie daher nur mit einem [[Wikipedia:Register (Nachschlagewerk)|Index]], ähnlich wie bei einer systematischen Anordnung.<br />
<br />
Die Idee, lange, überblickende Artikel zu verwenden, hatte erstmals möglicherweise Dennis de Coetlogon mit seiner ''[[Wikipedia:Universal history (1745)|Universal history]]''. Sie diente wohl der ''Encyclopaedia Britannica'' als Vorbild (diese hatte ursprünglich zum Teil lange Artikel, ''treatises'' oder ''dissertations'' genannt).<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;213.</ref> Längere Artikel waren auch eine Gegenbewegung zum immer definitorischer und stichwortartiger werdenden Lexikon.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;192.</ref> Allerdings konnten lange Artikel nicht nur einer bewussten Abkehr von den eher kurzen ''dictionnaire''-Artikeln entstammen. Manchmal waren sie Folge einer schwachen Redaktionspolitik, welche die Schreiblust der Autoren wenig einschränkte oder Texte einfach kopierte.<br />
<br />
{| class="wikitable toptextcells"<br />
|+ Längste Artikel in ausgewählten Enzyklopädien<br />
|-<br />
! Werk !! Artikelname !! Länge in Seiten !! Bemerkungen<br />
|-<br />
| ''[[Wikipedia:Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste|Zedler]]'' (1732–1754)<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;119.</ref> || „Wolfische Philosophie“ || 175 ||<br />
|-<br />
| ''[[Wikipedia:Universal history (1745)|Universal history]]'' (1745)<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;9.</ref> || „Geography“ || 113 || Das Werk bestand bewusst aus längeren ''treatises'' (Abhandlungen).<br />
|-<br />
| ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'' (1768–1771)<ref name="Encyclopaedia1">[[s:en:1911 Encyclopædia Britannica/Encyclopaedia|Encyclopaedia]]. In: ''Encyclopaedia Britannica''. 11.&nbsp;Auflage, 1911.</ref> || „Surgery“ || 238 ||<br />
|-<br />
| ''Encyclopaedia Britannica'' (1776–1784)<ref name="Encyclopaedia1" /> || „Medicine“ || 309 ||<br />
|-<br />
| ''[[Wikipedia:Oeconomische Encyclopädie|Oeconomische Encyclopädie]]'' (1773–1858)<ref>Siehe [http://www.kruenitz1.uni-trier.de/background/entries.htm Überblicksseite der Digitalisierung], abgerufen am 18. Februar 2014.</ref> || „Mühle“ || 1291 || Der Artikel umfasst den gesamten Band 95 sowie den Großteil von Band 96, beide erschienen 1804.<br />
|-<br />
| ''[[Wikipedia:Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste|Ersch-Gruber]]'' (1818–1889)<ref name="Encyclopaedia1" /> || „Griechenland“ || 3668 || Der Artikel erstreckt sich über acht Bände.<br />
|-<br />
| ''Encyclopaedia Britannica'' (1974) || „United States“ || 310 || Entstanden durch die Zusammenfassung der Artikel zu den einzelnen Gliedstaaten.<br />
|-<br />
| ''[[Wikipedia:Deutschsprachige Wikipedia|Wikipedia auf Deutsch]]'' (November 2020)<!-- <ref>Nicht mitberücksichtigt sind hierbei einige listenartige Artikel.</ref> (derzeit keine längeren Listenartikel) -->|| „[[Special:PermanentLink/205769287?title=Chronik der COVID-19-Pandemie in den Vereinigten Staaten|Chronik der COVID-19-Pandemie in den Vereinigten Staaten]]“ || 392 (PDF; 1.564.136 Bytes) ||<br />
|}<br />
<br />
=== Interne Hilfsmittel ===<br />
Für die praktische Nutzung einer Enzyklopädie wurden im Laufe der Zeit verschiedene Hilfsmittel entwickelt. Schon im [[Wikipedia:Altertum|Altertum]] war es gängig, einen langen Text in Kapitel aufzuteilen. Entsprechende Inhaltsverzeichnisse sind hingegen eine relativ späte Entwicklung. Sie entstanden aus Titeln der Werke. Vor dem 12. Jahrhundert waren sie noch sehr selten und wurden erst im 13.&nbsp;Jahrhundert geläufig.<ref name="Weijers1">Olga Weijers: Funktionen des Alphabets im Mittelalter. In: Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit''. WBG, Darmstadt 2006, S.&nbsp;22–32, hier S.&nbsp;29.</ref><br />
<br />
So hat die ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' ein von Plinius verfasstes ''summarium'', eine Übersicht. In manchen Handschriften findet man das ''summarium'' ungeteilt am Beginn, manchmal auf die einzelnen Bücher zerteilt, wie es wohl im Zeitalter der Buchrollen am praktischsten war. Manchmal steht der Text sowohl am Anfang als auch noch einmal später vor den einzelnen Büchern. Wie Plinius selbst es gehandhabt hatte, ist heute nicht mehr festzustellen. Während Plinius in Prosa den Inhalt des Werkes beschrieb, machten später manche Druckausgaben daraus eine Tabelle, einem modernen Inhaltsverzeichnis ähnlich. Dabei gingen sie durchaus frei mit dem Text um und passten ihn an die vermuteten Bedürfnisse der Leser an.<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;98/99.</ref><br />
<br />
{| style="margin-left:2em;"<br />
| ''Druck von 1480 (Beroaldo)''<br />
| ''Budé-Ausgabe von 1950''<ref>Aude Doody: ''Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the Natural History.'' Cambridge University Press, Cambridge u.&nbsp;a. 2010, S.&nbsp;126. Übersetzung angelehnt an das englische Beispiel.</ref><br />
|-<br />
|<br />
<poem style="margin-right:2em;"><br />
Das sechsundzwanzigste Buch enthält<br />
verbleibende Heilmittel für<br />
Arten von Krankheiten; sowohl für neue<br />
Krankheiten; als auch, wie es mit Hautflechten steht;<br />
als auch wie Hautflechten zuerst nach Italien gekommen sind;<br />
als auch über den Aussatz<br />
als auch über die Kolik […]<br />
</poem><br />
|<br />
<poem><br />
'''BUCH 26 BEINHALTET'''<br />
'''Die übrigen Heilmittel nach Art'''<br />
'''I.''' Die neuen Krankheiten<br />
'''II.''' Was ist eine Hautflechte?<br />
'''III.''' Wann kam sie zuerst nach Italien?<br />
'''IV.''' Dasselbe für Aussatz<br />
'''V.''' Dasselbe für die Kolik […]<br />
</poem><br />
|}<br />
<br />
[[Wikipedia:Register (Nachschlagewerk)|Indizes]], also Register von Stichwörtern, tauchten ebenfalls im 13.&nbsp;Jahrhundert auf und verbreiteten sich rasch.<ref name="Weijers1" /> In einer Enzyklopädie hatte zuerst [[Antonio Zara]] in seiner ''Anatomia ingeniorum et scientiarum'' (1614) eine Art Index verwendet; wirklich taugliche Indizes kamen erst im 19.&nbsp;Jahrhundert in die Enzyklopädien.<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;263.</ref><br />
<br />
Eines der ersten Werke mit [[Wikipedia:Querverweis|Querverweis]]en war der ''Fons memorabilium'' von [[Domenico Bandini]] (ca.&nbsp;1440).<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;115.</ref> Spätestens im 18.&nbsp;Jahrhundert wurden sie gängig. Im 20.&nbsp;Jahrhundert gingen einige Enzyklopädien nach dem Vorbild des ''Brockhaus'' dazu über, den Verweis mithilfe eines Pfeilsymbols zu realisieren. Im digitalen Zeitalter verwendet man [[Wikipedia:Hyperlink|Hyperlink]]s.<br />
<br />
=== Inhaltliche Balance ===<br />
[[Datei:Europäische Enzyklopädien.jpg|mini|Einige wichtige Enzyklopädien Europas nach ihrer Stellung zwischen eher naturwissenschaftlichen und eher geisteswissenschaftlichen Inhalten]]<br />
<br />
Ein häufig wiederkehrendes Thema in der Forschung ist die Balance zwischen den Fachgebieten in einer Enzyklopädie. Diese Balance oder [[Wikipedia:Ausgewogenheit|Ausgewogenheit]] fehlt zum Beispiel, wenn in einem Werk die Geschichte oder Biografie viel Raum erhalten, Naturwissenschaften und Technik hingegen deutlich weniger. In einer [[Wikipedia:Fachenzyklopädie|Fachenzyklopädie]] wird die mangelhafte Balance kritisiert, wenn etwa in einem altertumswissenschaftlichen Werk<ref>Siehe etwa zur Balance im Neuen Pauly [http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/00_0372.html Der Neue Pauly] aus: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4, abgerufen am 20. Juni 2011.</ref> die politische Geschichte sehr viel ausführlicher behandelt wird als die Sozialgeschichte.<br />
<br />
Zuweilen bezieht sich die Kritik auf einzelne Artikel, wobei gemessen wird, welches Lemma mehr Raum erhalten hat als ein anderes. Harvey Einbinder fand an der ''Encyclopaedia Britannica'' von 1963 beispielsweise den Artikel über [[Wikipedia:William Burnett Benton|William Benton]] bemerkenswert. Dieser amerikanische Politiker ist der Enzyklopädie zufolge im Senat „ein Verfechter der Freiheit für die gesamte Welt“ geworden. Der Artikel ist länger als der über den ehemaligen Vizepräsidenten [[Wikipedia:Richard Nixon|Richard Nixon]]; wie Einbinder mutmaßt, weil Benton auch Herausgeber der ''Encyclopaedia Britannica'' war.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;271. Original: „a champion of freedom throughout the world“.</ref> Einbinder kritisierte auch, dass der Artikel „Music“ zwar Béla Bartok und Heinrich Schütz hoch lobte, diese Komponisten aber keine eigenen Artikel erhalten haben.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;76.</ref><br />
<br />
Auch vormoderne Enzyklopädien hatten in der Regel einen universalen Anspruch. Dennoch brachten die Interessen beziehungsweise die Fähigkeiten des Autors oftmals eine Begrenzung mit sich. So umfasste die ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' zwar Abhandlungen zur Völkerkunde und Kunst, der Schwerpunkt jedoch lag auf Wissensgebieten, die man heutzutage als naturwissenschaftlich einordnet. Im 18.&nbsp;Jahrhundert begannen Universalenzyklopädien damit, den Gegensatz zwischen mehr geisteswissenschaftlichen und mehr naturwissenschaftlichen Werken aufzuheben. Zum Teil sah man einem Werk seine Herkunft noch an, oder der Herausgeber entschied sich bewusst dafür, das Profil durch ein bestimmtes Gebiet oder eine bestimmte Herangehensweise zu schärfen: Der ''[[Wikipedia:Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste|Ersch-Gruber]]'' folgte dem historischen Ansatz, wegen dessen Anschaulichkeit, der ''Meyer'' hingegen bevorzugte das Naturwissenschaftliche.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert.'' Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;36, 40.</ref><br />
<br />
Die Frage der Ausgewogenheit ist nicht zuletzt von Bedeutung bei Werken, für die der Leser bezahlen muss. Er dürfte unzufrieden sein, wenn eine Universalenzyklopädie seiner Meinung nach zu viel Raum solchen Themen lässt, die ihn persönlich wenig interessieren, die er aber mitbezahlt. Robert Collison verweist auf die Ironie, dass die Leser möglichst vollständige Abrisse haben wollten und „unhinterfragt für Millionen von Wörtern bezahlt haben, die sie wahrscheinlich niemals lesen“, während die Enzyklopädie-Macher ebenfalls nach Vollständigkeit gestrebt und Einträge über kleine Themen geschrieben haben, die kaum jemand liest.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;2.</ref><br />
<br />
Die Ausgewogenheit wird aber selbst noch bei frei zugänglichen Enzyklopädien wie der ''Wikipedia'' diskutiert. So geht es zum Beispiel über die Frage, ob es nicht etwas über die Seriosität des Gesamtwerkes aussagt, wenn Themen der Popkultur (angeblich oder tatsächlich) überdurchschnittlich vertreten sind. Zumindest, betonte der Historiker [[Wikipedia:Roy Rosenzweig|Roy Rosenzweig]], ist die Ausgewogenheit stark abhängig davon, aus welchem Erdteil und welcher sozialen Schicht die Autoren stammen.<ref>Roy Rosenzweig: {{Webarchiv |url=http://chnm.gmu.edu/essays-on-history-new-media/essays/?essayid=42 |text=''Can History be Open Source? Wikipedia and the Future of the Past'' |wayback=20160413125831}}, 2006, abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
Informationen in traditionellen Enzyklopädien können durch Maßnahmen bewertet werden, die sich auf eine [[Wikipedia:Qualitätsdimension|Qualitätsdimension]] wie [[Wikipedia:Autorität|Autorität]], Vollständigkeit, [[Wikipedia:Buchformat|Format]], [[Wikipedia:Objektivität|Objektivität]], [[Wikipedia:Stil|Stil]], [[Wikipedia:Aktualität|Aktualität]] und [[Wikipedia:Unikat|Einzigartigkeit]] beziehen.<ref>{{cite book |author=Crawford, Holly |title=Reference and information services: An introduction| pages=433–459| year=2001|publisher=Libraries Unlimited Englewood, CO}}</ref><br />
<br />
== Inhaltliche Aspekte ==<br />
=== Sprachen ===<br />
[[Datei:UBN Great Soviet.JPG|mini|Die ''[[Wikipedia:Große Sowjetische Enzyklopädie|Große Sowjetische Enzyklopädie]]'' (1970er-Jahre) wurde unter anderem ins Englische übersetzt.]]<br />
Im [[Wikipedia:Abendland|Abendland]] war [[Latein]] lange Zeit die Sprache der Bildung und damit der Enzyklopädien. Das hatte den Vorteil, dass die Enzyklopädien auch in anderen Ländern als dem Ursprungsland gelesen werden konnten. Allerdings waren sie dadurch für die große Bevölkerungsmehrheit unzugänglich.<ref name="Collison2">Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;261.</ref> Etwa seit dem Beginn des 13.&nbsp;Jahrhunderts erreichte das Wissen auch das Volk in dessen Sprachen. [[Wikipedia:Französische Sprache|Französisch]] ist an erster Stelle zu nennen, seit etwa 1300 an zweiter Stelle in Europa [[Wikipedia:Mittelhochdeutsch|Mittelhochdeutsch]]. Gerade Frauen haben eher in den Volkssprachen Wissen vermittelt. Ende des 15.&nbsp;Jahrhunderts waren volkssprachliche Enzyklopädien kein Wagnis mehr, sondern Routine.<ref>Siehe etwa Robert Luff: ''Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. „Imago mundi“-Werke und ihre Prologe.'' Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, S.&nbsp;415, 417. Reprint 2012, ISBN 978-3-11-092074-1, [https://www.degruyter.com/flyer/MN/product/51401.pdf pdf].</ref><br />
<br />
Einige Enzyklopädien wurden übersetzt, wie zum Beispiel ''[[Wikipedia:Honorius Augustodunensis#Die bedeutendsten Werke|Imago mundi]]'' (ca. 1122) von [[Wikipedia:Honorius Augustodunensis|Honorius Augustodunensis]] ins [[Wikipedia:Altfranzösische Sprache|Französische]], [[Wikipedia:Italienische Sprache|Italienische]] und [[Wikipedia:Spanische Sprache|Spanische]]. ''De natura rerum'' (ca. 1228–1244) erhielt eine Übersetzung ins Flämische und Deutsche, der ''[[Wikipedia:Speculum maius|Speculum maius]]'' (Mitte 13.&nbsp;Jahrhundert) ins Französische, Spanische, Deutsche und Niederländische.<ref name="Collison2" /> Später, als das Latein eine weniger große Rolle spielte, wurden erfolgreiche Enzyklopädien von einer Volkssprache in die andere übersetzt.<ref name="Collison2" /> Ab 1700 war es dann undenkbar, noch eine Enzyklopädie auf Latein herauszugeben.<ref>Richard Yeo: ''Encyclopaedic visions. Scientific Dictionaries and Enlightment Culture''. Cambridge University Press, Cambridge 2001, S.&nbsp;12.</ref><br />
<br />
Im 19.&nbsp;Jahrhundert waren etwa der ''Brockhaus'' und der ''[[Wikipedia:Éditions Larousse|Larousse]]'', vor allem in den kleineren Ausgaben, Vorbild für Enzyklopädien in anderen Sprachen oder wurden in diese übersetzt. Dies hatte allerdings Grenzen, da man den Inhalt an die jeweilige Sprache beziehungsweise an das jeweilige Land anpassen musste.<ref name="Collison2" /> Ein Beispiel dafür ist die ''[[Wikipedia:Encyclopedia Americana|Encyclopedia Americana]]'' (1827–1829), ein weiteres das ''[[Wikipedia:Brockhaus-Efron|Enzyklopädische Wörterbuch von Brockhaus und Efron]]'' (1890–1906), eine vom Brockhaus-Verlag mitherausgegebene Kurze-Artikel-Enzyklopädie auf Russisch. Trotz der Anpassungen wurde in beiden Fällen von Rezensenten kritisiert, die amerikanische beziehungsweise [[Wikipedia:russische Geschichte|russische Geschichte]] und [[Wikipedia:Kultur|Kultur]] seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.<ref>Ines Prodöhl (2011): [http://www.europa.clio-online.de/2011/Article=509 Die "Encyclopedia Americana" und die Crux transnationaler Enzyklopädien]. In: ''Themenportal Europäische Geschichte''.</ref><br />
<br />
=== Einordnung in den Wissenskontext ===<br />
[[Datei:Schema Literaturübersicht.svg|mini|Fachenzyklopädien oder Fachlexika gehören zur [[Wissenschaft]], allgemeine Nachschlagewerke wie Sachbücher zur [[Wikipedia:Popularisierung|Popularisierung]]]]<br />
Wissenschaftliche [[Wikipedia:Forschung|Forschung]] bezieht sich in erster Linie auf die Natur und die Handlungen des Menschen. Die Grundlage sind dann je nach Fach zum Beispiel Phänomene der Natur, Experimente, Umfragen oder historische Quellen. Darauf aufbauend verfassen Wissenschaftler Fachliteratur, oder sie reflektieren in ihren Arbeiten andere Fachliteratur. Erst nach dieser eigentlich wissenschaftlichen, nämlich forschenden Arbeit kommen Hilfsmittel an die Reihe, wie Einstiegslektüre, Atlanten oder Wörterbücher. Diese Abfolge von Quellen, Fachliteratur und Hilfsmitteln heißt im Englischen ''primary'', ''secondary'' und ''tertiary sources''.<br />
<br />
Enzyklopädien sind demnach [[Wikipedia:Nachschlagewerk|Hilfsmittel]], die dem Leser einen ersten Zugang zu einem Thema verschaffen sollen. Ähnliches gilt für Lehrbücher und Wörterbücher, die historisch und der literarischen Gattung nach mit Enzyklopädien auch verwandt sind. Daraus wiederum ergeben sich der Charakter von Enzyklopädien und ihr Nutzen im Wissenskontext.<br />
<br />
Dass Enzyklopädien sich eher am Ende der Wissensproduktion befinden, hat den Vorteil, dass die Aussagen in der Regel bereits etabliertes und kaum noch umstrittenes Wissen darstellen. Das beinhaltet aber ebenso den Nachteil, dass neue oder unkonventionelle Ideen ausgefiltert worden sind. Außerdem können sich von den Grundlagen über die Fachliteratur bis hin zu den Hilfsmitteln Fehler oder zu grobe Vereinfachungen eingeschlichen haben. Aus diesen Gründen ist immer wieder diskutiert worden, ob allgemeine Enzyklopädien von Schülern oder Studenten als Autorität zitiert werden dürfen.<br />
<br />
An der Universität ist die Meinung verbreitet, dass allgemeine Nachschlagewerke in wissenschaftlichen Arbeiten nicht zu zitieren sind.<ref>Barbara Wolbring: ''Neuere Geschichte studieren''. UVK Verlagsgesellschaft. Konstanz 2006, S.&nbsp;169.</ref> Einbinder zufolge fanden einige Lehrer und Professoren, dass die ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'' keine zuverlässige Informationsquelle sei; sie warnten ihre Schüler davor, dieses Material blind in ihre eigenen Hausarbeiten eingehen zu lassen.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;72.</ref> Hingegen meint [[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]] in seiner Geschichte des ''Brockhaus'', in den 1920er-Jahren hätten Wissenschaftler diese Enzyklopädie für durchaus zitierfähig gehalten.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;107.</ref><br />
<br />
=== Stil ===<br />
Der sprachliche [[Wikipedia:Stil|Stil]] einer Enzyklopädie hängt vom Zweck des Werkes und bisweilen auch vom persönlichen Geschmack des Autors ab. In den Werken des Altertums ist oftmals erkennbar, dass sie Lehr- beziehungsweise Sachbücher waren und ursprünglich aus solchen zusammengestellt wurden. Bei [[Wikipedia:Plinius der Ältere|Plinius]] heißt es beispielsweise im Abschnitt über die Insekten:<br />
{{Zitat<br />
|Text=Aber unter ihnen allen gebührt der erste Rang den Bienen und mit Recht auch eine außerordentliche Bewunderung, da sie allein von der Tierart [der Insekten] um der Menschen willen geschaffen sind. Sie sammeln den Honig, den süßesten, feinsten und heilsamsten Saft, bilden Waben und Wachs zu tausendfacher Verwendung im Leben, sind arbeitsam, vollenden ihre Werke, haben einen Staat, halten Beratungen in ihren Angelegenheiten, stehen aber scharenweise unter Anführern und, was am meisten Bewunderung verdient, sie haben sogar Sitten, da sie weder von zahmer noch von wilder Art sind.<br />
|Autor=''Naturalis historia''<br />
|ref=<ref>C. Plinius Secundus&nbsp;d.&nbsp;Ä.: ''Naturkunde. Lateinisch-deutsch''. Buch XI. Herausgegeben und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Gerhard Winkler. Heimeran Verlag, o.&nbsp;O.&nbsp;1990, S.&nbsp;25.</ref>}}<br />
<br />
Im europäischen Mittelalter waren volkssprachliche Werke in Reimen verfasst, so dass die Leser den Inhalt leichter aufnehmen und sich besser merken konnten. Ein Beispiel aus ''Der naturen bloeme'' von [[Wikipedia:Jacob van Maerlant|Jacob van Maerlant]], um 1270:<ref>Frits van Oostrom: ''Maerlants wereld''. 2.&nbsp;Auflage, Prometheus, Amsterdam 1998 (1996), S.&nbsp;233.</ref><br />
<br />
{| style="margin-left:2em;"<br />
|-<br />
|<br />
<poem style="margin-right:2em;"><br />
''Ay, ghi edele ridders, ghi heren,''<br />
''An desen voghel soudi keren!''<br />
''Ghi levet bi der proien mede:''<br />
''Dats bi der aermer liede lede.''<br />
''En sijt niet onhovesch in der proie''<br />
''En verliest niet die langhe joye''<br />
''Om dese warelt, die es cranc.''<br />
</poem><br />
|<br />
<poem><br />
Ach ihr edlen Ritter, ihr Herren,<br />
An diesem Vogel solltet ihr euch ein Beispiel nehmen!<br />
Ihr lebt schließlich auch von Beute:<br />
Wohl von der armen Leute Plackerei.<br />
Und seid nicht unhöfisch [treibt es nicht zu bunt] beim Beutemachen<br />
Und verliert nicht die Glückseligkeit<br />
Wegen dieser krankhaften Welt.<br />
</poem><br />
|}<br />
<br />
Solche Darstellungsweisen ordnen den Gegenstand in einen größeren, auch philosophischen Zusammenhang ein. Dabei können sich leicht Wertungen einschleichen, die eventuell durchaus gewollt waren. In der großen französischen ''Encyclopédie'' gab sich der Artikel „Philosophe“ (Philosoph) mal ironisch, mal pathetisch:<br />
{{Zitat<br />
|Text=Nichts ist heutzutage einfacher, als ein Philosoph genannt zu werden; ein Leben in Obskurität, einige wenige tiefgründige Äußerungen, ein wenig Belesenheit sind genug um jene zu überlisten, die diesen Namen Leuten verleihen, die ihn nicht verdienen […] Der Philosoph, wie auch immer, entwirrt die Dinge so weit wie möglich, & und sieht sie voraus & und unterwirft sich wissentlich: er ist, sozusagen, eine Uhr, die sich manchmal von selbst aufzieht […] Der Philosoph handelt nicht aus seinen Leidenschaften heraus, sondern nach Überlegung; er reist bei Nacht, aber eine Flamme geht ihm voraus.<br />
|Autor=Denis Diderot in der ''Encyclopédie'', 1765<br />
|ref=<ref>Zitiert nach: Philipp Blom: ''Enlightening the World. Encyclopédie, The Book That Changed the Course of History''. Palgrave Macmillan. New York, Houndsmille 2004, S.&nbsp;43. Siehe L’Encyclopédie Volume 12 „Il n’y a rien qui coute moins à acquérir aujourd’hui que le nom de philosophe&nbsp;; une vie obscure & retirée, quelques dehors de sagesse, avec un peu de lecture, suffisent pour attirer ce nom à des personnes qui s’en honorent sans le mériter […] Le philosophe au contraire deméle les causes autant qu’il est en lui, & souvent même les prévient, & se livre à elles avec connoissance&nbsp;: c’est une horloge qui se monte, pour ainsi dire, quelquefois elle-même […] le philosophe dans ses passions mêmes, n’agit qu’après la réflexion; il marche la nuit, mais il est précedé d’un flambeau.“</ref>}}<br />
<br />
Im 19.&nbsp;Jahrhundert bildete sich dann der später als "enzyklopädisch" bekannt gewordene Stil heraus. Sprachwissenschaftlich lässt er sich nicht genau von anderen Gattungen wie wissenschaftliche Aufsätze unterscheiden. Der Autor wird unsichtbar gemacht, man verwendet Passivkonstruktionen, neigt zur Verallgemeinerung. „Ein insgesamt expositorischer Charakter der Artikel“ sei ebenfalls typisch, schreibt Ulrike Spree.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;191.</ref> Allgemeine Enzyklopädien bemühen sich um ganze Sätze, normalerweise fehlt nur im ersten Satz eines Artikels das Verb. Außer dem Lemma selbst werden zahlreiche weitere Wörter abgekürzt. Ein Beispiel aus der ''[[Wikipedia:Brockhaus Enzyklopädie|Brockhaus Enzyklopädie]]'':<br />
{{Zitat<br />
|Text='''Enzyklopädi<u>e</u>''' [frz., aus [[Wikipedia:mittellatein|mittellatein]]isch encyclopaedia »Grundlehre aller Wiss. und Künste«, von griech. enkýklios paideía, „Kreis der Bildung“] ''die'', ''-/…'di<nowiki>|</nowiki>en'', die schriftl. und komplexe Darstellung des gesamten Wissens oder des Wissens eines Fachgebietes. Nach dem heutigen Verständnis ist eine E. ein umfangreiches Nachschlagemedium, dessen Stichwörter in alphabet. Ordnung über alle Wissensgebiete informieren […]<br />
|Autor=''Brockhaus Enzyklopädie'', 2005/2006<br />
|ref=<ref>''Enzyklopädie'', in: ''Brockhaus Enzyklopädie''. Band&nbsp;8. 21.&nbsp;Auflage, F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus, Leipzig/Mannheim&nbsp;2006, S.&nbsp;174–180, hier S.&nbsp;174.</ref>}}<br />
<br />
Das Wissenschaftsverständnis ist meist empirisch und positivistisch, nicht [[Wikipedia:Deduktion|deduktiv]]. In alphabetischen Nachschlagewerken gibt es zwar Verweise, dennoch stehen die Artikel in keinem Kontext. Diesen Kontext muss der Leser erst herstellen. So kann ein und derselbe Text bei unterschiedlichen Lesern verschiedene Assoziationen hervorrufen. Obwohl ein gewisser [[Wikipedia:Telegramm|Telegramm]]stil erkennbar ist, gibt es aus didaktischen Gründen auch die gegenteilige Tendenz. Mit erhöhter Redundanz, Anschaulichkeit und Beispielen nähern Artikel sich an Lehrbücher an.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;192/193.</ref><br />
<br />
=== Neutralität ===<br />
Normalerweise erheben Enzyklopädien den Anspruch, objektiv zu sein und nicht für eine Interessengruppe oder Partei zu sprechen. Im 19.&nbsp;Jahrhundert etwa hielt man es für möglich, die absolute Wahrheit zu ergründen und vermitteln, auch wenn einzelne Irrtümer möglich seien. Seltener haben Enzyklopädisten wie [[Wikipedia:Denis Diderot|Denis Diderot]] den Zweifel zum methodischen Prinzip erheben wollen.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert.'' Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;316.</ref><br />
<br />
==== Wahrheitsanspruch ====<br />
Innerhalb des Wahrheitsanspruchs sind eine Reihe an Positionen denkbar:<br />
* Eine Kompilation aus älteren Werken verweist auf eine lange Tradition, die für die Richtigkeit der Aussagen steht. Diese Haltung war in der ersten Hälfte des 18.&nbsp;Jahrhunderts typisch.<br />
* Werke können auf ideologische Standortbestimmungen verzichten und sich darauf berufen, dass sie eine Kompilation sind.<br />
* Insbesondere Konversationslexika versuchen Haltungen zu vermeiden, die als extrem empfunden werden.<br />
* Mit einer [[Wikipedia:Überparteilichkeit|neutralen]] Haltung wird versucht, abzuwägen und eine über den Parteien stehende Haltung einzunehmen.<br />
* Eine pluralistische Vorgehensweise lässt verschiedene Interessengruppen in verschiedenen Artikeln zu Wort kommen.<br />
Oder aber Enzyklopädien ergreifen ausdrücklich Partei für eine bestimmte Gruppe, wie die gebildeten Stände, die Arbeiterklasse oder die Katholiken. Dabei sollen Interessen berücksichtigt und Irrtümer berichtigt werden. Selbst dann aber wird der Allgemeingültigkeitsanspruch nicht aufgegeben.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;316–318.</ref><br />
<br />
Enzyklopädien richten sich meist nicht gegen die bestehenden grundlegenden Vorstellungen in ihrer Gesellschaft. [[Wikipedia:Pierre Bayle|Pierre Bayle]] und [[Wikipedia:Denis Diderot|Denis Diderot]] waren Ausnahmen. Eine ausgesprochen politische Zielsetzung hatten später beispielsweise der anti-monarchische ''Grand dictionnaire universel du XIXe siècle'' von [[Wikipedia:Pierre Larousse|Larousse]],<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;179.</ref> das konservative ''Staats- und Gesellschaftslexikon'' von [[Wikipedia:Hermann Wagener (Politiker)|Hermann Wagener]], das liberale ''[[Wikipedia:Rotteck-Welckersches Staatslexikon|Staatslexikon]]'' (1834–1843) von [[Wikipedia:Karl von Rotteck|Karl von Rotteck]] und [[Wikipedia:Carl Theodor Welcker|Carl Theodor Welcker]] sowie das sozialdemokratische ''Volks-Lexikon'' von 1894. Solche Tendenzschriften waren allerdings eher selten.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;49/50 ([https://books.google.de/books?id=hGbvqrYHAKoC&pg=PA49 online]), S.&nbsp;324 ([https://books.google.de/books?id=hGbvqrYHAKoC&pg=PA324 online]).</ref><br />
<br />
==== Beispiele und Vorwürfe ====<br />
Wenn Historiker versuchen zu erfahren, wie die Menschen in einer bestimmten Epoche über etwas gedacht haben, ziehen sie oft die damaligen Enzyklopädien zu Rate.<ref>Rudolf Fietz: [http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/3421308/952_0302.html Über den Wert und den Nutzen alter Lexika], 1993. Abgerufen am 20. Juni 2011.</ref> Eine Aussage muss allerdings nicht unbedingt tatsächlich für die Gesellschaft repräsentativ sein, vielleicht spiegelt sie nur die Meinung des Autors, der Herausgeber oder einer bestimmten Bevölkerungsschicht wider.<br />
<br />
Einige Beispiele:<br />
* [[Wikipedia:William Smellie (Enzyklopädist)|William Smellie]], ein hellhäutiger Schotte, schrieb in der ersten Ausgabe der ''Encyclopaedia Britannica'' (1768–1771) über [[Wikipedia:Kaiserreich Abessinien|Abyssinien]] (das heutige Äthiopien): „Die Einwohner sind schwarz, oder beinahe, aber sie sind nicht so hässlich wie die Neger.“<ref>Frank A. Kafker, Jeff Loveland: William Smellie’s edition: a modest start. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;11–68, hier S.&nbsp;29. „The inhabitants are black, or very near it, but they are not so ugly as the negroes.“</ref><br />
* 1910/1911 hieß es in der ''Encyclopaedia Britannica'', dass „Neger“ dem Weißen geistig unterlegen seien. Zwar seien Negerkinder intelligent und aufgeweckt, doch ab der Pubertät interessiere der Neger sich vor allem für auf das Geschlechtliche bezogene Angelegenheiten.<ref>Artikel „Negro“. In: Encyclopaedia Britannica, 11.&nbsp;Auflage.</ref><br />
* Auch die große französische ''Encyclopédie'' erlaubte sich Meinungen diskriminierender Art: „Alle hässlichen Menschen sind roh, abergläubisch und dumm“, schrieb [[Wikipedia:Denis Diderot|Denis Diderot]] im Artikel „Humaine, Espèce“ (Spezies des Menschen). Ferner seien die Chinesen friedfertig und unterwürfig, die Schweden beinahe ohne Vorstellung einer Religion, und die Lappen und Dänen beteten eine fette, schwarze Katze an. Die Europäer seien „die schönsten und wohlproportioniertesten“ Menschen auf Erden.<ref>Philipp Blom: ''Enlightening the World. Encyclopédie, The Book That Changed the Course of History''. Palgrave Macmillan. New York, Houndsmille 2004, S.&nbsp;150.</ref> Solche Nationalstereotype sind in Nachschlagewerken des 18.&nbsp;Jahrhunderts sogar sehr gängig.<ref>Ina Ulrike Paul: „Wache auf und lies…“. Zur Tradierung von Nationalstereotypen in europäischen Enzyklopädien des 18.&nbsp;Jahrhunderts. In: Ingrid Tomkowiak (Hrsg.): ''Populäre Enzyklopädien. Von der Auswahl, Ordnung und Vermittlung des Wissens''. Chronos Verlag, Zürich 2002, S.&nbsp;197–220.</ref><br />
* Der ''Volks-Brockhaus'' verwies in „Homosexualität“ 1955 auf die damalige Gesetzgebung in der Bundesrepublik, der zufolge „Unzucht zwischen Männern mit Gefängnis, unter erschwerenden Umständen mit Zuchthaus bestraft“ werde. Außerdem sei Homosexualität „oft durch Psychotherapie heilbar“.<ref>Artikel „Homosexualität“. In: ''Der Volks-Brockhaus''. 12.&nbsp;Auflage, F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus, Wiesbaden 1956, S.&nbsp;348.</ref><br />
* Zwei Autorinnen der 1980er-Jahre haben festgestellt, dass allgemeinbildende Enzyklopädien weniger über berühmte Frauen als über berühmte Männer informieren und daher sexistische Rollenbilder der Gesellschaft reproduzieren.<ref>June L. Engle, Elizabeth Futas: Sexism in Adult Encyclopedias. In: ''RQ'' 23, Nro 1 (Herbst 1983), S. 29–39, hier S. 37.</ref><br />
<br />
Harvey Einbinder listet eine Vielzahl von Artikeln der ''Encyclopaedia Britannica'' auf, deren Neutralität oder Objektivität er bezweifelt. Moderne Künstler würden kurzerhand für wertlos erklärt, aus Prüderie würden wichtige Handlungselemente etwa im Theaterstück ''[[Wikipedia:Lysistrata|Lysistrata]]'' weggelassen werden oder sexuelle Themen hinter Fachausdrücken versteckt.<ref name="Einbinder1">Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;94, 110/111.</ref> Der [[Wikipedia:Holocaust|Judenmord]] werde unverständlicherweise nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie in Verbindung gebracht, der moralische Aspekt der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki kaum diskutiert. Letzteres geschehe seiner Vermutung nach, um den Amerikanern ein unangenehmes Thema zu ersparen.<ref name="Einbinder1" /><br />
<br />
Die Herausgeber von Enzyklopädien hatten zuweilen ausdrücklich gesellschaftspolitische Ziele. Beispielsweise setzte sich insbesondere der Ergänzungsband von 1801 bis 1803 zur ''Encyclopaedia Britannica'' kämpferisch mit der Französischen Revolution auseinander. Widmungen an den regierenden Monarchen waren nicht ungewöhnlich, doch damals hieß es darin:<br />
{{Zitat<br />
|Text=Die französische ''Encyclopédie'' wurde dessen angeklagt, und zu Recht, dass sie die Samen von Anarchie und Atheismus weit verbreitet hat. Wenn die'' Encyclopaedia Britannica'', auf jede Art, das Bestreben dieses pestübertragenden Werkes bekämpft, so werden gerade diese beiden Bände nicht gänzlich der Gunst Eurer ''Majestät'' unwürdig sein.<br />
|Autor=George Gleig<br />
|ref=<ref>Kathleen Hardesty Doig, Frank A. Kafker, Jeff Loveland: George Gleig’s ''Supplement'' to the third edition (1801–1803): learned and combative. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;253–297, hier S.&nbsp;259. „The French Encyclopédie has been accused, and justly accused, of having disseminated, far and wide, the seeds of Anarchy and Atheism. If the ENCYCLOPAEDIA BRITANNICA shall, in any degree, counteract the tendency of that pestiferous Work, even these two Volumes will not be wholly unworthy of Your MAJESTY’S Patronage.“</ref>}}<br />
<br />
Später im 19.&nbsp;Jahrhundert setzte der ''Meyer'' sich, nach eigenem Bekunden, für eine intellektuelle Gleichheit der Menschen ein, den Lesern ein besseres Leben ermöglichen. Revolutionärem Denken sollte jedoch kein Vorschub geleistet werden. Im Gegensatz zu dieser eher [[Wikipedia:Liberalismus|liberalen]] Haltung wollte ''Sparners Illustriertes Konversations-Lexikon'' (1870) sozialdisziplinierend auf die Unterschicht einwirken.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;63, 67.</ref><br />
<br />
Allgemein sehen Enzyklopädien sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, nicht neutral zu sein. Einige Kritiker hielten die ''Encyclopaedia Britannica'' für prokatholisch, andere für kirchenfeindlich.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;67.</ref> Um 1970 lobten manche Rezensenten am ''Brockhaus'' dessen angeblich konservativen Grundton im Vergleich zum „linkslastigen“ ''Meyer'', andere sagten, es sei genau andersherum. [[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]] findet es überhaupt problematisch, Pauschalurteile solcher Art zu fällen.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;263.</ref><br />
<br />
==== Ideologische Großsysteme ====<br />
[[Datei:UBN De Katholieke Encyclopedie 1933-1939.JPG|mini|''De Katholieke Encyclopedie'', 1.&nbsp;Auflage von 1933–1939, mit Kreuzen auf den Einbänden]]<br />
<br />
Die niederländische ''Katholieke Encyclopedie'' stellte sich 1949 bewusst nicht in die Tradition der Aufklärung, sondern des christlichen Mittelalters. Wie ihre Schwester, die Universität, sei die Enzyklopädie aus katholischem Hause.<ref>Hoofdredactie: ''De Katholieke Encyclopedie.'' In: ''De Katholieke Encyclopedie''. 2.&nbsp;Auflage, Uitgeverij Mij. Joost van den Vondel, Standaard-Boekhandel. Amsterdam/Antwerpen 1949, S.&nbsp;[1–7], hier S.&nbsp;[2].</ref> Ein Prospekt, bereits aus dem Jahre 1932, nennt Unparteilichkeit gerade in einer Enzyklopädie gefährlich. Schließlich bräuchten Themen wie „Spiritismus“, „Freudianismus“, „Freimaurerei“, „Protestantismus“ oder „Liberalismus“ eine kritische Behandlung und absolute Verwerfung. „Es ist doch eindeutig, dass Neutralität keine Position beziehen kann. Aber zahlreiche Themen können ohne feste Basis nicht beurteilt werden.“ In den sogenannten neutralen Enzyklopädien erhalte Buddha mehr Aufmerksamkeit als Jesus Christus.<ref>''De Katholieke Encyclopedie. Proeve van bewerking tevens prospectus''. Uitgeverij Mij. Joost van den Vondel. Amsterdam 1932, S.&nbsp;[1–3], hier S.&nbsp;[2].</ref><br />
<br />
Die ''[[Wikipedia:Enciclopedia Italiana|Enciclopedia Italiana]]'' (1929–1936) entstand in der Zeit des [[Wikipedia:Italienischer Faschismus|Faschismus]] und der Diktator [[Wikipedia:Benito Mussolini|Benito Mussolini]] hatte mehr oder weniger persönlich zum Thema „Faschismus“ beigetragen (vgl. ''[[Wikipedia:La Dottrina Del Fascismo|La Dottrina Del Fascismo]]''). Im Allgemeinen jedoch war das Werk international und objektiv.<ref name="Collison2" /> In Deutschland musste sich der ''Brockhaus'' in den letzten Teilen seiner Großausgabe von 1928 bis 1935 politisch anpassen. Als ausgesprochen nationalsozialistisch gefärbt gilt der sogenannte „braune Meyer“ von 1936 bis 1942 (unvollendet).<br />
<br />
Die ''[[Wikipedia:Große Sowjetische Enzyklopädie|Große Sowjetische Enzyklopädie]]'' richtete sich nicht etwa an die Massen der Arbeiter und Bauern, sondern an die „[[Wikipedia:Kader|Hauptkaderleute]], die den sowjetischen Aufbau betreiben“.<ref name="Vorworte1">[http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/BSE.pdf Vorworte bei Enzyklopaedie.ch] (PDF; 33&nbsp;kB), abgerufen am 20. Juni 2011.</ref> Ihre politische Ausrichtung beschrieb sie im Vorwort von 1926 so:<br />
{{Zitat<br />
|Text=In den früheren Lexika existierten verschiedene – mitunter gegensätzliche – Weltanschauungen nebeneinander. Im Gegensatz dazu ist für die Sowjetenzyklopädie eine eindeutige Weltanschauung ganz unabdingbar, und zwar die streng materialistische Weltanschauung. Unsere Weltanschauung ist der [[Wikipedia:Dialektischer Materialismus|dialektische Materialismus]]. Das Gebiet der Sozialwissenschaften, hinsichtlich der Beleuchtung der Vergangenheit ebenso wie der Gegenwart, ist schon umfassend bearbeitet auf der Grundlage der konsequenten Anwendung der dialektischen Methode von [[Wikipedia:Marxismus-Leninismus|Marx-Lenin]]; auf dem Gebiet der Natur- und exakten Wissenschaften wird die Redaktion darauf bedacht sein, den Standpunkt des dialektischen Materialismus zu verfolgen […]<br />
|Autor=''Große Sowjetische Enzyklopädie'', 1926<br />
|ref=<ref name="Vorworte1" />}}<br />
<br />
Noch nach dem Erscheinen musste eine sowjetische Enzyklopädie verändert werden, wenn eine Person plötzlich politisch unerwünscht wurde. Als 1953 [[Wikipedia:Lawrenti Beria|Lawrenti Beria]] entmachtet wurde, schickte man den Käufern der ''Großen Sowjetischen Enzyklopädie'' ein Blatt unter anderem mit Informationen über die Beringsee, das man anstelle der alten Seite mit Beria einkleben sollte.<ref>{{Der Spiegel |ID=8888209 |Titel=Lawrentij Berija |Jahr=1996 |Nr=8}}</ref><ref name="Collison2" /><br />
<br />
== Ausstattung ==<br />
=== Umfang ===<br />
[[Datei:2011 UBN Plinius Jan Mayhoff.JPG|mini|''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' in der Ausgabe von Jan / Mayhoff]]<br />
[[Datei:UBN Espasa.JPG|mini|''[[Wikipedia:Enciclopedia universal ilustrada europeo-americana|Espasa]]'', links und rechts oberer Teil]]<br />
[[Datei:Vergleich Wikipedia Brockhaus 2011-07 Athen.png|mini|Würde die ''Wikipedia auf Deutsch'' gedruckt, entstünden etwa 675 Bände im Format der ''Brockhaus-Enzyklopädie'', die 2005/2006 dreißig Bände umfasste (Stand: Juli 2011).]]<br />
<br />
Traditionell waren Enzyklopädien eher von begrenztem Umfang. Moderne Buchausgaben antiker oder mittelalterlicher Enzyklopädien bleiben meist auf einen oder wenige Bände beschränkt. Die für das Altertum monumentale ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' hatte beispielsweise in einer Ausgabe um das Jahr 1900 fünf Bände.<ref>Nämlich [[Wikipedia:Ludwig von Jan|Ludwig von Jan]], [[Wikipedia:Karl Mayhoff|Karl Mayhoff]] (Hrsg.): ''C. Plini Secundi naturalis historiae libri XXXVII.'' Teubner, Stuttgart 1967–2002 (Nachdruck der Ausgabe von 1892–1909).</ref> Nach eigener Zählung bestand das Werk aus 37 ''libri'' (Büchern), wobei ein „Buch“ hier vom Umfang her als ein Kapitel zu verstehen ist. Die ''[[Wikipedia:Etymologiae|Etymologiae]]'' des Isidor machen ein je nach Ausgabe mehr oder weniger dickes Buch aus.<br />
<br />
Zu vielbändigen Enzyklopädien kam es erst seit dem 18.&nbsp;Jahrhundert, allerdings gab es gleichzeitig immer auch Nachschlagewerke in nur einem oder wenigen Bänden. Diese haben im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert, als Enzyklopädien sich massenweise verbreiteten, wesentlich mehr Käufer gefunden als die großen Ausgaben. [[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]] verwendet für das 20.&nbsp;Jahrhundert eine Einteilung von kleinen Ausgaben mit ein bis vier Bänden, mittleren Ausgaben von fünf bis zwölf Bänden und großen darüber. Für einen genaueren Vergleich des Umfangs müsse man jedoch zusätzlich Buchformate, Seitenanzahlen, Schriftgröße usw. hinzuziehen.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt am Main 2007, S.&nbsp;441–462, hier S.&nbsp;441.</ref><br />
<br />
Als größte Enzyklopädie der Geschichte wird zuweilen das chinesische Werk ''[[Wikipedia:Yongle Dadian|Yongle Dadian]]'' (auch: ''Yung-lo ta-tien'') aufgeführt. Es stammt aus dem 15.&nbsp;Jahrhundert und umfasste 22.937 Bücher auf mehr als fünfhunderttausend Seiten.<ref>Philip Krapp, Patricia K. Ballou: Encyclopedia. In: ''Collier’s Encyclopedia with Bibliography and Index''. Band&nbsp;9. Collier’s, New York, Toronto, Sydney 1995, S.&nbsp;136–140, hier S.&nbsp;137.</ref> Es handelte sich jedoch mehr um eine aus älteren Texten zusammengestellte Lehrbuchsammlung.<br />
<br />
Längere Zeit das umfangreichste Nachschlagewerk war der ''[[Wikipedia:Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste|Zedler]]'' mit seinen 64 Bänden. Dieses Mammutwerk war folglich für viele Käufer, die sowieso nur einer kleinen, reichen Oberschicht entstammen konnten, unerschwinglich. Selbst viele Lesegesellschaften haben sich den ''Zedler'' nicht angeschafft.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;108–110.</ref><br />
<br />
Im 19.&nbsp;Jahrhundert war der ''[[Wikipedia:Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste|Ersch-Gruber]]'' die größte allgemeine Enzyklopädie. Das 1818 begonnene Werk wurde aber nicht fertiggestellt, nach 167 Bänden gab der neue Herausgeber (Brockhaus) 1889 auf.<ref name="Collison3">Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;262.</ref><ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;23.</ref> Die größte vollständige gedruckte Enzyklopädie wurde dann im 20.&nbsp;Jahrhundert die spanischsprachige ''[[Wikipedia:Enciclopedia universal ilustrada europeo-americana|Espasa]]'' mit insgesamt neunzig Bänden. Die Großwerke des 18. und 19.&nbsp;Jahrhunderts erscheinen also umfangreicher als die des 20.&nbsp;Jahrhunderts mit ihren 20–30 Bänden, dabei ist aber das wesentlich dünnere Papier der späteren Werke zu berücksichtigen.<ref name="Collison3" /><br />
<br />
=== Auflagenhöhen ===<br />
Eine populäre Enzyklopädie wie die ''[[Wikipedia:Etymologiae|Etymologiae]]'' des Isidor brachte es im Mittelalter auf über tausend Handschriften.<ref>Lenelotte Möller (Hrsg.): ''Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla''. MatrixVerlag. Wiesbaden 2008, S.&nbsp;16.</ref> Das ''Elucidiarium'' von [[Wikipedia:Honorius Augustodunensis|Honorius Augustodunensis]] gab es in mehr als 380 Handschriften.<ref>Siehe etwa Robert Luff: ''Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. „Imago mundi“-Werke und ihre Prologe.'' Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, S.&nbsp;424.</ref><br />
<br />
Jeff Loveland zufolge hat man im 18.&nbsp;Jahrhundert etwa zweihundert bis dreihundert Exemplare von einer Enzyklopädie verkauft;<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;73.</ref> Ulrike Spree zufolge betrug die Auflage hingegen 2000–4000 Exemplare. Vom ''Zedler'' (1737) wurden vermutlich nur die 1500 Subskriptionsexemplare angeschafft, also diejenigen, die zahlungskräftige Kunden zuvor bestellt hatten. Von der ersten Auflage der (damals dreibändigen) ''Encyclopaedia Britannica'' (1768–1771) verkaufte man insgesamt dreitausend Exemplare,<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;108.</ref> von der 18-bändigen dritten Auflage (1787–1797) dreizehntausend.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;140.</ref><br />
<br />
Das 19.&nbsp;Jahrhundert sah wesentlich höhere Auflagen. Die ''[[Wikipedia:Encyclopaedia Britannica|Encyclopaedia Britannica]]'' in der 7. Auflage (1828) kam auf dreißigtausend Exemplare, ''Meyers Conversations-Lexikon'' hatte 1848/1849 siebzigtausend Subskribenten. Da das Erscheinen langsam war und die Bandanzahl hoch, ging dies allerdings auf unter vierzigtausend zurück. Von der 2.&nbsp;Auflage der ''Chambers Encyclopaedia'' verkaufte man 1874–1888 allein in Großbritannien über 465.000 ''sets''.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;124, S.&nbsp;145.</ref><br />
<br />
''[[Wikipedia:Brockhaus Enzyklopädie|Brockhaus]]'' verkaufte von seiner 13.&nbsp;Auflage (1882–1887) 91.000&nbsp;Exemplare, von der 14.&nbsp;Auflage bis 1913 mehr als 300.000.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;29.</ref> Die 17.&nbsp;Auflage des großen ''Brockhaus'' von 1966 hatte eine Gesamtauflage von 240.000 Exemplaren (Komplettsets).<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;263.</ref> Auf dem Gebiet der kleineren Lexika erlebte Brockhaus jedoch starke Konkurrenz. So verlief der Verkauf des einbändigen ''Volks-Brockhaus'' von 1955 schleppend: Er kostete 19,80 DM, während [[Wikipedia:Bertelsmann|Bertelsmann]] sein ''[[Wikipedia:Bertelsmann Universallexikon|Volkslexikon]]'' für 11,80 DM auf den Markt brachte und über seinen [[Wikipedia:Bertelsmann Lesering|Lesering]] eine Million Exemplare verkaufte.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;247.</ref><br />
<br />
In der [[Wikipedia:Deutsche Demokratische Republik|DDR]] hatte das achtbändige ''Meyers Neues Lexikon'' (1961–1964) eine Auflage von insgesamt 150.000 Exemplaren, die zweibändige Ausgabe kam 1956–1958 in drei Auflagen auf 300.000 Exemplare. Zwar war die DDR deutlich kleiner als die Bundesrepublik, der VEB Bibliographisches Institut hatte aber keine Konkurrenz.<ref>Heinz Stephan, Helga Weck: ''Die Entwicklung der lexikografischen Literatur, besonders allgemeiner Lexika, in der DDR''. In: Hans-Joachim Diesner, Günter Gurst (Hrsg.): ''Lexika gestern und heute''. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1976, S.&nbsp;203–296, hier S.&nbsp;292.</ref><br />
<br />
Fehlende Konkurrenz führte auch in anderen kleinen Ländern, einschließlich westlichen, zu hohen Auflagen im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl. Das sechsbändige ''Uj Magyar Lexikon'' erschien im kommunistischen Ungarn 1959–1962 in 250.000 Exemplaren.<ref>Sándor Zsuilinszky: ''Die Entwicklung der ungarischen Lexikografie unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen Lexika.'' In: Hans-Joachim Diesner, Günter Gurst (Hrsg.): ''Lexika gestern und heute''. VEB Bibliographisches Institut. Leipzig 1976, S.&nbsp;319–335, hier S.&nbsp;333.</ref> In Norwegen verkaufte sich das fünfzehnbändige ''[[Wikipedia:Store Norske Leksikon|Store Norske]]'' von 1977 bis 2011 in 250.000 Exemplaren bei einer Bevölkerung von nur vier Millionen Norwegern.<ref>Sebastian Balzter: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/themen/kein-geld-fuer-lexika-wer-rettet-das-grosse-norwegische-1639090.html ''Wer rettet das Große Norwegische?''] In: ''FAZ.NET'', 19.&nbsp;Oktober 2011. Abgerufen am 4.&nbsp;März 2015.</ref><br />
<br />
Von der 21.&nbsp;Auflage der ''Brockhaus Enzyklopädie'' aus den Jahren 2005/2006 wurden nur „ein paar Tausend Exemplare“ verkauft, wie der FOCUS berichtete.<ref>[http://www.focus.de/kultur/buecher/brands-buecher/brockhaus-alles-nur-gegoogelt_aid_357291.html ''Alles nur gegoogelt''.] FOCUS, abgerufen am 20. Juni 2011.</ref> Der ''FAZ'' zufolge habe die Gewinnschwelle bei 20.000 verkauften Exemplaren gelegen, davon sei die Hälfte erreicht worden. Diese letzte gedruckte Auflage der ''Brockhaus Enzyklopädie'' bestand aus dreißig in Leinen gebundenen Bänden mit Goldschnitt, die fast 25.000 Seiten beinhalteten. Sie kostete 2670&nbsp;Euro.<ref>[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/kuenftig-kostenlos-im-netz-der-letzte-brockhaus-1513976.html ''Der letzte Brockhaus''.] FAZ.NET, abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
=== Bebilderungen ===<br />
[[Datei:Liber floridus Weltkarte.jpg|mini|Mittelalterliche [[Wikipedia:Mappa mundi|Weltkarte]] im ''[[Wikipedia:Liber Floridus|Liber Floridus]]'', um 1120. Auf der linken, nördlichen Hälfte des Erdenrundes die ''pictura'' mit Europa, Asien und Afrika. Da das Aussehen der südlichen Hälfte unbekannt war, erschien dort die erläuternde ''scriptura''.]]<br />
[[Datei:Cyclopaedia, Chambers - Volume 1 - 0204.jpg|mini|Bildtafel zu astronomischen Themen in der ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'', 1728]]<br />
<br />
Aus den antiken Werken sind so gut wie keine [[Wikipedia:Illustration|Illustration]]en überliefert, sondern nur der Text. Nachträglich erhielten sie Abbildungen in einigen mittelalterlichen Handschriften. Diese Illustrationen unterschieden sich meist von Handschrift zu Handschrift; dann brachte der Buchdruck die Möglichkeit, auch Abbildungen genau zu vervielfältigen. Das Mittelalter kannte bereits Bilder von Menschen, Tieren oder Pflanzen, ebenso schematische Darstellungen und Weltkarten. Sie waren allerdings selten.<br />
<br />
In der Frühen Neuzeit gab es dann eine große Bandbreite von unterschiedlichen Illustrationen. Auf Titelblättern und [[Wikipedia:Frontispiz|Frontispiz]]en reflektierte man über die Grundlagen des in der Enzyklopädie gesammelten Wissens, indem man die sieben freien Künste [[Wikipedia:Allegorie|allegorisch]] darstellte. Baumdiagramme veranschaulichten den Zusammenhang der einzelnen Fächer, Funktionsdiagramme zeigten zum Beispiel, wie ein Flaschenzug funktioniert. Widmungen präsentierten einen reichen Gönner oder Schirmherr, Kupferstiche leiteten einen neuen Band ein.<ref>Steffen Siegel: Die Orte des Bildes im Alphabet des enzyklopädischen Textes. In: Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit''. WBG, Darmstadt 2006, S.&nbsp;164–179, hier S.&nbsp;165, 168, 176.</ref> Beliebt waren auch Tabellen, zum Beispiel zu Planetenbewegungen.<br />
<br />
Bilder wurden entweder im Text an die geeignete Stelle eingefügt oder auf gesonderten Bildtafeln geliefert; der Brockhaus-Verlag brachte 1844–1849 und auch noch später eigens einen ''Bilder-Atlas zum Conversationslexikon'' heraus und nannte ihn im Untertitel ''Ikonographische Encyclopädie der Wissenschaften und Künste''.<ref>Georg Jäger: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;1: Das Kaiserreich 1870–1918. Teil&nbsp;2. Saur, Frankfurt am Main 2001, S.&nbsp;541–575, hier S.&nbsp;544.</ref> Bildtafeln oder gar Bildbände wurden oftmals der Qualität wegen gesondert vom Rest gedruckt, da Bilder zuweilen einen besonderen Druck oder besonderes Papier verlangten. Mit der zunehmenden Verbesserung der Drucktechnik kamen mehr und mehr Bilder in die Enzyklopädien. Schließlich wurden im 20.&nbsp;Jahrhundert reich illustrierte Werke nicht mehr ausdrücklich als „illustriert“ angepriesen, so selbstverständlich war die Bebilderung geworden. Etwa seit den späten 1960er-Jahren waren die Abbildungen einiger Enzyklopädien vollständig in Farbe gehalten.<br />
<br />
Die 19.&nbsp;Auflage des ''[[Wikipedia:Brockhaus Enzyklopädie|Brockhaus]]'' (1986–1994) hatte 24&nbsp;Bände mit insgesamt 17.000 Seiten. Darin befanden sich 35.000 Abbildungen, Karten und Tabellen. Ein dazugehöriger Weltatlas beinhaltete 243&nbsp;Kartenseiten.<ref>Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;174/175.</ref><br />
<br />
=== Anhänge und Ausstattung ===<br />
Seit dem 18.&nbsp;Jahrhundert erhielten größere Enzyklopädien, wenn schon keine neue Auflage zustande kam, Ergänzungsbände, ''Supplemente''. Der ''Brockhaus'' veröffentlichte Mitte des 19.&nbsp;Jahrhunderts Jahrbücher als Ergänzung oder Weiterführung des eigentlichen Lexikons. Ab 1907 gab ''Larousse'' die Monatsschrift ''Larousse mensuel illustré'' heraus.<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;263.</ref> Mehr zur Kundenbindung diente die Zeitschrift ''Der Brockhaus-Greif'', die der Verlag von 1954 bis 1975 unterhielt.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;253.</ref> Ein Sonderband konnte dazu dienen, besondere geschichtliche Ereignisse zu behandeln, wie den [[Wikipedia:Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871]] oder den Ersten Weltkrieg.<ref>Georg Jäger: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;1: Das Kaiserreich 1870–1918. Teil 2. Saur, Frankfurt am Main 2001, S.&nbsp;541–575, hier S.&nbsp;545.</ref><br />
<br />
Anhänge in eigenen Bänden konnten auch Bildbände, Atlanten oder Wörterbücher sein, die aus der Enzyklopädie ein umso vollständigeres Kompendium machten. CD-ROMs, Internetzugänge und USB-Sticks schließlich wurden zunächst als [[Wikipedia:Accessoire|Zugabe]] für die gedruckte Version angeboten. Ein Versuch, den Wert des Gesamtwerks zu erhöhen, stellten die Künstlerausgaben des ''Brockhaus'' dar, wie die seit 1986 von [[Wikipedia:Friedensreich Hundertwasser|Friedensreich Hundertwasser]] gestaltete, auf 1800 Exemplare limitierte Ausgabe. Der Ladenpreis betrug 14.000 DM (gegenüber etwa 4000 DM für die normale Ausgabe). Die Einbände zeigten, nebeneinander auf dem Regal stehend, zusammen ein neues Bild.<ref>Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;184–186. Siehe auf der eigenen {{Webarchiv |url=http://www.hundertwasser-brockhaus.de/ |text=hundertwasser-brockhaus.de |wayback=20141217134017}}</ref><br />
<br />
=== Lieferung ===<br />
[[Datei:Cyclopaedia, Chambers - Volume 1 - 0044.jpg|mini|hochkant|„A list of the subscribers“ in der ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'', 1728]]<br />
<br />
In der Regel wurden Bücher nach Fertigstellung erworben und bezahlt. Bei größeren Projekten jedoch war es im 18.&nbsp;Jahrhundert üblich, zunächst [[Wikipedia:Subskription|Subskribenten]] zu werben und erst danach das Werk zu drucken; eventuell wurde es stückweise in Raten ausgeliefert. Hatte der Käufer alle Auslieferungen beisammen, konnte er damit zu einem Buchbinder gehen. Ein Subskribent (wörtlich: jemand, der unterschreibt) bezahlte im Voraus. So hatte der Verleger bereits ein Kapital, mit dem er erste Ausgaben bewältigen konnte. Je nach Subskriptionsmodell zahlte der Subskribent möglicherweise eine Anzahlung und dann noch pro ausgeliefertem Teil. Zusätzlich hoffte der Verleger, dass weitere Kunden das Werk kauften. Die Veröffentlichung bekannter Subskribenten vorne im Werk sollte verkaufsfördernd wirken, ähnlich wie die Widmung des Werkes an eine hochgestellte Persönlichkeit.<br />
<br />
Im Falle der ersten Ausgabe der ''Encyclopaedia Britannica'' kündigte im Juli 1767 ein Prospekt das Vorhaben der Öffentlichkeit an. Im Februar 1768 ließen die Verleger verlautbaren, dass das Werk in einhundert wöchentlichen Auslieferungen kommen sollte, jeweils mit 48 Seiten. Am Ende sollten es, gebunden, sechs Bände im [[Wikipedia:Oktavformat|Oktavformat]] werden. Auf einfachem Papier kostete eine Auslieferung sechs [[Wikipedia:Pfund Sterling|Pence]] und acht auf besserem. Bald darauf änderten die Herausgeber das Format auf [[Wikipedia:Quarto (Papierformat)|Quarto]], woraus sich drei Bände ergaben. Der Grund dafür war das höhere Prestige von Quarto und vielleicht auch der indirekte Einfluss eines Konkurrenzproduktes. Im Dezember 1768 kam der erste Teil heraus, und nach der Auslieferung des letzten 1771 erhielt man Vorwort und Titelseiten für jeden der drei Bände sowie eine Anleitung für den Buchbinder. Im August 1771 konnte man das gesamte ''set'' für zwei Pfund und zehn Schillinge kaufen (drei Pfund, sieben Schillinge bei besserem Papier).<ref>Frank A. Kafker, Jeff Loveland: William Smellie’s edition: a modest start. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;11–68, hier S.&nbsp;16/17.</ref><br />
<br />
Im 19.&nbsp;Jahrhundert konnte man beispielsweise bei ''[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Meyers Konversations-Lexikon]]'' zwischen mehreren Liefermodellen wählen. Die dritte Auflage von 1874 bis 1878 bestand aus fünfzehn Bänden. Der Käufer erhielt wöchentlich eine Lieferung von 64&nbsp;Seiten, die fünfzig Pfennig kostete; oder aber man bezahlte je 9,50&nbsp;Mark pro Band. Den ''Brockhaus'' in der Jubiläumsausgabe von 1898, siebzehn Prachtbände zu je zehn Mark, zahlte man in Monatsraten von drei bis fünf Mark oder in Vierteljahresraten von neun bis fünfzehn Mark. Es gab keine Anzahlung, erst nach drei Monaten musste man die erste Rate zahlen.<ref>Georg Jäger: Der Lexikonverlag. In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;1: Das Kaiserreich 1870–1918. Teil&nbsp;2. Saur, Frankfurt am Main 2001, S.&nbsp;541–575, hier S.&nbsp;550.</ref> Subskriptionsmodelle kannte man letztlich bis ins 21. Jahrhundert. Es war aber seit dem 20.&nbsp;Jahrhundert gängig, dass man fertig gebundene Bände erhielt.<br />
<br />
''Nelson’s perpetual loose-leaf encyclopaedia'' von 1920 war eine [[Wikipedia:Loseblattsammlung|Loseblattsammlung]] in zwölf Bänden. Zweimal im Jahr erhielt der Käufer einige neue Seiten geliefert, mit denen er Seiten veralteten Inhalts ersetzen konnte. Die ''Encyclopédie française'' (1937–1957) nahm die Idee auf, die sich aber nicht durchsetzen konnte.<ref>Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;205/209.</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon#9. Auflage (1971–1979/1985)|Meyers Enzyklopädisches Lexikon]] in 25 Bänden brauchte für die Produktion und Auslieferung insgesamt acht Jahre von 1971 bis 1979. In den Bänden 4, 7, 10, 13, 16, 19 und 22 wurden Nachträge angefügt, welche die zwischenzeitlichen Aktualisierungen zu den vorangegangenen Bänden enthielten. 1985 erschien schließlich noch ein Nachtragsband (Band 26).<br />
<br />
== Autoren und Leser ==<br />
Der Autor einer Enzyklopädie heißt Enzyklopädist oder [[Enzyklopädiker]], wobei dieser Begriff auch für einen Wissenschaftler der [[Wikipedia:Enzyklopädik|Enzyklopädik]] gebraucht wird, der keine Enzyklopädie schreibt, sondern Enzyklopädien und ihre Entstehung erforscht. Herausgeber und Mitarbeiter der [[Wikipedia:Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers|Encyclopédie]] (Frankreich 1782 bis 1832) wurden [[Wikipedia:Enzyklopädist|Enzyklopädist]]en genannt.<br />
<br />
=== Urheberrecht und Plagiate ===<br />
[[Datei:Der naturen bloeme Brussel bronnen KB 19 546 f 2r.jpg|mini|hochkant|[[Wikipedia:Jacob van Maerlant|Jacob van Maerlant]]s ''Der naturen bloeme'' (13.&nbsp;Jahrhundert) mit Offenlegung seiner Quellen. Der oberste Kreis enthält den Namen von [[Wikipedia:Aristoteles|Aristoteles]].]]<br />
Ein [[Wikipedia:Urheberrecht|Urheberrecht]] im modernen Sinne gab es vor dem 19.&nbsp;Jahrhundert nicht. Dennoch besteht seit der Antike der Begriff des [[Wikipedia:Plagiat|Plagiat]]s, als ungekennzeichnete Übernahme fremder Texte. Bis ins 18.&nbsp;Jahrhundert war es gängig, Enzyklopädien vor allem als Zusammenstellung älterer Texte zu sehen. Dabei wurden die Autoren manchmal genannt, oft aber auch nicht. In der Antike und im Mittelalter stand der Gedanke im Vordergrund, sich bei den alten Weisen zu bedienen und von deren reinem, unverfälschtem Wissen zu lernen. Mit der Renaissance wurde die Vorstellung eines originalen Autors wichtiger.<br />
<br />
Plagiate galten beispielsweise im 18.&nbsp;Jahrhundert teilweise als anrüchig, waren aber nicht verboten. Allenfalls anhand des [[Wikipedia:Privileg|Druckprivilegs]] konnte der Herausgeber Nachdrucke untersagen. Dabei handelte es sich um eine obrigkeitliche Erlaubnis, überhaupt ein bestimmtes Buch drucken zu dürfen. Nachdrucke konnten aber höchstens im eigenen Land unterbunden werden und wurden oftmals im Ausland gedruckt und dann zum Teil über Schmuggel verbreitet.<br />
<br />
Dennis de Coetlogon zum Beispiel gab zwar zu, kopiert zu haben, behauptete aber trotzdem, er sei der Autor seiner ''[[Wikipedia:Universal history (1745)|Universal history]]''. Nimmt man dies wörtlich, so hat er sie anscheinend selbst mit der Hand, ohne Helfer, geschrieben.<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;87.</ref> Wenn in der ersten Ausgabe der ''Encyclopaedia Britannica'' eine „List of Authors“ erschien, dann war damit nicht etwa gemeint, dass jene Personen bewusst für diese Enzyklopädie geschrieben hätten. Vielmehr hatte der Redakteur [[Wikipedia:William Smellie (Enzyklopädist)|William Smellie]] sich aus ihren Werken bedient.<ref>Frank A. Kafker, Jeff Loveland: William Smellie’s edition: a modest start. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;11–68, hier S.&nbsp;19, 21.</ref><br />
<br />
Im Artikel „Plagiaire“ beschrieb die große französische ''Encylopédie'' das Phänomen des [[Wikipedia:Plagiat|Plagiat]]s. Man beeilte sich anzumerken, dass Lexikografen sich wohl nicht an die üblichen [[Wikipedia:Eigentum|Gesetze des Mein und Dein]] halten müssten, jedenfalls nicht jene, die ein ''dictionnaire des arts et des sciences'' verfassten. Schließlich gäben sie nicht vor, Originales zu schreiben. Der Text hatte größte Ähnlichkeit mit dem Artikel „Plagiary“ in Chambers’ ''[[Wikipedia:Cyclopaedia|Cyclopaedia]]'' eine knappe Generation zuvor, und dieser wiederum ging auf das ''Dictionnaire'' von [[Wikipedia:Antoine Furetière|Antoine Furetière]] (1690) zurück.<ref name="Loveland1">Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745)''. Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;82.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
! Chambers’ Cyclopaedia, 1728 !! ''Encyclopédie'', 1751–1772<br />
|-<br />
| PLAGIARY […] || PLAGIAIRE […]<br />
|-<br />
| Among the Romans, ''Plagiarius'' was properly a Person who bought, sold, or retain’d, a free Man for a Slave; so call’d, because the ''Flavian'' Law condemned such a Person to be whipp’d, ''ad plagas''. See SLAVE. || Chez les Romains on appelloit plagiaire une personne qui achetoit, vendoit ou retenoit comme esclave une autre personne libre, parce que par la loi ''Flavia'', quiconque étoit convaincu de ce crime, étoit condamné au fouet, ''ad plagas''. ''Voyez'' esclave.<br />
|-<br />
| ''Thomasius'' has an express Treatise ''de plagio litterario''; wherein he lays down the Laws and Measures of the Right which Authors have to one anothers Commodities. || Thomasius a fait un livre ''de plagio litterario'', où il traite de l’étendue du droit que les auteurs ont sur les écrits des uns des autres, & des regles qu’on doit observer à cet égard.<br />
|-<br />
| Dictionary-Writers, at least such as meddle with Arts and Sciences, seem exempted from the common Laws of ''Meum'' and ''Tuum''; they don’t pretend to set up on their own bottom, nor to treat you at their own Cost […] || Les Lexicographes, au moins ceux qui traitent des arts & des sciences, paroissent devoir être exemts des lois communes ''du mien'' & ''du tien''. Ils ne prétendent ni bâtir sur leur propre fonds, ni en tirer les matériaux nécessaires à la construction de leur ouvrage […]<br />
|}<br />
<br />
[[Datei:Leuchtkugeln München 1848-1850 Der Büchermacher.JPG|mini|hochkant|''Der Büchermacher'', Karikatur in ''Leuchtkugeln'', Münchner Zeitschrift von 1848–1850.<br /> „Schauen’s mein Bester, es ist zwar eine saure Arbeit, aber das Werk lobt den Meister.“<br /> „Erlauben Sie mir, was machen Sie denn da?“<br /> „Eine Realenzyklopädie für das gebildete Deutschland.“]]<br />
Der ''Zedler'' schreibt unter dem Lemma „[[Wikipedia:Nachdruck|Nachdruck]] derer Bücher“:<br />
{{Zitat<br />
|Text='''Nachdruck derer Bücher''', ist eigentlich nicht viel besser, als ein heimlicher, wo nur nicht öffentlicher Diebstahl, und geschiehet insgemein nur von denen Affter-Buchhändler, oder besser zu sagen, von blossen Pfuschern der sonst allerdings so edlen, als nützlichen Buchhändler-Zunfft, welche sich nemlich mehrentheils nur aus toller Ehrsucht, oder vielmehr höchst straffbarer Geld-Begierde an den Druck, und […] an den Verlag solcher Bücher wagen, zu welchen sie weder Recht noch Erlaubniß haben […]<br />
|Autor=Artikel „Nachdruck derer Bücher“. In: ''[[Wikipedia:Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste|Zedlers Universal-Lexicon]]'', 1732–1754<br />
|ref=<ref>Johann Heinrich Zedler: ''Grosses Vollständiges Universal-Lexicon''. Band&nbsp;23. Akademische Druck- und Verlagsanstalt. Graz 1961, S.&nbsp;60–79.</ref>}}<br />
<br />
Dieser Text selbst war einem zeitgenössischen Buch entnommen worden.<ref name="Loveland1" /> Im 19.&nbsp;Jahrhundert war es dann nicht mehr möglich, eine Enzyklopädie mit der Schere zu verfassen, wie William Smellie noch über sich selbst gescherzt haben soll.<ref>Frank A. Kafker, Jeff Loveland: William Smellie’s edition: a modest start. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;11–68, hier S.&nbsp;20.</ref> Zumindest bei den allgemeinen Enzyklopädien gab es dies nach 1860<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;327.</ref> nicht mehr. Trotzdem war die gegenseitige Beeinflussung der konkurrierenden Verlage groß, auch, weil Fakten an sich (wie die Höhe eines Berges) nicht urheberrechtlich geschützt sind.<br />
<br />
=== Autoren ===<br />
[[Datei:Gesta Theodorici - Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus (c 485 - c 580).jpg|mini|hochkant|[[Wikipedia:Cassiodor|Cassiodor]], ein frühmittelalterlicher Enzyklopädist]]<br />
<br />
==== Einzelautoren und Kleingruppen ====<br />
Gilt bei antiken Werken meist eine Person als der Autor, so ist im Mittelalter der Autor nicht immer leicht greifbar. Mit dem antiken Argument der ''modestia'' ([[Wikipedia:Bescheidenheit|Bescheidenheit]]) bezeichnen sich die Autoren des Mittelalters oft als zu unwürdig, um ihren Namen zu nennen. Sie sahen sich als bloße Vermittler gottgewollten Wissens. Gerade Laien aber, wie König [[Wikipedia:Alfons X.|Alfons der Weise]] oder der Notar [[Wikipedia:Brunetto Latini|Brunetto Latini]], neigten im Gegenteil zur Selbststilisierung. Einige Werke sind in Arbeitsgemeinschaften entstanden, wobei dann die leitende Persönlichkeit stellvertretend für die Mitarbeiter genannt wurde.<ref>Siehe etwa Robert Luff: ''Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. „Imago mundi“-Werke und ihre Prologe.'' Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, S.&nbsp;413/414.</ref><br />
<br />
Die Autoren verstanden sich als Kompilatoren (Zusammensteller), als Übersetzer, die bewährte lateinische Werke einem größeren Publikum eröffneten. Eine neue Generation um 1300 brachte dann auch eigene Gedanken ein. Dies waren ebenfalls oft Laien, oft aus Italien, wo der Klerus eine weniger große Rolle als anderswo spielte. Die Autoren waren meist Männer; Frauen waren nur innerhalb von [[Wikipedia:Kloster|Klöstern]] enzyklopädisch tätig.<ref>Siehe etwa Robert Luff: ''Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. „Imago mundi“-Werke und ihre Prologe.'' Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, S.&nbsp;414/415.</ref><br />
<br />
==== Redaktionen ====<br />
Im 19.&nbsp;Jahrhundert kam es nicht nur zum modernen Begriff des [[Wikipedia:Autor|Autor]]s, sondern auch zu einer erheblichen Spezialisierung. Die erste Auflage der ''Encyclopaedia Britannica'' wurde noch großteils von den Herausgebern geschrieben (beziehungsweise abgeschrieben). Doch Archibald Constable, der sie 1810 gekauft hatte, setzte auf wissenschaftliche Autoritäten, die auch namentlich genannt wurden. In Deutschland war die Entwicklung beim Brockhaus vergleichbar. Für nicht gekennzeichnete Artikel war die Redaktion verantwortlich. Generell mussten die Autoren sich dem Gesamtwerk unterordnen. Vor allem nach 1830 bemühten sich die Verlage um Experten. Waren die Autoren nicht genannt (wie bei den meisten Enzyklopädien), konnte es damit zu tun haben, dass diese Werke allzu sehr aus älteren Werken abgeschrieben waren. Beliebt war der Trick, als Herausgeberin eine „Gesellschaft von Gelehrten“ anzugeben.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;93–95.</ref><br />
<br />
[[Datei:William Smellie00.jpg|mini|hochkant|[[Wikipedia:William Smellie (Enzyklopädist)|William Smellie]], der mit 28 Jahren Redakteur der ersten Auflage der ''Encyclopaedia Britannica'' wurde.]]<br />
Ulrike Spree: „Der universalistisch gebildete Lexikonautor, der Artikel zu einer ganzen Palette von Themengebieten bearbeitete, gehörte immer mehr der Vergangenheit an.“ Das gab es allenfalls noch bei ein- oder zweibändigen Werken. Trotz einiger großer Namen waren die meisten genannten Autoren unbekannte Leute. Viele haben für mehrere Enzyklopädien geschrieben.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;96&nbsp;f.</ref> Eine der seltenen Enzyklopädien mit Autorennennung war der ''Ersch-Gruber'' und im 20.&nbsp;Jahrhundert beispielsweise ''Collier’s Encyclopedia''.<br />
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[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]] zufolge seien im ''Brockhaus'' die Autoren [[Wikipedia:Anonymität|anonym]] geblieben, weil die Artikel objektiv sein und keine Meinung einzelner wiedergeben sollten. Einige Autoren wollten nicht genannt werden, weil sie kontroverse Themen behandelten. Außerdem haben Redakteure die Beiträge überarbeitet und sind so Mitautoren geworden. Die Namensnennung hielt man nur bei namhaften Autoren für sinnvoll, es sei aber weder möglich noch wünschenswert gewesen, für jeden Artikel die herausragendsten Wissenschaftler zu engagieren. Bei einem solchen Anspruch wären redaktionelle Eingriffe wiederum bedenklich gewesen.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;118/199.</ref><br />
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1879 beschrieb eine Wochenzeitschrift, wie bei Meyer das [[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Konversations-Lexikon]] erstellt wurde. In der Hauptleitung in Leipzig wurden die 70.000&nbsp;Artikel aus der vorherigen Ausgabe ausgeschnitten und auf Papier geklebt. Notizensammler werteten circa fünfzig Zeitungen aus und erfragten Daten von Behörden und Institutionen. In verschiedenen Universitätsstädten gab es Spezialredaktionen, und Autoren, die für ein jeweiliges Fachgebiet angeworben waren, arbeiteten die Artikel um. Weibliche Autoren gab es immer noch kaum. Eine Ausnahme machte die britische ''Chambers Encyclopaedia'', die aus einer Übersetzung hervorgegangen war: Übersetzungen waren oft Frauenarbeit.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;98/99.</ref><br />
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[[Datei:1913 Meyer Redakteure.JPG|mini|Redakteure von ''[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Meyers Konversations-Lexikon]]'' im Büro in Leipzig, 1913]]<br />
Da die Hochschulen überfüllt waren, war die enzyklopädische Mitarbeit für viele Absolventen attraktiv. Typischerweise sah ein Lexikonredakteur sich als nicht öffentlich in Erscheinung tretender Generalist. Das Mitarbeiterverzeichnis des ''Meyer'' im Jahre 1877 führte 32 Autoren im Fach Geschichte namentlich auf. Alle waren promoviert, 14 davon Professoren.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;99, 101.</ref> An der Konzeption der 15.&nbsp;Auflage des ''Großen Brockhaus'' (zwanzig Bände, 1928–1935) waren 57 Personen beteiligt: 22 Redakteure, zehn Büroangestellte, fünf Mitarbeiter der Bildabteilung, 15 Sekretärinnen, drei Kontorburschen. Über tausend Autoren verfassten 200.000&nbsp;Artikel mit 42.000&nbsp;Abbildungen,<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;102.</ref> davon waren vierhundert gelegentliche und sechshundert regelmäßige Autoren. Der Verlag standardisierte Anschreiben, informierte die Autoren mit Rundschreiben und Merkblättern zu Rechtschreibfragen, Literaturangaben, Abkürzungen und Sonderzeichen. Man erhielt ein Bogenhonorar oder Pauschalbeträge nach Umfang. Weiterhin war die Anonymität vertraglich festgeschrieben.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''Der Lexikonverlag.'' In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt&nbsp;am&nbsp;Main 2007, S.&nbsp;441–462, hier S.&nbsp;455.</ref><br />
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Für das altertumswissenschaftliche Fachlexikon ''[[Wikipedia:Der Neue Pauly|Der Neue Pauly]]'' stellte ein Erfahrungsbericht 1998 fest, dass die Anzahl der Mitarbeiter sehr hoch gewesen sei – des großen Spezialisierungsdrucks wegen: „Es gibt zahlreiche von mehreren Autoren verfaßte 'Komposit-Artikel', da sich für übergreifende Themen oder 'Dachartikel' kaum noch 'Generalisten' finden lassen. Die Einheitlichkeit der Konzeption eines Artikels – um von dem Werk im ganzen zu schweigen – ist hierdurch gefährdet.“ Neunzehn Fachredaktionen erarbeiteten gemeinsam eine Gesamtlemmaliste und koordinierten die Kommunikation mit den über siebenhundert Autoren.<ref>Hubert Cancik, Matthias Kopp: „Der Neue Pauly“: EDV-gestützte Redaktion und Produktion einer Enzyklopädie. In: ''Historische Sozialforschung'' 23, Nr. 4 (86, 1998), S. 128–136, hier S. 129/130, 133.</ref><br />
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Die ''Wikipedia'' wird von Freiwilligen geschrieben und redigiert. Sie beteiligen sich aus Interesse an einem Thema oder aus Idealismus. Außerdem schließen sie sich einer Gemeinschaft an, in der sie Wertschätzung erhalten.<ref>Dan O’Sullivan: ''Wikipedia. A New Community of Practice?'' Ashgate. Farnham, Burlington 2009, S.&nbsp;86/87.</ref><ref>Daniela Pscheida: ''Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert.'' Transcript. Bielefeld 2010, S.&nbsp;342/343.</ref> Die ''Wikipedia''-Freiwilligen sind höhergebildet und etwa zur Hälfte unter dreißig Jahren alt.<ref>[[:Datei:WP 2011 Editor's Survey - Topline.pdf|WP 2011 Editor’s Survey – Topline]], abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
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==== Prominente Autoren ====<br />
Im 19.&nbsp;und 20.&nbsp;Jahrhundert kam es dazu, dass Enzyklopädien bekannte Wissenschaftler oder andere Prominente gewonnen haben. Berühmte Autoren der ''Encyclopaedia Britannica'' waren unter anderem der Schriftsteller [[Wikipedia:Walter Scott|Walter Scott]], der Bevölkerungswissenschaftler [[Wikipedia:Robert Malthus|Robert Malthus]] und der Wirtschaftswissenschaftler [[Wikipedia:David Ricardo|David Ricardo]].<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;35.</ref> Im deutschsprachigen Raum der 1970er-Jahre beispielsweise integrierte ''[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Meyers Konversations-Lexikon]]'' längere Beiträge von Prominenten. Einleitend schrieb der Wissenschaftstheoretiker [[Wikipedia:Jürgen Mittelstraß|Jürgen Mittelstraß]] „Vom Nutzen der Enzyklopädie“.<ref>Jürgen Mittelstraß: ''Vom Nutzen der Enzyklopädie''. In: ''Meyers Enzyklopädisches Lexikon''. Band&nbsp;1. Bibliographisches Institut. Mannheim / Wien / Zürich 1971, S.&nbsp;IX–XIX.</ref> Der ehemalige SPD-Bundesminister [[Wikipedia:Carlo Schmid|Carlo Schmid]] verfasste den Beitrag „Demokratie – die Chance, den Staat zu vermenschlichen“, und der ehemalige FDP-Bundeswirtschaftsminister [[Wikipedia:Hans Friedrichs|Hans Friedrichs]] schrieb über die „Weltwirtschaft“.<br />
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Zu einem Problem wird dies, wenn die Prominenten Teil des öffentlichen Diskurses über ihr Fach sind. Es fällt ihnen möglicherweise schwer, einen neutralen, überblickenden Standpunkt zu beziehen. In einem Erweiterungsband der ''Encyclopaedia Britannica'' (1926) schrieb [[Wikipedia:Leo Trotzki|Leo Trotzki]] den Artikel über [[Wikipedia:Lenin|Lenin]]. Der ehemalige Kriegskommissar Trotzki war Lenins enger Mitarbeiter gewesen,<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;52.</ref> und die Bezugnahme auf den bereits verstorbenen Lenin war ein wichtiges Instrument im politischen Streit zwischen Trotzki, [[Wikipedia:Stalin|Stalin]] und weiteren sowjetischen Politikern.<br />
<br />
==== Bezahlung ====<br />
Generell wurden die Mitarbeiter von Enzyklopädien eher schlecht bezahlt. William Smellie erhielt für die Arbeit an der ersten Ausgabe der ''Encyclopaedia Britannica'' die Summe von zweihundert Pfund. Für vier Jahre Teilzeitarbeit war dies weder großzügig noch armselig, so Jeff Loveland, aber im Vergleich weniger, als Diderot für die größere und langwierigere Arbeit an der ''Encyclopédie'' bekam.<ref>Frank A. Kafker, Jeff Loveland: William Smellie’s edition: a modest start. In: Frank A. Kafker, Jeff Loveland (Hrsg.): ''The Early Britannica (1768/1803)''. The Voltaire Foundation. Oxford 2009, S.&nbsp;11–68, hier S.&nbsp;15.</ref> Bei Chambers im 19.&nbsp;Jahrhundert lag das Jahresgehalt der Redakteure bei der unteren Grenze des Mittelstandes.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;102.</ref><br />
<br />
Im 20.&nbsp;Jahrhundert, berichtet Einbinder von der ''Encyclopaedia Britannica'', hätten sich viele Gelehrte gern beteiligt, konnten es sich aber nicht leisten, für so wenig Geld (zwei Cent pro Wort) zu schreiben. Das gelte besonders für die Geisteswissenschaften. Zwar sei die Mitarbeit aus Gründen des Prestiges sehr begehrt, doch viele hätten nur einen Artikel beitragen wollen.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;266, 270.</ref> Überhaupt bemängelte Einbinder einen vorrangig kommerziellen Charakter der ''Encyclopaedia Britannica'', bei der die Gutverdiener des Verlages die [[Wikipedia:Haustürgeschäft|Haustürverkäufer]] waren, und nicht etwa die Autoren.<ref name="Einbinder2">Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;267, 269, 304.</ref><br />
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=== Leser ===<br />
==== Bis zum 18.&nbsp;Jahrhundert ====<br />
[[Datei:Braille 1959 World Book Encyclopedia.jpg|mini|''World Book Encyclopedia'' von 1959 in einer [[Wikipedia:Brailleschrift|Braille]]-Version, 145 Bände]]<br />
Ein Text kann nur dann Leser finden, wenn Menschen des Lesens kundig sind, wenn sie Zeit zum Lesen haben und wenn sie sich den Lesestoff leisten können. Das hat den Kreis der möglichen Leser historisch stark eingeschränkt, noch davon abgesehen, ob die Menschen überhaupt Interesse am Inhalt hatten. Dennoch gab es Wege, die Barrieren zu überwinden: Texte wurden früher laut gelesen, so dass Leseunkundige mithören konnten, reiche Leute stellten ihre Bibliotheken einem größeren Kreis zur Verfügung, oder Gruppen von Menschen schafften sich gemeinsam Bücher an. Erst im 19.&nbsp;Jahrhundert weitete sich der Kreis in Europa wesentlich aus, dank staatlich geförderter Schulen und billigerer Bücher: Um 1900 konnten neunzig Prozent der Deutschen, Franzosen, Engländer und US-Amerikaner lesen. Andere Erdteile blieben zurück, in Russland war dazu nur ein Drittel der Männer in der Lage.<ref>Steven Roger Fischer: ''A History of Reading''. Reaktion Books, London 2003, S.&nbsp;297.</ref><br />
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[[Wikipedia:Gaius Plinius Secundus|Plinius]] schrieb die ''Naturalis historia'' für die Volksmassen, wie Bauern und Handwerker, so behauptete er es in der an den Kaiser gerichteten Widmung. Jedenfalls sei sie für jeden, der die Zeit aufbringe, zu lesen. Seine Aussage ist so zu interpretieren, dass er an diejenigen dachte, die ein einfaches Leben in der Natur führen, entsprechend den von ihm geschätzten römischen Tugenden. Insgesamt wollte er jedoch alle Bürger des Reiches ansprechen, so wie sein Werk das Reich universal beschrieb.<ref>Sorcha Cary: ''Pliny’s Catalogue of Culture. Art and Empire in the Natural History.'' Oxford University Press, New&nbsp;York&nbsp;2003, S.&nbsp;15/16.</ref><br />
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Auch die Verfasser von mittelalterlichen Enzyklopädien haben sich meist an einen offenen Leserkreis gerichtet, zumindest den Vorworten zufolge. Alle Leser sollten angesprochen sein, nicht gefiltert nach ihrem sozialen Status oder ihrem Bildungsgrad. In der Praxis jedoch ist beispielsweise das ''Elucidarium'' anscheinend fast nur von Geistlichen gelesen worden. Der ''Livre de Sidrac'' hingegen wurde nur von Adligen rezipiert, jedenfalls befand das Buch sich (den Besitzvermerken zufolge) nie in Klosterbibliotheken.<ref name="Luff2">Robert Luff: ''Wissensvermittlung im europäischen Mittelalter. „Imago mundi“-Werke und ihre Prologe.'' Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999, S.&nbsp;423/424.</ref> Einen sehr kleinen Adressatenkreis hatte der ''[[Wikipedia:Hortus Deliciarum|Hortus Deliciarum]]'': Die Äbtissin [[Wikipedia:Herrad von Landsberg|Herrad von Landsberg]] ließ ihn im 12.&nbsp;Jahrhundert nur für ihre Nonnen schreiben. Erst 350&nbsp;Jahre später wurde das reich illustrierte Werk außerhalb der Klostermauern bekannt.<ref name="Luff2" /><br />
<br />
Dennis de Coetlogon hat sich für seine ''Universal history'' (1745) wohl eine gehobene Leserschaft vorgestellt, mit Themen wie der [[Wikipedia:Falknerei|Falknerei]], die für Adlige gedacht waren. Über Handwerker, Diener und die niederen Stände schrieb De Coetlogon wiederholt despektierlich. Dennoch waren unter den Subskribenten nicht nur Kaufleute, Beamte und Geistliche, sondern auch einige Handwerker, die ungewöhnlich wohlhabend gewesen sein müssen.<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford&nbsp;2010, S.&nbsp;74/75.</ref><br />
<br />
Die große französische ''Encyclopédie'' wurde eher im städtischen als im ländlichen Frankreich gelesen, eher in alten Städten mit kirchlichen und staatlichen Bildungseinrichtungen als in den neuen Städten, in denen sich bereits Industrie ansiedelte. Die Leser gehörten zur Oberschicht, zu den Vertretern des kirchlichen und des adligen [[Wikipedia:Ständegesellschaft|Standes]]. Sie waren Beamte, Offiziere und nur selten Unternehmer. Spätere, billigere Ausgaben wurden zum Teil auch Besitz von Anwälten und Verwaltern in der Mittelschicht. Paradoxerweise erreichte dieses Werk des Fortschritts vor allem die Stände, die unter der [[Wikipedia:Französische Revolution|Revolution von 1789]] zu leiden hatten. Außer in Frankreich verkaufte sich die ''Encyclopédie'' (besonders in den späteren Auflagen) auch in den angrenzenden französischsprachigen Gebieten, Italien, den Niederlanden und Westdeutschland, weniger in London oder Kopenhagen, wenngleich einige ''sets'' sogar nach Afrika und Amerika kamen.<ref>Robert Darnton: ''The Business of Enlightenment. A Publishing History of the ''Encyclopédie'' 1775–1800.'' The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge (Mass.), London&nbsp;1979, S.&nbsp;525–528.</ref><br />
<br />
==== Seit dem 19.&nbsp;Jahrhundert ====<br />
Großenzyklopädien wie die von Brockhaus und Meyer im 19.&nbsp;Jahrhundert richteten sich an das Bildungs- und Besitzbürgertum; diese Schichten waren nicht zuletzt wegen der Kreditwürdigkeit bevorzugte Zielgruppen für die Haustürverkäufer. Beim 17-bändigen ''[[Wikipedia:Meyers Konversations-Lexikon|Meyers Konversations-Lexikon]]'' von 1893 bis 1897 waren von je hundert Käufern: 20 Verkehrsbeamte, 17 Kaufleute, 15 Militärs, 13 Lehrer, neun Baubeamte/Techniker, sechs Verwaltungsbeamte, fünf Gutsbesitzer, drei Justizbeamte, drei Künstler, drei Privatiers, zwei Wirte, 1,5 Ärzte, ebenfalls 1,5 Studenten und ein Rechtsanwalt.<ref>Georg Jäger: ''Der Lexikonverlag.'' In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;1: Das Kaiserreich 1870–1918. Teil 2. Saur, Frankfurt am Main 2001, S.&nbsp;541–575, hier S.&nbsp;552.</ref><br />
<br />
Noch 1913 meinte Albert Brockhaus: Wenn man von hundert Millionen Deutschsprachigen in Europa als möglichen Käufern ausgehe, müsse man bereits fünfzig Millionen Frauen und fünfundzwanzig Millionen Kinder abziehen. Damals setzten Brockhaus und Meyer zusammen gerade einmal dreißig- bis vierzigtausend Exemplare um. Doch schon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg richtete der Brockhaus-Verlag sich zunehmend an Frauen sowie die ärmere Bevölkerung und versuchte Begriffe verständlicher einzuführen. Konfessionell getrennte Darstellungen bei religiösen Stichwörtern kamen bei Katholiken gut an. Man konzipierte in den 1920er-Jahren auch Volksausgaben.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''Der Lexikonverlag.'' In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt am Main 2007, S.&nbsp;441–462, hier S.&nbsp;442/443, S.&nbsp;445.</ref> Die Auflage des ''Großen Brockhaus'' von 1928 bis 1935 wurde in erster Linie von Hochschullehrern gekauft, auf den nächsten Rängen folgten Apotheker, Rechtsanwälte, Studienräte, Ärzte, Volksschullehrer, Zahnärzte, Geistliche und Architekten, auf Platz zehn standen die Ingenieure.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''Der Lexikonverlag.'' In: ''Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20.&nbsp;Jahrhundert''. Band&nbsp;2: ''Die Weimarer Republik 1918–1933.'' Teil&nbsp;1. Saur, Frankfurt am Main 2007, S.&nbsp;461.</ref><br />
<br />
Für den ''Großen Brockhaus'' in den 1950er-Jahren galt, dass fast ein Drittel seiner Käufer Lehrer waren oder aus kaufmännischen Berufen stammte. [[Wikipedia:Bundespräsident (Deutschland)|Bundespräsident]] [[Wikipedia:Theodor Heuss|Theodor Heuss]] berichtete 1955, er habe den ''Großen Brockhaus'' in seinem Arbeitszimmer hinter sich, und neben sich auf dem Schreibtisch den kleinen.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim&nbsp;2005, S.&nbsp;246/247.</ref><br />
<br />
==== Besondere Zielgruppen ====<br />
Eine besondere Zielgruppe konnten Frauen sein, so bei den [[Wikipedia:Frauenzimmer-Lexicon|Frauenzimmerlexika]], wie das ''[[Wikipedia:Damen Conversations Lexikon|Damen Conversations Lexikon]]'' von 1834, die eine Tradition des 18.&nbsp;Jahrhunderts fortführten. Sie sollten nicht ermüdend Tatsachen aufzählen, sondern anschaulich und romantisch sein, ausführlich dort, wo die Themen die weibliche Sphäre berührten. Staat und Politik fehlten in ihnen völlig.<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;42.</ref> Auch entstanden ab dem frühen 19. Jahrhundert sogenannte [[Wikipedia:Hauslexikon|Hauslexika]], die sich speziell Themen der praktischen Lebensbereiche widmeten.<br />
<br />
Eigene Nachschlagewerke gab es auch für Kinder, wenngleich sie lange Zeit selten waren (rechnet man nicht eigentliche Lehrbücher hinzu). Vor dem 19.&nbsp;Jahrhundert war wohl die ''[[Wikipedia:Pera librorum juvenilium|Pera librorum juvenilium]]'' (Sammlung von Büchern für die Jugend, 1695) von [[Wikipedia:Johann Christoph Wagenseil|Johann Christoph Wagenseil]] das einzige Werk dieser Art. Dann brachte Larousse 1853 die ''Petite Encyclopédie du jeune âge'' heraus, aber die nächste erschien im Verlag erst 1957. [[Arthur Mee]] (1875–1943) brachte 1910/1912 eine moderne Kinderenzyklopädie auf Englisch heraus, die in Großbritannien ''The Children’s Encyclopaedia'' und in den USA ''The Book of Knowledge'' genannt wurde. Die reich bebilderten Artikel waren lebhaft geschrieben. Von großem Erfolg war auch die ''World Book Encyclopedia'' (seit 1917/1918). Der Erste Weltkrieg unterbrach die Planung für eine ''Britannica Junior'', sie erschien erst 1934. Der Britannica-Verlag kam dann noch mit mehreren Kinderenzyklopädien hervor.<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;271.</ref> ''Mein erster Brockhaus'' war in den 1950er-Jahren ein großer Publikumserfolg trotz relativ hohem Preis.<ref>[[Wikipedia:Thomas Keiderling|Thomas Keiderling]]: ''F.&nbsp;A.&nbsp;Brockhaus 1905–2005''. Brockhaus in der Wissensmedia. Leipzig/Mannheim 2005, S.&nbsp;252.</ref><br />
<br />
== Kritik ==<br />
=== Oberflächliches Wissen ===<br />
[[Datei:MeyersLex7Aufl.jpg|mini|hochkant|„Meyers Lexikon weiß alles“, Reklame um 1925]]<br />
Als Enzyklopädien nicht mehr als Lehrbücher, sondern als Nachschlagewerke verstanden wurden, wurde befürchtet, dass die Leser faul würden. Im Vorwort zur ''Deutschen Encyclopädie'' (1788) beispielsweise setzte man sich mit dem Gedanken auseinander, dass manche Enzyklopädien Unterricht ohne Mühe, ohne Grundlagenwissen versprächen.<ref>Jürgen Mittelstraß: ''Vom Nutzen der Enzyklopädie''. In: ''Meyers Enzyklopädisches Lexikon''. Band&nbsp;1. Bibliographisches Institut. Mannheim / Wien / Zürich 1971, S.&nbsp;IX–XIX, hier S.&nbsp;XVI.</ref> [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]] ließ im Lustspiel ''Die Vögel'' jemanden sagen: „Hier sind die großen Lexica, die großen Krambuden der Literatur, wo jeder einzelne sein Bedürfnis pfennigweise nach dem Alphabet abholen kann.“<ref>Zitiert nach Werner Lenz: ''Kleine Geschichte großer Lexika''. Bertelsmann Lexikon-Verlag, Gütersloh 1974, S.&nbsp;9.</ref><br />
<br />
Gerade die Befürworter einer systematischen Anordnung meinten, bei einer alphabetischen Anordnung könnte der Leser sich mit knappem, oberflächlichem Wissen zufriedengeben. Die Antwort der Lexikonmacher lautete, ihre Leser seien schon gebildet.<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;119.</ref><br />
<br />
1896 machte der Journalist [[Wikipedia:Alfred Dove|Alfred Dove]] sich über die Oberflächlichkeit lustig, die die Konversationslexika in die Konversation gebracht hätten. Dabei sei es unerheblich, ob man sich dem ''Brockhaus'' oder dem ''Meyer'' anvertraue, sie seien einander gleich an Charakter und Wert.<ref>Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;155–157.</ref><br />
<br />
Auf die Gläubigkeit gegenüber der gedruckten Autorität ging das kurze Theaterstück 'Der große Brockhaus' ein, das 1905 im Rahmen des 100.&nbsp;Jubiläums von Brockhaus’ Konversations-Lexikon aufgeführt wurde. Der Protagonist schreibt seine Rede über die Gasanstalt aus dem Brockhaus ab und übersieht dabei, dass er bereits aus dem anschließenden Artikel über das Gasthaus übernimmt. Den Zuhörern fällt der Irrtum nicht auf und er kann die Wahl zum Stadtrat dennoch für sich entscheiden. Danach gesteht er gegenüber dem Bürgermeister: „Kinder, was ist der große Brockhaus doch für ein herrliches Buch, sogar wenn man falsch aus ihm abschreibt, klingt’s doch noch richtig.“<ref>Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert''. Niemeyer, Tübingen 2000, S.&nbsp;311.</ref><br />
<br />
=== Mangelnde Aktualität ===<br />
<br />
Auch bei grundsätzlich für hochwertig angesehenen Produkten wurde die Kritik laut, dass der Inhalt veraltet sei. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt vor allem seit dem 17.&nbsp;Jahrhundert war dies an sich kaum vermeidbar. Wenn der letzte Band eines Großwerkes erschien, war der erste oft schon mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte alt. Überholte Darstellungen waren jedoch auch ein Versäumnis des Autors oder Herausgebers, der sich nicht um die neueste Fachliteratur bemüht hatte.<br />
<br />
So behauptete Dennis de Coetlogon in seiner ''[[Wikipedia:Universal history (1745)|Universal history]]'' von 1745 fälschlicherweise, die von ihm verwendeten astronomischen Tafeln seien aktuell. Das hatte zum Teil damit zu tun, dass er aus der ''Cyclopaedia'' von 1728 abschrieb. Unter „Agriculture and Botany“ meinte de Coetlogon, dass der Saft in Pflanzen zirkuliere, so wie das Blut in Tieren. Diese Ansicht war bereits im vorherigen Jahrzehnt durch [[Wikipedia:Stephen Hales|Stephen Hales]]' Experimente widerlegt worden.<ref>Jeff Loveland: ''An Alternative encyclopedia? Dennis de Coetlogon’s Universal history of arts and sciences (1745).'' Voltaire Foundation, Oxford 2010, S.&nbsp;183.</ref><br />
<br />
Ihrer eigenen Reklame zufolge war die ''Encyclopaedia Britannica'' stets sehr aktuell.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;73.</ref> Harvey Einbinder listete in den 1960er-Jahren jedoch zahlreiche Artikel auf, die seit sechs Jahrzehnten oder länger nicht oder kaum verändert wurden. Beispielsweise die Artikel über [[Wikipedia:Hesiod|Hesiod]] und [[Wikipedia:Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau|Mirabeau]] seien aus den Jahren 1875–1889. In der Ausgabe von 1958 hieß es noch, dass in der polnischen Stadt [[Wikipedia:Ternopil|Tarnopol]] 35.831&nbsp;Menschen leben, davon vierzig Prozent Juden.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;7, S.&nbsp;10.</ref> Um das Alter der Artikel zu verbergen, entfernte die ''Encyclopaedia Britannica'' die Initialen von Autoren, die bereits verstorben waren. Das Alter war aber zum Teil an den veralteten Literaturhinweisen erkennbar, etwa, wenn 1963 der Artikel „Punic War“ ([[Wikipedia:Punischer Krieg|Punischer Krieg]]) angeblich aktuelle Forschung vermeldete, dies sich aber auf Veröffentlichungen von 1901 und 1902 bezog.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;8, S.&nbsp;281.</ref><br />
<br />
Einbinder erklärte die veralteten Artikel damit, dass der Britannica-Verlag wesentlich mehr Geld für Reklame ausgab als für die Verbesserung des Inhalts. Selbst bei einer großzügigen Schätzung betrugen die Kosten für Beitragende um 1960 weniger als eine Million Dollar, der Werbe-Etat allein für die USA sah jedoch vier Millionen vor.<ref name="Einbinder2" /><br />
<br />
Paul Nemenyi schrieb über die Ausgabe von 1950, dass die naturwissenschaftlichen Artikel im Durchschnitt fünfzehn bis dreißig Jahre alt seien.<ref>Nach Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;70/71.</ref> Als Diana Hobby von der ''Houston Post'' 1960 die Kritik von Einbinder wiedergab, erhielt sie in der Folge vom Britannica-Verlag einen Brief, dass sie nur wegen ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer Unschuld eine so bösartige Kritik ernst nehmen könne.<ref>Nach Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;72.</ref><br />
<br />
Die Herausgeber von Enzyklopädien versuchten, die Aktualität mithilfe von Ergänzungsbänden aufrechtzuerhalten. 1753 erschienen beispielsweise zwei Ergänzungsbände (Supplements) für die 7. Auflage der ''Cyclopaedia''. Der ''Brockhaus'' kam dann für seine Auflage von 1851 bis 1855 mit einem Jahrbuch (1857–1864), das in monatlichen Stücken erschien.<ref>Robert L.&nbsp;Collison, Warren E. Preece: Encyclopaedias and Dictionaries. In: ''Encyclopaedia Britannica''. Band&nbsp;18. 15.&nbsp;Auflage, 1998, S.&nbsp;257–280, hier S.&nbsp;263.</ref> Als um das Jahr 2000 gedruckte Enzyklopädien seltener wurden, sind oftmals die Jahrbücher weiterhin erschienen, auch wenn das eigentliche Werk bereits sein Ende gefunden hat.<br />
<br />
Laut Umfrage von 1985 fanden Mitarbeiter von wissenschaftlichen Bibliotheken in den USA die Aktualität einer Enzyklopädie für ähnlich wichtig wie Aufbau und Zugänglichkeit, und nur noch die Zuverlässigkeit wichtiger. Als allgemeine, ungeschriebene Regel galt, dass man alle fünf Jahre eine neue Enzyklopädie anschaffen müsse. Viele Bibliotheken kauften etwa einmal im Jahr eine neue Enzyklopädie, so dass sie reihum einen relativ aktuellen Satz ''(set)'' der wichtigsten Enzyklopädien anbieten konnten. Eine Ausnahme war die ''Britannica'' in der umstrittenen Anordnung der frühen siebziger Jahre; bei einem Viertel der [[Wikipedia:Respondent|Respondent]]en war ihr ''set'' mindestens neun Jahre alt. Die Bibliothekare klagten nicht über die Aktualität, und es gab Hinweise, dass sie für neuere Informationen andere Werke oder die Zeitung empfahlen.<ref>Edgar C. Bailey Jr.: ''Acquisition and Use of General Encyclopedias in Small Academic Libraries.'' In: RQ 25, Nr. 2 (Winter 1985), S.&nbsp;218–222, hier S. 220/221.</ref><br />
<br />
Das Bewusstsein der zeitlichen Bedingtheit von Wissen führt auch zu Kritik an der visuellen Gestaltung von Wissensvermittlung. In literarischen und künstlerischen Bezügen auf das Format der Enzyklopädie im 20. Jahrhundert äußert sich diese Kritik der Literaturwissenschaftlerin [[Wikipedia:Monika Schmitz-Emans|Monika Schmitz-Emans]] zufolge in einer teilweisen [[Wikipedia:Emanzipation|Emanzipation]] vom üblichen Zweck von Wissensvermittlung durch Bilder und Texte.<ref>{{Literatur |Autor=Monika Schmitz-Emans |Titel=Enzyklopädische Phantasien |TitelErg=Wissensvermittelnde Darstellungsformen in der Literatur – Fallstudien und [[Wikipedia:Poetik|Poetik]]en |Reihe=Literatur – Wissen – Poetik |BandReihe=8 |HrsgReihe=Monika Schmitz-Emans |Verlag=Georg Olms Verlag |Ort=Hildesheim / Zürich / New York |Datum=2019 |ISBN=978-3-487-15640-8 |Kapitel=O – Orbis-Pictus: Illustrierte Wissenskompendien und Visuelle Literatur |Seiten=302 |Online={{Google Buch|BuchID = qXiaDwAAQBAJ|Seite=302}}}}</ref><br />
<br />
=== Zielgruppen und Statussymbol ===<br />
Zwar haben Enzyklopädien normalerweise den Anspruch, allgemeinverständlich auch für Laien zu sein, können ihn aber gerade bei naturwissenschaftlichen Themen nicht immer einhalten. Spezialisten neigen dazu, in ihren Artikeln zu sehr ins Detail zu gehen, anstatt die allgemeinen Aspekte darzustellen.<ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;151/152, 245, 249.</ref> So berichtete Robert Collison in den 1960er-Jahren von einem Techniker, dem anhand von wohlausgewählten Beispieltexten eine Großenzyklopädie aufgeschwatzt wurde. Sie erwies sich aber als zu schwierig für sein intellektuelles Niveau, so dass er sie bald wieder mit Verlust verkaufte.<ref name="Collison4">Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350 B.&nbsp;C. to the present day''. 2.&nbsp;Auflage, Hafner, New York 1966, S.&nbsp;9.</ref><br />
<br />
Die Reklame für die ''Encyclopaedia Britannica'' verwendete gegenüber Eltern gern das Verkaufsargument, mit dieser Enzyklopädie könne man das Bildungsniveau der Kinder erhöhen und ihnen bessere Chancen im Vergleich zu anderen Kindern geben. Allerdings wurde die Enzyklopädie nicht für Kinder, sondern für Erwachsene geschrieben.<ref name="Collison4" /><ref>Harvey Einbinder: ''The Myth of the Britannica''. MacGibbon & Kee, London 1964. Reprint: Johnson Reprint Corporation, New York, London 1972, S.&nbsp;319–322.</ref> Collisons Vermutung, dass die meisten Kinder (und Erwachsenen) ihre für viel Geld erworbene Enzyklopädie gar nicht verwenden,<ref name="Collison4" /> wurde von Untersuchungen des Britannica-Verlags bestätigt. Der durchschnittliche Käufer hat weniger als einmal pro Jahr in seine ''Encyclopaedia Britannica'' geschaut.<ref>Shane Greenstein, Michelle Devereux: {{Webarchiv |url=http://www.kellogg.northwestern.edu/faculty/greenstein/images/htm/Research/Cases/EncyclopaediaBritannica.pdf |text=''The Crisis at Encyclopaedia Britannica''. |wayback=20130313000034}} (PDF; 462&nbsp;kB), Kellogg School of Management, S.&nbsp;3. Abgerufen am 20. Juni 2011.</ref><br />
<br />
Dementsprechend wurde von den Kritikern auch wiederholt die Frage gestellt, ob Großenzyklopädien nicht ein „kostspieliger Luxus“<ref name="Hingst1">Anja zum Hingst: ''Die Geschichte des Großen Brockhaus. Vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie.'' Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1995, S.&nbsp;172.</ref> (Anja zum Hingst) sind, mehr ein Statussymbol für kaufkräftige Schichten als ein Instrument zur persönlichen Bildung. Betrachtet man nur die echten (gebundenen) Großenzyklopädien mit mindestens zehn Bänden, nicht älter als zwanzig Jahre, so gab es diese in den 1980er-Jahren allenfalls in fünf bis acht Prozent der Haushalte.<ref name="Hingst1" /> Den Verdacht des Statussymbols schürten nicht zuletzt die Luxus-, Jubiläums- und Künstlerausgaben, die noch einmal deutlich teurer waren als die normalen, die bereits hochwertig gebunden und auf gutem Papier gedruckt waren.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<!-- Collison ist eine gute Gesamtdarstellung und sollte trotz ihres Alters stehenbleiben. --><br />
* Robert Collison: ''Encyclopaedias. Their history throughout the ages. A bibliographical guide with extensive historical notes to the general encyclopaedias issued throughout the world from 350&nbsp;B.&nbsp;C. to the present day.'' 2.&nbsp;Auflage. Hafner, New York 1966, {{OCLC|220101699}}.<br />
* Ulrich Dierse: ''Enzyklopädie. Zur Geschichte eines philosophischen und wissenschaftstheoretischen Begriffs.'' Bouvier, Bonn 1977, ISBN 3-416-01350-6.<br />
* [[Wikipedia:Walter Goetz|Walter Goetz]]: ''Die Enzyklopädie des 13. Jahrhunderts.'' In: ''Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte.'' Band 2, 1936, S. 227–250.<br />
* Ulrike Haß (Hrsg.): ''Große Lexika und Wörterbücher Europas. Europäische Enzyklopädien und Wörterbücher in historischen Porträts.'' De Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-019363-3.<br />
* Hans Dieter Hellige: ''Weltbibliothek, Universalenzyklopädie, Worldbrain. Zur Säkulardebatte über die Organisation des Weltwissens.'' In: ''Technikgeschichte.'' Band 67, Heft 4, 2000, S. 303–329.<br />
* [[Wikipedia:Hans-Albrecht Koch|Hans-Albrecht Koch]] (Hrsg.): ''Ältere Konversationslexika und Fachenzyklopädien: Beiträge zur Geschichte von Wissensüberlieferung und Mentalitätsbildung.'' (= ''Beiträge zur Text-, Überlieferungs- und Bildungsgeschichte.'' Band 1). Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2013, ISBN 978-3-631-62341-1.<br />
* Werner Lenz: ''Kleine Geschichte großer Lexika.'' Bertelsmann-Lexikon-Verlag, Gütersloh u. a. 1972, ISBN 3-570-03158-6.<br />
* Ines Prodöhl: ''Die Politik des Wissens. Allgemeine deutsche Enzyklopädien zwischen 1928 und 1956.'' Akademie-Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-05-004661-7.<br />
* [[Wikipedia:Ulrich Johannes Schneider|Ulrich Johannes Schneider]] (Hrsg.): ''Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit.'' Primus, Darmstadt 2006, ISBN 3-89678-560-5.<br />
* Ulrich Johannes Schneider: ''Die Erfindung des allgemeinen Wissens. Enzyklopädisches Schreiben im Zeitalter der Aufklärung.'' Akademie-Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-05-005780-4.<br />
* Ulrike Spree: ''Das Streben nach Wissen. Eine vergleichende Gattungsgeschichte der populären Enzyklopädie in Deutschland und Großbritannien im 19.&nbsp;Jahrhundert.'' Niemeyer, Tübingen 2000, ISBN 3-484-63024-8.<br />
* Theo Stammen, Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.): ''Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien.'' Akademie-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-05-003776-8.<br />
* Ingrid Tomkowiak (Hrsg.): ''Populäre Enzyklopädien. Von der Auswahl, Ordnung und Vermittlung des Wissens.'' Chronos, Zürich 2002, ISBN 978-3-0340-0550-0.<br />
* Bernhardt Wendt: ''Idee und Entwicklungsgeschichte der enzyklopädischen Literatur. Eine literarisch-bibliographische Studie'' (= ''Das Buch im Kulturleben der Völker.'' Band 2). Aumühle, Würzburg 1941.<br />
* Carsten Zelle (Hrsg.): ''Enzyklopädien, Lexika und Wörterbücher im 18. Jahrhundert'' (= ''Das achtzehnte Jahrhundert.'' 22. Jahrgang, Heft 1). Wallstein, Göttingen 1998, ISBN 3-89244-286-X.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Commonscat|Encyclopedias|Enzyklopädien}}<br />
{{Wikisource|Enzyklopädien und Lexika|Digitalisierte Enzyklopädien im Internet|suffix=-}}<br />
{{Wikiquote}}<br />
* [http://enzyklopaedie.uni-trier.de/ N-Zyklop] – Datenbankverzeichnis<br />
* [http://www.enzyklopaedie.ch/ Enzyklopaedie.ch] – Forschungsprojekt mit einer Liste von historischen Enzyklopädien<br />
* [http://www.enzyklothek.de/ ''Enzyklothek. Historische Nachschlagewerke''] – Digital library (private Seite)<br />
* {{Webarchiv |url=https://netfiles.uiuc.edu/cdwright/www/encyclop.html |text=Medieval Encyclopedias, Bestiaries, and Lapidaries (Medieval Studies) |wayback=20100612235929}}<br />
* {{DNB-Portal|4014986-9|Enzyklopädien}}<br />
<br />
== Belege ==<br />
<br />
<references responsive /><br />
<br />
{{Gesprochener Artikel<br />
|artikel = Enzyklopädie<br />
|dateiname = De-Enzyklopädie Teil 1 von 2-article.ogg<br />
|inhalt = Begriff, Geschichte, Fachenzyklopädien, Aufbau und Ordnung, Inhaltliche Aspekte.<br />
|dauer = 94:31<br />
|größe = 45,2 MB<br />
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|artikeldatum2= 2013-08-19<br />
}}<br />
<br />
{{Exzellent|15. Januar 2013|112904142}}<!-- Wiederwahl --><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4014986-9}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Enzyklopadie}}<br />
[[Kategorie:Lexikon oder Enzyklopädie| Enzyklopadie]]<br />
[[Kategorie:Werktyp (wissenschaftliche Literatur)]]<br />
[[Kategorie:Buchart (Nachschlagewerk)]]{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Ich&diff=46174
Ich
2024-03-09T08:27:10Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div><!--{{Redundanztext|[[Benutzer:W!B:|W!B:]] 16:44, 6. Jan. 2007 (CET)|Januar 2007|Ich|Ego}} --><br />
'''Ich''' ist ein meist in der [[Wikipedia:wörtliche Rede|wörtlichen Rede]] gebräuchliches [[Wikipedia:Personalpronomen|Personalpronomen]], mit dem die aussagende Person auf sich selbst verweist. [[Wikipedia:Sprachwissenschaft|Linguistisch]] ist das Ich in den Begriff der [[Wikipedia:Deixis|Deixis]] ''(Hier-Jetzt-Ich-Origo)'' eingebunden. Auch werden das [[Wikipedia:Selbst|Selbst]], das [[Selbstbewusstsein|Selbstbewusstsein]] als aktiver Träger des Denkens oder [[Wikipedia:Handeln|Handeln]]s und das [[Wikipedia:Selbstbild|Selbstbild]] als Ich bezeichnet. Wissenschaftlich wird die lateinische Entsprechung ''Ego'' oft synonym verwendet, gelegentlich werden mit Ich und Ego aber auch zu unterscheidende Aspekte des Selbsts benannt. Als solches kann es als [[Wikipedia:Terminus|Fachterminus]] in verschiedenen Theorien der Psychologie, Theologie und Soziologie, aber auch in Religion und Esoterik auftreten. Im [[Wikipedia:Strukturmodell der Psyche|Strukturmodell]] der [[Wikipedia:Psychoanalyse|Psychoanalyse]] bezeichnet das [[Wikipedia:Strukturmodell der Psyche#Das Ich|Ich]] eine der drei [[Wikipedia:Psychodynamik#Psychische Instanzen|psychischen Instanzen]].<br />
<br />
==Philosophie==<br />
{{Hauptartikel|Subjekt (Philosophie)}}<br />
Das Ich spielt spätestens seit [[Wikipedia:René Descartes|René Descartes]] berühmtem ''[[Wikipedia:cogito, ergo sum|cogito, ergo sum]]'' (aus dem lat.: ich denke, also bin ich) eine herausgehobene Rolle in der Philosophie des Abendlandes. Descartes erhob die Existenz des Ich als ein [[Wikipedia:Subjekt (Philosophie)#Descartes|Subjekt]] von Gedanken zur einzig zweifelsfreien Grundlage philosophischen Denkens und jeglichen [[Wikipedia:Wissen|Wissen]]s überhaupt. Das Ich wurde damit zum Ausgangspunkt einer Philosophie der [[Wikipedia:Subjektivität|Subjektivität]], die sich von der [[Wikipedia:Aufklärung|Aufklärung]] bis in die Moderne hält ([[Wikipedia:Solipsismus|Solipsismus]]). Die [[Wikipedia:Rationale Psychologie|Rationale Psychologie]] verstand die Gewissheit der Existenz des Ich als Subjekt der Gedanken als Nachweis der Existenz einer immateriellen [[Seele|Seele]]. Im [[Wikipedia:Deutscher Idealismus|Deutschen Idealismus]] wurden Ich und Nicht-Ich bei [[Wikipedia:Johann Gottlieb Fichte|Johann Gottlieb Fichte]] sogar Prinzipien einer metaphysischen [[Wikipedia:Letztbegründung|Letztbegründung]] der Welt. Die Moderne betrachtet die Bedingungsverhältnisse zwischen Ich und Welt sowohl in [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischer]] wie in [[Wikipedia:Metaphysik|metaphysischer]] Hinsicht differenzierter.<br />
<br />
[[Wikipedia:Hans-Georg Gadamer|Hans-Georg Gadamer]] sieht eine grundsätzliche Auseinandersetzung bereits beim Kleinkind, das zum ersten Mal im Leben das Wort „Ich“ verwendet: „Wenn ein Kind zum erstenmal ''Ich'' sagt. Was ist da passiert? Ist es nicht mehr Ich, dass es ''Ich'' sagen kann? […] Das ist das Urteil. Das ist das Geheimnis des Seins, dass es so etwas, wie ein Selbstbewusstsein gibt, das nicht den Charakter von ''Hier ist das denkende Ich und dort ist das, worüber ich denke als etwas Anderes'' … [trägt] …. Sondern hier ist das Ich mit sich selber sozusagen identisch.“<ref>''Gadamer erzählt die Geschichte der Philosophie 4/6'' (2000) [https://www.youtube.com/watch?v=ePvk6lDas0U youtube.com] Gadamer zum deutschen Idealismus ab min. 4:55 bei ''Youtube''.</ref> Gadamer zufolge zeigt sich mit dem Ich „die Lebensbewegung des Seins selber“. [[Wikipedia:Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus|Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus]] formuliere, was [[Wikipedia:Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]] im deutschen Idealismus am besten gezeigt habe, dass „die Ichheit in der Natur selber sich als der Schlüssel für alle Naturerscheinungen denken lässt“.<ref>''Gadamer erzählt die Geschichte der Philosophie 4/6'' (2000) [https://www.youtube.com/watch?v=ePvk6lDas0U youtube.com] Gadamer zum deutschen Idealismus ab min. 11:07.</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Ansgar Beckermann|Ansgar Beckermann]] argumentiert unter dem Titel ''"Es gibt kein Ich, doch es gibt mich"'', dass schon grammatikalisch „das Ich“ (ebenso wie „das Selbst“) nicht korrekt ist. Beides seien keine Substantive und somit keine [[Wikipedia:Entität|Entität]]en. Das Wort „ich“ ist „''ein [[Wikipedia:indexikalischer Ausdruck|indexikalischer Ausdruck]], der jeweils die Person bezeichnet, die diesen Ausdruck äußert“''.<ref>''Gehirn, Ich, Freiheit. Naturwissenschaften und Menschenbild.'' mentis, Paderborn 2008; 2., überarbeitete Auflage 2010, ISBN 978-3-89785-619-6, S. 54 f., Zitat S. 62. </ref><br />
<br />
==Psychologie==<br />
===Neuronale Grundlagen===<br />
[[Wikipedia:V. S. Ramachandran|V. S. Ramachandran]] machte 2009 mehrfach den Vorschlag, dass die neuronale Repräsentation der Selbstwahrnehmung analog der Repräsentation der Fremdwahrnehmung sein könne. So wie das Verhalten anderer Lebewesen neuronal präsentiert werde, so könne auch das eigene Verhalten neuronal präsentiert werden. Ausgelöst wurde der Vorschlag u.&nbsp;a. durch die Entdeckung der [[Wikipedia:Spiegelneuron|Spiegelneuron]]en. Diese reagieren bei der Beobachtung von Aktionen, z.&nbsp;B. eines Fußtritts, genauso wie bei der Selbstausführung der Aktion. Ramachandran hielt es für plausibel, dass sich die neuronalen Mechanismen von Fremd- und Selbstrepräsentation während der Evolution parallel entwickelten.<ref>L. Oberman, V. S. Ramachandran: ''Reflections on the Mirror Neuron System: Their Evolutionary Functions Beyond Motor Representation.'' In: J. A. Pineda (Hrsg.): ''Mirror Neuron Systems: The Role of Mirroring Processes in Social Cognition.'' Humana Press, 2009, ISBN 978-1-934115-34-3, S. 39–62.</ref><ref>V. S. Ramachandran: ''Self Awareness: The Last Frontier.'' Edge Foundation web Essay, 1. Januar, 2009 [http://www.edge.org/3rd_culture/rama08/rama08_index.html abgegriffen August 06, 2014].</ref><br />
<br />
===Nicht-menschliches Selbstbewusstsein===<br />
{{Hauptartikel|Bewusstsein#Bewusstsein bei Tieren|titel1=„Bewusstsein bei Tieren“ im Artikel Bewusstsein}}<br />
Allgemein geht man davon aus, dass nur der [[Mensch]] sich seines Ichs bewusst sei ([[Selbstbewusstsein|Selbstbewusstsein]]). Bestimmte Traditionen betrachten dies als Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und [[Tier]]. Einige wissenschaftliche Studien deuten an, dass auch diverse [[Wikipedia:Affen|Affen]]arten, [[Wikipedia:Delfine|Delfine]], [[Wikipedia:Elefant|Elefant]]en und [[Wikipedia:Elster|Elster]]n ein Bewusstsein über sich selbst besitzen. Hier wird unter anderem angeführt, dass sich Exemplare dieser Tierarten im Spiegel selbst erkennen.<ref>[http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,445479,00.html ''Ich-Bewusstsein: Elefanten erkennen sich im Spiegel.''] In: ''Spiegel online.'' 31. Oktober 2006.</ref> Die Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen und den sogenannten [[Wikipedia:Spiegeltest|Spiegeltest]] zu bestehen, entwickelt sich beim Menschen in der Regel im ersten oder zweiten Lebensjahr.<br />
<br />
==Klassische Psychoanalyse==<br />
Eine spezielle Ausrichtung erfuhr der Begriff in der [[Wikipedia:Psychoanalyse|Psychoanalyse]] [[Wikipedia:Sigmund Freud|Sigmund Freud]]s. Seinem [[Wikipedia:Strukturmodell der Psyche|Strukturmodell der Psyche]] zufolge ist die menschliche [[Wikipedia:Psyche|Psyche]] in drei Instanzen geteilt:<br />
<br />
*Das ''[[Wikipedia:Strukturmodell der Psyche#Das Es|Es]]'' oder ''Id'', der vegetative Teil der Psyche, der stets im Unbewussten verbleibt und die grundlegenden [[Wikipedia:Instinkt|Instinkt]]e und [[Wikipedia:Triebtheorie|Triebe]] des Menschen umfasst.<br />
*Das ''[[Wikipedia:Über-Ich|Über-Ich]]'' oder ''Super-Ego'', das die Funktion des [[Wikipedia:Gewissen|Gewissen]]s einnimmt und das Ich leitet (vgl. [[Ich-Ideal]]). Es wird von Freud als das Überbleibsel der elterlichen [[Wikipedia:Autorität|Autorität]] in der Kindheit angesehen.<br />
*Das ''[[Wikipedia:Strukturmodell der Psyche#Das Ich|Ich]]'' oder ''Ego'', mit dem Freud das bewusst Erfahrende bezeichnet. Dieses Ich wird sowohl vom Über-Ich als auch vom Es beeinflusst und vermittelt zwischen diesen beiden Instanzen.<br />
<br />
Dem Ich wird in der Weiterentwicklung der Psychoanalyse, der [[Wikipedia:Ich-Psychologie|Ich-Psychologie]], eine besondere Bedeutung bei der Genese psychischer Krankheiten zugesprochen. Besonders [[Wikipedia:Anna Freud|Anna Freud]] und [[Wikipedia:Heinz Hartmann (Mediziner)|Heinz Hartmann]] haben das Ich als Instanz genauer differenziert. Hierbei sind besonders die [[Wikipedia:Abwehrmechanismus|Abwehrmechanismen]] und die Ich-Funktionen zu nennen. Die von Anna Freud beschriebenen und vielfach weiterentwickelten Abwehrmechanismen beschreiben die Fähigkeit des Ichs, unangenehme Gefühle und Gedanken auf verschiedene Weise abzuwehren, so dass sie dem Bewusstsein nicht mehr direkt zugänglich sind.<br />
<br />
Hartmann, der als eigentlicher Begründer der Ich-Psychologie gilt, hat insbesondere die Funktionen des Ichs hervorgehoben und die Entwicklung des Ichs beschrieben. Die Funktionen des Ichs entwickeln sich hauptsächlich in der Abwesenheit von Konflikten, der sogenannten konfliktfreien Ich-Sphäre.<ref name="Mertens">W. Mertens: ''Einführung in die psychoanalytische Therapie.'' Band 1, Kohlhammer, Stuttgart 2000.</ref><br />
<br />
Heute können unzählige verschiedene Ich-Funktionen unterschieden werden, von denen [[Wikipedia:Wolfgang Mertens|Wolfgang Mertens]] (in Anlehnung an Bellak und Meyers) einige benennt:<ref name="Mertens" /><br />
<br />
*[[Wikipedia:Realität|Realität]]s&shy;prüfung<br />
*Urteilen<br />
*Realitätssinn<br />
*Regulation von [[Wikipedia:Triebtheorie|Trieb]] und [[Wikipedia:Affekt|Affekt]]<br />
*Objektbeziehungen<br />
*[[Denken]]<br />
*adaptive [[Wikipedia:Regression (Psychoanalyse)|Regression]] im Dienste des Ichs<br />
*Abwehr<br />
*[[Wikipedia:Stimulus|Stimulus]]&shy;schranke<br />
*[[Wikipedia:Autonomie|Autonomie]]<br />
*synthetische Funktionen<br />
*Bewältigungskompetenzen (oder [[Wikipedia:Copingstrategie|Copingstrategie]])<br />
<br />
==Soziologie==<br />
===Symbolischer Interaktionismus===<br />
Einen großen Stellenwert nahm das Ich in der in den USA entwickelten [[Wikipedia:Mikrosoziologie|mikrosoziologischen]] Theorie des [[Wikipedia:Symbolischer Interaktionismus|Symbolischen Interaktionismus]] ein. Diese Theorie ging von der philosophischen Richtung des [[Wikipedia:Pragmatismus|Pragmatismus]] aus, die den Menschen als ein aktives Wesen bezeichnet, das sich seine Welt mittels Interaktion mit ihr selbst [[Wikipedia:Konstruktivismus (Philosophie)|konstruiere]]. Mit anderen Worten: Ohne das Individuum existiere die Welt nicht.<br />
<br />
Im Symbolischen Interaktionismus sind die Theorien von [[Wikipedia:Charles Cooley|Charles Cooley]], [[Wikipedia:George Herbert Mead|George Herbert Mead]] und [[Wikipedia:Erving Goffman|Erving Goffman]] richtungsweisend.<br />
<br />
Charles Cooley war der erste, der sich mit dem Ich im Rahmen dieser Theorie beschäftigte. Für ihn entsteht das Selbst, bzw. das Ich, einzig und allein in der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Sein Modell wird auch ''[[Wikipedia:Looking-glass self|Looking-glass self]]'' (etwa „Spiegel-Ich“) genannt, da sich das Individuum seiner Theorie zufolge nach der Weise definiert, wie es von anderen Menschen wahrgenommen wird.<br />
<br />
George Herbert Mead ging von einer ähnlichen Theorie aus. Nach [[Wikipedia:William James|William James]] gibt es jedoch zwei Dimensionen des Ich, das I und das ME. Das ME entspricht in etwa dem Spiegel-Ich Cooleys, es besteht aus der Reflexion mit dem Umweg über die Gesellschaft, in Form von Normen und Regeln. Das I jedoch ist eine autonome, unvorhersehbare, individuelle Dimension des Ich. Dieses I als Prozess, der auf das Me schaut, entspricht am ehesten dem Verständnis des Ichs von Jane Loevinger. Diese hat in ihrem Modell der [[Wikipedia:Ich-Entwicklung|Ich-Entwicklung]] erforscht, wie sich das Ich in verschiedenen Stufen der persönlichen Reife entwickelt. Hier befindet sich laut Mead die menschliche Kreativität. I und ME befinden sich in einer permanenten Interaktion untereinander.<br />
<br />
[[Wikipedia:Erving Goffman|Erving Goffman]] sieht das Ich dagegen in seinem sogenannten ''Dramaturgischen Modell'' als eine Art Schauspieler an, das in verschiedenen Situationen verschiedene Formen annimmt. Laut Goffmann ist es unmöglich, das Ich einer Person wirklich zu definieren, da dieses Ich auch in der Selbstreflexion verschiedene Rollen annehmen kann.<br />
<br />
==Gesprächsanalyse==<br />
Ob und wann das „Ich“ ersetzt wird (etwa durch „man“ oder „wir“), und wieweit dies mit Unsicherheit und Selbstwertgefühl zu tun hat, kann in der Gesprächsanalyse, etwa in der Psychologie oder der Soziologie untersucht werden. Einige Sprecher verwenden so anstelle des [[Wikipedia:Personalpronomen|Personalpronomen]]s „ich“ das [[Wikipedia:Indefinitpronomen|Indefinitpronomen]] „man“, um die eigene Situation zu verallgemeinern, zum Beispiel bei regelmäßigen Abläufen. „Man steht spät auf, isst Mittag und ist schon wieder müde.“ In umgangssprachlichen und Songtexten fällt das „Ich“ oft mit dem „Du“ zusammen. Auf diese Weise werden Weisheiten oder Pseudoweisheiten als Argumente inszeniert. Manche inszenieren sich in Gesprächssituationen soweit, dass ein theatralisches „Er“ / „Sie“ als Ersatz gewählt wird. Bis hin zum inzwischen akzeptierten „Meinereiner“ ist jedes Singularpronomen, inklusive der Pseudopluralformen ''Majestatis'' und ''Modestiae'',<ref>Für das Schriftsprachliche ist zu den Pseudopluralen ''Majestatis'' und ''Modestiae'' noch der ''Pluralis Auctoris'' zu erwähnen.</ref> geeignet, als Ersatz für das Wort „Ich“ gewählt zu werden. Das Verstehen gewährleisten Gesprächskontext, Gestik und Mimik, [[Wikipedia:Intonation (Sprachwissenschaft)|Intonation]] usw. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang besonders die [[Wikipedia:Appell (Kommunikation)|Appellfunktion]], die bei [[Wikipedia:Karl Bühler|Karl Bühler]] eine der Grundfunktionen der [[Wikipedia:Performanz (Linguistik)|Performanz]] ist.<br />
<br />
==Spiritueller Bereich==<br />
Das Transzendieren, die bewusste Klärung von Ich (''Ego'') und Selbst, ist das Hauptthema und Ziel im [[Wikipedia:Hinduismus|Hinduismus]] und im [[Wikipedia:Buddhismus|Buddhismus]]. Der Schüler (Chela) eines geistigen Weges im Hinduismus (z.&nbsp;B. [[Yoga]]) erkennt, dass sein Ich sich im „inneren Selbst“ (dem ''[[Wikipedia:Atman|Atman]]'') auflöst und damit die Einheit mit dem Göttlichen ([[Wikipedia:Brahman (Philosophie)|Brahman]]) als Selbsterkenntnis stattfindet. Diese Befreiung wird [[Wikipedia:Moksha|Moksha]] genannt, im Westen häufig mit [[Wikipedia:Erleuchtung|Erleuchtung]] übersetzt. Im Buddhismus hingegen wird die Existenz einer Seele und von etwas Göttlichem verneint (vgl. [[Wikipedia:Anatta|Anatta]]), alle Phänomene sind letztendlich [[Wikipedia:Shunyata|Leerheit]], und der Weg ist lediglich ein Erwachen zur Erkenntnis der Realität.<br />
<br />
Dieses Erlebnis wird im Hinduismus [[Wikipedia:Samadhi|Samadhi]] genannt, im [[Wikipedia:Buddhismus in Japan|japanischen Buddhismus]] [[Wikipedia:Satori|Satori]]. Alle Yogapraxis ([[Wikipedia:Jnana-Yoga|Jnana-Yoga]], [[Wikipedia:Raja-Yoga|Raja-Yoga]]) dient nur dazu, diese Täuschung einer eigenen separierten Existenz des Ichs (Egos) zu überwinden. Es gibt in der Erfahrung des eigenen Selbst das Lichterlebnis des ''Einen ohne ein Zweites'' (Erleuchtungserlebnis).<br />
<br />
Das Ich (Ego) gibt seine Täuschungsexistenz auf und wird eins mit dem Ganzen (mit dem spirituellen Licht des ewigen Lebens). Tatsächlich „wird“ es nicht eins: Da das Ich (Ego) tatsächlich nie existiert hat, wird diese Einheit nach dem Loslassen von der Täuschung eines „Ichs“ als allumfassende Glückseligkeit im ewigen Licht erlebt.<br />
<br />
Im ursprünglichen ([[Wikipedia:Theravada|Theravada]]) Buddhismus existiert dieses spontane Erleuchtungserlebnis zwar auch, wird aber letztlich als Täuschung bzw. ohne bleibenden Wert begriffen. Das „kleine Tor“ ([[Wikipedia:Lankavatara-Sutra|Lankavatara-Sutra]]) des Erleuchtungserlebnisses ist dort lediglich ein erster Kontakt mit dem durch Übung zu beschreitenden Weg und kein erstrebenswerter Zustand (vgl. [[Wikipedia:Arhat|Arhat]]).<br />
<br />
In der Lehre der [[Wikipedia:Sufismus|Sufis]] ([[Wikipedia:islam|islam]]ische Mystiker) existieren sieben verschiedene Stufen des Selbst ([[Wikipedia:Arabische Sprache|arabisch]]: ''[[Wikipedia:nafs|nafs]]''), die unterste ist ''an-nafs al-ammara'', das ''niedere Selbst'', die höchste ''an-nafs al-safiya'', das ''reine Ich''. Dazwischen liegen die Stationen der Gottessuchenden auf dem Weg zur [[Wikipedia:Gott|göttlichen]] Einheit ([[Wikipedia:tauhid|tauhid]]).<br />
<br />
== Anthroposophie und Anthroposophische Medizin ==<br />
In der [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposophie]] und [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]] wird das Ich als ein Glied des menschlichen Wesens aufgefasst (siehe auch [[Viergliederung (Anthroposophische Medizin)|Viergliederung]]). Dieses hat seelische und leibliche Auswirkungen. Letztere werden auch [[Ich-Organisation]] genannt.<br />
<br />
==Trivia==<br />
[[Datei:ich denkmal.jpg|mini|„Ich“-Denkmal]]<br />
<br />
Am südlichen Mainufer in Frankfurt steht das [[Wikipedia:Ich-Denkmal|Ich-Denkmal]], das von [[Wikipedia:Hans Traxler|Hans Traxler]] entworfen und am 24. März 2005 eingeweiht wurde. Auf einer Tafel hat Traxler seine Idee illustriert, dass den Denkmalsockel jeder benutzen kann, um sich darauf fotografieren zu lassen, und als Kommentar hinzugefügt: „Jeder Mensch ist einzigartig. Das gilt natürlich auch für alle Tiere.“<br />
<br />
Im Garten des Museums Haus Esters in Krefeld steht die Neonskulptur ''ICHS'' des Künstlers [[Wikipedia:Ludger Gerdes|Ludger Gerdes]] (1954–2008).<ref>[http://kultur-in-krefeld.de/kulturhistorie/oeffentlicher-raum/ludger-gerdes/ ''ICHS'', Neon-Stück, Museum Haus Esters, Krefeld 1989].</ref><br />
<br />
Das Wort ''ich'' scheint in Sprichwörtern und Redewendungen keine bedeutende Rolle zu spielen. Wo man für andere Worte in Wanders ''[[Wikipedia:Deutsches Sprichwörter-Lexikon|Deutsches Sprichwörter-Lexikon]]'' mehrere hundert Sprichwörter und Redewendungen findet, so hat Wander für das Wörtchen ''ich'' nur 26 im deutschen Sprachraum gefunden (So zum Beispiel: ''Ich und der Esel sind zusammen die Treppe heruntergefallen.'').<ref>[http://www.zeno.org/Wander-1867/A/Ich ''Ich.''] In: ''Wanders Deutsches Sprichwörter-Lexikon.'' Band 2, 1870, S. 954 f.</ref><br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*[[Wikipedia:Egoismus|Egoismus]]<br />
*[[Wikipedia:Egologie|Egologie]]<br />
*[[Wikipedia:Erste-Person-Perspektive|Erste-Person-Perspektive]]<br />
*[[Wikipedia:Ich-Botschaft|Ich-Botschaft]]<br />
*[[Wikipedia:Ichspaltung|Ichspaltung]]<br />
*[[Wikipedia:Subjektwissenschaft|Subjektwissenschaft]]<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*Ulrich Schwabe: ''Individuelles und transindividuelles Ich. Die Selbstindividuation reiner Subjektivität und Fichtes Wissenschaftslehre.'' Schöningh, Paderborn 2007, ISBN 978-3-506-76325-9. (Mit einem durchlaufenden Kommentar zur „Wissenschaftslehre ''nova methodo''“.)<br />
*[[Wikipedia:Anna Freud|Anna Freud]]: ''Das Ich und die Abwehrmechanismen.'' Wien 1936.<br />
*Werner Siefer, Christian Weber: ''Ich: Wie wir uns selbst erfinden.'' Campus, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-593-37676-8.<br />
<br />
==Weblinks==<br />
{{Wikiquote}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
<br />
*{{Scholarpedia|http://scholarpedia.org/article/Self_Models|Self Models|[[Wikipedia:Thomas Metzinger|Thomas Metzinger]]}}<br />
*[[Wikipedia:Universität Kopenhagen|Universität Kopenhagen]] [http://cfs.ku.dk/ Center for Subjectivity Research]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4026453-1}}<br />
<br />
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]<br />
[[Kategorie:Philosophie des Geistes]]<br />
[[Kategorie:Psychoanalyse]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Lavendel%C3%B6l&diff=46172
Lavendelöl
2024-03-01T08:31:42Z
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<hr />
<div>[[Datei:LavenderEssentialOil.png|mini|hochkant|Lavendelöl]]<br />
<br />
'''Lavendelöl''' ({{laS|oleum lavandulae}}, {{frS|essence de lavande}}) ist das [[Wikipedia:Ätherisches Öl|ätherische Öl]] aus den Blüten des [[Echter Lavendel|Lavendels]].<br />
<br />
Die folgenden Lavendel[[Wikipedia:Art (Biologie)|arten]] werden für die Herstellung von ätherischen Ölen genutzt:<br />
* ''Lavandula angustifolia'' = [[Echter Lavendel]] (Hauptanbauregion: Südfrankreich)<br />
* ''Lavandula latifolia'' = [[Wikipedia:Speik-Lavendel|Speik-Lavendel]] (Hauptanbauregion: Spanien)<br />
* ''Lavandula hybrida'' = Hybrid-Lavendel oder [[Wikipedia:Lavandin|Lavandin]] aus ''L. angustifolia'' und ''L. latifolia'' (Hauptanbauregion: Südfrankreich)<br />
<br />
Lavendelöl kommt in verschiedenen Qualitäten und Preisen auf den Markt. Die standardisierten Öle ''Lavendelöl Barreme'' (52 % Estergehalt) und ''Lavendelöl Mont Blanc'' (ca. 40 % Estergehalt) sind von hoher Qualität. Das aus hybridisiertem Lavendel (Lavandin) gewonnene '''Lavandinöl''' (''Lavandinöl Abrialis'' bzw. ''Lavandinöl Grosso'') hat ebenfalls einen hohen Estergehalt (ca. 30 %). Die Prozentangaben beziehen sich auf den Anteil des [[Wikipedia:Linalylacetat|Linalylacetat]]s am Lavendelöl, der [[Wikipedia:Veresterung|veresterten]] Form des [[Wikipedia:Linalool|Linalool]]s, eines der Hauptinhaltsstoffe, der die Qualität eines Lavendelöls mitbestimmt: Je höher der Estergehalt, desto höher die Qualität des Lavendelöls.<br />
<br />
== Physikalische Eigenschaften, Inhaltsstoffe ==<br />
=== Allgemein ===<br />
{{Infobox Gefahrstoffkennzeichnung<br />
| Name = Lavendelöl ''angustifolia''<br />
| CAS = 84776-65-8<br />
| EG-Nummer = 283-994-0<br />
| ECHA-ID = 100.076.330<br />
| Quelle GHS-Kz = <ref name="Sanabio">Datenblatt [http://sanabio.eu/images/PDF/sicherheitsdatenblatt/SDB_MSDS_Lavendeloel_05.pdf ''Lavendelöl''] bei ''Sanabio'', abgerufen am 13. Juni 2016.</ref><br />
| GHS-Piktogramme = {{GHS-Piktogramme|08|09|07}}<br />
| GHS-Signalwort = Gefahr<br />
| H = {{H-Sätze|304|315|317|412}}<br />
| EUH = {{EUH-Sätze|-}}<br />
| P = {{P-Sätze|273|280|301+310|302+352|405|501}}<br />
| Quelle P = <ref name="Sanabio" /><br />
| MAK = <br />
}}<br />
<br />
Lavendelöl ist farblos oder schwach gelblich, ziemlich dünnflüssig und hat einen angenehmen, starken Geruch nach Lavendel. Lavendelöl siedet bei 185 bis 188&nbsp;°C, hat eine Dichte von 0,876 bis 0,892&nbsp;g/cm<sup>3</sup> (''L. angustifolia''), 0,893 bis 0,909&nbsp;g/cm<sup>3</sup> (''L. latifolia'') oder 0,885 bis 0,897&nbsp;g/cm<sup>3</sup> (Lavandinöl) und ist [[Wikipedia:Optische Aktivität|optisch aktiv]] – linksdrehend (−11° bis −5°, ''L. angustifolia'').<br />
<br />
Als Hauptbestandteile enthält Lavendelöl (''L. angustifolia'') [[Wikipedia:Linalylacetat|Linalylacetat]] (25–46 %) und [[Wikipedia:Linalool|Licareol]] (20–45 %), und daneben kleinere Mengen [[Wikipedia:Terpinen-4-ol|Terpinen-4-ol]] (0,1–6 %), [[Wikipedia:1,8-Cineol|1,8-Cineol]], [[Wikipedia:3-Octanon|3-Octanon]] (je ≤2,5 %), Campher (≤1,2 %), [[Wikipedia:Limonen|Limonen]], [[Wikipedia:Lavandulol|Lavandulol]] und [[Lavandulylacetat]] (≤1%).<ref name="Kirk-Othmer">{{Literatur |Autor=K. Hüsnü Can Başer & Fatih Demirci |Titel=Essential Oils |Sammelwerk=Kirk‐Othmer Encyclopedia of Chemical Technology |Verlag=Wiley-VCH |Datum=2011 |DOI=10.1002/0471238961.1509121913151511.a01.pub2|Seiten=1–37 }}<br />
</ref><br />
<br />
Da das Lavendelöl (''L. angustifolia'') als besonders wertvoll gilt und einen hohen Verkaufspreis erzielt, war in früheren Zeiten häufig verfälschtes Lavendelöl im Umlauf. Da der hohe Linalylacetatanteil maßgeblich für die Qualität war, wurde mitunter acetyliertes Linalool (aus dem Spiköl), synthetisches Linalool (Zwischenprodukt bei der Synthese von Vitamin E) oder auch das asiatische Shui-Öl, das ebenfalls viel Linalylacetat enthält, zugesetzt. Die Qualität von Lavendelöl lässt sich jedoch heutzutage [[Wikipedia:Gaschromatographie|gaschromatographisch]] überprüfen.<br />
<br />
Mittlerweile werden auch Lavendelöle mit [[Wikipedia:Appellation d’Origine Contrôlée|AOC]]-Siegel angeboten, also mit einer geschützten Bezeichnung, die nur Produkten aus einem genau definierten geografischen Gebiet mit genau definierten Anbaubestimmungen verliehen wird.<br />
<br />
=== Spiköl ===<br />
Das aus dem Speik-Lavendel gewonnene '''Spiköl''' enthält im Vergleich deutlich weniger Linalylacetat (<1,6 %), aber mehr Linalool (34–50 %), 1,8-Cineol (16–39 %) und Campher (8–16 %).<ref name="Kirk-Othmer"></ref><br />
<br />
== Herstellung ==<br />
[[Datei:Lavandula Macro.JPG|mini|hochkant|Echter Lavendel]]<br />
<br />
Zur Herstellung werden die frischen Blüten der Lavendelpflanze einer [[Wikipedia:Wasserdampfdestillation|Wasserdampfdestillation]] unterzogen.<br />
<br />
Die bekannteste Region zur Herstellung von qualitativ hochwertigen Lavendelölen ist Südfrankreich. Das meiste Lavendelöl kommt aus [[Wikipedia:Nizza|Nizza]], [[Wikipedia:Grasse|Grasse]], [[Wikipedia:Monaco|Monaco]] und [[Wikipedia:Carpentras|Carpentras]]. Deutschland importierte im Jahre 2001 circa 220 Tonnen Lavendelöl aus Frankreich. Nach dem aus Frankreich hat auch das bulgarische Lavendelöl eine sehr gute Qualität. Auch englisches Lavendelöl ist bekannt; man baut die Pflanzen dazu bei [[Wikipedia:Mitcham (Surrey)|Mitcham]] in der Nähe [[Wikipedia:London|London]]s, bei [[Wikipedia:Hitchin|Hitchin]] in [[Wikipedia:Hertfordshire|Hertfordshire]] und auf [[Wikipedia:Jersey|Jersey]] an.<br />
<br />
== Pharmakologische und toxikologische Eigenschaften ==<br />
Lavendelöl wirkt aufgrund seines Gehaltes an Linalool [[Wikipedia:Antimikrobielle Substanz|antimikrobiell]]. Im Agar-Diffusionstest wurde die Wachstumshemmung von ''[[Wikipedia:Escherichia coli|Escherichia coli]]'', ''[[Wikipedia:Candida albicans|Candida albicans]]'' und ''[[Wikipedia:Staphylococcus aureus|Staphylococcus aureus]]'' beobachtet, die Effektivität ist mäßig. ''[[Wikipedia:Pseudomonas aeruginosa|Pseudomonas aeruginosa]]'' wird nicht gehemmt.<ref name="schneider">Theodor Dingermann, Karl Hiller, Georg Schneider, Ilse Zündorf: ''Schneider Arzneidrogen.'' 5. Auflage, Elsevier 2004, ISBN 3-8274-1481-4, S.&nbsp;363&nbsp;f.</ref><ref name="ABKomm">K. Hardtke et al. (Hrsg.): ''Kommentar zum Europäischen Arzneibuch Ph. Eur. 5.3, Lavendelöl.'' In: ''Loseblattsammlung'' 25. Lieferung 2006, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart.</ref> Portugiesische Forscher konnten zeigen, dass Lavendelöl bereits in geringen Konzentrationen verschiedene [[Wikipedia:Hefen|Hefe-]] ([[Wikipedia:Candida (Pilze)|''Candida''-Spezies]]) und [[Wikipedia:Dermatophyt|Fadenpilze]] abtötet, die beim Menschen [[Wikipedia:Dermatomykose|Haut-]] und [[Wikipedia:Nagelpilz|Nagelpilz]]erkrankungen verursachen können.<ref>M. Zuzarte, M. J. Goncalves u.&nbsp;a.: ''Chemical composition and antifungal activity of the essential oils of Lavandula viridis L'Her..'' In: ''Journal of Medical Microbiology.'' Band 60, 2011, S.&nbsp;612–618, {{DOI|10.1099/jmm.0.027748-0}}.</ref><ref>A. Angioni, A. Barra, V. Coroneo, S. Dessi, P. Cabras: ''Chemical composition, seasonal variability, and antifungal activity of Lavandula stoechas L. ssp. stoechas essential oils from stem/leaves and flowers.'' In: ''Journal of agricultural and food chemistry.'' Band 54, Nummer 12, Juni 2006, S.&nbsp;4364–4370, {{DOI|10.1021/jf0603329}}, PMID 16756368.</ref><ref>M. Zuzarte, M. J. Gonçalves, C. Cavaleiro, A. M. Dinis, J. M. Canhoto, L. R. Salgueiro: ''Chemical composition and antifungal activity of the essential oils of Lavandula pedunculata (Miller) Cav.'' In: ''Chemistry & biodiversity.'' Band 6, Nummer 8, August 2009, S.&nbsp;1283–1292, {{DOI|10.1002/cbdv.200800170}}, PMID 19697345.</ref><br />
<br />
In tierexperimentellen Untersuchungen an Mäusen wurde eine (nach [[Wikipedia:intraperitoneal|intraperitoneal]]er Gabe) krampflösende<ref name="ABKomm" /> und nach Inhalation auch zentraldämpfende<ref name="schneider" /><ref name="ABKomm" /> Wirkung für Lavendelöl gezeigt.<br />
<br />
Insgesamt liegen allerdings nur wenige veröffentlichte wissenschaftliche Daten über eine Wirksamkeit von Lavendelöl vor.<ref>''Assessment report on Lavandula angustifolia Miller, aetheroleum and Lavandula angustifolia Miller, flos.'' ([http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Herbal_-_HMPC_assessment_report/2012/06/WC500128642.pdf PDF-Datei; 311&nbsp;kB]) der [[Wikipedia:Europäische Arzneimittelagentur|Europäischen Arzneimittelagentur]] vom 27. März 2012.</ref><br />
<br />
2007 berichteten Henley et al. über drei präpubertäre Jungen, die nach [[Wikipedia:topische Anwendung|topischer Anwendung]] [[Teebaumöl|teebaum]]- und lavendelölhaltiger Produkte ein Wachstum der Brustdrüsen ([[Wikipedia:Gynäkomastie|Gynäkomastie]]) aufwiesen. Die Gynäkomastie verschwand nach dem Absetzen der Behandlung. Im Rahmen einer [[Wikipedia:In-vitro|In-vitro]]-Studie zeigten Henley et al. die [[Wikipedia:östrogen|östrogen]]e und [[Wikipedia:Antiandrogen|anti-androgene]] Aktivität beider Öle auf menschliche [[Wikipedia:Zelllinie|Zelllinie]]n. Die Autoren schlossen daraus, dass es wahrscheinlich die wiederholte [[Wikipedia:Exposition (Medizin)|Exposition]] mit Teebaum- und Lavendelöl war, die bei den drei Jungen die präpubertäre Gynäkomastie auslöste.<ref>Derek V. Henley, Natasha Lipson, Kenneth S. Korach, Clifford A. Bloch: ''Prepubertal Gynecomastia Linked to Lavender and Tea Tree Oils'' In: ''New England Journal of Medicine.'' Band 356, Nr. 5, 1. Februar 2007, S.&nbsp;479–485, {{DOI|10.1056/NEJMoa064725}}, PMID 17267908.</ref> 2019 berichteten Ramsey et al. über vier präpubertäre Patienten – einen Jungen und drei Mädchen – mit [[Wikipedia:vorzeitige Thelarche|vorzeitige Thelarche]] oder Gynäkomastie, deren Symptome nach dem Absetzen lavendelhaltiger Produkte verschwanden. Einige der Produktbestandteile wiesen östrogene and anti-androgene Eigenschaften auf.<ref>J. Tyler Ramsey, Yin Li, Yukitomo Arao, Ajanta Naidu, Laurel A. Coons, Alejandro Diaz, Kenneth S. Korach: ''Lavender products associated with premature thelarche and prepubertal gynecomastia: Case reports and EDC activities.'' In: ''Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism.'' Band 104, Nr. 11, November 2019, S. 5393–5405, {{DOI|10.1210/jc.2018-01880}}, PMID 31393563.</ref><br />
<br />
== Verwendung ==<br />
Für den arzneilichen Gebrauch kommt das durch Wasserdampfdestillation aus den Blütenständen von ''Lavandula angustifolia'' gewonnene ätherische Öl zum Einsatz,<ref>''Europäisches Arzneibuch.'' 6. Ausgabe, Monografie 6.0, S. 1338.</ref> Lavandin- und Spiköl gelten als Verfälschung.<ref name="ABKomm" /> Lavendelöl wird innerlich als mildes Beruhigungsmittel bei Unruhezuständen, Einschlafstörungen und funktionellen Oberbauchbeschwerden angewendet.<ref name="schneider" /><ref name="ABKomm" /><ref name="biogen">E. Teuscher: ''Biogene Arzneimittel.'' 5. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1997, ISBN 3-8047-1482-X, S. 247 f.</ref><br />
<br />
In Deutschland steht erstmals seit Februar 2010 ein zugelassenes Lavendelölmonopräparat zur Behandlung von Unruhezuständen bei ängstlicher Verstimmung im Erwachsenenalter zur Verfügung. Dieses Präparat enthält ein mit den für die Wirkung hauptverantwortlichen Lavendelölinhaltsstoffen [[Wikipedia:Linalool|Linalool]] und [[Wikipedia:Linalylacetat|Linalylacetat]] angereichertes Lavendelöl in [[Wikipedia:Weichkapsel|Weichkapsel]]n.<ref>{{cite journal |title=Neues Phyto-Anxiolytikum: Standardisiertes Lavendelöl gegen Unruhe bei Angst |journal=DAZ |issue=2 |year=2010 |pages=48–49 |author=Beate Fessler}}</ref><ref name="pmid17173962">{{cite journal |author=Umezu T, Nagano K, Ito H, Kosakai K, Sakaniwa M, Morita M |title=Anticonflict effects of lavender oil and identification of its active constituents |journal=Pharmacology Biochemistry & Behavior. |volume= Band 85 |issue=4 |pages=713–21 |year=2006 |month=December |pmid=17173962 |doi=10.1016/j.pbb.2006.10.026 |url=}}</ref><br />
<br />
Äußerlich wird Lavendelöl in Einreibungen und Badezusätzen volksheilkundlich bei Verspannungen und Erschöpfungszuständen verwendet.<ref name="schneider" /><ref name="biogen" /> Wegen seines Duftes dient Lavendelöl als [[Wikipedia:pharmazeutischer Hilfsstoff|pharmazeutischer Hilfsstoff]] zur Geruchskorrektur bei äußerlich anzuwendenden Arzneimitteln.<br />
<br />
Lavendelöl, Lavandinöl und Spiköl sind bedeutsam als Duftstoff in der [[Wikipedia:Parfüm|Parfüm]]- und Seifenindustrie und werden auch zur Abwehr von Insekten und Katzen<ref>Holger Hohlfeld: ''Katzen-Schreck. Sicherheitsdatenblatt gemäß Verordnung (EG) Nr. 1907/2006.'' Abschnitt 3: ''Zusammensetzung/ Angaben zu Bestandteilen.'' ([http://media.dehner.de/docs/134643_-_SIcherheitsdatenblatt_Neudorff_Katzenschreck.pdf Volltext als PDF-Datei] [29,2 kB]).</ref> verwendet ([[Wikipedia:Repellent|Repellent]]).<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{SORTIERUNG:Lavendelol}}<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Ätherisches Öl]]<br />
[[Kategorie:Pharmazeutischer Hilfsstoff]]<br />
[[Kategorie:Arzneistoff]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
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Natura
2024-02-29T08:28:09Z
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<hr />
<div>{{Infobox Publikation|titel=Natura|fachgebiet=|sprache=de|erstausgabe_jahr=Juli 1926|einstellung_jahr=1936|herausgeberin=[[Medizinische Sektion am Goetheanum]]|verlag=Natura Verlag|erscheint=}}<br />
<br />
'''Natura''', ''eine Zeitschrift zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde für die Mitglieder der Medizinischen Sektion'', war eine von 1926 bis 1936 durch [[Ita Wegman]] herausgegebene Zeitschrift.<ref name=":2">{{Literatur| Titel = Beiblätter der Zeitschrift Natura. Eine Zeitschrift zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde für die Mitglieder der Medizinischen Sektion| Sammelwerk = | Abruf = 2024-02-28| Sprache = de| Online = https://goetheanum-verlag.ch/produkt/beiblaetter-der-zeitschrift-natura/|Autor=|Hrsg=Ita Wegman|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=Verlag am Goetheanum|Ort=|Datum=2000|ISBN=978-3-7235-1082-7|Seiten=|TitelErg=Mit einem Vorwort von Anton Gerretsen}}</ref> Es gab zudem Beiblätter für mit der [[Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft|Medizinischen Sektion am Goetheanum]] zusammenarbeitende Ärzt:innen. Natura wurde vom Natura Verlag in Arlesheim, Schweiz herausgegeben<ref name=":1">{{Literatur| Titel = Natura| Sammelwerk = Verlag am Goetheanum| Abruf = 2024-02-28| Sprache = de| Online = https://goetheanum-verlag.ch/produkt/natura/|Autor=|Hrsg=|Band=|Nummer=|Auflage=Nachdruck|Verlag=|Ort=|Datum=1981|ISBN=978-3-7235-0612-7|Seiten=3013}}</ref><ref>{{Literatur| Auflage = Photomechanischer Nachdr. [der Ausg.] Arlesheim bei Basel| Verlag = Natura-Verl| Titel = Natura eine Zeitschrift zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde| Ort = Arlesheim (Schweiz)| Sprache = de|Autor=|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Datum=|ISBN=|Seiten=|OCLC=85148688}}</ref>, sowie vom Orient-Occident Verlag.<ref name=":0">{{Internetquelle| titel = Über uns {{!}} Mellinger Verlag| sprache = de| datum = 2013-07-17| url = https://mellingerverlag.de/uber-uns/| abruf = 2024-02-28|autor=|werk=|hrsg=}}</ref> Die Schriftleitung lag bei Ita Wegman, [[Eugen Kolisko]], [[Willem Zeylmans van Emmichoven]], [[Hilma Walter]], [[Grete Bockholt]] und [[Eberhard Schickler]].<ref name=":0" /><ref>{{Literatur| Band = 73| Nummer = 2| Seiten = 74ff| Autor=Paul Werthmann| Titel = Editorial| Sammelwerk = Der Merkurstab. Zeitschrift für Anthroposophische Medizin| Sprache = de| Datum = 2020}}</ref> Ein Nachdruck von Natura erschien 1981<ref name=":1" />, der Beiblätter 2000.<ref name=":2" /><br />
<br />
==Beiblätter==<br />
Die Beiblätter erschienen in 18 Einzelbeilagen (mit Doppelnummern 22) in der Zeitschrift Natura in loser Folge. Sie richteten sich an mit der [[Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft|Medizinischen Sektion am Goetheanum]] zusammenarbeitende Ärzt:innen. Jedes Beiblatt ist einem Spezialthema gewidmet und beschreibt Erfahrungen bei der Patientenbehandlung im damaligen Klinisch-Therapeutischen Institut, heute [[Klinik Arlesheim]]. In den ersten Ausgaben steht die Metalltherapie im Vordergrund. Eine gesammelte Neuveröffentlichung erfolgte erstmals im Jahr 2000.<ref>{{Literatur| Titel = Beiblätter der Zeitschrift Natura. Eine Zeitschrift zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde für die Mitglieder der Medizinischen Sektion| Sammelwerk = | Abruf = 2024-02-28| Sprache = de| Online = https://goetheanum-verlag.ch/produkt/beiblaetter-der-zeitschrift-natura/|Autor=|Hrsg=Ita Wegman|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=Verlag am Goetheanum|Ort=|Datum=2000|ISBN=978-3-7235-1082-7|Seiten=7|TitelErg=Mit einem Vorwort von Anton Gerretsen|Kapitel=Vorwort zur Neuauflage}}</ref><br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Publikation]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=John_Wilkes&diff=46170
John Wilkes
2024-02-29T08:15:59Z
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<hr />
<div>[[Datei:Flowform Vortex Garten Darmstadt.jpg|thumb|Kette von [[Flowforms]] in Darmstadt|verweis=https://de.imedwiki.org/Datei:Flowform_Vortex_Garten_Darmstadt.jpg|alternativtext=]]John Wilkes († 26. März 2011) entwickelte die [[Flowforms]], Anlagen durch deren Form fließendes Wasser in rhythmische Bewegungen versetzt wird.<ref>{{Internetquelle|url=https://sites.google.com/site/flowforms/Home/design-ideas/designer-articles/designers/john-wilkes|sprache=EN|abruf=2020-07-24|titel=John Wilkes; 'FLOW DESIGN RESEARCH, EMERSON COLLEGE THOUGHTS BEHIND THE WORK WITH FLOWFORMS'|autor=|werk=|hrsg=|datum=|offline=1|archiv-url=https://web.archive.org/web/20201013194207/https://sites.google.com/site/flowforms/Home/design-ideas/designer-articles/designers/john-wilkes}}</ref> Er war Gründer des [[Healing Water Institute]] und der Stiftung [[Foundation for water]]. In den 60er Jahren arbeitete er im [[Institut für Strömungswissenschaften]] in Herrischried mit [[George Adams]] zusammen.<ref>{{Literatur |Autor=Olive Whicher |Titel=George Adams. Ein Geistsucher in unserer Zeit |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Philosophisch-Anthroposophischer Verlag |Ort=Dornach |Datum=1973 |ISBN= |Seiten=44f |Originaltitel=The Life and Work of George Adams |Originalsprache=en |Übersetzer=Robert Friedenthal}}</ref><br />
<br />
==Biographie==<br />
John Wilkes studierte Bildhauerei am Royal College of Art. Während seines Aufenthalts in London lernte er [[George Adams]], einen Mathematiker und Wissenschaftler, und [[Theodor Schwenk]], einen Pionier der Wasserforschung und Autor von [[Das sensible Chaos]], kennen. Wilkes trat in das [[Institut für Strömungswissenschaften]] in Herrischried ein, wo er begann, die Strömung und den Rhythmus des Wassers zu erforschen, was schließlich zur Entwicklung von [[Flowforms]] führen sollte. Während dieser Zeit arbeitete er auch am [[Wikipedia:Goetheanum|Goetheanum]] in der Schweiz, wo er [[Rudolf Steiner|Rudolf Steiners]] Skulpturen- und Architekturmodelle erforschte und restaurierte. Im Jahr 1971 ging er an das [[Emerson College]] in Forest Row, Großbritannien, und wurde Direktor des [[Virbela Rhythm Research Institute]].<ref>{{Internetquelle| titel = John Wilkes| sprache = en| url = https://steinerbooks.presswarehouse.com/browse/author/b0dec8be-9bff-40bd-a32b-ad2682c41538/John-Wilkes?page=1| abruf = 2024-02-27| werk = Steinerbooks}}</ref><br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=George_Adams&diff=46119
George Adams
2024-02-24T08:13:50Z
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<hr />
<div>'''George Adams''', eigentlich ''George Adams von Kaufmann''<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Olive Whicher |Titel=George Adams. Ein Geistsucher in unserer Zeit |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Philosophisch-Anthroposophischer Verlag |Ort=Dornach |Datum=1973 |ISBN= |Seiten= |Originaltitel=The Life and Work of George Adams |Originalsprache=en |Übersetzer=Robert Friedenthal}}</ref> (* [[Wikipedia:8. Februar|8. Februar]] [[Wikipedia:1894|1894]] in [[Wikipedia:Marijampolė|Marijampolė]], [[Wikipedia:Russisches Kaiserreich|Russisches Kaiserreich]];<ref name=":0" /> † [[Wikipedia:30. März|30. März]] [[Wikipedia:1963|1963]] in [[Wikipedia:Birmingham|Birmingham]]) war ein [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|britischer]] [[Wikipedia:Mathematiker|Mathematiker]] und [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposoph]].<br />
<br />
==Leben==<br />
George Adams wurde als Sohn des australisch-deutschen Industriellen ''Georg von Kaufmann'' und der Engländerin ''Mary Adams'' im damals russischen Mariampolé in Litauen geboren. Er studierte zwischen 1912 und 1918 Chemie (B.A.) und Mathematik (M.A.) an der [[Wikipedia:University of Cambridge|University of Cambridge]]; dabei beschäftigte er sich intensiv mit den Werken [[Wikipedia:Alfred North Whitehead|Whiteheads]] und [[Wikipedia:Bertrand Russell|Russells]]. Auf die Frage an Russell, wie man ohne Atomhypothese zu brauchbaren Ansätzen in der theoretischen Physik kommen kommen könnte, riet dieser, sich mit projektiver Geometrie zu beschäftigen.<ref>{{Forschungsstelle Kulturimpuls|16|George Adams Kaufmann|Renatus Ziegler}}</ref><br />
<br />
1914 lernte er die Anthroposophie [[Rudolf Steiner]]s kennen. 1916 trat er der [[Wikipedia:Anthroposophische Gesellschaft|Anthroposophischen Gesellschaft]] bei. Adams begegnete Steiner erstmals 1919 in Dornach<ref name=":0" />, wirkte bei dessen Vorträgen in England als [[Wikipedia:Dolmetscher|Dolmetscher]]<ref>Paull, John (2011) [http://orgprints.org/18835/1/Paull2011OxfordEJES.pdf Rudolf Steiner and the Oxford Conference: The Birth of Waldorf Education in Britain]. European Journal of Educational Studies, 3(1): 53–66.</ref> und übersetzte später zahlreiche Werke Steiners ins Englische. 1920 nahm er mit seiner Frau Mary an der Eröffnung des ersten [[Wikipedia:Goetheanum|Goetheanum]] teil und erlebte auch dessen Zerstörung zu Sylvester 1922/1923.<ref name=":0" /> Besonderes Interesse hatte er an Steiners [[Wikipedia:Soziale Dreigliederung nach Rudolf Steiner|sozialer Dreigliederung]]. <br />
<br />
Seine eigenen Arbeiten beschäftigen sich mit Fragestellungen des [[Goetheanismus]], sowie der [[Projektive Geometrie|projektiven Geometrie]] (auch als einer Verständnisgrundlage des [[Äther|Ätherischen]]), nach 1935 teils zusammen mit seiner Mitarbeiterin Olive Whicher. [[Wikipedia:Elisabeth Vreede|Elisabeth Vreede]] unterstützte seine mathematischen Ansätze. 1933 veröffentlichte er in der von der [[Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft|Medizinischen Sektion]] am Goetheanum unter [[Ita Wegman|Ita Wegmans]] Leitung herausgegebenen Zeitschrift [[Natura]] erstmals seinen Aufsatz über den ätherischen Raum (Raum und Gegenraum), bald darauf auch in englischer Sprache.<ref name=":0" /> Ansatz war, die Idee von Raum und Gegenraum auf Basis der modernen projektiven Geometrie in geisteswissenschaftlicher Beleuchtung darzustellen.<ref name=":0" /> [[Louis Locher-Ernst]] veröffentlichte einige Jahre später einen ähnlichen Ansatz, die er in einer mehr axiomatischen und mathematischen Form darstellte.<ref name=":0" /><br />
<br />
1932 wurde Adams zum Mitglied der [[Wikipedia:London Mathematical Society|Londoner Mathematical Society]] gewählt.<ref name=":0" /> 1939 meldete er sich in London freiwillig zum Kriegsdienst und wurde zunächst als Dolmetscher in einem Gefangenenlager eingesetzt, jedoch nach einem halben Jahr entlassen. Nachdem seine deutschen Beziehungen kritisch geprüft wurden, nannte er sich ab 1940 ''George Adams''. Bis Kriegsende diente er darauf weiter als Abhörer beim [[BBC Monitoring]] und im Luftschutz.<br />
<br />
Er starb bei einer befreundeten Familie im Birminghamer Stadtteil [[Edgbaston]], knapp vier Jahre nach einem schweren [[Wikipedia:Myokardinfarkt|Herzinfarkt]].<br />
<br />
==Werke==<br />
<br />
*{{Literatur |Autor= |Titel=Fruits of Anthroposophy: an introduction to the work of Rudolf Steiner |Hrsg=George Adams |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Threefold Commonwealth |Ort=London |Datum=1922 |Sprache=en |ISBN= |OCLC=3279618 |Seiten=}}<br />
*{{Literatur |Autor=George Adams |Titel=Christ and the Earth: an introduction to a course of lectures given in London at the Rudolf Steiner Hall during autumn of 1927 |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Anthroposophical Society |Ort=London |Datum=1927 |Sprache=en |ISBN= |OCLC=801645407 |Seiten=}}<br />
*{{Literatur |Autor=George Adams |Titel=Synthetische Geometrie, Goethesche Metamorphosenlehre und Mathematische Physik. |Hrsg= |Sammelwerk=Mathesis, Beiträge zur Weiterbildung der Mathematik und verwandter Gebiete im Sinne der Geisteswissenschaft |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort=Stuttgart |Datum=1931 |ISBN= |Seiten=119-173}}<br />
*''The Anthroposophical Movement'', London 1932<br />
*''Von dem ätherischen Raum''. In: ''Natura'', 6. Jg., Heft 5/6, 1933<br />
**Buchausgabe: Freies Geistesleben (Studien und Versuche 6), Stuttgart 1964; 2. A. 1981, ISBN 3-7725-0036-6<br />
*''Space and the Light of the Creation. A new Essay in Cosmic Theory'', London 1933<br />
*''Strahlende Weltgestaltung. Synthetische Geometrie in geisteswissenschaftlicher Beleuchtung''. Philosophisch-Anthroposophischer Verlag, Dornach 1934; 2. A. ebd. 1965, ISBN 3-7235-0002-1<br />
*''Christ in the Power of Memory and the Power of Love'', East Grinstead 1938<br />
*''The Mysteries of the Rose-Cross'', East Grinstead 1955; London 1989<br />
**Beide Titel auf deutsch als: ''Das Rosenkreuzertum als Mysterium der Trinität''. Freies Geistesleben (Anregungen zur anthroposophischen Arbeit 9), Stuttgart 1981; 2. A. 1994, ISBN 3-7725-1498-7<br />
*{{Literatur |Autor=George Adams |Titel=Physical and Ethereal Spaces |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort=London |Datum=1965 |Sprache=en |ISBN= |Seiten= |Online=https://archive.org/stream/AdamsGeorgePhysicalAndEtherealSpaces/Adams%20George%20-%20Physical%20and%20ethereal%20spaces_djvu.txt}}<br />
*''Universalkräfte in der Mechanik. Vektoren in Raum und Gegenraum. Urraumschrauben''. Mathematisch-Physikalisches Institut, Dornach 1973<br />
**englische Ausgabe: ''Universal Forces in Mechanics'', London 1977<br />
***überarbeitete Neuausgabe: ''Universalkräfte in der Mechanik. Perspektiven einer anthroposophisch erweiterten mathematischen Physik''. Verlag am Goetheanum (Mathematisch-Astronomische Blätter 20), Dornach 1996, ISBN 3-7235-0953-3<br />
*''Grundfragen der Naturwissenschaft. Aufsätze zu einer Wissenschaft des Ätherischen''. Freies Geistesleben (Beiträge zur Anthroposophie 5), Stuttgart 1979, ISBN 3-7725-0405-1<br />
*''Lemniskatische Regelflächen. Eine anschauliche Einführung in die Liniengeometrie und Imaginärtheorie''. Verlag am Goetheanum (Mathematisch-Astronomische Blätter 14), Dornach 1989, ISBN 3-7235-0514-7<br />
<br />
Zusammen mit Olive Whicher:<br />
<br />
*''The Living Plant and the Science of Physical and Ethereal Space'', Stourbridge 1949<br />
*{{Literatur |Autor=George Adams |Titel=The Plant between Sun and Earth |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort=Clent |Datum=1952 |Sprache=en |ISBN= |Seiten= |Online=https://www.aetherforce.energy/goethean-science-and-modern-geometry-by-george-adams-and-olive-whicher/}}<br />
**deutsch überarbeitet in einem Band als: ''Die Pflanze in Raum und Gegenraum. Elemente einer neuen Morphologie''. Freies Geistesleben, Stuttgart 1960; 2. erg. A. ebd. 1979, ISBN 3-7725-0450-7<br />
*''Pflanze, Sonne, Erde'' (Kunstmappe mit Text und 24 Zeichnungen). Freies Geistesleben, Stuttgart 1963<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*{{Literatur |Autor=Olive Whicher |Titel=George Adams. Ein Geistsucher in unserer Zeit |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Philosophisch-Anthroposophischer Verlag |Ort=Dornach |Datum=1973 |ISBN= |Seiten= |Originaltitel=The Life and Work of George Adams |Originalsprache=en |Übersetzer=Robert Friedenthal}}<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*{{DNB-Portal|127707204|NAME=George Adams}}<br />
*[http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=16 Biographischer Eintrag] in der Online-Dokumentation der anthroposophischen ''Forschungsstelle Kulturimpuls'' von [[Renatus Ziegler]]<br />
*Paull, John (2011) [http://orgprints.org/18835/1/Paull2011OxfordEJES.pdf Rudolf Steiner and the Oxford Conference: The Birth of Waldorf Education in Britain]. European Journal of Educational Studies, 3(1): 53–66.<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references />{{Normdaten|TYP=p|GND=127707204|LCCN=n82099871|VIAF=57643685}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Adams, George}}<br />
[[Kategorie:Autor]]<br />
[[Kategorie:Übersetzer aus dem Deutschen]]<br />
[[Kategorie:Übersetzer ins Englische]]<br />
[[Kategorie:Anthroposoph:in]]<br />
[[Kategorie:Brite]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1894]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1963]]<br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
<br />
{{Personendaten<br />
|NAME=Adams, George<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Kaufmann, George von (wirklicher Name)<br />
|KURZBESCHREIBUNG=britischer Mathematiker und Anthroposoph<br />
|GEBURTSDATUM=8. Februar 1894<br />
|GEBURTSORT=[[Wikipedia:Marijampolė|Marijampolė]], [[Wikipedia:Russisches Kaiserreich|Russisches Kaiserreich]]<br />
|STERBEDATUM=30. März 1963<br />
|STERBEORT=[[Wikipedia:Birmingham|Birmingham]], Vereinigtes Königreich<br />
}}<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Dreigliederung_des_menschlichen_Organismus_(Anthroposophische_Medizin)&diff=46094
Dreigliederung des menschlichen Organismus (Anthroposophische Medizin)
2024-02-16T07:54:02Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>[[Datei:Dreigliederung des menschlichen Organismus (Skizze).png|mini|Schematische Darstellung der Dreigliederung des menschlichen Organismus]]<br />
Die '''Dreigliederung des menschlichen Organismus''' ist ein grundlegendes Konzept der [[Anthroposophische Medizin|anthroposophischen Medizin]], das von [[Rudolf Steiner]] Anfang der 1920er Jahre entwickelt und erstmals in seinem Buch "Von Seelenrätseln"<ref>{{LiteraturSteinerGA|Nummer=21|Titel=Von Seelenrätseln}}</ref> dargestellt wurde.<ref>{{Internetquelle| autor=Tomáš Zdražil| titel = Die Entdeckung des dreigliedrigen Menschen| datum = 2012-09| url = https://www.erziehungskunst.de/artikel/die-entdeckung-des-dreigliedrigen-menschen| abruf = 2024-02-14| werk = Erziehungskunst waldorf.leben - Magazin für Waldorfpädagogik}}</ref> Es werden drei [[Wikipedia:Organsysteme|Organsysteme]] unterschieden:<ref name="J244f">Robert Jütte: ''Geschichte der Alternativen Medizin.'' Beck, München 1996, S. 244&nbsp;f.</ref><br />
<br />
#die Nerven-Sinnesorganisation (oder Nerven-Sinnes-System), die primär im Kopf lokalisiert sei,<br />
#die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation (oder Stoffwechsel-Gliedmaßen-System), deren Schwerpunkt im Verdauungs- und im Bewegungsapparat liege und die als Träger der „Willenserscheinungen“ fungiere, und<br />
#die rhythmische Organisation (oder rhythmisches System), die mit dem Gefühlsleben korrespondiere und in erster Linie die [[Wikipedia:Atmung|Atmung]] und den [[Wikipedia:Blutkreislauf|Blutkreislauf]] umfasse.<br />
<br />
Die Nerven-Sinnes- und die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation werden als polarer Natur beschrieben, während das rhythmische System eine Mittlerrolle zwischen beiden einnehme.<br />
<br />
Aus der Synthese der Dreigliederung des menschlichen Organismus und der [[Viergliederung (Anthroposophische Medizin)|Viergliederung]] der Seinsebenen ergäben sich Möglichkeiten zum Verständnis und Therapieansätze „systembedingter“ [[Krankheit|Krankheiten]]. So sei beispielsweise die Ursache für eine [[Wikipedia:Geschwulst|Geschwulstbildung]] im menschlichen Körper z.&nbsp;B. eine „übertriebene [[Ich]]-Tätigkeit oder [[Astralleib|astralische]] Tätigkeit“, die die Nerven-Sinnesorganisation in den übrigen Organismus verdränge.<ref name="J244f" /><br />
<br />
===Die drei Systeme===<br />
====Nerven-Sinnes-System (NSS)====<br />
Das Nerven-Sinnes-System hat seinen Schwerpunkt im [[Oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|oberen Menschen]], im Kopf des Menschen, in dem mit dem Gehirn das Zentralorgan der Nerven liegt und ein Schwerpunkt der bewußten Sinnestätigkeit vorhanden ist.<br />
<br />
====Rhythmisches System (RhS)====<br />
Das Rhythmisches System hat seinen Schwerpunkt im Brustraum des Menschen mit den Organen [[Herz]] und [[Lunge]], findet sich aber in allen rhythmischen Prozessen des Menschen. Rhythmische Prinzipien werden als grundlegendes Prinzip gesehen und werden auch in der Pharmazie als [[rhythmische Verfahren]] angewendet. Als [[Heilmittel]] findet sich die [[rhythmische Massage]].<br />
<br />
====Stoffwechsel-Gliedmaßen-System (SGS)====<br />
Das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System ist der [[Unterer Mensch (Anthroposophische Medizin)|untere]], der Materie zugewandte Pol des Menschen.<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Systeme und Zuordnungen<br />
!System<br />
!Hauptorgan(e)<br />
!Region<br />
!Substantialität<br />
!Bewußtseinsqualität<br />
!<br />
|-<br />
|Nerven-Sinnes-System<br />
|Nerven, Sinne<br />
|Kopf<br />
|Eher [[Imponderabilien]]<br />
|Wach<br />
|Denken<br />
|-<br />
|Rhythmisches System<br />
|Herz, Lunge<br />
|Brust<br />
|<br />
|Träumend<br />
|Fühlen<br />
|-<br />
|Stoffwechsel-Gliedmaßen-System<br />
|Stoffwechsel und Gliedmaßen<br />
|Rumpf und Glieder<br />
|Eher [[Wikipedia:Substanz|Substanz]], [[Ponderabilien]], [[Wikipedia:Materie|Materielles]]<br />
|Schlafend<br />
|Wollen<br />
|}<br />
<br />
===Betrachtungen zur Dreigliederung===<br />
Betrachtet man den Menschen und seine Leiblichkeit unter verschiedenen Gesichtspunkten, dann ist es möglich, funktionell drei Bereiche voneinander zu unterscheiden, die sich aber immer auch durchdringen.<br />
<br />
====Gestalt und Regeneration====<br />
Untersucht man zunächst das [[Wikipedia:Skelett|Skelett]] des Menschen, so findet man im [[Wikipedia:Schädel|Schädel]] eine runde, abgeschlossene Form. Die Schädelknochen, die beim Säugling und Kleinkind noch eine gewisse Beweglichkeit aufweisen, sind beim Erwachsenen fest verknöchert und damit unbeweglich.<ref>{{Literatur| Auflage = 1. Auflage| Verlag = Verlag Freies Geistesleben| ISBN = 978-3-7725-1702-0| Titel = Form, Leben und Bewusstsein Einführung in die Menschenkunde der anthroposophischen Medizin| Ort = Stuttgart| Reihe = Studien zur Physiologie des Menschen| Abruf = 2023-08-09| Sprache = de| Datum = 2015| Online = http://deposit.dnb.de/cgi-bin/dokserv?id=5098696&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm|Autor=[[Armin Husemann]]|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Seiten=|Kapitel=Bewegung und Ruhe}}</ref> Etwas Beweglichkeit von Knochen am Kopf findet sich im Unterkiefer oder den Gehörknöcheln. Auch der Kopf als Ganzes ist im Vergleich zum z.B. Kugelgelenk/Nussgelenk der Hüfte zu weniger Bewegung fähig. Auch unter dem Gesichtspunkt der Regenerationsfähigkeit weisen Schädelknochen eine verminderte Heilungspotenz auf im Gegensatz zum in der Regel raschen Heilen einer Humerusfraktur. Betrachtet man das zentrale Nervensystem, welches seinen Sitz im Haupt hat, wird diese schwache [[Wikipedia:Regeneration|Regenerationsfähigkeit]] besonders deutlich: Neuronen des [[Wikipedia:zentrales Nervensystem|zentralen Nervensystems]] (ZNS) sind (bis auf Ausnahmen) ab dem dritten Lebensjahr nicht mehr teilungsfähig. Die Neuronen des Gehirns sind so alt wie der Mensch selbst.<br />
<br />
Schaut man sich im Vergleich dazu das Verdauungssystem und auch die [[Gliedmaßenorganisation]] des Menschen an, zeigen sich deutliche Polaritäten.<br />
<br />
Der Bauchraum wird nicht von knöchernen Strukturen umgeben. Neben dieser Offenheit in der Gestalt zeigt sich auch eine große Beweglichkeit des Magen-Darm-Traktes im Vergleich zum schwerelos gelagerten und gegen Bewegungen abgepolstertem [[Wikipedia:Gehirn|Gehirn]] im Liquorraum. Auch zeigen die Gliedmaßen eine große Bewegungsmöglichkeit und sind es auch, die den Menschen als Ganzes in Bewegung bringen können. In Polarität zur Kugelform des Kopfes steht die strahlige Form der [[Wikipedia:Extremität|Extremitäten]].<br />
<br />
Auch die Regeneration im Darm ist erstaunlich. Alle acht Tage ist das Dünndarmepithel ausgetauscht, auch Knochenbrüche heilen deutlich schneller.<br />
<br />
====Substanzbezug====<br />
Schon im Namen des Stoffwechsel-Gliedmaßen-Systems steht der Wandel von Substanzen. Die [[Ernährung]] ist ein steter Strom von Stoffen durch den menschlichen Organismus. Das Nerven-Sinnes-System auf der anderen Seite zeigt im gröberen eher ruhende Substanzen und dem bloßen Auge verborgene Dynamiken feinerer elektrochemischer Prozesse.<br />
<br />
====Bewußtsein====<br />
Betrachtet man neben diesen rein [[Anatomie|anatomischen]] und vegetativen Phänomenen eine weitere Dimension des Menschen, nämlich sein Seelisches und Geistiges, finden sich wieder entsprechende Polaritäten.<br />
<br />
Ein Blick in die Phylogenese zeigt das erste Auftreten von etwas wie Begierden (=Bewusstseinsprozesse) in dem Moment, in dem ein Organismus aus der vollkommenen Integration in seine Umwelt herausgehoben ist. Zum Beispiel bei der Entwicklung des Amphibs zum Reptil, wo sich die Schleimhaut in eine abgeschlossene, verhornte Haut entwickelt, entsteht die Notwendigkeit der aktiven Wassersuche des Reptils. Der Wasserhaushalt ist nach innen genommen worden und muss nun vom Tier selbst intakt gehalten werden. Der Trieb nach Wasser entsteht und gleichzeitig muss eine Entwicklung von Sinnesorganen und Nervensystemleistung erfolgen, um dies zu ermöglichen. Gleichzeitig nimmt die Zahl des Geleges ab und war es dem Amphib noch möglich, verlorene Gliedmaßen neu zu bilden, so ist dies beim etwas weiterentwickelten Reptil nicht mehr in dem selben Ausmaß möglich. Man sieht also eine gesteigerte Nerven-Sinnes-Tätigkeit bei einer verminderten Regenerations- und Reproduktionsfähigkeit. Bewusstsein entsteht auf Kosten der Vitalität.<br />
<br />
Dieses Phänomen lässt sich in der gesamten Evolution und auch im Menschen selbst finden: Der Magen-Darm-Trakt mit seiner großen Vitalität hat nur wenig bis keine Bewusstseinfunktionen. Das Gehirn hingegen ermöglicht ein Wachbewusstsein, ist aber wenig regenerationsfähig und betreibt einen abbauenden Stoffwechsel. Es wird mit Glucose und Elektrolyten versorgt und nutzt diese Stoffe zum Erzeugen von Nervenpotentialen, die dann, um ihre eigentliche Funktion zu erfüllen, abgebaut werden. Das, was also durch den Verdauungstrakt aufgenommen und aufgebaut wird, wird im Gehirn durch Abbauprozesse in Bewusstsein verwandelt. Immer, wenn man abbauende Prozesse findet, in der Lebensprozesse unterbrochen werden, tritt eine Form von Bewusstsein auf:<br />
<br />
*Bei der Pflanze stoppt das Wachstum und eine Blüte entwickelt sich, die sich in ihrer Gestalt an das Seelenleben der Tiere richtet, farbig und duftausstrahlend ist.<br />
*Der Vogel ist das erste Tier, das ausgewachsen sein kann und mit den Vögeln treten komplizierte Lautgebilde und aufwendiges Balzverhalten auf.<br />
*Beim erwachsenen Menschen tritt die Regenerationskraft und das Wachstum, die ein Säugling noch hat zurück und es entsteht Wachbewusstsein. Es lassen sich noch unzählige weitere Beispiele finden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|+<br />
Zusammenschau der genannten Phänomene<br />
!Nervensinnessystem<br />
!Stoffwechselgliedmaßensystem<br />
|-<br />
|kugelig<br />
geschlossen<br />
<br />
kaum Regeneration<br />
<br />
geringe Beweglichkeit, wenig Bewegung im Raum,<br />
<br />
bewusste Sinnestätigkeit<br />
<br />
ausgeprägtes Bewusstsein, Wachheit<br />
<br />
abbauender Stoffwechsel<br />
<br />
Schwerpunkt im [[Oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|oberen Menschen]]<br />
|strahlig<br />
offen<br />
<br />
maximale Regeneration<br />
<br />
große Beweglichkeit, Bewegung im Raum,<br />
<br />
wenig bewusste Sinnestätigkeit<br />
<br />
wenig Bewusstsein, eher träumend, schlafend<br />
<br />
Aufbaustoffwechsel<br />
<br />
Schwerpunkt im [[Unterer Mensch (Anthroposophische Medizin)|unteren Menschen]]<br />
|}<br />
<br />
====Beziehung von NSS und SGS, Rhythmisches System====<br />
Es ist bedeutsam zu erwähnen, dass die Systeme „Nervensinnessystem“ (NSS) und „Stoffwechselgliedmaßensystem (SGS) über das Rhythmische System (RS) in Beziehung stehen und aufeinander reagieren können.<br />
<br />
So zeigt sich zum Beispiel bei Bettruhe, also einer unterdrückten, „gestauten“ Bewegung eine erhöhte Pneumoniegefahr. Die Lunge wird nicht ausreichend belüftet, kommt also unphysiologischer Weise zur Ruhe, sodass eine Entzündung, also ein Stoffwechselprozess entsteht. Ein Granulozyt enthält dieselben Enzyme, die auch im Magendarmtrakt zu finden sind, sodass man bei der Verdauung von einer physiologischen Entzündung oder bei der Entzündung von einer „Verdauung am falschen Ort“ sprechen kann. Man kann es so formulieren, dass das SGS auf einen zu starken NSS-Prozess reagiert. Ähnliches findet man bei der Migräne, der häufig eine starke NSS-Aktivität vorausgeht.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|+<br />
Ergänzung des rhythmischen Systems<br />
!Nervensinnessystem<br />
!Rhythmisches System<br />
!Stoffwechselgliedmaßensystem<br />
|-<br />
|kugelig<br />
geschlossen<br />
<br />
kaum Regeneration<br />
<br />
geringe Beweglichkeit, wenig Bewegung im Raum,<br />
<br />
bewusste Sinnestätigkeit<br />
<br />
ausgeprägtes Bewusstsein, Wachheit<br />
<br />
abbauender Stoffwechsel<br />
<br />
Schwerpunkt im [[Oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|oberen Menschen]]<br />
|kugelig - strahlig<br />
geschlossen - offen<br />
<br />
?<br />
<br />
Ausdauernde Beweglichkeit am Ort<br />
<br />
halbbewusst<br />
<br />
träumend<br />
<br />
?<br />
<br />
Schwerpunkt im mittleren Menschen<br />
|strahlig<br />
offen<br />
<br />
maximale Regeneration<br />
<br />
große Beweglichkeit, Bewegung im Raum,<br />
<br />
wenig bewusste Sinnestätigkeit<br />
<br />
wenig Bewusstsein, eher träumend, schlafend<br />
<br />
Aufbaustoffwechsel<br />
<br />
Schwerpunkt im [[Unterer Mensch (Anthroposophische Medizin)|unteren Menschen]]<br />
|}<br />
<br />
====Ätherleib und Astralleib====<br />
Schaut man sich eine Pflanze an, so nimmt sie mineralische Stoffe auf und bringt sie in einen Lebenszusammenhang. Sie betreibt einen Aufbaustoffwechsel und bildet Blatt nach Blatt.Diesen ätherischen Prozess, der das rein Physische ins Lebendige hebt, findet man auch beim Menschen in der frühen Embryologie. Zu Beginn entsteht Zelle nach Zelle, zunächst undifferenziert.<br />
<br />
Kommt die Pflanze ins Blühen, bei dem neue Formen, Farbigkeit und Duft entstehen, muss etwas hinzukommen, das über das reine Wiederholen des Lebendigen hinausgeht. Beim Menschen (und auch beim Tier) sieht man dieses Differenzieren in der Formgestalt: Es entstehen gegliederte Finger mit immer der gleichen Anzahl, es entstehen Organe mit verschiedenen Funktionen, die bei sehr einfachen Pflanzen alle in einer Zelle vorhanden waren. Dadurch, dass eine rein lebendige Form (Blatt nach Blatt), differenzierter wird, was in gewisser Weise auch zu Separation führt, entstehen, wie bereits oben ausgeführt, mehr oder minder starke Bewusstseinsprozesse: Die differenzierte Blüte richtet sich an Insekten, das Prachtgefieder der Vogelmännchen ermöglicht Balzverhalten, das gestaltete Horn des Hirsches erregt Aufmerksamkeit der Hirschkühe und die aus der Fläche differenzierte strahlige Gestalt der menschlichen Hand macht präzises Greifen möglich. All dies ist ein in verschiedenen Abstufungen aktives und bewusstes Auseinandersetzen mit der Umwelt.<br />
<br />
Das, was da das Lebendige, den [[Ätherleib]], gestaltet und ausformt, wird auch der [[Astralleib]] genannt. Und dieser wirkt im SGS und NSS verschieden:<br />
<br />
Im NSS erzeugt er Bewusstsein und Sinnestätigkeit. Dort werden die durch den Ätherleib aufgebauten Kräfte wie Glucose und transportierter Sauerstoff und auch ganz allgemein die aufgebaute Nervensubstanz abgebaut (30.000 Neuronen/d) als Funktionalität des Bewusstseins. Die Sinneseindrücke, die von außen kommen, werden verarbeitet. Man kann also sagen, dass hier der Astralleib den Ätherleib „benutzt“, um Bewusstsein zu ermöglichen.<br />
<br />
Im Stoffwechsel wirkt der Astralleib strukturierend gestaltend. Es findet ein geordneter Aufbau der Darmschleimhaut statt, die Stoffwechselprozesse laufen koordiniert ab, die aus der Außenwelt kommenden Substanzen werden zerstört und in den eigenen Stoffwechsel integriert, aber es entsteht kaum Bewusstsein und der Aufbau überwiegt. Hier „dient“ der Astralleib dem Ätherleib.<br />
<br />
Im Gesunden sollten sich diese Pole konstitutionsabhängig die Waage halten.<br />
<br />
====Oberer und unterer Mensch, Umstülpung====<br />
Das Nerven-Sinnes-System hat seinen Schwerpunkt im [[Oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|oberen Menschen]], das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System im [[Unterer Mensch (Anthroposophische Medizin)|unteren Menschen]]. Beide können durch [[Umstülpung]] zueinander in Beziehung gesetzt werden.<br />
<br />
===Denken, Fühlen, Wollen - Kristallisation, Koagulation, Wärme===<br />
Rudolf Steiner beschreibt, dass die dem NSS zugeordneten Denkprozesse mit [[Wikipedia:Kristallisation|Kristallisation]], die dem rhythmischen System zugeordneten [[Wikipedia:Gefühl|Gefühle]] mit Koagulationsprozessen und die primär dem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem zuzuordnenden Willensprozesse mit Wärmebildung im menschlichen Organismus verbunden seien.<br />
<br />
====Denken - Kristallisation====<br />
[[Armin Husemann]] weist auf die Linse des Auges als einen "Biokristall" hin.<ref>{{Literatur| Auflage = 1. Auflage| Verlag = Verlag Freies Geistesleben| ISBN = 978-3-7725-1702-0| Titel = Form, Leben und Bewusstsein Einführung in die Menschenkunde der anthroposophischen Medizin| Ort = Stuttgart| Reihe = Studien zur Physiologie des Menschen| Abruf = 2023-08-09| Sprache = de| Datum = 2015| Online = http://deposit.dnb.de/cgi-bin/dokserv?id=5098696&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm|Autor=[[Armin Husemann]]|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Seiten=46f.|Kapitel=Physiologische Sklerose in den Kopforganen}}</ref> Im Gleichgewichtsorgan finden sich [[Wikipedia:Statolith|Otolithen]], in der [[Wikipedia:Epiphyse|Epiphyse]] Hirnsand. Zusammen mit den obigen morphologischen Betrachtungen lässt sich in Betrachtung des ganzen menschlichen Organismus ein Bezug von Kristallartigem zum Nerven-Sinnes-System nachvollziehen. Letzteres wird gemeinhin als Hauptsitz des Denkens angenommen. Steiner beschreibt Kristallisationsprozesse in Bezug zum Denken. Von dem Ort, der hauptsächlich den Denkprozessen zugeordnet wird, könnte daher auch in Bezug auf das Ganze eine Kristalltendenz angenommen werden. Dies entspricht einem [[Sal-Prozess]]. Der Prozess der Depolarisation des Nerven als funktionelles Korrelat des Bewusstseins lässt sich möglicherweise als leiser Ansatz zur Salzkristallbildung verstehen, insofern die Konzentration des [[Wikipedia:Natrium|Natrium]] in der Nervenzelle von 10-15 mM in Ruhe zu etwa 20-30 mM zum Höhepunkt der Erregung ansteigt. Eine gesättigte Kochsalzlösung hat etwa 359 mM. Die Verringerung der intrazellulären Natriumkonzentration erfolgt unter Energieaufwand ([[Wikipedia:Adenosintriphosphat|Adenosintriphosphat]]).<br />
<br />
====Fühlen - Koagulation====<br />
<br />
====Willen - Wärme====<br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*Artikel [https://www.anthromedics.org/BAS-0349-DE Dreigliederung] auf [[Anthromedics]]<br />
*Artikel [[Anthrowiki:Dreigliederung|Dreigliederung]] auf [[AnthroWiki|Anthrowiki]]<br />
*[[Unterer und oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|Oberer und unterer Mensch]]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references />{{QuelleWikipedia|lang=de|quelltitel=Anthroposophische Medizin}}<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
[[Kategorie:Grundkonzept der Anthroposophischen Medizin]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=European_Scientific_Cooperative_on_Anthroposophic_Medicinal_Products&diff=46082
European Scientific Cooperative on Anthroposophic Medicinal Products
2024-02-08T08:02:08Z
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<hr />
<div>{{Infobox Organisation<br />
| Abkürzung = ESCAMP<br />
| Logo = <br />
| Rechtsform = <br />
| Gründungsdatum = 2010<br />
| Zweck = <br />
| Vorsitz = <br />
| Geschäftsführung = <br />
| Website = https://www.escamp.org/<br />
|Sitz=Freiburg|Breitengrad=47.97386|Längengrad=7.80118|ISO-Region=DE}}<br />
<br />
Die '''European Scientific Cooperative on Anthroposophic Medicinal Products''' ist ein internationaler Zusammenschluss von Forschern und Experten auf dem Gebiet der anthroposophischen Arzneimittel (AMP).<ref>{{Internetquelle| titel = Background - ESCAMP - European Scientific Cooperative on Anthroposophic Medicinal Products| url = https://www.escamp.org/background.html| abruf = 2024-02-07}}</ref> Sie zielt darauf ab, die wissenschaftliche Grundlage für einen dauerhaften Rechtsrahmen für [[Anthroposophisches Arzneimittel|anthroposophische Arzneimittel]] (AMP) in Europa zu entwickeln. Dazu gehören Methoden und Standards für die wissenschaftliche Bewertung der Wirksamkeit/Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Kostenwirksamkeit von AMPs sowie geeignete Kategorien, Kriterien und Dokumente für die regulatorische Bewertung von AMPs.<ref>{{Internetquelle| titel = Introduction - ESCAMP - European Scientific Cooperative on Anthroposophic Medicinal Products| url = https://www.escamp.org/introduction.html| abruf = 2024-02-07}}</ref><br />
<br />
==Mitglieder==<br />
ESCAMP-Mitglieder sind neun Mediziner und Wissenschaftler für anthroposophische Arzneimittel (AMP), die fünf europäische Länder vertreten:<br />
<br />
*[[Erik Baars]] (Netherlands)<br />
*[[Thomas Breitkreuz]] (Germany)<br />
*[[Michael Evans]] (United Kingdom)<br />
*[[Anja Glockmann]] (Germany)<br />
*[[Harald J. Hamre]] (Norway/Germany)<br />
*[[David Martin]] (Germany)<br />
*[[Peter A. Pedersen]] (Denmark)<br />
*[[Georg Soldner]] (Germany)<br />
*[[Herman van Wietmarschen]] (Netherlands)<br />
<br />
==Beirat==<br />
Der Beirat besteht aus:<br />
<br />
*[[International Federation of Anthroposophic Medical Associations (IVAA)|Internationaler Verband der Anthroposophischen Ärztegesellschaften (IVAA)]]<br />
<br />
*Internationaler Verband anthroposophischer Apotheker (IAAP)<br />
<br />
*Europäische Föderation der Patientenvereinigungen für Anthroposophische Medizin (EFPAM)<br />
<br />
*[[AnthroMed|AnthroMed-Kliniknetzwerk]]<br />
<br />
*[[Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft]], Dornach, Schweiz<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
[[Kategorie:Pharmazie]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Pharmazie]]<br />
[[Kategorie:Europa]]<br />
[[Kategorie:Organisation (Anthroposophische Medizin)]]<br />
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Darmflora
2024-01-27T07:58:54Z
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<hr />
<div>[[Datei:E coli at 10000x, original.jpg|mini|Anhäufung von ''[[Wikipedia:Escherichia coli|Escherichia coli]]'' (Sekundärelektronenmikroskopie)]]<br />
<br />
Als '''Darmflora''' (Syn. '''Intestinalflora''', '''intestinale Mikrobiota''', '''intestinales Mikrobiom''') wird die Gesamtheit der [[Wikipedia:Mikroorganismus|Mikroorganismen]] bezeichnet, die den [[Wikipedia:Darm|Darm]] von Menschen und Tieren (sogar von Insekten<ref>https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/nuetzliche-untermieter-auch-im-darm-vieler-insekten-leben-bakterien-16060202.html</ref>) besiedeln und für den Wirtsorganismus von entscheidender Bedeutung sind. Es besteht somit eine [[Wikipedia:Mutualismus (Biologie)|Wechselbeziehung]] zwischen Lebewesen zweier [[Wikipedia:Art (Biologie)|Arten]]. Die Darmflora gehört zum [[Mikrobiom|Mikrobiom]] eines Vielzellers.<br />
<br />
Die Bezeichnung „[[Wikipedia:Flora|Flora]]“ beruht auf der früher vertretenen Auffassung, Bakterien und viele andere Mikroorganismen gehörten zum Pflanzenreich. Da Bakterien heute eine eigene [[Wikipedia:Domäne (Taxonomie)|Domäne]] bilden, sollte richtigerweise von einer Darmmikroorganismengemeinschaft oder von einer Darmmikrobiota gesprochen werden. Diese Bezeichnungen setzen sich in der Medizin nur langsam durch.<br />
<br />
Daneben finden sich im menschlichen Darm eine Vielzahl an – überwiegend harmlosen – Viren, etwa [[Wikipedia:Bakteriophagen|Bakteriophagen]], die Bakterien abbauen.<ref>[https://science.orf.at/stories/3204852/ Zensus : 140.000 Virenarten im Darm], orf.at, 5. März 2021, abgerufen 11. März 2021.</ref><br />
<br />
== Zusammensetzung ==<br />
=== Darmflora des Menschen ===<br />
Der Darm des Menschen wird von [[Wikipedia:Bakterien|Bakterien]], [[Wikipedia:Archaeen|Archaeen]] und [[Wikipedia:Eukaryoten|Eukaryoten]] besiedelt.<ref name="Nature">''[[Wikipedia:Nature|Nature]].'' Band 442, 24. August 2006, S. 851.</ref> Er stellt ein komplexes und dynamisches bakterielles Ökosystem dar, das sich innerhalb der ersten Lebensjahre etabliert. Die Besiedlungsdichte des Darms ist anfangs gering und steigt mit zunehmendem Lebensalter stetig an. Während des Geburtsprozesses und kurz danach erfolgt die erste bakterielle Besiedlung des vorher sterilen humanen [[Wikipedia:Verdauungstrakt|Verdauungstrakt]]es. Bei natürlich geborenen Kindern beginnt die Kolonisation während der Geburt. Die ersten Mikroorganismen, die nachgewiesen werden können, sind ''[[Wikipedia:Escherichia coli|Escherichia coli]]'', [[Wikipedia:Enterobakterien|Enterobakterien]] und [[Wikipedia:Streptokokken|Streptokokken]]. Durch [[Wikipedia:Kaiserschnitt|Kaiserschnitt]] geborene Kinder erhalten zunächst eine Darmflora, die der mütterlichen Hautflora entspricht.<ref>{{Literatur |Autor=M. G. Dominguez-Bello, E. K. Costello, M. Contreras u. a. |Titel=Delivery mode shapes the acquisition and structure of the initial microbiota across multiple body habitats in newborns |Sammelwerk=[[Wikipedia:Proc. Natl. Acad. Sci. USA|Proc. Natl. Acad. Sci. USA]] |Band=107 |Nummer=26 |Datum=2010-06 |Seiten=11971–11975 |DOI=10.1073/pnas.1002601107 |PMID=20566857}}</ref><br />
<br />
Einen besonderen Einfluss auf die Besiedlung hat die Nahrung. Ob ein Kind gestillt wird oder Flaschennahrung bekommt, lässt sich an der Darmflora erkennen. Der Darm gestillter Kinder wird nach den ersten Wochen hauptsächlich von den milchsäureproduzierenden Bakterien ([[Wikipedia:Bifidobakterien|Bifidobakterien]] und [[Wikipedia:Laktobazillen|Laktobazillen]]) bevölkert. Die von ihnen produzierte Milchsäure führt zu einer Ansäuerung des Darmmilieus, die es pathogenen Bakterien erschwert, sich dort anzusiedeln. Im Gegensatz dazu wird bei Flaschenkindern eine erwachsenenähnliche [[Wikipedia:Mikroflora|Mikroflora]] nachgewiesen.<br />
<br />
Die Darmflora von erwachsenen Menschen zeichnet sich durch eine Vielzahl von verschiedenen Bakteriengattungen aus. Bei einem gesunden Erwachsenen mittleren Alters besteht dieses Ökosystem aus hauptsächlich [[Wikipedia:Anaerobie|anaeroben]] Bakterien mit einer Gesamtzahl von 10 bis 100&nbsp;Billionen. Molekulare Analysen der 16S-ribosomalen DNA haben bisherige kulturabhängige Schätzungen von 200 bis 300 [[Wikipedia:Art (Biologie)|Arten]] auf bis zu 1800 [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Gattungen]] mit bis zu 36.000 Arten ansteigen lassen. Die zum Darmkanal gehörende [[Wikipedia:Habitat|Besiedlung]] eines Menschen enthält ''mindestens'' 500 bis 1000 unterschiedliche Arten.<ref name="Sonnenburg_2004">{{Literatur |Autor=J. L. Sonnenburg u. a. |Titel=Getting a grip on things: how do communities of bacterial symbionts become established in our intestine? |Sammelwerk=[[Wikipedia:Nat Immunol|Nat Immunol]] |Band=5 |Nummer=6 |Datum=2004 |Seiten=569–573 |PMID=15164016}}</ref><ref>D. N. Frank u. a.: ''Molecular-phylogenetic characterization of microbial community imbalances in human inflammatory bowel diseases.'' In: ''Proc Natl Acad Sci USA.'' 104, 2007, S. 13780–13785.</ref> Die Mikroorganismen besiedeln das Darmlumen, die Muzinschicht und die mukosalen Oberflächen. Im Gegensatz zum Dünndarm mit 10<sup>3</sup> bis 10<sup>7</sup> (zehn Millionen) Individuen je Gramm Kot, ist der Dickdarm mit 10<sup>11</sup> (hundert Milliarden) bis 10<sup>12</sup> (eine Billion) Individuen je Gramm dicht besiedelt.<ref>M. Wilson: ''Microbial Inhabitants of Humans. Their Ecology and Role in Health and Disease.'' Cambridge University Press, Cambridge 2005, ISBN 0-521-84158-5.</ref> Die Gesamtmasse der Mikroflora im Darmtrakt eines erwachsenen Menschen beträgt zwischen 1000 und 2000 Gramm, wobei sich über 50 % der mikroskopisch in Stuhlproben beobachtbaren Mikroorganismen nicht [[Wikipedia:Mikroorganismenkultur|kultivieren]] lassen.<ref name="Guarner_2003">{{Literatur |Autor=F. Guarner, J. R. Malagelada |Titel=Gut flora in health and disease |Sammelwerk=[[Wikipedia:The Lancet|The Lancet]] |Band=361 |Nummer=9356 |Datum=2003 |Seiten=512–519 |PMID=12583961}}</ref><ref name="Suau_1999">{{Literatur |Autor=J. L. Suau u. a. |Titel=Direct analysis of genes encoding 16S rRNA from complex communities reveals many novel molecular species within the human gut |Sammelwerk=Appl Environ Microbiol |Band=65 |Nummer=11 |Datum=1999 |Seiten=4799–4807 |PMID=10543789}}</ref><ref name="Guarner_2006">{{Literatur |Autor=F. Guarner u. a. |Titel=Mechanisms of disease: the hygiene hypothesis revisited |Sammelwerk=[[Wikipedia:Nat Clin Pract Gastroenterol Hepatol|Nat Clin Pract Gastroenterol Hepatol]]. |Band=3 |Nummer=5 |Datum=2006 |Seiten=275–284 |PMID=16673007}}</ref><br />
<br />
Die Darmflora besteht zu 99 % aus vier bakteriellen Abteilungen (Phyla = Stämmen): [[Wikipedia:Firmicutes|Firmicutes]], [[Wikipedia:Bacteroidetes|Bacteroidetes]], [[Wikipedia:Proteobacteria|Proteobacteria]] und [[Wikipedia:Actinobacteria|Actinobacteria]].<ref>P. B. Eckburg, D. A. Relman: ''The role of microbes in Crohn's disease.'' In: ''[[Wikipedia:Clin Infect Dis|Clin Infect Dis]].'' 44, 2007, S. 256–262.</ref> Bei Menschen mittleren Alters werden im Dickdarm fast ausschließlich obligate [[Wikipedia:Anaerobie|Anaerobie]]r (''[[Wikipedia:Bacteroides|Bacteroides]]'', ''[[Wikipedia:Bifidobacterium|Bifidobacterium]]'', ''[[Eubacterium]]'', ''[[Wikipedia:Clostridium|Clostridium]]'', ''[[Fusobacterium]]'', ''[[Wikipedia:Ruminococcus|Ruminococcus]]'', ''[[Roseburia]]'') gefunden, während sich die Dünndarmmikroflora hauptsächlich aus fakultativ anaeroben Bakterien wie beispielsweise ''[[Wikipedia:Enterococcus|Enterococcus]]''- und ''[[Wikipedia:Lactobacillus|Lactobacillus]]''-Arten zusammensetzt. Von der Art ''Escherichia coli'' gibt es verschiedene [[Wikipedia:Biovar|Biovar]]e. Einige dieser Biovare sind als Darmbewohner des Menschen völlig harmlos, andere jedoch pathogen: [[Wikipedia:Enterohämorrhagische Escherichia coli|enterohämorrhagische ''E. coli'']] (EHEC), [[Wikipedia:Escherichia coli|enteropathogene ''E. coli'']] (EPEC), [[Wikipedia:Escherichia coli|enteroinvasive ''E. coli'']] (EIEC), [[Wikipedia:Escherichia coli|enterotoxische ''E. coli'']] (ETEC). ''Escherichia coli'' ist einfach zu kultivieren und wird in der Mikrobiologie als [[Wikipedia:Modellorganismus|Modellorganismus]] verwendet.<br />
<br />
=== Darmflora des Hundes ===<br />
Die Darmflora bei Hunden besteht zu 99 % aus fünf bakteriellen Abteilungen. Neben den Firmicutes, Bacteroidetes, Proteobacteria und Actinobacteria wie beim Menschen kommen beim Hund [[Wikipedia:Fusobacteria|Fusobacteria]] vor. Im Magen finden sich bei gesunden Hunden ''[[Wikipedia:Helicobacter|Helicobacter]]'' spp., die die [[Wikipedia:Magenschleimhaut|Magenschleimhaut]] einschließlich der Magendrüsen invasiv besiedeln. Im Dünndarm überwiegen [[Wikipedia:Clostridia|Clostridia]], [[Wikipedia:Milchsäurebakterien|Milchsäurebakterien]] und [[Wikipedia:Proteobacteria|Proteobacteria]], im Dickdarm [[Wikipedia:Clostridiales|Clostridiales]], [[Wikipedia:Bacteroides|Bacteroides]], [[Prevotella]] und Fusobacteria. Dabei ist zu beachten, dass jedes Tier ein individuelles intestinales Mikrobiom besitzt.<ref>Jan Suchodelski, Kenneth Simpson: ''Das gastrointestinale Mikrobiom bei gesunden und kranken Hunden.'' In: ''Veterinary Focus.'' 23, 2013, S. 22–28.</ref><br />
<br />
== Nutzen, Funktion, Bedeutung ==<br />
Im Darm befinden sich rund 1,3-mal so viel Mikroorganismen, wie der Organismus des Menschen [[Wikipedia:Zelle (Biologie)|Zellen]] enthält.<ref>R. Sender u. a.: [http://biorxiv.org/content/early/2016/01/06/036103 ''Revised estimates for the number of human and bacteria cells in the body.'']</ref> Im Dickdarm befinden sich sehr viel mehr Mikroorganismen als im Dünndarm. Die Intestinalmikroflora ist an der Abwehr von Krankheitserregern ([[Wikipedia:Kolonisationsresistenz|Kolonisationsresistenz]]) beteiligt und beeinflusst das [[Immunsystem]], wobei nicht ganz klar ist, ob sich für den Wirt insgesamt ein Vorteil ergibt. Experimente mit von Mikroorganismen freien und normalen Mäusen haben gezeigt, dass verschiedene Bakterien und Amöben durch die Anwesenheit der Darmflora erst pathogen werden, hingegen werden die negativen Auswirkungen von einigen anderen eukaryotischen Einzellern und Saugwürmern verringert.<ref>L. Q. Vieira, M. R. Oliveira, E. Neumann, J. R. Nicoli, E. C. Vieira: ''[http://www.scielo.br/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0100-879X1998000100013 Parasitic infections in germfree animals].'' In: ''Braz J Med Biol Res.'' Band 31(1), Januar 1998, S. 105–110.</ref> Die Konstanz der Milieubedingungen im Darm und die Vielseitigkeit der in Form der Nahrung zugeführten Substrate begünstigen die Entwicklung einer an Individuen- und Arten-Zahl und Aktivitäten äußerst komplexen Mikroorganismengesellschaft. Nahrungsbestandteile und vom menschlichen Organismus gebildete Stoffe dienen den Mikroorganismen als Nährstoff- und Energiequelle. Die Mikroorganismen haben verschiedene Wirkungen auf den Menschen wie<br />
<br />
* [[Wikipedia:Immunmodulation|Immunmodulation]]<ref>S. Rakoff-Nahoum u. a.: ''Recognition of commensal microflora by toll-like receptors is required for intestinal homeostasis.'' In: ''Cell.'' 118, 2004, S. 229–241.</ref><br />
* Abwehr und Bekämpfung von [[Wikipedia:Pathogenität|pathogenen]] Erregern,<br />
* Versorgung mit [[Wikipedia:Vitamine|Vitamine]]n ([[Thiamin]], [[Wikipedia:Riboflavin|Riboflavin]], [[Wikipedia:Pyridoxin|Pyridoxin]], [[Wikipedia:Cobalamin|B<sub>12</sub>]], [[Wikipedia:Vitamin K|K]])<br />
* Unterstützung der [[Wikipedia:Verdauung|Verdauung]] von Nahrungsbestandteilen<ref name="Wolin-Fermentation">M. J. Wolin, T. L. Miller: ''Carbohydrate fermentation.'' In: D. J. Hentges (Hrsg.): ''Human intestinal microflora in health and disease.'' Academic Press, New York 1983.</ref><br />
* Versorgung der [[Wikipedia:Epithel|Darmepithelschicht]] mit Energie ([[Wikipedia:Butyrat|Butyrat]])<ref name="Wolin-Fermentation" /><br />
* Anregung der [[Wikipedia:Peristaltik|Darmperistaltik]]<br />
* Produktion von [[Wikipedia:Kurzkettige Fettsäuren|kurzkettigen Fettsäuren]] ([[Wikipedia:Butyrat|Butyrat]], [[Wikipedia:Essigsäure|Essigsäure]], [[Wikipedia:Propionsäure|Propionsäure]])<ref name="Wolin-Fermentation" /><br />
* Detoxifizierung von [[Wikipedia:Xenobiotika|Xenobiotika]]<ref>S. R. Gill u. a.: ''Metagenomic analysis of the human distal gut microbiome.'' In: ''Science.'' 312, 2006, S. 1355–1359.</ref><br />
* Verbesserung der [[Wikipedia:Hitzeresistenz|Hitzeresistenz]]<ref>C. M. Shing, J. M. Peake, C. L. Lim u. a.: ''Effects of probiotics supplementation on gastrointestinal permeability, inflammation and exercise performance in the heat.'' In: ''Eur J Appl Physiol.'' 114(1), Jan 2014, S. 93–103.</ref><br />
* Verbesserung der [[Wikipedia:Ausdauer|Ausdauer]]-Leistungsfähigkeit<ref>[[Wikipedia:Arnd Krüger|Arnd Krüger]]: ''Darm mit Charme.'' In: ''[[Wikipedia:Leistungssport (Zeitschrift)|Leistungssport]].'' 45, 2015, S. 2, 29; Y. J. Hsu, C. C. Chiu, Y. P. Li u. a.: ''Effect of intestinal microbiota on exercise performance in mice.'' In: ''Journal Strength Cond Res.'' 29(2), Feb 2015, S. 552–558</ref><br />
<br />
Während des mikrobiellen Abbaus unverdaulicher Kohlenhydrate (Ballaststoffe) werden im menschlichen Darm kurzkettige [[Wikipedia:Fettsäuren|Fettsäuren]] (hauptsächlich Essig-, Propion- und Buttersäure) und Gase gebildet, wie [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]] (H<sub>2</sub>), [[Wikipedia:Kohlenstoffdioxid|Kohlenstoffdioxid]] (CO<sub>2</sub>) und [[Wikipedia:Methan|Methan]] (CH<sub>4</sub>). Darmepithelzellen nehmen die Fettsäuren auf und verstoffwechseln sie; die Gase werden ausgeschieden ([[Wikipedia:Flatulenz|Flatulenz]]). Unter den kurzkettigen Fettsäuren wird besonders der Buttersäure auf Grund ihrer physiologischen Effekte eine besondere Bedeutung zugesprochen. Beispielsweise wurde bei Darmkrebs eine verminderte intestinale Buttersäurekonzentration beobachtet.<ref name="Wolin-Fermentation" /> Eine weitere Funktion der kurzkettigen Fettsäuren ist die Anregung der [[Wikipedia:Peristaltik|Darmperistaltik]], der kontraktiven Bewegung des Darms zur Beförderung von Nahrungsbrei in Richtung [[Wikipedia:Enddarm|Enddarm]].<br />
<br />
[[Datei:Fettsaure.svg|mini|hochkant=2|Verstoffwechselung bakteriell gebildeter kurzkettiger Fettsäuren]]<br />
<br />
Bei der anaeroben Verstoffwechselung von Proteinen werden kurzkettige, aber auch verzweigtkettige [[Wikipedia:Fettsäuren|Fettsäuren]] gebildet (iso-Valeriansäure, iso-Buttersäure). Daneben können noch Produkte wie [[Wikipedia:Thiole|Thiole]] (Mercaptane), [[Wikipedia:Indol|Indol]]e, [[Wikipedia:Amine|Amine]] und [[Wikipedia:Schwefelwasserstoff|Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S) gebildet werden. Im geringen Maße wird auch [[Wikipedia:Stickstoff|Stickstoff]] (N<sub>2</sub>) gebildet. Fette werden unter anoxischen Bedingungen im Darm nicht verstoffwechselt.<br />
<br />
Die Darmflora beeinflusst das Körpergewicht und spielt eine Rolle bei der Fettsucht ([[Wikipedia:Adipositas|Adipositas]]). Aus Experimenten an „dicken“ (englisch ''{{lang|en|obese}}'') Mäusemutanten (ob/ob), denen der Fettsäureregulator [[Wikipedia:Leptin|Leptin]] fehlt, ist bekannt, dass sich die Darmflora von dicken und schlanken Mäusen hinsichtlich der Zusammensetzung des Verhältnisses von Bakterien der [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Gattung]] [[Wikipedia:Bacteroides|Bacteroides]] und des [[Wikipedia:Stamm (Systematik)|Stamms (Abteilung)]] der [[Wikipedia:Firmicutes|Firmicutes]] unterscheidet, wobei dicke Mäuse einen größeren Anteil an Firmicutes aufweisen. Auch die Darmflora des Menschen hat Einfluss auf das Körpergewicht. Im Darm von gesunden Menschen finden sich Firmicuten- und Bacteroideten-Stämme in einem Verhältnis von 1:1 bis 3:1. Bei übergewichtigen Patienten finden sich häufig verschobene Verhältnisse zu Gunsten der Firmicutes von 3:1 auf bis 25:1 (in Extremfällen bis 200:1). Eine Dominanz der Firmicutes führt zu einem besseren Abbau von Ballaststoffen und der Gewinnung von zusätzlicher Energie. Übergewichtigkeit ist deshalb auch ein Resultat einer verbesserten Energieversorgung durch übermäßig stark ausgeprägte Firmicutes.<ref>{{Literatur |Autor=H. Köppen |Titel=Darmflora & Mikrobiom |Hrsg= |Sammelwerk=Website Praxiszentrum-Leipzig |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum= |Seiten= |ISBN=|Online=https://www.praxiszentrum-leipzig.de/innere-medizin/darmflora-mikrobiom/ |Abruf=2017-05-22}}</ref> Bei einer Gewichtsreduktion verschiebt sich das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroides hin. Die gegenseitige Beeinflussung der Zusammensetzung der Darmflora und des Körpergewichtes wird mit der Energieaufnahme in Zusammenhang gebracht, weil durch die Zusammensetzung der Darmflora die Verdauung von Fettsäuren und Polysacchariden beeinflusst wird. Dies geht aus Experimenten hervor, in denen die Darmflora (aus dem [[Wikipedia:Blinddarm|Caecum]]) von dicken Mäusen in Mikroorganismen-freie Mäuse transplantiert wurde, und diese anschließend, trotz Verringerung der Nahrungszufuhr, an Gewicht zunahmen.<ref name="Ley, et al.">R. E. Ley, P. J. Turnbaugh, S. Klein, J. I. Gordon: ''Microbial ecology: human gut microbes associated with obesity.'' In: ''Nature.'' 444(7122), 21 Dec 2006, S. 1022–1023.</ref><ref name="Turnbaugh, et al.">P. J. Turnbaugh, R. E. Ley, M. A. Mahowald, V. Magrini, E. R. Mardis, J. I. Gordon: ''An obesity-associated gut microbiome with increased capacity for energy harvest.'' In: ''Nature.'' 444(7122), 21. Dez 2006, S. 1027–1031.</ref><ref name="Bäckhed, et al.">F. Bäckhed, J. K. Manchester, C. F. Semenkovich, J. I. Gordon: ''Mechanisms underlying the resistance to diet-induced obesity in germ-free mice.'' In: ''Proc Natl Acad Sci U S A.'' 104(3), 16. Jan 2007, S. 979–984. Epub 2007 Jan 8.</ref><ref name="Bäckhed F, et al.">F. Bäckhed, H. Ding, T. Wang, L. V. Hooper, G. Y. Koh, A. Nagy, C. F. Semenkovich, J. I. Gordon: ''The gut microbiota as an environmental factor that regulates fat storage.'' In: ''Proc Natl Acad Sci U S A.'' 101(44), 2. Nov 2004, S. 15718–15723. Epub 2004 Oct 25.</ref><br />
<br />
Es wird diskutiert, inwiefern die Zusammensetzung der Darmflora bei Mäusen, wie bei Menschen, einen Einfluss auf das emotionale Verhalten und den Umgang mit Stress hat.<ref>{{Literatur |Autor=Emeran A. Mayer u. a. |Titel=Gut/brain axis and the microbiota |Sammelwerk=Journal of Clinical Investigation |Band=125 |Nummer=3 |Datum=2015-03 |ISSN=0021-9738 |Seiten=926–938 |DOI=10.1172/JCI76304}}</ref><br />
<br />
In ihrer Funktion als [[Wikipedia:Kommensale|Kommensale]]n verhindern die Mikroorganismen durch ihre bloße Menge ein Überwuchern von pathogenen Mikroorganismen, wie dies durch ''[[Wikipedia:Clostridium difficile|Clostridium difficile]]'' bei der [[Wikipedia:Pseudomembranöse Kolitis|pseudomembranösen Kolitis]] geschieht. Umgekehrt kann durch die Verabreichung von Stuhl eines gesunden Spenders durch einen Einlauf (über das [[Wikipedia:Rektum|Rektum]] oder eine liegende [[Wikipedia:Magensonde|Nasoduodenalsonde]]) eine therapieresistente pseudomembranöse Kolitis in der Mehrzahl der Fälle ausgeheilt werden, wie Studien<ref>Thomas J Borody u. a.: [http://www.jcge.com/pt/re/jclngastro/abstract.00004836-200407000-00003.htm ''Bacteriotherapy Using Fecal Flora: Toying With Human Motions.''] In: ''Journal of Clinical Gastroenterology.'' 2004.</ref> zeigten. Über Erfolge bei anderen [[Wikipedia:Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen|chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen]] wurde ebenfalls berichtet.<br />
<br />
Mit etwa 30 % der Trockenmasse ist die Darmflora ein wesentlicher Bestandteil der [[Wikipedia:Fäzes|Fäzes]].<br />
<br />
== Fehlbesiedelung des Darms ==<br />
Veränderungen der Darmflora können in einer Unter- oder Überbesiedelung und in einer Veränderung ihrer Zusammensetzung bestehen. Es können Fehlbesiedelungen entweder im Dick- oder im Dünndarm oder bei beiden gleichzeitig auftreten. Die optimale Zusammensetzung der Darmflora ist wirtsabhängig. Mäuse, die mit einer typischen Darmflora vom Menschen oder von der Ratte ausgestattet werden, weisen gegenüber Mäusen, welche die typische Darmflora für Mäuse besitzen, Schwachstellen in ihrem Immunsystem auf.<ref name="PMID22726443">H. Chung, S. J. Pamp u.&nbsp;a.: ''Gut immune maturation depends on colonization with a host-specific microbiota.'' In: ''Cell.'' Band 149, Nummer 7, Juni 2012, S.&nbsp;1578–1593, {{ISSN|1097-4172}}. [[doi:10.1016/j.cell.2012.04.037]]. PMID 22726443. {{PMC|3442780}}.</ref><br />
<br />
=== Symptome ===<br />
Diese umfassen allgemein Bauchschmerzen, Blähungen, eine erhöhte Infektanfälligkeit sowie Anfälligkeit für [[Wikipedia:Nahrungsmittelunverträglichkeit|Nahrungsmittelunverträglichkeit]]en. Bei einer gestörten Dünndarmflora tritt ein [[Wikipedia:Blähbauch|Blähbauch]] ohne abgehende Darmgase auf, der Bauch verflacht über Nacht wieder. Bei einer Fehlbesiedelung des Dickdarms dagegen tritt der Blähbauch mit abgehenden Darmgasen auf. Es sind ebenso Rückwirkungen auf das Immunsystem und Zusammenhänge der gestörten Darmbesiedelung mit dem [[Nervensystem]] zu beobachten.<ref name="dore">Joël Doré ([[Wikipedia:Institut national des sciences appliquées|INSA]]): {{Webarchiv |url= http://www.arte.tv/de/Die-Wirkung-von-Darmbakterien-geht-ueber-den-Verdauungstrakt-hinaus/6724566.html |wayback= 20120618074402 |text=''Die Wirkung von Darmbakterien geht über den Verdauungstrakt hinaus.''}} 11. Juni 2012, abgerufen am 16. Juni 2012.</ref><br />
<br />
=== Diagnose ===<br />
Um auf eine Fehlbesiedelung zu prüfen, wird zuerst zum Ausschluss einer [[Wikipedia:Dünndarmfehlbesiedlung|Dünndarmfehlbesiedlung]] ein Lactulose-[[Wikipedia:Wasserstoffatemtest|H<sub>2</sub>-Atemtest]] durchgeführt. Zusätzlich empfiehlt sich ein ausführlicher H<sub>2</sub>-Atemtest mit Laktose oder Fruktose, da diese Unverträglichkeiten einer bakteriellen Überbesiedelung aufgelagert sein können. Wenn eine Fehlbesiedelung des Dünndarms ausgeschlossen wurde, kann zusätzlich mit Hilfe einer Stuhlprobe der Darmflorastatus ermittelt werden, um auf eine Fehlbesiedelung des Dickdarms zu prüfen.<br />
<br />
== Forschungsgeschichte ==<br />
Da entdeckt wurde, dass Bakterien Krankheiten verursachen können, wurde die Existenz der Darmflora nach ihrer Entdeckung für eine Krankheit gehalten, die den Namen „intestinale Toxämie“ erhielt: Sir Arbuthnot Lane, der Chirurg des britischen Königshauses, empfahl seinen Patienten, sich wegen der gefährlichen Eingeweidebewohner den Dickdarm entfernen zu lassen. Darmreinigungen kamen bei Ärzten in Mode. In der weiteren Folge wurde das Thema von der Forschung weitgehend ignoriert. Die [[Wikipedia:anaerob|anaerob]]en Mikroorganismen konnten im Labor nicht untersucht werden.<br />
<br />
Erst das Aufkommen der [[Wikipedia:Antibiotika|Antibiotika]], deren bakterientötende Eigenschaft die Darmflora beschädigte, und die Folgen dieser Schädigung brachten das Thema zurück auf die Agenda der Forschung. Letztlich blieben wegen der praktischen Schwierigkeiten zunächst große Fortschritte aus. Dies lag daran, dass mit den klassischen [[Wikipedia:Mikroorganismenkultur|Kulturverfahren]] nur ein Bruchteil der Darmmikrobiota nachgewiesen werden konnte. Das Bild der Zusammensetzung der Darmflora hat sich seit Einführung molekularer Techniken teilweise grundlegend geändert.<ref> {{Webarchiv |text=Deutsches Institut für Ernährungsforschung: Gastrointestinale Mikrobiologie |url=http://www.dife.de/de/index.php?request=%2Fde%2Fforschung%2Fabteilungen%2Fkurzprofil.php%3Fabt%3DGAMI&kst=KR1301 |wayback=20140115024023}}</ref><br />
<br />
== Beeinflussung der Darmflora ==<br />
Zunächst wird bei einer Vaginalgeburt sofort der Darm des Säuglings besiedelt. Anfänglich sind [[Wikipedia:Enterobakterien|Enterobakterien]] und [[Wikipedia:Streptokokken|Streptokokken]] im Stuhl nachweisbar, und bei [[Wikipedia:Muttermilch|Muttermilch]]-Ernährung sind bald [[Wikipedia:Bifidobakterien|Bifidobakterien]] und ''[[Wikipedia:Ruminococcus|Ruminococcus]]''-Arten vorherrschend. Es besteht ein Zusammenhang zwischen mütterlicher Vaginalflora und fetaler Darmflora bei Vaginalgeburten.<ref>{{Literatur |Autor=C. F. Favier, E. E. Vaughan, W. M. De Vos, A. D. Akkermans |Titel=Molecular monitoring of succession of bacterial communities in human neonates |Sammelwerk=Appl. Environ. Microbiol. |Band=68 |Nummer=1 |Datum=2002-01 |Seiten=219–226 |PMC=126580 |PMID=11772630}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=C. Palmer, E. M. Bik, D. B. DiGiulio, D. A. Relman, P. O. Brown |Titel=Development of the human infant intestinal microbiota |Sammelwerk=[[Wikipedia:PLoS Biol|PLoS Biol]]. |Band=5 |Nummer=7 |Datum=2007-07 |Seiten=e177 |Online=http://biology.plosjournals.org/perlserv/?request=get-document&doi=10.1371%2Fjournal.pbio.0050177 |DOI=10.1371/journal.pbio.0050177 |PMC=1896187 |PMID=17594176}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=R. Mändar, M. Mikelsaar |Titel=Transmission of mother's microflora to the newborn at birth |Sammelwerk=Biol. Neonate |Band=69 |Nummer=1 |Datum=1996 |Seiten=30–35 |PMID=8777246}}</ref><br />
<br />
=== Medizinische Eingriffe ===<br />
Die Schädigung der Darmflora durch [[Wikipedia:Antibiotika|Antibiotika]] ist eine Nebenwirkung dieser Medikamentengruppe und kann zu einer [[Wikipedia:Antibiotika-assoziierte Diarrhoe|antibiotika-assoziierten Diarrhoe]] führen. Normalerweise stellt sich jedoch das ursprüngliche Gleichgewicht innerhalb weniger Wochen wieder ein. Durch intensive und beständige Antibiotikabehandlung kann die Besiedlung mit Mikroorganismen im Darm bleibend gestört werden, insbesondere bei Kindern.<ref name="dore" /> Jedes vierte [[Arzneimittel|Medikament]] aus der [[Medizin|Humanmedizin]] beeinflusst die Darmbakterien negativ und kann zu einer [[Wikipedia:Antibiotikaresistenz|Antibiotikaresistenz]] beitragen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.embl.de/aboutus/communication_outreach/media_relations/2018/0319_Nature/index.html#deu-ver |titel=Viele gängige Medikamente hemmen unsere Darmbakterien |werk=[[Wikipedia:Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie|embl.de]] |datum=2018-03-19 |zugriff=2019-03-30}}</ref><ref name="DOI10.1038/nature25979">Lisa Maier, Mihaela Pruteanu, Michael Kuhn, Georg Zeller, Anja Telzerow, Exene Erin Anderson, Ana Rita Brochado, Keith Conrad Fernandez, Hitomi Dose, Hirotada Mori, Kiran Raosaheb Patil, Peer Bork, Athanasios Typas: ''Extensive impact of non-antibiotic drugs on human gut bacteria.'' In: ''Nature.'' 555, 2018, S.&nbsp;623, {{DOI|10.1038/nature25979}}.</ref><br />
<br />
Inwieweit die Darmflora durch die Zuführung von Mikroorganismen, beispielsweise durch [[Wikipedia:Probiotikum|Probiotika]], beeinflusst werden kann („[[Wikipedia:Symbioselenkung|Symbioselenkung]]“), ist wissenschaftlich umstritten.<br />
<br />
In der Behandlung von ''[[Wikipedia:Clostridium difficile|Clostridium-difficile]]''-Darminfektionen ([[Wikipedia:antibiotikaassoziierte Kolitis|antibiotikaassoziierte Kolitis]]) sowie anderen bakteriell bedingten Darmentzündungen wird seit einigen Jahren mit großem Erfolg die fäkale Bakterien-Therapie in Form der [[Wikipedia:Stuhltransplantation|Stuhltransplantation]] angewendet.<ref>{{Literatur |Autor=Christian Lodberg Hvas, Simon Mark Dahl Baunwall, Christian Erikstrup |Titel=Faecal microbiota transplantation: A life-saving therapy challenged by commercial claims for exclusivity |Sammelwerk=EClinicalMedicine |Band=24 |Datum=2020-07-01 |ISSN=2589-5370 |DOI=10.1016/j.eclinm.2020.100436 |PMID=32642633 |Online=https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-53702030180-2/abstract |Abruf=2021-06-13}}</ref> Dabei wird Stuhl eines gesunden Spenders in physiologischer Kochsalzlösung aufgelöst, gereinigt und entweder über ein Klistier in den Dickdarm oder über eine nasogastrische Sonde in den Magen des Empfängers gebracht.<br />
<br />
Nach den Ergebnissen jüngster Forschungen wird [[Wikipedia:BLIS (Medizin)|BLIS]] als mögliche Sanierung empfohlen. In einer Studie wird zudem der positive Einfluss auf den Darmzustand durch Probiotika-Gabe bestätigt.<ref>[http://www.plosone.org/doi/pone.0001308 ''Probiotic Escherichia coli Nissle 1917 Inhibits Leaky Gut by Enhancing Mucosal Integrity''].</ref><br />
<br />
Da die zugeführten Bakterien nur bei intakter Darmbarriere ihre optimale Wirkung entfalten können<ref>Woojung Shina, Hyun Jung Kim: ''[https://www.pnas.org/content/115/45/e10539 Intestinal barrier dysfunction orchestrates the onset of inflammatory host–microbiome cross-talk in a human gut inflammation-on-a-chip.]'' Proceedings of the National Academy of Sciences 115.45 (2018)</ref>, ist es sinnvoll, diese zuvor oder gleichzeitig z. B. durch ein Arzneimittel mit [[Wikipedia:Myrrhe|Myrrhe]] zu stabilisieren. Untersuchungen an der [[Wikipedia:Charité Berlin|Charité Berlin]] belegen, dass die [[Wikipedia:Arzneipflanze|Arzneipflanze]] Myrrhe die Darmbarriere stabilisiert und sie vor schädlichen Einflüssen schützt.<ref>Rita Rosenthal et al.: ''[https://link.springer.com/article/10.1007/s00384-016-2736-x Myrrh exerts barrier-stabilising and-protective effects in HT-29/B6 and Caco-2 intestinal epithelial cells.]'' Int J Colorectal Dis. 32(5): 623-634 (2017)</ref> Forschungen an der [[Wikipedia:Universität Leipzig|Universität Leipzig]] konnten darüber hinaus zeigen, dass Myrrhe und [[Wikipedia:Kaffeekohle|Kaffeekohle]] dabei vergleichbar gut wirken wie das häufig verordnete Kortsionpräparat [[Wikipedia:Budesonid|Budesonid]].<ref>Laura Weber et al.: ''[https://www.mdpi.com/2218-273X/10/7/1033 Anti-Inflammatory and Barrier Stabilising Effects of Myrrh, Coffee Charcoal and Chamomile Flower Extract in a Co-Culture Cell Model of the Intestinal Mucosa.]'' Biomolecules 10, 1033 (2020)</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Wikipedia:Bakterienflora|Bakterienflora]]<br />
* [[Wikipedia:Hautflora|Hautflora]]<br />
* [[Wikipedia:Scheidenflora|Scheidenflora]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Jörg Blech: ''Leben auf dem Menschen – Die Geschichte unserer Besiedler.'' Rowohlt-Verlag, 2010, ISBN 978-3-499-62494-0.<br />
* Peter Brookesmith, Karin Prager: ''Kleine Ungeheuer. Die geheime Welt der winzigen Lebewesen.'' Gondrom-Verlag, 1999, ISBN 3-8112-1735-6, S. 55–59.<br />
* J. Müller, R. Ottenjann, J. Seifert (Hrsg.): ''Ökosystem Darm – Morphologie. Mikrobiologie. Immunologie.'' Springer-Verlag, Berlin 1989, ISBN 3-540-51707-3.<br />
* Rosemarie Blatz: ''Medizinische Mikrobiologie und Immunologie – systematisch.'' Uni-Med, Bremen 1999, ISBN 3-89599-139-2.<br />
* Jürgen Schulze u. a.: ''Probiotika; Mikroökologie, Mikrobiologie, Qualität, Sicherheit und gesundheitliche Effekte.'' Hippokrates-Verlag, 2008, ISBN 978-3-8304-5356-7.<br />
* B. D. Muegge, J. Kuczynski: ''Diet drives convergence in gut microbiome functions across mammalian phylogeny and within humans.'' In: ''[[Wikipedia:Science|Science]].'' Band 332, Nummer 6032, Mai 2011, S.&nbsp;970–974, {{ISSN|1095-9203}}. [[doi:10.1126/science.1198719]]. PMID 21596990. {{PMC|3303602}}.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary}}<br />
* Christine Westerhaus: [http://www.deutschlandfunk.de/manuskript-allerbeste-freunde.740.de.html?dram:article_id=225050 Manuskript: ''Allerbeste Freunde''], [[Wikipedia:Deutschlandfunk|Deutschlandfunk]] – ''[[Wikipedia:Wissenschaft im Brennpunkt|Wissenschaft im Brennpunkt]]'' vom 21. Oktober 2012<br />
** ''Forschung aktuell'', 29. April 2016: [http://www.deutschlandfunk.de/bakterien-welche-faktoren-die-darmflora-beeinflussen.676.de.html?dram:article_id=352861 ''Welche Faktoren die Darmflora beeinflussen'']<br />
** ''Forschung aktuell, Meldungen.'' 23. Mai 2016: [http://www.deutschlandfunk.de/meldungen-liste-forschung-aktuell.1508.de.html?drn:news_id=616466 ''Darm und Hirn sprechen miteinander.'']; nach: [http://www.cell.com/cell-reports/pdf/S2211-1247(16)30518-6.pdf cell.com, ''Cell Reports: Ly6Chi Monocytes Provide a Link between AntibioticInduced Changes in Gut Microbiota and Adult Hippocampal Neurogenesis.''] [[doi:10.1016/j.celrep.2016.04.074]]<br />
** 25. Mai 2016: [http://www.deutschlandfunk.de/landwirtschaft-antibiotika-kurbeln-produktion-von.676.de.html?dram:article_id=355187 ''Antibiotika kurbeln Produktion von Treibhausgasen an.''] (über die Veränderung der Darmflora von Rindern)<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4148805-2}}<br />
<br />
[[Kategorie:Mikrobiom]]<br />
[[Kategorie:Gastroenterologie]]<br />
[[Kategorie:Kot]]<br />
[[Kategorie:Verdauungsphysiologie]]{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
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Freie Europäische Akademie der Wissenschaften (FEAW)
2023-12-16T08:06:45Z
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<hr />
<div>Die '''Freie Europäische Akademie der Wissenschaften (FEAW)''' war eine wissenschaftliche Organisation, die am 8. Juli 1976 in der Vrije Hoggeschool in [[Wikipedia:Driebergen|Driebergen]] gegründet wurde.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Bernhard Lievegoed |Titel=Geleitwort |Hrsg=Gerhard Kienle, Herbert Hensel, Karl-Ernst Schäfer |Sammelwerk=Wissenschaft und Anthroposophie; Impulse für neue Wege in der Forschung |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Urachhaus |Ort=Stuttgart |Datum=1989 |ISBN=3878386095 |Seiten=}}</ref> Sie veranstaltete eine Reihe internationaler Symposien. Impulse aus ihr flossen in die spätere Gründung der [[Wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Universität Witten/Herdecke]] ein. Die ersten Vorstandsmitglieder waren [[Herbert Hensel]], [[Gerhard Kienle]], M. Kriele, [[Bernard Lievegoed|B.C.J. Lievegoed]], C.J. Zwart.<ref name=":0" /> <br />
<br />
Sie brachte über 60 internationale Hochschullehrer mit anthroposophisch-anthropologischen, humanistischem<ref name=":2" /> Anliegen zusammen.<ref name=":3">{{Internetquelle |titel=Gerhard Kienle |url=http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=175 |zugriff=2015-06-11 |werk=Forschungsstelle Kulturimpuls - Biographien Dokumentation|autor=Selg, Peter|hrsg=|datum=|sprache=}}</ref> Darunter sowohl [[Wikipedia:Anthroposophie|anthroposophisch]] motivierte Hochschullehrer wie [[Herbert Hensel]], [[Gunther Hildebrandt]], Wolfgang Blankenburg und [[Bernard Lievegoed]] als auch internationale Wissenschaftler wie der Computerspezialist [[Wikipedia:Joseph Weizenbaum|Joseph Weizenbaum]], der Physiologe [[Wikipedia:Paul Alfred Weiss|Paul Weiss]], oder Samuel Beecher, der sich in den USA gegen Medikamentenversuche an Abhängigen, Gefangenen oder an geistig Behinderten gewendet hatte<ref name=":2" />. Im Einladungsschreiben der FEAW formulierte [[Diether Lauenstein]]:<blockquote>Sie [die FEAW] führt Gelehrte zusammen, welche die gemeinsame gedankliche Grundlage ihrer Wissenschaften suchen, dem bloßen Positivismus entgegenarbeiten und ihre Fachgebiete nicht nur nachträglich interdisziplinär verbinden.<br />Zwar sehen die Einladenden die Anthroposophie Rudolf Steiners als eine fruchtbare Weltdeutung an, möchten sich in der Akademie aber mit allen solchen Gelehrten verbinden, welche die Wahrheitsfrage in ihrer Wissenschaft philosophisch stellen.</blockquote>Die FEAW veranstaltete von 1976 bis Ende 1996 elf Tagungen und Symposien.<ref>{{Internetquelle |titel=Antroposofie in de pers: Opkomst en ondergang |url=http://antroposofieindepers.blogspot.de/2008/07/opkomst-en-ondergang.html |zugriff=2015-06-11 |werk=antroposofieindepers.blogspot.de}}</ref> Das erste Symposion fand am 25.11.1977 in Herdecke statt. <br />
<br />
===Vorfeld===<br />
Im Vorfeld der FEAW wurde ab dem 24. September 1973<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Peter Selg |Titel=Gerhard Kienle |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum= |ISBN= |Seiten=506}} zitiert nach {{Internetquelle |autor=Michel Gastkemper |url=https://antroposofieindepers.blogspot.com/2008/07/opkomst-en-ondergang.html |titel=Opkomst en ondergang |werk=Antroposofie in de pers |hrsg= |datum=2008-07-16 |abruf=2021-07-30 |sprache=nl}}</ref> aus einer Verbindung [[Gerhard Kienle|Gerhard Kienles]] mit [[Karl-Ernst Schäfer]] ein fünftägiges Symposium mit dem Titel [[Menschengemäße Physiologische Wissenschaft und Medizin|"Menschengemäße Physiologische Wissenschaft und Medizin" ("Man-centered Physiological Science and Medicine")]]<ref name=":1" /> abgehalten.<ref name=":2">{{Internetquelle |autor=Konrad Schily |url=https://www.dreigliederung.de/essays/2010-08-001 |titel=Die Standardisierung ist genau das Mittel, um die Komplexität nicht mehr begreifbar zu machen |werk=Institut für Soziale Dreigliederung |hrsg= |datum=2010-08-01 |abruf=2021-07-30 |sprache=de}}</ref> Die Vorträge wurden publiziert in den Bänden "Toward a man-centered science"<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Toward a man-centered medical science |Hrsg=[[Karl-Ernst Schäfer]], [[Herbert Hensel]], [[Ronald Brady]] |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=[[Futura publishing company|Futura Pub. Co.]] |Ort=New York |Datum=1977 |Reihe=New Image of Man and Medicine |NummerReihe= |BandReihe=1 |ISBN=9780879930691 |OCLC= |Seiten=}}</ref> (1977), "Basis of an Individual Physiology"<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Basis of an Individual Physiology |Hrsg=[[Karl-Ernst Schäfer]], [[Gunther Hildebrandt]], [[Norman Macbeth]] |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=[[Futura publishing company|Futura Pub. Co.]] |Ort=Mount Kisco New York |Datum=1979 |Sprache=en |Reihe=New Image of Man and Medicine |NummerReihe= |BandReihe=2 |ISBN=978-0-87993-106-3 |Seiten=}}</ref> (1979) und "Individuation Process and Biographical Aspects of Disease"<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Individuation Process and Biographical Aspects of Disease |Hrsg=[[Karl-Ernst Schäfer]], Uwe Stave, [[Wikipedia:Wolfgang Blankenburg|Wolfgang Blankenburg]] |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=[[Futura publishing company|Futura Pub. Co.]] |Ort=Mount Kisco New York |Datum=1979 |Sprache=en |Reihe=New Image of Man and Medicine |BandReihe=3 |ISBN=978-0-87993-117-9 |Seiten=}}</ref> (1979) bei der [[Futura publishing company|Futura publishing company]].<br />
<br />
===Entwicklungsimpulse zu einer Universität, Gründung der Universität Witten/Herdecke===<br />
Schon länger verfolgtes Ansinnen<ref name=":3" /> einer Gruppe von Mitgliedern der FEAW um [[Gerhard Kienle|Kienle]], [[Diether Lauenstein|Lauenstein]], [[Herbert Hensel|Hensel]] und [[Karl-Ernst Schäfer|Schäfer]] war die Gründung einer Hochschule.<ref name=":0" /> Diese Gründung wurde 1983 unter der Führung von [[Konrad Schily]] mit der staatlichen Anerkennung 1982 der [[Wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Universität Witten/Herdecke]] erreicht.<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Elite für Grundfragen |Hrsg= |Sammelwerk=Der Spiegel |Band= |Nummer=19 |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1981 |Sprache=de |ISBN= |Seiten= |Online=https://www.spiegel.de/politik/elite-fuer-grundfragen-a-58b1e4be-0002-0001-0000-000014332499?context=issue |Abruf=2021-07-30}}</ref><ref>{{Internetquelle| autor=Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt| titel = Konrad Schily: Ein neuer Job mit 67| sprache = de| datum = 2005-10-14| url = https://www.aerzteblatt.de/archiv/48688/Konrad-Schily-Ein-neuer-Job-mit-67| abruf = 2023-12-15| werk = Deutsches Ärzteblatt}}</ref><br />
<br />
==Rückblicke==<br />
B. Lievegoed berichtet rückblickend mit 90 Jahren:<ref name=":0" /><blockquote>Folgende Themen stellte sie sich zur Aufgabe:<br />
<br />
#Welche rechtlichen, administrativen und organisatorischen Konsequenzen hat das Prinzip der ''Freiheit von Lehre und Forschung''?<br />
#Was ist eine Tatsache im Sinne der Erkenntnistheorie und der Naturwissenschaft?</blockquote><br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*Symposium 1973 [[Menschengemäße Physiologische Wissenschaft und Medizin|"Menschengemäße Physiologische Wissenschaft und Medizin" ("Man-centered Physiological Science and Medicine")]]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Integrative Medizin]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Akademie]]<br />
[[Kategorie:Organisation (Medizin)]]<br />
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Wermutkraut&diff=46016
Wermutkraut
2023-11-26T09:25:22Z
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<hr />
<div><!-- Für Informationen zum Umgang mit dieser Vorlage siehe bitte [[Wikipedia:Taxoboxen]]. --><br />
{{Taxobox<br />
| Taxon_Name = Wermut<br />
| Taxon_WissName = Artemisia absinthium<br />
| Taxon_Rang = Art<br />
| Taxon_Autor = [[Carl von Linné|L.]]<br />
| Taxon2_WissName = Absinthium<br />
| Taxon2_LinkName = nein<br />
| Taxon2_Rang = Untergattung<br />
| Taxon3_WissName = Artemisia<br />
| Taxon3_LinkName = Artemisia (Pflanze)<br />
| Taxon3_Rang = Gattung<br />
| Taxon4_WissName = Artemisiinae<br />
| Taxon4_Rang = Untertribus<br />
| Taxon5_WissName = Anthemideae<br />
| Taxon5_Rang = Tribus<br />
| Taxon6_WissName = Asteroideae<br />
| Taxon6_Rang = Unterfamilie<br />
| Bild = Koeh-164.jpg<br />
| Bildbeschreibung = Gemeiner Wermut (''Artemisia absinthium''), Illustration<br />
}}<br />
<br />
('''Gemeiner''') '''Wermut''', '''Echt-Wermut'''<ref name="ExkursionsfloraA2008" /> oder '''Wermutkraut''' (''Artemisia absinthium L.''), auch '''Bitterer Beifuß''' oder '''Alsem''', ist eine Pflanzenart in der [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Gattung]] ''[[Artemisia (Gattung)|Artemisia]]'' aus der [[Wikipedia:Familie (Biologie)|Familie]] der [[Wikipedia:Korbblütler|Korbblütler]] (Asteraceae).<br />
<br />
==Merkmale==<br />
[[Datei:Artemisia absinthium 0002.JPG|mini|links|''Artemisia absinthium'', [[Wikipedia:Blütenstand|Blütenstand]]]]<br />
[[Datei:Artemisia absinthium sl11.jpg|mini|links|Laubblatt (Ober- und Unterseite)]]<br />
[[Datei:Artemisia-absinthium.JPG|mini|Wermut im Kaukasus]]<br />
[[Datei:Artemisia absinthium sl13.jpg|mini|links|Laubblatt-Querschnitt mit T-Haar auf der Epidermis]]<br />
[[Datei:Artemisia absinthium 001.jpg|mini|Wermut (''Artemisia absinthium''), [[Wikipedia:Habitus (Biologie)|Habitus]]]]<br />
[[Datei:Artemisia absinthium sl20.jpg|mini|links|Laubblatt-Querschnitt mit eingesenkter Öldrüse auf der Epidermis|verweis=Special:FilePath/Artemisia_absinthium_sl20.jpg]]<br />
Der Wermut ist eine [[Wikipedia:Ausdauernde Pflanze|ausdauernde]], meist [[Wikipedia:krautige Pflanze|krautige Pflanze]] mit Wuchshöhen von 40 bis 60, gelegentlich bis 150 Zentimetern. Die Pflanze erscheint oberirdisch gräulich-grün und duftet stark aromatisch.<br />
<br />
Aus einem waagerecht wachsenden [[Wikipedia:Rhizom|Rhizom]] gehen die aufrechten, dicht beblätterten Sprossen hervor, die am Grund manchmal [[Holz|verholzen]] und sich im oberen Bereich mehrfach verzweigen.<br />
<br />
Die Sprossachsen sind leicht gestreift, weisen sehr kleine punktförmige Öldrüsen auf und sind dicht anliegend behaart oder nahezu unbehaart.<br />
<br />
Die tiefer sitzenden Blätter weisen bis zu 10 Zentimeter lange [[Wikipedia:Blattstiel|Blattstiel]]e und eine 8 bis 15 Zentimeter lange und 4 bis 8 Zentimeter breite, in 2 bis 3 Lappen je Seite gespaltene [[Wikipedia:Blattspreite|Blattspreite]] auf. Die oberen Blätter sind kürzer gestielt bis fast sitzend und weisen weniger sowie stärker lanzettlich geformte Lappen auf. Die Blätter im Bereich des [[Wikipedia:Blütenstand|Blütenstand]]s sind klein, sitzend und dreilappig oder ungeteilt. Die Blattoberseiten sind dicht behaart.<br />
<br />
Die Blüten sitzen in kurz gestielten, hängenden [[Wikipedia:Köpfchen|Köpfchen]], die in bis zu 30 Zentimeter langen, pyramidenförmigen, [[Wikipedia:rispe|rispe]]nartigen Gruppen zusammengefasst sind. Die [[Wikipedia:Hüllblatt|Hüllblätter]] sind zwei- bis dreimal drei bis fünf Millimeter groß und breit eiförmig. Die [[Wikipedia:Blütenkelch|Kelchblätter]] sind außen dicht seidig behaart. Die einzelnen Blüten sind gelb mit ein bis zwei Millimeter langen Kronröhren, die bei den äußeren, 9 bis 20 rein weiblichen Blüten zwei Spitzen und bei den 30 bis 50 [[Wikipedia:Hermaphroditismus|zwittrigen]] Blüten im Inneren des Köpfchens fünf Spitzen aufweisen.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Frucht|Früchte]] sind eiförmige bis zylindrische, etwa einen halben Millimeter lange [[Wikipedia:Achäne|Achäne]]n.<ref name="Pakistan" /><ref name="FoNA" /><br />
<br />
Die [[Wikipedia:Chromosomenzahl|Chromosomenzahl]] beträgt 2n = 18.<ref name="Oberdorfer2001" /><br />
<br />
==Vorkommen==<br />
Wermut kommt natürlich im [[Wikipedia:Gemäßigtes Klima|gemäßigten]] [[Wikipedia:Eurasien|Eurasien]], in [[Wikipedia:Indien|Indien]], [[Wikipedia:Marokko|Marokko]] und [[Wikipedia:Algerien|Algerien]] vor.<ref name="GRIN" /> Er wächst bevorzugt auf trockenen oder auf sandig-tonigen Böden in der Nähe von Wasserläufen in Höhen bis zu 3500 Meter. Er ist in [[Wikipedia:Mitteleuropa|Mitteleuropa]] eine Charakterart der Ordnung Onopordetalia, kommt aber auch in Gesellschaften der Klasse Agropyretea vor.<ref name="Oberdorfer2001" /><br />
In [[Wikipedia:Nordamerika|Nordamerika]] wurde der Wermut eingeführt und kommt in sich selbst erhaltenden [[Wikipedia:Population (Biologie)|Populationen]] vor.<ref name="Pakistan" /><br />
<br />
Die alteingebürgerten Vorkommen in allen Bundesländern Österreichs werden als häufig bis selten angegeben.<ref name="ExkursionsfloraA2008" /><br />
<br />
==Inhaltsstoffe==<br />
Wermutkraut enthält mit 0,15 bis 0,4 % eine hohe Konzentration an [[Bitterstoff]]en aus der Gruppe der [[Wikipedia:Sesquiterpenlactone|Sesquiterpenlactone]], darunter [[Wikipedia:Absinthin|Absinthin]] mit 0,2 bis 0,28 % als Hauptkomponente. Daneben kommen [[Artabsin]], [[Wikipedia:Matricin|Matricin]], [[Anabsinthin]] und andere Stoffe vor.<br />
<br />
Das [[Wikipedia:Ätherische Öle|ätherische Öl]] enthält über 60 Komponenten, insbesondere [[Wikipedia:Thujon|Thujon]] (hauptsächlich (+)-β-Thujon neben wenig (−)-α-Thujon), sowie ''trans''-[[Sabinylacetat]] und [[Lavandulylacetat]]. Daneben enthält es [[Wikipedia:cis-3-Hexenol|''cis''-3-Hexenol]], [[Wikipedia:α-Pinen|α-Pinen]], [[Wikipedia:Sabinen|Sabinen]], [[Wikipedia:Myrcen|Myrcen]], [[Wikipedia:p-Cymol|''p''-Cymol]], [[Wikipedia:1,8-Cineol|1,8-Cineol]], ''trans''-[[Sabinol]], [[Wikipedia:Lavandulol|Lavandulol]], [[Wikipedia:Terpinen-4-ol|Terpinen-4-ol]], [[Wikipedia:Nerol|Nerol]], [[Wikipedia:Geraniol|Geraniol]], [[Wikipedia:Geranylacetat|Geranylacetat]], [[Wikipedia:Geranylpropionat|Geranylpropionat]] und [[Wikipedia:Cadinene|γ-Cadinen]].<ref name="ZNaturf1981-370" /> In anderen Untersuchen wurden (+)-[[Isothujon]], [[Thujylalkohol]] und dessen [[Wikipedia:Ester|Ester]], [[Wikipedia:Chamazulen|Chamazulen]], weitere [[Wikipedia:Terpene|Mono- und Sesquiterpene]], sowie verschiedene [[Wikipedia:Flavonoide|Flavonoide]] nachgewiesen; kleinere Mengen an [[Wikipedia:Polyacetylene|Polyacetylene]]n werden vermutet.<ref name="Teedrogen" /><br />
==Verwendung==<br />
Wermut wird seit der [[Wikipedia:Antike|Antike]] als [[Heilpflanze]] eingesetzt. Ihm wurden zahlreiche Wirkungen zugeschrieben, darunter die Förderung von Appetit, Verdauung und Menstruation sowie Hilfe bei Kopfschmerzen, Gelbsucht und Entzündungen. Auch als Abtreibungsmittel ([[Wikipedia:Abortivum|Abortivum]]) ist Wermut bekannt.<ref>André Patoir u. a.: ''Étude expérimentale compartive de quelques abortifs (Apiol, Rue, Sabine, Armoise).'' In: ''Gynéc. et Obstétr.'' Band 39, 1939, S. 201–209.</ref> Im alten Griechenland war die Pflanze der jungfräulichen Jagdgöttin [[Wikipedia:Artemis|Artemis]] geweiht, in Ägypten, wo sie auch als Liebeszauber eingesetzt wurde, der Fruchtbarkeitsgöttin [[Wikipedia:Bastet|Bastet]]. Im [[Wikipedia:Mittelalter|Mittelalter]] wurde der Einsatz als Heilpflanze unter anderem von [[Hildegard von Bingen]] ausführlich beschrieben, die vor allem die äußerlichen Anwendungen betonte. Daneben wurde Wermut zur Abwehr von Mäusefraß an Büchern in Schreibtinte verwendet und gegen Motten in Kleiderschränke gehängt. Er galt außerdem als wirksames Abwehrmittel gegen [[Wikipedia:Hexe|Hexe]]rei und [[Wikipedia:Dämon|dämonische]] Einflüsse und wurde bei verschiedenen Ritualen sowie in [[Kräutermütze]]n gegen Schlaflosigkeit eingesetzt.<ref name="Klosterheilkunde" /><ref name="Abraham" /><br />
<br />
Auch heute wird eine Wirksamkeit zur Appetitanregung, bei Beschwerden des Verdauungstraktes, wie [[Wikipedia:Gastritis|Gastritis]] oder [[Wikipedia:Blähung|Blähung]], zur Anregung der Leberfunktion sowie bei krampfartigen Störungen des Darm- und Gallenwegbereichs vermutet. Die verdauungsfördernde Wirkung wird dabei auf die enthaltenen [[Bitterstoff]]e zurückgeführt. Verwendet werden Bruchstücke der Zweigspitzen blühender Pflanzen (Absinthii herba bzw. Herba Absinthii). Diese werden in verschiedenen kommerziell erhältlichen Phytopharmaka als wässrige oder wässrig-alkoholische Auszüge verarbeitet oder können als Tee zubereitet werden.<br />
<br />
[[Datei:Thujon - Thujone.svg|mini|hochkant=0.5|[[Wikipedia:Thujon|Thujon]]]]<br />
<br />
Nebenwirkungen können bei starker Überdosierung oder der Verwendung alkoholischer Extrakte auftreten und gehen auf die toxische Wirkung des [[Wikipedia:Thujone|Thujons]] zurück. Sie können Benommenheit, Erbrechen, Bauchschmerzen und in schweren Fällen Nierenschäden und Störungen des Zentralnervensystems umfassen. Wässrige Auszüge enthalten im Gegensatz zu alkoholischen relativ geringe Mengen an Thujon. Das reine ätherische Öl wird aufgrund des Thujongehalts von bis zu 40 % nicht medizinisch verwendet.<br />
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Neben der Verwendung als medizinische [[Wikipedia:Droge|Droge]] kann Wermut auch als verdauungsförderndes Gewürz zu fetten Speisen verwendet werden.<br />
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Wermut ist Bestandteil des [[Wikipedia:Absinth|Absinth]], eines alkoholischen Getränks mit Auszügen von Wermut, [[Wikipedia:Fenchel|Fenchel]], [[Anis]] und [[Wikipedia:Melisse|Melisse]], das besonders im 19.&nbsp;Jahrhundert beliebt wurde und aufgrund des Thujongehalts und der vermuteten gesundheitsschädlichen Wirkung zeitweise in verschiedenen europäischen Ländern verboten war.<ref name="Teedrogen" /><ref name="Klosterheilkunde" /> Wermutkrautextrakte werden auch verwendet zur Herstellung des Getränks [[Wikipedia:Wermut (Getränk)|Wermut]], eines mit Gewürzen und Kräutern aromatisierten und [[Wikipedia:Aufspriten|aufgespriteten]] Weins.<br />
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Im Pflanzenschutz wird [[Wikipedia:Wermutjauche|Wermutjauche]] verwendet<ref>[https://www.fr.de/ratgeber/wohnen/wermutjauche-kraeuter-helfen-11539099.html ''Wermutjauche und Kräuter helfen''], fr-online.de, 7. Mai 2009</ref>.<br />
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==Bezeichnung==<br />
===Etymologie===<br />
Wermut, über mittelhochdeutsch ''wërmuot'' von althochdeutsch ''wër(i)muota'' („Beifuß, Wermut, Artemisia absinthium“), ist ein [[Wikipedia:Westgermanische Sprachen|westgermanisches]] Wort unbekannter Herkunft. Zugrundeliegen könnte (wie in „Werwolf“) althochdeutsch ''wër'' („Mann, Mensch“) mit Suffix ''-ōti'' („versehen mit“) und Angleichung an althochdeutsch ''muot'' („Mut, Gesinnung“).<ref>[[Wikipedia:Friedrich Kluge|Friedrich Kluge]], [[Wikipedia:Alfred Götze (Philologe)|Alfred Götze]]: ''[[Wikipedia:Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache|Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]].'' 20. Auflage. hrsg. von [[Wikipedia:Walther Mitzka|Walther Mitzka]]. De Gruyter, Berlin/ New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 854.</ref><br />
<br />
Der englische Name ''{{lang|en|wormwood}}'' (wörtlich ‚Wurmholz‘) ist eine [[Wikipedia:Volksetymologie|volksetymologische]] Umdeutung des altenglischen Namens ''{{lang|en|wermod}}'' und deutet darauf hin, dass man dem Wermut anti-[[Wikipedia:Parasitismus|parasitäre]] Eigenschaften als „Wurmmittel“ zuschrieb. Andere Namensformen wiederum sind (wohl ebenfalls volksetymologisch) an ''warm'' angelehnt wegen der „wärmenden“ Eigenschaft des Wermutabsudes.<br />
<br />
===Übertragene Bedeutung===<br />
In symbolischer oder poetischer Sprache steht ''Wermut'' auch für Bitterkeit und Trauer. Der Ausdruck ''Wermutstropfen'' beschreibt etwas Schmerzhaftes oder Unangenehmes, das in eine an sich schöne Erfahrung eine Spur von Bitterkeit hineinbringt, so wie ein Tropfen Wermut einem süßen Getränk eine Spur Bitterkeit verleiht.<br />
<br />
Wermut wird mehrmals im [[Wikipedia:Altes Testament|Alten Testament]] erwähnt, immer in bildlicher Verwendung.<ref>[https://www.bibelkommentare.de/?page=dict&article_id=4452 Bibel-Lexikon: Wermut] bibelkommentare.de</ref> Ein dramatisches Beispiel für die Bedeutung „Quelle der Bitterkeit“ findet man in der Offenbarung im [[Wikipedia:Neues Testament|Neuen Testament]]: Der dritte Engel blies seine Posaune und ein Stern namens Wermut fiel vom Himmel ins Wasser, worauf sich ein Drittel des Wassers in bitteren Absinth wandelte und viele Menschen an dem Bitterwasser starben.<ref>{{B|Offb|8|10–11}}</ref><br />
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===Wissenschaftlicher Name===<br />
Der lateinische Name ''{{lang|la|Artemisia absinthium}}'' deutet auf die Namensgeberschaft der antiken Göttin [[Wikipedia:Artemis|Artemis]] (griechischer Name der [[Wikipedia:Diana|Diana]]) hin. [[Wikipedia:Pseudo-Apuleius|Pseudo-Apuleius]], Autor eines [[Wikipedia:Kräuterbuch|Kräuterbuch]]s aus dem 5. Jahrhundert, schreibt: {{"|eines der Kräuter, das wir als Artemisia bezeichnen und von denen gesagt wird, dass Diana sie fand und dem Zentauren [[Wikipedia:Cheiron|Chiron]] verabreichte, der sie wiederum Diana zu Ehren nach ihr benannte}} (''{{lang|la|de virtutibus herbarum}}'' 10). ''Absinthium'' ist die [[Wikipedia:lateinisch|lateinisch]]e Bezeichnung für Wermut.<ref>Vgl. etwa Wouter S. van den Berg (Hrsg.): ''Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï.'' Hrsg. von Sophie J. van den Berg, [[Wikipedia:Brill (Verlag)|N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill]], Leiden 1917, S. 194 f.: ''Absint(h)ium''.</ref><br />
<br />
===Trivialnamen===<br />
Im deutschsprachigen Raum werden oder wurden für diese Pflanzenart, zum Teil nur regional, auch die weiteren folgenden [[Wikipedia:Trivialname|Trivialname]]n verwendet: Alahsan ([[Wikipedia:althochdeutsch|althochdeutsch]]), Als ([[Wikipedia:mittelhochdeutsch|mittelhochdeutsch]]), Bittrer Aelz ([[Wikipedia:Eifel|Eifel]], [[Wikipedia:Altenahr|Altenahr]]), Alsa ([[Wikipedia:Hessen|Hessen]] an der unteren [[Wikipedia:Schwalm (Eder)|Schwalm]] bei [[Wikipedia:Wabern (Hessen)|Wabern]]), Alsam (Eifel), Alse (mittelhochdeutsch), Alsem ([[Wikipedia:Rhein|Rhein]], Eifel, mittelhochdeutsch), Alsen (mittelhochdeutsch), Alsey (mittelhochdeutsch), Alssem, Berzwurz, Biermersch ([[Wikipedia:Siebenbürgen|Siebenbürgen]]), Birmet ([[Wikipedia:Wetterau|Wetterau]]), Bitterals (Eifel), Els (mittelhochdeutsch), Else ([[Wikipedia:Oberhessen (Region)|Oberhessen]]), Elsene, Eltz (mittelhochdeutsch), Fremata, Grabekraut ([[Wikipedia:Schlesien|Schlesien]]), Hilligbitter ([[Wikipedia:Bremen|Bremen]]), Märmöi ([[Wikipedia:Altmark|Altmark]]), Marmude ([[Wikipedia:niederdeutsch|niederdeutsch]]), Pardehan ([[Wikipedia:Rendsburg|Rendsburg]]er Apotheke), Vermoth, Wärmeden ([[Wikipedia:Ruhla|Ruhla]]), Warmken, Wärmod (Altmark), Weige, Weramote (althochdeutsch), Werbmut (mittelhochdeutsch), Werenmut (mittelhochdeutsch), Werimuota, Wermede (Hessen), Wermet ([[Wikipedia:Schweiz|Schweiz]]), Wermide, Wermoet (mittelhochdeutsch), Wermörte (mittelhochdeutsch), Wermoite ([[Wikipedia:mittelniederdeutsch|mittelniederdeutsch]]), Wermot (mittelniederdeutsch), Wermpten ([[Wikipedia:Sachsen|Sachsen]]), Wermuda, Wermude, Wermuot, Weronmuth, Wermut, Wiegenkraut, Wiermerth (Siebenbürgen), Wiermuta (mittelhochdeutsch), Wörm ([[Wikipedia:Holstein|Holstein]]), Wörmd (Holstein), Wörmete ([[Wikipedia:Hamburg|Hamburg]]), Wörmide, Wörmken (Hamburg, Holstein), Wörmö (Altmark), Wörmt ([[Wikipedia:Mecklenburg|Mecklenburg]]), Wormiota (althochdeutsch), Wormken, ([[Wikipedia:Unterweser|Unterweser]], [[Wikipedia:Göttingen|Göttingen]]), Wräömt (südliche Altmark), Wrämbk ([[Wikipedia:Schleswig-Holstein|Schleswig-Holstein]]), Wrämp (Schleswig-Holstein), Wrämt (Schleswig-Holstein), Wremp (Schleswig-Holstein) und Wurmet (Schweiz).<ref>[[Wikipedia:Georg August Pritzel|Georg August Pritzel]], [[Wikipedia:Carl Jessen|Carl Jessen]]: ''Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Neuer Beitrag zum deutschen Sprachschatze.'' Philipp Cohen, Hannover 1882, S. 41, [http://archive.org/stream/diedeutschenvol00pritgoog#page/n59/mode/2up online.]</ref><br />
<br />
==Geschichte==<br />
===Quellen===<br />
<br />
*'''Antike–Spätantike:''' [[Wikipedia:Pedanios Dioskurides|Dioskurides]] 1. Jh.<ref>[[Wikipedia:Pedanios Dioskurides|Pedanios Dioskurides]]. 1. Jh. ''De Medicinali Materia libri quinque.'' Übersetzung. [[Wikipedia:Julius Berendes (Apotheker)|Julius Berendes]]. ''Des Pedanius Dioskurides Arzneimittellehre in 5 Büchern.'' Enke, Stuttgart 1902, S. 278–279 (Buch III, Kapitel 23): ''Absinthion'' [http://dfg-viewer.de/show/cache.off?tx_dlf%5Bpage%5D=292&tx_dlf%5Bid%5D=https%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D2437704&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=a1ee13eae19558ec6d4e735fd2379e31 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Plinius der Ältere|Plinius]] 1. Jh.<ref>[[Wikipedia:Plinius der Ältere|Plinius der Ältere]], 1. Jh. ''[[Wikipedia:Naturalis historia|Naturalis historia]]'' Buch XXVII, Kapitel 28 (§ 45–53): ''Absinthion'' [http://penelope.uchicago.edu/Thayer/L/Roman/Texts/Pliny_the_Elder/27*.html#xxviii (Digitalisat)]; Übersetzung Külb 1855 [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10246060_00620.html (Digitalisat)]</ref> --- [[Galenos|Galen]] 2. Jh.<ref>[[Galenos|Galen]], 2. Jh. ''De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus'', Buch VI, Kapitel I/1 (nach der Ausgabe Kühn 1826, Band XI, S. 798–807): ''De abrotono et absinthio'' [https://www.biusante.parisdescartes.fr/histoire/medica/resultats/index.php?do=page&cote=45674x11&p=801 (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Pseudo-Apuleius|Pseudo-Apuleius]]'' 4. Jh.<ref>''[[Wikipedia:Pseudo-Apuleius|Pseudo-Apuleius]]'' 4. Jh., Erstdruck: Rom 1481, Kapitel 103: ''Herba Absinthium'' [https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00064270&pimage=186&v=100&nav=&l=de (Digitalisat)]</ref><br />
*'''Arabisches Mittelalter: ''' [[Avicenna]] 11. Jh.<ref>[[Avicenna]], 11. Jh., ''[[Wikipedia:Kanon der Medizin|Kanon der Medizin]]''. Übersetzung und Bearbeitung durch [[Wikipedia:Gerhard von Cremona|Gerhard von Cremona]], [[Wikipedia:Arnaldus de Villanova|Arnaldus de Villanova]] und Andrea Alpago (1450–1521). Basel 1556, Band II, Kapitel 2: ''Absinthium'' [https://daten.digitale-sammlungen.de/0009/bsb00090355/images/index.html?id=00090355&groesser=&fip=yztsewqxdsydeayaxseayaxdsydsdasxdsydenxs&no=2&seite=226 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Konstantin der Afrikaner|Konstantin]] 11. Jh.<ref>[[Wikipedia:Konstantin der Afrikaner|Konstantin der Afrikaner]], 11. Jh. ''Liber de gradibus simplicium''. Druck. ''Opera''. Basel 1536, S. 344–345: ''Absinthium'' [http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11069388-7 (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Circa instans|Circa instans]]'' 12. Jh.<ref>''[[Wikipedia:Circa instans|Circa instans]]'' 12. Jh. Druck. Venedig 1497, Blatt 188v–189r: ''Absinthium'' [https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00061068&pimage=380&v=100&nav=&l=de (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Aggregator (Pseudo-Serapion)|Pseudo-Serapion]]'' 13. Jh.<ref>''[[Wikipedia:Aggregator (Pseudo-Serapion)|Pseudo-Serapion]]'' 13. Jh., Druck. Venedig 1497, Blatt 100v–101r (No 14): ''Absinthium erifon et scandonicon'' [ (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Abu Muhammad ibn al-Baitar|Ibn al-Baitar]] 13. Jh.<ref>[[Wikipedia:Abu Muhammad ibn al-Baitar|Abu Muhammad ibn al-Baitar]], 13. Jh., ''Kitāb al-jāmiʿ li-mufradāt al-adwiya wa al-aghdhiya.'' Übersetzung. Joseph Sontheimer unter dem Titel ''Große Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel.'' Hallberger, Stuttgart Band I 1840, S. 59–63 [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10219076_00087.html (Digitalisat)]</ref><br />
*'''Lateinisches Mittelalter: ''' [[Wikipedia:Walahfrid Strabo|Walahfrid Strabo]] 9. Jh.<ref>[[Wikipedia:Walahfrid Strabo|Walahfrid Strabo]] 9. Jh. ''[[Wikipedia:Liber de cultura hortorum|Liber de cultura hortorum]].'' Edition: [[Wikipedia:Johann Ludwig Choulant|Ludwig Choulant]]. ''Macer floridus des virtutibus herbarum una cum Walafridi Strabonis … Carminibus …'' Leipzig 1832. No. 3: ''Absinthium'' [https://archive.org/details/deviribusherbaru00mace/page/30/mode/2up (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Macer floridus|Pseudo-Macer]]'' 11. Jh.<ref>''[[Wikipedia:Macer floridus|Pseudo-Macer]]'' Kapitel 3: ''Absinthium''. Druck Basel 1527 [https://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00029043/images/index.html?id=00029043&groesser=&fip=xsyztsxdsydewqsdasxsqrsxdsydwen&no=91&seite=24 (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Macer floridus|Deutscher Macer]]'' 13. Jh.<ref>''Deutscher Macer''. Nach: Bernhard Schnell, William Crossgrove: ''Der deutsche Macer. Vulgatfassung.'' Niemeyer, Tübingen 2003, S. 328 (Kapitel 3). [[Wikipedia:Codices Palatini germanici|Cpg 226]], Elsaß, 1459–1469, Blatt 180v–181r: ''Absintheum'' [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg226/0382/image (Digitalisat)]. Transkription: ''( iij. Absintheum heißet wermüt die ist in dem ersten grade der hicz vnd in dem andern der drocken ( Wie man sie nuczet so stercket sie den magen ye doch so ist die aller best in einem reinen wasser gesotten / also vetribt sie alles das / das in dem werenden ist ( Vnd bringt auch der wip sucht vnd die serde die dauon komet die heilet sie ( Also vertribet sie auch die spindelwürm vnd weicht den buch // ( Wer da nimet nardus gallica in der apotecken vnd wermüt vnd stoß das zusamen vnd die mulsam machet man dauon acht teil wassers vnd das nünde teil honiges vnd dut die dru ding zusamen vnd die mulsam / der tranck ist ser gut den wiben wann sich jre sucht subert ( Siler ist ein krüt vnd ist glich dem kummel wer das nymet / nardum vnd wermüt vnd das mit essich sudet / vnd trincket / es vertribet allen vnlust ( Wer da nympt wermüt / ruten bletter salcz vnd pfeffer vnd stosset das mit win es verdribt dem magen die raüwen hümores das ist bose fuchtickeit ( Wermüt gestossen mit swertel wurczeln vnd genuczt das hilfft die brust ( Wer wermüt stoßt mit starckem win vnd bestrichet sich damit yme enmag kein jucken geschaden vnd wer sich gebrant hat den hilfft es auch wol. ( Wermüt mit epffe glich vil gestossen rohe vnd das safft gedruncken das verdribt swer edmen. ( Sie hilff auch zu der lebern wer zu irem safft dut nardum gallica vnd das nuczet ( Sie ist auch gut zu der milcz sucht mit essich gedruncken ( Sie verdribt also gedruncken die sucht die da swam heißet / das ist ein vnrein fleisch vnd ist gestalt als ein swam vnd wechset vmb des menschen hinder fenster vnd den frawen anderswo .// ( Wer wütscherling genüczt der stoß wermüt mit win vnd drinck das es vergret ( Sie ist auch gut also genuczt vor allerhande gifft ( Wermüt gestoßen vnd das safft mit honig gemenget vnd an die augen gestrichen macht sie klar vnd luter ( Die gesotten wermüt hilfft die verstopfften oren ( Sie ist auch gut zu den frischen wonden / den gestossen darufft geleyt ( Also ist sie auch gut dem heüpt ( Wermüt ist gut vor da jücken das von serer hüt komet ob man sie sudet vnd sich damit bewet ( Wer sie mit win gesotten nuczet dem vergret das wullen vnd das vnlusten ( Wermut safft mit ochßen gallen gemischet vnd in das ore gelaßen verdribt das klopffen in den oren ( Wer verirret wirt an dem slaff rücht er sie er wirt slaffen ( Jr safft mit honig verdribt die geswulst vnder der zungen //. ( Sie hilfft auch den trüben augen ( Wermüt in baumoley vnd damit den buch bestrichen hilfft ser wol dem verjrrten magen ( Wermüt ist auch gut vnd die kleider vor die milwen /''</ref> --- [[Hildegard von Bingen]] 12. Jh.<ref>[[Wikipedia:Charles Victor Daremberg|Charles Victor Daremberg]] und Friedrich Anton Reuß (1810–1868). ''S. Hildegardis Abbatissae Subtilitatum Diversarum Naturarum Creaturarum Libri Novem.'' ''Physica'', Buch I, Kapitel 109: ''Wermuda''. Migne, Paris 1855. Sp. 1172–1173 [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10801026_00590.html (Digitalisat)] – Übersetzung. Marie-Louise Portmann, Basel 1991, S. 125–127: ''Wermuda ist warm und kräftig und ist die hervorragende Meisterin aller Erschlaffungen. Von ihrem Saft gieße gengend viel in warmen Wein und befeuchte damit den ganzen schmerzenden Kopf bis zu den Augen, den Ohren und dem Nacken. Mache das zur Nacht, wenn er schlafen geht, und bedecke seinen Kopf mit einer wollenen Mütze ganz bis zum Morgen. Es drückt den Schmerz des geschwollenen Kopfes herab, und den Schmerz der sich im Kopf von der Gicht erbulset, und vertreibt auch den inneren Kopfschmerz. Gieße auch von ihrem Saft in Olivenöl, sodass zweimal so viel Öl wie Saft darin ist, wärme es in einem gläsernen Gefäß an der Sonne und hebe es das Jahr hindurch auf. Wenn jemand in der Brust oder um die Brust herum leidet, sodass er viel hustet, salbe ihn damit an der Brust. Den, der Seitenschmerzen hat, salbe damit, und er wird innerlich wie äußerlich gesunden. Aber zerstoße Wermut in einem Mörser zu Saft und füge unslecht, Hirschtalg und Hirschmark bei, so dass vom Wermutsaft zwei mal so viel wie vom Talg, und vom Talg zwei mal so viel wie vom Hirschmark, und mache so eine Salbe. Und ein Mensch, der von sehr starker Gicht geplagt wird, so dass seine Glieder sogar zu zerbrechen drohen, den salbe damit nahe am Feuer, wo es schmerzt, und er wird geheilt werden. Wenn Wermut jung ist, zerstoße ihn, drücke seinen Saft durch ein Tuch und koche darauf Wein mit mäßig viel Honig, gieße den Saft hinein, sodass der Geschmack des Saftes dem des Weines und des Honigs über ist, und trinke dies vom Mai bis zum Oktober jeden dritten Tag nüchtern. Es besänftigt die lauchsucht und Melancholie in dir, klärt die Augen, stärkt das Herz, bewahrt die Lunge vor Krankheit, wärmt den Magen, reinigt die Eingeweide und bereitet eine gute Verdauung.''</ref> --- ''[[Wikipedia:Arnaldus de Villanova|Pseudo-Arnaldus de Villanova]]'' 13.–14. Jh.<ref>''[[Wikipedia:Arnaldus de Villanova|Pseudo-Arnaldus de Villanova]]''. 13.–14. Jh. ''Der Tractat … von Bewarung und Beraitung der Wein …'' Druck. Esslingen (?) nach 1478: ''Wermut Wein'' [https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00035103&pimage=32&v=150&nav=&l=de (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Gabriel von Lebenstein|Gabriel von Lebenstein]] 14. – 15. Jh.<ref>[[Wikipedia:Gabriel von Lebenstein|Gabriel von Lebenstein]] 14. – 15. Jh. ''Gebrannte Wässer''. Handschrift M [[Wikipedia:Bayerische Staatsbibliothek|Clm 5905]], bairisch, 2. Hälfte 15. Jh., Blatt 55r [http://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00092488&pimage=113&v=100&nav=&l=de (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Konrad von Megenberg|Konrad von Megenberg]] 14. Jh.<ref>[[Wikipedia:Konrad von Megenberg|Konrad von Megenberg]], 14. Jh.'' Buch der Natur.'' Ausgabe. [[Wikipedia:Franz Pfeiffer (Germanist)|Franz Pfeiffer]]. Aue, Stuttgart 1861, S. 380–381 [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10076915.html?pageNo=454 (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Galgant-Gewürz-Traktat|Galgant-Gewürz-Traktat]]'' 13. / 14. Jh.<ref>''[[Wikipedia:Galgant-Gewürz-Traktat|Galgant-Gewürz-Traktat]]'' 13. / 14. Jh. Latein: [[Wikipedia:Bayerische Staatsbibliothek|Clm 13 076]], ohne Ort, 1356, Blatt 22r [https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00042783&pimage=45&v=100&nav=&l=de (Digitalisat)] – Alemannisch: [[Wikipedia:Codices Palatini germanici|Cpg 620]] Rezeptsammlung, Nordbayern, um 1450, Blatt 86v–87v [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg620/0178/image (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Michael Puff|Michael Puff]] 15. Jh.<ref>[[Wikipedia:Michael Puff|Michael Puff]]. ''[[Wikipedia:Büchlein von den ausgebrannten Wässern|Büchlein von den ausgebrannten Wässern]].'' 15. Jh. Druck Augsburg (Johannes Bämler) 1478 [https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN798827114&PHYSID=PHYS_0022 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Nikolaus Frauenlob|Nikolaus Frauenlob]] 15. Jh.<ref>[[Wikipedia:Nikolaus Frauenlob|Nikolaus Frauenlob]] 15. Jh. '''[[Wikipedia:Codices Palatini germanici|Cpg 583]]''', Süd-West-Deutschland, 1453–1483, Blatt 30v–31r [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg583/0064/image (Digitalisat)]. Transkription:'' '''Wermuet hat xiiij tugent Ein besunder kunst von wermuet Wer sich vor posem lufft wil hüetten''' Man sal wermuet offt in den henndten tragen vnd für dÿ nasen haben das hilfft für allen pösen lufft vnd ist guet '''Wer sich vor gifft hüetten well''' Man sal wermuet mit starckem wein ader mit essich zestössen vnd nüczen das hilfft für alle gifft oder auch von dem gesmachen fliehen dÿ würmer die dem gewand schaden '''aliud remedium''' Man sal wermuet mit nardo in ezzich sieden vnd darab trincken das hilft wider dÿ vergifft vnd hilft der leber vnd hilfft dem milcz vnd hilfft dem menschen der von ainem gifftigen tier gelaydigt worden an welcher stat das sey '''Wem dÿ oren seÿsen ader we thuent''' Man sal wermuet mit ochsengall zestössen vnd also warm zuo den oren nuczen das hilfft wal '''Qui non potest dormire etc.''' Man sal wermuet in wasser sieden vnd damit sal man hawbt twahen ader man sal wermuet ze stössen vnd vmb das hawpp legen das hilfft wal ader man sal dann wermuet vnntter das hauwpp legen '''Wem den gern grawst ader vnlustig ist''' Man sal wermuet in wein sieden vnd darab trincken das hilfft wider das grawsen '''Wer ainen krancken magen hat''' Man sal wermuet in al sÿeden vnd das sal man nüczen das hilfft wider das grawsen '''Wer ainen kranckhen magen hab''' Man sal wermuet in öl sieden vnd darab trincken das sal man nuczen das hilfft wol zuo dewen '''Item wer ainen raÿnen amplick haben wil''' Man sal wermuett mit hönig zestössen vnd damit sal man dÿ spreckl ader maÿl bestreichen vnder dem antlicz ader vnder den augen ader an dem amplick ader anderswo etc. '''Wer ain krancken magen hat ader wurm jm pauch''' Man sal wermuet jn regen wasser sieden vnd sal das czwen tag kalt lassen werden vnd sal darab trincken hilfft wer ainen krancken magen hat vnd vertreibt dÿ wüerm jm pauch vnd ist guet wem der pauch we tuet vnd hilfft dem der da wasser hart wirfft vnd raynigt dÿ frawen an jr haimlichait '''Wer dünn vnd vnstät jm leib ist''' Man sal dann wermuet vnd epheich mit einander ze stössen ader aber miteinander sÿeden vnd darab trincken das hilfft wider dÿ vnstät jm leib '''Wer wunden ader geswer haÿlen wil''' Man sal wermuet zestössen vnd auff dÿ wunden legen mitsambt dem safft dasselb rainigts Auch hilfft es den gesweren auff dem hawbt so man das hawbt damit twächt mit dem wasser da wermuet jn gesoten ist '''Ain besunder merklich ler von wermuet''' Man sal nemmen wermuet vnd rawten pleter vnd pfeffer allsambt geleich vnd sol dÿ mit wein wal zestössen vnd sal darab trincken Oder man sal dÿ dreÿerlaÿ jn wein wal sieden vnd darab trincken das hilfft dem magen var anderlaÿ erczneÿ das verczert dÿ speÿss vnd ist guet''. '''....... [[Wikipedia:Codices Palatini germanici|Cpg 666]]''', Kurpfalz, 1478–1480, Blatt 96r–97v [https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg666/0197/image (Digitalisat)] Transkription: '' '''W'''ermutt hat xiiij tugent Vnd ein besunder Erczney vnd kuntschafft von wermut plinius der meinster / der erhoet daz kraut wermut mit grossen vnd krefftigen tugend vnd meint daz dÿ wermut tewr vnd nücz sey dann der schacz aller welt wÿ man daz kraut nüczt so jst es hilfflich zu allerley geprechen Vnd sagt vns wÿ dÿ romer zu ettlichen zeytten ein gewonheit hetten wann sy zu vier zeytten des jars kriegt haben So haben sy jrem vor gener daz ist jrem senator / ader jrem potestat wÿ sy jne genent haben der do uff dem palacio jrs gerichts gewant hat ader auch noch icz und do selbst siczt dÿ weyl er daz ampt jnne hat daz heyst Capitolium dem haben dy römer wermut safft geschenckt vnd zu trincken geben dor vmb daz sy jren feinden ob legen vnd daz vestiglich daz sy jren feinden ob legen vnd sy do mit uber winden solten vnd der gute meister lobt daz kraut fur alle krewter '''a''' Wer sich vor posem luft huten wil Man sal wermut vil jn den henden tragen vnd fur dy nasen haben daz hylfft fur alle pose lüfft '''b''' Wer sich vor gyfft hüten wil Man sal wermut mit gutem wein ader mit starckem essig zu stossen vnd daz nüczen daz hilfft fur alle gyfft vnd von dem gesmack flihen auch dÿ wrme dy dem gewande schaden thon '''c''' Ein besunder Erczney von wermut Man sal wermut mit Nardo jn essig syeden vnd dor abe trincken daz hilfft wider dy gyfft vnd hilfft der leber vnd dem milcz vnd hilfft dem der do ein gÿfftig tyer gebyssen hatt '''d''' Wem dÿ augen we thun vnd tunckel sein Man sal wermut mit reÿnem honig zu stossen vnd do mit sal man dy augen salben '''e''' Oder man sal wermut mit honig zu stossen vnd miteinander syden vncz daz es wol durcheinander gett vnd wan es kalt wrt So sal man dÿ augen do mit salben '''f''' Wem dÿ oren Sewsen ader we thun Man sal wermut mit ochsengall zu stossen vnd also warm zu den oren nüczen daz hylfft wol '''g''' Wer nit geslaffen mag ader wem daz haupt we tut Man sal wermut jn wasser syden vnd do mit sal man daz haubt tzwahen '''h''' Oder man sal sy zu stossen vnd vmb daz haubt legen daz hilfft wol '''j''' Ader man sal wermut vnder daz haubt legen '''k''' Wer da vnlustig ist Man sal wermut jn wein legen vnd dor jnne syden vnd dor abe trincken '''l''' Wer ein krancken magen hat Man sal wermut mit öl syden vnd sal daz nüczen daz hilfft dem magen zu dewen vnd macht jne frisch '''m''' Wer ein saubern Amplick wölle haben von spreckeln Man sal wermut mit honig zu stossen vnd do mit sal man dÿ sprinckel bestreichen vnder den augen '''n''' Ein besunder gutt Erczneÿ Man sal wermut jn regenwasser syden vnd sal daz uber ij tag kalt lassen werden vnd sal dann dor abe trincken daz hilfft dem der ein krancken magen hat Vnd vertreibt dy wrm aus dem pauch vnd ist gut wem der pauch we tut Vnd hilfft dem der daz wasser hart wirfft Vnd reynigt auch dÿ frawen an jrer heimlikeytt '''o''' Wer dünne ader vnstet jn dem leibe ist Man sal [wermut] vnd epich miteinander zu stoßen ader miteinander sÿden vnd dor abe trincken daz hilfft dor fur '''p''' Wer dem menschen heilffen ader heylen wil Man sal wermut zu stossen vnd uff dÿ wunden legen mit sambt dem safft daz reÿnicht vnd heilt '''q''' Auch daz selbig hilfft den gesweren auff dem haubt ob man daz haubt do mit tzwecht mit dem wasser dor jnne wermut gesoten ist '''r''' Auch besunder mercklich erczney Man sal wermut vnd rauten pleter vnd pfeffer als sambt gleich vnd sal daz mit wein wol zu stossen vnd sal dor ab trincken '''s''' Ader man sal dÿ dreyerley jn wein wol syden vnd dor abe trincken daz hilfft dem magen von Anderley erczney daz verzert dÿ speyß vnd reÿnigt den magen von aller vnreynikeytt''</ref> --- ''[[Wikipedia:Herbarius Moguntinus|Herbarius Moguntinus]]'' 1484<ref>''[[Wikipedia:Herbarius Moguntinus|Herbarius Moguntinus]]'', Mainz 1484, Teil I, Kapitel 1: ''Absintheum'' [https://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00027407/images/index.html?id=00027407&groesser=&fip=qrssdaseayasdasfsdrxdsydxdsydqrseayasdasyzts&no=18&seite=13 (Digitalisat]</ref> --- ''[[Wikipedia:Gart der Gesundheit|Gart der Gesundheit]]'' 1485<ref>''[[Wikipedia:Gart der Gesundheit|Gart der Gesundheit]]''. Mainz 1485, Kapitel 3: ''Absinthium'' [https://daten.digitale-sammlungen.de/0003/bsb00032739/images/index.html?id=00032739&groesser=&fip=xsyztsxdsydewqsdasfsdrqrsxdsydeayaewq&no=4&seite=17 (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Hortus sanitatis|Hortus sanitatis]]'' 1491<ref>''[[Wikipedia:Hortus sanitatis|Hortus sanitatis]]'' 1491, Mainz 1491, Teil I, Kapitel 3: ''Absinthium'' [https://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00027846/images/index.html?id=00027846&groesser=&fip=xsyztsxdsydewqsdasfsdrqrsyztsqrs&no=18&seite=9 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Hieronymus Brunschwig|Hieronymus Brunschwig]] 1500<ref>[[Wikipedia:Hieronymus Brunschwig|Hieronymus Brunschwig]]: ''[[Wikipedia:Kleines Destillierbuch|Kleines Destillierbuch]].'' Straßburg 1500, Blatt 111v–112v [https://daten.digitale-sammlungen.de/0003/bsb00031146/images/index.html?id=00031146&groesser=&fip=yztsewqxdsydeayaxseayaxdsydsdasxdsydenxs&no=11&seite=262 (Digitalisat)]</ref><br />
*'''Neuzeit: ''' [[Wikipedia:Otto Brunfels|Otto Brunfels]] 1537<ref>[[Wikipedia:Otto Brunfels|Otto Brunfels]]. ''Ander Teyl des Teütschen Contrafayten Kreüterbůchs''. Johann Schott, Straßburg 1537, S. 10: ''Wermut'' [https://daten.digitale-sammlungen.de/0005/bsb00054202/images/index.html?id=00054202&seite=9&fip=193.174.98.30&nativeno=&groesser=100%25 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Hieronymus Bock|Hieronymus Bock]] 1539<ref>[[Wikipedia:Hieronymus Bock|Hieronymus Bock]]. ''New Kreütter Bůch''. Wendel Rihel, Straßburg 1539, Teil I, Kapitel 110: ''Weronmůt'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11069345_00216.html(Digitalisat) reader.digitale-sammlungen.de]</ref> --- [[Wikipedia:Leonhart Fuchs|Leonhart Fuchs]] 1543<ref>[[Wikipedia:Leonhart Fuchs|Leonhart Fuchs]]. ''New Kreütterbuch …'' Michael Isingrin, Basel 1543, Kapitel 1: Wermůt [https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00017437/images/index.html?id=00017437&groesser=&fip=qrssdaseayasdasfsdrxdsydxdsydqrsxdsydsdas&no=5&seite=40 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Pietro Andrea Mattioli|Mattioli]] – Handsch – [[Wikipedia:Joachim Camerarius der Jüngere|Camerarius]] 1586<ref>[[Wikipedia:Pietro Andrea Mattioli|Pietro Andrea Mattioli]]. ''Commentarii, in libros sex Pedacii Dioscoridis Anazarbei, de medica materia.'' Übersetzung durch Georg Handsch, bearbeitet durch [[Wikipedia:Joachim Camerarius der Jüngere|Joachim Camerarius den Jüngeren]], Johan Feyerabend, Franckfurt am Mayn 1586, Blatt 232r–235r [https://daten.digitale-sammlungen.de/0009/bsb00091089/images/index.html?id=00091089&groesser=&fip=qrssdaseayasdasfsdrxdsydwewqyzts&no=3&seite=483 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Jacobus Theodorus|Tabernaemontanus]] 1588<ref>[[Wikipedia:Jacobus Theodorus|Tabernaemontanus]]. ''Neuw Kreuterbuch.'' Nicolaus Basseus, Franckfurt am Mayn 1588, S. 1–20: ''Wermuth'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11057803_00067.html (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Nicolas Lémery|Nicolas Lémery]] 1699/1721<ref>[[Wikipedia:Nicolas Lémery|Nicolas Lémery]]. ''Dictionnaire universel des drogues simples.'',Paris 1699, S. 2–3: ''Absinthium'' [https://www.biusante.parisdescartes.fr/histoire/medica/resultats/index.php?do=page&cote=20798&p=22 (Digitalisat)]; Übersetzung. ''Vollständiges Materialien-Lexicon. Zu erst in Frantzösischer Sprache entworffen, nunmehro aber nach der dritten, um ein grosses vermehreten Edition [...] ins Hochteutsche übersetzt / Von Christoph Friedrich Richtern, [...]'' Leipzig: Johann Friedrich Braun, 1721, Sp. 3–4: ''Absinthium'' [http://www.zeno.org/Lemery-1721/K/lemery-1721-001-0004 (Digitalisat)]</ref> --- ''Onomatologia medica completa'' 1755<ref>[[Wikipedia:Albrecht von Haller|Albrecht von Haller]] (Hrsg.): ''Onomatologia medica completa oder Medicinisches Lexicon das alle Benennungen und Kunstwörter welche der Arzneywissenschaft und Apoteckerkunst eigen sind deutlich und vollständig erkläret [...]'' Gaumische Handlung, Ulm/ Frankfurt am Main/ Leipzig 1755, Sp. 6: ''Absinthium vulgare'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10085789_00047.html (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:William Cullen|William Cullen]] 1789/90<ref>[[Wikipedia:William Cullen|William Cullen]] ''A treatise of the materia medica.'' Charles Elliot, Edinburgh 1789. Band II, S. 80–82: ''Absynthium'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10226635_00088.html (Digitalisat)]. Deutsch. [[Samuel Hahnemann]]. Schwickert, Leipzig 1790. Band II, S. 95–97: ''Wermuth'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11268286_00107.html (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Jean-Louis Alibert|Jean-Louis Alibert]] 1803/05<ref>[[Wikipedia:Jean-Louis Alibert|Jean-Louis Alibert]]. ''Nouveaux éléments de thérapeutique et de matière médicale.'' Crapart, Paris Band I 1803, S. 146–149: ''Absynthe'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb11174275.html?pageNo=192 (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:August Friedrich Hecker|Hecker]] 1814/15<ref>''[[Wikipedia:August Friedrich Hecker|August Friedrich Hecker]]’s'' practische Arzneimittellehre. Revidiert und mit neuesten Entdeckungen bereichert von einem practischen Arzte''. Camesius, Wien, Band I 1814, S. 278–280: ''Herba et summitates Absynthii vulgaris, Wermuth'' [https://archive.org/stream/b29329838_0003#page/278/mode/1up (Digitalisat)]''</ref> --- [[Wikipedia:Jonathan Pereira (Mediziner)|Pereira]] – [[Wikipedia:Rudolf Buchheim|Buchheim]] 1846/48<ref>[[Wikipedia:Jonathan Pereira (Mediziner)|Jonathan Pereira’s]] ''Handbuch der Heilmittellehre. Nach dem Standpunkte der deutschen Medicin bearbeitet von'' [[Wikipedia:Rudolf Buchheim|Rudolf Buchheim]]. Leopold Voß, Leipzig 1846-48, Band II 1848, S. 413–415: ''Artemisia absinthium, Wermuth'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10287961_00439.html (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:August Husemann|August Husemann]], [[Wikipedia:Theodor Husemann|Theodor Husemann]] 1871<ref>[[Wikipedia:August Husemann|August Husemann]], [[Wikipedia:Theodor Husemann|Theodor Husemann]]: ''Die Pflanzenstoffe in chemischer, physiologischer, pharmakologischer und toxikologischer Hinsicht. Für Aerzte, Apotheker, Chemiker und Pharmakologen.'' Springer, Berlin 1871, S. 938–939: ''Absynthiin'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11010860_00954.html (Digitalisat)]</ref> --- [[Wikipedia:Robert Bentley (Botaniker)|Bentley]], [[Wikipedia:Henry Trimen|Trimen]] 1880<ref>[[Wikipedia:Robert Bentley (Botaniker)|Robert Bentley]], [[Wikipedia:Henry Trimen|Henry Trimen]]: ''Medicinal plants.'' J. & A. Churchill, London 1880, Band III (No 156): ''Artemisia absinthium' [https://archive.org/details/medicinalplantsb03bent/page/156/mode/2up (Digitalisat)]''</ref> --- [[Wikipedia:Theodor Husemann|Theodor Husemann]] 1883<ref>''Handbuch der gesammten Arzneimittellehre.'' Springer, Berlin 2. Aufl. 1883, S. 659–662: ''Herba Absinthii'' [https://archive.org/details/handbuchdergesam02huse/page/658/mode/2up (Digitalisat)]</ref><br />
*'''Arzneibücher: ''' ''[[Wikipedia:Pharmacopoe|Pharmacopoea Borussica]]'' 1805<ref>Carl Wilhelm Juch: ''Pharmacopoea Borussica oder Preußische Pharmakopoe. Aus dem Lateinischen übersetzt, und mit Anmerkungen und Zusätzen begleitet von Dr. Carl Wilhelm Juch.'' Stein, Nürnberg 1805, S. 59 (''Herba Absinthii. Wermuth'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/58/mode/2up (Digitalisat)]), S. 147 (''Acetum aromaticum. Gewürzessig'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/146/mode/2up (Digitalisat)]), S. 210 (''Elixir Aurantiorum compositum'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/210/mode/2up (Digitalisat)]), S. 218 (''Extractum Absinthii. Wermuthextrakt'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/218/mode/2up (Digitalisat)]), S. 285 (''Oleum Absinthii aethereum. Aetherisches Wermutoel'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/284/mode/2up (Digitalisat)]), S. 306 (''Species resolventes externae. Zertheilende Species zum äußerlichen Gebrauch'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/306/mode/2up (Digitalisat)]), S. 333 (''Tinctura Absinthii. Wermuth-Tinktur'' [https://archive.org/details/pharmacopoeaboru00juch/page/332/mode/2up (Digitalisat)]).</ref> --- ''[[Wikipedia:Pharmacopoe|Pharmacopoea Borussica]]'' 1865<ref>[[Wikipedia:Karl Friedrich Mohr|Friedrich Mohr]]: ''Commentar zur Preussischen Pharmakopoe : nebst Übersetzung des Textes …'' Friedrich Vieweg, Braunschweig. Nach der siebten Auflage der Pharmakcopoea borussica. Dritte Auflage in einem Band. Friedrich Vieweg, Braunschweig 1865, S. 206: ''Elixir Aurantiorum compositum. Zusammengesetztes Pomeranzenelixier'' [https://archive.org/details/b21700990/page/206/mode/2up (Digitalisat)], S. 236: ''Extractum Absinthii. Wermuthextract'' [https://archive.org/details/b21700990/page/236/mode/2up (Digitalisat)], S. 318: ''Herba Absinthii. Wermuthkraut'' [https://archive.org/details/b21700990/page/318/mode/2up (Digitalisat)], S. 476: ''Oleum Absinthii. Wermuthöl'' [https://archive.org/details/b21700990/page/476/mode/2up (Digitalisat)], S. 628: ''Tinctura absinthii. Wermuthtinktur'' [https://archive.org/details/b21700990/page/628/mode/2up (Digitalisat)]</ref> --- ''[[Wikipedia:Pharmacopoe|Arzneibuch für das Deutsche Reich]]'' 1872<ref>[[Wikipedia:Hermann Hager|Hermann Hager]]: ''Commentar zur Pharmacopoea Germanica.'' Julius Springer, Berlin, Band 1 (1873), S. 573: ''Elixir Aurantii compositum. Pomeranzenelixier'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb11187475.html?pageNo=589 (Digitalisat)], S. 628: ''Extractum Absinthii. Wermuthextract'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb11187475.html?pageNo=644 (Digitalisat)]. Band 2 (1874), S. 122: ''Herba Absinthii. Wermuthkraut'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11187476_00128.html (Digitalisat)], S. 788: ''Tinctura Absinthii. Wermuthtinktur'' [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11187476_00794.html (Digitalisat)]</ref><br />
<br />
===Historische Abbildungen===<br />
<gallery><br />
Datei:Wiener Dioskurides Absinthion badypikron.jpg|''[[Wikipedia:Wiener Dioskurides|Wiener Dioskurides]]'' ..... 6. Jahrhundert<br />
Datei:Pseudo-Apuleius Kassel Absintheum.jpg|''[[Wikipedia:Pseudo-Apuleius|Pseudo-Apuleius]]'' Kassel 10. Jahrhundert<br />
Datei:Ibn Butlan Absinthum.jpg|[[Wikipedia:Ibn Butlan|Abdul ibn Butlan]] ......... 14. Jahrhundert<ref>Übersetzung des Textes durch Franz Unterkircher: Tacuinum sanitatis in medicina. Graz 2004, S. 75: ''Wermut: Komplexion: warm am Ende des ersten, nach anderen im 2. Grad, trocken im 2. Grad. Vorzuziehen: am besten ist der pontische oder römische. Nutzen: gut für kalten Magen, fördert den Appetit, ist zuträglich für eine verstopfte Leber, tötet die Würmer. Schaden: seine Substanz zieht den Bauch zusammen. Verhütung des Schadens: mit Zucker und ein wenig Essig und mit wohlriechenden Stoffen und Mandelöl. Was er erzeugt: warmes und schweres Blut. Zuträglich für Greise, Menschen mit kalter Komplexion, im Winter und am Anfang des Frühlings und in kalten Gegenden.''</ref><br />
Datei:1484 Herbarius Absintheum.jpg|''[[Wikipedia:Herbarius Moguntinus|Herbarius Moguntinus]]'' 1484<br />
Datei:1485 Gart Absinthium.jpg|''[[Wikipedia:Gart der Gesundheit|Gart der Gesundheit]]'' 1485<br />
Datei:1491 Hortus Absinthium.jpg|''[[Wikipedia:Hortus sanitatis|Hortus sanitatis]]'' ........ 1491<br />
Datei:1537 Brunfels Wermut.jpg|[[Wikipedia:Otto Brunfels|Otto Brunfels]] 1537<br />
Datei:1543 Fuchs Wermut.jpg|[[Wikipedia:Leonhart Fuchs|Leonhart Fuchs]] 1543<br />
Datei:1546 Bock Weronmut.jpg|[[Wikipedia:Hieronymus Bock|Hieronymus Bock]] 1546<br />
</gallery><br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*{{Literatur<br />
|Autor=Werner Dressendörfer<br />
|Titel=Blüten, Kräuter und Essenzen<br />
|Ort=Ostfildern<br />
|Datum=2003<br />
|ISBN=3-7995-3509-8}}<br />
*{{Literatur<br />
|Autor=H. R. Bode<br />
|Titel=Über die Rolle der gasförmigen Ausscheidungen beim Zustandekommen der allelopathischen Wirkung des Wermuts (Artimisia absinthim L.) auf seine Nachbarpflanzen<br />
|Sammelwerk=Naturwissenschaften<br />
|Band=51<br />
|Nummer=5<br />
|Ort=Berlin und Heidelberg<br />
|Datum=1964}}<br />
*{{Literatur<br />
|Autor=Jörg Swadzba<br />
|Titel=Zur Geschichte des Wermuts. Pharmaziehistorische Untersuchung über Identifizierung, Zubereitung und Anwendung von Arthemisia absinthium L.<br />
|Ort=Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Marburg an der Lahn<br />
|Datum=1965}}<br />
*{{Literatur<br />
|Autor=Avril Rodway<br />
|Titel=Kräuter und Gewürze<br />
|Verlag=Tessloff<br />
|Ort=Hamburg<br />
|Datum=1980<br />
|ISBN=3-7886-9910-8}}<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references><br />
<ref name="Pakistan"><br />
[http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=5&taxon_id=200023158 ''Artemisia absinthium'' in der Flora of Pakistan]<br />
</ref><br />
<ref name="FoNA"><br />
[http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=1&taxon_id=200023158 ''Artemisia absinthium'' in der Flora of North America]<br />
</ref><br />
<ref name="ExkursionsfloraA2008"><br />
{{BibISBN|9783854741879|Seite=923}}<br />
</ref><br />
<ref name="Teedrogen"><br />
{{Literatur<br />
|Hrsg=Max Wichtl<br />
|Titel=Teedrogen<br />
|TitelErg=Ein Handbuch für Apotheker und Ärzte<br />
|Verlag=Wissenschaftliche Vertragsgesellschaft<br />
|Ort=Stuttgart<br />
|Datum=1984<br />
|ISBN=3-8047-0792-0<br />
|Seiten=363-365}}<br />
</ref><br />
<ref name="Klosterheilkunde"><br />
{{Literatur<br />
|Autor= [[Wikipedia:Johannes Gottfried Mayer|Johannes Gottfried Mayer]], Bernhard Uelkhe, Kilian Saum<br />
|Titel=Handbuch der Klosterheilkunde<br />
|Auflage=8<br />
|Verlag=Zabert Sandmann<br />
|Ort=München<br />
|Datum=2004<br />
|ISBN=3-89883-016-0<br />
|Seiten=192-193}}<br />
</ref><br />
<ref name="Abraham"><br />
{{Literatur<br />
|Autor=Hartwig Abraham, Inge Thinnes<br />
|Titel=Hexenkraut und Zaubertrank<br />
|Auflage=3<br />
|Verlag=Urs Freund<br />
|Ort=Greifenberg<br />
|Datum=1997<br />
|ISBN=3-924733-02-3<br />
|Seiten=229-233}}<br />
</ref><br />
<ref name="Oberdorfer2001"><br />
{{BibISBN|3800131315|Seite=944}}<br />
</ref><br />
<ref name="GRIN"><br />
{{GRIN|ID=997|Rang=genus|WissName=Artemisia|Abruf=2018-02-17}}<br />
</ref><br />
<ref name="ZNaturf1981-370"><br />
{{ZNaturforsch |Serie=C |Autor=Otto Vostrowsky, Thorolf Brosche, Helmut Ihm, Robert Zintl, Karl Knobloch |Titel=Über die Komponenten des ätherischen Öls aus Artemisia absinthium L. |Jahr=1981 |Startseite=369 |Endseite=377}}<br />
</ref><br />
</references><br />
<br />
==Weblinks==<br />
{{Commons|Artemisia absinthium|Wermutkraut}}<br />
<br />
*{{FloraWeb|589}}<br />
*{{BiolFlor|291}}<br />
*{{BIB|589}}<br />
*{{InfoFlora|ID=2315|WissName=Artemisia absinthium L.|Abruf=2016-05-14}}<br />
*[http://linnaeus.nrm.se/flora/di/astera/artem/arteabsv.jpg Die Verbreitung auf der Nordhalbkugel]<br />
*Thomas Meyer: [http://www.blumeninschwaben.de/Zweikeimblaettrige/Korbbluetler/art_breit_filz.htm#Wermut Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei ''Flora-de: Flora von Deutschland'' (alter Name der Webseite: ''Blumen in Schwaben'')]<br />
*[http://www.giftpflanzen.com/artemisia_absinthium.html Wermut bei www.giftpflanzen.com]<br />
*[http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=1&taxon_id=200023158 Beschreibung der Art in der Flora of North America.] (engl.)<br />
*[http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=5&taxon_id=200023158 Beschreibung der Art in der Flora of Pakistan.] (engl.)<br />
*[https://arzneipflanzenlexikon.info/wermut.php Wermut im Arzneipflanzen-Lexikon der Kooperation Phytopharmaka]<br />
*[http://www.heilpflanzenkatalog.net/heilpflanzen/heilpflanzen-europa/152-wermut.html Die traditionelle Verwendung von Wermut]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4189692-0}}<br />
<br />
[[Kategorie:Beifuß]]<br />
[[Kategorie:Heilpflanze]]<br />
[[Kategorie:Kräuter (Gewürz)]]<br />
[[Kategorie:Pflanze mit psychotropem Wirkstoff]]<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Bittermittel]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Verbandskasten&diff=46010
Verbandskasten
2023-11-08T09:01:51Z
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<hr />
<div>[[Datei:First aid 19.jpg|miniatur|Erste-Hilfe-Kasten]]<br />
[[Datei:Erste hilfe.svg|miniatur|Standortsymbol für Verbandkästen]]<br />
Ein '''Verbandkasten''' (lt. [[Wikipedia:Straßenverkehrszulassungsordnung|StVZO]], [[Wikipedia:DIN|DIN]]) oder '''Verbandskasten''', umgangssprachlich auch '''Erste-Hilfe-Kasten''' oder '''Rot-Kreuz-Kasten'''<!--Hat nichts mit der Kennzeichnung zu tun, sondern mit der Organisation, bei der der Umgang damit in einem „Rot-Kreuz-Kurs“ erlernt wird-->, in Österreich – sofern auf Kraftfahrzeug verlastet – '''Autoapotheke''', ist ein Behältnis mit [[Wikipedia:Verbandmittel|Verbandmittel]]n und weiterer Ausrüstung für die [[Erste Hilfe]].<br />
<br />
In vielen Staaten existieren gesetzlich geregelte Mindeststandards für das Mitführen von Verbandkästen im [[Wikipedia:Straßenverkehr|Straßenverkehr]] und das Vorhalten von Erste-Hilfe-Material in Betrieben im Zuge des [[Wikipedia:Arbeitsschutz|Arbeitsschutz]]es. Deshalb sind Verbandkästen in diesen Bereichen auch am weitesten verbreitet. Die Vorschriften können sich hierbei von Land zu Land jedoch mitunter stark unterscheiden (zu Details siehe die entsprechenden Abschnitte).<br />
<br />
== Allgemeines ==<br />
Mit Verbandkästen können sowohl bewegliche Behältnisse, die meist aus Plastik oder Metall bestehen, gemeint sein als auch unbewegliche Kästen oder Behälter, die Verbandmaterial enthalten. Damit unbewegliche Verbandkästen von jedem schnell aufgefunden werden können, werden ihre jeweiligen Standorte in der Regel ausreichend groß und leicht erkennbar gekennzeichnet. Das Standardsymbol für einen solchen Erste-Hilfe-Standort ist ein weißes Kreuz auf grünem Grund (vgl. Abb.&nbsp;1). Es ist in der [[Wikipedia:EG-Richtlinie|EG-Richtlinie]] [[Wikipedia:Richtlinie 92/58/EWG|92/58/EWG]] bzw. in der [[Wikipedia:ISO-Norm|ISO-Norm]] [[ISO 3864]] definiert. Die Verwendung des [[Wikipedia:Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung#Symbole|Roten Kreuzes]] als Symbol ist für allgemeine Verwendung offiziell nicht gestattet.<ref>vgl. [[Wikipedia:Bundesgesetz betreffend den Schutz des Zeichens und des Namens des Roten Kreuzes|Bundesgesetz betreffend den Schutz des Zeichens und des Namens des Roten Kreuzes]], [[Wikipedia:Rotkreuzgesetz|Rotkreuzgesetz]] etc. Anders bei Kennzeichnung innerhalb der Rot-Kreuz-Organisationen und zu militärischen Zwecken.</ref> Besonders in den USA wird teilweise das [[Wikipedia:Schweizerkreuz|Schweizerkreuz]] verwendet.<br />
<br />
Verbandkästen enthalten in der Regel nicht nur Verbandmaterial im engeren Sinne ([[Wikipedia:Mullbinde|Mullbinde]]n, [[Wikipedia:Wundauflage|Wundauflage]]n, [[Wikipedia:Dreiecktuch|Dreiecktücher]], [[Wikipedia:Klebeband#Heftpflaster|Heftpflaster]] etc.), sondern darüber hinaus weiteres Material zur Leistung von Erster Hilfe wie [[Wikipedia:Beatmungshilfe|Beatmungsmasken]], [[Wikipedia:Pinzette|Pinzette]]n und [[Wikipedia:Einmalhandschuh|Einmalhandschuh]]e. Sinnvollerweise ist oft auch ein Inhaltsverzeichnis und eine Erste-Hilfe-Anleitung für den Laien vorhanden. Diese Ausstattung ist normalerweise für die Erste-Hilfe-Leistung im Alltag ausreichend, in [[Wikipedia:Notfall|Notfällen]] verfügt der [[Rettungsdienst]] ohnehin über eine noch weitaus umfangreichere Ausrüstung (vgl. [[Wikipedia:Notfallkoffer|Notfallkoffer]]). In manchen Teilen der Erde, die spezielle Gefahrenpotenziale bergen und wo im Gegensatz zu Europa kein flächendeckender Rettungsdienst gegeben ist, kann jedoch auch die eine oder andere Zusatzausrüstung für die Erste Hilfe von Vorteil sein.<br />
<br />
Verbrauchtes Material ist nach der Verwendung zu entsorgen und zu ersetzen. Ebenso ist auch unverbrauchtes Material regelmäßig zu überprüfen. Die [[Wikipedia:Sterilisation|Sterilmaterialien]] ([[Wikipedia:Kompresse|Kompresse]]n, [[Wikipedia:Verbandpäckchen|Verbandpäckchen]] und [[Wikipedia:Verbandtuch|Verbandtuch]]) in einem Verbandkasten sind mit einem [[Wikipedia:Verfalldatum|Verfalldatum]] versehen. Heftpflaster und [[Wikipedia:Wundschnellverband|Wundschnellverband]] werden mit der Zeit unbrauchbar, da der Klebstoff durch Alterung, begünstigt durch hohe Temperaturen, seine Klebkraft verliert. Ebenso werden die [[Wikipedia:Einmalhandschuh|Einmalhandschuh]]e unter Umständen mit der Zeit porös, wenn sie aus Naturlatex<ref>[http://din13157.de/ Woran erkenne ich, welche Einmalhandschuhe in meinem Verbandkasten sind?], 10. Mai 2014.</ref> sind. Unbrauchbar gewordenes Material ist daher zu ersetzen.<br />
<br />
Verbandkästen können auch [[Wikipedia:Plombe (Siegel)|plombiert]] sein, um rasch feststellen zu können, ob sie vollständig sind oder Material entnommen wurde. In der Regel ist auch das Datum der letzten Überprüfung auf Gebrauchstauglichkeit durch die zuständige Person vermerkt.<br />
<br />
Der korrekte Umgang mit Verbandmaterial sollte in einem Erste-Hilfe-Kurs erlernt und geübt werden.<br />
<br />
== Deutschland ==<br />
=== Kraftfahrzeuge ===<br />
[[Datei:Apteczkapp.jpg|miniatur|Verbandtasche für [[Wikipedia:Pkw|Pkw]]]]<br />
Die Pflicht zum Mitführen eines Verbandkastens im Fahrzeug ist im {{§|35h|stvzo|juris}} [[Wikipedia:Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung|Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung]] (StVZO) geregelt. Hier wird der Begriff ''Erste-Hilfe-Material'' verwendet. In der Verordnung sind auch Ausnahmen aufgeführt, so besteht z.&nbsp;B. für Krafträder (Motorräder) im Gegensatz zu anderen EU-Staaten grundsätzlich keine Mitführpflicht.<br />
<br />
Der Inhalt des Kfz-Verbandkastens ist in der [[Wikipedia:DIN-Norm|DIN]] 13164 ''Erste-Hilfe-Material – Verbandkasten&nbsp;B'' festgelegt. Diese wurde zum Januar 2014 angepasst. Die enthaltenen Produkte ändern sich leicht in Art und Menge. Der Inhalt des Kfz-Verbandkastens wurde durch den Normenausschuss „Medizin“ im DIN Deutsches Institut für Normung e. V. nach den neusten medizinischen Erkenntnissen angepasst.<ref>[http://din13164.de/ Aktualisierung der DIN 13164:2014-01. Neue Füllbestände für den Kfz-Verbandkasten].</ref><br />
Diese Norm besagt nichts über das Verfalldatum, was lediglich aus {{§|7|MPG|juris}} Absatz&nbsp;1 des [[Wikipedia:Medizinproduktegesetz|Medizinproduktegesetz]]es (MPG) in Verbindung mit den Anforderungen des Anhangs&nbsp;I der {{EG-RL|1993|42|titel=des Rates vom 14.&nbsp;Juni 1993 über Medizinprodukte}} (ABl. L&nbsp;169 vom 12.&nbsp;Juli 1993, S.&nbsp;1), die zuletzt durch Artikel&nbsp;2 der {{EG-RL|2007|47}} (ABl. L&nbsp;247 vom 21.&nbsp;September 2007, S.&nbsp;21) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, resultiert.<ref>Präziser ausgedrückt aus Abschnitt [Kapitel]&nbsp;II „Anforderungen an die Auslegung und die Konstruktion“ Abschnitt&nbsp;13.3 Buchstabe&nbsp;e) dieses Anhangs&nbsp;I der {{EG-RL|1993|42|titel=des Rates vom 14.&nbsp;Juni 1993 über Medizinprodukte}} (ABl. L&nbsp;169 vom 12.&nbsp;Juli 1993, S.&nbsp;1), die zuletzt durch Artikel&nbsp;2 der {{EG-RL|2007|47}} (ABl. L&nbsp;247 vom 21.&nbsp;September 2007, S.&nbsp;21) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, sofern die Vorschriften dieses Anhangs&nbsp;I, insbesondere jene des Abschnittes [Kapitels]&nbsp;I „Allgemeine Anforderungen“ wiederum insbesondere jene dessen Abschnittes&nbsp;4 in Verbindung mit den Abschnitten 1, 2 und 3 vom Hersteller die Angabe eines Datums, bis zu dem eine gefahrlose Anwendung des Produkts möglich ist, erfordern.</ref> Daher sind Verwarngelder wegen abgelaufener Verbandkästen rechtlich strittig.<br />
<br />
Sollten in einem privat genutzten Kfz-Verbandkasten abgelaufene (sterile) Inhaltsteile ordnungsgemäß ersetzt worden sein, wäre das Datum auf der äußeren Hülle unbeachtlich, weil alle übrigen (unsterilen) Inhaltsteile, z.&nbsp;B. die Schere, bei Gebrauchstauglichkeit weiter verwendet werden dürfen. Damit stellt sich im Ergebnis bei privater Nutzung nicht die Frage, ob das Verfalldatum des Verbandkastens, sondern, ob das Verfalldatum einzelner Inhaltsteile abgelaufen ist. Ob die Polizei Letzteres prüft, ist fraglich.<br />
<br />
Bei gewerblicher Nutzung eines Kfz-Verbandkastens (Lkw) trifft auch den Halter des Fahrzeugs die Pflicht zum Austausch. Dieser ist als gewerblicher „Betreiber“ des Verbandkastens Adressat des Medizinproduktegesetzes.<ref>§&nbsp;4 Absatz 1 Nr. 2 MPG, §&nbsp;1 Absatz 1 Medizinprodukte-Betreiberverordnung.</ref><br />
<br />
In [[Wikipedia:Kraftomnibus|Kraftomnibus]]sen (KOM) muss nicht nur der Inhalt des Verbandkastens der DIN 13164 entsprechen, sondern auch der Kasten selbst. In anderen Kraftfahrzeugen ist die Art des Aufbewahrungsbehälters für das ''Erste-Hilfe-Material'' nicht vorgeschrieben. So gibt es auch Verbandkästen in Form von Kissen oder speziell an das Fahrzeug angepassten Boxen.<br />
<br />
Das Nichtmitführen des „Erste-Hilfe-Materials“ hat ggf. ein [[Wikipedia:Verwarnungsgeld|Verwarnungsgeld]] in Höhe von 5 bis 25&nbsp;€ zur Folge (Regelsätze).<ref>[https://www.gesetze-im-internet.de/bkatv_2013/anlage.html Bundesamt für Justiz – Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV)].</ref><br />
<br />
=== Arbeitsschutz ===<br />
Im gewerblichen Bereich kommen, je nach Art und personeller Größe des Betriebs, Verbandkästen in verschiedenen Ausführungen zum Einsatz. Dies schreiben die [[Wikipedia:Verordnung über Arbeitsstätten|Verordnung über Arbeitsstätten]] (ArbStättV) und die ''[[Wikipedia:Unfallverhütungsvorschrift|Unfallverhütungsvorschrift]] Grundsätze der Prävention'' bzw. DGUV Vorschrift 1 (Umbenennung der bisherigen BGV A1 zum 1. Mai 2014) vor, die Füllung regeln die Normblätter 'Erste-Hilfe-Material – Verbandkasten&nbsp;C'' DIN&nbsp;13157 und 'Erste-Hilfe-Material – Verbandkasten&nbsp;E'' DIN&nbsp;13169. In Betriebsverbandkästen müssen Sterilmaterialien nach Ablauf des Verfalldatums ausgetauscht werden (DGUV Information 204-022, löst die BGI&nbsp;509 zum 1. Mai 2014 ab).<br />
<br />
Die Anzahl der in einem Betrieb notwendigen Verbandkästen richtet sich in erster Linie nach der Art des Betriebes, der Betriebsgröße und der Größe der verwendeten Verbandkästen. Ein Verbandkasten nach DIN 13169 kann dabei aufgrund der Füllungsverhältnisse prinzipiell auch durch zwei kleinere Verbandkästen nach DIN 13157 ersetzt werden.<ref name="BG_Einzelhandel">[http://www.bge.de/asp/dms.asp?url=/gv/asr/asr391-3.htm Zu §&nbsp;39, Abs. 1 und 3 der Arbeitsstättenverordnung], 3. Fußnote. BG Einzelhandel, 10. September 2006.</ref> Details zu den Mindestanzahlen siehe Vergleichstabelle:<ref name="ASR_Tabelle">[http://www.gaa.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/16486/5_039_1_3.pdf Arbeitsstätten-Richtlinie 39/1,3] (PDF) In der Tabelle Ziffer 2 wird nur zwischen großen und kleinen Verbandkästen unterschieden.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|+ Anzahl Verbandkästen nach DIN 13157 („kleiner Verbandkasten“), DIN 13169 („großer Verbandkasten“)<br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
!rowspan="2"| Art des Betriebes<br />
!colspan="3"| Anzahl der Verbandkästen mit Füllung laut DIN<br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! DIN 13157<br />
! DIN 13169<br />
! DIN 13169<br />
|-<br />
| Baustellen || einer bis 10 Versicherte || einer für 11 bis 50 Versicherte||ein weiterer je 50 weitere Versicherte<br />
|-<br />
| Herstellungs- und Verarbeitungsbetriebe || einer bis 20 Versicherte || einer für 21 bis 100 Versicherte || ein weiterer je 100 weitere Versicherte<br />
|-<br />
| Verwaltungs- und Handelsbetriebe || einer bis 50 Versicherte || einer für 51 bis 300 Versicherte || ein weiterer je 300 weitere Versicherte<br />
|-<br />
| übrige Betriebe ||style="text-align:center" | einer || – || –<br />
|}<br />
<br />
=== Füllungen ===<br />
Die vorgeschriebenen Füllungen der Verbandkästen im Kfz-Bereich gleichen weitgehend denen im betrieblichen Bereich. Von besonderer Wichtigkeit ist das Inhaltsverzeichnis, in dem die Füllung im Wortlaut abgedruckt ist und nach dem der Verbandkasten (wieder) zu befüllen ist.<br />
<br />
Die für Betriebe vorgegebenen Füllungen der DIN 13157 umfassen alles, was auch im Kfz-Verbandkasten nach DIN&nbsp;13164 vorhanden ist, darüber hinaus sind allerdings noch Fingerkuppenverband, Fingerverband 120&nbsp;mm × 20&nbsp;mm, Pflasterstrip, Augenkompresse, Kälte-Sofortkompresse,<!-- [[Netzverband]] für Extremitäten,--> Vliesstoff-Tuch und Folienbeutel vorgeschrieben. Die ebenfalls für Betriebe geeigneten Verbandkästen nach DIN&nbsp;13169 unterscheiden sich von jenen der DIN&nbsp;13157 nur dadurch, dass sie (außer Schere, [[Erste Hilfe|Erste-Hilfe]]-Broschüre und Inhaltsverzeichnis) die doppelte Menge an Verbrauchsmaterial enthalten.<br />
<br />
;Anwendungsbereich DIN 13157 (65-tlg.):<br />
Diese Norm gilt für Verbandkästen, die für die Verwendung in Verwaltungs- und Handelsbetrieben bis 50 Personen, in Herstellungs- und Verarbeitungsbetrieben bis 20 Personen und auf Baustellen bis 10 Personen vorgesehen sind. Diese Norm gilt auch für die Verwendung in [[Wikipedia:Schule|Schule]]n und Kindergärten.<ref>{{Webarchiv|url=http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/si-8065.pdf |wayback=20120227121819 |text=GUV-SI 8066 Erste Hilfe in Schulen }} (PDF; 903&nbsp;kB), Gesetzliche Unfallversicherung, 2008.</ref><ref name="KiTa">[http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/202-089.pdf DGUV Information 202-089 Erste Hilfe in Kindertageseinrichtungen] (PDF; 0,4&nbsp;MB) Gesetzliche Unfallversicherung, 2015.</ref> Der Verbandkasten soll die Erste Hilfe am Unfallort fachgerecht ermöglichen.<br />
<br />
;Anwendungsbereich DIN 13169 (127-tlg.):<br />
Diese Norm gilt für Verbandkästen, die für die Verwendung in Verwaltungs- und Handelsbetrieben ab 51 Personen, in Herstellungs- und Verarbeitungsbetrieben ab 21 Personen und auf Baustellen ab 11 Personen vorgesehen sind. Der Verbandkasten soll die Erste Hilfe am Unfallort fachgerecht ermöglichen.<br />
<br />
;Anwendungsbereich DIN 13167:<br />
Obwohl es in Deutschland keine Pflicht zur Mitnahme eines Verbandkastens in [[Wikipedia:Kraftrad|Krafträdern]] gibt, existiert eine Norm, die speziell „Erste-Hilfe-Material für Krafträder“ definiert. Der Inhalt fällt deutlich geringer und damit platzsparender aus als beim Pkw-Verbandkasten. Des Weiteren ist kein fester Kasten gefordert, wodurch auch die Verpackung in einer schmutz- und feuchtigkeitsdichten Stoffhülle der Norm entspricht.<br />
<br />
;Anwendungsbereich DIN 14142:<br />
Für Feuerwehren existiert mit der DIN 14142 eine weitere Norm für einen 132-teiligen Verbandskasten.<br />
<br />
;Anwendungsbereich DIN 14143:<br />
Der Sanitätskasten nach DIN 14143 enthielt neben diversen Hilfsmitteln zur Ersten Hilfe auch Geräte zur Schockbekämpfung, zum Absaugen der Luftwege und für eine über längere Zeit durchzuführende Beatmung. Diese weitergehende Ausrüstung war zur Anwendung durch geschultes Sanitätspersonal gedacht.<ref>DIN 14143:1977</ref> Der Sanitätskasten gehörte zur Beladung von [[Wikipedia:Löschgruppenfahrzeug#Löschgruppenfahrzeug 16|Löschgruppenfahrzeugen 16]] und [[Wikipedia:Rüstwagen|Rüstwagen]]. Seit dem Rückzug der Norm wird an Stelle dessen auf andere Verbandkasten oder [[Wikipedia:Notfallkoffer|Notfallkoffer]] zurückgegriffen.<br />
<br />
{{Anker|Sanitätstasche}} {{Anker|Sanitätsumhängetasche}}<br />
;Anwendungsbereich DIN 13160:<br />
Diese Norm regelte die Füllung von '''Sanitätstaschen''' bzw. '''Sanitätsumhängetaschen''' (gem. [[Wikipedia:Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe|BBK]]) primär für den Einsatz im Katastrophenschutz (KatS), ist aber mittlerweile ersatzlos zurückgezogen worden. Die Ausstattungsliste des BBK gilt allerdings weiterhin.<ref>[http://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/III-5_Download/III5_Fahrzeuge_Ausstg/III6_Ausstgliste/III6_Ausstgliste_SanTasche.html Ausstattungsliste Sanitätsumhängetasche].</ref><br />
<br />
Kindergärten und Schulen müssen bei Wanderungen, Exkursionen, Studienfahrten, Wintersportveranstaltungen, Sportveranstaltungen außerhalb der Sporthalle eine Erste-Hilfe-Ausstattung mitführen. Aus Ermangelung einer anderen Norm, auf die man verweisen kann, wird die Nutzung der Sanitätsumhängetasche nach DIN 13160 durch die Unfallversicherungsträger teilweise noch als Möglichkeit empfohlen.<ref>[http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/si-8047.pdf Mit der Klasse sicher unterwegs] (PDF; 792&nbsp;kB) Gesetzliche Unfallversicherung, 2008.</ref> Der Inhalt der Sanitätsumhängetasche war jedoch für die Nutzung durch Ersthelfer nicht ausgelegt. In neueren Publikationen gibt es eigene Empfehlungen.<ref name="KiTa" /><br />
<br />
Details siehe Vergleichstabelle:<br />
{| class="wikitable" style="margin-left:2em"<br />
|+ Füllungstabelle für DIN 13157, 13169, 13164, 13167, 14142, 13160<br />
|-- class="hintergrundfarbe6"<br />
!rowspan="3"| Bezeichnung<br />
!colspan="7"| Stückzahl laut DIN<br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! 13157<br />
! 13169<br />
! 13164<br />
! 13167<br />
! 14142<br />
! 13160<br />
|- class="hintergrundfarbe5"<br />
! Betr.<50<br />Schulen<br />
! Betr.>50<br />
! Kfz<br />
! Kraft-<br />räder<br />
! Feuerwehr<br />
! KatS<br /><small>(Schule)</small><br />
<br />
|-<br />
|Heftpflaster DIN 13019 – A 5&nbsp;m&nbsp;×&nbsp;2,5&nbsp;cm||1||2||1||1{{FN|**}}||2||1<br />
|-<br />
|Wundschnellverband DIN 13019 – E 100&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;8&nbsp;cm, wasserfest ||–||–||–||–||1||–<br />
|-<br />
|Wundschnellverband DIN 13019 – E 10&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;6&nbsp;cm||8||16||4||4{{FN|**}}||8||8<br />
|-<br />
|Fingerkuppenverband||4{{FN|*}}||8{{FN|*}}||2{{FN|**}}||2{{FN|**}}||4||–<br />
|-<br />
|Fingerverband – 120&nbsp;mm&nbsp;×&nbsp;20&nbsp;mm||4{{FN|*}}||8{{FN|*}}||2{{FN|**}}||2{{FN|**}}||4||–<br />
|-<br />
|Pflasterstrip – 19&nbsp;mm × 72&nbsp;mm||4{{FN|*}}||8{{FN|*}}||2{{FN|**}}||2{{FN|**}}||4||–<br />
|-<br />
|Pflasterstrip – 25&nbsp;mm × 72&nbsp;mm||8{{FN|*}}||16{{FN|*}}||4{{FN|**}}||4{{FN|**}}||8||–<br />
|-<br />
|Verbandpäckchen DIN 13151 – K||1{{FN|*}}||2{{FN|*}}||1{{FN|**}}||–||–||1<br />
|-<br />
|Verbandpäckchen DIN 13151 – M||3||6||2{{FN|**}}||1{{FN|**}}||6||2<br />
|-<br />
|Verbandpäckchen DIN 13151 – G||1{{FN|*}}||2{{FN|*}}||1||1{{FN|**}}||4||2<br />
|-<br />
|Verbandtuch DIN 13152 – BR (40 × 60&nbsp;cm)||–{{FN|*}}||–{{FN|*}}||1{{FN|**}}||–||2||2<br />
|-<br />
|Verbandtuch DIN 13152 – A (60 × 80&nbsp;cm)||1||2||1||1||2||1<br />
|-<br />
|Verbandtuch DIN 13152 – B (80 × 120&nbsp;cm)||–||–||–||–||2||–<br />
|-<br />
|Kompresse – 100&nbsp;mm × 100&nbsp;mm||6||12||6||–||12||6<br />
|-<br />
|Augenkompresse – einzeln steril verpackt, Mindestmaße 50&nbsp;mm&nbsp;×&nbsp;70&nbsp;mm||2||4||–||–||2||–<br />
|-<br />
|Kälte-Sofortkompresse – Fläche min. 200&nbsp;cm² ||1{{FN|*}}||2{{FN|*}}||–||–||2||–<br />
|-<br />
|Rettungsdecke – 2,1&nbsp;m&nbsp;×&nbsp;1,6&nbsp;m||1||2||1||1||4||1<br />
|-<br />
|Fixierbinde DIN 61634 – FB 6||2{{FN|*}}||4{{FN|*}}||2||–||10||2<br />
|-<br />
|Fixierbinde DIN 61634 – FB 8||2{{FN|*}}||4{{FN|*}}||3||–||10||2<br />
|-<br />
|Netzverband für Extremitäten – min. 4&nbsp;m gedehnt||–{{FN|*}}||–{{FN|*}}||–||–||2||–<br />
|-<br />
|Kompressionsbinde 5&nbsp;m{{FN|***}} × 8&nbsp;cm||–{{FN|*}}||–{{FN|*}}||–||–||1||–<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Dreiecktuch|Dreiecktuch]] DIN 13168 – D||2||4||2||–||4||2<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Schere DIN 58279 – B 190|Schere DIN 58279 – B 190]]||1||1||1{{FN|#}}||1{{FN|#}}||2||1<br />
|-<br />
|Folienbeutel – min. 300&nbsp;mm&nbsp;×&nbsp;400&nbsp;mm||2||4||–||–||2{{FN|***}}||–<br />
|-<br />
|Vliesstoff-Tuch – min. 200&nbsp;mm&nbsp;×&nbsp;300&nbsp;mm||5{{FN|*}}||10{{FN|*}}||–||–||-{{FN|***}}||–<br />
|-<br />
|Einmalhandschuh nach DIN EN 455||4||8||4||4||12||8<br />
|-<br />
|Diagnostikleuchte||–||–||–||–||–||1<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Verletztenanhängekarte|Verletztenanhängekarte]]||–||–||–||–||–||5<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Splitterpinzette|Splitterpinzette]]||–||–||–||–||1||–<br />
|-<br />
|Notfallbeatmungshilfe für Laien nach DIN 13154||–||–||–||–||1||–<br />
|-<br />
|Feuchttuch zur Reinigung unverletzter Haut||–||–||2{{FN|**}}||2{{FN|**}}||10||–<br />
|-<br />
|Meldeblock mindestens nach [[Wikipedia:DGUV|DGUV]] Information 204-021||–||–||–||–||1||–<br />
|-<br />
|Erste-Hilfe-Broschüre – Anleitung zur Ersten Hilfe bei Unfällen||1||1||1||1||1||–<br />
|-<br />
|Inhaltsverzeichnis||1||1||1||1||1||1<br />
|}<br />
{{FNBox|<br />
{{FNZ|*|gemäß Normänderung 2009}}<br />
{{FNZ|**|gemäß Normänderung 2014}}<br />
{{FNZ|***|gemäß Normänderung 2018}}<br />
{{FNZ|#|hier: Verbandkastenschere DIN 58279 – A 145}}<br />
}}<br />
<br />
Weiterhin gibt es für den Rettungs- bzw. Sanitätsdienst den '''[[Wikipedia:Notfallkoffer|Notfallkoffer]]''' (siehe dort) mit einer Notfall-Ausrüstung nach DIN 13232 sowie den kleineren [[Wikipedia:Notfallkoffer#Sanitätskoffer|Sanitätskoffer]] entsprechend der DIN 13155.<br />
<br />
=== Kennzeichnung ===<br />
Ein Verbandkasten nach DIN darf das Rettungszeichen „weißes Kreuz auf grünem Untergrund“ aufgedruckt haben.<br />
<br />
Zusätzlich darf die jeweilige DIN angedruckt werden, hier gibt es zwei vom Gesetzgeber vorgesehene Varianten:<br />
<br />
# Ein Verbandkasten muss bestimmte Grundanforderungen bestehen (Wasserdichtigkeit, Bruchsicherheit, …), eine exakte Größe oder Art ist jedoch nicht vorgeschrieben. Erfüllt ein Verbandkasten nach DIN 13157 jedoch die Abmessungen 25,5 × 16,6 × 8&nbsp;cm bzw. nach DIN 13169 die Abmessungen 35 × 25,5 × 10&nbsp;cm, so darf die Kennzeichnung des Kastens lauten: DIN 13157-C bzw. DIN 13169-E.<ref>[http://www.din13169.de/ DIN 13169] Kennzeichnung des Verbandmittelbehältnisses, abgerufen am 6. August 2014</ref><br />
# Alle anderen Behältnisse dürfen „Inhalt DIN …“ (13157, 13169, …) aufgedruckt haben.<ref>§ Vgl. Anforderung an die Kennzeichnung in den jeweiligen Normen DIN 13157, 13169, 13164, 14142, 13160, 13155 den Unterpunkt „Kapitel 7 Kennzeichnung“.</ref><br />
<br />
Weitere Kennzeichnungsoptionen bei Erfüllen der jeweiligen DIN sind:<br />
* Andrucken des Verbandszeichens DIN<br />
* Herstellername oder -zeichen<br />
* Weitere Informationen sind erlaubt<br />
<br />
== Österreich ==<br />
=== Kraftfahrzeuge ===<br />
==== Allgemeine Hinweise ====<br />
Im {{§|102|Kraftfahrgesetz 1967|RIS-B|DokNr=NOR40095802}} Abs. 10 [[Wikipedia:Kraftfahrgesetz|Kraftfahrgesetz]] (KFG) ist für Kraftfahrzeuge (auch Zweiräder) lediglich<br />
: „… Verbandzeug, das zur Wundversorgung geeignet und in einem widerstandsfähigen Behälter staubdicht verpackt und gegen Verschmutzung geschützt ist&nbsp;…“ vorgeschrieben. Verbandpäckchen mit dem Aufdruck „Entspricht KFG §&nbsp;102“ sind daher häufig nur sehr knapp bestückt und im Notfall keine große Hilfe. Meist fehlen in diesen Verbandpäckchen einfachste, jedoch sehr wichtige Materialien wie Einmalhandschuhe oder Beatmungshilfen. Besser ausgestattet sind Verbandpäckchen nach [[Wikipedia:ÖNORM|ÖNORM]] V&nbsp;5100 bzw. V&nbsp;5101. Auch Päckchen nach DIN 13164 werden angeboten.<br />
<br />
==== Füllungen ====<br />
Bei den Füllungen ist zwischen der ÖNORM V&nbsp;5100 für einspurige Kraftfahrzeuge, und der ÖNORM V&nbsp;5101 für mehrspurige Kraftfahrzeuge zu differenzieren. Da in einem mehrspurigen Kraftfahrzeug mehr Personen als in einem Einspurigen transportiert werden können, weist die ÖNORM V&nbsp;5101 entsprechend größere Füllmengen auf. Details siehe Vergleichstabelle:<ref name="önormV5101">''Erste Hilfe – Unfallverhütung.'' 1. Auflage. Österreichisches Rotes Kreuz, Wien 2003, ISBN 3-902332-04-2, S. 61.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable" style="margin-left:2em"<br />
|+ Füllungstabelle gemäß ÖNORM V 5100, 5101<ref name="önormV5101" /><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
!rowspan="2"| Bezeichnung<br />
!rowspan="2"| Maße/Größe/Sonstiges<br />
!colspan="2"| Stückzahl laut ÖNORM<br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! V5101 mehrspurig<br />
! V5100 einspurig<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Dreieckstuch|Dreiecktücher]]||gem. ÖNORM K 2122||4||2<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Wundauflage|Wundauflage]], nicht verklebend, steril verpackt||10&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;10&nbsp;cm||6||2<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Verbandtuch|Verbandtuch]], nicht verklebend, steril verpackt||40&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;60&nbsp;cm||1||–<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Heftpflaster|Heftpflaster]]spule||2,5&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;5&nbsp;m||1||1<br />
|-<br />
|Heftpflaster, einzeln staubdicht verpackt||6&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;1,9&nbsp;cm||5||5<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Wundschnellverband|Wundschnellverband]], einzeln staubdicht verpackt||6&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;10&nbsp;cm||3||–<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Momentverband|Momentverband]] groß, einzeln steril verpackt||Gr. 3||1||–<br />
|-<br />
|Momentverband mittel, einzeln steril verpackt||Gr. 4||1||1<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Mullbinde|Mullbinde]]n, elastisch, unbeschichtet, einzeln verpackt||10&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;4&nbsp;m||1||–<br />
|-<br />
|Mullbinden, elastisch, unbeschichtet, einzeln verpackt||8&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;4&nbsp;m||2||1<br />
|-<br />
|Mullbinden, elastisch, unbeschichtet, einzeln verpackt||6&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;4&nbsp;m||2||–<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Rettungsdecke|Rettungsdecke]], alubedampft, silber/gold||210&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;160&nbsp;cm||1||1<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Verbandschere|Verbandschere]]||gem. ÖNORM K 2121 rostfrei||1||1<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Einmalhandschuhe|Einmalhandschuhe]]||||6||4<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Beatmungshilfe|Notfallbeatmungstuch]]||||1||1<br />
|-<br />
|[[Erste Hilfe|Erste-Hilfe-Anleitung]]||||1||1<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
=== Arbeitnehmerschutz ===<br />
In Österreich sind Arbeitgeber gemäß [[Wikipedia:ArbeitnehmerInnenschutzgesetz|ArbeitnehmerInnenschutzgesetz]] (ASchG) dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmern bei Verletzungen oder plötzlichen Erkrankungen angemessen Erste Hilfe geleistet werden kann. Dazu zählt insbesondere das Bereitstellen von geeigneten Mitteln zur Ersten Hilfe in ausreichender Anzahl. Die Mittel müssen laut §&nbsp;26 ASchG sowie §&nbsp;39 der [[Arbeitsstättenverordnung (Österreich)|Arbeitsstättenverordnung]] (AStV) in staubdichten Behältern, hygienisch einwandfrei, jederzeit gebrauchsfähig, leicht zugänglich und gut gekennzeichnet sein. In unmittelbarer Nähe hat sich darüber hinaus unter anderem eine Anleitung zur Erste-Hilfe-Leistung zu befinden.<br />
<br />
Der Mindestinhalt jener Mittel zur Ersten Hilfe Leistung muss laut der für den Arbeitnehmerschutz zuständigen österreichischen [[Wikipedia:Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (Österreich)|Arbeitsinspektion]] den Vorgaben der [[Wikipedia:ÖNORM|ÖNORM]] Z 1020 entsprechen. Die einschlägigen Vorschriften gelten nicht nur für Arbeitsstätten und Baustellen, sondern aufgrund §&nbsp;81 der [[Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung|Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung]] (AAV) auch für auswärtige Arbeitsstellen.<ref name="eh_arbeitsinspektion">''[http://arbeitsinspektion.gv.at/ Österreichische Arbeitsinspektion]'': {{Webarchiv|url=http://www.arbeitsinspektion.gv.at/AI/Arbeitsstaetten/Arbeitsplaetze/arbeitsplaetze020.htm |wayback=20070930043412 |text=Erste Hilfe }}, abgerufen am 4. März 2007.</ref><br />
<br />
==== Mindestanzahlen ====<br />
In der ÖNORM Z 1020 wird zwischen zwei Typen von Verbandkästen unterschieden, die unterschiedlich dimensioniert sind:<br />
* Typ 1 – zulässig für Arbeitsbereiche mit bis zu 5 Arbeitnehmern<br />
* Typ 2 – zulässig für Arbeitsbereiche mit bis zu 20 Arbeitnehmern.<br />
Bei mehr als 20 Arbeitnehmern sind entsprechend den Arbeitsbedingungen ausreichend viele und gut erreichbare Verbandkästen zu platzieren.<br />
<br />
==== Füllungen ====<br />
Die Verbandkästen vom Typ 1 und Typ 2 sind mit dem gleichen Material ausgestattet. Allerdings weist der Verbandkasten nach Typ&nbsp;2 dadurch, dass er für mehr Arbeitnehmer zugelassen ist, größere Stückzahlen beim Verbrauchsmaterial auf. Details siehe Vergleichstabelle:<ref name="önorm1020">[http://www.apotheker.or.at/internet%5Coeak%5Cdownlink_1_0_0a.nsf/03F68B059DA4EEA8C12570B2002FF6B8/$file/%C3%96NORM%20Z%201020.PDF Informationsdokument zur ÖNORM Z 1020] (PDF; 55&nbsp;kB) apotheker.or.at, 22. Juli 2006.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable" style="margin-left:2em"<br />
|+ Füllungstabelle gemäß ÖNORM Z 1020<ref name="önorm1020" /><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
!Bezeichnung<br />
!Maße/Größe/Sonstiges<br />
!Stückzahl Typ 1<br />
!Stückzahl Typ 2<br />
|-<br />
| Dreiecktücher<br />
| gemäß ÖNORM K 2122<br />
| 2<br />
| 4<br />
|-<br />
| Wundauflage oder Saugkompresse<br />
| (10 ±0,5) cm&nbsp;×&nbsp;(10 ±0,5) cm, nicht fasernd, nicht mit der Wunde verklebend, Wundseite erkennbar, einzeln steril und keimdicht verpackt<br />
| 6<br />
| 15<br />
|-<br />
| Verbandtuch<br />
| 40&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;60&nbsp;cm, nicht fasernd, nicht mit der Wunde verklebend, Wundseite erkennbar, einzeln steril und keimdicht verpackt, Mindestsaugkapazität von 100&nbsp;g Wasser<br />
| 1<br />
| 3<br />
|-<br />
| Heftpflasterspule<br />
| mit Seitenscheiben und Schutzring, quer reißbar, 2,5&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;5&nbsp;m<br />
| 1<br />
| 2<br />
|-<br />
| [[Wikipedia:Wundschnellverband|Pflasterstrips]]<br />
| 6&nbsp;cm × 1,9&nbsp;cm, einzeln staubdicht verpackt<br />
| 20<br />
| 40<br />
|-<br />
| Pflasterschnellverband<br />
| 6&nbsp;cm × 10&nbsp;cm, einzeln staubdicht verpackt<br />
| 6<br />
| 10<br />
|-<br />
| Momentverband mittel<br />
| Binde 8&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;3&nbsp;m, mit nicht mit der Wunde verklebendem Wundkissen 8&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;10&nbsp;cm, einzeln steril und keimdicht verpackt<br />
| 2<br />
| 4<br />
|-<br />
| Momentverband groß<br />
| Binde 10&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;3&nbsp;m, mit nicht mit der Wunde verklebendem Wundkissen 10&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;10&nbsp;cm, einzeln steril und keimdicht verpackt<br />
| 2<br />
| 4<br />
|-<br />
| Elastische Mullbinden<br />
|10&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;4&nbsp;m,{{FN|*)}} unbeschichtet, einzeln staubdicht verpackt<br />
| 2<br />
| 4<br />
|-<br />
| Elastische Mullbinden<br />
| 8&nbsp;cm × 4&nbsp;m,{{FN|*)}} unbeschichtet, einzeln staubdicht verpackt<br />
| 2<br />
| 4<br />
|-<br />
| Elastische Mullbinden<br />
| 6&nbsp;cm × 4&nbsp;m,{{FN|*)}} unbeschichtet, einzeln staubdicht verpackt<br />
| 2<br />
| 4<br />
|-<br />
| Fixierbinde (selbsthaftend)<br />
| 8&nbsp;cm × 4&nbsp;m{{FN|*)}}<br />
| 1<br />
| 2<br />
|-<br />
| [[Wikipedia:Fingerschnellverband|Fingerschnellverband]]<br />
| elastisches Band mit Wundkissen 3&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;3&nbsp;m<br />
| 2<br />
| 5<br />
|-<br />
| Fingerlinge mit Haltebändern<br />
| –<br />
| 2<br />
| 3<br />
|-<br />
| Rettungsdecke<br />
| 210&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;160&nbsp;cm, aluminiumbedampft, silber/andersfarbig, Foliendicke 12&nbsp;µm<br />
| 1<br />
| 2<br />
|-<br />
| Verbandschere<br />
| gemäß ÖNORM K 2121<br />
| 1<br />
| 1<br />
|-<br />
| Medizinische Einmalhandschuhe<br />
| gemäß ÖNORM EN 455-1, -2 und -3, nahtlos, groß<br />
| 6<br />
| 10<br />
|-<br />
| Einmalbeatmungsbehelf<br />
| –<br />
| 1<br />
| 1<br />
|-<br />
| [[Wikipedia:Splitterpinzette|Splitterpinzette]]<br />
| 8&nbsp;cm, Metall, rostfrei{{FN|**)}}<br />
| 1<br />
| 1<br />
|-<br />
| Erste-Hilfe-Anleitung<br />
| entsprechend der Lehrmeinung einer anerkannten Rettungsorganisation<br />
| 1<br />
| 1<br />
|-<br />
| [[Wikipedia:Inhaltsverzeichnis|Inhaltsverzeichnis]]<br />
| –<br />
| 1<br />
| 1<br />
|-<br />
|}<br />
{{FNBox|<br />
{{FNZ|*)|Länge gedehnt, Breite ungedehnt}}<br />
{{FNZ|**)|Nur für den einmaligen Gebrauch vorgesehen}}<br />
}}<br />
<br />
== Schweiz ==<br />
=== Motorfahrzeuge ===<!-- In der Schweiz ist der Begriff Kfz unüblich. --><br />
In der Schweiz sind Fahrzeuglenker nicht gesetzlich verpflichtet, Verbandkasten oder sonstiges Erste-Hilfe-Material mitzuführen. Das Strassenverkehrsgesetz (SVG) schreibt lediglich allgemein vor, dass man als Beteiligter bei Unfällen mit [[Wikipedia:Personenschaden|Personenschaden]] für Hilfe zu sorgen hat, gleichfalls als Unbeteiligter soweit dies zumutbar ist.<ref name="ch_usenet">Usenet-Thema ''Vorschriften zu Kfz-Verbandkasten'', ch.soc.law ([http://groups.google.com/group/ch.soc.law/browse_thread/thread/b3419c2f614b4a18/2f1b8c58e4b5ce21?lnk=st&q=group%3Ach.soc.law+verbandkasten&rnum=1 Archiv]), 20. August 2006.</ref><ref name="Straßenverkehrsgesetz">[http://www.admin.ch/ch/d/sr/7/741.01.de.pdf Art. 51 Straßenverkehrsgesetz 1958 idF 2004] (PDF; 629&nbsp;kB) 20. August 2006.</ref><br />
<br />
Die Entscheidung über die Anschaffung und Mitführung eines Verbandkastens wird somit dem Einzelnen überlassen. Unverbindliche Empfehlungen der größeren Schweizer [[Wikipedia:Verkehrsclub|Automobil- und Verkehrsklubs]] für die Mindestausstattung von geeigneten Verbandkästen scheint es hierfür nicht zu geben.<ref name="searchHits">Keine Suchtreffer für „Verbandkasten“ auf den Webseiten von [[Wikipedia:Automobil Club der Schweiz|ACS]] ({{Webarchiv|url=http://www.acs.ch/ww/de/pub/suche.cfm?bool=or&near=&intern=0&targetgroup=pub&itemsperpage=10&fuseaction_sea=results&criteria=verbandkasten&suchen.x=32&suchen.y=5 |wayback=20070928081110 |text=acs.ch |archiv-bot=2019-05-21 04:44:05 InternetArchiveBot }}) und [[Wikipedia:Touring Club Schweiz|TCS]] ({{Webarchiv|url=http://www.tcs.ch/main/de/home/dienstleistungen/suche.html?QU=verbandkasten |wayback=20070312102735 |text=tcs.ch |archiv-bot=2019-05-21 04:44:05 InternetArchiveBot }}), 20. August 2006.</ref><br />
<br />
Will man ausreichend ausgestattetes Verbandmaterial für das eigene Fahrzeug erwerben, dürfte es am zielführendsten sein, sich einen Verbandkasten nach DIN 13164 zu besorgen. Dieser Norm entsprechende Erzeugnisse werden auch in der Schweiz vertrieben und sind entsprechend ausgewiesen.<ref name="Erwerb_Verbandkasten_Schweiz">DIN-Verbandkästen sind in CH u.&nbsp;a. online erwerbbar unter {{Webarchiv|url=http://www.swissmania.ch/product_info/Verbandkasten_DIN-Norm.html |wayback=20070929051245 |text=swissmania.ch |archiv-bot=2019-05-21 04:44:05 InternetArchiveBot }}, {{Webarchiv|url=http://www.heinzstampfli.ch/web/soehngen/kfz_verbandkasten.htm |wayback=20060902172635 |text=heinzstampfli.ch |archiv-bot=2019-05-21 04:44:05 InternetArchiveBot }}, 20. August 2006.</ref><br />
<br />
=== Arbeitsschutz ===<br />
In der Schweiz ergeben sich gesetzliche Rahmenbedingungen für Verbandkästen im Betrieb mittelbar aus Artikel 36 der [[Wikipedia:Arbeitsgesetz|Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz]] (ArGV3), welche die Rahmenbedingungen für die betriebliche Erste Hilfe festlegt. Der erste Absatz besagt:<br />
{{Zitat<br />
|Text=<br />
Für die erste Hilfe müssen entsprechend den Betriebsgefahren, der Grösse<!-- sic --> und der örtlichen Lage des Betriebs stets die erforderlichen Mittel verfügbar sein. Die Erste-Hilfe-Ausstattung muss gut erreichbar sein und überall dort aufbewahrt werden, wo die Arbeitsbedingungen dies erfordern.<br />
|ref=<ref>Art. 36 Verordnung 3 vom 18. August 1993 zum Arbeitsgesetz idgF (ArGV3). [http://www.admin.ch/ch/d/sr/c822_113.html admin.ch].</ref>}}<br />
<br />
Weiters wird bestimmt, dass zu diesem Zweck nötigenfalls Sanitätsräume einzurichten und gut sichtbar zu kennzeichnen sind. Diese eher abstrakten Vorgaben sind praxisnäher und genauer in einer ''Wegleitung zu den Verordnungen 3 und 4 des Arbeitsgesetzes''<ref name="SECO_Wegleitung">{{Webarchiv | url=http://www.seco.admin.ch/dokumentation/publikation/00009/00027/01625/index.html?lang=de | wayback=20130930163622 | text=''Wegleitung zu den Verordnungen 3 und 4 zum Arbeitsgesetz''.}} SECO – Direktion für Arbeit. 4. Üb., Bern 2006, S.&nbsp;336–1&nbsp;ff.</ref> vom [[Wikipedia:Staatssekretariat für Wirtschaft|Staatssekretariat für Wirtschaft]] (SECO) ausformuliert. Als weitere praxisorientierte Informationsquelle für Erste Hilfe im Betrieb kann auch die [[Wikipedia:Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit|Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit]] (EKAS) dienen.<ref name="EKAS">[http://www.ekas.admin.ch/download.php?id=166 ''Mitteilungsblatt Nr. 61, Juni 2006.''] (1,6&nbsp;MB) EKAS, Kapitel ''Erste Hilfe im Betrieb'', S. 13 ff.</ref><br />
<br />
==== Mindestanzahlen ====<br />
Laut SECO-Wegleitung ist in an einem Ort konzentrierten Kleinbetrieben „ohne besondere Gefahren“<ref name="ekas_low_risk_list">Definiert nach: ''EKAS-Richtlinie Nr. 6508 über den Beizug von Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit'', Tabelle 1.</ref> zumindest ein einzelner Erste-Hilfe-Kasten<!-- sic --> vorzuhalten. Bei größeren Betrieben muss auf eine strategisch günstige Verteilung auf mehrere Gebäude bzw. Stockwerke Rücksicht genommen werden. Bei größeren Betrieben „mit besonderen Gefahren“ müssen eigene, jeweils mit Erste-Hilfe-Material bestückte Sanitätsräume eingerichtet werden. Dabei werden folgende Mindestzahlen für Sanitätsräume festgelegt: In Betrieben ohne besondere Gefahren ist mindestens eines ab 250 Beschäftigten, bei erhöhtem Gefahrenpotenzial bereits mindestens eines ab 100 Beschäftigten im selben Gebäude einzurichten.<ref name="SECO_Wegleitung" /><br />
<br />
==== Füllungen ====<br />
Laut SECO-Wegleitung hat die Dimensionierung und Zusammenstellung des Erste-Hilfe-Materials und somit Verbandkastens entsprechend den im Betrieb vorhandenen Gefahren zu erfolgen. Es wird angegeben, dass in kleineren Betrieben ohne besondere Gefahren in der Regel ein mit Desinfektions- und Verbandmaterial ausgestatteter Erste-Hilfe-Kasten ausreichend ist<!-- sic -->, wobei für genauere Ausstattungsmerkmale empfohlen wird, den Rat eines Arztes oder Apothekers einzuholen. Medikamente sind jedenfalls getrennt davon und nicht frei zugänglich aufzubewahren, da sie nur von nach der [[Wikipedia:Heilmittelgesetz|Heilmittelgesetz]]gebung berechtigten Personen verabreicht werden dürfen.<ref name="SECO_Wegleitung" /><br />
<br />
== Norwegen ==<br />
In Norwegen ist für Kraftfahrzeuge kein Verbandkasten vorgeschrieben.<br />
<br />
== Vereinigtes Königreich ==<br />
Das [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|Vereinigte Königreich]] (UK) unterscheidet sich bei den Regelungen für Verbandkästen stark vom deutschsprachigen Raum.<br />
<br />
=== Kraftfahrzeuge ===<br />
In Großbritannien besteht im Gegensatz zu den meisten Ländern Europas für Bürger überhaupt keine Verpflichtung, Verbandkästen oder auch andere Sicherheitsausrüstung wie [[Wikipedia:Warnweste|Warnweste]]n, [[Wikipedia:Pannendreieck|Pannendreieck]] oder [[Wikipedia:Feuerlöscher|Feuerlöscher]] mitzuführen. Britischen Touristen drohen daher bei Verkehrskontrollen oder im Falle eines Unfalls im Ausland erhebliche [[Wikipedia:Strafe|Strafe]]n, wenn sie nicht von sich aus vorsorgen. Diesem Problem kann durch den Erwerb von eigens auf die europäische Gesetzeslage zugeschnittenen ''European Travel Kits'' Abhilfe geschafft werden.<ref name="carpages_uk">[http://www.carpages.co.uk/news/european-road-safety-laws-30-01-06.asp Artikel über Straßensicherheit für britische Kraftfahrer] carpages.co.uk, Cookies erforderlich, 24. Juli 2006 (englisch).</ref><br />
<br />
=== Arbeitsschutz ===<br />
Britische Arbeitgeber haben laut ''Health & Safety (First-Aid) Regulations 1981'' die gesetzliche Pflicht, adäquate und geeignete Ausrüstung und Einrichtungen zur Leistung von Erster Hilfe am Arbeitsplatz bereitzustellen. Für die genauere Ausführung dessen, was als adäquat und geeignet ist, ist die [[Wikipedia:Health and Safety Executive|Health and Safety Executive]] (HSE) zuständig, die zu diesem Zweck den so genannten ''Approved Code of Practice'' (ACoP) herausgibt.<ref name="acop">{{Webarchiv|url=http://www.pcs.org.uk/en/resources/health_and_safety/health_and_safety_legal_summaries/health_and_safety_first_aid_regulations_1981.cfm |wayback=20130404142052 |text=Kurzbeschreibung der UK Health & Safety (First-Aid) Regulations 1981 |archiv-bot=2019-05-21 04:44:05 InternetArchiveBot }} pcs.org.uk (englisch).</ref><br />
<br />
Die Erste-Hilfe-Bestimmungen für Verbandkästen am Arbeitsplatz sind im ACoP L74 verankert.<ref name="ACOP_L74">[http://www.officesafety.co.uk/quick-guides/guide-to-first-aid-kits.html ''Guide to First-Aid kits''.] officesafety.co.uk, 24. Juli 2006 (englisch).</ref> Dennoch gibt es keine vorgeschriebene Mindestausstattung oder Mindestanzahl. Vielmehr wird dem Arbeitgeber auferlegt, die benötigte Erste-Hilfe-Ausrüstung und somit auch den Inhalt und Anzahl von Verbandkästen im Rahmen eines vorgeschriebenen ''Risk Assessments'' (Risikoabschätzung) zu bestimmen.<ref name="hseFaqFbox">[http://hse.gov.uk/firstaid/faqs.htm#fabox FAQ zu Erste-Hilfe-Kästen am Arbeitsplatz] hse.gov.uk, 24. Juli 2006 (englisch).</ref><br />
<br />
Für weitestgehend risikolose Büroarbeitsplätze besteht die von der HSE empfohlene, recht spärliche Mindestausstattung für Verbandkästen lediglich aus Erste-Hilfe-Anleitung, 20 Verbandpäckchen (selbstklebend), zwei Augenverbänden, vier Dreiecktüchern, sechs Sicherheitsnadeln, sechs mittelgroßen Wundauflagen, zwei großen Wundauflagen und einem Paar [[Wikipedia:Einmalhandschuh|Einweghandschuhe]].<ref name="HSEleafletPDF">[http://hse.gov.uk/pubns/indg214.pdf ''First-Aid: Your Questions answered''.] (PDF; 97&nbsp;kB) hse.gov.uk, Broschüre, 24. Juli 2006 (englisch).</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Verbandkasten}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* DIN (Hrsg.): ''Rettungsdienst: Normen'' – DIN-Taschenbuch 257. 2. Auflage, Beuth, Berlin, Wien, Zürich 2000, ISBN 3-410-14558-3<br />
* DIN (Hrsg.): ''Rettungsdienst: Normen'' – DIN-Taschenbuch 257. Beuth, Berlin, Wien, Zürich 2004, ISBN 3-410-15843-X (CD-ROM)<br />
* Bundesverband der Unfallkassen (Hrsg.): ''Erste-Hilfe-Material''. Ausgabe März 2006 – [http://regelwerk.unfallkassen.de/regelwerk/data/regelwerk/inform/I_512.pdf GUV-I 512] (PDF; 98&nbsp;kB)<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|First aid kits|Verbandkasten}}<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Rechtshinweis}}<br />
<br />
[[Kategorie:Verbandsmittel|101]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia|datum=14. November 2019|oldid=11677826|oldid-lokal=4337}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Traditionelle_japanische_Medizin&diff=46009
Traditionelle japanische Medizin
2023-10-16T08:28:09Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>[[Datei:Bansho-myohoshu-1853-Moxibustion.jpg|mini|Japanische Moxibustion im medizinischen Hausbuch Banshō myōhōshū, 1853]]<br />
'''Traditionelle japanische Medizin''' ('''TJM''') ist die Medizin in Japan, die sich im Dialog mit chinesischer, koreanischer und seit der frühen Neuzeit auch der westlichen Medizin entwickelte. Hierbei war es durchweg die japanische Seite, welche die Initiative ergriff, aus den medizinischen Schulrichtungen der Nachbarländer und des Westens auswählte, assimilierte und weiterentwickelte. Die Resultate zeugen von großer Eigenständigkeit, und in vielen Bereichen steuerte Japan therapeutische Inventionen und theoretische Konzepte bei, die der japanischen Medizin im Rahmen der traditionellen Medizin Ostasiens ihren eigenständigen Platz sicherten.<br />
<br />
== Relikte schamanistischer Praktiken ==<br />
Vergleichende Studien zur [[Wikipedia:Volksmedizin|Volksmedizin]] in Ostasien, zum [[Wikipedia:Shintō|Shintō]] wie auch Spuren alter Heilpraktiken deuten darauf hin, dass die Menschen im japanischen Archipel vor der [[Wikipedia:Nara-Zeit|Nara-Zeit]] [[Wikipedia:Schamanismus|schamanistische Praktiken]] und Reinigungszeremonien betrieben. Manche unter den wenigen Kräutern, die sie verwendeten, dienten lediglich symbolischen Zwecken.<ref>Fujikawa (1911), S. 1–3; Rosner (1989), S. 9–11.</ref> Im ältesten Werk zur Geschichte und [[Wikipedia:Japanische Mythologie|Mythologie]], dem 712 niedergeschriebenen [[Wikipedia:Kojiki|Kojiki]], und der wenig später entstandenen Chronik [[Wikipedia:Nihon Shoki|Nihon Shoki]] (720 verfasst, auch ''Nihongi'' genannt) erscheint eine Gottheit [[Ōkuninushi]] (auch Ōnamuchi oder [[Ōmononushi]]), die zusammen mit der Gottheit [[Sukunabikona]] die Menschen heilen und mittels Abwehrzauber vor gefährlichen Tieren schützen will.<ref>Sōda (1989), S. 6f.; Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;25f.</ref> Krankheiten waren das Werk von Göttern und Dämonen, teils wurden sie auch durch menschliches Fehlverhalten ausgelöst.<br />
<br />
== Organisation der Grundlagen in der Nara-Zeit (710–794) und Heian-Zeit (794–1185) ==<br />
[[Datei:Shoso-in.jpg|mini|Shōsōin, das Schatzhaus des Tōdai-Tempels (''Tōdai-ji'') in [[Wikipedia:Nara|Nara]]]]<br />
Am Anfang der medizinischen Beziehungen zum asiatischen Festland stehen Konsultationsreisen koreanischer Ärzte aus den Reichen [[Wikipedia:Silla|Silla]], [[Wikipedia:Paekche|Paekche]] und [[Wikipedia:Koguryō|Koguryō]]. Einige darunter ließen sich in Japan nieder. Mitte des 6. Jahrhunderts setzten der Überlieferung zufolge mit der Ankunft des Mönches [[Wikipedia:Zhì Cōng|Zhì Cōng]] ({{lang|ja|智 聡}}), der 164 medizinische Werke mitgebracht haben soll, auch direkte Kontakte zum [[Wikipedia:Kaiserreich China|Kaiserreich China]] ein. In der Folge kam es zu dreizehn offiziellen japanischen Gesandtschaften ({{lang|ja|遣唐使}}, ''kentōshi'').<ref>Rosner (1989), S. 12ff.; Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;27ff.</ref><br />
<br />
Bei der Schaffung staatlicher Strukturen im 7. und 8. Jahrhundert orientierte sich Japan dann auch in der Medizin und der Organisation des Medizinalwesens an China (Erste Kontakte mit der chinesischen Medizin des Festlandes bestanden seit dem 5. Jahrhundert<ref>Heidrun Reißenweber: ''Japanische Medizin.'' 2005, S. 689.</ref>). Die Scheidung medizinischer Disziplinen und der damit befassten Institutionen spiegelt chinesische Vorbilder wider. Es kam zur Gründung eines kaiserlichen Gesundheitsamtes ({{lang|ja|典薬寮}}, ''Ten’yaku-ryō''), das allerdings nur für den Hof und den Adel zuständig war. Im Jahre 787 wurde die vom chinesischen Kaiserhaus geförderte ‚Neue Materia Medica’ ({{lang|ja|新修本草|}}, ''Xīnxiū Běncaǒ'', 659) im japanischen Gesundheitsamt zum obligatorischen Text, doch viele der dort beschriebenen 844 Mittel waren in Japan nicht erhältlich.<ref>Mehr zum kaiserlichen Gesundheitsamt bei Shinmura (2005)</ref><br />
<br />
Bei der Vermittlung des medizinischen Wissens spielten Mönche des ebenfalls aus China übernommenen Buddhismus eine gewichtige Rolle. Viele der von dem berühmten chinesischen Priester ''Jiànzhēn'' ({{lang|ja|鑑 真}}, japanische Lesung'' [[Wikipedia:Ganjin|Ganjin]]'', 688–763) und seinen Nachfolgern dem ‚Großen Buddha’ ([[Wikipedia:Daibutsu|Daibutsu]]) in [[Wikipedia:Nara|Nara]] dargebotenen chinesischen Heilmittel werden noch heute im alten Schatzhaus (''[[Shōsōin]]'') des Tōdai-Tempels ([[Wikipedia:Tōdai-ji|Tōdai-ji]]) gehütet. Mönche der [[Wikipedia:Shingon-shū|Shingon-Schule]] brachten den [[Wikipedia:Starstich|Starstich]] und andere Therapien der chinesischen [[Wikipedia:Augenheilkunde|Augenheilkunde]] nach Japan. Die auf dieser Grundlage entwickelte einheimische Ophthalmologie erreichte lange vor der Ankunft der Europäer ein beachtliches Niveau.<ref>Mehr hierzu bei Mishima (2004).</ref><br />
<br />
Seit dem 9. Jahrhundert verlor der Kontakt zu China an Intensität. Nach 894, als der letzte offizielle Gesandte zurückkehrte, gab es nur noch gelegentlich Mönche und andere Gelehrte, welche die, wegen der wenig seetüchtigen Schiffe gefahrvolle Überfahrt auf sich nahmen.<br />
<br />
Das älteste schriftliche Zeugnis dieser Rezeption chinesischer Heilkunst ist die von dem Arzt [[Wikipedia:Tamba no Yasuyori|Tamba no Yasuyori]] ({{lang|ja|丹波 康頼}}, 912–995) zwischen den Jahren 982 und 994 verfasste Schrift ''[[Wikipedia:Ishimpō|Ishimpō]]'' ({{lang|ja|医心方|}}, auch ''Ishinpō''), die mehr als hundert Werke vorwiegend der [[Wikipedia:Sui-Dynastie|Sui-Dynastie]] (589–618) und [[Wikipedia:Tang-Dynastie|Tang-Dynastie]] (618–907) nutzt. Sie wird heute auch geschätzt, weil sie Teile chinesischer Texte enthält, die in China verloren gingen.<ref>Rosner (1989), S. 26–28; Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;37ff.</ref><br />
<br />
== Erste Abkehr von der chinesischen Medizin ==<br />
Während der [[Wikipedia:Kamakura-Zeit|Kamakura-Zeit]] (1192–1333) mit ihrer vom chinesischen Beamtenstaat so abweichenden militärisch geprägten Struktur wuchs auch in der Medizin der Abstand zu China. Die Kontakte blieben allerdings bestehen, und nach wie vor dominierten buddhistische Mönche den Transfer medizinischen Wissens. Nennenswert ist hier der Zen-Priester Myōan [[Wikipedia:Eisai|Eisai]] ({{lang|ja|明菴 栄西}}, 1114–1215), der das Teetrinken und die ‚kleinen Mahlzeiten’(''kissa'') nach Japan brachte und sich mit der Schrift ''Kissa yōjōki'' ({{lang|ja|喫茶養生記}}, ‚Lebenspflege durch Teetrinken’) einen Namen machte.<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;40ff.</ref> Der der [[Wikipedia:Risshū|Risshū]]-Richtung angehörige Mönch [[Ninshō]] ({{lang|ja|忍性}}, 1217–1303) gründete in Kuwagaya ([[Wikipedia:Kamakura|Kamakura]]) mit der Unterstützung durch die Regierung ein Krankenhaus, das auch ein [[Wikipedia:Leprosorium|Leprosorium]] umfasste. Hier sollen in den folgenden zwei Jahrzehnten 46.800 Patienten behandelt worden sein. Dank solcher, von buddhistischen Tempeln getragenen Aktivitäten verbesserte sich auch die Versorgung der allgemeinen Bevölkerung.<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;44ff.</ref><br />
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Unter den Schriften ragen die von Kajiwara Shōzen ({{lang|ja|梶原性全}}, 1266–1337) verfassten Werke ‚Kurzer Abriss der Medizin’ ({{lang|ja|頓医抄}}, ''Ton ishō'') und ‚Sichere Rezepte’ ({{lang|ja|万安方}}, ''Man'anpō'') heraus. Ersteres ist zur Förderung der Verbreitung in Kana-Silbenschrift verfasst. Über das ''Man'anpō'' gelangten u.&nbsp;a. die anatomischen Lehren des '' Cúnzhēn huánzhōng tú '' (‚Illustration der inneren Organe und Gefäße’, {{lang|ja|存真環中図}}, 1113) nach Japan. Zugleich führte Kajiwara in seiner Behandlung der [[Wikipedia:Lepra|Lepra]] eine japanische Terminologie ein. Bemerkenswert sind weiter seine Beobachtungen zum [[Wikipedia:Diabetes mellitus|Diabetes mellitus]].<ref>Rosner (1989), S. 34–38; Goble (2001)</ref><br />
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== Neue Impulse im 15. Jahrhundert ==<br />
Den nächsten stärkeren Impuls gab [[Wikipedia:Tashiro Sanki|Tashiro Sanki]] ({{lang|ja|田代 三喜}}, 1465–1537) nach einem zwölfjährigen Aufenthalt in China (1486–1498). Dort hatte er die Medizin der [[Wikipedia:Jin-Dynastie (1125–1234)|Jin-Dynastie]] (auch Jurchen-Dynastie, 1125–1234) und der [[Wikipedia:Yuan-Dynastie|Yuan-Dynastie]] kennengelernt, in denen die Lehren der Mediziner Lǐ Gǎo ({{lang|ja|李杲}}, alias Lǐ Dōngyuán ({{lang|ja|李東垣}}), 1180–1251) und Zhū Dānxī ({{lang|ja|朱丹溪}}, 1281–1358) dominierten. Ersterer ist bekannt für seine ‚Abhandlung über Milz und Magen’ ({{lang|ja|脾胃論}}, ''Pí weì lùn'', 1249). Li und Zhu vertraten tonifizierende Therapien und schenkten in ihrer theoretischen Fundamentierung der Beziehung zwischen Körper und Umwelt, d.&nbsp;h. der Lebensweise, besondere Aufmerksamkeit. Wir finden hier zugleich eine enge Verbindung zu dem von Zhū Xī ({{lang|ja|朱熹}}, 1120–1200) vertretenen [[Wikipedia:Neokonfuzianismus|Neokonfuzianismus]], der über das [[Wikipedia:Joseon-Dynastie|Königreich Korea]] nach Japan gelangte.<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;52ff.</ref><br />
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Die von Tashiro begründete ‚Schule des späteren Zeitalters’ (''Goseiha'' {{lang|ja|後世派}}), so genannt, weil sie jünger war als die bis dato dominierenden song-zeitlichen Lehren, wurde durch seine Schüler weiter expandiert. Besonders [[Wikipedia:Manase Dōsan|Manase Dōsan]] ({{lang|ja|曲直瀬 道三}}, 1507–1594) leistete in seiner Unterrichtsstätte in [[Wikipedia:Kyōto|Kyōto]] einen herausragenden Beitrag. In einer achtbändigen ‚Sammlung zur Medizinischen Praxis’ ({{lang|ja|啓迪集}}, ''Keitekishū'', 1574) versuchte er, die chinesischen Lehren an japanische Verhältnisse anzupassen. Sein besonderes Verdienst liegt in der Systematisierung der Diagnose (Hautfarbe, Haarkonsistenz, Stuhl, Urin, Geruch, Husten, Reaktion auf Betastung, Appetit usw.). Manases Adoptivsohn Gensaku ({{lang|ja|曲直瀬 玄朔}}) trug zur Weiterentwicklung der Konzepte bei. In den Manase-Rezepturen spielen neben den Mitteln von Lǐ Gǎo und Zhū Dānxī auch die von dem chinesischen Hofärzten Chén Shīwén ({{lang|ja|陳 師文}}) und Péi Zōngyuán ({{lang|ja|裴 宗元}}) kompilierten ‚Offiziellen Rezepte der Wohlfahrtsapotheken des Großen Friedens’ (''Tàipíng huìmín hé jìjú fāng'' {{lang|ja|太平惠民和劑局方}}, 1110) eine wichtige Rolle. Unter den Medikamenten gibt es zahlreiche animalische Mittel wie [[Wikipedia:Moschus|Moschus]], [[Wikipedia:Bärengalle|Bärengalle]], [[Wikipedia:Bezoar|Bezoar]] (''gōō'' {{lang|ja|牛黄}}), die aus Südostasien, Indien und dem Nahen Osten importiert werden mussten. Jedem Mittel wurden ‚Temperamente’ (kalt, kühl, normal, warm, heiß) und Geschmacksrichtungen (sauer, bitter, süß, scharf, salzig) zugeordnet. Bei der Anwendung berücksichtigte der Arzt zudem die gesellschaftliche Stellung des Patienten (soziale Indikation).<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;52ff.</ref><br />
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Neben Manase Dōsan übte [[Wikipedia:Nagata Tokuhon|Nagata Tokuhon]] ({{lang|ja|永田 徳本}}, 1513–1630) einen nachhaltigen Einfluss aus. Auch er löste sich von den chinesischen Lehren und nahm eine erneute Gruppierung der Leiden aufgrund der Symptome vor. Zwar wählte er mit einer Reihe von Abführmitteln aggressivere Methoden als seinerzeit üblich war, doch zielten Nagatas Therapien auf die Unterstützung der Naturkräfte, wobei das Einverständnis und die Unterstützung des Patienten eine entscheidende Rolle spielten. Unter seinen Schriften fanden die ‚Neunzehn Rezepte des ehrwürdigen Tokuhon’ (''Tokuhon-ō jūkyū hō'' {{lang|ja|徳本翁十九方}})<ref>[http://www.wul.waseda.ac.jp/kotenseki/search.php?cndbn=%93%BF%96%7B%89%A5%8F%5C%8B%E3%95%FB Bilddatei der Edition von Inaba Fuminori und Wakuda Yoshitora auf der Webseite der Waseda Universitätsbibliothek]</ref> eine große Verbreitung. Im ‚Diskurs über die Medizin’ (''I-no-ben'' {{lang|ja|医之弁}}, 1585) zeigte er den zeitgenössischen Ärzten, dass das chinesische Werk ''Shānghán lùn'' (‚Abhandlung über die Kälte-Krankheiten’) mit einer brauchbaren Krankheitslehre und wirksamen Therapien eine bedenkenswerte Alternative zu Manases Lehren bot.<ref>Rosner (1989), S. 48f., Michel-Zaitsu (2017), S. 56f., 101</ref><br />
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== Erste Kontakte zu Europa: ‚Chirurgie im Stile der Südbarbaren’ ==<br />
Mitte August 1549 begann mit der Anlandung des baskischen Jesuiten-Missionars [[Wikipedia:Francisco de Xavier|Francisco de Xavier]] in Südkyūshū der direkte und anhaltende euro-japanische Kulturaustausch. Eigentlich hatten die Jesuiten an ärztlichen, besonders an chirurgischen Aktivitäten keinerlei Interesse, denn seit dem [[Wikipedia:Konzil von Tours (1163)|Konzil von Tours (1163)]] scheute die Kirche das Blut (''„Ecclesia abhorret a sanguine“''). Im Jahre 1555 trat jedoch [[Wikipedia:Luís de Almeida|Luís de Almeida]] (1518–1584), ein lizenzierter Chirurg und erfolgreicher Kaufmann, in Japan der [[Wikipedia:Jesuiten|Gesellschaft Jesu]] bei. Als gewöhnlicher Bruder ohne priesterliche Befugnisse konnte er unter Einsatz seines Vermögens in Funai (heute [[Wikipedia:Ōita|Ōita]]) ein Krankenhaus mit hundert Betten gründen, wo man, wie es in einem Bericht heißt, „den Körper mit Medikamenten und die Seele mit Gebeten“ versorgte.<br />
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Viele Autoren nehmen dieses Krankenhaus als Beginn der westlichen Medizin in Japan, doch handelt es sich um eine Einrichtung, in der östliche und westliche Medizin koexistierten. Die gesamte ‚innere Medizin’ (''hondō'', Hauptweg) lag in den Händen konvertierter buddhistischer Mönchsärzte, von denen einige namentlich gepriesen werden. Auch in der [[Wikipedia:Pharmazeutik|Pharmazeutik]] verfuhr man pragmatisch. Der überwiegende Teil der Heilmittel stammte aus den umliegenden Bergen, aus [[Wikipedia:Macau|Macau]], [[Wikipedia:Malakka|Malakka]] und [[Wikipedia:Cochinchina|Cochinchina]]. In den Briefen und Wörterbüchern der Mission finden wir überdies zahlreiche Indizien, dass sie sich mit [[Akupunktur]] und [[Wikipedia:Moxibustion|Moxibustion]] beschäftigten. Zudem waren die westlichen Neuerungen nicht so revolutionär, wie es scheinen mag. In einem Traktat aus dem Jahre 1585 über kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Europa bedauerte der Jesuitenpater [[Wikipedia:Luís Fróis|Luís Fróis]], dass die Japaner die [[Wikipedia:Uroskopie|Uroskopie]], den [[Wikipedia:Aderlass|Aderlass]], [[Wikipedia:Klistier|Klistier]]e und das Wundbrenneisen ([[Wikipedia:Kauterisation|Kauter]]) nicht akzeptierten. Einige Autoren verweisen auf die Behandlung der Wunden, welche die von den Europäern eingeführten [[Wikipedia:Arkebuse|Arkebuse]]n verursachten, auf das zuvor unbekannte Auswaschen mit [[Wikipedia:Arrak|Arrak]]-Schnaps und auf die Verwendung von Rinderfett und Olivenöl. Doch stritten europäische Ärzte bis ins 17. Jahrhundert über das Wesen und die angemessene Therapie von Schusswunden.<ref>W. Michel: ''Frühe westliche Beobachtungen zur Akupunktur und Moxibustion.'' Sudhoffs Archiv, Vol. 77, No. 2 (Stuttgart 1993), S. 194–222. ([http://hdl.handle.net/2324/2903 Dokument als PDF])</ref> Mit der Zerstörung des Krankenhauses im Verlauf regionaler Machtkämpfe und der wachsenden Verfolgung der Missionare und japanischen Christen fanden diese medizinischen Kontakte ein frühes Ende. In der aufkommenden japanischen Feldchirurgie findet man lediglich schwache Spuren dieser Epoche in Form einiger Mittel wie Schweine- und Rinderfett, Olivenöl und unter den Instrumenten neben dem (lange nicht verwendeten) Kautereisen eine ‚''ransetta''’ (port. ''lancetta''). Zum nachhaltigen Austausch zwischen der japanischen und der europäischen Medizin kam es erst mit der Ankunft der Niederländer.<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;61ff.</ref><br />
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== Beginn der nachhaltigen Auseinandersetzung mit dem Westen: ‚Chirurgie im Stile der Rotschöpfe’ ==<br />
Bei der Hinwendung zur Heilkunst der Europäer spielte das Bestreben der Entscheidungsträger in [[Wikipedia:Edo|Edo]], die Lage im Lande zu stabilisieren eine gewichtige Rolle. Doch stehen hinter dem aufkommenden Interesse auch wichtige Ereignisse. Als die von 1609 bis 1640 in [[Wikipedia:Hirado|Hirado]] agierenden Kaufleute der [[Wikipedia:Niederländische Ostindien-Kompanie|Niederländischen Ostindien-Kompanie]] im Jahre 1640 ihre Niederlassung nach [[Wikipedia:Nagasaki|Nagasaki]] verlegen musste, hielt es das Generalgouvernement in Batavia (heute [[Wikipedia:Jakarta|Jakarta]]) für geboten, eine permanente Chirurgenposition einzurichten. Nach nahezu einem Jahrhundert euro-japanischer Kontakte waren damit erstmals die Bedingungen für kontinuierliche Begegnungen von japanischen und europäischen Medizinern geschaffen. Überdies stand die Kompanie in der reichsunmittelbaren Domäne Nagasaki nun unter der Kontrolle der Zentralregierung in Edo. Das vertiefte die Kenntnisse am Hof um westliche Wissenschaft und Technik erheblich.<br />
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1649 wurde der Chirurg [[Wikipedia:Caspar Schamberger|Caspar Schamberger]] nach [[Wikipedia:Nagasaki|Nagasaki]] geschickt. Im Tross des Sondergesandten Andries Friese zog er Ende jenes Jahres nach Edo. Dort erregten seine Fähigkeiten die Aufmerksamkeit hochgestellter Persönlichkeiten. Auf deren Wunsch blieb er nach Abreise der Gesandtschaft weitere sechs Monate. Auch im folgenden Jahr verbrachte er mehrere Monate in Edo. Die durch seinen Dolmetscher Inomata Dembē (auch Dembyōe, {{lang|ja|猪股 伝兵衛}}) aufgezeichneten Therapien und das Interesse der hochrangigen Patienten stimulierten eine nachhaltige Beschäftigung mit westlicher Chirurgie. Die ‚Chirurgie im Stile Caspars’ ({{lang|ja|カスパル流外科}}, ''Kasuparu-ryū geka'') war die erste chirurgische ‚Schule’ mitteleuropäischer Prägung in Japan. Fortan erfreuten sich die Chirurgen und Ärzte der Handelsniederlassung [[Wikipedia:Dejima|Dejima]] (auch Deshima) des starken Interesses japanischer Kollegen, die sich instruieren ließen, Bücher, Medikamente und Instrumente erwarben und nach und nach auch die nötigen Sprachkenntnisse, um schließlich eigenständig westliche Fachwerke zu lesen. Diese Aktivitäten führten zur ‚Hollandkunde’ (''[[Wikipedia:rangaku|rangaku]]''), die im 18. Jahrhundert einen großen Aufschwung erlebte, dann auch andere wissenschaftliche Disziplinen einschloss und die rasche Modernisierung Japans nach der Öffnung des Landes im Jahre 1868 ermöglichte.<ref>Sōda (1989), S. 25f.; Michel (1999); Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;52f.</ref><br />
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Mit der Anwendung neuer Heilmittel wuchs zugleich das Interesse an der Ersetzung der teuren niederländischen Importe durch japanische Produkte, was bereits in den ersten zwei Dekaden nach Schambergers zu einer Erkundung der einheimischen Flora und mit der Publikation des Werks ''Yamato Honzō'' ({{lang|ja|大和本草}}, ‚Japanische Materia Medica’) durch [[Wikipedia:Kaibara Ekiken|Kaibara Ekiken]] (auch Ekken) im Jahre 1709 zu einem ersten Höhepunkt in der Entwicklung einer eigenständigen japanischen Pflanzenkunde führte.<ref>Mehr bei Wolfgang Michel: ''Medizin, Heilmittel und Pflanzenkunde im euro-japanischen Kulturaustausch des 17. Jahrhunderts.'' In: ''Horin - Vergleichende Studien zur japanischen Kultur.'' Nr. 16, 2009, S. 19–34 ({{Webarchiv|url=https://qir.kyushu-u.ac.jp/dspace/handle/2324/17123 |wayback=20131010103221 |text=Digitalisat im Kyushu University Institutional Repository }})</ref><br />
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== Aufblühen der ‚Hollandkunde’ ==<br />
Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstehenden Bewegungen verstärkten sich unter dem achten Shōgun [[Wikipedia:Tokugawa Yoshimune|Tokugawa Yoshimune]], der die einheimische Produktion an Heilpflanzen ausbaute und 1720 die Importrestriktionen für ausländische Bücher lockerte. In der Folge gelangten westliche Fachtexte auch in die Hände interessierter Personen außerhalb der herrschenden Kreise. Bislang blieb der Erwerb der niederländischen Sprache fast ausschließlich auf die Dolmetscher der Handelsniederlassung Dejima beschränkt, doch dank der aktiven Förderung durch Yoshimune verbreiteten sich Holländischkenntnisse nun bis in die Regionen. Ebenso wie die Vertreter der traditionellen japanischen Chirurgie beschränkten sich die Anhänger der westlichen Chirurgie ({{lang|ja|蘭方医}}, ''rampō-i'') auf die Behandlung von Wunden, Geschwulsten, Brüchen, Dislokationen usw. Hierzu waren keine Kenntnisse der westlichen Pathologie vonnöten. Japanische Texte zur westlichen Anatomie findet man bereits im 17. Jahrhundert, sie spielten jedoch in der Praxis keine Rolle. Im 18. Jahrhundert jedoch erkennt man ein wachsendes Interesse an Anatomie und innerer Medizin. Zudem erscheint eine Gruppe von Gelehrten, die aus eigener Kraft und unabhängig von Dolmetschern auf Dejima holländische Schriften übersetzen können.<br />
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== Japanische Geburtshilfe ==<br />
Bahnbrechend war auf diesem Gebiet der Arzt Kagawa Gen’etsu ({{lang|ja|賀川 玄悦}}, 1700–1777), der, durch europäische Schriften stimuliert, intensive eigene Beobachtungen anstellte und 1765 ein ‚Traktat über die Geburtshilfe’ (''Sanron'') publizierte, das durch seinen Adoptivsohn Kagawa Genteki erweitert wurde und 1775 als ''Sanron yoku'' ({{lang|ja|産論翼}}, ‚Erklärungen zum Traktat über die Geburtshilfe’) erschien.<ref>Rosner (1989), S. 86</ref> Dank reicher Erfahrungen war Kagawa früher als die europäischen Ärzte mit der Lage des Foetus während der Schwangerschaft und vielerlei Komplikationen vertraut. Bis zum Ende der Edo-Zeit sind rund 2000 Ärzte dieser Schule nachgewiesen.<br />
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Die japanischen Ärzte für [[Wikipedia:Geburtshilfe|Geburtshilfe]] entwickelten eine Reihe originärer Instrumente, mit denen man Extraktionen bei Fußlagen durchführen konnte, außerdem Wendungen auf den Fuß. Bei Extraktionen wurde anfangs eine Fischbeinschlinge benutzt. Da es zu Kopfverletzungen kommen konnte, ersetzte Kagawa Randai diese Schlinge durch ein seidenes Tuch (''tentōken''), das mit zwei Fischbeinstäbchen um den Kopf des Kindes gelegt und mit einem Spatel festgezogen wurde. Kagawa Rankō wiederum nutzte statt des Tuches ein seidenes Band und Tatsuno Ryūtei ein seidenes Netz (''hōtōki'').<ref>Fujikawa (1911), S. 79–82; Michel-Zaitsu (2017), S. 133ff.</ref><br />
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== Osteopathische Manipulation ==<br />
[[Datei:Seikotsushinsho1810.jpg|mini|Illustration im ‚Neuen Buch der Osteopathie’ (''Seikotsu Shinsho'') von Kagami Bunken]]<br />
Im 17. Jahrhundert kam eine ''Seikotsu-Jutsu'' ({{lang|ja|整骨術}}, Osteopathie) genannte Therapie-Richtung auf, die sich ausschließlich mit Verrenkungen, Prellungen, Luxationen und Knochenbrüchen befasste. Bemerkenswert sind hier vor allem die ‚Muster der Osteopathie’ ({{lang|ja|整骨範}}, ''Seikotsu han'') von Ninomiya Genka ({{lang|ja|二宮 彦可}}, 1754–1827), das ‚Neue Buch der Osteopathie’ ({{lang|ja|整骨新書}},''Seikotsu Shinsho''<ref>[http://archive.wul.waseda.ac.jp/kosho/bunko08/bunko08_c0174/ Bilddateien in der Sammlung der Waseda-Universität.]</ref>) von Kagami Bunken (1755–1819) und das ‚Kompendium der Osteopathie’ ({{lang|ja|正骨要訣}}, ''Seikotsu Yōketsu'') von Yoshiwara Gentō ({{lang|ja|吉原元棟}}).<br />
<br />
Die bahnbrechende Präzision der anatomischen Darstellungen in diesen Werken beruht auf direkten Beobachtungen an Leichen, die man auf den Hinrichtungsstätten vorfand. Mancher Vertreter der japanischen Osteopathie übertraf in der Präzision seiner Darstellung sogar die zeitgenössischen Ärzte westlicher Ausrichtung. Hoshino Ryōetsu ({{lang|ja|星野 良悦}}, 1754–1802) untersuchte in zahlreichen Sektionen die menschliche Knochenstruktur und fertigte 1798 ein epochemachendes Holzskelett an.<ref>Heute in der Hiroshima-Universität gehütet. {{Webarchiv|url=http://www.hiroshima-u.ac.jp/med/facility-02/p_bf7463.html |wayback=20131010103013 |text=Website der medizinischen Fakultät |archiv-bot=2019-05-19 03:57:28 InternetArchiveBot }}</ref> Kagami Bunken ({{lang|ja|各務 文献}}) hatte bereits im ''Seikotsu Shinsho'' Abbildungen vorgestellt, die nur durch intensive Beobachtung möglich waren. Er sezierte dann auch die Leiche einer hingerichteten Frau und publizierte die Ergebnisse im Jahre 1800 als ‚Einfache Abbildung der Inneren Landschaft einer Frau’ (''Fujin naikei no ryakuzu''). Des Weiteren sammelte er menschliche Knochen und ließ sich 1819 ein Holzskelett anfertigen. Dazu kamen mehrere Publikationen, in denen er seine Behandlungsmethoden bei Gelenkschäden und anderen Krankheiten verbreitete.<ref>Fujikawa (1911), S. 66. Fujikawas Lesung des Namens ist nicht korrekt; Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;169ff.</ref><br />
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Nach der Meiji-Reform (1868) entwickelte sich aus dieser Tradition die sogenannte Jūdo-Therapie, und auch japanische Orthopäden der westlichen Ausrichtung sehen hier eine ihrer Wurzeln.<br />
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== Neuerungen durch Ärzte der ‚Alten Schule’ ==<br />
Nach der Etablierung der Herrschaft der Tokugawa erlebte der in China durch [[Wikipedia:Zhu Xi|Zhu Xi]] ({{lang|ja|朱熹}}, 1130–1200) entwickelte [[Wikipedia:Neo-Konfuzianismus|Neo-Konfuzianismus]] in einer durch koreanische Einflüsse verschärften Form einen erheblichen Aufschwung. Allerdings gab es bei der Anwendung der Mensch und Natur umfassenden komplexen Konzepte allerlei Schwierigkeiten, was bald zu Gegenreaktionen führte. Zwar hatte man in der sogenannten ‚Schule des späteren Zeitalters’ (''Goseiha'', {{lang|ja|後世派}}) die chinesischen Lehren an japanische Verhältnisse angepasst, doch erwies sich die Therapie als zu theoriebeladen und schematisch starr. Der Blick der Kritiker, zu nennen sind hier vor allem [[Nagoya Gen’i]] ({{lang|ja|古屋 玄医}}) und [[Gotō Konzan]] ({{lang|ja|後藤 艮山}}), richtete sich daher auf Schriften aus älteren Zeiten, wie das von Zhāng Zhòng-jǐng verfasste ''Jīnkuì yàolüè'' {{lang|ja|金匱要略}} und ganz besonders auf das damals schon über 1500 Jahre alte Werk ''Shānghán lùn'' ({{lang|ja|傷寒論}}, ‚Abhandlung über die Kälte-Krankheiten’), das die durch Kälte verursachte fiebrige Erkrankungen unter klinische Beobachtung gestellt hatte. Diese Erneuerung durch Rückgriff auf Altes führte zur Ausprägung einer eigenständigen ‚Alten Schule’ ({{lang|ja|古医方派}}, ''ko-ihōha'', auch ''kohōha''). Deren Rezepte bestanden meist aus vier bis acht Zutaten, die überwiegend pflanzlicher Natur und vergleichsweise leicht erhältlich waren. Die moderne [[Wikipedia:Kampo|Kampō-Medizin]] hat hier eine ihrer wichtigsten Wurzeln.<br />
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[[Datei:Uchibari.jpg|mini|japanische Hammernadel/Klopfnadel (''uchibari'') nach Mubun, 17. Jh.]]<br />
[[Datei:Hongo kudabari.jpg|mini|Nadelung mit Führungsröhrchen (''kudabari'') nach [[Wikipedia:Sugiyama Waichi|Sugiyama Waichi]]]]<br />
Seit etwa dem 16. Jahrhundert zeigten japanische Mediziner eine immer deutlicher werdende Selbstständigkeit, verwarfen oder veränderten chinesische Konzepte und entwickelten eigene Therapien. Bis zum heutigen Tage gehalten hat sich die sogenannte „Hammernadelung“ oder „[[Wikipedia:Klopfnadelung|Klopfnadelung]]“ ({{lang|ja|打鍼法}}, ''dashinhō''), eine von dem Mönch Mubun entwickelte und von Misono Isai (({{lang|ja|御薗 意斎}})) verbreitete Therapie, welche die Leitbahnen ignoriert und stattdessen die Bauchregion als Ort der Diagnose und Therapie nimmt.<ref>Michel (1993b)</ref><br />
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Bei der „Röhrennadelung“ ({{lang|ja|管鍼法}}, ''kanshinhō''), eine Erfindung des sehbehinderten Akupunkteurs [[Wikipedia:Sugiyama Waichi|Sugiyama Waichi]] ({{lang|ja|杉山 和一}}, 1610–1694), dient ein Führungsröhrchen zur Sicherung der Punkturstelle und der Einstichtiefe. Einst aus Bambus oder Metall gefertigt, finden heute Einwegsets mit Plastikröhrchen weltweit Verwendung.<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;82ff.</ref><br />
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Beachtlich waren zugleich die Reaktionen auf Impulse durch die westliche Medizin. So wurde die erste Leichensektion, die eigentlich mit der buddhistisch-konfuzianistischen Haltung zum menschlichen Körper kollidierte, nicht von einem Anhänger der Hollandkunde, sondern von einem Arzt aus der sino-japanischen Tradition, [[Wikipedia:Yamawaki Tōyō|Yamawaki Tōyō]] ({{lang|ja|山脇 東洋}}), eingeleitet. Yamawaki war beim Studium der klassischen Schriften auf Diskrepanzen hinsichtlich der Körperorgane gestoßen und wollte das „Neun-Organe-Konzept“ des chinesischen Klassikers ''Zhou-Li'' überprüfen. Die Ergebnisse der mit behördlicher Genehmigung an einem hingerichteten Verbrecher vorgenommene eintägigen [[Wikipedia:Obduktion|Obduktion]] wurde 1759 unter dem Titel ''Zōshi'' ({{lang|ja|蔵志}}, ‚Organe’) publiziert. Inhaltlich wurde Yamawaki bald von Nachahmern überflügelt, doch übte seine Pioniertat und die von den Behörden geduldete Publikation seiner Befunde einen großen Einfluss auf die zeitgenössischen Ärzte aus. Es kam zu Sektionen in vielen Teilen des Landes.<ref>Sōda (1989), S. 139ff.; Michel (2001)</ref><br />
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Yamawaki stand während der Sektion neben dem Leichnam und gab Anweisungen, wie dieser zu zerlegen sei. Der erste Arzt, der seine Scheu überwand und mit eigener Hand ins Körperinnere eindrang, war [[Kawaguchi Shinnin]] ({{lang|ja|河口 信任}}, 1736–1811) aus einer Arztfamilie, die sich seit den Zeiten [[Wikipedia:Caspar Schamberger|Caspar Schamberger]]s mit westlicher Medizin beschäftigte. Er und sein Mentor [[Ogino Gengai]] ({{lang|ja|荻野 元凱}}, 1737–1806<ref>Macé (1997)</ref>), ein Hofarzt des Tennō in Kyōto, suchten nicht mehr nach Bestätigung älterer Konzepte. Sie vermaßen Organe, überprüften und registrierten den Inhalt der Därme, gingen der Verbindung zwischen Auge und Hirn nach. Allerdings befürchtete Ogino, dass eine Publikation ihrer Befunde Verwirrungen im Ärztestand und Unruhe unter der Bevölkerung auslösen würden, weshalb Kawaguchi 1774 das Werk ''Kaishihen'' ({{lang|ja|解屍編}}, ‚Leichensektion’) alleine herausgab.<ref>Sōda (1989), S. 168; Michel (2001)</ref><br />
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Ungeachtet seiner Verankerung in der traditionellen Medizin nahm Ogino auch Kontakt zu Angehörigen der [[Wikipedia:Niederländische Ostindien-Kompanie|niederländischen Ostindien-Kompanie]] (VOC) auf, die jährlich auf ihrer Reise nach Edo in [[Wikipedia:Kyōto|Kyōto]] Station machten. Einer davon war der schwedische Arzt [[Wikipedia:Carl Peter Thunberg|Carl Peter Thunberg]]. Dem Leiter der niederländischen Handelsstation [[Wikipedia:Isaac Titsingh|Isaac Titsingh]] überreichte Ogino u.&nbsp;a. seine Schrift über das Blutlassen (''Shiraku hen''), in der er den westlichen Aderlass mit der sino-japanischen Tradition des Blutpunktierens ({{lang|ja|刺絡}}, ''shiraku'') verband, sowie eine weitere Schrift seines Schülers Kimura Taichū. Titsingh erhielt überdies eine Akupunkturpuppe, die als ''Tsoe bosi'' zusammen mit einer französischen Übersetzung der Schrift Kimuras durch [[Wikipedia:Jean-Baptiste Sarlandière|Jean-Baptiste Sarlandière]] in Europa bekannt wurde.<ref>Michel (2008)</ref><br />
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Zu neuen Ufern brach auch [[Ishizaka Sōtetsu]] (1770–1841) auf, ein hochrangiger Akupunkturarzt am Hof des Shōgun in Edo. Er strebte nach einer Integration der traditionellen Medizin mit westlicher Anatomie.<ref>Macé (1995)</ref> Nach ersten Sondierungen bei dem VOC-Arzt Nikolaas Tullingh übergab er 1824 dessen Nachfolger, dem Pionier der Japanforschung [[Wikipedia:Philipp Franz von Siebold|Philipp Franz von Siebold]], mehrere seiner Schriften zur Akupunktur und Moxibustion. Siebold nahm später Auszüge in sein Werk NIPPON auf.<br />
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Eine internationale Pionierleistung vollbrachte [[Wikipedia:Hanaoka Seishū|Hanaoka Seishū]] ({{lang|ja|華岡 青洲}}, 1760–1835), der nach der Ausbildung bei einem der führenden Vertreter der Alten Schule und weiteren Studien in westlicher Chirurgie durch eine von Nagatomi Dokushōan ({{lang|ja|永富 独嘯庵}}) verfasste Schrift ''Manyū zakki'' ({{lang|ja|漫遊雑記}}) auf das Problem des [[Wikipedia:Brustkrebs|Brustkrebs]]es aufmerksam wurde. Vier Jahrzehnte vor den ersten westlichen Betäubungsversuchen mit [[Wikipedia:Diethylether|Äther]] durch [[Wikipedia:Crawford Williamson Long|Crawford Williamson Long]] führte Hanaoka im Jahre 1804 eine [[Wikipedia:Mastektomie|Mastektomie]] durch, bei der er ein unter anderem aus [[Eisenhut|Aconitum]] und ''Datura alba'', einer [[Wikipedia:Stechäpfel|Stechapfelart]] bestehendes [[Wikipedia:Anästhetikum|Anästhetikum]] zur [[Wikipedia:Narkose|Vollnarkose]] (Vgl. [[Wikipedia:Narkose#Altertum bis Mittelalter|Narkose im Mittelalter]]) einsetzte. Weitere Mastektomien folgten, die eine große Schar von Schülern anlockten.<ref>Matsuki (2011); Matsuki (2017)</ref> Hanaoka gehört zur kleinen Gruppe jener Ärzte, deren Namen durch Romane und Fernsehsendungen heute weiten Kreisen der Bevölkerung bekannt ist.<br />
<br />
== Einführung der modernen westlichen Ausbildung ==<br />
Lange waren die Grenzlinien zwischen den verschiedenen medizinischen Richtungen der Edo-Zeit weniger deutlich als die ihnen von der Geschichtsschreibung verliehenen Etiketten das vermuten lassen. Die Gebildeten aller Stände hatten in ihrer Kindheit und Jugend eine Ausbildung in chinesischer Schriftsprache und wichtigen Klassikern der chinesischen Philosophie, besonders dem Konfuzianismus erhalten, so dass auch Anhänger der Hollandkunde (''rangaku'') die Lehren aus dem Westen durch die chinesische Brille sahen. Das von [[Wikipedia:Sugita Genpaku|Sugita Genpaku]] 1774 veröffentlichte bahnbrechende ''Kaitai shinsho'' (Neues Buch zur Anatomie), eine vollständige Übersetzung der Anatomischen Tafeln von [[Wikipedia:Johann Adam Kulmus|Johann Adam Kulmus]], ist daher in (elegantem) klassischen Chinesisch geschrieben. Auf der anderen Seite reagierte man auch im traditionellen Lager, besonders in der ‚Alten Schule’(''kohō ha'', ''ko-ihō-ha''), auf westliche Impulse. Zudem fand die ärztliche Ausbildung gleich welcher Richtung bis ins 19. Jh. in der herkömmlichen Sozialform der Meister-Schüler Beziehung statt.<br />
<br />
Den wohl größten Aufschwung nahm das allgemeine Interesse an westlicher Medizin durch die Einführung der von [[Wikipedia:Edward Jenner|Edward Jenner]] (1749–1823) entwickelten [[Wikipedia:Vakzination|Vakzination]], die dank der von [[Wikipedia:Otto Gottlieb Mohnike|Otto Gottlieb Mohnike]] nach [[Wikipedia:Nagasaki|Nagasaki]] gebrachten Lymphe im Jahre 1849 erstmals mit Erfolg verlief. Nun wurde auch die Bevölkerung, die so lange unter den periodisch ausbrechenden [[Wikipedia:Pocken|Pocken]]epidemien litt, auf die Therapien der Europäer aufmerksam.<ref>Sōda (1989), S. 280ff.; Jannetta (2007)</ref> Wenig später traten die Unterschiede noch deutlicher hervor, als der niederländische VOC-Arzt [[Johannes Lijdius Catharinus Pompe van Meerdervort]] 1857 in Nagasaki eine medizinische Ausbildungsstätte einrichtete, in der er Medizin anhand eines westlichen Curriculums auf der Grundlage der Naturwissenschaften vermittelte. Dies gilt als Beginn der modernen Medizin in Japan.<br />
<br />
== Medizin nach deutschem Vorbild ==<br />
Mit der Öffnung Japans seit der Mitte des 19. Jahrhunderts griffen staatliche Instanzen mehr und mehr in die bis dahin freie Welt der medizinischen Ausbildung und Praxis ein. Kurz nach dem Sturz des letzten [[Wikipedia:Shōgun|Shōgun]]s der [[Wikipedia:Tokugawa|Tokugawa]]-Dynastie entschied sich die neue Regierung im Jahre 1870 für die Einführung des westlichen Ausbildungs- und Medizinalwesen, wobei die deutsche Medizin zum Vorbild genommen wurde. Anfangs konnten traditionelle Praktiker aufgrund von Sonderregelungen ihre Tätigkeit fortführen, doch ab 1883 wurde eine Zusatzausbildung in einer der Medizinischen Fachhochschulen (''igakkō'', {{lang|ja|医学校|}}) und Prüfungen in Chemie, Anatomie, Physiologie, Pathologie, Pharmazeutik, innerer Medizin und Chirurgie obligatorisch. Versuche, gegen diese Politik in organisierter Form Widerstand zu leisten, scheiterten infolge interner Uneinigkeit und dem Ableben führender Köpfe des traditionellen Lagers. Auch der 1895 unternommene Vorstoß, ein separates Approbationssystem für die herkömmliche Medizin einzuführen, blieb erfolglos. In diesen Dekaden kam die Bezeichnung [[Wikipedia:Kampo|Kampō-Medizin]] ({{lang|ja|漢方医学|}}, ''Kampō-igaku'') auf, um die sino-japanischen Lehren gegen die westliche Medizin abzugrenzen.<ref>Oberländer (2003)</ref> Gewisse Ähnlichkeiten zu den Debatten in China nach 1912 sind erkennbar, doch im Unterschied hierzu konnten die traditionellen Ärzte Japans nicht die Unterstützung einflussreicher politischer Kreise gewinnen.<br />
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== Weiterentwicklung im 20. Jahrhundert ==<br />
[[Datei:Hepburn-1867-Kampo.jpg|mini|Einer der ältesten Belege für das Wort Kampō (James Curtis Hepburn: A Japanese and English Dictionary; with an English and Japanese Index. London: Trübner & Co., 1867, p. 177.)]]<br />
Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend schwierigere Lage der traditionellen Medizin verbesserte sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein wenig, da man diese nicht länger als Bedrohung der Modernisierung empfand. Zunächst erschienen Publikationen wie Wada Keijūrōs „Eiserner Hammer in der Welt der Medizin“ (''Ikai-no-tettsui'', 1910) oder Nakayama Tadanaos „Neue Forschungen zur Kampō-Medizin“ (''Kampō-igaku no shin-kenkyū'', 1927). Erheblichen Einfluss übten auch Ärzte wie [[Ōtsuka Keisetsu]] aus, die ein Studium der westlichen Medizin absolviert hatten. Bereits 1937 wurde an der [[Wikipedia:Takushoku-Universität|Takushoku-Universität]] ein Kurs in Kampō-Medizin eingerichtet. 1941 erschien die von Takeyama Shin'ichirō verfasste „Theorie über die Wiederbelebung der Kampō-Medizin“ (''Kampō-ijutsu fukkō no riron'').<ref>Otsuka (1976)</ref><br />
<br />
Zugleich wurde mit der Einführung moderner Methoden bei der Herstellung der Mittel die bislang mühselige Herstellung durch den Arzt, der aus seinem Fundus an Kräutern bei jeder einzelnen Behandlung die [[Wikipedia:Dekokt|Dekokt]]e herstellte und verabreichte, durch fertige Granulate etc. abgelöst. Die 1893 von [[Tsumura Jūsha]] ({{lang|ja|津村 重舎}}, 1871–1941) gegründete Firma leistete hier Pionierarbeit und errichtete zu diesem Zweck ein eigenes Forschungsinstitut ein.<ref>Siehe Tsumura (1991)</ref><br />
<br />
Die erste moderne wissenschaftliche Arbeit zur Moxibustion stammt von [[Wikipedia:Hara Shimetarō|Hara Shimetarō]], der 1929 zu diesem Thema an der Kaiserlichen [[Wikipedia:Universität Kyūshū|Universität Kyūshū]] promovierte. Der Arzt Fujii Hideji {{lang|ja|藤井 秀二}} wiederum promovierte an der Kaiserlichen [[Wikipedia:Universität Ōsaka|Universität Ōsaka]] mit der ersten wissenschaftlichen Arbeit zur Akupunktur.<ref>Michel-Zaitsu (2017), S.&nbsp;284ff.</ref><br />
<br />
Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mehrt sich die Zahl der Ärzte, die nach ihrer Approbation in westlicher Medizin eine Zusatzausbildung in Kampō-Medizin absolvieren. 1976 wurden vielerlei Kampō-Produkte kassenfähig. Seit 1979 findet man Abteilungen für Kampō-Medizin an einer Reihe von staatlichen und privaten Universitäten und Hochschulen. In pharmazeutischen Fakultäten des Landes werden traditionelle Heilmittel im Hinblick auf ihre Wirkstoffe erforscht. Auch westliche Apotheken bieten das eine oder andere Kampō-Präparat an.<br />
<br />
Seit 1955 ist die Ausübung von Akupunktur, [[Wikipedia:Moxibustion|Moxibustion]], Anma und [[Wikipedia:Shiatsu|Shiatsu]] als Heilberuf anerkannt und setzt den Erwerb einer staatlichen Lizenz voraus. Die Ausbildung in Fachschulen und Fachhochschulen schließt wesentliche Bereiche der ‚westlichen Medizin’ wie der Anatomie ein.<br />
<br />
== Aktuelle Lage ==<br />
Zwar sind die Buchhandlungen gefüllt mit Werken zur traditionellen Medizin, und die Erfolge in Forschung und Praxis unübersehbar, doch im Unterschied zu Korea und China ist die Unterstützung durch Staat und Politik nach wie vor nicht sonderlich ausgeprägt, was große Auswirkungen auch auf internationaler Ebene hat. Inzwischen haben sich drei Organisationen, die ''Japan Society for Oriental Medicine'', die ''Medical and Pharmaceutical Society for Wakan-Yaku'' und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam eine ''Japan Liaison for Oriental Medicine'' (JLOM) eingerichtet, doch handelt es sich hier nicht um eine Regierungsorganisation.<br />
<br />
Im Jahre 2011 verabschiedete die ''Japan Society of Acupuncture and Moxibustion'' zusammen mit der ''Traditional Acupuncture and Moxibustion Society'' auf einem gemeinsamen Kongress eine "Tokyo Declaration on Japanese Acupuncture", die die Merkmale der traditionellen Medizin darlegt und die Grundlinie für die weitere Entwicklung vorzeichnet. Zugleich gibt es Bemühungen, ein verbindliches Curriculum für die Ausbildung von Akupunkteuren usw. zu entwickeln.<br />
<br />
== Einzelne Therapien ==<br />
[[Datei:Japanese intradermal needle (Hinaishin) for acupuncture.jpg|mini|Intradermal-Nadel (''hinaishin'')]]<br />
=== Akupunktur ===<br />
Einweg-Nadeln mit Führungsröhrchen aus Plastik sind heute weit verbreitet. Neben den Verfahren, die auf dem aus China übernommenen Konzept der Leitbahnen (Meridiane) aufbauen, gibt es andere, die diese völlig ignorieren.<br />
<br />
==== Intradermale Nadelung ====<br />
Bei der von dem Akupunkturarzt Akabane Kōbei ({{lang|ja|赤羽幸兵衛}}, 1895–1983) um die Mitte des 20. Jhs. entwickelten '''intradermalen Nadelung''', japanisch ''Hinaishin'' ({{lang|ja|皮内鍼}}), wird eine 0,16 bis 0,2&nbsp;mm dicke und etwa 5&nbsp;mm kurze Nadel schräg in die Haut gebracht, mit einem kleinen Pflaster gesichert und dort für einen oder mehrere Tage belassen.<br />
<br />
==== YNSA ====<br />
Unter den jüngeren Methoden wurde besonders ''[[Wikipedia:YNSA|Yamamoto Neue Schädelakupunktur]]'' (YNSA) bekannt, die der Arzt [[Wikipedia:Yamamoto Toshikatsu|Yamamoto Toshikatsu]] entwickelte und erstmals 1973 veröffentlichte. Der Therapeut sucht hierbei kleinste Veränderungen der Muskeln und des Gewebes auf Arealen am Kopf, die mit den Beschwerden des Patienten korrelieren. YNSA erwies sich als hilfreich bei Schmerzen jeder Form sowie neurologischen Erkrankungen.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.schaedelakupunktur.com/Deutsche_Version/deutsche_version.html |wayback=20131010103141 |text=Schädelakupunktur (deutsche Version) |archiv-bot=2019-05-19 03:57:28 InternetArchiveBot }}; s.&nbsp;a. Zeise-Süss (2009)</ref><br />
<br />
Daneben findet man vielerlei Forschungen zur nicht-invasiven Akupunktur oder Kontaktakupunktur (z.&nbsp;B. von Denda Mitsuhiro, Satō Akira, Hotta Harumi) sowie der Anfang des 19. Jhs. erstmals vorgeschlagenen [[Wikipedia:Elektroakupunktur|Elektroakupunktur]] ({{lang|ja|良導絡医学}}, ''ryōdōraku igaku'').<br />
<br />
==== Shōnishin ====<br />
In der seit dem frühen 20. Jh. in Japan praktizierten nicht-invasiven Kinderakupunktur<ref>Yoneyama / Mori (1964), S. 7–20; Wernicke (2014), S. 26–28; ders. (2020)</ref> ''Shōnishin'' oder ''Shōni-hari'' ({{lang|ja|小児鍼}}, ''shōni'' = Kleinkind, ''shin'' bzw. ''hari'' = Nadel) wird mit gewöhnlich stumpfen Instrumenten mit linearen Streichungen bzw. mit Druck-, Klopf- und Vibrationstechniken behandelt, ohne dabei die Haut zu penetrieren. Dadurch werden Stimulationen an indikationsbezogenen Reflexzonen, Meridianabschnitten und Akupunkturpunkten am Rumpf und an den Extremitäten hervorgerufen.<ref>Yoneyama / Mori (1964), S. 9–42; Tanioka (1998); Wernicke (2009), S. 91–94; Birch (2011), S. 29–42, Wernicke (2014), S. 72–89</ref><br />
<br />
Die Behandlung findet Anwendung bei Babys, Kindern und Erwachsenen bei Infektanfälligkeit, Asthma und Allergien, Verdauungsbeschwerden, Auffälligkeiten im Bewegungsapparat, Schlafstörungen.<ref>Yoneyama / Mori (1964), S. 46–60; Wernicke (2009), S. 129–218; Birch (2011), S. 101–245, Wernicke (2014), S. 117–207</ref> Auch bei Babys mit KiSS-Syndrom wurde Shōnishin angewendet.<ref>Wernicke, Thomas: Shōnishin und KiSS-Syndrom – Neue Wege in der Akupunkturbehandlung asymmetrischer Babys. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, Vol. 2, No. 56, 2013, S.&nbsp;6–11.</ref><br />
<br />
=== Moxibustion ===<br />
[[Datei:Ibuki moxa set.jpg|mini|traditioneller Set mit Moxa von Ibuki]]<br />
<br />
==== Direktes Brennen ====<br />
Das Brennen mit direkt auf der Haut aufgebrachten Kegelchen im klassischen Stil ist wegen der zurückbleibenden Brandstellen und eventuell auftretender Schmerzen nicht mehr allzu beliebt. Eine gewisse Verbreitung hat das von [[Wikipedia:Hara Shimetarō|Hara Shimetarō]] propagierte direkte Moxibustieren auf dem Punkt ST36 (''Ashi no Sanri''/''Zusanli'') zur Förderung der Abwehrkräfte des Körpers. Auch findet in Afrika ein umfangreicher Versuch zur prophylaktischen Nutzung gegen [[Wikipedia:Tuberkulose|Tuberkulose]] statt.<ref>[https://tcm-sozialforum.org/moxafrica-forschungsprojekt/ moxafrica – Forschungsprojekt], auf tcm-sozialforum.org, abgerufen am 31. Dezember 2020</ref><br />
<br />
==== Verfeinerte Moxa ====<br />
Beim traditionellen direkten Brennen entsteht auf der Haut eine kleine Brandstelle, zuweilen auch ein Bläschen. Besonders während der Edo-Zeit war eine leichte Entzündung sogar bezweckt. Zuweilen rieb man die Stelle hierzu mit Ingwerscheiben u.&nbsp;ä. ein, um eine leichte Eiterung zu befördern. Seit dem 18. Jahrhundert fertigt man auch eine verfeinerte, hochwertige Moxa an und behandelte mit kleinen, unten zugespitzten Pfröpfchen. Diese erlöschen im unteren Teil, so dass auf der Haut keinerlei Spuren bleiben. Das Verfahren wird von geschickten Therapeuten noch heute eingesetzt.<br />
<br />
==== Indirektes Brennen ====<br />
Von verschiedenen Firmen vertriebene Fertigprodukte von fertigen Moxakegelchen auf einem leicht klebenden Untersatz bis hin zur Moxa-Zigarre dominieren die Therapie und werden häufig auch zur Eigenbehandlung verwendet.<br />
[[Datei:Wada-style palpation.jpg|mini|Illustration einer Bauchdiagnose (Palpation) im Stil der Ärztefamilie Wada]]<br />
<br />
=== Schröpfen ===<br />
Das weltweit verbreitete [[Wikipedia:Schröpfen|Schröpfen]] wurde in Japan mit ‚Saughörnern’ (''kyūkaku'', {{lang|ja|吸角}}) oder aber mit Blutegeln durchgeführt. Seit dem 19. Jahrhundert verwendet man gläserne Schröpfköpfe (''suitama'', wörtlich ‚Saugkugeln’).<ref>Zur Anwendung im heutigen Japan siehe Nishimura (2009).</ref><br />
<br />
=== Kampō ===<br />
Die Bezeichnung [[Wikipedia:Kampo|''Kampō'']] kam in Japan während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf, um die traditionelle Medizin gegen die einströmende westliche Medizin abzugrenzen. Zwar bedeutet sie wörtlich so viel wie ‚chinesische Verfahren/Rezepte‘, ‚chinesische Richtung‘, doch hat Japan bereits während der [[Wikipedia:Edo-Zeit|Edo-Zeit]] und ganz besonders seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Neuerungen entwickelt, die die japanische ''Kampō''-Medizin von der traditionellen chinesischen Medizin deutlich unterscheidet. Einige Autoren schlossen Therapieverfahren wie Massage, Akupunktur und Diätetik ein. Mittlerweile hat sich aber die engere Fassung als ‚japanische Phytotherapie‘ durchgesetzt. Bei der Diagnose legen viele Vertreter der ''Kampō''-Medizin großen Wert auf die Bauchdiagnose (Palpation).<ref>Reißenweber (2001), Oberländer (2003), Eberhard (2003), Tsumura (2003), Nishimura, Plotnikoff, Watanabe (2009)</ref><br />
<br />
=== Japanische Diätetik ===<br />
Schon das alte Medizinbuch [[Wikipedia:Ishimpō|Ishimpō]] enthält ausführliche Kapitel über die Lebensweise einschließlich der Speisetabus. Während der [[Wikipedia:Edo-Zeit|Edo-Zeit]] erlebte die japanische Lehre von der ‚Lebenspflege‘ (''Yōjōron'', {{lang|ja|養生論}}) durch Schriften wie ''Yōjōkun'' ({{lang|ja|養生訓}}) des Neokonfuzianers [[Wikipedia:Kaibara Ekiken|Kaibara Ekiken]] einen großen Aufschwung. Berührungspunkte zu westlichen Schriften von [[Wikipedia:Hippokrates von Kos|Hippokrates]]’ Abhandlung ''Über Luft, Wasser und Örtlichkeit'' bis hin zu [[Wikipedia:Christoph Wilhelm Hufeland|Christoph Wilhelm Hufeland]]s ''Makrobiotik oder Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern'' (1796), waren vorgezeichnet.<br />
<br />
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versuchte der Militärarzt [[Sagen Ishizuka|Ishizuka Sagen]] ({{lang|ja|石塚左玄}}, 1850–1910), die herkömmlichen japanischen Lehren mit westlicher Wissenschaft in Schriften wie ''Theorie der Langlebigkeit durch wissenschaftliche Ernährung''<ref>{{lang|ja|化学的食養長寿論}}, ''Kagakuteki shokuyō chōju ron.'' [[Wikipedia:Hakubunkan|Hakubunkan]], Tōkyō 1896.</ref> und ''Allgemeine Methode zur Lebenspflege durch Ernährung''<ref>{{lang|ja|通俗食物養生法}}, ''Tsūsoku shokubutsu yōjō-hō.'' Hakubunkan, Tōkyō 1898.</ref> (1898) zu harmonisieren. Auf diese Konzepte berief sich die 1907 gegründete ‚Gesellschaft für Lebenspflege durch Ernährung‘ (''Shokuyō-kai'', {{lang|ja|食養会}}), die sich gegen westliche Ernährungsgewohnheiten aussprach und in Politik, Wirtschafts- und Militärkreisen starke Unterstützung fand.<br />
<br />
Sakurazawa Yukikazu ({{lang|ja|桜沢如一}}, 1893–1966), der in seiner Jugend dank dieser Ratschläge eine [[Wikipedia:Tuberkulose|Tuberkulose]] überwinden konnte, entwickelte später als Präsident der ‚Gesellschaft für Lebenspflege durch Ernährung‘ die Konzepte Ishizukas weiter und machte sie unter dem Namen [[Wikipedia:Georges Ohsawa|Georges Ohsawa]] mit dem von Hufeland übernommenen Begriff [[Wikipedia:Makrobiotik|Makrobiotik]] auch in [[Wikipedia:Europa|Europa]] und den [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten]] bekannt.<ref>Nakamura, Arnoldi (2003)</ref><br />
<br />
=== Manuelle Körpertherapien ===<br />
'''Anma''' ({{lang|ja|按摩}}; chin. ''ànmó'', dt. „drücken und reiben“) kam in der Frühzeit der japanischen Medizin aus China ins Land und entwickelte sich während der [[Wikipedia:Edo-Zeit|Edo-Zeit]] zu einem wichtigen Berufsfeld der Sehbehinderten. In China wurde 1571 anlässlich einer Reorganisation der medizinischen Fachrichtungen der Name [[Wikipedia:Tuina|Tuina]] (''tuīná''; dt. „schieben und greifen“) eingeführt, in Japan behielt man den alten Namen bei. Zugleich wurden nach und nach die Unterschiede deutlicher. Große Verbreitung fand auch die '''Anpuku''' ({{lang|ja|按腹}}; ''fuku''/-''puku'', dt. „Bauch“) genannte Massage der Bauchregion. Bei der Reorganisation des Gesundheitswesens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Massage-Therapeuten weniger stark betroffen, was viel mit der Sicherung des Lebensunterhaltes von Sehbehinderten zu tun hatte. Doch wurde eine Fachausbildung und seit Anfang des 20. Jahrhunderts der Erwerb einer Lizenz obligatorisch.<br />
<br />
'''[[Wikipedia:Shiatsu|Shiatsu]]''' ({{lang|ja|指圧}}, dt. „Fingerdruck“) ist eine aus der frühmodernen Formen der sinojapanischen [[Wikipedia:Massage|Massage]] (Anma) hervorgegangene Körpertherapie. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Japan verschiedene Formen [[Wikipedia:Manuelle Medizin|manueller Druck- und Dehnmethoden]] unter dieser Bezeichnung vereint, um sich von den Entspannungsmassagen abzugrenzen und einen Platz im westlich dominierten Gesundheitssystem zu sichern. Je nach Schulrichtung werden mit Fingern, Händen, Ellbögen, Knien, Füssen einzelne Punkte oder aber Leitbahnen ([[Meridian (TCM)|Meridiane]]) behandelt. Im Bereich der Tiermedizin nutzt man Shiatsu besonders in der Behandlung von Pferden. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jhs. kommen vielerlei derivative Behandlungsformen hinzu, wie Wasser-''Shiatsu'' ([[Wikipedia:Watsu|Watsu]]), ''Seiki'', ''Kiatsu'', ''Ohashiatsu'', Quantum ''Shiatsu'' usw.<ref>Masunaga, Ohashi, 2002.</ref><br />
<br />
'''Sōtai''' ({{lang|ja|操体}}, dt. „Manipulation des Körpers“) ist eine von dem japanischen Arzt Keizō Hashimoto (1897–1993) auf der Grundlage sino-japanischer Traditionen entwickelte Körpertherapie, die, verbunden mit einer speziellen Atemtechnik, durch Betonung der angenehmen Bewegungsrichtung auf eine positive Wahrnehmung des Körpers, die nachhaltige Lösung von Verspannungen und eine neuromuskuläre Neustrukturierung zielt. Diese ''Behandlung durch Umkehrbewegungen'' wurde später auch ''Technik der plötzlichen Entspannung'' genannt. Schließlich etablierte sich die Bezeichnung ''Sōtai'', eine Umkehrung des Begriffes ''Taisō'' (Gymnastik).<ref>Hashimoto, Kawakami, 1983</ref><br />
<br />
Die '''Judo-Therapie''' oder auch ''Judo-Seifuku-Therapie'' ist eine auf den gleichnamigen Kampfsport und die Osteopathie der Edo-Zeit zurückgehende nicht-invasive Therapie, die 1920 erstmals durch das japanische Innenministerium anerkannt wurde. Weitere gesetzliche Regelungen folgten im Jahre 1970. Sie wird vor allem bei Prellungen, Knochenbrüchen, Luxationen usw. genutzt. Zur Ausübung benötigt der Judo-Therapeut ({{lang|ja|柔道整復師}}, ''Jūdō Seifukushi'') wie bei der Akupunktur eine Lizenz. Im Jahre 2001 wurde diese Therapie durch einen Bericht der Weltgesundheitsorganisation („Legal Status of Traditional Medicine and Complimentary/Alternative Medicine: A Worldwide Review“) international bekannt.<br />
<br />
== Gesellschaften zur traditionellen japanischen Medizin ==<br />
Hierzu gibt es einen nützlichen englischen Überblick von Shūichi Katai<ref>Department of Acupuncture and Moxibustion Tsukuba University of Technology: ''Academic Societies related to Japanese Acupuncture and Moxibustion.'' In: ''The Journal of Kampo, Acupuncture and Integrative Medicine (KAIM).'' Volume 1: Special Edition: ''Current Japanese Acupuncture and Moxibustion.'' 2010, S. 98–101. [http://www.kaim.us/pdf/KAIM_special-CJA/KAIM_special-CJA_societies.pdf (pdf; 64&nbsp;kB)]</ref><br />
* [http://www.shiatsu-esf.org/ European Shiatsu Federation]<br />
* [http://www.shiatsu-gsd.de/ Gesellschaft für Shiatsu Deutschland]<br />
* [https://www.iokai-shiatsu.de/de/Home.html IOKAI Meridian Shiatsu]<br />
* [http://www.japanischemedizin.org/ Internationale Gesellschaft für Traditionelle Japanische Medizin e.V. (IGTJM)]<br />
* [http://www.isjkm.com/ International Society for Japanese Kampo Medicine (ISJKM)]<br />
* [http://www.shonishin.de/qualitaet2.htm Shōnishin in der IGTJM]<br />
* [http://www.shiatsuverband.ch/startseite.html Shiatsu-Gesellschaft Schweiz]<br />
* [http://www.oeds.at/cms/front_content.php?idcat=137&lang=1&client=1 Shiatsu Österreichischer Dachverband]<br />
* [http://www.jsom.or.jp/english/index.html Japan Society for Oriental Medicine]<br />
* [http://jtams.com/ The Japan Traditional Acupuncture and Moxibustion Society]<br />
* [http://en.jsam.jp/ The Japan Society of Acupuncture and Moxibustion]<br />
* [http://www.jsjt.jp/ Japanese Society of Judo Therapy]<br />
* [http://www.jsrm.gr.jp/ The Japanese Society for Ryodoraku Medicine]<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
<br />
* [[Traditionelle Medizin]]<br />
* [[Traditionelle chinesische Medizin]]<br />
* [[Traditionelle Europäische Medizin]]<br />
* [[Traditionelle afrikanische Medizin]]<br />
* [[Ayurveda]]<br />
* [[Wikipedia:Siddha|Siddha]]<br />
* [[Unani]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* S. Birch: ''Shonishin: Japanese Pediatric Acupuncture''. Thieme, Stuttgart etc.2011 (2. Aufl. 2016).<br />
* F. Büttgen: ''Die traditionelle Medizin in Japan – Versuch eines Überblicks.'' In: ''IGTJM Journal.'' Nr. 1, September 2011, S. 9–28.<br />
* U. Eberhard: ''Leitfaden Kampo-Medizin. Japanische Phytotherapie.'' Urban & Fischer in Elsevier, München 2003, ISBN 3-437-56550-8.<br />
* Y. Fujikawa: ''Der Arzt in der japanischen Kultur.'' Tokio 1911. (Nachdruck: Robugen, Esslingen 1976, {{DNB|770570747}}).<br />
* A. E. Goble: ''Medicine and New Knowledge in Medieval Japan: Kajiwara Shōzen (1266-1337) and the Man'anpō.'' In: ''Journal of the Japanese Society of Medical History (Nihon ishi gaku zasshi).'' Vol. 47.1 (2001), S. 226–193; dito, 47.2 (2001), S. 452–432.<br />
* A. E. Goble, K.R. Robinson, H. Wakabayashi (Hrsg.): ''Tools of culture – Japan’s cultural, intellectual, medical, and technological contacts in East Asia, 1000-1500s.'' Ann Arbor, Mich. 2009, ISBN 978-0-924304-53-8.<br />
* K. Hashimoto: ''Sotai Balance and Health Through Natural Movement.'' Japan Publications, Tokio 1983, ISBN 0-87040-534-9.<br />
* A. Janenetta: The Vaccinators – Smallpox, Medical Knowledge, and the ‘Opening’ of Japan. Stanford University Press, 2007 ISBN 978-0-8047-5489-7<br />
* M. Macé: ''La medecine d'Ishizaka Sotetsu (1770–1841) en tant que modele culturel de l'epoque Edo.'' In: ''Cahiers d'Extreme-Asie.'' Nr. 8 (1995), S. 413–438.<br />
* M. Macé: ''Yamawaki Tōmon (1736–1782) et Ogino Gengai (1737–1806) – Deux médecins de formation traditionnelle face à la médecine occidentale.'' In: ''Daruma.'' Nr. 1 (1997), S. 109–130.<br />
* [[Wikipedia:Masunaga Shizuto|Shizuto Masunaga]], Wataru Ohashi: ''Das große Buch der Heilung durch Shiatsu''. Barth, Bern/ München/ Wien 2006, ISBN 3-502-61167-X.<br />
* A. Matsuki: ''Seishu Hanaoka and His Medicine. A Japanese Pioneer of Anesthesia and Surgery.'' Hirosaki University Press, Hirosaki 2011, ISBN 978-4-902774-68-9.<br />
* A. Matsuki: ''The Origin and Evolution of Anestesia in Japan''. Hirosaki University Press, Hirosaki University Press, 2017, ISBN 978-4-907192-42-6<br />
* W. Michel: ''Frühe westliche Beobachtungen zur Akupunktur und Moxibustion.'' In: ''Sudhoffs Archiv.'' Vol. 77, No. 2 (1993), S. 194–222.<br />
* W. Michel: ''Japans Rolle in der frühen Vermittlung der Akupunktur nach Europa.'' In: ''Deutsche Zeitschrift für Akupunktur.'' Heft 36, Nr. 2 (1993b), S. 40–46.<br />
* W. Michel: ''Von Leipzig nach Japan. Der Chirurg und Handelsmann Caspar Schamberger (1623-1706)''. Iudicium, 1999, ISBN 978-3-89129-442-0<br />
* W. Michel: ''Aufbruch in 'innere Landschaften' – Zur Rezeption westlicher Körperkonzepte in der Medizin der Edo-Zeit.'' In: ''MINIKOMI.'' Nr. 62 (2001/4), S. 13–24.<br />
* W. Michel: ''Japansk läkekonst i teckningar av Clas Fredrik Hornstedt.'' In: C. F. Hornstedt: ''Brev från Batavia – En resa till Ostindien 1782–1786. Utgivare Christina Granroth under medverkan av Patricia Berg och Maren Jonasson.'' Stockholm 2008, S. 117–150.<br />
* Michel-Zaitsu, Wolfgang: ''Traditionelle Medizin in Japan – Von der Frühzeit bis zur Gegenwart''. Kiener, München 2017, ISBN 978-3-943324-75-4.<br />
* J. Nakamura, M. Arnoldi (Hrsg.): ''Makrobiotische Ernährungslehre nach Oshawa.'' 2. Auflage. Mahajiva, Holthausen 2003, ISBN 3-924845-36-0.<br />
* K. Nishida: ''Bakkan ryōhō no rinshō-ōyō'' [Klinische Anwendung des Schröpfens]. Human World, Tokyo 2009, ISBN 978-4-903699-15-8. ({{lang|ja|西田 皓一『抜缶療法の臨床応用』ヒューマンワールド}})<br />
* K. Nishimura, G. E. Plotnikoff, K. Watanabe: ''Kampo Medicine as an Integrative Medicine in Japan.'' In: ''Japan Medical Association Journal.'' (JMAJ), Vol. 52, 2009, No.3, S. 147–149.<br />
* C. Oberländer: ''Zwischen Tradition und Moderne: die Bewegung für den Fortbestand der Kanpō-Medizin in Japan.'' Steiner, Stuttgart 1995, ISBN 3-515-06612-8.<br />
* C. Oberländer: ''Traditionelle Medizin und Krankheitsverständnis im Japan der Moderne: der Weg von der sinojapanischen Heilkunde der Edo-Zeit zur Kanpō-Medizin der Gegenwart.'' In: ''Zeitschrift für medizinische Ethik: Wissenschaft, Kultur, Religion.'' Jahrg. 49, Heft 3 (2003), S. 277–286.<br />
* K. Otsuka: ''Kanpo - Geschichte, Theorie und Praxis der chinesisch-japanischen traditionellen Medizin; aus dem Japanischen ins Deutsche übertragen von Yasuo Otsuka.'' Tsumura Juntendo, Tokyo 1976.<br />
* Heidrun Reißenweber: ''Japanische Phytotherapie (Kampo).'' In: ''Zeitschrift für Allgemeinmedizin.'' Vol. 77, No. 6, 2001, S. 275–280.<br />
* Heidrun Reißenweber: ''Japanische Medizin.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' Walter de Gruyter, Berlin und New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 688–694.<br />
* E. Rosner: ''Medizingeschichte Japans.'' Brill, Leiden 1989. (Handbuch der Orientalistik, 5. Abt.).<br />
* S. Mishima (Hrsg.): ''The History of Ophthalmology in Japan.'' Ostende, Wayenborgh 2004.<br />
* S. Sakai: ''Nihon no iryō-shi'' [Geschichte der Heilkunde Japans]. Tōkyō Shoseki, Tokyo 1982.<br />
* T. Shinmura: ''Kodai iryō kanninsei no kenkyū - tenyakuryō no kōzō.'' Hōsei Daigaku Shuppankyoku, Tokio 2005.<br />
* M. Tanioka: ''Shōnishin no jissai''. Gensōsha, Tokyo 1998 ({{lang|ja|谷岡賢徳: わかりやすい小児鍼の実際. 源草社}})<br />
* M. Tanioka: ''Daishiryū Shōnishin - Okugi to jissen''. Rokuzensha, Tokyo 2005 ({{lang|ja|大師流小児鍼 : 奥義と実践. 六然社}})<br />
* [[Wikipedia:Arnulf Thiede|Arnulf Thiede]], Yoshiki Hiki<!-- bzw. Hiki Yoshiki -->, Gundolf Keil: ''Philipp Franz von Siebold and His Era.'' Berlin/New York 2000, S. 127–134.<br />
* H. Sōda: ''Nihon iryōbunka-shi'' [Geschichte der Heilkultur in Japan]. Shibunkaku Shuppan, Kyōto 1989.<br />
* A. Tsumura: ''Kampo: How the Japanese Updated Traditional Herbal Medicine.'' Japan Publications, Tokyo/ San Francisco 1991, ISBN 0-87040-792-9.<br />
* T. Wernicke: ''Shônishin: Japanische Kinderakupunktur.'' Urban & Fischer in Elsevier, München 2009, ISBN 978-3-437-58440-4.<br />
* T. Wernicke: ''Shonishin: The Art of Non-Invasive Paediatric Acupuncture.'' Jessica Kingsley Publishers, London/Philadelphia 2014, ISBN 978-1-84819-160-0.<br />
<br />
* T. Wernicke: ''Shonishin – Entwicklungsphysiologie und Meridianentfaltung in der Kinderakupunktur''. Kiener, München 2020, ISBN 978-3-943324-42-6.<br />
* H. Yoneyama / H. Mori: ''Shōnishin-hō (The method of Shonishin)''. Yokosuka, 1964.<br />
<br />
* D. Zeise-Süss: ''Yamamoto Neue Schädelakupunktur (YNSA) für die Praxis.'' Elsevier, München 2009, ISBN 978-3-437-58540-1.<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Japanische Medizin| ]]<br />
[[Kategorie:Alternativmedizin]]<br />
[[Kategorie:Naturheilkunde]]<br />
[[Kategorie:Kultur (Japan)]]{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Integratives_Haus_der_Gesundheit_Heidenheim&diff=46003
Integratives Haus der Gesundheit Heidenheim
2023-09-15T07:13:12Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>{{Infobox Medizinische Einrichtung<br />
| Typ = Therapeutikum<br />
| Logo = <br />
| Gründungsdatum = 23.9.2017 <br />
| Ort = [[Wikipedia:Heidenheim|Heidenheim an der Brenz]]<br />
| Bundesland = [[Wikipedia:Baden-Württemberg|Baden-Württemberg]]<br />
| Breitengrad = 48.6740518<br />
| Längengrad = 10.1515400<br />
| Region-ISO = DE-BW<br />
| Website = http://hausdergesundheit-heidenheim.de<br />
}}<br />
<br />
Das '''Integrative Haus der Gesundheit Heidenheim''' ist ein [[Wikipedia:Mehrgenerationenhaus|Mehrgenerationenhaus]] mit therapeutischem Schwerpunkt im Bereich der [[Integrative Medizin|integrativen]], insbesondere [[Anthroposophische Medizin|anthroposophischen Medizin]]. Es wurde am 23.9.2017 eröffnet, getragen wurde der Prozess von 15 Frauen, unter anderem [[Carmen Eppel]].<ref>{{Literatur| Band = 17| Seiten = 18ff| Autor=Annette Bopp| Titel = Gesunde Lebenswelten schaffen| Sammelwerk = Gesundheit aktiv; Das Magazin| Sprache = de| Datum = 2020}}</ref> Die Entwicklung erfolgte in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der lokalen Politik.<ref>{{Literatur| Autor=Paul Werthmann| Titel = Initiativen für ein „anderes“ Gesundheitswesen| Sammelwerk = Rundbrief Akademie GAÄD| Abruf = 2023-09-12| Sprache = de| Datum = 2016-12| Online = https://www.gaed.de/sites/default/files/2021-10/AAM-Rundbrief-2016-Dezember.pdf}}</ref> Das Haus der Gesundheit ist Mitglied im [[Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg (KIM)|Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg]]. Im Therapeutikum sind unterschiedliche Ärzt*innen und Therapeut*innen tätig. Es gibt eine Praxis für [[Allgemeinmedizin]], eine Praxis für [[Wikipedia:Frauenheilkunde|Frauenheilkunde]], einen offenen Treff, Ringgespräche, eine [[Wikipedia:Waldorfschule|Waldorfkindergartengruppe]], [[Wikipedia:Ergotherapie|Ergotherapie]], eine [[Wikipedia:Hebamme|Hebammenpraxis]], [[Osteopathie]], einen Raum für [[geistiges Heilen]], [[Wikipedia:Massage|Massage]], [[Anthroposophische Körpertherapien|Anthroposophische Körpertherapie]], die kulturbühne-halbe-treppe, Coaching und [[Heileurythmie]].<ref>{{Literatur| Titel = Haus der Gesundheit Heidenheim - Programm Juli 2023 bis März 2024| Ort = Heidenheim| Sprache = de| Datum = 2023-07|Autor=|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|ISBN=|Seiten=|Online=http://hausdergesundheit-heidenheim.de/wp-content/uploads/2023/08/digital_Programmheft_202322.pdf}}</ref> Seit 2017 ist das Haus der Gesundheit [[Wikipedia:Mehrgenerationenhaus|Mehrgenerationenhaus]].<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.roderich-kiesewetter.de/uploads/media/pm-20160930.pdf |titel=Pressemitteilung Haus der Gesundheit Heidenheim wird Mehrgenerationenhaus! |werk= |hrsg= |datum=2016-09-30 |abruf=2021-09-27 |sprache=de|offline=1|archiv-url=https://web.archive.org/web/20170328222048/https://www.roderich-kiesewetter.de/uploads/media/pm-20160930.pdf}}</ref><br />
<br />
==Geschichte==<br />
Eine von Menschen verschiedener Professionen getragene Ursprungsidee war, [[Gesundheitsbildung]] näher am Menschen und auf Augenhöhe neu zu greifen.<ref name=":0">{{Literatur| Titel = Haus der Gesundheit Heidenheim - Programm Juli 2023 bis März 2024| Ort = Heidenheim| Sprache = de| Datum = 2023-07|Autor=|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|ISBN=|Seiten=8|Online=http://hausdergesundheit-heidenheim.de/wp-content/uploads/2023/08/digital_Programmheft_202322.pdf#page=5|Kapitel=Philosophie}}</ref> Dazu wurde 2016/2017 ein gemeinnütziger Verein gegründet und ein ganzheitliches Konzept erarbeitet, das Medizin, Therapie, Pädagogik, Kultur, soziales und zivilgesellschaftliches Engagement umfasste. Im Zentrum der Vernetzungsbestrebungen steht das Mehrgenerationenhaus. Es soll als offene Begegnungsstätte ehrenamtliches Engagement aller Bereiche bündeln, vermitteln und niederschwelligen Zugang zu gesundheitsfördernden Kursen und Angeboten schaffen.<ref name=":0" /> Ziel ist nach eigenen Angaben, Lebenswelten zu verbinden, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, Menschen aller Generationen, Gesunde und Erkrankte, Helfende und Hilfesuchende zusammenzuführen.<ref name=":0" /> Es soll gefördert werden, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.<ref name=":0" /> 2016 war das Projekt Zentrum und Gastgeber für eine Veranstaltung der Reihe [[Zukunft ambulante Anthroposophische Medizin]].<ref>{{Internetquelle| titel = Integratives Gesundheitshaus in Heidenheim - Deutsch / Stellen- und Projektbörse| sprache = de| datum = 2017-12-11| url = https://forum.jungmedizinerforum.org/t/integratives-gesundheitshaus-in-heidenheim/1371/6| abruf = 2023-09-13| werk = International Young Medics Forum for Anthroposophic Medicine}}</ref><br />
<br />
==Einzelnachweisliste==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Mehrgenerationenhaus]]<br />
[[Kategorie:Integrative Medizin]]<br />
[[Kategorie:Therapeutikum]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Bach-Bl%C3%BCtentherapie&diff=45981
Bach-Blütentherapie
2023-09-07T06:46:19Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>Die '''Bach-Blütentherapie''' (''sprich:'' [{{IPA|ˈbætʃ}}]-Blütentherapie, {{Audio|BE-Bach-Blütentherapie-GT.ogg|anhören}}) ist ein in den 1930er Jahren von dem britischen Arzt [[Edward Bach]] ({{Audio|BE-Edward_Bach-GT.ogg|anhören}}) (1886–1936) begründetes und nach ihm benanntes [[Alternativmedizin|alternativmedizinisches Verfahren]]. Laut Bachs zentraler These beruhe jede körperliche Krankheit auf einer seelischen Gleichgewichtsstörung.<ref>Edward Bach: ''Heile Dich selbst. Die geistige Grundlage der Original-Bach-Blütentherapie.'' Übersetzt von Karl Friedrich Hörner. 2000, ISBN 3-7205-2119-2.</ref> Die Ursache dieser Störung sah er in einem Konflikt zwischen der unsterblichen [[Seele]] und der [[Persönlichkeit|Persönlichkeit]], und eine [[Wikipedia:Heilung|Heilung]] könne nur durch eine Harmonisierung auf dieser geistig-seelischen Ebene bewirkt werden.<ref>Theodor Dingermann u. a. (Hrsg.): ''Pharmazeutische Biologie. Molekulare Grundlagen und klinische Anwendung.'' Springer, 2002, ISBN 3-540-42844-5, S. 12.</ref> Bach beschrieb zunächst neunzehn Gemütszustände, erweiterte das Repertoire dann aber auf „38 disharmonische Seelenzustände der menschlichen Natur“. Diesen ordnete er Blüten und Pflanzenteile zu, die er in Wasser legte oder kochte und die so ihre „Schwingungen“ an das Wasser übertragen sollten. Aus diesen [[Wikipedia:Urtinktur|Urtinktur]]en wurden anschließend durch starke Verdünnung die sogenannten '''Blütenessenzen''' hergestellt.<ref name="ernstWKW">{{Literatur |Autor=E. Ernst |Titel=“Flower remedies”: a systematic review of the clinical evidence |Sammelwerk=Wiener Klinische Wochenschrift |Band=114 |Nummer=23–24 |Datum=2002-12-30 |Seiten=963–966 |PMID=12635462}}</ref><br />
<br />
Mehrere [[Wikipedia:randomisierte, kontrollierte Studie|randomisierte, kontrollierte Studie]]n lieferten keine Hinweise auf eine tatsächliche [[Wikipedia:medizinische Wirksamkeit|medizinische Wirksamkeit]] der Bach-Blütentherapie,<ref name="Ernst2010">E. Ernst: ''[http://www.smw.ch/content/smw-2010-13079 Bach flower remedies: a systematic review of randomised clinical trials]'' In: ''Swiss Med Wkly.'' 140, 24 Aug 2010, S. w13079. PMID 20734279</ref> aus [[Wikipedia:wissenschaftlich|wissenschaftlich]]er Sicht wird sie als [[Plausibilität|unplausibel]] eingestuft.<ref name="Ernst306">[[Wikipedia:Edzard Ernst|Edzard Ernst]], M. Pittler, B. Wilder (Hrsg.): ''The Desktop Guide to Complementary and Alternative Medicine.'' 2. Auflage. Elsevier, 2006, S. 306.</ref> Die ihr zugrunde liegenden Konzepte gelten als [[Pseudowissenschaft|pseudowissenschaftlich]].<ref>R. Monvoisin: ''Bach flower remedies: a critic of the pseudoscientific, pseudomedicinal concepts and philosophical postures inducted by Dr Bach theory.'' In: ''Ann Pharm Fr.'' 63(6), Nov 2005, S. 416–428. Review. French. PMID 16292234</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
Bach entwickelte seine Therapie in den 1930er Jahren. Als Anhänger der Lehren von [[Wikipedia:Carl Gustav Jung|Carl Gustav Jung]] wählte er die Pflanzen nach eigenen Angaben „[[Intuition|intuitiv]]“ danach aus, welche „positiven [[Wikipedia:Archetypus|archetypischen]] Seelenkonzepte“ sie verkörpern. Nach seinem Tod 1936 verschwand die Therapie zunächst in der Bedeutungslosigkeit.<br />
<br />
Ende der 1970er-Jahre wurde die Bach-Blütentherapie dann wieder durch den Esoterikjournalisten [[Wikipedia:Wulfing von Rohr|Wulfing von Rohr]] vertreten und in der Folge von der Hamburger [[Heilpraktiker]]in [[Mechthild Scheffer]] vermarktet. Weitere Popularitätsschübe erfuhr sie im deutschsprachigen Raum seit Mitte der 1980er-Jahre durch Berichte in der [[Wikipedia:Boulevardmedien|Boulevard-]] und [[Wikipedia:Regenbogenpresse|Regenbogenpresse]] und durch eine Vorstellung in drei aufeinanderfolgenden Ausgaben der damals sehr populären [[Wikipedia:Sat.1|Sat.1]]-Talkshow ''[[Wikipedia:Schreinemakers Live|Schreinemakers Live]]'' im Juni 1995.<ref>[[Wikipedia:Colin Goldner|Colin Goldner]]: ''Die Psycho-Szene'', 2000, S.&nbsp;160.</ref> In den Tagen nach der Ausstrahlung der Sendungen stieg die Nachfrage nach Bach-Blütenessenzen in Apotheken auf das Drei- bis Zehnfache an. Das ''Dr.&nbsp;Edward Bach Center'' in Hamburg verzeichnete nach eigenen Angaben statt der zuvor üblichen 1000 Anfragen nach der Ausstrahlung der Sendungen 80.000 schriftliche Anfragen pro Monat.<ref>Ulrich Arndt: ''[http://www.horusmedia.de/1995-bach/bach.php Der Boom der Blüten].'' zuletzt zugegriffen am 19.&nbsp;Dezember 2017.</ref><br />
<br />
== Essenzen ==<br />
{| class="wikitable float-right"<br />
|+Alle 38 Bach-Blüten<ref>Mechthild Scheffer: ''Die Original Bach-Blüten-Therapie für Einsteiger.'' Hugendubel, 2002, ISBN 3-7205-2330-6.</ref><br />
|-<br />
! Nr. !! Bezeichnung !! Pflanze<br />
|-<br />
| 1 || Agrimony || [[Wikipedia:Gemeiner Odermennig|Gemeiner Odermennig]]<br />
|-<br />
| 2 || Aspen || [[Wikipedia:Espe|Espe]] / [[Wikipedia:Zitterpappel|Zitterpappel]]<br />
|-<br />
| 3 || Beech || [[Wikipedia:Rotbuche|Rotbuche]]<br />
|-<br />
| 4 || Centaury|| [[Wikipedia:Tausendgüldenkraut|Tausendgüldenkraut]]<br />
|-<br />
| 5 || Cerato || [[Wikipedia:Ceratostigma willmottianum|Bleiwurz]]<br />
|-<br />
| 6 || Cherry Plum || [[Wikipedia:Kirschpflaume|Kirschpflaume]]<br />
|-<br />
| 7 || Chestnut Bud || [[Wikipedia:Gewöhnliche Rosskastanie|Rosskastanienknospe]]<br />
|-<br />
| 8 || Chicory || [[Wegwarte]]<br />
|-<br />
| 9 || Clematis || [[Wikipedia:Gewöhnliche Waldrebe|Gewöhnliche Waldrebe]]<br />
|-<br />
| 10 || Crab Apple || [[Wikipedia:Holzapfel|Holzapfel]]<br />
|-<br />
| 11 || Elm || [[Wikipedia:Englische Ulme|Englische Ulme]]<br />
|-<br />
| 12 || Gentian|| [[Wikipedia:Herbstenzian|Herbstenzian]]<br />
|-<br />
| 13 || Gorse || [[Wikipedia:Stechginster|Stechginster]]<br />
|-<br />
| 14 || Heather|| [[Wikipedia:Heidekräuter|Schottisches Heidekraut]]<br />
|-<br />
| 15 || Holly || [[Wikipedia:Europäische Stechpalme|Europäische Stechpalme]]<br />
|-<br />
| 16 || Honeysuckle|| [[Wikipedia:Geißblatt|Geißblatt]]<br />
|-<br />
| 17 || Hornbeam || [[Wikipedia:Hainbuche|Hainbuche]]<br />
|-<br />
| 18 || Impatiens|| [[Wikipedia:Drüsiges Springkraut|Drüsiges Springkraut]]<br />
|-<br />
| 19 || Larch || [[Wikipedia:Europäische Lärche|Europäische Lärche]]<br />
|-<br />
| 20 || Mimulus|| [[Wikipedia:Gelbe Gauklerblume|Gefleckte Gauklerblume]]<br />
|-<br />
| 21 || Mustard || [[Wikipedia:Ackersenf|Ackersenf]]<br />
|-<br />
| 22 || Oak || [[Wikipedia:Eiche|Eiche]]<br />
|-<br />
| 23 || Olive || [[Wikipedia:Echter Ölbaum|Ölbaum]]<br />
|-<br />
| 24 || Pine || [[Wikipedia:Kiefern|Schottische Kiefer]]<br />
|-<br />
| 25 || Red Chestnut || [[Wikipedia:Fleischrote Rosskastanie|Rote Kastanie]]<br />
|-<br />
| 26 || Rock Rose || [[Wikipedia:Gelbes Sonnenröschen|Gelbes Sonnenröschen]]<br />
|-<br />
| 27 || Rock Water || [[Wikipedia:Quelle|Fels-Quellwasser]]<br />
|-<br />
| 28 || Scleranthus|| [[Wikipedia:einjähriger Knäuel|einjähriger Knäuel]]<br />
|-<br />
| 29 || Star of Bethlehem || [[Wikipedia:Dolden-Milchstern|Doldiger Milchstern]]<br />
|-<br />
| 30 || Sweet Chestnut || [[Wikipedia:Esskastanie|Esskastanie]] / [[Wikipedia:Edelkastanie|Edelkastanie]]<br />
|-<br />
| 31 || Vervain || [[Wikipedia:Eisenkraut|Eisenkraut]]<br />
|-<br />
| 32 || Vine ||[[Wikipedia:Weinrebe|Weinrebe]]<br />
|-<br />
| 33 || Walnut|| [[Wikipedia:Echte Walnuss|Walnuss]]<br />
|-<br />
| 34 || Water Violet || [[Wikipedia:Wasserfeder|Wasserfeder]]<br />
|-<br />
| 35 || White Chestnut || [[Wikipedia:Rosskastanie|Weißblühende Rosskastanie]]<br />
|-<br />
| 36 || Wild Oat || [[Wikipedia:Waldtrespe|Waldtrespe]]<br />
|-<br />
| 37 || Wild Rose || [[Wikipedia:Hecken-Rose|Hecken-Rose]]<br />
|-<br />
| 38 || Willow|| [[Wikipedia:Gelbe Weide|Gelbe Weide]]<br />
|}<br />
<br />
Bach ordnete den von ihm postulierten negativen Seelenzuständen, die für alle Leiden und Krankheiten verantwortlich sein sollen, jeweils eine „Essenz“ zu, die eine „Harmonisierung“ fördern soll. Traditionell tragen die nummerierten Essenzen englische Namen und sind verschiedenen Anwendungsgebieten zugeordnet. Im Gegensatz zum Simile-Prinzip in der [[Homöopathie]] sollen diese Essenzen als positiver Gegenpol eine Harmonisierung negativer Seelenzustände direkt bewirken. Kritiker führen an, dass der moralisierende Charakter dieses Konzeptes seelischen Druck auf Erkrankte ausüben kann, da das eigene, persönliche Verhalten als ursächlich für Krankheiten angesehen wird.<ref>Krista Federspiel: ''{{webarchiv| url=http://www.gwup.org/ueberuns/zentrum/bach-bluetentherapie-info.pdf|wayback= 20080724231800|text=Bach-Blütentherapie}}'' 2002. Informationsblatt der [[Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften|Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften]], abgerufen am 13. August 2012.</ref><br />
<br />
Die Bach-Blütentherapie wird üblicherweise nicht zur [[Phytotherapie]] (Pflanzenheilkunde) gezählt. Die verwendeten Pflanzenteile sind in der Regel keine bekannten Heilpflanzen und wurden von Edward Bach auch nicht als solche ausgewählt.<ref>C. Jänicke, J. Grünwald, B. Brendler: ''Handbuch Phytotherapie. Indikationen – Anwendungen – Wirksamkeit – Präparate.'' Stuttgart 2003, ISBN 3-8047-1950-3.</ref><br />
<br />
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche „neue Essenzen“ auf dem Markt erschienen, die sich bezüglich ihrer Herstellung an die Bach-Blüten anlehnen, allerdings nicht im Kanon von Bach enthalten sind.<br />
<br />
=== Systematik ===<br />
Bach postulierte 37 Essenzen aus 37 Blüten und eine Essenz aus Fels-Quellwasser (''Rock Water'') ohne Zugabe von Blüten. Zusätzlich bestimmte er eine Kombination aus fünf Essenzen, die er als Notfalltropfen (''„Rescue Remedy“'') für akute Belastungssituationen empfahl. Die 38 Essenzen unterteilte er in sieben Gruppen, die er jeweils bestimmten Gemütszuständen zuordnete (''Niedergeschlagenheit'', ''Angst'', ''fehlendes Interesse an der Gegenwart'', ''Einsamkeit'', ''übertriebene Sorge um Andere'', ''Überempfindlichkeit'' und ''Unsicherheit''). Die Essenzen sollten bei der Überwindung dieser Gemütszustände helfen. Beispiele für einzelne verwendete Blüten sind Gemeiner Odermennig (''Agrimony''), Lärche (''Larch''), Ackersenf (''Mustard''), Weinrebe (''Vine'') oder Heckenrose (''Wild Rose''). Der Gemeine Odermennig soll bei Angst vor Konflikten, bei Unehrlichkeit oder Überspielen persönlicher Probleme mit Verdrängung sowie bei Verspannungen und Verkrampfungen eingesetzt werden. Die Lärche hingegen helfe bei Minderwertigkeitsgefühlen, Schüchternheit und Zaghaftigkeit. Die Heckenrose helfe bei Personen, die an Antriebslosigkeit, Resignation und ''„krankhafter Schicksalsergebenheit“'' litten.<ref name="Ernst306" /><ref>''Alternative Medizin.'' In: ''Der Brockhaus.'' F. A. Brockhaus, Mannheim 2008, ISBN 978-3-7653-3291-3.</ref><br />
<br />
=== Herstellung ===<br />
Die einzelnen Blüten werden heute noch an den ehemals von Bach festgesetzten Standorten gesammelt und nach den von Bach beschriebenen [[Wikipedia:Potenzieren (Homöopathie)|Potenzierungsmethoden]] rituell verarbeitet. Bei der ''Sonnenmethode'' werden die Blüten für etwa drei bis vier Stunden in eine mit Wasser gefüllte Schale gelegt und diese in die Sonne gestellt, bei der ''Kochmethode'' werden die Pflanzenteile eine halbe Stunde in Wasser erhitzt. Die letztere Methode wird für holziges Pflanzenmaterial oder bei Pflanzen angewendet, die zu einer sonnenarmen Jahreszeit blühen. Laut Bach sollen die Pflanzen ihre „Schwingungen“ als „heilende Energie“ an das Wasser abgeben. Das Wasser wird anschließend mit einem gleich großen Anteil [[Wikipedia:Ethanol|Alkohol]] als Konservierungsmittel versetzt. Diese [[Wikipedia:Urtinktur|Urtinktur]] wird 1:240 verdünnt, um die eigentlichen Blütenessenzen herzustellen, und ähnelt in diesem Punkt der [[Homöopathie]], mit der Bach sich intensiv beschäftigt hatte. Aus fünf Litern Wasser, in welche die Blüten gelegt wurden, entstehen nach Hinzufügen von fünf Litern Alkohol und anschließender Verdünnung schließlich 2.400&nbsp;Liter Blütenessenz.<br />
<br />
== Wirksamkeit ==<br />
In klinischen Studien zeigte sich keine über den [[Wikipedia:Placebo|Placebo]]-Effekt hinausgehende Wirksamkeit von Bach-Blütenessenzen.<ref>N. C. Armstrong, E. Ernst: ''A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of a Bach Flower Remedy''. University of Exeter, 2001. PMID 11876168</ref><ref>[[Harald Walach]], Christine Rilling, Ursula Engelke: ''Efficacy of Bach-flower remedies in test anxiety: A double-blind, placebo-controlled, randomized trial with partial crossover''. Universitätsklinikum Freiburg. PMID 11474820</ref><ref>S. Pintov, M. Hochman, A. Livne, E. Heyman, E. Lahat: ''Bach flower remedies used for attention deficit hyperactivity disorder in children--a prospective double blind controlled study.'' In: ''Eur J Paediatr Neurol.'' 9(6), 2005, S. 395–398. PMID 16257245</ref><ref name="ernstWKW" /><ref name="Ernst2010" /><ref name="pmid19470153">{{Literatur |Autor=K. Thaler, A. Kaminski, A. Chapman, T. Langley, G. Gartlehner |Titel=Bach Flower Remedies for psychological problems and pain: a systematic review |Sammelwerk=BMC Complement Altern Med |Band=9 |Datum=2009 |Seiten=16 |DOI=10.1186/1472-6882-9-16 |PMC=2695424 |PMID=19470153}}</ref><br />
<br />
Für eine gezielte Behandlung von Krankheiten ist gemäß [[Wikipedia:Stiftung Warentest|Stiftung Warentest]] die Bach-Blütentherapie nicht empfehlenswert.<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=„Rückfall ins Mittelalter“ |Hrsg= |Sammelwerk=Spiegel Online |Band=21 |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1997-05-19 |ISBN= |Seiten=22-32 |Online=https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/8716404 |Abruf=2019-11-08}}</ref><br />
<br />
Die Kosten einer Behandlung werden von einigen deutschen Krankenkassen übernommen. Dies wird jedoch mit Kundenfreundlichkeit und nicht mit der Wirksamkeit der Bach-Blütentherapie begründet.<ref>Edzard Ernst: ''Falsch verstandene „Patientenfreundlichkeit.“'' In: ''MMW – Fortschritte der Medizin.'' 8, 2007, S. 55.</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Bach-Blütentherapie}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Wikipedia:Edzard Ernst|Edzard Ernst]], M. Pittler, B. Wilder (Hrsg.): ''The Desktop Guide to Complementary and Alternative Medicine.'' 2. Auflage. Elsevier 2006, ISBN 0-7234-3383-6.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Edward Bach|Bach-Blütentherapie}}<br />
* [http://www.bachcentre.com/ Webseite des englischen Edward Bach Centre]<br />
* [http://www.stern.de/wissenschaft/medizin/:Bach-Bl%FCtentherapie-Placebos-Quellwasser/566000.html Bach-Blütentherapie&nbsp;– Placebos in Quellwasser]<br />
* [http://www.sueddeutsche.de/wissen/teil-bach-bluetentherapie-blueten-gegen-alle-leiden-1.927071 ''38 Blüten gegen alle Leiden.''] In: ''[[Wikipedia:Süddeutsche Zeitung|Süddeutsche Zeitung]].'' 3. Mai 2010.<br />
* {{Webarchiv | url= http://www.igel-monitor.de/IGeL_A_Z.php?action=view&id=60 | wayback= 20140709110457| text=Bericht des Medizinischen Diensts des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.}}<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{SORTIERUNG:Bachblutentherapie}}<br />
[[Kategorie:Therapeutisches Verfahren in der Alternativmedizin]]<br />
[[Kategorie:Alternativmedizin]]<br />
[[Kategorie:Naturheilkunde]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia|datum=12. November 2019|oldid=194070164|oldid-lokal=3940}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
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Darstellung Integrativer Medizin in Onlineenzyklopädien
2023-08-03T07:00:36Z
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<hr />
<div>Die '''Darstellung Integrativer Medizin in Onlineenzyklopädien''' variiert. Viele Enzyklopädien haben wie Wikipedia keinen Artikel zu [[Integrative Medizin|integrativer Medizin]], sondern handeln diese als Unterabschnitt in Artikeln zu [[Alternativmedizin]] ab. Dies variiert etwas abhängig von der Sprache der Artikel.<br />
<br />
===Wikipedia===<br />
Es gibt keinen Artikel zur Integrativen Medizin in der englischen oder deutschen [[Wikipedia]]. Eine Nennung im Artikel [[Alternativmedizin]] (-> [[Wikipedia:Alternativmedizin|Alternativmedizin]]) ist vorhanden. <br />
<br />
====Petition 2014 auf change.org====<br />
2014 gab es eine Petition bei [[Wikipedia:Change.org|change.org]], die sich an den Wikipediagründer [[Wikipedia:Jimmy Wales|Jimmy Wales]] richtete, und eine unfaire Behandlung von [[Komplementärmedizin|komplementärmedizinischen]] Inhalten am Beispiel der [[Energy Psychology]] beklagte.<ref>{{Internetquelle| titel = Harvard Doc To Wikipedia: You're Not Playing Fair On Alternative Trauma Therapy| sprache = en| url = https://www.wbur.org/news/2014/11/28/harvard-doc-to-wikipedia-youre-not-playing-fair-on-alternative-trauma-therapy| abruf = 2023-07-28}}</ref> Die Petition wurde von 11.376 Menschen unterzeichnet.<ref>{{Internetquelle| titel = Jimmy Wales, Founder of Wikipedia: Create and enforce new policies that allow for true scientific discourse about holistic approaches to healing.| sprache = en| datum = 2014| url = https://www.change.org/p/jimmy-wales-founder-of-wikipedia-create-and-enforce-new-policies-that-allow-for-true-scientific-discourse-about-holistic-approaches-to-healing| abruf = 2023-07-31| werk = Change.org}}</ref> Es wurde im Text auch [[Wikipedia:Larry Sanger|Larry Sanger]] zitiert<ref name=":0">{{Cite web| last = Geuss| first = Megan| title = Wikipedia founder calls alt-medicine practitioners “lunatic charlatans”| work = Ars Technica| accessdate = 2023-08-01| date = 2014-03-25| url = https://arstechnica.com/science/2014/03/wikipedia-founder-calls-alt-medicine-practitioners-lunatic-charlatans/}}</ref>, Mitgründer von Wikipedia, der das Projekt recht früh verlassen hatte und über die Jahre wiederholt die Prinzipien des Onlineprojekts kritisierte.<ref>{{Cite web| title = Wikipedia Is Badly Biased – LarrySanger.org| accessdate = 2023-07-28| date = 2020-05-14| url = https://larrysanger.org/2020/05/wikipedia-is-badly-biased/#comments}}</ref><ref>{{Cite web| title = Wikipedia Is More One-Sided Than Ever – LarrySanger.org| accessdate = 2023-07-28| date = 2021-06-30| url = https://larrysanger.org/2021/06/wikipedia-is-more-one-sided-than-ever/#comments}}</ref> Er ist ursprünglicher Verfasser des Wikipedia-Artikels zum neutralen Standpunkt ([[Wikipedia:NPOV|NPOV]]) und generell Verfechter neutraler Darstellung. In Bezug auf die Petition schilderte er: <br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=Wikipedia's neutrality policy, at least as I originally articulated it, requires that CAM's practitioners be given an opportunity to explain their views. At the same time, the policy also requires that more space be given to mainstream views that are critical of CAM, precisely because such critical views are held by most medical health professionals.<br />
...<br />
I am as big a defender of rationality, science, and objective reality as you are likely to find. But I also think a public resource like Wikipedia should be fully committed to intellectual tolerance and the free exchange of ideas. That, together with an interest in providing a way to resolve disputes, is just what drove me to advocate for and articulate the Wikipedia's neutrality policy. I have confidence that if CAM's advocates are given an opportunity to air their views fully and sympathetically—not to say they should be allowed to make Wikipedia assert their views—and skeptics are also given free rein to report their explanation of why they think CAM is a load of crap, then a rational reader will be given the tools he or she needs to take a reasonable position about the matter.<br />
|Autor=Larry Sanger<br />
|Quelle=<br />
|ref=<ref name=":0" />}}Jimmy Wales antwortete auf die an ihn gerichtete Petition:<br />
{{Zitat<br />
|Text=No, you have to be kidding me. Every single person who signed this petition needs to go back to check their premises and think harder about what it means to be honest, factual, truthful.<br />
<br />
Wikipedia's policies around this kind of thing are exactly spot-on and correct. If you can get your work published in respectable scientific journals—that is to say, if you can produce evidence through replicable scientific experiments, then Wikipedia will cover it appropriately.<br />
<br />
What we won't do is pretend that the work of lunatic charlatans is the equivalent of "true scientific discourse." It isn't.<br />
|Autor=Jimmy Wales<br />
|Quelle=<br />
|ref=<ref name=":0" />}}<br />
<br />
===Citizendium===<br />
Citizendium hat einen Artikel zu integrativer Medizin, der allerdings seit 2011 nicht überarbeitet wurde.<ref>{{Cite web| title = Integrative medicine - Citizendium| work = Citizendium| accessdate = 2023-07-31| date = 2011| url = https://citizendium.org/wiki/Integrative_medicine}}</ref><br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*[[Liste von Onlineresourcen für Integrative Medizin]]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Onlinelexikon oder -enzyklopädie]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Integrative Medizin]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=%C3%96ldispersionsbad&diff=45914
Öldispersionsbad
2023-08-01T08:45:17Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>[[Datei:Öldispersionsbad mit badendem Menschen und Bürstenmassage.jpg|mini|Öldispersionsbad mit Bürstenmassage|verweis=Special:FilePath/Öldispersionsbad_mit_badendem_Menschen_und_Bürstenmassage.jpg]]<br />
[[Datei:Öldispersionsbad Befüllen mit Öl.JPG|mini|Befüllen eines Jungebadapparates mit Öl]]<br />
Das '''Öldispersionsbad''' (oder Jungebad) ist eine [[Bäderheilkunde|Badetherapie]] der [[Anthroposophische Medizin|anthroposophischen Medizin]]. Sie wurde von [[Werner Junge]] entwickelt, angeregt durch Äusserungen [[Rudolf Steiner|Rudolf Steiners]]. Durch rein [[Wikipedia:Physik|physikalische]] Prinzipien wird eine über mehrere Stunden stabile Mischung von Öl und Wasser erreicht. Das geschieht so, dass eine Verwirbelungsapparatur aus Glas vom einlaufenden Bade[[Wasser|wasser]] durchströmt wird. Durch die Birnenform des Glases bildet sich im Apparat ein [[wikipedia:Strudel_(Physik)|Wirbel]], in dessen Zentrum durch einen feinen Zulauf ein [[wikipedia:Öle|Öl]] eingesogen wird. Dieses zerstäubt in feinste Tröpfchen und bildet mit dem Wasser, mit dem es sich normalerweise nicht verbinden würde, eine [[Wikipedia:Dispersion (Chemie)|Dispersion]], die für die Zeit des Bades und auch eine gewisse Zeit darüber hinaus stabil erhalten bleibt. Öl und Wasser sind als solche ohne chemisch vermittelnden [[Wikipedia:Emulgator|Emulgator]] gemeinsam anwesend, wie Werner Junge hervorhob. <br />
<br />
Als Öle werden als Basis verschiedene Pflanzenöle wie Oliven- oder Leinöl eingesetzt, denen ätherische Öle oder andere Zusätze wie z.B. Metalle beigemischt werden. Häufig wird das Öldispersionsbad von eine*r Badetherapeut*in durchgeführt, der/die eine [[Öldispersionsbad#Bürstenmassage|Bürstenmassage]] durchführt. Die Temperatur des Badewassers soll etwa der Körperwärme entsprechen und weder einen Wärme- noch einen Kältereiz setzen. Im Anschluss an das Bad findet eine Nachruhe etwa von der Länge der Badezeit statt. In ein Baumwolltuch und (Woll-)Decken gehüllt wird eine Durchwärmung durch Anregung der Eigenwärme angestrebt. Das Öldispersionsbad wird ergänzend zu anderen therapeutischen Maßnahmen eingesetzt, insbesondere auch bei [[Chronische Erkrankungen|chronischen Erkrankungen]].<br />
<br />
==Geschichte==<br />
Das Öldispersionsbad wurde von [[Werner Junge]] 1937 als medizinische Therapie entwickelt. Basierend auf einem Hinweis von [[Rudolf Steiner]] zur Behandlung von Zuckerruhr ([[Wikipedia:Diabetes mellitus|Diabetes mellitus]]) ([[Geisteswissenschaft und Medizin|I. Medizinischer Kurs, 1920, Dornach]]) "über die Wirkung feinst zerstäubter Öle"<ref>{{LiteraturSteinerGA|Nummer=312|Titel=Geisteswissenschaft und Medizin|Seiten=286}}</ref>, entwarf er den ersten Öldispersionsbad-Apparat.<ref>{{Internetquelle |autor=Erika Boschan |url=https://www.oelundwasser.de/das-oeldispersionsbad/ |titel=Das Oeldispersionsbad |werk=Website des Internationalen Vereines für Öldispersionsbadetherapie |hrsg= |datum= |abruf=2020-11-09 |sprache=}}</ref> Der Name Öldispersionsbad geht auf den anthroposophischen Arzt [[Hans Klett]] zurück, der die Öl-Wasser-Mischung als Dispersion bezeichnete.<ref>{{Literatur |Autor=Franziska Junge |Titel=So entstand das Öldispersionsbad |Hrsg= |Sammelwerk=Merkurstab |Band=5 |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1990-09 |ISBN= |Seiten= |Online=https://www.firma-indruk.nl/pags/docs/22_entstehen_oldisp.pdf_2825.pdf}}</ref> Werner Junge arbeitete zeitlebens mit seiner Frau Franziska Junge in Bezug zum Öldispersionsbad. Er stellte die Öldispersionsbadetherapie auf vielen Reisen auch weltweit vor. 2001 haben sich die Badetherapeut*innen im [[Internationaler Verein für Öldispersionsbadetherapie nach Werner Junge e.V.|Internationalen Verein für Öldispersionsbadetherapie nach Werner Junge]] zusammengeschlossen.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.100jahrezukunft.de/anthro-medizin/historie/in-der-praxis/die-oeldiespersionsbadetherapie-entsteht |titel=Die Öldispersionsbadetherapie entsteht |werk=100 Jahre Zukunft |hrsg= |datum= |abruf=2020-11-09 |sprache=}}</ref><br />
<br />
==Durchführung==<br />
[[Datei:Jungebad Bürsten.JPG|mini|300x300px|Bürsten für das Öldispersionsbad|verweis=Special:FilePath/Jungebad_Bürsten.JPG]]<br />
In den Wasserzulauf der Wanne wird der Öldispersionsapparat eingebaut. Das einlaufende [[Wasser]] durchströmt eine birnenförmige Kammer durch deren Form ein [[Wikipedia:Strudel (Physik)|Wirbel]] entsteht. Eine [[Wikipedia:Pipette|Pipette]] verläuft von oben vom Ölbehälter in das Zentrum des Wirbels. Durch den dort entstehenden [[Wikipedia:Unterdruck|Unterdruck]] wird je nach Füllung des Ölbehältnisses entweder Luft oder Öl eingesaugt und vermischt sich so fein zerstäubt in kleinen Mengen mit dem Wasser. Das Wasser-Öl-Gemisch strömt trichterförmig aus dem Apparat in die Wanne.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Temperatur|Temperatur]] des Wassers soll etwa 0,5 - 1°C unter der Körperkerntemperatur der badenden Person liegen und sich weder warm noch kalt anfühlen. Nach den Einteilungen der Balneologie wird diese Temperatur von 34–36 °C als indifferent bezeichnet.<ref>{{Literatur |Autor=Walther J |Titel=Hydrotherapie |Hrsg= |Sammelwerk=Physikalische Medizin |Band=1 |Nummer= |Auflage= |Verlag=Hippokrates |Ort=Stuttgart |Datum=1990 |ISBN=3777308609 |Seiten=}} Zitiert nach Krüger & Warning 2014</ref> Es wird jedoch je nach Konstitution des zu Badenden darauf geachtet, dass die Wasserwärme als angenehm empfunden wird.<ref name=":0" /> Üblicherweise wird die Körpertemperatur vor und nach dem Bad gemessen.<br />
<br />
Das Bad erfolgt in der Regel unbekleidet.<br />
<br />
Wenn das Bad durch einen [[Therapeut|Therapeuten]] durchgeführt wird erfolgt eine Bürstenmassage mit einem spezifischen Ablauf von Bürstenstrichen.<br />
<br />
Nach dem Bad sollte eine [[Nachruhe]] von etwa der Länge des Bades stattfinden. Die gebadete Person wird dafür direkt nach dem Bad in ein großes Baumwolltuch und Wolldecken gehüllt, so dass eine Art feuchtwarmer [[Wickel|Ganzkörperwickel]] entsteht. <br />
<br />
Das Bad kann 1-3x pro Woche durchgeführt werden, ausnahmsweise auch häufiger. Auch Teilbäder sind möglich.<br />
<br />
===Öle===<br />
Das Öl hat in der Regel ein [[Wikipedia:Fettes Öl|fettes Basisöl]] wie [[Wikipedia:Olivenöl|Oliven-]], [[Wikipedia:Leinöl|Leinöl]] oder [[Wikipedia:Schwarzkümmel|Schwarzkümmelöl]] als Grundlage. Dieses kann [[Wikipedia:Extraktion (Verfahrenstechnik)|Pflanzenauszüge]] enthalten oder einen Zusatz von [[Wikipedia:Ätherische Öle|ätherischen Ölen]] oder weiteren Substanzen. Beispiele für [[Auszugsöl|Auszugsöle]] sind Calendula, Oxalis, oder [[Arnika]]. Ätherische Öle sind beispielsweise [[Lavendel]] oder [[Rosmarin]]. Als Beigaben finden sich z.B. Metalle wie [[Kupfer]] oder [[Gold]]. Pro Bad verwendet man ca. 5 ml Öl auf Olivenölbasis.<ref>{{Internetquelle |autor=Erika Boschan |url=https://www.erikaboschan.de/was-ist-ein-oeldispersionsbad/ |titel=Was ist das - ein Oeldispersionsbad? |werk=Wasser & Wort |hrsg= |datum= |abruf=2020-11-14 |sprache=de}}</ref> Die Wahl des Öls erfolgt nach [[Wikipedia:Krankheitsbild|Krankheitsbild]]. Eine schematische Zuordnung angelehnt an die [[Dreigliederung des menschlichen Organismus (Anthroposophische Medizin)|Dreigliederung]] ist: Wurzelöle stärken das [[Nerven-Sinnes-System]], Blütenöle fördern das [[Stoffwechsel-Gliedmaßen-System|Metabolische/Stoffwechsel-Gliedmaßen-System]], Samenölen wird eine Wirkung auf das [[Herz]] zugeschrieben und Fruchtöle werden empfohlen zur Förderung der [[Wikipedia:Zirkulation|Zirkulation]].<ref name=":1" /> Weitere Zuordnungen erfolgen nach [[Wikipedia:Erfahrungsmedizin|Erfahrung]] oder im Sinne einer [[Signaturenlehre|Signatur]] des Mittels.<br />
<br />
Unvollständige Liste von Basisölen: Olivenöl, Leinöl, Schwarzkümmelöl, Mandelöl.<br />
<br />
Unvollständige Liste von Ölen mit Zusatz ätherischer Öle: [[Arznei-Engelwurz|Angelika]], [[Lavendel]], [[Rosmarin]], [[Salbei]], [[Echter Thymian|Thymian]], [[Gaultheria Fragrantissima|Wintergrün]].<br />
<br />
Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn Öle Bestandteile wie z.B. Wollwachs oder zu große Partikel wie z.B. bei manchen Metallölen enthalten, die die Düse des Öldispersionsapparates verstopfen.<br />
<br />
===Bürstenmassage===<br />
[[Datei:Jungebad Bürstenmassage Hand.jpg|mini|Bürstenmassage der Hand]]<br />
Die [[Wikipedia:Bürstenmassage|Bürstenmassage]] erfolgt nach einem festen Muster typischerweise in zwei Sequenzen. Zunächst auf der Vorder-, dann in Bauchlage auf der Rückseite des Körpers. Sie beginnt an den Füßen, am [[Unterer Mensch (Anthroposophische Medizin)|unteren Menschen]] und geht zum [[Oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|oberen Menschen]] über.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Albrecht Warning, Markus Krüger |Titel=Das Öldispersionsbad nach Werner Junge |Hrsg= |Sammelwerk=Der Merkurstab |WerkErg=Zeitschrift für Anthroposophische Medizin |Band= |Nummer=2 (67) |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2014-03 |ISBN= |DOI=10.14271/DMS-20288-DE |Seiten=108-115}}</ref> Sie wurde von [[Werner Junge]] entwickelt aus Elementen der [[Wikipedia:Klassische Massage|klassischen Massage]] und der [[Rhythmische Massage|Rhythmischen Massage]] nach [[Ita Wegman|Wegman]]/[[Margarethe Hauschka|Hauschka]].<ref name=":0" /> Entsprechungen finden sich in der Kneipp'schen Bürstenmassage, unter anderem in der Bürstung in Richtung des Herzens.<ref name=":2" /><br />
<br />
===Nachruhe===<br />
Nach dem Bad sollte eine [[Nachruhe]] etwa in der Länge des Bades stattfinden. Die badende Person wird in ein Baumwolltuch und Wolldecken gehüllt, so dass eine Art feuchtwarmer [[Wikipedia:Ganzkörperwickel|Ganzkörperwickel]] stattfindet, der schlaffördernd wirkt.<ref name=":0" /> Ein straffes Anliegen der Umhüllung fördert die Wahrnehmung der Körpergrenzen.<ref name=":0" /> <br />
<br />
Es wird eine Vertiefung der Phase der Auseinandersetzung mit den aus dem Öl aufgenommenen Substanzen angestrebt.<ref name=":2" /> Die Nachruhe kann auch als Zeit gesehen werden, in der der Organismus eine Antwort auf den durch das Bad gesetzten Reiz bildet.<ref name=":0" /> Die Zeit der Nachruhe wird als wesentlicher Teil der Therapie angesehen.<ref name=":2">Mündliche Mitteilung während Öldispersionsbadetherapiekurs 2021, B. Motte, R. Schön</ref><br />
<br />
Während der [[Nachruhe]] kommt es häufig zu einem reaktiven Anstieg der Körpertemperatur. Es sollte sich in der Ruhepackung weder kühl anfühlen, noch sollte die Person schwitzen. Je nach Person und Öl kann es sein, dass die gebadete Person einen Teil oder die ganze Nachruhe schläft.<br />
<br />
==Öldispersionsbadeapparat==<br />
[[Datei:Öldispersionsbadeapparat.JPG|mini|Öldispersionsapparat]]<br />
Der Öldispersionsbadeapparat ist ein birnenförmiges Glasgerät, das einströmendes Wasser verwirbelt und an der Stelle der höchsten Drehgeschwindigkeit des [[Wikipedia:Wirbel|Wirbels]] ein aus einer eingefügten [[Wikipedia:Pipette|Pipette]] hereingesaugtes [[Wikipedia:Öl|Öl]] tröpfchenweise dem ausstrahlenden Wasser zufügt. Diese Entwicklung ergab sich als Synthese verschiedener Ideen, die sich [[Werner Junge]] gebildet hatte aus seinen eigenen Beobachtungen und Forschungen, anhand der Kenntnis der Angaben [[Rudolf Steiner|Rudolf Steiners]] und der naturwissenschaftlichen Schriften [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethes]].<ref>{{Literatur |Autor=Dr. Albrecht Warning |Titel=Das Öldispersionsbad nach Werner Junge<br />
eine Hydrotherapie als Körpertherapie der Anthroposophischen Medizin.<br />
Als Chronik verfasst im Sommer 2016. |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2016 |ISBN= |Seiten=}}</ref> Hierbei spielten Beschäftigungen mit der Natur des Wassers und dessen [[wikipedia:Wirbel (Strömungslehre)|Wirbeln]], der [[Wikipedia:Lemniskate|Lemniskate]] und der [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektiven Geometrie]]([[Anthrowiki:Projektive Geometrie|anthrowiki]]) eine Rolle.<br />
<br />
Der Vertrieb des Jungebadapparates erfolgt über die Firma [[Wala]]. Auch Wandil bietet einen ähnlichen Apparat für das Öldispersionsbad an.<br />
==Studien==<br />
<br />
*Eine systematische Literaturübersicht von 2008<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Arndt Büssing, Dirk Cysarz, Friedrich Edelhäuser, Gudrun Bornhöft, Peter F. Matthiessen, Thomas Ostermann |Titel=The oil-dispersion bath in anthroposophic medicine--an integrative review |Hrsg= |Sammelwerk=BMC complementary and alternative medicine |Band=8 |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2008-12-04 |ISBN= |ISSN=1472-6882 |DOI=10.1186/1472-6882-8-61 |PMC=2612644 |PMID=19055811 |Seiten=61}}</ref> fand eine geringe Zahl von Studien (1 prospektive klinische Studie, 3 experimentelle Studien mit gesunden Probanden, 5 Fallberichte und 3 Erfahrungsberichte). Die Studien beschrieben in fast allen Fällen Besserung, wobei die methodologische Qualität der meisten Studien schwach war. Die Hauptindikationen waren metabolisch/internistisch, sowie psychiatrisch/neurologisch.<br />
*Eine Untersuchung zeigte Hinweise auf eine vermehrte Aufnahme von Inhaltsstoffen im Öldispersionsbad im Vergleich mit anderen Badeverfahren.<ref>{{Literatur |Autor=Römmelt H. |Titel=Perkutane Resorption ätherischer Öle während eines Öldispersionsbades |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort=München: Institut für medizinische Balneologie und Klimatologie der Universität München |Datum=1981 |ISBN= |Seiten= |Kommentar=Briefliche Mitteilung an Werner Junge vom 14.7.1981}}</ref><br />
<br />
====Physikalische Grundlagen====<br />
<br />
*2016 erfolgte eine Untersuchung mit Hochgeschwindigkeitskamera zur Art der Tröpfchenbildung am Öldispersionsbadeapparat. Die Tröpfchengröße nimmt bei höheren Flussgeschwindigkeiten eher zu. Ein Maximum liegt bei etwa 10µm bei 5l/min und etwa 15µm bei 10l/min.<ref>{{Literatur| DOI = 10.1002/pamm.201610288| Band = 16| Seiten = 599-600| Autor=Ann Höffmann, Peter Lakshmanan, Peter Ehrhard, Thomas Ostermann| Titel = The Jungebad apparatus for the production of oil-dispersion baths: The Jungebad apparatus| Sammelwerk = PAMM| Datum = 2016-10-01}}</ref><br />
*Eine Studie untersuchte 2018, dass die Tröpfchengröße bei 5l/min minimal ist. Im Vergleich mit einem manuellen Prozess erzeugte der Jungebadapparat konsistent eine ähnliche Tröpfchenverteilung.<ref>{{Literatur| DOI = 10.1016/j.ctim.2018.09.014| Band = 41| Autor=A. Höffmann, P. Lakshmanan, C. Hollmann, Thomas Ostermann| Titel = An experimental study on oil-dispersion baths generated by the Jungebad apparatus| Sammelwerk = Complementary Therapies in Medicine| Datum = 2018-09-01}}</ref><br />
*Eine Arbeit von 2011 untersuchte Tröpfchengrößen nicht beim Öldispersionsbad, sondern bei Ölbadeemulsionen.<ref>{{Literatur| Autor=Daniel Krüerke, Esther Gruber, Konrad Urech, Armin Alles, Clifford Kunz| Titel = Development of rosemary emulsions for balneological diabetes treatment| Datum = 2011-09-14|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|Seiten=|Sprache=en|Online=https://www.researchgate.net/publication/324648216_Development_of_rosemary_emulsions_for_balneological_diabetes_treatment}}</ref><ref>{{Literatur| Band = 64| Autor=Daniel Krüerke, E Gruber, Konrad Urech, A Alles, C Kunz| Titel = 6 {{!}} Development of rosemary emulsions for balneological diabetes treatment| Datum = 2011-11-01|Hrsg=|Sammelwerk=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|Seiten=|Sprache=en|Online=https://www.anthromedics.org/DMS-19889-DE}}</ref><br />
<br />
==Organisation==<br />
Die Öldispersionsbadetherapeut:innen sind im [[Internationaler Verein für Öldispersionsbadetherapie nach Werner Junge e.V.|Internationalen Verein für Öldispersionsbadetherapie nach Werner Junge e.V.]] organisiert. Zudem in der [[Internationale Gesellschaft für Anthroposophische Körpertherapie (IAABT)|Internationalen Gesellschaft für Anthroposophische Körpertherapie (IAABT)]].<br />
<br />
==Links==<br />
<br />
*[[Internationaler Verein für Öldispersionsbadetherapie nach Werner Junge e.V.]] - [https://www.oelundwasser.de/ Website]<br />
*[[Internationale Gesellschaft für Anthroposophische Körpertherapie (IAABT)|Internationale Gesellschaft für Anthroposophische Körpertherapie (IAABT)]] - [https://www.iaabt-medsektion.net/ Website].<br />
*[https://www.damid.de/verstehen/therapien/oelbadetherapie.html Öldispersionsbadetherapie] auf der Website des [[Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD)]]<br />
*Anleitungen zur Durchführung von Öldispersionsbädern finden sich im [[Pflegevademecum]]: <br />
**[https://www.pflege-vademecum.de/odbformica.php Öldispersionsbad mit Formica-Öl 5%]<br />
**[https://www.pflege-vademecum.de/odb-grl-oel.php Öldispersionsbad mit Gold-Rose-Lavendel]<br />
**[https://www.pflege-vademecum.de/odb-lavendel.php Öldispersionsbad mit Lavendelöl]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
[[Kategorie:Balneologie]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Körpertherapie]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Badetherapie]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=%C3%84ther&diff=45913
Äther
2023-08-01T08:44:57Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>Der '''Äther''' ist ein Begriff, der gegenwärtig in der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]] verwendet und auch als das Ätherische bezeichnet wird. Der Begriff ist alt und in wird in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Es bildet ebenso wie die [[physische Welt]] eine Ebene der Weltgesetzmäßigkeit, die die sichtbare Welt durchdringt und in ihr wirksam ist, aber nicht selber sichtbar, sondern in ihrer eigentlichen Wesenheit nur [[Wikipedia:Übersinnliche Wahrnehmung|übersinnlicher Wahrnehmung]] zugänglich sei. Lebende Wesen würden aus diesem allgemeinen Ätherischen einen Teil als [[Ätherleib]] abgliedern, der grundlegend für die [[Leben|Lebensprozesse]] der Organismen sei.<br />
<br />
Das Ätherische wird in Bezug zur [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektiven Geometrie]] im Gegensatz zum Raum auch als Gegenraum beschrieben, ausgehend von der unendlichen fernen Ebene als Ebenenraum, im Gegensatz zum vom Punkt ausgehenden üblichen Raum.<br />
<br />
Der Arzt [[Ernst Marti]] beschäftigte sich umfangreich mit der Frage des Ätherischen. Er betonte die Unterscheidung von Ätherarten und Bildekräften.<ref>{{Forschungsstelle Kulturimpuls|445|Ernst Marti|Michael Toepell}}</ref><br />
<br />
===Ätherarten===<br />
Das Ätherische wird untergliedert in vier Ätherarten, die in Beziehung gesehen werden zu den [[Vier-Elemente-Lehre|vier Elementen]]:<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Elemente und Ätherarten<br />
!Element<br />
!Äther<br />
|-<br />
|[[Wärme]]<br />
|Wärmeäther<br />
|-<br />
|[[Luft]]<br />
|Lichtäther<br />
|-<br />
|[[Wasser]]<br />
|Chemischer Äther<br />
|-<br />
|[[Erde (Element)|Erde]]<br />
|Lebensäther<br />
|}<br />
<br />
===Bezug zum Menschen===<br />
Die Anthroposophie beschreibt eine [[Wikipedia:Physiologie|Physiologie]] der verschiedenen Elemente, so z.B. des [[Physiologie des Lichts (Anthroposophische Medizin)|Lichts]].<br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*[[Viergliederung|Viergliederung des Menschen]]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Grundkonzept der Anthroposophischen Medizin]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Viergliederung]]<br />
[[Kategorie:Äther]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Werner_Junge&diff=45912
Werner Junge
2023-08-01T08:37:05Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>'''Werner Paul Friedrich Junge''' (* 31. März 1912<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Schlagzeilen - 100. Geburtstag Werner Junge |Hrsg=Therapeutenverband für Öldispersionsbäder |Sammelwerk=Ölbadebote |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2011-11-04 |ISBN= |Seiten= |Online=[https://s514845ba379d32ca.jimcontent.com/download/version/1590567392/module/6167028976/name/Oelbadebote%2004_November%202011.pdf]}}</ref> in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]]<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Florian Junge |Titel=Werner Junge - ein Streifzug durch seine Biographie |Hrsg=Verein für Öldispersionsbadetherapie nach Werner Junge |Sammelwerk=Zum Öldispersionsbad - Eine Jubiläumsschrift anlässlich des 100. Geburtstags von Werner Junge |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum= |ISBN= |Seiten=6-9}}</ref>; † 13. Dezember 1998<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.oelundwasser.de/das-oeldispersionsbad/zur-geschichte/ |titel=Zur Geschichte des Oeldispersionsbades |werk=Website des internationalen Vereins für Öldispersionsbadetherapie |hrsg= |datum= |abruf=2020-11-09 |sprache=de|offline=1|archiv-url=https://web.archive.org/web/20201204103023/https://www.oelundwasser.de/das-oeldispersionsbad/zur-geschichte/}}</ref> in [[Wikipedia:Birenbach|Birenbach]]<ref name=":0" />) war [[Wikipedia:Masseur und medizinischer Bademeister|medizinischer Bademeister]] und Entwickler des nach ihm benannten Junge- oder [[Öldispersionsbad|Öldispersionsbades]]. Nach Begegnung mit einer an Aktinomykose erkrankten Patientin entwickelte er inspiriert durch Anregungen [[Rudolf Steiner|Rudolf Steiners]] eine Badetherapie, in der Öl und Wasser rein physikalisch mittels eines aus Glas geblasenen Apparates, in dem ein Wirbel entsteht, vermischt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Franziska Junge |Titel=So entstand das Öldispersionsbad |Hrsg= |Sammelwerk=Der Merkurstab |Band= |Nummer=5 |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=1990-09 |ISBN= |Seiten= |Online=[https://www.firma-indruk.nl/pags/docs/22_entstehen_oldisp.pdf_2825.pdf]}}</ref><br />
<br />
==Biographie==<br />
Werner Junge wurde am Palmsonntag den 31. März 1912 in Berlin als Sohn von Emma und Paul Junge geboren. 1916 fällt der Vater in Russland. Nach einem körperlichen Zusammenbruch der Mutter wächst er zwei Jahre bei Verwandten auf. Nach Abschluss der Volksschule beginnt er 1926 eine Lehre als Maschinenschlosser bei der [[Wikipedia:AEG|AEG]] in Berlin, die er wegen sehr guter Leistungen früher und mit Auszeichnung in der Gesellenprüfung beendet. Er wird daraufhin als Geselle im Dampfturbinenbau eingesetzt.<ref name=":0" /><br />
<br />
Der Beginn der Öldispersionsbadetherapie war 1937 die Vorstellung einer dreißigjährige Patientin, die an zervikofazialer [[Wikipedia:Aktinomykose|Aktinomykose]] lebensgefährlich erkrankt war. Sie war aus der stationären chirurgischen Behandlung entlassen worden, da sie weitere chirurgische Eingriffe ablehnte. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen. Auf der Suche nach therapeutischen Möglichkeiten fand Werner Junge eine Angabe Rudolf Steiners<ref>"Das können wir wohl am besten dadurch, daß wir versuchen, fein zerstäubtes Öl im Bade zu verarbeiten und den Menschen zu behandeln mit den Ölbädern." Rudolf Steiner{{GZ||312|286}}</ref> zur Verwendung fein zerstäubter Öle im Bad. In der Hoffnung, das [[Ich]] der Patientin bei Apathie zu stärken wurden Ölbäder durchgeführt. Die Patientin fasste neuen Lebensmut und nach einigen Wochen mit fortgeführten Bädern kam es auch zur vollständigen Ausheilung der körperlichen Erkrankung.<ref>{{Literatur |Autor=Werner Junge |Titel=Das Öldispersionsbad |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort=Birenbach |Datum=1981-08-15 |ISBN= |Seiten=}}</ref><br />
<br />
==Öldispersionsbadetherapie==<br />
<br />
===Öldispersionsbadeapparat===<br />
[[Datei:Öldispersionsbadeapparat.JPG|mini|Öldispersionsbadeapparat]]<br />
Der Öldispersionsbadeapparat ist ein birnenartiges Glasgerät, das einströmendes Wasser verwirbelt und an der Stelle der höchsten Drehgeschwindigkeit des Wirbels ein aus einer eingefügten Pipette hereingesaugtes Öl tröpfchenweise dem ausstrahlenden Wasser zufügt. Diese Entwicklung ergab sich als Synthese verschiedener Ideen, die sich Werner Junge gebildet hatte aus seinen eigenen Beobachtungen und Forschungen, anhand der Kenntnis der Angaben Rudolf Steiners und der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes.<ref>{{Literatur |Autor=Dr. Albrecht Warning |Titel=Das Öldispersionsbad nach Werner Junge<br />
eine Hydrotherapie als Körpertherapie der Anthroposophischen Medizin.<br />
Als Chronik verfasst im Sommer 2016. |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2016 |ISBN= |Seiten=}}</ref> Hierbei spielten Beschäftigungen mit der Natur des Wassers und dessen [[Wikipedia:Wirbel (Strömungslehre)|Wirbeln]], der [[Wikipedia:Lemniskate|Lemniskate]] und der [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektiven Geometrie]]([[Anthrowiki:Projektive Geometrie|anthrowiki]]) eine Rolle. <br />
<br />
===Bürstenmassage===<br />
Werner Junge konzipierte das Öldispersionsbad anfangs als Ruhebad. Unter dem Eindruck einer ungenügenden Ölaufnahme begann er nach ca. 5 min der Ruhe mit einer Bürstenmassage der Haut. Diese Prozedur leitete er aus seiner Kenntnis der [[Wikipedia:Massage#Klassische Massage|klassischen Massage]] und der [[Rhythmische Massage|Rhythmischen Massage]] nach [[Ita Wegman|Wegman]]/Hauschka ab.<ref>{{Literatur |Autor=Albrecht Warning, Markus Krüger |Titel=Das Öldispersionsbad nach Werner Junge |Hrsg= |Sammelwerk=Der Merkurstab |WerkErg=Zeitschrift für Anthroposophische Medizin |Band= |Nummer=2 (67) |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2014-03 |ISBN= |DOI=10.14271/DMS-20288-DE |Seiten=108-115}}</ref><br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
[[Kategorie:Anthroposoph:in]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
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Umstülpung
2023-08-01T08:32:19Z
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<hr />
<div>'''Umstülpung''' bezeichnet eine Wendung des Inneren nach außen und umgekehrt. In der [[Anthroposophische Medizin|anthroposophischen Medizin]] werden verschiedene Umstülpungsprozesse beschrieben.<br />
<br />
===Beispiele für Umstülpungen===<br />
<br />
====Menschliche Gestalt, oberer und unterer Mensch ([[Anthroposophische Medizin]])====<br />
Der [[Oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|obere]] und der [[Unterer und oberer Mensch (Anthroposophische Medizin)|untere]] Mensch stehen morphologisch in einem inversen Verhältnis. Am Kopf sind die Knochen eher außen und die Organe innen, während der untere Mensch, insbesondere die Gliedmaßen, die Knochen eher innen hat. Der mittlere Teil des Menschen, das [[Rhythmisches System|rhythmische System]] steht dazwischen. Die Rippen haben eher umhüllenden Charakter, während die Knochenstruktur der Wirbelsäule gliedmaßenartig innen liegt.<br />
<br />
====Umstülpung geometrischer Körper====<br />
[[Datei:Oloid ani.gif|mini|Oloid]]<br />
[[Datei:UMSTÜLP.jpg|mini|Gliederkette des Würfels zur Umstülpung nach [[Wikipedia:Paul Schatz|Paul Schatz]]]]<br />
[[Wikipedia:Paul Schatz|Paul Schatz]] entwickelte die Inversion am [[Wikipedia:Würfel|Würfel]]. Eine Gliederkette des Würfels vollzieht eine regelhafte Umstülpungsbewegung, bei der eine Diagonale die Oberfläche eines [[Wikipedia:Oloid|Oloids]] überstreicht. Diese Umstülpung lässt sich auch auf andere geometrische Körper übertragen. Paul Schatz bezeichnete diese Verallgemeinerung als Inversionskinematik.<br />
<br />
====Raum und Gegenraum====<br />
Rudolf Steiner beschreibt den [[Gegenraum]] in Bezug auf die [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektive Geometrie]] als eine Umstülpung des [[Wikipedia:Euklidischer Raum|euklidischen Raums]].<br />
<br />
===Siehe auch===<br />
<br />
*Artikel [[anthrowiki:Gegenraum|Gegenraum]], Oloid und [[anthrowiki:Paul_Schatz|Paul Schatz]] auf [[Anthrowiki]].<br />
*Artikel [[Wikipedia:Umstülpbarer Würfel|Umstülpbarer Würfel]] bei [[Wikipedia]].<br />
<br />
[[Kategorie:Mathematik]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Geometrie]]<br />
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Louis Locher-Ernst
2023-08-01T07:45:35Z
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<hr />
<div>'''Louis Locher-Ernst''' (1906-1962) war Mathematiker und [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposoph]]. Ein Schwerpunktthema war die [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektive Geometrie]] und Beschäftigung mit dem [[Gegenraum]] und dem [[Äther|Ätherischen]].<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* {{Literatur| Auflage = 2., durchges. Aufl| Verlag = Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum| ISBN = 3-7235-0078-1| Autor=Louis Locher-Ernst| Titel = Raum und Gegenraum. Einführung in die neuere Geometrie| Ort = Dornach| Sprache = de| Datum = 1970}}<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
* {{Forschungsstelle Kulturimpuls|392|Louis Locher-Ernst|}}{{Normdaten|TYP=p|VIAF=95197611}}<br />
[[Kategorie:Anthroposoph:in]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
[[Kategorie:Mathematiker]]<br />
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George Adams
2023-08-01T07:19:09Z
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<hr />
<div>'''George Adams''', eigentlich ''George von Kaufmann'' (* [[Wikipedia:8. Februar|8. Februar]] [[Wikipedia:1894|1894]] in [[Wikipedia:Marijampolė|Marijampolė]], [[Wikipedia:Russisches Kaiserreich|Russisches Kaiserreich]]; † [[Wikipedia:30. März|30. März]] [[Wikipedia:1963|1963]] in [[Wikipedia:Birmingham|Birmingham]]) war ein [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|britischer]] [[Wikipedia:Mathematiker|Mathematiker]] und [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposoph]].<br />
<br />
==Leben==<br />
George Adams wurde als Sohn des australisch-deutschen Industriellen ''Georg von Kaufmann'' und der Engländerin ''Mary Adams'' im damals russischen Mariampolé in Litauen geboren. Er studierte zwischen 1912 und 1918 Chemie (B.A.) und Mathematik (M.A.) an der [[Wikipedia:University of Cambridge|University of Cambridge]]; dabei beschäftigte er sich intensiv mit den Werken [[Wikipedia:Alfred North Whitehead|Whiteheads]] und [[Wikipedia:Bertrand Russell|Russells]].<br />
<br />
1914 lernte er die Anthroposophie [[Rudolf Steiner]]s kennen; er wirkte bei dessen Vorträgen in England als [[Wikipedia:Dolmetscher|Dolmetscher]] und übersetzte später zahlreiche Werke Steiners ins Englische. 1916 trat er der [[Wikipedia:Anthroposophische Gesellschaft|Anthroposophischen Gesellschaft]] bei. Seine eigenen Arbeiten beschäftigen sich mit Fragestellungen des [[Goetheanismus]], etwa mit der [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektiven Geometrie]] (auch als einer Verständnisgrundlage des [[Äther|Ätherischen]]), nach 1935 teils zusammen mit seiner Mitarbeiterin Olive Whicher.<br />
<br />
1939 meldete er sich in London freiwillig zum Kriegsdienst und wurde zunächst als Dolmetscher in einem Gefangenenlager eingesetzt, jedoch nach einem halben Jahr entlassen. Nachdem seine deutschen Beziehungen kritisch geprüft wurden, nannte er sich ab 1940 ''George Adams''. Bis Kriegsende diente er darauf weiter als Abhörer beim [[BBC Monitoring]] und im Luftschutz.<br />
<br />
Er starb bei einer befreundeten Familie im Birminghamer Stadtteil [[Edgbaston]], knapp vier Jahre nach einem schweren [[Wikipedia:Myokardinfarkt|Herzinfarkt]].<br />
<br />
==Werke==<br />
<br />
*''Fruits of Anthroposophy'', London 1922<br />
*''Christ and the Earth'', London 1927<br />
*''Synthetische Geometrie, Goethesche Metamorphosenlehre und Mathematische Physik''. In: ''Mathesis'', Stuttgart 1931<br />
*''The Anthroposophical Movement'', London 1932<br />
*''Von dem ätherischen Raum''. In: ''Natura'', 6. Jg., Heft 5/6, 1933<br />
**Buchausgabe: Freies Geistesleben (Studien und Versuche 6), Stuttgart 1964; 2. A. 1981, ISBN 3-7725-0036-6<br />
*''Space and the Light of the Creation. A new Essay in Cosmic Theory'', London 1933<br />
*''Strahlende Weltgestaltung. Synthetische Geometrie in geisteswissenschaftlicher Beleuchtung''. Philosophisch-Anthroposophischer Verlag, Dornach 1934; 2. A. ebd. 1965, ISBN 3-7235-0002-1<br />
*''Christ in the Power of Memory and the Power of Love'', East Grinstead 1938<br />
*''The Mysteries of the Rose-Cross'', East Grinstead 1955; London 1989<br />
**Beide Titel auf deutsch als: ''Das Rosenkreuzertum als Mysterium der Trinität''. Freies Geistesleben (Anregungen zur anthroposophischen Arbeit 9), Stuttgart 1981; 2. A. 1994, ISBN 3-7725-1498-7<br />
*''Physical and Ethereal Spaces'', London 1965; 1978<br />
*''Universalkräfte in der Mechanik. Vektoren in Raum und Gegenraum. Urraumschrauben''. Mathematisch-Physikalisches Institut, Dornach 1973<br />
**englische Ausgabe: ''Universal Forces in Mechanics'', London 1977<br />
***überarbeitete Neuausgabe: ''Universalkräfte in der Mechanik. Perspektiven einer anthroposophisch erweiterten mathematischen Physik''. Verlag am Goetheanum (Mathematisch-Astronomische Blätter 20), Dornach 1996, ISBN 3-7235-0953-3<br />
*''Grundfragen der Naturwissenschaft. Aufsätze zu einer Wissenschaft des Ätherischen''. Freies Geistesleben (Beiträge zur Anthroposophie 5), Stuttgart 1979, ISBN 3-7725-0405-1<br />
*''Lemniskatische Regelflächen. Eine anschauliche Einführung in die Liniengeometrie und Imaginärtheorie''. Verlag am Goetheanum (Mathematisch-Astronomische Blätter 14), Dornach 1989, ISBN 3-7235-0514-7<br />
<br />
Zusammen mit Olive Whicher:<br />
<br />
*''The Living Plant and the Science of Physical and Ethereal Space'', Stourbridge 1949<br />
*''The Plant between Sun and Earth'', Clent 1952; London 1980<br />
**deutsch überarbeitet in einem Band als: ''Die Pflanze in Raum und Gegenraum. Elemente einer neuen Morphologie''. Freies Geistesleben, Stuttgart 1960; 2. erg. A. ebd. 1979, ISBN 3-7725-0450-7<br />
*''Pflanze, Sonne, Erde'' (Kunstmappe mit Text und 24 Zeichnungen). Freies Geistesleben, Stuttgart 1963<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*Olive Whicher: ''George Adams. Ein Geistsucher in unserer Zeit''. Philosophisch-Anthroposophischer Verlag, Dornach 1973<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*{{DNB-Portal|127707204|NAME=George Adams}}<br />
*[http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=16 Biographischer Eintrag] in der Online-Dokumentation der anthroposophischen ''Forschungsstelle Kulturimpuls'' von [[Renatus Ziegler]]<br />
*Paull, John (2011) [http://orgprints.org/18835/1/Paull2011OxfordEJES.pdf Rudolf Steiner and the Oxford Conference: The Birth of Waldorf Education in Britain]. European Journal of Educational Studies, 3(1): 53–66.<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=p|GND=127707204|LCCN=n82099871|VIAF=57643685}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Adams, George}}<br />
[[Kategorie:Autor]]<br />
[[Kategorie:Übersetzer aus dem Deutschen]]<br />
[[Kategorie:Übersetzer ins Englische]]<br />
[[Kategorie:Anthroposoph:in]]<br />
[[Kategorie:Brite]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1894]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1963]]<br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
<br />
{{Personendaten<br />
|NAME=Adams, George<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Kaufmann, George von (wirklicher Name)<br />
|KURZBESCHREIBUNG=britischer Mathematiker und Anthroposoph<br />
|GEBURTSDATUM=8. Februar 1894<br />
|GEBURTSORT=[[Wikipedia:Marijampolė|Marijampolė]], [[Wikipedia:Russisches Kaiserreich|Russisches Kaiserreich]]<br />
|STERBEDATUM=30. März 1963<br />
|STERBEORT=[[Wikipedia:Birmingham|Birmingham]], Vereinigtes Königreich<br />
}}<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Gegenraum&diff=45908
Gegenraum
2023-08-01T07:15:49Z
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<hr />
<div>Der '''Gegenraum''' ist ein Konzept der [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposophie]] und [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]]. [[Rudolf Steiner]] entwirft in Entsprechung zu Vorstellungen der [[Wikipedia:Projektive Geometrie|projektiven Geometrie]] einen zum [[Wikipedia:Euklidischer Raum|euklidischen Raum]] komplementären Gegenraum. Dieser wird in Beziehung zum [[Äther|Ätherischen]] gesehen und ergäbe zusammen mit dem Raum einen vollständigen Raumbegriff. Der euklidische Raum entspricht den vom Punkt ausgehenden, der Gegenraum Kräften, die vom Umkreis urständen. Raum und Gegenraum ließen sich ineinander [[Umstülpung|umstülpen]]. <br />
<br />
==Umkreis bei Rudolf Steiner==<br />
{{Zitat<br />
|Text=Sie sehen, wir kommen hier dazu, den Raum überwinden zu müssen. Es ist durchaus notwendig. Sie werden sehen, wenn Sie wirklich gewissenhaft vorgehen im Begreifen der Erscheinungen, daß Sie nicht auskommen mit den bloßen dreidimensionalen Raumvorstellungen. Sie müssen das Zusammenwirken ins Auge fassen zwischen einem Raum, der die drei gewöhnlichen Dimensionen hat und den Sie sich ideell vorstellen können als von einem Mittelpunkt radial auslaufend, und einem anderen Raum, der diesen dreidimensionalen Raum fortwährend vernichtet, und der nun nicht von einem Punkte ausgehend gedacht werden darf, sondern der ausgehend gedacht werden muß von der in unbegrenzter Weite liegenden Sphäre; wobei also der Punkt das eine Mal den Flächeninhalt Null hat und das andere Mal den Flächeninhalt einer unermeßlich großen Kugelfläche. Wir müssen also unterscheiden zwischen zweierlei Punkten: zwischen einem Punkt, der den Flächeninhalt Null hat, den er nach außen wendet, und einem Punkt, der den Flächeninhalt einer unbegrenzt großen Kugelfläche hat, den er nach innen wendet. Im rein Geometrischen genügt es, wenn wir uns den abstrakten Punkt vorstellen. Im Reiche der Wirklichkeit genügt das nicht. Wir kommen nicht zurecht, wenn wir uns den bloß abstrakten Punkt vorstellen. Da müssen wir überall fragen, ob der Punkt, den wir uns vorstellen, nach innen oder nach außen gekrümmt ist, denn danach richtet sich sein Wirkungsfeld.<br />
|Autor=<br />
|Quelle={{LiteraturSteinerGA|Nummer=323|Titel=Dritter naturwissenschaftlicher Kurs: Himmelskunde in Beziehung zum Menschen und zur Menschenkunde|Seiten=281ff}}<br />
|ref=}}{{Zitat<br />
|Text=In dieser Welt gilt nicht das Gesetz der Anziehungskraft der Erde, sondern im Gegenteil, es tritt eine Kraft auf, die nicht von dem Mittelpunkt der Erde nach auswärts wirkt, sondern umgekehrt so, daß ihre Richtung von dem Umkreis des Weltalls her nach dem Mittelpunkt der Erde geht. Und entsprechend ist es mit den andern Kräften der physischen Welt.<br />
|Autor=<br />
|Quelle={{LiteraturSteinerGA|Nummer=27|Titel=Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen|Seiten=10f.}}<br />
|ref=}}<br />
{{Zitat<br />
|Text=Sieht man einen Stoff oder Vorgang als Leben sich entfalten, so muß man sich vorstellen, er entziehe sich den Kräften, die wie vom Mittelpunkte der Erde auf ihn wirken, und er komme in den Bereich von anderen, die keinen Mittelpunkt, sondern einen Umkreis haben.<br />
|Autor=<br />
|Quelle={{LiteraturSteinerGA|Nummer=27|Titel=Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen|Seiten=27f.}}<br />
|ref=}}<br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*[[Umstülpung]]<br />
*[[Projektive Geometrie]]<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*{{Literatur| Band = 75| Seiten = 12| Autor=Oliver Conradt| Titel = Der Begriff des Gegenraumes| Sammelwerk = ELEMENTE DER NATURWISSENSCHAFT| Sprache = de| Datum = 2001-02|Hrsg=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|Online=https://mas.goetheanum.org/fileadmin/mas/downloads/Mitarbeitende/ConradtOliver/gegenraum.pdf}}<br />
*{{Literatur| Seiten = 24-28| Autor=Charles Gunn| Titel = Raum und Gegenraum| Sammelwerk = Mensch+Architektur| Datum = 2014-09-01|Hrsg=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|Online=https://www.researchgate.net/publication/308889755_Raum_und_Gegenraum}}<br />
*{{Literatur| Auflage = 2., durchges. Aufl| Verlag = Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum| ISBN = 3-7235-0078-1| Autor=[[Louis Locher-Ernst]]| Titel = Raum und Gegenraum. Einführung in die neuere Geometrie| Ort = Dornach| Sprache = de| Datum = 1970|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Seiten=}}<br />
<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Mathematik]]<br />
[[Kategorie:Grundkonzept der Anthroposophischen Medizin]]<br />
[[Kategorie:Geometrie]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
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Integrative Medizin
2023-07-28T07:43:21Z
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<hr />
<div>'''Integrative Medizin''' beschreibt eine medizinische Richtung, „die die Bedeutung der Beziehung zwischen [[Arzt]] und [[Wikipedia:Patient|Patient]] betont, sich auf die ganze Person fokussiert, auf [[Evidenz]] stützt und alle relevanten therapeutischen Möglichkeiten, [[Wikipedia:Gesundheitsberuf|Gesundheitsberufe]] und -disziplinen nutzt, um optimale [[Gesundheit]] und [[Wikipedia:Heilung|Heilung]] zu erreichen.“ wie es das [[Consortium of Academic Health Centers for Integrative Medicine]] 2004 formulierte.<ref name=":0">{{Internetquelle|abruf=2019-11-06|url=https://imconsortium.org/about/introduction/|titel=DEFINITION OF INTEGRATIVE MEDICINE AND HEALTH|werk=Academic Consortium for Integrative Medicine & Health website}}</ref><ref>{{Internetquelle|url=https://www.uni-wh.de/gesundheit/department-fuer-humanmedizin/lehrstuehle-institute-und-zentren/institut-fuer-integrative-medizin-ifim/|abruf=2019-11-25|titel=Institut für Integrative Medizin (IfIM)}}</ref><br />
<br />
Ein Grundmotiv ist die Zusammenführung ("Integration") unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen, Heilmethoden, Maßnahmen als Komponenten eines Behandlungs-Gesamtkonzeptes.<ref>{{Internetquelle|titel=Integrative Medizin|url=https://marjorie-wiki.de/wiki/Integrative_Medizin|abruf=2019-11-27|werk=Marjorie-Wiki}}</ref> Hierbei können Ansätze unterschiedlicher [[Wikipedia:Paradigma|Paradigmen]], solcher der [[Konventionelle Medizin|konventionellen]] ([[Schulmedizin]]), [[Traditionelle Medizin|traditionelle]] oder [[Komplementärmedizin|komplementärmedizinische]] eingesetzt werden,<ref name=":5">{{Internetquelle| autor=Denise Millstine| titel = Übersicht über die Integrative, Komplementär- und Alternativmedizin - Spezialthemen| sprache = de-DE| datum = 2021-11| url = https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/spezialthemen/integrative-komplement%C3%A4r-und-alternativmedizin/%C3%BCbersicht-%C3%BCber-die-itnegrative-komplement%C3%A4r-und-alternativmedizin| abruf = 2023-06-23| werk = MSD Manual Ausgabe für Patienten}}</ref> mit einem Fokus auf solche, für die wissenschaftliche Untersuchungen und [[Wirksamkeitsnachweis|Wirksamkeitsnachweise]] vorliegen ([[Evidenz]]). Sie umfasst [[Pathogenese|pathogenetisch]] und [[Salutogenese|salutogenetisch]] orientierte Therapiemethoden.<ref>{{Literatur| Autor=Hufelandgesellschaft e.V.| Titel = HINTERGRUNDPAPIER Integrative Medizin| Ort = Berlin| Abruf = 2023-06-23| Sprache = de| Datum = 2018-03-26| Online = https://www.hufelandgesellschaft.de/fileadmin/Dokumente/Hufelandgesellschaft_Hintergrundpapier_Integrative_Medizin.pdf}}</ref> Verbreitet ist die Position eines [[Medizinischer Pluralismus|medizinischen Pluralismus]], der einen Dialog auch unterschiedlicher [[Paradigma|Paradigmen]] berücksichtigt. Zentral ist die Bemühung um [[Wissenschaftlichkeit]] und Forschung bei Offenheit des Wissenschaftsbegriffes.<br />
<br />
Teilweise wird der Terminus der integrativen Medizin als integrative Medizin und Gesundheit genutzt, um [[Wikipedia:Prävention|präventive]] und [[Salutogenese|salutogenetische]] Aspekte hervorzuheben.<br />
<br />
===Begriffsgeschichte===<br />
In Polarität zur Alternativmedizin, der eine Trennung hervorhebt, kennzeichnet der Begriff der Integrativmedizin Austausch und Zusammenarbeit sich ergänzender ([[Komplementärmedizin|komplementärer]]) Partner. Der Begriff Integrativmedizin wurde in den späten 1940er Jahren in der angloamerikanischen Literatur aufgebracht<ref name=":2">{{Literatur |Autor=Benno Brinkhaus, Tobias Esch |Titel=Was ist integrative Medizin? |Hrsg=Benno Brinkhaus, Tobias Esch |Sammelwerk=Integrative Medizin und Gesundheit |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft |Ort=Berlin |Datum=2021 |ISBN=978-3-95466-422-1 |Seiten=9}}</ref> und seit den 90er Jahren unter anderem von [[Andrew Weil]] propagiert<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Dieter Melchart |Titel=From Complementary to Integrative Medicine and Health: Do We Need a Change in Nomenclature? |Hrsg= |Sammelwerk=Complement Med Res |Band= |Nummer=25 |Auflage= |Verlag=Karger |Ort=Freiburg |Datum=2018 |Sprache=en |ISBN= |DOI=10.1159/000488623 |Seiten=76-78}}</ref>. Im deutschsprachigen Raum kam der Begriff erst ab den 1990er Jahren in Gebrauch.<ref name=":2" /> Die Schwerpunktsetzungen und Interpretationen des noch relativ jungen Begriffes wandelten sich im Laufe der Jahre und werden auch heute von verschiedenen Vertretern teils unterschiedlich gewichtet. Im unteren Bereich finden sich einige Beschreibungen und Definitionen.<br />
<br />
In den 2000er Jahren stand im Vordergrund eine Verbindung von Elementen der konventionellen Medizin mit wissenschaftlich evaluierten Elementen der Komplementär- und Alternativmedizin (siehe Definition NCCAM).<ref name=":2" /><br />
<br />
====Begriffskritik====<br />
Es gibt auch Kritik an dem Begriff, der neben der [[Salutogenese|salutogenetischen]] Orientierung keine konzeptuelle Neuerung gegenüber dem der [[Komplementärmedizin|komplementären Medizin]] enthalte.<ref name=":1" /><br />
<br />
===Aspekte integrativer Medizin===<br />
Das [[Andrew Weil Center for Integrative Medicine]] fasst Aspekte der integrativen Medizin zusammen:<br />
{| class="wikitable"<br />
|+<br />
!Definition im Andrew Weil Center<ref name=":4" /><br />
!Übersetzung<br />
!Konzepte<br />
|-<br />
|Patient and practitioner are partners in the healing process.<br />
|Patient und Behandler sind Partner im Heilungsprozess.<br />
|[[Partizipative Entscheidungsfindung]], [[Wikipedia:Empowerment#Empowerment%20in%20der%20medizinischen%20Behandlung/Therapie|Empowerment]], [[Wikipedia:Patientenkompetenz|Patientenkompetenz]]<br />
|-<br />
|All factors that influence health, wellness, and disease are taken into consideration, including mind, spirit, and community, as well as the body.<br />
|Alle Faktoren, die Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit beeinflussen, werden berücksichtigt, einschließlich des Geistes, der Seele und der Gemeinschaft sowie des Körpers.<br />
|[[Spiritualität]]<br />
|-<br />
|Appropriate use of both conventional and alternative methods facilitates the body's innate healing response.<br />
|Durch den angemessenen Einsatz sowohl konventioneller als auch alternativer Methoden wird die körpereigene Heilungsreaktion gefördert.<br />
|<br />
|-<br />
|Effective interventions that are natural and less invasive should be used whenever possible.<br />
|Wann immer möglich, sollten wirksame, natürliche und weniger invasive Maßnahmen eingesetzt werden.<br />
|<br />
|-<br />
|Integrative medicine neither rejects conventional medicine nor accepts alternative therapies uncritically.<br />
|Die integrative Medizin lehnt weder die Schulmedizin ab noch akzeptiert sie unkritisch alternative Therapien.<br />
|<br />
|-<br />
|Good medicine is based in good science. It is inquiry-driven and open to new paradigms.<br />
|Gute Medizin basiert auf guter Wissenschaft. Sie ist forschungsorientiert und offen für neue Paradigmen.<br />
|[[Paradigmenpluralismus]]<br />
|-<br />
|Alongside the concept of treatment, the broader concepts of health promotion and the prevention of illness are paramount.<br />
|Neben dem Konzept der Behandlung sind die weiter gefassten Konzepte der Gesundheitsförderung und der Prävention von Krankheiten von zentraler Bedeutung.<br />
|[[Salutogenese]], [[Prävention]]<br />
|-<br />
|Practitioners of integrative medicine should exemplify its principles and commit themselves to self-exploration and self-development.<br />
|Praktizierende der integrativen Medizin sollten deren Prinzipien vorleben und sich zur Selbsterforschung und -entwicklung verpflichten.<br />
|[[Selbsterziehung]]<br />
|}<br />
<br />
====Menschen- und Weltbild====<br />
Integrative Medizin wird teilweise als [[menschliche Medizin|menschlichere Medizin]] wahrgenommen und dies zum Teil an Defiziten der [[Konventionelle Medizin|konventionellen Medizin]] festgemacht. In letzterer werde eine hohe technische Präzision erreicht. Der Fokus auf ein [[Reduktionismus|reduktionistisch]] - [[Mechanizismus|mechanistisches]] [[Wikipedia:Weltbild|Welt-]] und [[Wikipedia:Menschenbild|Menschenbild]] würde aber wesentlichen Teilaspekten des [[Mensch|Menschen]] nicht immer ausreichend gerecht.<ref>{{Literatur |Autor=Daniela Kuhn |Titel=Der menschliche Mediziner |Hrsg= |Sammelwerk=NZZ |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2013-11-11 |Sprache=de |ISBN= |Seiten= |Online=https://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/der-menschliche-mediziner-1.18182902?reduced=true}}</ref> Hierbei kommen Aspekte der Einzigartigkeit jeder menschlichen [[Wikipedia:Individualität|Individualität]], der menschlichen [[Wikipedia:Begegnung|Begegnung]] und [[Wikipedia:Biographie|Biographie]] in Betracht, die mit dem verbreiteten [[Maschinenparadigma]]<ref>{{Cite journal| last = Neumann| first = Daniel| title = Der Mensch als zwecklose Maschine? Descartes&#39; Philosophie in der Kontroverse| journal = Von Menschen und Maschinen: Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Gesellschaft und Technik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ; Proceedings der 3. Tagung des Nachwuchsnetzwerks &quot;INSIST&quot;, 05.-07. Oktober 2018, Karlsruhe| accessdate = 2022-11-27| date = 2018-01-01| url = https://www.academia.edu/46850928/Der_Mensch_als_zwecklose_Maschine_Descartes_Philosophie_in_der_Kontroverse}}</ref> schwierig in Deckung zu bringen sind. Entsprechende Gedanken führten im Rahmen der konventionellen Medizin auch zur [[Biopsychosoziale Medizin|biopsychosozialen Medizin]].<br />
<br />
Je nach Menschenbild der integrativmedizinischen Richtung treten Fragen nach [[Ganzheitliche Medizin|Ganzheitlichkeit]], [[Leben|Lebensprozessen]] und [[Seele|Seele]] des Menschen, sowie [[Spiritualität|Spiritualität]] stärker in den Vordergrund.<br />
<br />
===Forschung===<br />
Wissenschaftliche Forschung ist im Bereich der integrativen Medizin zentrales Element.<br />
<br />
'''Beispiele'''<br />
<br />
Im 7. Rahmenprogramm der EU (FP7: 7th Framework Programme) fand ein Koordinationsprojekt zur Darstellung der Angebots- und Nachfrageseite der Komplementärmedizin unter dem Namen [[Cambrella]] statt.<ref>{{Literatur |Autor=Hedda Sützl-Klein |Titel=Komplementär- und integrativmedizinische Forschungsprojekte und Horizont 2020 (8. Europäisches Forschungsförderprogramm) |Hrsg=Michael Frass, Lothar Krenner |Sammelwerk=Integrative Medizin, evidenzbasierte komplementärmedizinische Methodenlehre |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer |Ort=Berlin |Datum=2019 |ISBN=978-3-662-48878-2 |Kapitel=39.2 |Seiten=997}}</ref> Das Kürzel "CAMbrella" steht dabei für ein Dachprojekt der Komplementär- und Alternativmedizin (engl.: umbrella of '''C'''omplementary and '''A'''lternative '''M'''edicine).<ref>{{Internetquelle|titel=EU-Projekt Cambrella|url=https://www.kokonat.med.tum.de/forschung-und-entwicklung/eu-projekt-cambrella|zugriff=7. Januar 2020|werk=Website Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München}}</ref><br />
<br />
====Aspekte integrativmedizinischer Forschung====<br />
<br />
*In der wissenschaftlichen Literatur besteht ein breiter Konsens darüber, dass die in der konventionellen Medizin allgemein anerkannten Forschungsmethoden auch auf die Komplementär- und Alternativmedizin angewendet werden können und sollten.<ref>{{Literatur| DOI = 10.1186/1472-6882-14-46| ISSN = 1472-6882| Band = 14| Nummer = 1| Seiten = 46| Autor=Felix H. Fischer, George Lewith, Claudia M. Witt, Klaus Linde, Klaus von Ammon, Francesco Cardini, Torkel Falkenberg, Vinjar Fønnebø, Helle Johannessen, Bettina Reiter, Bernhard Uehleke, Wolfgang Weidenhammer, Benno Brinkhaus| Titel = High prevalence but limited evidence in complementary and alternative medicine: guidelines for future research| Sammelwerk = BMC Complementary and Alternative Medicine| Datum = 2014-02-06|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}</ref><ref>{{Literatur| DOI = 10.1159/000343126| ISSN = 1661-4119| Band = 19| Nummer = Suppl. 2| Seiten = 51-60| Autor=H. Felix Fischer, Florian Junne, Claudia Witt, Klaus von Ammon, Francesco Cardini, Vinjar Fønnebø, Helle Johannessen, George Lewith, Bernhard Uehleke, Wolfgang Weidenhammer, Benno Brinkhaus| Titel = Key Issues in Clinical and Epidemiological Research in Complementary and Alternative Medicine – a Systematic Literature Review| Sammelwerk = Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine| Datum = 2012-11-01|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}</ref><br />
<br />
Schwierigkeiten:<br />
<br />
*Geringes finanzielles Budget für Forschung<ref name=":5" /><ref name=":6">{{Cite web|url=https://www.itcim.org/roadmap-for-cam-research-in-europe|access-date=8 October 2021|title=CAMbrella Final Report; Work package 7: The Roadmap for CAM research in Europe|website=INSTITUTE FOR TCIM/CAM}}</ref><br />
*Konventionelle Studiendesigns funktionieren am besten bei punktuellen Einzelwirkungen (Medikamente, Wirkstoffe), die sich verblinden lassen. Bei ganzheitlichen Therapieansätzen ist zum Teil zentral, dass der/die Patient:in Teil am Heilungsprozess hat, oder es können Kombinationen von Wirkungen eingesetzt werden oder Maßnahmen wie Bäder nicht verblindbar sein. Dadurch ergeben sich Herausforderungen an Studiendesigns.<ref>"However, the strategy for the investigation of CAM should include a broad range of mixed-method research strategies including comparative effectiveness research, qualitative and quantitative designs." {{Cite web|url=https://www.itcim.org/roadmap-for-cam-research-in-europe|access-date=8 October 2021|title=CAMbrella Final Report; Work package 7: The Roadmap for CAM research in Europe|website=INSTITUTE FOR TCIM/CAM}}</ref> Teilweise werden die Ergebnisse solcher Designs wiederum in der konventionellen Forschung wenig berücksichtigt.<br />
*Teilweise behindert wissenschaftsbezogene Voreingenommenheit (scientific bias<ref name=":6" />, ideologic bias<ref>{{Literatur| DOI = 10.1159/000355916| ISSN = 1661-4119| Band = 20| Nummer = 5| Seiten = 376-381| Autor=Robert G. Hahn| Titel = Homeopathy: Meta-Analyses of Pooled Clinical Data| Sammelwerk = Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine| Datum = 2013-05-01|Auflage=|Ort=|ISBN=}}</ref>) einen freien Austausch von Ideen, Konzepten, Behandlungstechniken und den Vergleich von klinischen Ergebnissen.<ref name=":6" /><br />
*Andererseits wird eine positive Voreingenommenheit in die Prinzipien und Wirksamkeit integrativmedizinischer Systeme vorgeworfen (ideologic bias), was zu falsch positiven Ergebnissen führen würde.<ref>{{Literatur| Titel = A Longitudinal Study of ‘Ideological’ Bias in Research of ‘Alternative Medicine’ {{!}} Skeptical Inquirer| Abruf = 2023-06-27| Sprache = en| Datum = 2021-04-30| Online = https://skepticalinquirer.org/2021/04/a-longitudinal-study-of-ideological-bias-in-research-of-alternative-medicine/|Autor=|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|Seiten=}}</ref><br />
<br />
===Ausbildung an universitären Einrichtungen<ref>Der Abschnitt wurde im September 2021 aus dem Artikel [[Naturheilkunde]] übertragen. Er stammt ursprünglich von Wikipedia.</ref>===<br />
<br />
====Deutschland====<br />
Durch die Einführung der Lernstoffgebiete Naturheilverfahren und Homöopathie in die Novellierung der Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte wurden komplementäre Therapieverfahren bereits 1988 in die Ausbildungsverordnung für Ärzte mit aufgenommen.<ref name=":7">{{Literatur| DOI = 10.3205/zma001537| ISSN = 2366-5017| Band = 39| Nummer = 2| Seiten = Doc16| Autor=Angelika Homberg, Christian Scheffer, Benno Brinkhaus, Ulrike Fröhlich, Roman Huber, Stefanie Joos, Petra Klose, Klaus Kramer, Miriam Ortiz, Matthias Rostock, Jan Valentini, Beate Stock-Schröer| Titel = Naturopathy, complementary and integrative medicine in medical education – position paper by the GMA Committee Integrative Medicine and Perspective Pluralism| Sammelwerk = GMS Journal for Medical Education| Sprache = en| Datum = 2022-04-14|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}</ref> Im Jahr 2002 wurde mit der Revision der Approbationsordnung für Ärzte der Querschnittsbereich Rehabilitation, Physikalische Medizin und Naturheilverfahren als verbindlicher Teil der Lehre als Pflicht- und Prüfungsfach in den klinischen Ausbildungsabschnitt verankert.<ref name=":7" /> Der [[Ausschuss Integrative Medizin und Perspektivenpluralismus der Gesellschaft für medizinische Ausbildung]] schrieb 2022 in einem Positionspapier: "Die Umsetzung bleibt jedoch den einzelnen Medizinischen Fakultäten überlassen und wird in den jeweiligen Studienordnungen festgelegt. Eine deutschlandweite Erhebung zeigte eine sehr heterogene Ausgestaltung von NHV&KIM-Inhalten. Mancherorts entfallen diese Lehrinhalte komplett, beispielsweise aufgrund einer Fokussierung auf den Themenbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation. Darüber hinaus ist der QB 12 nur für die Regelstudiengänge in Deutschland verbindlich und verpflichtend und wird in den Modellstudiengängen nicht oder nur zum Teil umgesetzt<ref>{{Literatur| DOI = 10.3205/zma001080| ISSN = 2366-5017| Band = 34| Nummer = 1| Autor=Beate Stock-Schröer, Roman Huber, Stefanie Joos, Petra Klose| Titel = Evaluation of the current status of Rehabilitation, Physical Medicine and Naturopathy education 10 years after the reform of the Medical Licensure Act - a nationwide survey of German Medical Universities| Sammelwerk = GMS journal for medical education| Sprache = en| Datum = 2017|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|PMID=28293670|PMC=5327655}}</ref>."<ref name=":7" /><br />
<br />
Aktuell bestehen in Deutschland mehrere universitäre Einrichtungen für Naturheilkunde, Komplementärmedizin und integrative Medizin sowie weitere Forschungsinstitute:<ref>{{Internetquelle |autor= |url=http://www.dialogforum-pluralismusindermedizin.de/links |titel=Universitäre Einrichtungen für Naturheilkunde, Komplementärmedizin |werk= |hrsg= |datum= |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20190322191035/http://www.dialogforum-pluralismusindermedizin.de/links |abruf=2023-07-27 |sprache=de}}</ref><br />
<br />
*[[wikipedia:Charité|Charité]] <br />
**[[Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité-Universitätsmedizin Berlin|Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde]], Charité Universitätsmedizin Berlin<ref>http://naturheilkunde.immanuel.de/andreas-michalsen/</ref><br />
**[[Stiftungsprofessur Integrative und Anthroposophische Medizin am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité]]<br />
*Universität Duisburg/Essen<br />
**Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen<br />
**[[Stiftungslehrstuhl Integrative Medizin - translationale Gastroenterologie der Universität Duisburg-Essen]]<br />
*[[wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Universität Witten/Herdecke]]:<br />
**[[Gerhard Kienle Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten/Herdecke|Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin]]<br />
**[[Professur für Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Anthroposophischen Medizin]]<br />
**Professur für Forschungsmethoden und Informationssysteme in der Komplementärmedizin, Universität Witten-Herdecke<br />
*Lehrstuhl für Naturheilkunde, Universität Rostock<br />
*Institut für klinische Pharmakologie und Naturheilkunde, Universität Ulm<br />
*[[Kokonat|Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat)]], Technische Universität München<br />
*Uni-Zentrum Naturheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg<br />
*Ambulanz Naturheilkunde, Gynäkologie, Universitätsklinikum Heidelberg<br />
*Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Ruhr-Universität Bochum<ref>https://www.klinikum-bochum.de/fachbereiche/naturheilkunde/fachbereich.html</ref><br />
<br />
==== Weblinks ====<br />
<br />
* https://www.itcim.org/cam-at-universities-links<br />
<br />
==Geographische Verteilung==<br />
<br />
===USA===<br />
In den USA wird die integrative medizinische Bewegung von Organisationen wie dem [[Academic Consortium for Integrative Medicine & Health]], der [[Academy of Integrative Health & Medicine (AIHM)]], dem [[International College of Integrative Medicine (ICIM)]] oder dem [[Integrative Medicine Consortium (IMC)]] vertreten. Bei den [[Wikipedia:National Institutes of Health|National Institutes of Health]] gibt es eine Abteilung für integrative Medizin namens [[National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH)]].<br />
<br />
===Deutschland===<br />
Die [[Hufelandgesellschaft]] ist der Dachverband für komplementärmedizinische Organisationen in Deutschland. Im Jahr 2021 begann sich eine [[Allianz für integrative Medizin und Gesundheit|Allianz für Integrative Medizin und Gesundheit]] zu formieren.<br />
<br />
==Definitionen (deutsch)==<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Einige Definitionen von integrativer Medizin aus dem deutschsprachigen Raum<br />
!Quelle<br />
!Jahr<br />
!Definition<br />
!Autoren<br />
|-<br />
|[[Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg (KIM)|'''Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg (KIM)''']]<br />
|<br />
|„Integrative Medizin“ beschreibt die Verbindung sich sinnvoll ergänzender konventioneller und komplementärer Behandlungsangebote in einem patientenzentrierten Versorgungs-konzept. Neben die leitlinienbasierte fachlich-medizinische Versorgung treten Behandlungs- und Beratungsangebote aus dem Bereich von Naturheilverfahren und Komplementärmedizin. Sie umfassen Naturmedikamente, traditionelle Behandlungsverfahren wir z.B. die Akupunktur, pflegerische Anwendungen wie Wickel und Einreibungen, Aromatherapie und Verfahren der Mind-Body-Therapie (Kunst- und Musiktherapie, MBSR/Meditation, Heileurythmie, Yoga, Tai Chi u.a.). Darüberhinaus geht es um gezielte Beratung und Begleitung zur Umsetzung gesundheitsfördernder Lebensstilveränderungen im Alltag.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.kim-bw.de/newpage#A1undA2 |titel=Gründungsimpuls, Ziele und Arbeitsweise |werk=Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg |hrsg= |datum= |abruf=2021-06-28 |sprache=de}}</ref><br />
|<br />
|-<br />
|'''[[Hufelandgesellschaft]]'''<br />
|<br />
|Die Integrative Medizin verbindet konventionelle ärztliche Medizin und ärztliche Komplementärmedizin zu einem sinnvollen Gesamtkonzept. Ziel ist es, die individuell beste Therapie für den Patienten zu finden und Nebenwirkungen soweit wie möglich zu reduzieren.<br />
<br />
Die Integrativer Medizin stellt den Patienten in den Mittelpunkt, orientiert sich an dessen individuellen Ressourcen und aktiviert die Selbstheilungskräfte. Ihre Stärke entfaltet sie insbesondere da, wo die konventionelle Akutmedizin an ihre Grenzen stößt: bei der Therapie chronischer Erkrankungen.<br />
<br />
Die Integrative Medizin ist durch wissenschaftliche Erkenntnisse geleitet. Dabei wird das zum Teil Jahrtausende alte Erfahrungswissen komplementärmedizinischer Verfahren in qualitativ hochwertigen Studien wissenschaftlich aufgearbeitet und evaluiert und das Wissen über Möglichkeiten und Grenzen laufend weiterentwickelt.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.hufelandgesellschaft.de/integrative-medizin |titel=Was verstehen wir unter Integrative Medizin? |werk=Hufelandgesellschaft |hrsg= |datum= |abruf=2021-06-28 |sprache=de}}</ref><br />
|<br />
|-<br />
|'''[[Sommerakademie für Integrative Medizin]]'''<br />
|<br />
|„Integrative Medizin“ wird auf der Veranstaltung so verstanden, daß im selben Maße körperliche, seelische und geistige Aspekte der Patient*innen in das Verständnis und in die Therapie von Erkrankungen einbezogen werden. Das reflektierte Studium verschiedener Medizinsysteme, Menschenbilder und Therapieverfahren soll dazu beitragen sich den Zusammenhängen dieser Aspekte zu nähern. Intention ist, die Integrative Medizin auf einer wissenschaftlichen Basis aufzubauen, wobei auch die Weiterentwicklung der Wissenschaft in den Diskurs mit aufgenommen wird.<ref>{{Internetquelle|url=https://sommerakademie-witten.de/de/sommerakademie/ueber-uns|abruf=2019-11-26|titel=Was ist integrative Medizin?|werk=Sommerakademie für integrative Medizin Website}}</ref><br />
|<br />
|}<br />
<blockquote></blockquote><br />
<br />
==Definitionen (englisch)==<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Einige englische Definitionen von integrativer Medizin<br />
!Quelle<br />
!Jahr<br />
!Definition<br />
!Übersetzung<br />
!Autoren<br />
|-<br />
|National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM)<br />
|um 2000<br />
|Integrative medicine combines mainstream medical therapies and CAM therapies for which there is some high-quality scientific evidence of safety and effectiveness.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.drrogersprize.org/defining-complementary-and-alternative-medicine/ |titel=What is CAM? Defining Complementary and Alternative Medicine; Integrative Medicine |werk=Dr. Rogers Prize for Excellence in Complementary and Alternative Medicine |hrsg= |datum= |abruf=2021-09-30 |sprache=en}}</ref><br />
|Die integrative Medizin kombiniert schulmedizinische Therapien mit CAM-Therapien, für die es hochwertige wissenschaftliche Nachweise der Sicherheit und Wirksamkeit gibt.<br />
|<br />
|-<br />
|NCI Dictionary of Cancer Terms<br />
|<br />
|A type of medical care that combines conventional (standard) medical treatment with complementary and alternative (CAM) therapies that have been shown to be safe and to work. CAM therapies treat the mind, body, and spirit.<ref>{{Internetquelle|abruf=2018-09-17|url=https://www.cancer.gov/publications/dictionaries/cancer-terms/def/integrative-medicine|titel=integrative medicine|werk=NCI Dictionary of Cancer Terms}}</ref><br />
|Eine Art der medizinischen Versorgung, bei der konventionelle (standardmäßige) medizinische Behandlung mit komplementären und alternativen Therapien (CAM) kombiniert wird, die sich als sicher und wirksam erwiesen haben. CAM-Therapien behandeln den Geist, den Körper und die Seele.<br />
|<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Mayo Clinic|Mayo Clinic]]<br />
|<br />
|Complementary and alternative medicine (CAM) is the popular name for health care practices that traditionally have not been part of conventional medicine. In many cases, as evidence of efficacy and safety grows, these therapies are being combined with conventional medicine.<br />
<br />
Thus, the term alternative has been dropped and replaced with newer terms, such as complementary and integrative medicine, integrative medicine and health, or just integrative medicine.<ref>https://www.mayoclinic.org/tests-procedures/complementary-alternative-medicine/about/pac-20393581</ref><br />
|Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) ist die gängige Bezeichnung für Gesundheitspraktiken, die traditionell nicht Teil der Schulmedizin sind. In vielen Fällen werden diese Therapien mit der konventionellen Medizin kombiniert, da die Beweise für ihre Wirksamkeit und Sicherheit zunehmen.<br />Daher wurde der Begriff "alternativ" aufgegeben und durch neuere Bezeichnungen wie "komplementäre und integrative Medizin", "integrative Medizin und Gesundheit" oder einfach "integrative Medizin" ersetzt.<br />
|<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:British Medical Journal|British Medical Journal (BMJ)]] Editorial<br />
|2001<br />
|Integrated medicine (or integrative medicine as it is referred to in the United States) is practising medicine in a way that selectively incorporates elements of complementary and alternative medicine into comprehensive treatment plans alongside solidly orthodox methods of diagnosis and treatment.<ref>{{Cite journal|doi=10.1136/bmj.322.7279.119|title=Integrated medicine; Imbues orthodox medicine with the values of complementary medicine|first=Lesley|last=Rees|first2=Andrew|last2=Weil|date=20 January 2001|volume=322|issue=119|journal=British medical journal}}</ref><br />
|Integrierte Medizin (oder integrative Medizin, wie sie in den Vereinigten Staaten genannt wird) bedeutet, Medizin in einer Weise zu praktizieren, die selektiv Elemente der Komplementär- und Alternativmedizin in umfassende Behandlungspläne neben soliden orthodoxen Diagnose- und Behandlungsmethoden einbezieht.<br />
|Lesley Rees, [[:en:Andrew_Weil|Andrew Weil]]<br />
|-<br />
|[[Academic Consortium for Integrative Medicine & Health]]<br />
|<br />
|The practice of medicine that reaffirms the importance of the practitioner-patient relationship. It focuses on the whole person, is informed by evidence, and makes use of all appropriate therapeutic approaches, health care professionals, and disciplines to achieve optimal health and healing.<ref>{{Cite web|url=https://smhs.gwu.edu/integrative-medicine/|title=Integrative Medicine|access-date=1 October 2021|website=GW School of Medicine and Health Sciences (SMHS)}}</ref><ref name=":02">{{Cite web|url=https://imconsortium.org/about/introduction/|title=DEFINITION OF INTEGRATIVE MEDICINE AND HEALTH|access-date=1 October 2021|website=Academic Consortium for Integrative Medicine & Health}}</ref><br />
|Die Ausübung der Medizin, die die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient bekräftigt. Sie stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt, stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und nutzt alle geeigneten therapeutischen Ansätze, Gesundheitsfachkräfte und Disziplinen, um optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen.<br />
|<br />
|-<br />
|[[National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH)]]<br />
|<br />
|There are many definitions of “integrative” health care, but all involve bringing conventional and complementary approaches together in a coordinated way. ... NCCIH generally uses the term “complementary health approaches” when we discuss practices and products of non-mainstream origin. We use “integrative health” when we talk about incorporating complementary approaches into mainstream health care.<ref>{{Cite web|url=https://nccih.nih.gov/health/integrative-health#integrative|title=Complementary, Alternative, or Integrative Health: What’s In a Name?|access-date=2 October 2021|website=National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH)}}</ref><br />
|Es gibt viele Definitionen der "integrativen" Gesundheitsfürsorge, aber bei allen geht es darum, konventionelle und komplementäre Ansätze in einer koordinierten Weise zusammenzubringen. ... Das NCCIH verwendet im Allgemeinen den Begriff "komplementäre Gesundheitsansätze", wenn wir über Praktiken und Produkte sprechen, die nicht aus dem Mainstream stammen. Wir verwenden den Begriff "integrative Gesundheit", wenn wir über die Einbeziehung komplementärer Ansätze in die reguläre Gesundheitsversorgung sprechen.<br />
|<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:World health organization (WHO)|World health organization (WHO)]]<br />
|<br />
|'''''Traditional, complementary and integrative medicine - Definitions'''''<br />
<br />
<br />
'''Traditional medicine''' - Traditional medicine has a long history. It is the sum total of the knowledge, skill, and practices based on the theories, beliefs, and experiences indigenous to different cultures, whether explicable or not, used in the maintenance of health as well as in the prevention, diagnosis, improvement or treatment of physical and mental illness.<br />
<br />
<br />
'''Complementary medicine''' - The terms “complementary medicine” or “alternative medicine” refer to a broad set of health care practices that are not part of that country’s own tradition or conventional medicine and are not fully integrated into the dominant health-care system. They are used interchangeably with traditional medicine in some countries.<br />
<br />
<br />
'''Herbal medicines''' - Herbal medicines include herbs, herbal materials, herbal preparations and finished herbal products, that contain as active ingredients parts of plants, or other plant materials, or combinations.<ref>{{Cite web|url=http://www.who.int/traditional-complementary-integrative-medicine/about/en/|archive-url=http://web.archive.org/web/20210308233417/http://www.who.int/traditional-complementary-integrative-medicine/about/en/|archive-date=8 March 2021|url-status=dead|title=Traditional, complementary and integrative medicine ; Definitions}}</ref><br />
|'''Traditionelle, komplementäre und integrative Medizin - Definitionen'''<br />
'''Traditionelle Medizin''' - Die traditionelle Medizin hat eine lange Geschichte. Sie ist die Summe des Wissens, der Fertigkeiten und der Praktiken, die auf den Theorien, Überzeugungen und Erfahrungen verschiedener Kulturen beruhen, ob erklärbar oder nicht, und die zur Erhaltung der Gesundheit sowie zur Vorbeugung, Diagnose, Verbesserung oder Behandlung von körperlichen und geistigen Krankheiten eingesetzt werden.<br />'''Komplementärmedizin''' - Die Begriffe "Komplementärmedizin" oder "Alternativmedizin" beziehen sich auf ein breites Spektrum von Gesundheitspraktiken, die nicht Teil der eigenen Tradition oder der Schulmedizin des jeweiligen Landes sind und nicht vollständig in das vorherrschende Gesundheitssystem integriert sind. In einigen Ländern werden sie austauschbar mit der traditionellen Medizin verwendet.<br />'''Pflanzliche Arzneimittel''' - Zu den pflanzlichen Arzneimitteln gehören Kräuter, pflanzliche Stoffe, pflanzliche Zubereitungen und pflanzliche Fertigprodukte, die als Wirkstoffe Pflanzenteile, andere pflanzliche Stoffe oder Kombinationen enthalten.<br />
|<br />
|-<br />
|[[:en:Benno_Brinkhaus|Brinkhaus B]] and [[:en:Tobias_Esch|Esch T]], adapted Version of the US consortium IM<br />
|2020<br />
|Integrative medicine and Health reaffirms the importance of the relationship between practitioner and patient, focuses on the whole person, is informed by evidence, and makes use of all appropriate therapeutic, preventive, health-promoting, and lifestyle approaches, healthcare professionals and disciplines to achieve optimal health and healing, emphasizing the art and science of healing. It is based on a social and democratic as well as natural and healthy environment.<ref name=":22">{{Cite |first=Benno|last=Brinkhaus|first2=Tobias|last2=Esch |chapter=Was ist integrative Medizin? |trans-chapter=What is integrative medicine?|editor-first=Benno|editor-last=Brinkhaus|editor-first2=Tobias|editor-last2=Esch |title=Integrative Medicine and Health |publisher=Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft |location=Berlin |date=2021 |ISBN=978-3-95466-422-1 |pages=9}}</ref><ref name=":3">{{Cite journal|title=Neue Definitionen der Integrativen Medizin: Alter Wein in neuen Schläuchen?|language=de|url=https://www.karger.com/Article/Pdf/506224|publisher=Karger|journal=[[Complement Med Res]]|doi=10.1159/000506224|date=2020|volume=27|pages=67–69|last=Esch|first2=Benno|last2=Brinkhaus|first=Tobias|author-link=Tobias Esch|author-link2=Benno Brinkhaus}}</ref><br />
|Integrative Medizin und Gesundheit bekräftigt die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient, stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt, ist evidenzbasiert und nutzt alle geeigneten therapeutischen, präventiven, gesundheitsfördernden und lebensstilbezogenen Ansätze, Fachkräfte und Disziplinen des Gesundheitswesens, um optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen, wobei die Kunst und Wissenschaft des Heilens im Vordergrund steht. Sie stützt sich auf eine soziale und demokratische sowie natürliche und gesunde Umwelt.<br />
|[[:en:Benno_Brinkhaus|Brinkhaus B]], [[:en:Tobias_Esch|Esch T]]<br />
|-<br />
|[[Andrew Weil Center for Integrative Medicine]]<ref name=":4">{{Internetquelle|abruf=2019-11-06|url=https://integrativemedicine.arizona.edu/about/definition.html|titel=What is Integrative Medicine?|werk=Andrew Weil Center for Integrative Medicine website}}</ref><br />
|<br />
|'''What is IM/IH?'''<br />
<br />
Integrative Medicine (IM) is healing-oriented medicine that takes account of the whole person, including all aspects of lifestyle. It emphasizes the therapeutic relationship between practitioner and patient, is informed by evidence, and makes use of all appropriate therapies.<br />
<br />
'''The Defining Principles of Integrative Medicine'''<br />
<br />
*Patient and practitioner are partners in the healing process.<br />
*All factors that influence health, wellness, and disease are taken into consideration, including mind, spirit, and community, as well as the body.<br />
*Appropriate use of both conventional and alternative methods facilitates the body's innate healing response.<br />
*Effective interventions that are natural and less invasive should be used whenever possible.<br />
*Integrative medicine neither rejects conventional medicine nor accepts alternative therapies uncritically.<br />
*Good medicine is based in good science. It is inquiry-driven and open to new paradigms.<br />
*Alongside the concept of treatment, the broader concepts of health promotion and the prevention of illness are paramount.<br />
*Practitioners of integrative medicine should exemplify its principles and commit themselves to self-exploration and self-development.<br />
|'''Was ist IM/IH?'''<br />
Integrative Medizin (IM) ist eine auf Heilung ausgerichtete Medizin, die den ganzen Menschen, einschließlich aller Aspekte des Lebensstils, in den Blick nimmt. Sie legt den Schwerpunkt auf die therapeutische Beziehung zwischen Arzt und Patient, stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und setzt alle geeigneten Therapien ein.<br />
<br />
'''Die bestimmenden Prinzipien der Integrativen Medizin'''<br />
<br />
*Patient und Behandler sind Partner im Heilungsprozess.<br />
*Alle Faktoren, die Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit beeinflussen, werden berücksichtigt, einschließlich des Geistes, der Seele und der Gemeinschaft sowie des Körpers.<br />
*Durch den angemessenen Einsatz sowohl konventioneller als auch alternativer Methoden wird die körpereigene Heilungsreaktion gefördert.<br />
*Wann immer möglich, sollten wirksame, natürliche und weniger invasive Maßnahmen eingesetzt werden.<br />
*Die integrative Medizin lehnt weder die Schulmedizin ab noch akzeptiert sie unkritisch alternative Therapien.<br />
*Gute Medizin basiert auf guter Wissenschaft. Sie ist forschungsorientiert und offen für neue Paradigmen.<br />
*Neben dem Konzept der Behandlung stehen die umfassenderen Konzepte der Gesundheitsförderung und der Prävention von Krankheiten im Vordergrund.<br />
*Praktizierende der integrativen Medizin sollten deren Grundsätze vorleben und sich zur Selbsterforschung und -entwicklung verpflichten.<br />
|<br />
|}<blockquote></blockquote><blockquote></blockquote><br />
==Literatur==<br />
<br />
*"From Complementary to Integrative Medicine and Health: Do We Need a Change in Nomenclature?" Melchart D Complement Med Res 2018;25:76-78 {{DOI|10.1159/000488623}}<br />
*{{Literatur |Autor= |Titel=Integrative Medizin |TitelErg=Evidenzbasierte komplementärmedizinische Methoden |Hrsg=Michael Frass, Lothar Krenner |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer |Ort=Berlin |Datum=2018 |ISBN=978-3-662-48878-2 |Seiten=}}<br />
<br />
==Einzelnachweisliste==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Integrative Medizin|!]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Institute_for_TCIM/CAM&diff=45887
Institute for TCIM/CAM
2023-07-28T07:43:07Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>{{Infobox Organisation<br />
| Name = Institute for TCIM/CAM<br />
| Logo = <br />
| Rechtsform = <br />
| Gründungsdatum = <br />
| Sitz = Soukenická 21; 110 00 Praha 1; Czech Republic<br />
| Breitengrad = 50.09135<br />
| Längengrad = 14.43050<br />
| ISO-Region = CZ<br />
| Zweck = <br />
| Vorsitz = <br />
| Geschäftsführung = <br />
| Website =https://www.itcim.org <br />
}}<br />
<br />
Das '''Institute for TCIM/CAM''' ist eine in Prag ansässige Organisation für [[TCIM]] / [[CAM]]. Die Eigenbeschreibung ist folgendermaßen:<br />
<br />
"Zweck des Instituts:<br />
<br />
#Entwicklung einer gegenseitigen Zusammenarbeit zwischen medizinischen Disziplinen und den Disziplinen der [[Traditionelle Medizin|traditionellen]], [[Komplementärmedizin|komplementären]] und [[Integrative Medizin|integrativen Medizin]] ([[TCIM]])<br />
#Schaffung von Bedingungen zur Stärkung der Position der traditionellen, komplementären und integrativen Medizin (TCIM) zum Nutzen der Öffentlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene<br />
#dazu beizutragen, die Fach- und Öffentlichkeit im Bereich der TCIM-Therapien und der [[Ganzheitliche Medizin|ganzheitlichen]] Behandlung besser zu informieren, um zur Verbesserung der [[Lebensqualität]], zur Verringerung der Morbidität und zur Verbesserung der Bildung beizutragen<br />
#Schaffung einer Plattform zum Nutzen des Patienten und seines freien ganzheitlichen Zugangs zur Gesundheit<br />
#Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Bereichen und Therapien von TCIM, Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Gremien und Institutionen im Bereich nicht medizinischer Therapien.<br />
<br />
Tätigkeitsbereich des Instituts:<br />
<br />
#Abhalten und Unterstützen von Fachkongressen, Konferenzen, Projekten, Fachdiskussionen und Präsentationen<br />
#Durchführung von Forschungs-, Bildungs- und Veröffentlichungsaktivitäten sowie Bildung im Bereich der traditionellen, komplementären und integrativen Medizin (TCIM)<br />
#Verwirklichung und Unterstützung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, Ausarbeitung von Gutachten und Studien<br />
#Schaffung einer Plattform für Diskussion, Zusammenarbeit, Austausch von Ideen, Erfahrungen und Informationen<br />
#Unterstützung und Teilnahme an den Aktivitäten von [[Plattform 2020 Prag|PLATFORM 2020 PRAG]]"<ref>{{Internetquelle| autor=Tomáš Pfeiffer| titel = Über uns - INSTITUT FÜR TCIM| sprache = de| url = https://www.itcim.org/de/uber-uns| abruf = 2023-07-27| werk = ITCIM.ORG}}</ref><br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*Website: https://www.itcim.org<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Integrative Medizin]]<br />
[[Kategorie:Komplementärmedizin]]<br />
[[Kategorie:Traditionelle Medizin]]<br />
[[Kategorie:TCIM]]<br />
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Organsystem
2023-07-25T08:04:21Z
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<hr />
<div>[[Datei:Organ Systeme 1.jpg|thumb|Organsysteme des Menschen: Integument-System, Skelett, Skelettmuskulatur, Nervensystem, Hormonsystem, Herz-Kreislauf-System]]<br />
[[Datei:Organ Systeme 2.jpg|thumb|Organsysteme des Menschen: Lymphatisches System, Atmungssystem, Verdauungssystem, Harnsystem, Geschlechtssystem]]<br />
Als '''Organsystem''' bezeichnet man eine funktionell zusammen gehörende Gruppe von [[Organ (Biologie)|Organen]] im [[Wikipedia:Menschlicher Körper|menschlichen]] oder tierischen Körper. Als Synonym für „System“ hat sich der Begriff „Apparat“ eingebürgert. Diese Gruppierung ist Grundlage der „Systematischen [[Anatomie]]“. So werden zum Beispiel zum [[Wikipedia:Verdauungssystem|Verdauungssystem]] (oder ''Verdauungsapparat'') alle Organe zusammengefasst, die der Aufnahme ([[Wikipedia:Lippe|Lippe]]n, [[Wikipedia:Mundhöhle|Mundhöhle]]), der Zerkleinerung ([[Wikipedia:Zahn|Zähne]]), dem Transport ([[Wikipedia:Speiseröhre|Speiseröhre]]), dem enzymatischen Aufschluss und der [[Wikipedia:Resorption|Resorption]] der Nahrung ([[Wikipedia:Verdauungstrakt|Magen-Darm-Trakt]], [[Leber]], [[Bauchspeicheldrüse]]) sowie der Ausscheidung ([[Wikipedia:Mastdarm|Rektum]], [[Wikipedia:Anus|Anus]]) nicht verwertbarer Restprodukte dienen.<br />
<br />
Diese Einteilung berücksichtigt nicht, dass es zahlreiche Überschneidungen und Wechselwirkungen zwischen den Organsystemen gibt, also kein Organsystem unabhängig von den anderen agiert. So wird das Verdauungssystem durch [[Wikipedia:Blutgefäß|Gefäße]] mit [[Blut]] versorgt ([[Wikipedia:Blutkreislauf|Herz-Kreislauf-System]]), durch Nerven gesteuert ([[Nervensystem]]), die Kotabgabe wird durch die Bauchmuskeln unterstützt ([[Stütz- und Bewegungsapparat|Bewegungsapparat]]). Darüber hinaus spielt es eine Rolle bei Abwehrvorgängen und ein Teil der resorbierten Nährstoffe wird über [[Wikipedia:Lymphe|Lymphe]] abtransportiert. Ein weiteres Problem bei der Gliederung in Organsysteme sind Mehrfachfunktionen. So hat z.&nbsp;B. die Leber vielfältige Funktionen und könnte zu mehreren Organsystemen gerechnet werden. Zum Nervensystem im weiteren Sinne gehören auch die [[Sinnesorgan]]e. <br />
<br />
Beim Menschen unterscheidet man folgende Organsysteme:<br />
* [[Nervensystem]]<br />
** [[Sinnesorgan|Sinnesorgane]]<br />
* [[Hormonsystem]]<br />
* [[Wikipedia:Blutkreislauf|Herz-Kreislauf-System]]<br />
* [[Wikipedia:Atemtrakt|Atmungssystem]]<br />
* [[Wikipedia:Verdauungstrakt|Verdauungssystem]]<br />
* [[Wikipedia:Harn- und Geschlechtsapparat|Urogenitalsystem]]<br />
** [[Wikipedia:Harnorgan|Harnsystem]]<br />
** [[Geschlechtsorgan|Geschlechtssystem]]<br />
* [[Stütz- und Bewegungsapparat|Stütz- und Bewegungssystem]]<br />
** [[Wikipedia:Skelett|Skelett]]<br />
** [[Wikipedia:Muskulatur|Muskulatur]]<br />
* [[Haut]]<br />
* [[Immunsystem]]<br />
** [[Wikipedia:Lymphatisches System|Lymphatisches System]]<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Organsystem}}<br />
<br />
[[Kategorie:Organsystem]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia|datum=18. November 2019|oldid=191519104|oldid-lokal=4806}}<br />
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Herz-Kreislauf-System
2023-07-25T07:35:22Z
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<hr />
<div>Der '''Blutkreislauf''' ist der Weg, den das Blut im Körper des Menschen und der meisten Tiere zurücklegt. Es handelt sich um das Strömungssystem des [[Blut]]es, das vom [[Herz]]en und von einem Netz aus [[Wikipedia:Blutgefäß|Blutgefäß]]en (''kardiovaskuläres System'', ''Blutgefäßsystem'') gebildet wird. Umgangssprachlich wird der Blutkreislauf auch '''Blutbahn''' (oder kurz ''Kreislauf'' und ''Zirkulation'') genannt.<ref>"Roche Lexikon Medizin", 5. Auflage, [[Wikipedia:Urban & Fischer|Urban & Fischer]], München und Jena 2003, ISBN 3-437-15156-8, Seite 2008.</ref> Bei Tieren, deren Organe von [[Wikipedia:Hämolymphe|Hämolymphe]] statt von Blut versorgt werden, spricht man ebenfalls vom Kreislauf.<br />
<br />
Bei etlichen Gruppen der [[Wikipedia:Vielzellige Tiere|vielzelligen Tiere]] sichert ein Kreislauf das Überleben des [[Wikipedia:Organismus|Organismus]], indem er den Stoffwechsel jeder einzelnen [[Wikipedia:Zelle (Biologie)|Körperzelle]] versorgt und die chemischen und [[Wikipedia:Physiologie|physiologischen]] Eigenschaften der [[Wikipedia:Körperflüssigkeit|Körperflüssigkeit]]en aufrechterhält. Zum einen transportiert das Blut [[Sauerstoff]] aus den [[Lunge]]n zu den Zellen und [[Wikipedia:Kohlendioxid|Kohlendioxid]] in entgegengesetzter Richtung (siehe auch [[Wikipedia:Atmung|Atmung]]). Zum anderen werden aus der [[Wikipedia:Verdauung|Verdauung]] gewonnene Nährstoffe wie [[Wikipedia:Lipide|Fette]], [[Wikipedia:Kohlenhydrate|Zucker]] oder [[Wikipedia:Proteine|Eiweiße]] aus dem [[Wikipedia:Verdauungstrakt|Verdauungstrakt]] in die einzelnen Gewebe transportiert, um dort je nach Bedarf verbraucht, weiterverarbeitet oder gespeichert zu werden. Die entstandenen [[Wikipedia:Stoffwechsel|Stoffwechsel]]- oder Abfallprodukte (zum Beispiel [[Wikipedia:Harnstoff|Harnstoff]] oder [[Wikipedia:Harnsäure|Harnsäure]]) werden dann in anderes Gewebe oder zu den Ausscheidungsorganen ([[Wikipedia:Niere|Niere]]n und [[Leber]]) transportiert. Außerdem verteilt das Blut auch Botenstoffe wie zum Beispiel [[Wikipedia:Hormon|Hormon]]e, Zellen der [[Immunsystem|Körperabwehr]] und Bestandteile des [[Wikipedia:Hämostase|Gerinnungssystems]] innerhalb des Körpers.<br />
<br />
[[Datei:grafik blutkreislauf.jpg|mini|Schema des Blutkreislaufs beim Menschen:<br />rot = sauerstoffreiches Blut<br />blau = sauerstoffarmes Blut]]<br />
<br />
== Verbreitung und Formen ==<br />
Bedingt durch die Entwicklungsgeschichte der [[Wikipedia:Vielzellige Tiere|Tiere]] gibt es unterschiedlich ausgeprägte Arten von Kreisläufen:<br />
* Die Tiergruppen der [[Wikipedia:Schwämme|Schwämme]], [[Wikipedia:Stachelhäuter|Stachelhäuter]], [[Wikipedia:Nesseltiere|Nesseltiere]], [[Wikipedia:Fadenwürmer|Fadenwürmer]] und [[Wikipedia:Plattwürmer|Plattwürmer]] besitzen kein Kreislaufsystem. So führt beispielsweise bei den Plattwürmern der Mund direkt in ein verästeltes Verdauungssystem, aus dem Nährstoffe wegen der Flachheit des Wurmes direkt in alle Zellen [[Wikipedia:Diffusion|diffundieren]] können. Sauerstoff diffundiert aus dem Wasser in die Zellen.<br />
* Bei einer Reihe von wirbellosen Tieren wie den [[Wikipedia:Gliederfüßer|Gliederfüßer]]n und [[Wikipedia:Weichtiere|Weichtiere]]n (außer den [[Wikipedia:Kopffüßer|Kopffüßer]]n) findet man einen ''offenen Kreislauf'', bei dem das Blut in den [[Wikipedia:Körperhöhle|Körperhöhle]]n kreist. Hier wird die Körperflüssigkeit, die man als [[Wikipedia:Hämolymphe|Hämolymphe]] bezeichnet, vom Herzen in kurze Gefäße und von dort in alle Körperhöhlen gepumpt, bis es schließlich ins Herz zurückfließt. Die Hämolymphe fließt dabei langsam und mit geringem Druck.<br />
* Bei [[Wikipedia:Ringelwürmer|Ringelwürmer]]n wie dem [[Wikipedia:Regenwürmer|Regenwurm]] existiert ein ''geschlossener Kreislauf'', bei dem die blutähnliche Körperflüssigkeit durch kontraktile Gefäße in Bewegung gehalten wird.<br />
* [[Wikipedia:Wirbeltiere|Wirbeltiere]] besitzen einen fast geschlossenen Kreislauf. Hier fließt das [[Blut]] durch ein weitgehend geschlossenes Netz aus Blutgefäßen, das alle [[Organ (Biologie)|Organe]] erreicht. Herz und Blutgefäße bilden das Herz-Kreislauf-System. Dieses hat sich im Lauf der Evolution der Wirbeltiere stark verändert.<br />
** Bei den meisten Fischen sind Herz und Kiemen in Serie geschaltet. Eine Vermischung von sauerstoffarmen mit sauerstoffreichem Blut findet nicht statt.<br />
** Der [[Wikipedia:Australischer Lungenfisch|Australische Lungenfisch]]<ref>Warren W. Burggren, Kjell Johansen: ''Circulation and respiration in lungfishes (Dipnoi).'' In: ''[[Wikipedia:Journal of Morphology|Journal of Morphology]]'', Band 190, Nr. S1, 1986, S. 217–236. {{doi|10.1002/jmor.1051900415}}.</ref> und [[Wikipedia:Landwirbeltiere|Landwirbeltiere]] besitzen einen separaten [[Wikipedia:Lungenkreislauf|Lungenkreislauf]]. Bei den Vögeln und Säugern ist dieser vollständig vom Körperkreislauf getrennt, so dass in ihm ein sehr viel niedrigerer Druck herrschen kann.<ref name="Kurzes">{{Literatur |Autor=Adolf Remane, Volker Storch, Ulrich Welsch |Titel=Kurzes Lehrbuch der Zoologie |Auflage=5. |Verlag=Gustav Fischer Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=1985 |ISBN=3-437-20337-1 |Seiten=188&nbsp;f}}</ref><ref name="Tierphys">{{bibISBN|9783827372703|Seite=}}</ref><br />
** Bei den wechselwarmen (''poikilothermen'') Landwirbeltieren, also [[Wikipedia:Amphibien|Amphibien]] und [[Wikipedia:Reptilien|Reptilien]], findet eine Vermischung von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut im Herzen statt, weil nur eine oder zwei unvollständig getrennte Herzkammern vorliegen. Ursache ist, dass ihr „neues“ Atmungsorgan – die [[Lunge]] – aus dem sauerstoffverbrauchenden Organ [[Wikipedia:Schwimmblase|Schwimmblase]] hervorgeht.<br />
** Bei den gleichwarmen (''homoiothermen'') Tieren, den [[Wikipedia:Vögel|Vögel]]n und [[Wikipedia:Säugetiere|Säugetiere]]n, besteht das Herz aus zwei Vorhöfen und zwei Kammern, so dass eine vollständige Trennung von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut besteht.<br />
<br />
== Allgemeines zum geschlossenen Blutkreislauf ==<br />
=== Aufbau ===<br />
Der Blutkreislauf besteht aus dem Herzen und den [[Wikipedia:Blutgefäß|Blutgefäß]]en. Blutgefäße, die zum Herzen führen, werden als [[Wikipedia:Vene|Vene]]n (Blutadern) bezeichnet, diejenigen, die vom Herz wegführen, als [[Wikipedia:Arterie|Arterie]]n (Schlagadern). Je weiter die Blutgefäße vom Herzen entfernt sind, desto verzweigter werden sie und desto kleiner wird auch ihr Durchmesser. Arterien werden zuerst zu [[Wikipedia:Arteriole|Arteriole]]n und diese zu [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]], welche das Gewebe versorgen. Diese führen wiederum zusammen und bilden die postkapillaren [[Wikipedia:Venole|Venole]]n, die zu Venen werden.<br />
<br />
=== Blutgefäße ===<br />
Blutgefäße werden aufgrund ihres Aufbaus und ihrer Funktion in mehrere Arten unterteilt. Die [[Wikipedia:Arterie|Arterie]]n transportieren das Blut unter hohem Druck und mit hoher Fließgeschwindigkeit, deswegen besitzen sie eine dicke, muskuläre Gefäßwand. Durch sie gelangt das Blut aus dem Herzen in die verschiedenen Gewebe. Von den Arterien gehen die [[Wikipedia:Arteriole|Arteriole]]n ab, sie dienen als Kontrollventile und haben deswegen starke muskuläre Wände, die die Gefäße verengen ([[Wikipedia:Vasokonstriktion|Vasokonstriktion]]) oder weiten ([[Wikipedia:Vasodilatation|Vasodilatation]]) können. Sie verzweigen sich weiter zu den [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]], die den Austausch von Flüssigkeiten, Nährstoffen, Elektrolyten, Hormonen und anderen Stoffen zwischen Blut und Gewebe vornehmen und deswegen mit einer dünnen Gefäßwand (nur [[Wikipedia:Endothel|Endothel]]) ausgestattet sind, die für niedermolekulare Stoffe durchlässig ([[Wikipedia:Selektive Permeabilität|selektiv permeabel]]) ist. In einigen Organen ([[Leber]], [[Milz]]) sind die Kapillaren erweitert und das Endothel wird diskontinuierlich, dann spricht man von [[Wikipedia:Sinusoid (Blutgefäß)|Sinusoiden]].<br />
<br />
[[Wikipedia:Venole|Venole]]n haben nur eine dünne Gefäßwand. Sie sammeln das Blut aus den Kapillaren, um es wieder den [[Wikipedia:Vene|Vene]]n zuzuführen, die es von der Peripherie zurück zum Herzen transportieren. Weiterhin dienen sie als Blutspeicher. Sie haben dünne muskuläre Wände, die das Weiten oder Verschließen der Gefäße erlauben. Ein Teil der Flüssigkeit tritt im Kapillargebiet aus den Gefäßen aus und wird über [[Wikipedia:Lymphgefäß|Lymphgefäß]]e abtransportiert. Die großen [[Wikipedia:Lymphsammelstamm|Lymphsammelstämme]] münden nahe dem Herzen wieder in das Venensystem.<br />
<br />
Benachbarte Blutgefäße mit gleichem Zielgebiet werden als [[Wikipedia:Kollaterale|Kollaterale]]n bezeichnet. In fast allen Körperregionen gibt es Verbindungen zwischen diesen benachbarten Blutgefäßen, sogenannte [[Wikipedia:Anastomose|Anastomose]]n. Diese sorgen dafür, dass bei einer Verlegung (etwa einer [[Wikipedia:Thrombose|Thrombose]]) oder Verletzung eines Blutgefäßes die Versorgung vom Nachbargefäß übernommen werden kann. Arterien, die keine Anastomosen aufweisen, nennt man ''Endarterien''. Kommt es zu einer Verlegung einer Endarterie, so wird der entsprechende Gewebsabschnitt nicht mehr mit Blut versorgt und stirbt ab ([[Wikipedia:Infarkt|Infarkt]]). Die Anastomosen können aber auch zu schwach sein, um eine vollständige Kompensation eines Ausfalls zu ermöglichen. In diesem Fall spricht man von ''funktionellen Endarterien''. Eine Verstopfung oder Verletzung dieser Arterien führt zu einer Minderdurchblutung ([[Wikipedia:Ischämie|Ischämie]]).<br />
<br />
=== Aufgaben und Funktionen ===<br />
[[Blut]] erfüllt im Körper verschiedene Aufgaben. Es transportiert Sauerstoff aus den Lungen zum Gewebe und Kohlenstoffdioxid zurück. Weiterhin wird das Gewebe mit Nährstoffen aus dem Verdauungstrakt versorgt und von entstandenen Stoffwechsel- und Abfallprodukten befreit, die zu den Ausscheidungsorganen ([[Wikipedia:Niere|Niere]]n und [[Leber]]) transportiert werden. Blut dient zudem als wichtiges Medium für den Transport von Hormonen zwischen einzelnen Organsystemen sowie von Komponenten der Immunabwehr und der Blutgerinnung zu Orten im Körper, an denen sie gebraucht werden.<br />
<br />
Der Blutkreislauf dient demzufolge letztendlich dazu, es dem Blut zu ermöglichen, sich durch den gesamten Körper zu bewegen. Weiterhin spielt der Blutkreislauf eine wichtige Rolle bei der [[Wikipedia:Thermoregulation|Thermoregulation]]. Über den Grad der Durchblutung der [[Haut]] wird die Wärmeabgabe über die Körperoberfläche reguliert.<br />
<br />
== Blutkreislauf der wechselwarmen Wirbeltiere ==<br />
{{Siehe auch|Herz|Herz#Herzen der Wirbeltiere|titel2=Herzen der Wirbeltiere}}<br />
<br />
=== Fische ===<br />
[[Datei:Blutkreislauf Fische.svg|mini|250px|Schematische Darstellung des Blutkreislaufs der Fische:<br />rot = sauerstoffreiches Blut<br />blau = sauerstoffarmes Blut]]<br />
<br />
Das Herz der [[Wikipedia:Fische|Fische]] ist unter den Wirbeltieren das am einfachsten gebaute. Es besteht aus vier Räumen, zwei einleitenden dünnwandigen, ''Sinus venosus'' und Vorhof, einer dickwandigen, muskulösen Kammer und dem abschließenden ''Bulbus'' oder ''Conus arteriosus''.<ref name="Tierphys" /> Zwischen Vorhof und Kammer befindet sich eine Klappe, die einen Rückstrom des Blutes verhindert. Ebenso wie das Herz ist auch der Blutkreislauf selbst relativ einfach strukturiert. Das venöse Blut wird aus dem Herzen in die [[Wikipedia:Kieme|Kieme]]n gepumpt (''Kiemenkreislauf''), in denen es mit Sauerstoff aus dem Wasser angereichert wird. Anschließend wird das sauerstoffreiche Blut in den ''Körperkreislauf'' weitertransportiert. In den Kapillaren gibt es den Sauerstoff ab und nimmt dafür Kohlendioxid auf. Neben dem Herz nimmt auch die Muskulatur der Kiemen am Pumpvorgang teil. Der Nachteil dieser Konstruktion ist, dass der [[Wikipedia:Blutdruck|Blutdruck]] im Kapillarnetz des Kiemenkreislaufs stark abfällt, der Blutstrom durch den Körper also relativ langsam ist. Zudem haben Fische ein geringes Blutvolumen. Es macht weniger als ein Zehntel des Körpergewichts aus. Außerdem liegt der Sauerstoffgehalt im Blut eines Fisches weit unter dem des menschlichen Blutes.<br />
<br />
=== Amphibien ===<br />
==== Doppelter Kreislauf ====<br />
<br />
Bei den [[Wikipedia:Amphibien|Amphibien]] (Lurchen) besteht das Herz aus einer Kammer und zwei Vorhöfen. Der Gasaustausch findet sowohl in der Lunge als auch in der [[Haut]] statt. Die beiden Kreisläufe der Amphibien werden daher als ''Lungen-Haut-Kreislauf'' und ''Körperkreislauf'' bezeichnet. Da sie, im Gegensatz zu Fischen, nicht hintereinander geschaltet sind, spricht man von einem ''doppelten Kreislauf''.<br />
<br />
Der linke Vorhof empfängt mit Sauerstoff angereichertes Blut aus der Lunge, der rechte Vorhof eine Mischung von sauerstoffarmem Blut aus dem Körper und sauerstoffreichem Blut aus der Haut.<ref name="Tierphys" /> Beide Vorhöfe pumpen das Blut in die einheitliche Kammer. Diese Kammer besitzt einen Ausflusstrakt (''Truncus'' oder ''Conus arteriosus''), der sich in jeweils einen Stamm für die beiden Kreisläufe teilt. Eine leistenartige Erhebung im Ventrikel und im [[Wikipedia:Lumen (Biologie)|Lumen]] des Ausflusstrakts sorgt dafür, dass das Blut relativ „sortenrein“ durch das Herz fließt, das Blut aus den beiden Vorhöfen sich also nur wenig vermischt. Das sauerstoffreichere Blut wird zum überwiegenden Teil in die Halsschlagadern und die Aorta gepumpt, während das sauerstoffärmere Blut in die Lungen-Haut-Arterie gelenkt wird. Wie Reptilien und Vögel besitzen die Amphibien bereits einen [[Wikipedia:Nierenpfortader|Nierenpfortader]]kreislauf.<br />
<br />
==== Entwicklung ====<br />
Amphibien haben ursprünglich vier paarige [[Wikipedia:Kiemenbogen|Kiemenbogen]]arterien, die zu beiden Seiten aus der Aorta entspringen. Bei ausgewachsenen Lurchen entwickelt sich die erste zur ''Arteria carotis'', die den Kopf versorgt. Die Arterien des zweiten Bogens vereinigen sich zur ''Aorta descendens'', der absteigenden Aorta. Die dritte Kiemenbogenarterie bildet sich zurück, und aus den vierten entwickelt sich der paarige [[Wikipedia:Aortenbogen|Aortenbogen]].<br />
<br />
=== Reptilien ===<br />
[[Datei:Blutkreislauf Reptilien.svg|mini|250px|Schematische Darstellung des Blutkreislaufs der Reptilien:<br />rot = sauerstoffreiches Blut<br />blau = sauerstoffarmes Blut<br />rosa = Mischblut]]<br />
<br />
Die zu den [[Wikipedia:Reptilien|Reptilien]] zusammengefassten [[Wikipedia:Taxon|Taxa]] besitzen ein Herz, das ebenso aus zwei Vorhöfen und einer Kammer besteht. Diese ist jedoch nahezu vollständig durch eine Scheidewand in zwei Hälften geteilt. Aus dem Körper strömt sauerstoffarmes Blut in den rechten Vorhof, aus den Lungen mit Sauerstoff angereichertes Blut fließt in den linken Vorhof. Beide Vorhöfe pumpen das Blut in die Herzkammer, aus der drei Schlagadern abgehen. In der rechten fließt sauerstoffarmes Blut zur Lunge, in der linken sauerstoffreiches Blut zum Kopf und in den Körper. Da die Trennung der Herzkammer jedoch nicht vollständig ist, kommt es zur Bildung von Mischblut (circa 10 bis 40&nbsp;Prozent). Dieses fließt durch die mittlere Schlagader in den Körper.<br />
<br />
Eine Besonderheit stellen die [[Wikipedia:Krokodile|Krokodile]] dar, bei ihnen sind die beiden Herzkammern komplett getrennt. Zwischen der linken und der rechten Schlagader besteht bei ihnen mit dem ''Foramen Panizzae'' eine Verbindung. Dabei entspringt die linke Aorta an der rechten Herzkammer und die rechte an der linken. Durch das Fenster vermischt sich das sauerstoffreiche Blut der rechten Kammer mit dem sauerstoffarmen der linken Kammer im Bereich der rechten Aorta, so dass Mischblut in den Körperkreislauf geführt wird und dabei vor allem in die peripheren Bereiche des Körpers gelangt. Zugleich fördert die linke Aorta sauerstoffreiches Blut in den Körper und vor allem in den Kopf des Tieres. Beim Tauchvorgang schließt sich das ''Foramen Panizzae'' vollständig, so dass die rechte Aorta nur noch mit sauerstoffarmem Blut versorgt wird, der Kopf jedoch weiterhin sauerstoffreiches Blut bekommt.<br />
<br />
Auch bei den Dinosauriern lag vermutlich eine vollständige Trennung der Herzkammern vor, was sie zu gewissermaßen gleichwarmen Tieren machen würde und somit deren langes Überleben erklären könnte (siehe [[Wikipedia:Thermoregulation#Sinn der Thermoregulation|Thermoregulation]]). Dies ergibt sich aufgrund ihrer Position im Stammbaum zwischen den Krokodilen und den Vögeln, die beide eine durchgängige Trennwand im Herzen besitzen.<br />
<!-- Erst wenn im Herzen keine Mischung von sauerstoffarmen und sauerstoffreichem Blut mehr stattfindet, ist das Lebewesen nicht mehr wechselwarm, sondern gleichwarm.--><br />
<br />
== Blutkreislauf der gleichwarmen Wirbeltiere ==<br />
[[Datei:Blutkreislauf Gleichwarme.svg|250px|mini|Schematischer Aufbau eines doppelten Blutkreislaufs:<br />rot = sauerstoffreiches Blut<br />blau = sauerstoffarmes Blut]]<br />
<br />
Im Gegensatz zu den wechselwarmen Tieren ist das [[Herz]] der gleichwarmen Tiere, also auch das des [[Mensch]]en, vollständig in vier Räume (Herzhöhlen genannt) geteilt. Deshalb kann es als in zwei Hälften geteilt betrachtet werden, obwohl es sich im gesamten um ein einziges [[Organ (Biologie)|Organ]] handelt. Jede dieser Hälften besteht aus einem Vorhof und einer Kammer, die jeweils als Einheit arbeiten. Während die rechte Herzhälfte das Blut durch den Lungenkreislauf pumpt, der das Blut mit Sauerstoff anreichert, pumpt die linke Herzhälfte das Blut durch den Körperkreislauf, um die Organe mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen.<br />
<br />
Diese beiden Kreisläufe sind in Reihe geschaltet, so dass das gesamte Blut immer auch durch den Lungenkreislauf fließen muss. Im Unterschied dazu sind die Organe im Körperkreislauf parallel geschaltet.<br />
<br />
Die Existenz zweier Blutkreisläufe (großer Körper- und kleiner Lungenkreislauf) hat wichtige Vorteile:<br />
* Der Druck kann in beiden Kreisläufen unterschiedlich sein. Im Lungenkreislauf ist er erheblich niedriger, so dass eine geringere Wanddicke in den Lungen einen besseren [[Wikipedia:Gasaustausch|Gasaustausch]] ermöglicht.<br />
* Die Lunge mit ihren Kapillaren funktioniert als Filter gegen Blutgerinnsel ([[Wikipedia:Thrombus|Thromben]]) u.&nbsp;ä., bevor das Blut von der linken Herzseite unter anderem zum Gehirn gepumpt wird. Die Lunge hat dazu thrombenlösende Eigenschaften.<br />
<br />
Im [[Wikipedia:Lungenkreislauf|Lungenkreislauf]] verlässt das Blut die rechte Herzkammer über den ''Lungenstamm'' (lat. ''[[Wikipedia:Truncus pulmonalis|Truncus pulmonalis]]'') in Richtung der [[Lunge]]n, wo es mit Sauerstoff angereichert wird. Dann wird es von der ''Lungenvene'' (lat. ''Vena pulmonalis'') in den linken Herzvorhof gepumpt. Vom linken Vorhof gelangt es in die linke Kammer, von wo aus es durch die [[Wikipedia:Aorta|Aorta]] in den [[Wikipedia:Körperkreislauf|Körperkreislauf]] gepumpt wird. Während bei den Säugern die Aorta auf der linken Körperseite verläuft, liegt sie bei Vögeln auf der rechten. Nach der Versorgung der Organe kehrt das nun mit [[Wikipedia:Kohlendioxid|Kohlendioxid]] angereicherte Blut durch die [[Wikipedia:Vena cava superior|obere]] und die [[Wikipedia:Vena cava inferior|untere Hohlvene]] in den rechten Vorhof zurück. Wenn das Blut vom rechten Vorhof in die rechte Kammer kommt, beginnt der Kreislauf von neuem.<br />
<br />
Eine Besonderheit stellt das [[Wikipedia:Pfortader|Pfortader]]system dar. Blut, das von den Organen des [[Wikipedia:Verdauungstrakt|Verdauungstrakt]]s kommt, wird in der Pfortader gesammelt und gelangt in die Leber, wo die aufgenommenen [[Wikipedia:Nährstoff|Nährstoff]]e verwertet werden. Auch die Hirnanhangsdrüse ([[Hypophyse]]) hat ein [[Wikipedia:Hypophysenpfortader|Pfortadersystem]]. Vögel und Reptilien haben zudem eine [[Wikipedia:Nierenpfortader|Nierenpfortader]].<br />
<br />
== Physiologie ==<br />
[[Datei:Electrical model cardiovascular system.svg|mini|hochkant=1.25|Elektrisches Analogon des menschlichen Kreislaufs. Hochdrucksystem rot, Niederdrucksystem blau. [[Wikipedia:Kondensator (Elektrotechnik)|Kondensatoren]] unterschiedlicher [[Wikipedia:Elektrische Kapazität|Kapazität]] modellieren die Dehnbarkeiten.]]<br />
<br />
Es gelten die Gesetze der [[Wikipedia:Hydromechanik|Hydromechanik]]. Zur Beschreibung des Herz-Kreislauf-Systems bedient man sich Analogien zu [[Wikipedia:Stromkreis|elektrischen Stromkreisen]]:<br />
* [[Wikipedia:Elektrische Spannung|Elektrische Spannung]] <math>U</math> →&nbsp;[[Wikipedia:Druck (Physik)|Druckdifferenz]] <math>\Delta p</math><br />
* [[Wikipedia:Elektrische Stromstärke|Elektrische Stromstärke]] <math>I</math> (Ladung pro Zeit) →&nbsp;[[Wikipedia:Volumenstrom|Volumenstrom]]stärke <math>\dot V</math> (Blutvolumen pro Zeit)<br />
* [[Wikipedia:Elektrischer Widerstand|Elektrischer Widerstand]] <math>R</math> →&nbsp;[[Wikipedia:Gefäßwiderstand|Gefäßwiderstand]] <math>R</math><br />
<br />
Die [[Wikipedia:Kirchhoffsche Regeln|kirchhoffschen Regeln]] lassen sich folgendermaßen übertragen:<br />
# Bei Aufzweigung oder Vereinigung von Gefäßen ist die Summe der Volumenstromstärken der zuführenden Gefäße gleich der Summe der Volumenstromstärken der abführenden Gefäße. Dies ergibt sich intuitiv aus der Überlegung, dass kein Blut verloren geht.<br />
# Zwischen zwei Punkten im Gefäßsystem A und B besteht eine Druckdifferenz, die sich als Summe der Druckdifferenzen auf dem Weg von A nach B berechnen lässt. Für jeden beliebigen Weg durch das Gefäßsystem erhält man dieselbe Druckdifferenz zwischen A und B.<br />
<br />
Von besonderer Bedeutung ist die Entsprechung des [[Wikipedia:Ohmsches Gesetz|ohmschen Gesetzes]]:<br />
:<math>\Delta p = R \cdot \dot V</math> oder umgestellt <math>\dot V = \frac{\Delta p}{R}</math><br />
<br />
Sie besagt, dass die Druckdifferenz zwischen den Enden eines Gefäßsystems umso größer ist, je größer der Widerstand und je größer die Stromstärke ist. Umgestellt nach der Stromstärke ergibt sich, dass diese umso größer ist, je größer die Druckdifferenz und je kleiner der Widerstand ist; der Abfall des Druckes im Verlauf eines Gefäßsystems lässt sich damit als Antrieb des Blutstroms auffassen. All diese Zusammenhänge gelten sowohl für einzelne Gefäße als auch für größere Stromgebiete (z.&nbsp;B. ganzes Organ, alle Arterien, gesamter Körperkreislauf); die entsprechenden Widerstände ergeben sich dabei unter sinngemäßer Anwendung der Regeln zur [[Wikipedia:Elektrischer Widerstand#Reihen- und Parallelschaltung|Addition von elektrischen Widerständen in Reihen- und Parallelschaltung]] aus den Widerständen der enthaltenen Einzelgefäße oder Gefäßsysteme.<br />
<br />
Der Widerstand des gesamten Körperkreislaufs heißt ''[[Wikipedia:Peripherer Widerstand|totaler peripherer Widerstand]]'' (TPR). Weil die gedanklich zusammengefassten Kreislaufabschnitte „Arterien“, „Arteriolen“, „Kapillaren“, „Venolen“ und „Venen“ in Reihe geschaltet sind, lässt sich der TPR durch Addition der zusammengefassten Widerstände dieser Kreislaufabschnitt berechnen. So entfallen vom Widerstand<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=581}}</ref><br />
* 45–55 % auf die terminalen Arterien und Arteriolen (''Widerstandsgefäße'', regulierbar),<br />
* 20–25 % auf die Kapillaren,<br />
* 3–4 % auf die Venolen und nur<br />
* 3 % auf die mittleren und großen Venen.<br />
<br />
Aus der Reihenschaltung folgt ferner, dass die Stromstärke in all diesen Kreislaufabschnitten dieselbe ist, nämlich das [[Wikipedia:Herzzeitvolumen|Herzzeitvolumen]]. Weil der Volumenstrom derselbe ist, treten wegen <math>\Delta p = R \cdot \dot V</math> in den Abschnitten mit dem größten Widerstand auch die größten Druckabfälle auf: Beträgt der Mitteldruck in der Aorta und in den großen Arterien noch etwa 130&nbsp;hPa (100&nbsp;mmHg), fällt er in den Arterienästen auf 50&nbsp;hPa (40&nbsp;mmHg) ab, und beträgt in den Kapillaren nur noch 33&nbsp;hPa (25&nbsp;mmHg). In den Venolen beträgt er 27&nbsp;hPa (20&nbsp;mmHg), in den Pfortadern letztendlich nur noch 4&nbsp;hPa (3&nbsp;mmHg). Insgesamt wird der Blutstrom durch den Körperkreislauf also von einer Druckdifferenz in der Größenordnung 90&nbsp;mmHg angetrieben, diese Differenz wird auch als ''arteriovenöse Druckdifferenz'' (Differenz zwischen ''[[Wikipedia:Mittlerer arterieller Druck|mittlerem arteriellen]]'' und ''[[Wikipedia:Zentraler Venendruck|zentralem Venendruck]]'') bezeichnet. Der Widerstand des Lungenkreislaufs ist viel niedriger als der des Körperkreislaufs; weil die Stromstärke (normale Anatomie vorausgesetzt) aber dieselbe sein muss, sind hier nur 7&nbsp;mmHg Druckdifferenz zwischen den [[Wikipedia:Arteria pulmonalis|Pulmonalarterien]] (14&nbsp;mmHg) und den [[Wikipedia:Arteria pulmonalis|Lungenvenen]] (7&nbsp;mmHg) nötig.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=621}}</ref><br />
<br />
Unter Verwendung der Größen arteriovenöse Druckdifferenz für <math>\Delta p</math>, totaler peripherer Widerstand für <math>R</math> und Herzzeitvolumen für <math>\dot V</math>, lassen sich Aussagen über den gesamten Körperkreislauf treffen: Eine Senkung des TPR erhöht bei gleichbleibender arteriovenöser Druckdifferenz wegen <math>\dot V = \frac{\Delta p}{R}</math> das Herzzeitvolumen, anders gesagt muss die [[Wikipedia:Herzfrequenz|Frequenz]] oder das [[Wikipedia:Schlagvolumen|Schlagvolumen]] des Herzens steigen, damit der Blutdruck konstant bleibt. Wird dagegen das Herzzeitvolumen konstant behalten, sinkt wegen <math>\Delta p = R \cdot \dot V</math> die arteriovenöse Druckdifferenz und damit der arterielle Blutdruck.<br />
<br />
=== Blutdruck und -volumen ===<br />
[[Datei:Herz-Kreislauf-Diagramm.svg|mini|hochkant=1.25|Herz&shy;zeit&shy;volumen und zentraler Venen&shy;druck ergeben sich im Herz-Kreislauf-Diagramm als Schnitt&shy;punkt von Herz&shy;funktions&shy;kurve und Gefäß&shy;funktions&shy;kurve.<br />
{| class="mw-collapsible mw-collapsed" style="margin:0.5em 0 0 0"<br />
|+ Legende<br />
|-<br />
| style="background-color:#ffdddd;"| Herz&shy;funktions&shy;kurve (HZV steigt mit zunehmendem ZVD wegen Frank/Starling)<br />
<ul><br />
<li>gepunktet: gesteigerte<sup>s</sup> bzw. verminderte<sup>p</sup> Herz&shy;kraft</li><br />
</ul><br />
|-<br />
| style="background-color:#ddddff;"| Gefäß&shy;funktions&shy;kurve (ZVD sinkt mit zunehmendem HZV wegen Verlagerung von Blut ins Hochdruck&shy;system)<br />
<ul><br />
<li>gepunktet: verminderter<sup>−s</sup> (oben) bzw. erhöhter<sup>+s</sup> (unten) peripherer Widerstand</li><br />
<li>gestrichelt: gesteigertes bzw. vermindertes Blut&shy;volumen oder verminderte<sup>+s</sup> bzw. gesteigerte<sup>−s</sup> Venen&shy;kapazität</li><br />
</ul><br />
|-<br />
| Die Verschiebungen der Kurven treten im Rahmen der sympathischen (s) und parasympathischen (p) Steuerung auf, können aber auch Krankheiten modellieren.<br />
|}]]<br />
<br />
Man unterscheidet zwischen dem Niederdruck- und dem Hochdrucksystem. Zum Niederdrucksystem gehören die Venen des Körperkreislaufs, das rechte Herz, die Gefäße des Lungenkreislaufs, der linke Vorhof und nur während der Diastole auch die linke Herzkammer.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=582}}</ref> Zum Hochdrucksystem gehören die linke Kammer während der Systole sowie die Arterien und Arteriolen des Körperkreislaufs.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=582}}</ref> Das Niederdrucksystem enthält fast 85 % des [[Wikipedia:Blutvolumen|Blutvolumen]]s,<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=582}}</ref> <br />
<br />
Ohne Herztätigkeit ergibt sich ein mittlerer Füllungsdruck von etwa 6–7&nbsp;mmHg in beiden Systemen.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=583}}</ref> Ein arbeitendes Herz hält verglichen mit diesem Zustand eine Verschiebung von Blut ins Hochdrucksystem aufrecht. Dabei steigt der ''[[Wikipedia:Mittlerer arterieller Druck|mittlere arterielle Blutdruck]]'' stark an, während der ''[[Wikipedia:Zentraler Venendruck|zentrale Venendruck]]'' nur um etwa 2–4&nbsp;mmHg abfällt.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=583}}</ref> Der Grund dafür sind die sehr unterschiedlichen Dehnbarkeiten beider Systeme: Eine gleiche Druckveränderung geht im Niederdrucksystem mit einer 200-mal größeren Volumenveränderung einher als im Hochdrucksystem.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=582}}</ref> Venen stellen daher ''Kapazitätsgefäße'' dar, deren Kapazität ([[Wikipedia:Compliance (Physiologie)|Compliance]], Volumen pro Druck) durch gesteigerten glattmuskulären Tonus gesenkt werden kann,<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=584}}</ref> wobei der zentrale Venendruck steigt.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=552}}</ref> Dies tritt als Anpassung an körperliche Aktivität auf (da ein erhöhter zentraler Venendruck über den [[Wikipedia:Frank-Starling-Mechanismus|Frank-Starling-Mechanismus]] das [[Wikipedia:Schlagvolumen|Schlagvolumen]] des Herzens erhöht), ferner kompensatorisch bei Blutverlust (der fast vollständig das Niederdrucksystem betrifft) sowie als Teil der [[Wikipedia:Orthostase-Reaktion|Orthostase-Reaktion]]. Im umgekehrten Fall, der zum Beispiel bei [[Wikipedia:Bluttransfusion|Bluttransfusion]]en auftritt, ändert sich ebenfalls hauptsächlich das Volumen des Niederdrucksystems.<br />
<br />
Spricht man umgangssprachlich vom [[Wikipedia:Blutdruck|Blutdruck]], so meint man den Blutdruck der Arterien im Körperkreislauf. Dieser schwankt zwischen [[Wikipedia:Systole|Systole]] (der Auswurfphase des Herzens) und [[Wikipedia:Diastole|Diastole]] (der Füllungsphase in den vier Herzhöhlen) und wird als Doppelwert dieser beiden Phasen angegeben. Dabei werden zuerst der systolische und dann der diastolische Wert genannt. Durchschnittlich liegen diese Werte für die Systole zwischen 130 und 190&nbsp;hPa (100–140&nbsp;mmHg) und für die Diastole zwischen 80 und 120 hPa (60–90 mmHg). Der Unterschied zwischen dem systolischen und dem diastolischen Blutdruck wird als [[Wikipedia:Pulsamplitude|Pulsamplitude]], als ''Blutdruckamplitude'' oder als Pulsdruck bezeichnet.<br />
<br />
=== Blutfluss ===<br />
Obwohl das Herz nur während der Systole Blut auswirft, ist der Blutstrom durch den Körper recht gleichmäßig. Dies liegt an der sogenannten [[Wikipedia:Windkesselfunktion|Windkesselfunktion]] der Aorta und der großen Arterien. Während der Systole dehnt sich die Gefäßwand aus; so nimmt die Schlagader einen Teil des ausgeworfenen Blutes auf – und gibt ihn in der Diastole, in der kein Blut aus dem Herzen austritt, wieder ab. Diese Volumendehnbarkeit ([[Wikipedia:Compliance (Physiologie)|Compliance]]) wandelt also das stoßweise austretende Blut in einen gleichmäßigeren Strom um. Würde der Druck nicht durch die elastischen Gefäße gespeichert werden können, so würde der Druck in der Aorta wesentlich dramatischer schwanken. Interessanterweise würde im zeitlichen Mittel aber wesentlich weniger Blut durch die Gefäße strömen, da viel Strömungsenergie für das ständige Beschleunigen des Blutes aufgezehrt würde.<br />
<br />
Die Druckwelle bewegt sich beim jungen, erwachsenen [[Mensch]]en mit etwa 6 Metern pro Sekunde, beim alten Menschen verdoppelt sich die Geschwindigkeit. Da mit zunehmendem Lebensalter die [[Wikipedia:Gefäß (Anatomie)|Gefäßwände]] immer unelastischer werden, vermindert sich der Druckspeichereffekt mit dem Lebensalter immer mehr und der [[Wikipedia:Volumen|Volumen]]strom reduziert sich.<br />
<br />
Von der Geschwindigkeit der Druckwelle zu unterscheiden ist die wesentlich geringere Fließgeschwindigkeit des Blutes. Das Produkt von Fließgeschwindigkeit ''v'' und Querschnittsfläche ''A'' aller parallel geschalteten Gefäße eines Kreislaufabschnitts (z.&nbsp;B. aller Arterien, aller Arteriolen, aller Kapillaren, aller Venolen oder aller Venen) muss im zeitlichen Mittel dem Herzzeitvolumen entsprechen. Aus dem Kontinuitätsgesetz<br />
<br />
:<math>\dot V = v \cdot A = \text{konst.}</math><br />
<br />
folgt, dass die Fließgeschwindigkeit in der verhältnismäßig engen Aorta am größten (bei einem Querschnitt von 5&nbsp;cm² maximal 1,2&nbsp;m/s, im Mittel 0,15&nbsp;m/s bis 0,2&nbsp;m/s)<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=579}}</ref> und in den postkapillären Venolen am kleinsten ist (bei einem geschätzten Gesamtquerschnitt von 0,3&nbsp;m² unter Annahme eines Herzzeitvolumens von 5,6&nbsp;l/min 0,3&nbsp;mm/s)<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=581}}</ref>. Die niedrige Fließgeschwindigkeit bei geringem Druck prädestiniert die postkapillären Venolen für den [[Wikipedia:Leukodiapedese|Durchtritt von Immunzellen]].<br />
<br />
Während der Blutfluss in den Arterien allein von der Pumpkraft des Herzens realisiert wird, spielen bei Venen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zu einem gewissen Grad wirkt die Pumpkraft über das Kapillarbett hinaus auch auf die Venen (sog. ''vis a tergo'', „Kraft von hinten“). In den Venen wird das Blut vor allem schubweise über von außen wirkende Kräfte zurück zum Herz transportiert. Die ''äußeren Kräfte'' sind vor allem die Kontraktionen umliegender [[Wikipedia:Skelettmuskel|Skelettmuskel]]n ([[Wikipedia:Muskelpumpe|Muskelpumpe]]), außerdem die Druckwellen durch anliegende Arterien. Bei den großen Venen im Körperinneren wird der Blutfluss durch die Druckschwankungen bei der Atmung (Erweiterung der Venen durch den Unterdruck bei der [[Wikipedia:Inspiration (Medizin)|Inspiration]]) realisiert. [[Wikipedia:Venenklappe|Venenklappe]]n verhindern, dass Blut durch die Kraftwirkung oder aufgrund der Schwerkraft in die falsche Richtung fließt. Der Ansaugdruck durch die Erweiterung der Vorhöfe des Herzens spielt nur bei den herznahen großen Venen eine Rolle.<br />
<br />
=== Regulation ===<br />
Die gleichzeitige maximale Durchblutung aller Gefäße ist nicht möglich, da maximale Durchblutung minimale Gefäßwiderstände bedeutet und der totale periphere Widerstand damit so niedrig wäre, dass selbst bei maximalem Herzzeitvolumen der Blutdruck nicht mehr [[Wikipedia:Homöostase|im Soll gehalten]] werden könnte (dieser lebensbedrohliche Zustand tritt näherungsweise beim [[Wikipedia:Schock (Medizin)#Anaphylaktischer Schock|anaphylaktischen Schock]] auf). Der Körperkreislauf besteht daher aus vielen parallel geschalteten Anteilen, die je nach Aktivität zu- oder abgeschaltet werden können, sodass der periphere Widerstand nicht unnötig niedrig ist und das Herz geschont wird. So wird etwa nach der Nahrungsaufnahme der [[Wikipedia:Verdauungsapparat|Verdauungsapparat]] vorrangig versorgt, andere [[Organsystem]]e werden gedrosselt, Hochleistungssport ist dann nicht möglich. Die Realisierung dieser Zu- und Abschaltungen erfolgt über mehrere Wege:<br />
<br />
* Die Gefäßweite ''(das [[Wikipedia:Lumen (Biologie)|Lumen]])'' der Arterien und besonders der [[Wikipedia:Arteriole|Arteriole]]n wird durch den Spannungszustand ([[Wikipedia:Tonus|Tonus]]) der [[Wikipedia:Glatte Muskulatur|glatten Muskulatur]] in der Gefäßwand gesteuert. Gefäßweitung ([[Wikipedia:Vasodilatation|Vasodilatation]]) senkt den Gefäßwiderstand und steigert die Durchblutung, Gefäßverengung ([[Wikipedia:Vasokonstriktion|Vasokonstriktion]]) steigert den Gefäßwiderstand und senkt die Durchblutung. Durch die Tätigkeit lokaler [[Wikipedia:Schrittmacherpotential|Schrittmacherzellen]]<ref>{{Literatur | Autor= | Titel=Physiologie | Herausgeber=Hans-Christian Pape, Armin Kurtz, [[Wikipedia:Stefan Silbernagl|Stefan Silbernagl]] | Auflage=7. | Verlag=Georg Thieme Verlag | Ort=Stuttgart | Datum=2014 | ISBN=978-3-13-796007-2 | Seiten=220 }}</ref> ist der Tonus der Arteriolen selbst bei Konstanz aller steuernden Signale nicht statisch, sondern oszilliert mit niedriger Frequenz ([[Vasomotion]]), sodass die Durchblutung auf Ebene der [[Wikipedia:Mikrozirkulation|Mikrozirkulation]] zeitlich periodischen Schwankungen unterliegt. Zu einem gegebenen Zeitpunkt ist durchschnittlich nur ein Drittel der Kapillaren durchströmt, wobei sowohl dieser Anteil als auch der Strom durch die einzelne Kapillare bei Dilatation der vorgeschalteten Arteriole zunimmt.<ref>{{Literatur | Autor= | Titel=Physiologie des Menschen | Herausgeber=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann | Auflage=31. | Verlag=Springer Medizin Verlag | Ort=Heidelberg | Datum=2010 | ISBN=978-3-642-01650-9 | Seiten=588, 768 }}</ref><br />
* [[Wikipedia:Arteriovenöse Anastomose|Arteriovenöse Anastomose]]n: [[Wikipedia:Anastomose|Anastomose]]n sind Querverbindungen zwischen Blutgefäßen, in diesem Fall zwischen Arteriole und Venole. Die Öffnung von arteriovenösen Anastomosen ermöglicht in manchen Organen die Umgehung des Kapillarbetts.<br />
* Vorkapillare Schließmuskeln: Normale Arterien können zwar ihr Lumen verengen, aber nicht bis zu einem vollständigen Verschluss. In den kleinsten Arteriolen gibt es dagegen spezielle Bildungen der mittleren Wandschicht, die als ''Sphincter praecapillaris'' bezeichnet werden. Diese können das Lumen verschließen und somit den Blutfluss im sich anschließenden Kapillarbett reduzieren.<br />
* Sperrarterien: Sperrarterien sind Arterien, die ebenfalls ihr Lumen verschließen können. Solche Sperrarterien gibt es am [[Wikipedia:Penisschwellkörper|Penisschwellkörper]]. Sie sind normalerweise geschlossen und erst ihre Öffnung löst einen Blutfluss und damit die Schwellkörperfüllung ([[Wikipedia:Erektion|Erektion]]) aus.<br />
* Drosselvenen: Drosselvenen sind Venen, die ihr Lumen einengen können. Sie kommen vor allem in der [[Wikipedia:Schleimhaut|Schleimhaut]] des [[Wikipedia:Darm|Darm]]es vor. Bei einer Einengung werden der Blutabfluss aus dem Darm verlangsamt und damit die Blutmenge vergrößert und die Zeit zum Übertritt der [[Wikipedia:Resorption|resorbierten]] Nährstoffe in das Blut verlängert. Außerdem sind sie im [[Wikipedia:Nebenniere|Nebenniere]]nmark zu finden.<br />
<br />
Beim gesunden Tier (oder Mensch) kann eine ausreichende Durchblutung in einer weiten Spanne von Umgebungs- und Belastungsbedingungen aufrechterhalten werden. Dabei stehen die Ansprüche der Organe nach guter Versorgung, die Verteilung des Blutstroms nach den Anforderungen der [[Wikipedia:Thermoregulation|Thermoregulation]] an den Wärmetransport und die Minimierung der Herzarbeit im Widerstreit zueinander, was sich in den unterschiedlichen Regelkreisen widerspiegelt. Hinzukommen Mechanismen zur Senkung der Durchblutung bei [[Wikipedia:Hämostase|Gefäßverletzung]] und zur Steigerung der Durchblutung bei [[Wikipedia:Entzündung|Entzündung]] und [[Wikipedia:Heilung|Heilung]]. Kreislaufregulatorische Einrichtungen werden durch<br />
* [[Wikipedia:Nerv|neuronale]] Signale aus dem [[Wikipedia:Zentralnervensystem|Zentralnervensystem]],<br />
* [[Wikipedia:Hormon|hormonale]] Signale und<br />
* lokal-chemische Signale beeinflusst,<br />
wobei die lokalen Signale eine ausreichende Blutversorgung sichern und die globalen Signale, die der Konstanz des Blutdrucks dienen, überschreiben können. Sportliche Aktivität bewirkt beispielsweise globale Vasokonstriktion, die lokal zugunsten der arbeitenden Muskulatur und der Wärmeabgabe über die Haut aufgehoben wird; im Ergebnis ist der periphere Widerstand nur so stark erniedrigt, dass der Blutdruck bei erhöhtem Herzzeitvolumen konstant oder sogar erhöht ist.<br />
<br />
==== Zentrale Regelkreise ====<br />
Regelzentrum der zentralen Kreislaufsteuerung sind Neuronenpopulationen in der [[Wikipedia:Formatio reticularis|Formatio reticularis]] der [[Wikipedia:Medulla oblongata|Medulla oblongata]] und den bulbären Abschnitten des [[Wikipedia:Pons|Pons]]. Diese werten Informationen von Kreislaufsensoren aus, die den arteriellen Blutdruck, die Pulsfrequenz, den Füllungsdruck des Niederdrucksystems und den [[Wikipedia:pH-Wert|pH-Wert]], [[Wikipedia:Kohlendioxid|Kohlendioxid]]- und [[Sauerstoff]]-[[Wikipedia:Partialdruck|Partialdruck]] des Blutes messen. Über [[Wikipedia:Sympathikus|Sympathikus]] und [[Wikipedia:Parasympathikus|Parasympathikus]] werden Herzaktivität ([[Wikipedia:Chronotropie|Chronotropie]], [[Wikipedia:Inotropie|Inotropie]] usw.) und Gefäßtonus (Widerstand der Widerstandsgefäße und Dehnbarkeit der Kapazitätsgefäße) in geeigneter Weise beeinflusst, sodass [[Wikipedia:Negative Rückkopplung|negativ rückgekoppelte]] [[Wikipedia:Regelkreis|Regelkreis]]e entstehen.<br />
<br />
* [[Wikipedia:Baroreflex|Baroreflex]]: In der Wand der Aorta und des [[Wikipedia:Sinus caroticus|Karotissinus]] messen Dehnungssensoren ([[Wikipedia:Barorezeptor|Barorezeptor]]en) den transmuralen Druck und leiten die Information über den [[Wikipedia:Nervus vagus|Nervus vagus]] bzw. [[Wikipedia:Nervus glossopharyngeus|Nervus glossopharyngeus]] zum [[Wikipedia:Nucleus tractus solitarii|Nucleus tractus solitarii]]. Diese Regulation wirkt aber nur akuten Blutdruckänderungen entgegen, wie zum Beispiel beim Aufstehen aus dem Liegen. Ist der Blutdruck jedoch immer auf einem erhöhten (oder erniedrigten) Niveau, so erfolgt eine Anpassung und der „neue“ Blutdruck wird gleich gehalten. Ein Ausfall der Barosensoren führt zu einem erhöhten und stark schwankenden Blutdruck. Die zentrale Verarbeitung von Druckinformationen –&nbsp;auch von solchen, die Sensoren im Niederdrucksystem gewinnen&nbsp;– ist ferner im [[Wikipedia:Volumenhaushalt|Volumenhaushalt]], der über das Blutvolumen und den [[Wikipedia:Frank-Starling-Mechanismus|Frank-Starling-Mechanismus]] den Blutdruck langfristig reguliert, von Bedeutung.<br />
* [[Wikipedia:Ischämie|Ischämie]]<nowiki />reaktionen: Die Gaspartialdrücke und der pH-Wert werden von spezialisierten Sensoren (sog. Chemorezeptoren) in [[Wikipedia:Paraganglion|Paraganglien]] erfasst, die ebenfalls an der Halsschlagader ([[Wikipedia:Glomus caroticum|Glomus caroticum]]), der Aorta (''Paraganglion supracardiale'', Syn. ''Glomus aorticum'') und der Lungenarterie liegen. Sauerstoffunterversorgung des Gehirns löst über den [[Wikipedia:Cushing-Reflex|Cushing-Reflex]] globale Vasokonstriktion mit der Konsequenz eines teils massiven Blutdruckanstiegs aus.<br />
<br />
Durch eine Verletzung von Nerven oder deren Fehlfunktion kann es zu einem spinalen oder neurogenen [[Wikipedia:Schock (Medizin)|Schock]] kommen.<br />
<br />
Der [[Wikipedia:Hypothalamus|Hypothalamus]] wirkt als übergeordnetes Zentrum auf die bisher besprochene Regulation; er löst vegetative Reaktionen aus und nimmt als oberstes Regelzentrum der Thermoregulation Einfluss auf die Durchblutung der Haut, die darüber hinaus Stellglied lokaler und [[Wikipedia:Rückenmark|spinaler]] thermoregulatorischer Regelkreise ist. Die [[Wikipedia:Großhirnrinde|Großhirnrinde]] kann in Form einer zentralen Mitinnervation Einfluss auf die Kreislaufsteuerung nehmen, sodass bereits vor Beginn einer körperlichen Leistung die Herzaktivität gesteigert und die betroffene Muskulatur besser durchblutet wird ([[Startreaktion]]).<br />
<br />
===== Sympathikus =====<br />
Der [[Wikipedia:Ganglion (Nervensystem)|postganglionäre]] [[Wikipedia:Neurotransmitter|Neurotransmitter]] des Sympathikus ist das [[Wikipedia:Noradrenalin|Noradrenalin]]. Aus [[Wikipedia:Varikosität|Varikosität]]en an den kleinen Arterien und Arteriolen freigesetzt bindet es an α<sub>1</sub>-Rezeptoren der glatten Muskulatur und steigert deren Tonus über eine Erhöhung des intrazellulären [[Wikipedia:Calcium|Calcium]]s. Die sympathische Steuerung weist einen Ruhetonus auf, der in Organen mit stark wechselnder Durchblutung besonders ausgeprägt ist; eine Vasodilatation wird durch Nachlassen des Sympathikotonus erreicht. Die Noradrenalinausschüttung wird lokal moduliert: Angiotensin II wirkt stimulierend (auch auf die Synthese, die Wiederaufnahme wird dagegen gehemmt), H⁺, K⁺, [[Wikipedia:Adenosin|Adenosin]], [[Wikipedia:Histamin|Histamin]], [[Wikipedia:Serotonin|Serotonin]], [[Wikipedia:Prostaglandin E1|Prostaglandin E<sub>1</sub>]], [[Wikipedia:Acetylcholin|Acetylcholin]] und [[Wikipedia:Stickstoffmonoxid|NO]] wirken hemmend. Noradrenalin hemmt seine eigene Ausschüttung im Sinne einer [[Wikipedia:Negative Rückkopplung|negativen Rückkopplung]] durch Bindung an α<sub>2</sub>-Rezeptoren der Varikosität.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=594}}</ref><br />
<br />
===== Parasympathikus =====<br />
Die durch den Parasympathikus vermittelte Vasodilatation ist nur in wenigen Organen von Bedeutung, etwa in den [[Wikipedia:Speicheldrüse|Speicheldrüse]]n und den [[Geschlechtsorgan]]en ([[Wikipedia:Erektion|Erektion]]). Als Transmitter wirken NO und Bradykinin.<br />
<br />
==== Hormonale Steuerung ====<br />
[[Wikipedia:Hormon|Hormon]]e und [[Wikipedia:Gewebshormon|Gewebshormon]]e wirken entweder direkt auf die Muskulatur der Gefäßwand oder über endothelvermittelte Mechanismen (weiter [[#Endothelvermittelte Mechanismen|unten]] behandelt).<br />
<br />
===== [[Wikipedia:Katecholamine|Katecholamine]] =====<br />
* Noradrenalin aus dem Blut wirkt wie Noradrenalin aus sympathischen Varikositäten konstriktiv durch Bindung an α<sub>1</sub>-Adrenorezeptoren.<br />
* Adrenalin wird (neben Noradrenalin) im [[Wikipedia:Nebennierenmark|Nebennierenmark]] ins Blut ausgeschüttet und wirkt ebenfalls konstriktiv über α<sub>1</sub>-Rezeptoren. Nur bei niedrigen Konzentrationen löst es in den Gefäßen von Skelettmuskel, Myokard und Leber aufgrund der dort zusätzlich exprimierten β<sub>2</sub>-Rezeptoren eine Vasodilatation aus. β<sub>2</sub>-Rezeptoren binden Adrenalin mit größerer [[Wikipedia:Affinität (Biochemie)|Affinität]] als α<sub>1</sub>-Rezeptoren, bei hohen Konzentrationen werden jedoch beide Rezeptoren aktiviert, wobei die Wirkung der α<sub>1</sub>-Rezeptoren dominiert.<br />
<br />
===== [[Wikipedia:Autakoid|Autakoid]]e =====<br />
* [[Wikipedia:Eikosanoide|Eikosanoide]] haben unterschiedliche Effekte auf die Gefäße. Während [[Wikipedia:Prostaglandin F2α|Prostaglandin-F<sub>2</sub>]] und [[Wikipedia:Thromboxan|Thromboxan]]e A<sub>2</sub> und B<sub>2</sub> konstriktiv wirken, haben [[Wikipedia:Prostaglandin E2|Prostaglandin-E<sub>2</sub>]] und [[Wikipedia:Prostacyclin|PGI<sub>2</sub>]] dilatative Wirkungen.<br />
* Die Wirkungen von [[Wikipedia:Serotonin|Serotonin]] auf die glatte Muskulatur sind komplex und hängen von der Art der exprimierten Rezeptoren ab.<br />
<br />
===== Hormone der Volumen- und Osmoregulation =====<br />
* [[Wikipedia:Angiotensin II|Angiotensin II]] aus dem [[Wikipedia:Renin-Angiotensin-Aldosteron-System|Renin-Angiotensin-Aldosteron-System]] wirkt konstriktiv, indem es die Noradrenalinfreisetzung an der sympathischen Varikosität fördert (siehe [[#Sympathikus|oben]]). Die direkte Wirkung an der glatten Muskulatur ist nur in der [[Wikipedia:Niere|Niere]] bedeutsam; die Vasokonstriktion vermindert dort die Harnproduktion und trägt damit indirekt zur Erhöhung des Blutdrucks bei.<br />
* [[Wikipedia:Antidiuretisches Hormon|ADH]] wirkt in hohen Konzentrationen, wie sie physiologisch nur im Schock auftreten, kreislaufzentralisierend (dilatativ in Herz und Gehirn, sonst konstriktiv), weshalb es auch ''Vasopressin'' genannt wird.<br />
<br />
===== Mediatoren der neurogenen Entzündung =====<br />
Im Rahmen der [[Neurogene Entzündung|neurogenen Entzündung]] setzen [[Wikipedia:Nozizeptor|Schmerzfasern]] [[Wikipedia:Substanz&nbsp;P|Substanz&nbsp;P]] und [[Wikipedia:Calcitonin Gene-Related Peptide|CGRP]] frei, die (ausschließlich bzw. teilweise NO-vermittelt) vasodilatativ wirken.<br />
<br />
==== Lokale Steuerung ====<br />
===== Bayliss-Effekt =====<br />
Beim [[Wikipedia:Bayliss-Effekt|Bayliss-Effekt]] tritt eine Kontraktion der Gefäßmuskulatur als Reaktion auf eine Erhöhung des transmuralen Drucks auf ''(myogene Antwort)'', sodass der Blutdruck in den nachgeschalteten Gefäßabschnitten konstant gehalten wird. Er tritt in [[Gehirn]], [[Wikipedia:Niere|Niere]] und [[Wikipedia:Verdauungstrakt|Verdauungstrakt]] auf, nicht aber in der [[Haut]] oder der [[Lunge]]. Der Bayliss-Effekt betrifft wie der lokal-metabolische Effekt vor allem die (terminalen) Arteriolen.<br />
<br />
===== Lokal-metabolischer Effekt =====<br />
Der lokal-metabolische Effekt passt die Durchblutung den Stoffwechselbedingungen des Organs an (zum Beispiel Steigerung der Durchblutung des [[Wikipedia:Magen-Darm-Trakt|Magen-Darm-Trakt]]es während der [[Wikipedia:Verdauung|Verdauung]] oder der Hand nach kälteinduzierter Minderdurchblutung). Eine Erhöhung der Konzentrationen von [[Wikipedia:Kohlendioxid|Kohlendioxid]], H⁺, K⁺, [[Wikipedia:Adenosindiphosphat|ADP]], [[Wikipedia:Adenosinmonophosphat|AMP]], [[Wikipedia:Adenosin|Adenosin]] oder allgemein der [[Wikipedia:Osmolarität|Osmolarität]] (allesamt Zeichen erhöhter metabolischer Aktivität bzw. Unterversorgung) bewirkt dabei durch direkte Wirkung an der glatten Muskulatur eine Vasodilatation. Die daraus resultierende bessere Durchblutung verhindert das Anfallen oder begünstigt den Abtransport dieser Stoffe. Besonders wichtig ist diese Art der Steuerung im [[Wikipedia:Herzmuskel|Herzmuskel]] (Myokard) und im Gehirn.<br />
<br />
Sauerstoffmangel löst eine Vasodilatation aus, die daraus resultierende Mehrversorgung mit Blut wirkt diesem entgegen (nur in der Lunge kommt es zur Vasokonstriktion, damit das Blut zur Oxygenierung bevorzugt in gut belüftete Lungenabschnitte gelangt). Die Vasodilatation wird dabei durch NO vermitteltet, das bei niedrigem Sauerstoff[[Wikipedia:partialdruck|partialdruck]] [[Wikipedia:hämoglobin|hämoglobin]]<nowiki />katalysiert aus [[Wikipedia:Nitrit|Nitrit]] und S-nitrosierten Proteinen freigesetzt sowie vermehrt vom Endothel gebildet wird (zusammen mit PGI<sub>2</sub>).<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=597}}</ref> Als [[Wikipedia:Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]<nowiki />signal dient ferner das [[Wikipedia:Adenosintriphosphat|ATP]]/[[Wikipedia:Adenosindiphosphat|ADP]]-Verhältnis in den glatten Muskelzellen der Gefäße; über Aktivierung von K⁺<sub>ATP</sub>-Kanälen kommt es zur Hyperpolarisation und damit zur Erschlaffung der Muskulatur mit der Folge verstärkter Durchblutung des hypoxischen Areals.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=773}}</ref><br />
<br />
===== Endothelvermittelte Mechanismen =====<br />
Das [[Wikipedia:Endothel|Endothel]] (die die Gefäßwand auskleidende Zellschicht) bildet vasoaktive Autakoide, die oft zugleich Wachstumsfaktoren sind:<br />
<br />
* dilatativ: [[Wikipedia:Stickstoffmonoxid|NO]], [[Wikipedia:Prostacyclin|PGI<sub>2</sub>]], [[Wikipedia:EDHF|EDHF]] (stimuliert durch Bradykinin), [[C-type natriuretic peptide|CNP]]<br />
* konstriktiv: [[Wikipedia:Endothelin|Endothelin]]-1, [[Urotensin II]]<br />
<br />
Stickstoffmonoxid (NO) wird von der [[Wikipedia:NO-Synthasen|NO-Synthase]] aus [[Wikipedia:Arginin|Arginin]] abgespalten. Da der Signalweg [[Wikipedia:Calmodulin|Calmodulin]]-abhängig ist, wirken Calcium-steigernde Liganden wie [[Wikipedia:Acetylcholin|Acetylcholin]], [[Wikipedia:Histamin|Histamin]], [[Wikipedia:Serotonin|Serotonin]], [[Wikipedia:Adenosintriphosphat|ATP]], [[Wikipedia:Thrombin|Thrombin]], [[Wikipedia:Bradykinin|Bradykinin]] und [[Wikipedia:Substanz P|Substanz P]] dilatativ. Die ersten fünf haben eine gegenteilige Wirkung an der glatten Muskulatur, die bei intaktem Endothel aber von der NO-vermittelten Wirkung überwogen wird.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=597, 601, 602}}</ref><br />
<br />
Ein bedeutender Stimulus für die NO-Synthese ist die detektierte [[Wikipedia:Schubspannung|Schubspannung]] über dem Endothel, die unter Annahme gleichbleibender Stromstärke bei [[Wikipedia:Laminare Strömung|laminarer Strömung]] umgekehrt proportional zur dritten Potenz des Gefäßradius ist. Wenn der Blutstrom in nachgeschalteten Gefäßabschnitten durch lokale Mechanismen gesteigert wird, bewirkt die gesteigerte Schubspannung eine ''aszendierende Dilatation'' der Arteriolen und kleinen Arterien. Dieser Mechanismus unterstützt die bedarfsgerechte Blutversorgung bei lokal gesteigerter Stoffwechselaktivität, da die lokal-metabolischen Effekte nicht bis zu den zuführenden Gefäßen reichen.<ref>{{Literatur |Hrsg=[[Wikipedia:Robert Franz Schmidt|Robert Franz Schmidt]], Florian Lang, Manfred Heckmann |Titel=Physiologie des Menschen |Auflage=31. |Verlag=Springer Medizin Verlag |Ort=Heidelberg |Datum=2010 |ISBN=978-3-642-01650-9 |Seiten=602, 607}}</ref><br />
<br />
Endothelin-1 stimuliert zum einen die Freisetzung von NO, zum anderen wirkt es lokal direkt auf die Gefäßmuskulatur, dann aber konstriktiv. Es wird vom Endothel nach Stimulation durch [[Wikipedia:Angiotensin II|Angiotensin II]] und ADH freigesetzt.<br />
<br />
=== Lymphsystem ===<br />
Das [[Wikipedia:Lymphsystem|Lymphsystem]] dient dazu, Wasser und darin gelöste Stoffe aus dem Körpergewebe wieder dem Blutkreislauf zuzuführen. In Umgebung der Kapillaren findet ein Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Gewebe statt, angetrieben vom ''effektiven Filtrationsdruck'', der sich aus den Differenzen der [[Wikipedia:Hydrostatischer Druck|hydrostatischen]] und [[Wikipedia:Kolloidosmotischer Druck|kolloidosmotischen Drücken]] auf beiden Seiten ergibt. Während im arteriellen Schenkel der Kapillaren der Flüssigkeitsausstrom überwiegt, wechselt der effektive Filtrationsdruck mit Abnahme des Blutdrucks hin zu den postkapillären Venolen das Vorzeichen, sodass ein großer Teil der Flüssigkeit wieder in die Blutgefäße zurückkehrt. Da dieser Prozess aber nicht hundertprozentig effektiv ist, sammeln [[Wikipedia:Lymphgefäß|Lymphgefäß]]e die restliche Flüssigkeit, jetzt [[Wikipedia:Lymphe|Lymphe]] genannt, und führen sie den Venen in der Nähe des Herzens wieder zu. Auf dem Weg dorthin fließt die Lymphe durch die [[Wikipedia:Lymphknoten|Lymphknoten]], in denen sie gefiltert und dem [[Immunsystem]] präsentiert wird. Die Filtrationsbilanz hängt auch vom Tonus der Widerstandsgefäße ab: Vasokonstriktion senkt den Filtrationsdruck und stellt damit auch einen mittelfristigen Mechanismus zur Erhöhung des Plasmavolumens dar.<br />
<br />
== Der Blutkreislauf der Säugetiere vor der Geburt ==<br />
=== Entwicklung beim Embryo ===<br />
Der Blutkreislauf ist eines der am frühesten angelegten Organsysteme des [[Wikipedia:Embryo|Embryo]]s. Die Blutgefäße entwickeln sich, vom [[Wikipedia:Dottersack|Dottersack]] ausgehend, aus sogenannten „Blutinseln“ im [[Wikipedia:Mesenchym|embryonalen Bindegewebe]]. Durch die Verschmelzung der beiden Endokardschläuche am Kopfende des Embryos, verschiedene Krümmungsvorgänge und Bildung von Scheidewänden entsteht daraus das Herz mit seinen beiden Vorhöfen und den Herzkammern. Das Herz gelangt erst mit dem Längenwachstum des Embryos in seine definitive Lage in der [[Wikipedia:Brusthöhle|Brusthöhle]].<br />
<br />
In der Frühphase der Entwicklung des Blutkreislaufes gibt es im vorderen Bereich des Embryos zunächst vier Aorten, zwei rückenseitige (''dorsale Aorten'') und zwei bauchseitige (''ventrale Aorten''). Die dorsalen Aorten besitzen pro [[Wikipedia:Somit|embryonalen Körpersegment]] jeweils Abgänge nach dorsal (rückenwärts) und ventral (bauchwärts), im Bereich der [[Wikipedia:Urniere|Urniere]] auch nach lateral (seitlich), die als ''Segmentarterien'' bezeichnet werden. Die Dorso- und Ventralaorten sind im Bereich der [[Wikipedia:Kiemenbogen|Kiemenbogen]] untereinander durch die sechs Kiemenbogenarterienpaare miteinander verbunden.<br />
<br />
Nun finden im vorderen Embryonalbereich komplexe Umbildungen statt. Die ersten fünf lateralen Segmentarterien sowie die erste, zweite und fünfte Kiemenbogenarterie verschließen sich beidseitig, die dorsalen Aorten zwischen viertem und fünftem Kiemenbogen. Der Vorderabschnitt der ventralen Aorten wird damit zur definitiven äußeren Halsschlagader (''[[Wikipedia:Arteria carotis externa|Arteria carotis externa]]''), aus der dritten Kiemenbogenarterie und dem Vorderabschnitt der dorsalen Aorten beidseitig die innere Halsschlagader (''[[Wikipedia:Arteria carotis interna|Arteria carotis interna]]'').<br />
<br />
Die rechte dorsale Aorta verschließt sich hinter der sechsten lateralen Segmentarterie und wird zusammen mit der vierten rechten Kiemenbogenarterie zur späteren rechten Schlüsselbeinarterie (''[[Wikipedia:Arteria subclavia|Arteria subclavia]] dextra''). Die linke Schlüsselbeinarterie entsteht dagegen nur aus der sechsten lateralen Segmentarterie.<br />
<br />
Die vierte linke Kiemenbogenarterie entwickelt sich zum [[Wikipedia:Aortenbogen|Aortenbogen]] (''Arcus aortae''), die definitive Aorta entsteht aus dessen Fortsetzung in die linke ventrale Aorta. Der Anfangsabschnitt der rechten ventralen Aorta bildet sich zum Arm-Kopf-Stamm (''[[Wikipedia:Truncus brachiocephalicus|Truncus brachiocephalicus]]'') um.<br />
<br />
Die beiden sechsten Kiemenbogenarterien wachsen in die Lungenanlage ein und werden zu den Lungenarterien (''[[Wikipedia:Arteria pulmonalis|Arteriae pulmonales]]''). Rechts verliert sie ihre Verbindung zur ventralen Aorta, aus ihrem Anfangsabschnitt entsteht der Lungenstamm (''Truncus pulmonalis''). Die sechste linke Kiemenbogenarterie erhält jedoch ihre Verbindung zur linken ventralen, also definitiven Aorta bei. Sie bildet damit eine Kurzschlussverbindung zwischen Lungen- und Körperkreislauf, den ''[[Wikipedia:Ductus arteriosus|Ductus arteriosus]]'' (''Ductus Botalli''). Durch die Bildung eines spiraligen Septums (''Septum aorticopulmonale'') im Ursprung des unpaarigen Anfangsabschnitts der dorsalen Aorten erhält die definitive Aorta Anschluss an die linke Herzkammer, der ''Truncus pulmonalis'' an die rechte Herzkammer. Diese sehr komplizierten Umbauvorgänge des Herzens und der herznahen Arterien führen gelegentlich zu Missbildungen (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Fallot-Trilogie|Fallot-Trilogie]], [[Wikipedia:Fallot-Tetralogie|Fallot-Tetralogie]], [[Wikipedia:Fallot-Pentalogie|Fallot-Pentalogie]]).<br />
<br />
Die ursprünglichen ventralen Segmentarterien der nun definitiven Aorta bilden sich bis auf drei unpaare Hauptstämme (''[[Wikipedia:Truncus coeliacus|Truncus coeliacus]]'', ''[[Wikipedia:Arteria mesenterica superior|Arteria mesenterica superior]]'' und ''[[Wikipedia:Arteria mesenterica inferior|Arteria mesenterica inferior]]'') in der [[Wikipedia:Bauchhöhle|Bauchhöhle]] zurück. Die lateralen Segmentarterien werden zu den Nieren- (''[[Wikipedia:Arteria renalis|Arteria renalis]]'') und Keimdrüsenarterien (''[[Wikipedia:Arteria testicularis|Arteria testicularis]]'' bzw. ''[[Wikipedia:Arteria ovarica|Arteria ovarica]]''). Lediglich die dorsalen Segmentarterien behalten ihr ursprüngliches segmentales Abgangsverhalten und bilden die Zwischenrippenarterien (''Arteriae intercostales superiores'') bzw. Lendenarterien (''Arteriae lumbales'').<br />
<br />
=== Blutkreislauf beim Fötus ===<br />
[[Datei:Fetal circulation.png|200px|mini|Blutkreislauf eines menschlichen Fötus]]<br />
<br />
Etwa ab dem 21. Tag nach der [[Wikipedia:Empfängnis|Konzeption]] (ca. 35. Tag nach dem ersten Tag der letzten Regelblutung – [[Wikipedia:Schwangerschaftsdauer|gynäkologische Schwangerschaftsrechnung]]) beginnt das Herz des Embryos zu schlagen, in den folgenden Wochen wird auch die Lunge angelegt. Da die Lungen des [[Wikipedia:Fetus|Fötus]] im Mutterleib noch funktionslos sind, bezieht der Föt sein sauerstoffreiches Blut über die [[Wikipedia:Nabelschnur|Nabelschnur]] aus der [[Wikipedia:Plazenta|Plazenta]]. Das sauerstoffreiche Blut gelangt aus der Nabelvene in der Nabelschnur über den ''[[Wikipedia:Ductus venosus|Ductus venosus]]'' in die untere Hohlvene und umgeht damit zum Großteil die Leber, ein kleinerer Teil versorgt über die Pfortader die Leber mit sauerstoffreichem Blut. Dann gelangt es durch die untere Hohlvene in den rechten Vorhof. Schon in der Hohlvene mischt es sich mit dem sauerstoffarmen Blut aus dem Körperkreislauf und wird zu Mischblut. Ein Teil strömt durch das ''[[Wikipedia:Foramen ovale (Herz)|Foramen ovale]]'' in den linken Vorhof, wird in die linke Herzkammer gepumpt und verlässt das Herz durch die Aorta, um zuerst das Gehirn, das am empfindlichsten auf Sauerstoffmangel reagiert, und den oberen Teil des Körpers zu versorgen. Aus der rechten Kammer gelangt das übrige Blut in den ''Truncus pulmonalis'', ein Teil (etwa ein Drittel) wird in die noch nicht entfalteten Lungen gepumpt. Durch die geringe Sauerstoffversorgung der Lunge sind die Lungengefäße verengt, was den Fließwiderstand erhöht. Die restlichen zwei Drittel des sauerstoffangereicherten Blutes gelangen vom ''Truncus pulmonalis'' noch vor der Lunge über den ''[[Wikipedia:Ductus arteriosus|Ductus arteriosus]]'' in die Aorta (Rechts-links-[[Wikipedia:Shunt (Medizin)|Shunt]]) hinter den Abgängen zum Gehirn und umgehen damit ebenfalls den Lungenkreislauf. Dieses Mischblut versorgt den unteren Teil des Körpers, bis der größte Teil über die von den inneren Beckenarterien abgehenden Nabelarterien wieder in die Plazenta fließt, wo er mit Sauerstoff angereichert wird.<br />
<br />
=== Umbildungen nach der Geburt ===<br />
Bei der [[Wikipedia:Geburt|Geburt]] endet die Versorgung durch die Plazenta. Dies lässt den Kohlendioxidgehalt im Blut ansteigen, was durch Chemorezeptoren einen starken Anreiz zum Atmen erzeugt. Durch das Heben des Brustkorbs sinkt der Druck innerhalb des Brustkorbes. Dies führt zum Leersaugen von Plazenta und Nabelvene und zur Entfaltung der Lungen. Da diese nun das Blut mit Sauerstoff anreichern, weiten sich die Gefäße in der Lunge, was den Gefäßwiderstand reduziert. Deshalb gelangt mehr Blut in die Lungen, die Flussrichtung im ''Ductus arteriosus'' kehrt sich um. Bis zu dessen Schließung wird die Lunge noch kurze Zeit mit Aortenblut versorgt. Nach dem Verschluss wird der ''Ductus arteriosus'' zum ''Ligamentum arteriosum''. Während die Blutmenge im rechten Vorhof durch den Wegfall des Zuflusses aus der Plazenta abnimmt, steigt sie im linken Vorhof durch die Versorgung der Lunge. Das resultierende Druckgefälle und die Verringerung gefäßverengender [[Wikipedia:Prostaglandine|Prostaglandine]] führen dazu, dass sich das ''Foramen ovale'' ebenfalls innerhalb der ersten beiden Wochen nach der Geburt verschließt. Ebenso verschließt sich der ''Ductus venosus''.<br />
<br />
Bleiben diese Anpassungen aus, kann es zu einer [[Wikipedia:Persistierende fetale Zirkulation|persistierenden fetalen Zirkulation]] kommen.<br />
<br />
== Krankheiten des Kreislaufsystems ==<br />
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (auch kardiovaskuläre Erkrankungen genannt) führen heute in den Industrienationen die Todesursachenstatistik mit Abstand an. In Deutschland wird mit leicht abfallender Tendenz knapp die Hälfte aller Todesfälle auf Krankheiten des Kreislaufsystems zurückgeführt.<br />
<br />
Während bei Kindern und jungen Erwachsenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen selten sind und dabei die angeborenen [[Wikipedia:Herzfehler|Herzfehler]] im Vordergrund stehen, führt hauptsächlich die mit dem Alter zunehmende [[Wikipedia:Arteriosklerose|Arteriosklerose]] zu einem altersabhängigen Anstieg der [[Wikipedia:Prävalenz|Prävalenz]] für [[Wikipedia:Herzinfarkt|Herzinfarkt]]e, [[Wikipedia:Schlaganfall|Schlaganfälle]] und andere [[Wikipedia:Durchblutungsstörung|Durchblutungsstörung]]en. Unter den Herzerkrankungen (vgl. [[Wikipedia:Kardiologie|Kardiologie]]) sind Durchblutungsstörungen des Herzmuskels ([[Wikipedia:Koronare Herzkrankheit|Koronare Herzkrankheit]]) und [[Wikipedia:Herzklappenfehler|Herzklappenfehler]] am häufigsten anzutreffen, bei den Gefäßerkrankungen (vgl. [[Wikipedia:Angiologie|Angiologie]]) sind es die [[Wikipedia:arterielle Verschlusskrankheit|arterielle Verschlusskrankheit]] (AVK) der Arterien und das [[Wikipedia:Krampfader|Krampfader]]leiden (Varikose) sowie die [[Wikipedia:Thrombose|Thrombose]] bei den Venen. Der [[Wikipedia:Bluthochdruck|Bluthochdruck]] (arterielle Hypertonie) gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. Er ist die zweithäufigste Diagnose bei [[Wikipedia:Hausarzt|Hausärzten]] und gilt als bedeutsamster [[Wikipedia:Risikofaktor (Medizin)|Risikofaktor]] für Herz-Kreislauf- und [[Wikipedia:Niere|Niere]]nerkrankungen. Zu den [[Wikipedia:Infektion|Infektion]]en des Kreislaufsystems<ref>Marianne Abele-Horn: ''Antimikrobielle Therapie. Entscheidungshilfen zur Behandlung und Prophylaxe von Infektionskrankheiten.'' Unter Mitarbeit von Werner Heinz, Hartwig Klinker, Johann Schurz und August Stich, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Peter Wiehl, Marburg 2009, ISBN 978-3-927219-14-4, S. 36–60.</ref> gehören die [[Wikipedia:Sepsis|Sepsis]] und [[Wikipedia:Katheter|katheterassoziierte]] Infektionen.<br />
<br />
Bei Störungen des Lungenkreislaufs kann sich eine [[Wikipedia:pulmonale Hypertonie|pulmonale Hypertonie]], ein Bluthochdruck beschränkt auf den Lungenkreislauf, entwickeln.<br />
<br />
Kommt es zu einem Herzinfarkt, vernarbt im Anschluss das abgestorbene Herzmuskelgewebe. Dieses Narbengewebe weist andere mechanische Eigenschaften auf als das umgebende Muskelgewebe. Das umgebende Muskelgewebe passt sich den mechanischen Eigenschaften des Narbengewebes an, was zum einen die Leistungsfähigkeit des Herzmuskelgewebes in der Umgebung der Narbe weiter beeinträchtigt und zum anderen zu weiteren Infarkten führen kann. Beide Faktoren können die Leistung des Herzmuskels immer weiter reduzieren, bis es zu einer Herzinsuffizienz kommt, wodurch es zu einem Versagen des Kreislaufsystems (bis hin zum [[Wikipedia:Kreislaufstillstand|Kreislaufstillstand]]) kommen kann.<br />
<br />
== Forschung ==<br />
Die Grundlagenforschung beschäftigt sich in vielen Bereichen mit dem Herz-Kreislauf-System. So werden zum Beispiel die Embryonalentwicklung des Herz-Kreislauf-Systems und der Einfluss der beteiligten Gene untersucht. Ein beliebter Modellorganismus zur Erforschung des Herz-Kreislauf-Systems ist aufgrund seiner Transparenz hierbei der Zebrafisch (''Danio rerio''). Dank der Transparenz der Tiere können mit Hilfe transgener Zebrafischlinien die Auswirkungen verschiedener Einflüsse am lebenden Objekt während der Entwicklung beobachtet werden.<br />
<br />
== Forschungsgeschichte ==<br />
Dass Herzschlag und Puls zusammenhängen, wurde schon im [[Wikipedia:Papyrus Ebers|Papyrus Ebers]] um 1550 v. Chr. beschrieben. Im 5. Jahrhundert v. Chr. soll der chinesische Arzt [[Wikipedia:Bian Que|Pien Ts'Io]] anhand des [[Wikipedia:Pulsdiagnose|getasteten Pulses]] Krankheitsdiagnosen und -prognosen erstellt haben.<ref>[[Wikipedia:Axel W. Bauer|Axel W. Bauer]]: ''Kardiovaskuläre Erkrankungen.'' In: [[Werner E. Gerabek]] u. a. (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' Walter de Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 722–728, hier: S. 722.</ref> Eine Schrift des [[Wikipedia:Corpus Hippocraticum|Corpus Hippocraticum]] aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. enthält bereits Beschreibungen der Herzklappen.<ref>Corpus Hippocraticum: ''De corde''.</ref> Ihre Funktion wurde aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt.<ref>[[Wikipedia:Karlhans Abel|Karlhans Abel]]: ''Die Lehre vom Blutkreislauf im Corpus Hippocraticum.'' In: ''Hermes'' 86, 1958, S. 192–219.</ref><br />
<br />
Da sich Blut nach dem Tod in den Venen sammelt, erscheinen Arterien leer. Deswegen vermuteten antike Anatomen, dass diese mit Luft gefüllt seien und eine Rolle im Lufttransport spielen. [[Wikipedia:Herophilos von Chalkedon|Herophilos von Chalkedon]] unterschied bereits zwischen Venen und Arterien, glaubte aber, dass der Puls selbstständig durch Letztere erzeugt würde. [[Wikipedia:Erasistratos|Erasistratos]] beobachtete, dass am Lebenden durchtrennte Arterien bluten. Er vermutete, dass entweichende Luft durch aus kleinen Verbindungsadern zwischen Venen und Arterien nachströmendes Blut ersetzt wird. Somit war er der erste, der Kapillaren postulierte, aber mit entgegengesetztem Blutfluss.<br />
<br />
Im 2. Jahrhundert wusste [[Galenos]] bereits, dass Blutgefäße Blut transportieren, und unterschied dunkleres venöses von arteriellem Blut, welches heller und dünner ist. Beiden schrieb er verschiedene Aufgaben zu. Wachstum und Energie kämen von in der Leber aus Galle gebildetem und über die Venen in Körpergewebe transportiertes Blut, während aus dem Herz kommendes, arterielles Blut Vitalität durch enthaltene Luft brachte. Das Blut floss laut seiner Vorstellungen aus beiden Organen in alle Teile des Körpers, wo es verbraucht wurde, ohne dass ein Rückstrom zu Herz oder Leber stattfand. Das Herz selbst hat keine Pumpfunktion, sondern saugt das Blut in der Diastole ein. Der Bluttransport selbst findet durch die Pulsierungen der Arterien statt. Galen glaubte, dass arterielles Blut aus venösem Blut gebildet wird, welches durch „Poren“ in der Scheidewand zwischen den Kammern aus der rechten in die linke Herzkammer sickert. Im Gegensatz zu [[Wikipedia:Aristoteles|Aristoteles]] vor ihm und [[Avicenna]] nach ihm ging Galen nicht von drei, sondern von zwei Herzkammern<ref>[[Wikipedia:Gotthard Strohmaier|Gotthard Strohmaier]]: ''Avicenna.'' Beck, München 1999, ISBN 3-406-41946-1, S. 118 f.</ref> aus.<br />
<br />
Im 13. Jahrhundert entdeckte [[Wikipedia:Ibn an-Nafis|Ibn an-Nafis]], ein arabischer Arzt und Anatom, als Erster, dass das Blut in einem [[Wikipedia:Lungenkreislauf|Kreislauf durch die Lunge]] fließt. Seine Erkenntnisse, die als Zeichnungen bis in die heutige Zeit überliefert sind, gelangten jedoch nicht bis in den [[Wikipedia:Europa|europäischen]] Raum. 1546<ref>[http://michaelservetusresearch.com/ENGLISH/works.html Michael Servetus Research]. Manuskript von Paris, ein Entwurf für Christianismi Wiedereinsetzung</ref> beschrieb [[Wikipedia:Michael Servetus|Michael Servetus]] (1511–1553) dasselbe Phänomen wie Ibn an-Nafis, das durch [[Wikipedia:Realdo Colombo|Realdo Colombo]] bewiesen wurde. Doch auch diese Ergebnisse wurden von der Allgemeinheit nicht anerkannt.<ref>Im Jahre 1546 war es nur ein Manuskript. Miguel veröffentlichte dieses im Jahre 1553 in ''Christianismi restitutio'' (restitutio = Wiedereinsetzung). Aber fast alle seine Bücher wurden verbrannt; nur drei Exemplare überlebten.</ref> Weiterhin war man mehrheitlich der Ansicht, dass das Blut im Herz gebildet werde und von dort ins Gewebe sickere.<ref>Barbara I. Tshisuaka: ''Blutkreislauf.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 194 f.</ref><br />
<br />
1628 wurde durch [[Wikipedia:William Harvey|William Harvey]] der Blutkreislauf erstmals zutreffend beschrieben, nachdem zuvor 14 Jahrhunderte lang die Lehre Galens die medizinische Lehrmeinung bestimmt hatte. Harvey stellte seine Überlegungen aufgrund der Entdeckung der hydraulischen Funktionsweise der [[Wikipedia:Venenklappe|Venenklappe]]n durch seinen Lehrer, den Italiener [[Wikipedia:Girolamo Fabrizio|Girolamo Fabrizio]], an, da er eine Verbindung zur Funktion des Herzens suchte. Er fand sie in der Kreislauftheorie, die er 1628 veröffentlichte. Diese Arbeit begann die Fachwelt zu überzeugen. Wie das Blut vom arteriellen in den venösen Schenkel kommt, konnte allerdings erst 1661 [[Wikipedia:Marcello Malpighi|Marcello Malpighi]] mit seiner Entdeckung der Kapillaren erklären.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Kategorie:Kreislaufsystem}}<br />
* {{WikipediaDE|Blutkreislauf}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Neil A. Campbell, Jane B. Reece: ''Biologie.'' 6., aktualisierte Auflage. Pearson Studium, München u.&nbsp;a. 2006, ISBN 3-8273-7180-5.<br />
* Uwe Gille: ''Herz-Kreislauf- und Abwehrsystem, Angiologia.'' In: Franz-Viktor Salomon u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Anatomie für die Tiermedizin.'' 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Enke-Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8304-1075-1, S. 404–463.<br />
* Charles Reginald Schiller Harris: ''The heart and the vascular system in ancient Greek medicine from Alcmaeon to Galen.'' Oxford 1973.<br />
* J. R. Levick: ''Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems.'' Barth, Heidelberg u.&nbsp;a. 1998, ISBN 3-8252-8129-9 (''UTB'' 8129).<br />
* F. Reubi: ''Die Geschichte des Kreislaufs.'' In: ''Schweizerische Medizinische Wochenschrift.'' Band 115, 1985, S. 944–949.<br />
* Stefan Silbernagl, Agamemnon Despopoulos: ''Taschenatlas der Physiologie.'' Thieme, Stuttgart 2003, ISBN 3-13-567706-0.<br />
* {{Literatur<br />
|Autor=<br />
|Hrsg=Robert Franz Schmidt, Florian Lang, Manfred Heckmann<br />
|Titel=Physiologie des Menschen<br />
|Auflage=31.<br />
|Verlag=Springer Medizin Verlag<br />
|Ort=Heidelberg<br />
|Datum=2010<br />
|ISBN=978-3-642-01650-9<br />
|Kapitel=Kapitel 28 ''Kreislauf''<br />
|Seiten=}}<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Cardiovascular system|Blutkreislauf}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
*[http://www.eduvinet.de/mallig/bio/Repetito/Evolut3.html Vergleich der verschiedenen Blutkreisläufe der Wirbeltiere]<br />
*[https://xonk.de/biologie/zoologie-evodevo/themen/das-cardiovaskulaere-system-der-vertebraten-am-beispiel-des-zebrafisches/ Artikel zur Bedeutung des Zebrafisches (''Danio rerio'') und verschiedener transgener Zebrafischlinien bei der Erforschung des cardiovaskulären Systems der Vertebraten]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Exzellent|30. Januar 2006|13170761}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4134345-1}}<br />
<br />
[[Kategorie:Herz-Kreislauf-System|!]]<br />
[[Kategorie:Herz-Kreislauf-Physiologie|!]]<br />
<br />
{{Wikipedia}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Haut&diff=45835
Haut
2023-07-25T07:33:05Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>Die '''Haut''' ({{grcS|δέρμα|'''Derma'''}}; [[latein]]isch '''Cutis''') ist funktionell das vielseitigste [[Organ (Biologie)|Organ]] eines menschlichen oder tierischen Organismus.<br />
[[Datei:Schemazeichnung haut.svg|mini|Aufbau menschlicher Haut]]<br />
<br />
Sie dient als Hüllorgan der Abgrenzung von Innen und Außen, dem Schutz vor Umwelteinflüssen und der Wahrung einer [[Wikipedia:Homöostase|Homöostase]] (inneres Gleichgewicht). Des Weiteren übernimmt die Haut wesentliche Funktionen im Bereich des [[Wikipedia:Stoffwechsel|Stoffwechsel]]s, der [[Wikipedia:Wärmeregulation|Wärmeregulation]] und der [[Wikipedia:Immunantwort|Immunantwort]]; sie verfügt über vielfältige Anpassungs- und Abwehrmechanismen.<br />
<br />
[[Datei:Menschliche Haut.jpg|mini|Nahaufnahme menschlicher Haut (hier ''Felderhaut'')]]<br />
Darüber hinaus stellt die Haut das flächenmäßig größte Organ sinnlicher Wahrnehmung dar, das der [[Wikipedia:Oberflächensensibilität|Oberflächensensibilität]]. Zu den [[Wikipedia:Mechanorezeptoren der Haut|Mechanorezeptoren der Haut]] gehören zahlreiche verschiedene [[Wikipedia:Sinneszelle|Sinneszelle]]n für Berührung, Druck oder Vibration als Qualitäten des [[Tastsinn]]es. [[Thermorezeption|Thermozeptoren]] vermitteln Empfindungen von Wärme oder von Kälte, [[Wikipedia:Nozizeptor|Nozizeptor]]en die Empfindung von Schmerzen.<br />
<br />
Hautkontakte im Körperkontakt sind nicht nur für junge Säugetiere lebenswichtig und tragen tatsächliche soziale Bindungen. Daneben können Blässe oder Rötung und Schwellung bestimmter Hautpartien durch veränderte Hautdurchblutung in der innerartlichen Kommunikation besondere Signale darstellen.<br />
<br />
Davon zu unterscheiden sind beim Menschen willkürlich hervorgebrachte Hautveränderungen unterschiedlicher Art; sie können als Zeichen sozialer Zugehörigkeit oder Abgrenzung eingesetzt werden und einer Selbstdarstellung dienen. Die Haut wird damit zu einer repräsentativ gestalteten Oberfläche für eigene oder fremde Blicke.<br />
<br />
Von der Haut ausgehende Erkrankungen oder auf die Haut bezogene Symptome bezeichnet man als '''dermatogen'''.<br />
<br />
==Etymologie==<br />
Das [[Wikipedia:Urgermanische Sprache|altgerm.]] Wort [[Wikipedia:Mittelhochdeutsch|mhd.]], [[Wikipedia:Althochdeutsch|ahd.]] ''hūt'' gehört zu der mit t erweiterten [[Wikipedia:Indogermanische Ursprache|idg.]] Wurzel ''[s]keu-'' „bedecken, umhüllen“ und bedeutet demnach „Hülle“.<ref>{{Literatur |Titel=Das Herkunftswörterbuch |Reihe=[[Duden#Duden in zwölf Bänden (2017)|Der Duden in zwölf Bänden]] |BandReihe=7 |Auflage=5. |Verlag=Dudenverlag |Ort=Berlin |Datum=2014 |Online=[https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA371&dq=Haut S. 371]}} Siehe auch {{Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache |Stichwort=Haut |Abruf=2019-08-30}} und {{Literatur |Autor=[[Wikipedia:Friedrich Kluge|Friedrich Kluge]] |Titel=[[Wikipedia:Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache|Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]] |Auflage=7. |Verlag=Trübner |Ort=Straßburg |Datum=1910 |Online=[http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=219 S. 197]}}</ref><br />
<br />
==Aufbau der menschlichen Haut==<br />
Die Dicke der menschlichen Haut beträgt 1,5 bis 4&nbsp;mm.<ref>[http://www.netdoktor.at/anatomie/haut-7146 Dicke der menschlichen Haut]</ref> Die [[Wikipedia:Körperoberfläche|Körperoberfläche]] (Hautfläche) erwachsener Menschen beträgt durchschnittlich 1,73&nbsp;m². Sie wiegt etwa 10<ref>[http://www.pflegewiki.de/wiki/Haut pflegewiki.de]</ref> bis 14&nbsp;kg.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.hamm-chemie.de/WP/WP2-Haut-Koerperpflege/wp2-ab/haut_groesstes_organ_2.htm |wayback=20161226045419 |text=hamm-chemie.de |archiv-bot=2018-04-14 04:59:03 InternetArchiveBot}}</ref><br />
[[Datei:06 Hegasy Hautschichten Rezeptoren Wiki DE CCBYSA.png|mini|Die menschliche Haut zeigt nach Schichtdicke, Rezeptoren und [[Wikipedia:Hautanhangsgebilde|Hautanhangsgebilde]]n regionale Unterschiede – beispielsweise unbehaarte ''Leistenhaut'' der Fingerbeere gegenüber behaarter ''Felderhaut'' des Handrückens]]<br />
<br />
===Schichten/Bestandteile der Haut===<br />
Die äußere Haut gliedert sich in drei wesentliche Schichten: ''Epidermis'' (Oberhaut), ''Dermis'' (Lederhaut, lat. ''Corium'') und ''Subcutis'' (Unterhaut). Dabei bilden Epidermis und Dermis zusammen die '''Cutis''' (oder '''Kutis''').<br />
<br />
====Epidermis (Oberhaut)====<br />
Die [[Wikipedia:Epidermis (Wirbeltiere)|Epidermis]] gehört zu den [[Wikipedia:Epithel|Epithel]]geweben. Es handelt sich um ein mehrschichtiges verhornendes [[Wikipedia:Plattenepithel|Plattenepithel]], das üblicherweise zwischen 0,03 und 0,05 Millimeter dick ist. An den Handinnenflächen und den Fußsohlen ist die Hornschicht bis zu mehrere Millimeter dick und wird umgangssprachlich „Hornhaut“ genannt (siehe auch [[Wikipedia:Hornschwiele|Hornschwiele]]).<br />
<br />
Von außen nach innen werden folgende Schichten unterschieden:<br />
<br />
*Hornschicht (''Stratum corneum'')<br />
*Glanzschicht (''Stratum lucidum'') (ist nur an der Leistenhaut der Hand- und Fußinnenseiten vorhanden)<br />
*Körnerzellenschicht (''Stratum granulosum'')<br />
*Stachelzellschicht (''Stratum spinosum'')<br />
*Basalschicht (''Stratum basale'')<br />
<br />
Stachelzellschicht und Basalzellschicht bilden zusammen die [[Wikipedia:Keimschicht|Keimschicht]] (''Stratum germinativum'').<br />
<br />
====Dermis (Lederhaut, Corium)====<br />
Die [[Wikipedia:Dermis|Dermis]] besteht vorwiegend aus [[Wikipedia:Bindegewebe|Bindegewebsfasern]] und dient der Ernährung und Verankerung der Epidermis. Hier versorgt das fein [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)|kapillarisierte]] Blutgefäßsystem die Grenzzone zur Epidermis. Die untere Lederhaut enthält die für die [[Wikipedia:Thermoregulation|Temperaturregelung]] wichtige [[Wikipedia:glatte Muskulatur|glatte Muskulatur]] und [[Wikipedia:Blutgefäß|Blutgefäß]]e.<br />
<br />
Die Dermis wird in ein ''Stratum papillare'' (Papillenschicht, Zapfenschicht, [[Wikipedia:Papillarkörper|Papillarkörper]]) und ein ''Stratum reticulare'' (Netzschicht) unterteilt.<br />
<br />
[[Datei:HautFingerspitzeOCT.gif|mini|[[Wikipedia:Optische Kohärenztomografie|Optische Kohärenztomografie]] der Fingerspitze (Leistenhaut) [[Wikipedia:in vivo|in vivo]] mit [[Wikipedia:Schweißdrüsen|Schweißdrüsen]]ausführungsgängen]]<br />
<br />
=====Hautanhangsgebilde=====<br />
Zu den [[Wikipedia:Hautanhangsgebilde|Hautanhangsgebilde]]n werden verschiedene Gebilde gezählt, so die [[Wikipedia:Hornschuppe|Schuppen]] von [[Wikipedia:Reptilien|Reptilien]], die [[Wikipedia:Feder|Feder]]n von Vögeln, die [[Wikipedia:Haare|Haare]] von [[Wikipedia:Säugetiere|Säugetiere]]n und weitere aus der Haut hervorgehende Bildungen wie [[Wikipedia:Horn|Hörner]], [[Wikipedia:Nagel (Anatomie)|Nägel]], [[Wikipedia:Klaue (Paarhufer)|Klauen]] und [[Wikipedia:Huf|Huf]]e, deren [[Wikipedia:Hornsubstanz|Substanz]] ebenfalls wesentlich aus [[Wikipedia:Keratine|Keratine]]n besteht.<br />
<br />
Neben diesen Gebilden zählen auch Hautdrüsen dazu, die an der Oberhaut (Epidermis) münden und in der Lederhaut (Dermis) verankert sind. Hierzu gehören beim Menschen [[Wikipedia:Talgdrüse|Talgdrüse]]n, [[Wikipedia:ekkrine Schweißdrüse|ekkrine Schweißdrüse]]n und [[Wikipedia:Duftdrüse|Duftdrüse]]n; die [[Wikipedia:Milchdrüse|Milchdrüse]] ist eine spezialisierte Hautdrüse. Auch der ein Haar aufrichtende Haarbalgmuskel, ''[[Wikipedia:Musculus arrector pili|Musculus arrector pili]]'', ist ein Anhangsgebilde der Haut; Kontraktionen der Haarbalgmuskeln führen beim Menschen zur [[Wikipedia:Gänsehaut|Gänsehaut]], bei [[Wikipedia:Stacheligel|Stacheligel]]n machen sie ihr [[Wikipedia:Igel#Haarkleid|Haarkleid]] zur wirksamen Verteidigungswaffe.<br />
<br />
====Subcutis (Unterhaut)====<br />
Die [[Wikipedia:Subcutis|Subcutis]] (oder ''Subkutis'') bildet die Unterlage für die darüberliegenden Hautschichten und enthält die größeren [[Wikipedia:Blutgefäß|Blutgefäß]]e und [[Wikipedia:Nerven|Nerven]] für die oberen Hautschichten sowie das subkutane Fett und lockeres Bindegewebe. In der Unterhaut liegen Sinneszellen für starke Druckreize, zum Beispiel die [[Wikipedia:Vater-Pacini-Körperchen|Lamellenkörperchen]].<br />
<br />
===Oberflächenstruktur der Haut===<br />
Betrachtet man die Haut genauer oder mit einer Lupe, so wird ein feines Relief sichtbar. Nach diesem wird die Haut in zwei Typen unterschieden.<br />
<br />
====Leistenhaut====<br />
Leistenhaut tritt an den Fingern, der Handinnenseite (palmar) und der Fußsohle (plantar) auf. Die Epidermis zeigt hier feine ''[[Wikipedia:Papillarleiste|Papillarlinien]]'' (Hautleisten), die dadurch entstehen, dass sich die Lederhautpapillen in Längsreihen anordnen. Dabei ist jede Hautleiste von zwei Papillarkörperreihen unterlagert. Die Hautleisten bilden ein individuelles Muster aus verschiedenen geometrischen Figuren (Wirbel, Bogen, Schleife, Doppelschleife). Diese Muster werden bei der [[Wikipedia:Daktyloskopie|Daktyloskopie]] (Fingerabdruckerkennung) kriminaltechnisch als eine Form der [[Wikipedia:Biometrische Daten|biometrischen Daten]] genutzt. Die Leistenhaut enthält, außer vielen Schweißdrüsen, keine Hautanhangsgebilde.<br />
<br />
====Felderhaut====<br />
Felderhaut bedeckt die übrigen Hautbereiche. Hier zeigt die Oberfläche durch feine Furchen abgegrenzte rhombische Felder (''Areolae cutaneae''). Die Furchen entstehen an den papillenfreien Epidermisbereichen und verstreichen bei stärkerer Hautspannung. Sie dienen als Reservefalten, da die Oberhaut weniger dehnungsfähig ist als die Lederhaut. Die Größe der Hautfelder variiert je nach Körperregion. Die Felderhaut enthält die Hautanhangsgebilde und ist weniger als 0,1&nbsp;mm dick. Am dünnsten ist sie im Bereich des Auges und der Geschlechtsorgane.<br />
<br />
==Funktionen der Haut==<br />
Die Haut ist das funktionell vielseitigste Organ.<ref>Carola Berking: [https://www.hautklinik.uk-erlangen.de/ Hautklinik des Universitätsklinikums Erlangen].</ref><ref>Physiotop: [https://physiotop.dermapharm.de/organ-aufbau.php Die Haut - ein Organ mit vielfältigen Aufgaben].</ref> Unter anderem schützt sie vor Wärmeverlust und äußeren Einflüssen und dient der Aufnahme von Sinnesreizen.<br />
<br />
===Funktionen von Bestandteilen der Haut===<br />
Die einzelnen Bestandteile der Haut erfüllen spezialisierte Funktionen.<br />
<br />
Hautanhänge und Schichten:<br />
<br />
*[[Wikipedia:Haar|Haar]]e: Schutz vor Wärmeverlust, Sonnenstrahlen, Nässe; [[Wikipedia:Visuelle Kommunikation|Kommunikations]]- und [[Wikipedia:Tarnung (Biologie)|Tarnfunktionen]] durch Pigmentierung<br />
*[[Wikipedia:Feder|Feder]]n: dieselben Funktionen wie Haare, zusätzlich Unterstützung der [[Wikipedia:Fliegen (Fortbewegung)|Flugfähigkeit]]<br />
*[[Wikipedia:Hornschicht|Hornschicht]]: Schutz vor Verletzungen und Austrocknung<br />
*[[Wikipedia:Fettgewebe|Fettgewebe]] in der Unterhaut: Schutz vor Druck und Unterkühlung<br />
*[[Wikipedia:Keimschicht|Keimschicht]]: Nachbilden von Hautzellen<br />
<br />
Weitere Bestandteile:<br />
<br />
*[[Wikipedia:Schweißdrüse|Schweißdrüse]]n: Produktion von Schweiß, Schutz vor Überhitzung durch Verdunstung<br />
*[[Wikipedia:Talgdrüse|Talgdrüse]]n: Produktion von Talg (Fett)<br />
*[[Wikipedia:Haarbalgmuskel|Haarbalgmuskel]]: Aufrichten der Vellushaare<br />
*[[Wikipedia:Melanozyt|Melanozyt]]en: Schutz der genetischen Information im Zellkern vor UV-Strahlung<br />
*[[Wikipedia:Blutgefäße|Blutgefäße]]: Temperaturregulation und Versorgung der Hautzellen mit Nährstoffen und Sauerstoff<br />
<br />
Sinnesrezeptoren:<br />
<br />
*[[Wikipedia:Kälterezeptoren|Kälterezeptoren]]: Aufnahme von Temperaturreizen „kalt“<br />
*[[Wikipedia:Thermozeption|Wärmerezeptoren]]: Aufnahme von Temperaturreizen „warm“<br />
*[[Wikipedia:Nozizeptor|freie Nervenendigungen]]: Aufnahme von Berührungsreizen und Schmerzempfindung<br />
*[[Wikipedia:Meissner-Körperchen|Tastkörperchen]]: Aufnahme von Berührungsreizen<br />
*[[Wikipedia:Lamellenkörperchen|Lamellenkörperchen]]: Aufnahme von Druckreizen<br />
<br />
===Die Haut als Grenzorgan===<br />
Die Haut schützt den Organismus vor dem Eindringen von [[Wikipedia:Krankheitserreger|Krankheitserreger]]n und gasförmigen, flüssigen oder festen Fremdsubstanzen im weitesten Sinn, vor mechanischen bzw. physikalischen Verletzungen (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Strahlenschaden|Strahlenschäden]]), aber auch vor Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Proteinverlusten, die bei großflächigen Hautschäden, wie z.&nbsp;B. schwere Verbrennungen, lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Besiedelt wird sie von [[Wikipedia:Bakterien|Bakterien]] und [[Wikipedia:Pilze|Pilze]]n, der sogenannten residenten [[Wikipedia:Hautflora|Hautflora]]; aber auch [[Wikipedia:Milben|Milben]] können sich auf der Haut oder den Hautanhangsgebilden befinden. Als [[Wikipedia:antigenpräsentierende Zelle|antigenpräsentierende Zelle]]n fungieren in der Haut die [[Wikipedia:Langerhanszelle|Langerhanszelle]]n.<br />
<br />
Hautsubstanz geht durch Abschilferung/Schuppung, mechanische Abnutzung sowie chemische Korrosion – etwa durch starke Laugen – oberflächlich verloren und wird durch Nachwachsen an der Untergrenze der Oberhaut neu gebildet. Ist die Oberhaut weitgehend abgenutzt, werden die Nervenzellen in der Haut extrem empfindsam. Bei dauerhaft mäßiger Beanspruchung wird die Hornhaut durch lokale [[Wikipedia:Hornschwiele|Schwielenbildung]] verstärkt. Wird die Haut lokal verletzt, versucht der Körper durch [[Wikipedia:Fibrin|Fibrin]] die Wunde zu verkleben. Krusten auf der Haut trocknen ein, ziehen sich und damit die Wundränder zusammen. Durch übermäßige Dehnung durch Körperfetteinlagerung oder Schwangerschaft kann Bindegewebe unter der Haut wiederholt quer zur Dehnungsrichtung reißen, was nach Verringern des Körpervolumens als [[Wikipedia:Schwangerschaftsstreifen|Schwangerschaftsstreifen]] sichtbar bleiben kann.<br />
<br />
===Stoffaustausch===<br />
Der Stoffaustausch der Haut erfolgt mittels [[Wikipedia:Mikrozirkulation|Mikrozirkulation]]:<br />
Die Lederhaut wird durch den Blutstrom mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Von dort gelangen die Stoffe aus den [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)#Blutkapillaren|Blutkapillaren]] über das Gewebewasser in die nicht durchblutete Epidermis. [[Wikipedia:Stoffwechsel|Stoffwechsel]]produkte werden mit dem Gewebewasser zurück in die Lederhaut und die dort befindlichen [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)#Lymphkapillaren|Lymph-]] sowie Blutkapillaren transportiert, die jeweils in [[Wikipedia:Lymphgefäß|Lymphgefäß]]en und [[Wikipedia:Venole|Venole]]n münden.<ref>Rolf Daniels: ''Penetration kosmetischer Wirkstoffe.'' In: Wolfgang Raab, Ursula Kindl: ''Pflegekosmetik: Ein Leitfaden.'' Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012, S. 16.</ref> <br />
<br />
Daneben findet eine ständige, aber nicht wahrnehmbare Verdunstung von Wasser (Perspiratio insensibilis) statt, das durch die Haut [[Wikipedia:Diffusion|diffundiert]]. Beim wahrnehmbaren [[Wikipedia:Schweiß|Schwitzen]] (Transpiration, Perspiratio sensibilis) werden über die Schweißdrüsen Wasser und darin gelöste Salze und andere Stoffwechselprodukte an die Oberfläche gespült.<ref>Wolfgang Raab: ''Die Hautdrüsen.'' In: Wolfgang Raab, Ursula Kindl: ''Pflegekosmetik: Ein Leitfaden.'' Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012, S. 17 f. ISBN 978-3-8047-2761-8.</ref> Beides ergibt zusammen den [[Wikipedia:TEWL|Transepidermalen Wasserverlust]].<br />
<br />
[[Datei:Transportwege durch das Sc.png|mini|Zwei der drei Transportwege durch das Stratum corneum<ref>A. Kästner: ''Quarzkristall-Untersuchungen zum Sorptionsverhalten biologischer Membranen.'' Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 2010; nach einer Abbildung von L.&nbsp;Landmann: ''Pharmazie in unserer Zeit.'' VHC Verlag, Weinheim 4, 1991, S. 155–163 und B. Barry: ''Mode of action of penetration enhancers in human skin.'' In: ''J&nbsp;Control Release.'' 6, 1987, S. 85–97.</ref>]]<br />
<br />
====Penetration von Wirkstoffen====<br />
Bei der äußerlichen [[Wikipedia:Dermatologie|dermatologischen]] bzw. kosmetischen Behandlung der Haut müssen die Wirkstoffe die Barrierezone der Hornschicht (das Stratum corneum) durchdringen, damit sie die unteren Hautschichten erreichen können. Dies gelingt z.&nbsp;B. gut löslichen Wirkstoffen mit niedriger [[Wikipedia:Molare Masse|Molmasse]], moderater [[Wikipedia:Lipophilie|Lipophilie]] und einem Schmelzpunkt unter 200&nbsp;°C. Hitze, [[Wikipedia:Okklusion (Pharmazie)|Okklusion]] und Lösungsmittel fördern die Penetration.<ref>Rolf Daniels: ''Penetration kosmetischer Wirkstoffe.'' In: Wolfgang Raab, Ursula Kindl: ''Pflegekosmetik: Ein Leitfaden.'' Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012, S. 66, ISBN 9783804727618</ref> Lösungsmittel greifen in die Hautstruktur ein, in dem sie unter anderem Fette aus der Hornschicht lösen, die Keratinstruktur in den Hornzellen lockern oder die oberen Hornzellschichten ablösen.<ref name="RD">Rolf Daniels: ''Penetration kosmetischer Wirkstoffe.'' 2012, S. 68.</ref> Letzteres kann z.&nbsp;B. durch ein chemisches [[Wikipedia:Peeling|Peeling]] bewirkt werden. <br />
Penetrationsbeschleunigende Substanzen oder Verfahren können die Hautstruktur schädigen, was einen erhöhten transepidermalen Wasserverlust nach sich zieht, und – je nach Intensität – Irritationen der Haut auslösen.<ref name="RD" /><br />
<br />
Es gibt drei verschiedene Transportwege durch die Hornhaut:<br />
<br />
*Der Diffusionsweg über Drüsenöffnungen und Haarfollikel. Neuere Studien schreiben diesem Weg im Zusammenhang mit Nanopartikeln sowie einigen mittelgroßen und sehr großen Molekülen eine wesentliche Bedeutung zu, obwohl der Flächenanteil dieser Hautanhangsgebilde zur Gesamtfläche der Haut relativ klein ist.<ref>B. Illel, H. Schaefer, J. Wepierre, O. Doucet: ''Follicles play an important role in percutaneous absorption.'' In: ''[[J Pharm Sci.]]'' 80, 1991, S. 424–427.</ref><ref>Y. Grams, J. Bouwstra: ''Penetration and distribution of three lipophilic probes in vitro in human skin focusing on the hair follicle.'' In: ''J Control Release.'' 83, 2002, S. 253–262.</ref><br />
*Der transzelluläre Transportweg durch die Korneozyten. Diesem Weg wird aufgrund der dichten Molekularstruktur in den Korneozyten keine tragende Rolle beigemessen.<ref>P. Elias: ''Epidermal lipids, membranes, and keratinization.'' In: ''[[Wikipedia:International Journal of Dermatology|International Journal of Dermatology]].'' 20, 1981, S. 1–19</ref><ref>B. Barry: ''Mode of action of penetration enhancers in human skin.'' In: ''J Control Release.'' 6, 1987, S. 85–97.</ref><br />
*Der interzelluläre Weg durch die Lipidmatrix zwischen den Korneozyten gilt als der wichtigste Transportweg für kleine Moleküle mit lipophilem Charakter.<ref>O. Simonetti, A. Hoogstraate u.&nbsp;a.: ''Visualization of diffusion pathways across the stratum corneum of native and in-vitro-reconstructed epidermis by confocal laser scanning microscopy.'' In: ''[[Wikipedia:Archives of Dermatological Research|Archives of Dermatological Research]].'' 287, 1995, S. 465–473.</ref><br />
<br />
===Wärmehaushalt===<br />
Über die Haut kann der Körper seinen [[Wikipedia:Thermoregulation|Wärmehaushalt]] regulieren. Einer Überhitzung wirkt die Haut mit den [[Wikipedia:Schweißdrüse|Schweißdrüse]]n entgegen. Durch die [[Wikipedia:Schweiß|Schweiß]]produktion und die dadurch mögliche [[Wikipedia:Verdunstung|Verdunstung]] wird Wärme von den dicht unter der Haut verlaufenden [[Wikipedia:Kapillare (Anatomie)|Kapillargefäßen]], die dazu weit geöffnet sind, abgeführt (siehe [[Wikipedia:Schweiß|Schwitzen]]). Mit Hilfe des [[Wikipedia:Unterhautfettgewebe|Unterhautfettgewebe]]s und in geringerem Maße der [[Wikipedia:Behaarung|Behaarung]] wird Wärme zurückgehalten. Bei Kälte werden die Haut und das Unterhautfettgewebe nur noch gering durchblutet; beide wirken dadurch als Isolatorschicht. Die Haare können aufgrund des geringen Haarkleides des Menschen nur noch geringe Isolationsfunktion übernehmen. Dennoch kann man das Wirkprinzip eines Fellkleides noch gut beobachten. Bei der bei Kälte auftretenden [[Wikipedia:Gänsehaut|Gänsehaut]] richtet der [[Wikipedia:Haar#Haarfollikel (Haarbalg)|Musculus arrector pili]] das Haar auf. Eine geschlossene Behaarung ermöglicht hier einen wesentlich besseren Schutz vor [[Wikipedia:Unterkühlung (Medizin)|Unterkühlung]].<br />
<br />
===Schutz vor UV-Strahlung===<br />
Die Stärke der einfallenden [[Wikipedia:Ultraviolettstrahlung|UV-Strahlung]] auf der Erdoberfläche hängt von der Tageszeit, der geographischen Lage, der Jahreszeit, der Seehöhe, der jeweiligen Dicke der [[Wikipedia:Ozonschicht|Ozonschicht]], der [[Wikipedia:Bewölkung|Bewölkung]] und von vielen anderen örtlichen Parametern ab. Gegen die schädlichen Wirkungen der UV-Strahlung auf die Haut und der darunterliegenden Gewebe existieren folgende Schutzmechanismen:<br />
<br />
*Während das Haarkleid ([[Wikipedia:Fell|Fell]]) der [[Wikipedia:Säugetiere|Säugetiere]] oder das [[Wikipedia:Feder|Feder]]kleid der [[Wikipedia:Vögel|Vögel]] sehr effektiv gegen nachteilige Folgen der UV-Strahlung schützt, da es den größten Anteil der UV-Strahlung absorbiert oder reflektiert, ist der unbekleidete Mensch weitgehend ungeschützt.<br />
*Die Hornschicht (''stratum corneum'') der menschlichen Haut absorbiert und reflektiert normalerweise etwa 10 % der [[Wikipedia:Ultraviolettstrahlung#Spektrum und Bezeichnungen|UVB]]- und die Hälfte der [[Wikipedia:Ultraviolettstrahlung#Spektrum und Bezeichnungen|UVA]]-Strahlung. Auf beständige erhöhte UV-Belastung reagiert die Haut zunächst mit einer Verdickung der Hornschicht. Als „Lichtschwiele“ ist diese besonders stark nach [[Wikipedia:Sonnenbrand|Sonnenbränden]] ausgebildet.<ref name="Fritsch 2004">Peter Fritsch: ''Dermatologie und Venerologie.'' 2. Auflage. Springer Verlag, 2004, ISBN 3-540-00332-0.</ref><br />
*Der Schutz der Haut durch [[Wikipedia:Hautpigmentierung|Pigmentierung]] beruht auf der physikalischen Absorption von UV-Strahlen durch [[Wikipedia:Pigment (Biologie)|Pigmente]]. Viele Tiere besitzen eine Pigmentierung der Haut. Die veränderliche Pigmentierung der menschlichen Haut stellt im Tierreich jedoch eine einzigartige Anpassungs- und Schutzmöglichkeit gegen UV-Strahlung dar. Es gibt kaum Tiere, deren Haut in der Lage ist, die Pigmentierung so stark zu verändern wie der Mensch.<ref name="Fritsch 2004" /><br />
**Als so genannte „Sofortbräunung“ ({{enS|immediate pigment darkening}}) bezeichnet man eine kurzfristige, nur wenige Stunden anhaltende Bräunung der Haut nach einer UV-Belastung. Die Sofortbräunung beruht sowohl auf einer Änderung der chemischen Konformation der Melaninmoleküle als auch auf einer Umverteilung der Pigmentkörperchen in der Epidermis; sie besitzt fast keine Schutzwirkung gegen UV-Strahlung.<ref name="Fritsch 2004" /><br />
**Die (verzögerte) UV-Bräunung setzt erst ca. 72 Stunden nach der UV-Belastung ein. Die [[Wikipedia:Melanozyt|Melanozyt]]en der Haut reagieren auf UV-Einstrahlung mit der verstärkten Produktion und Abgabe von [[Wikipedia:Eumelanin|Eumelanin]] (oder [[Wikipedia:Phäomelanin|Phäomelanin]] bei Menschen des [[Wikipedia:Hauttyp|Hauttyp]]s 1), das der Haut einen braunen (Phäomelanin: rötlichen) Farbton gibt, und UV in hohem Maße absorbiert, wobei Phäomelanin wesentlich weniger UV absorbiert. Die ethnisch verschiedenen [[Wikipedia:Hautfarbe|Hautfarbe]]n der Menschen resultieren aus den jeweiligen Hauttypen.<br />
*Der Schweiß des menschlichen Körpers enthält UVA-Strahlung absorbierende [[Wikipedia:Urocaninsäure|Urocaninsäure]].<br />
<br />
Die ersten [[Wikipedia:Hominini|Hominiden]] hatten möglicherweise eine nur schwach pigmentierte Haut, die von dunklen Haaren bedeckt war, ähnlich wie bei heutigen Schimpansen. Relativ bald in der Hominidenevolution dürfte sich eine nackte, dunkel pigmentierte Haut entwickelt haben, die als UV-Schutz diente. Mit der Ausbreitung in den sonnenärmeren Norden konnte sich die Pigmentierung verringern, vermutlich um besser [[Wikipedia:Vitamin D|Vitamin D]] generieren zu können. Insbesondere während der Schwangerschaft und während des Stillens könnten sich hieraus Überlebensvorteile ergeben haben.<ref>{{Literatur |Autor=[[Wikipedia:Nina Jablonski|Nina G. Jablonski]], George Chaplin |Titel=The evolution of human skin coloration |Sammelwerk=[[Wikipedia:Journal of Human Evolution|Journal of Human Evolution]] |Band=39 |Nummer=1 |Datum=2000-07 |Seiten=57–106 |Online=[http://libgen.io/scimag/get.php?doi=10.1006/jhev.2000.0403 libgen.io] |Format=PDF |KBytes= |DOI=10.1006/jhev.2000.0403}}</ref><br />
<br />
===Die Haut als Kontakt- und Sinnesorgan===<br />
Die Haut stellt den sichtbaren Teil des menschlichen Körpers dar. Als solcher erfüllt die Haut eine Reihe kommunikativer Funktionen. Zur Reizaufnahme und damit zur [[Wikipedia:Oberflächensensibilität|Oberflächensensibilität]] ist die Haut mit unterschiedlichen Typen von [[Wikipedia:Rezeptor (Physiologie)|Rezeptoren]] ausgestattet:<br />
<br />
*[[Wikipedia:Nozizeptor|Schmerzrezeptoren]]: Sie liegen in der Lederhaut und Oberhaut. Ihre Dichte variiert je nach Körperregion (bis zu 200/cm² Haut).<br />
*Druckrezeptoren ([[Wikipedia:Vater-Pacini-Körperchen|Vater-Pacini-Körperchen]]): Sie dienen der Wahrnehmung von Druckempfindungen und liegen in der Unterhaut. Ihre Dichte beträgt bis zu 100/cm².<br />
*[[Thermorezeption|Thermorezeptoren]] ([[Wikipedia:freie Nervenendigung|freie Nervenendigung]]en): Sie sind besonders dicht an Kinn, [[Nase]], [[Wikipedia:Ohrmuschel|Ohrmuschel]], [[Wikipedia:Ohrläppchen|Ohrläppchen]] (9 bis 12/cm²) und [[Wikipedia:Lippe|Lippe]]n (> 15/cm²). Insgesamt besitzt die menschliche Haut ca. 250.000 Kälterezeptoren. Die Anzahl der Wärmerezeptoren beträgt nur etwa 1/10 davon, sie arbeiten zudem deutlich langsamer als Kälterezeptoren.<br />
*Dehnungsrezeptoren ([[Wikipedia:Ruffini-Körperchen|Ruffini-Körperchen]]): Sie registrieren den Dehnungszustand der Haut und liegen in der Lederhaut (Stratum reticulare). Ihre Dichte beträgt bis zu 2/cm² Haut.<br />
*[[Haptische Wahrnehmung|Tastrezeptoren]] ([[Wikipedia:Meissner-Körperchen|Meissner-Körperchen]] und [[Wikipedia:Merkel-Zelle|Merkel-Zelle]]n): Tastrezeptoren kommen in der unbehaarten Haut vor. Besonders dicht (Abstand: 1 bis 5&nbsp;mm) sind sie in den [[Wikipedia:Fingerbeere|Fingerspitzen]], den [[Wikipedia:Lippe|Lippe]]n, der [[Zunge]], den [[Wikipedia:Brustwarze|Brustwarze]]n, den äußeren [[Geschlechtsorgan]]en und der [[Wikipedia:Anus|Afterregion]] verteilt.<br />
*[[Wikipedia:Haarfollikel|Haarfollikel]]rezeptoren: Sie registrieren die Haarstellung (siehe auch [[Wikipedia:Vibrisse|Vibrisse]]).<br />
<br />
Die [[Wikipedia:psychogalvanische Hautreaktion|psychogalvanische Hautreaktion]] gibt Rückschlüsse auf emotionale Vorgänge.<br />
<br />
{{Siehe auch|Lügendetektor}}<br />
{{Siehe auch|Erröten|Erythrophobie}}<br />
{{Siehe auch|Streicheln|Erotik}}<br />
<br />
===Die Haut als Stammzellreservoir===<br />
Die Haut enthält adulte [[Wikipedia:Stammzelle|Stammzelle]]n die durch vier zusätzlich durch [[Wikipedia:Retroviren|Retroviren]] eingeschleuste [[Wikipedia:Gen|Gen]]e in [[Wikipedia:pluripotent|pluripotent]]e Stammzellen umgewandelt werden können. Damit könnte die Haut als Quelle für Therapien der [[Wikipedia:Regenerative Medizin|regenerativen Medizin]] dienen.<ref name="Spektrum">[http://www.spektrum.de/artikel/912233&_z=798888 ''Stammzellforschung: Pluripotente Stammzellen aus der Haut''] Spektrum.de, 20. November 2007.</ref><ref name="Spiegel">[http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,518531,00.html ''Gentechnik-Erfolg: Forscher programmieren Haut- zu Stammzellen um''] Spiegel Online, 20. November 2007.</ref><br />
<br />
===Die Haut als Repräsentationsorgan===<br />
Da die Haut stark das Erscheinungsbild des Menschen prägt, ist sie Hauptobjekt der [[Wikipedia:Kosmetik|Kosmetik]]. Natürliche Erscheinungen sind [[Wikipedia:Sommersprossen|Sommersprossen]], [[Wikipedia:Leberfleck|Leberfleck]]en und [[Wikipedia:Altersflecken|Altersflecken]].<br />
Künstlich verändert wird das Aussehen der Haut durch UV-Bestrahlung im Solarium, [[Wikipedia:Tätowierung|Tätowierung]]en, die [[Wikipedia:Skarifizierung|Skarifizierung]], [[Wikipedia:Skarifizierung|Brandnarben]], die [[Wikipedia:Körperbemalung|Körperbemalung]] oder die [[Wikipedia:Hautaufhellung|Hautaufhellung]]. Außerdem ist die Haut Träger aller Arten von [[Wikipedia:Körperschmuck|Körperschmuck]].<br />
<br />
Nach Untersuchungen von Wissenschaftlern der [[Wikipedia:Jacobs University Bremen|Jacobs-Universität]] in Bremen wirken Menschen mit glatter Haut glaubwürdig und seriös.<ref>[http://www.kreiszeitung.de/lokales/bremen/forscher-zeigen-kleine-makel-spielen-beim-ersten-eindruck-eine-wichtige-rolle-5930446.html ''Glatte Haut wirkt seriös''] kreiszeitung.de vom 5. Dezember 2015, abgerufen am 7. Dezember 2015</ref><br />
<br />
===Sonstiges===<br />
Aus Amerika wird historisch das kriegerische Ritual des [[Wikipedia:Kopfschwarte|Skalpierens]], als Abziehen der Kopfhaut samt darunterliegender Schwarte, berichtet.<br />
<br />
Die Verwendung von menschlicher gegerbter Haut – etwa von Hingerichteten – als Material für [[Wikipedia:Bucheinband|Bucheinbände]] ist im 19.&nbsp;Jahrhundert nicht unüblich gewesen.<ref>[http://orf.at/stories/2233222/ ''In Menschenhaut eingebundenes Buch entdeckt.''] ORF.at vom 7. Juni 2014, abgerufen am 10. Juni 2014.</ref><ref>Robert Jütte: [http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/was-bibliotheken-lieber-verschweigen-1.3556164 ''Was Bibliotheken lieber verschweigen – Es gibt Bucheinbände aus Menschenhaut.''] NZZ.ch vom 14. September 2009, abgerufen am 10. Juni 2014.</ref><br />
<br />
===Die Haut in der Anthroposophischen Medizin===<br />
<br />
====Dreigliederung====<br />
Bei einer [[Dreigliederung des menschlichen Organismus (Anthroposophische Medizin)|dreigliedrigen]] Betrachtung der Haut lässt sich folgende Zuordnung finden:<ref>{{Literatur |Autor= |Titel=Dermatologie; Grundlagen und therapeutische Konzepte der Anthroposophischen Medizin |Hrsg=Lüder Jachens |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage=1 |Verlag=salumed |Ort= |Datum=2012 |ISBN=9783928914284 |Seiten=}}</ref><br />
{| class="wikitable"<br />
|+<br />
!System<br />
!Schwerpunkt<br />
!Funktion<br />
!Krankheitsbild mit Schwerpunkt in diesem System (exemplarisch)<br />
|-<br />
|Nerven-Sinnes-System<br />
|Epidermis<br />
|Wahrnehmung, Grenzbildung, Abbau<br />
|[[Neurodermitis]]<br />
|-<br />
|Rhythmisches System<br />
|Oberes Corium<br />
|<br />
|<br />
|-<br />
|Stoffwechsel-Gliedmaßen-System<br />
|Unteres Corium und Subcutis<br />
|Stoffwechsel, Substanzbildung, Aufbau<br />
|[[Psoriasis]]<br />
|}<br />
<br />
==Die Haut von Tieren==<br />
===Bei Säugetieren===<br />
Die Haut ist überwiegend von [[Wikipedia:Fell|Fell]] bedeckt und kann daher relativ dünn sein. Bei den meisten [[Wikipedia:Hunde|Hunde]]rassen ist sie fast weiß.<br />
<br />
In der leicht rosafarbigen Haut des [[Wikipedia:Hausschwein|Hausschwein]]s sitzen wenige doch im Vergleich zu anderen Fellhaaren dicke Borsten. Die von ihnen gebildeten Poren sind charakteristisches Merkmal von Schweinsleder.<br />
<br />
Haut von [[Wikipedia:Eisbär|Eisbär]]en ist an der Schnauze und unter dem Fell sehr dunkel bis schwarz. Im Zusammenspiel mit den weißen Haaren gelingt es, Sonnenstrahlung thermisch gut zu absorbieren und Verluste an die Umgebungsluft durch Wind und Konvektion gering zu halten.<br />
<br />
Am Kopf und Gesäß der Affenart [[Wikipedia:Mandrill|Mandrill]] treten arttypisch hellblaue und rote Hauttöne auf.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Wale#Äußere Anatomie|Haut der Wale]], insbesondere den schnellschwimmenden [[Wikipedia:Delfine|Delfine]]n, weist ein feines Relief auf, das zusammen mit der Wirbeldämpfung durch die Verformung darunterliegenden Fetts und vermuteter Muskelreaktion in der Haut den Strömungswiderstand herabsetzt und so schnelleres Schwimmen ermöglicht.<br />
<br />
===Amphibienhaut===<br />
[[Datei:Children look at animal skins.jpg|mini|Haut eines Krokodils]]<br />
Die Haut der Amphibien ist dünn, nackt und feucht. Ihre Oberflächenbeschaffenheit ist bei Fröschen und Salamandern glatt oder bei Kröten und Unken warzig. Die Haut von Amphibien zeigt eine hohe Farbenvielfalt. Manche Arten, wie der einheimische [[Wikipedia:Europäischer Laubfrosch|Laubfrosch]], besitzen sogar die Fähigkeit zum Farbwechsel ähnlich wie [[Wikipedia:Chamäleons|Chamäleons]]. Verantwortlich für diese Eigenschaft sind spezielle Pigmentzellen unterhalb der Oberhaut, die unterschiedliche Farbstoffe speichern, so [[Wikipedia:Melanin|Melanin]] (braun bis schwarz), [[Wikipedia:Pteridin|Pteridin]] (gelb) und [[Wikipedia:Carotinoide|Carotinoide]] (orange bis rot).<br />
<br />
Von Zeit zu Zeit wird die Oberhaut der Amphibien erneuert ([[Wikipedia:Häutung|Häutung]]). Die alte Haut wird bei Froschlurchen dabei abgesprengt, bei Schwanzlurchen (speziell Molche) jedoch als Ganzes abgestreift. Manche Hautpartien von Amphibien sind besonders dehnbar und ermöglichen die Ausbildung von [[Wikipedia:Schallblase|Schallblase]]n zur Lauterzeugung.<br />
<br />
Diese Hauteigenschaften bringen Vor- und Nachteile mit sich. Vorteile sind:<br />
<br />
*Die dünne Haut ermöglicht die Sauerstoffaufnahme direkt über die Körperoberfläche (Hautatmung), ebenso die Wasseraufnahme.<br />
*Eine glatte Haut hat einen geringeren Strömungswiderstand und ermöglicht so schnelleres Schwimmen.<br />
*Bei vielen Amphibien, vor allem bei Fröschen, wird die Haut mit einer glitschigen Schleimschicht befeuchtet, die die Flucht vor Feinden unterstützt.<br />
*Die Hautdrüsen der Amphibien sind in der Lage, Hautgifte abzusondern; diese stellen einen wirksamen Fraßschutz dar. Vor allem schützen sie die feuchte Haut vor Pilz- und Bakterieninfektion – selbst für die extrem starken Gifte der [[Wikipedia:Baumsteigerfrösche|Pfeilgiftfröschen]] soll dies der Hauptgrund sein.<br />
<br />
Nachteile sind:<br />
<br />
*Die dünne Haut ist leichter verletzbar.<br />
*Erhöhte Austrocknungsgefahr bei warmem Sonnenschein durch die [[Wikipedia:Hautfeuchtigkeit|Hautfeuchtigkeit]] der meisten Amphibien. Das führt zu ihrer verstärkten Nachtaktivität.<br />
*Die Wasseraufnahmefähigkeit dünner Haut erleichtert auch die Aufnahme von Giften. Auf Äckern eingesetzte Spritzmittel, Kunstdünger, aber auch [[Wikipedia:Jauche|Jauche]] und [[Wikipedia:saurer Regen|saurer Regen]] führen während der Laichwanderung rasch zum Tod.<br />
<br />
===Stoffaustausch bei Tieren===<br />
Über die Körperoberfläche verschiedener Tiere werden in unterschiedlichem Maße Stoffe aus der Umgebung aufgenommen und abgegeben. Diese können gasförmig, flüssig oder fest (in wässrigem Medium gelöst) sein. Der Stoffaustausch kann aktiv (unter Energieaufwand) oder passiv (in Richtung eines [[Wikipedia:Osmose|osmotischen]] Gefälles) verlaufen.<br />
<br />
Bei den Gasen kann es sich um die Aufnahme von [[Sauerstoff]] und die Abgabe von [[Wikipedia:Kohlendioxid|Kohlendioxid]] ([[Wikipedia:Hautatmung|Hautatmung]]) handeln, aber auch um [[Wikipedia:Stickstoff|Stickstoff]] und [[Wikipedia:Inertgas|Inertgas]]e. [[Wasser]] kann aufgenommen oder abgegeben werden zur Wasserregulation und als [[Wikipedia:Transport (Biologie)|Transportmedium]] für gelöste gasförmige oder feste Stoffe dienen. Gelöste Stoffe können Salze sein (Aufnahme oder Abgabe), Stoffwechselprodukte, aber auch [[Wikipedia:Gift|toxische]] Stoffe aus der Umwelt (wie organische [[Blei]]verbindungen).<br />
<br />
====Fischhaut und umgebendes Wasser====<br />
In Süßwasser befindliche Fische, deren Gewebe gelöstes Salz enthält, nehmen beständig durch [[Wikipedia:Osmose|Osmose]] über ihre semipermeable Haut Wasser auf, das sie über ihr Organsystem wieder ausscheiden müssen, um den Salzgehalt in ihrem Körper zu stabilisieren und keinen osmotischem Überdruck zu erleiden. Umgekehrt verlieren Fische im stärker salzigen Meerwasser laufend die beweglicheren Wassermoleküle durch denselben Prozess. Diese Fische müssen unter Energieaufwand Süßwasser gewinnen und Salz aktiv ausscheiden. Lachse leben abwechselnd und längere Zeit in Süß- und Salzwasser, diese benötigen daher beide Organfähigkeiten.<br />
<br />
==Hautkrankheiten==<br />
Es gibt zahlreiche [[Wikipedia:Hautkrankheit|Hautkrankheit]]en, die auf einer direkten Schädigung der Haut, etwa durch Infektion, beruhen, aber auch solche, die durch andere Organ- oder Allgemeinerkrankungen entstehen. Hautveränderungen bezeichnet man in der [[Wikipedia:Dermatologie|Dermatologie]] – dem medizinischen Fachgebiet der Hautkrankheiten – als [[Wikipedia:Effloreszenz|Effloreszenz]]en.<br />
<br />
Weitere Schädigungen der Haut können durch Infektionen im Rahmen eines Diabetes mellitus (Dekubitus, diabetisches Fußsyndrom), Bissverletzungen, Brandwunden, Schuss- und Stichverletzungen, Infektionen nach Verletzungen im Meerwasser, Infektionen durch seltene Erreger<ref>Marianne Abele-Horn (2009), S. 152–160.</ref> oder Schäden durch Pflanzeninhaltsstoffe<ref>John Mitchell, Arthur Rock: ''Botanical dermatology: Plants and plant products injurious to the skin.'' Vancouver 1979.</ref> sein.<br />
Sehr selten gibt es auch angeborene Erkrankungen der Haut wie z.&nbsp;B. die [[Wikipedia:Aplasia cutis congenita|Aplasia cutis congenita]].<br />
<br />
Zu den Infektionen der Haut gehören unter anderem [[Wikipedia:Hautblase|Bulla]] rodens (Bulla repens staphylogenes), [[Wikipedia:Erysipel|Erysipel]], [[Wikipedia:Follikulitis|Follikulitis]], [[Wikipedia:Furunkel|Furunkel]], [[Wikipedia:Karbunkel|Karbunkel]], [[Wikipedia:Pyodermie|Pyodermie]], [[Wikipedia:Impetigo contagiosa|Impetigo contagiosa]], [[Wikipedia:Paronychie|Paronychie]], [[Wikipedia:Panaritium|Panaritium]] und [[Wikipedia:Phlegmone|Phlegmone]].<ref>Marianne Abele-Horn (2009), S. 148–152.</ref><br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*{{WikipediaDE|Kategorie:Haut}}<br />
*{{WikipediaDE|Haut}}<br />
*{{WikipediaDE|Schwimmhaut}}<br />
*{{WikipediaDE|Flughaut}}<br />
*{{WikipediaDE|Trommelfell}}<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*Bernd Kardorff: ''Gesunde Haut – Lexikon von A bis Z.'' Springer Verlag, Berlin/ Heidelberg 2004, ISBN 3-540-20565-9.<br />
*Gerhard Deutschmann: ''Die Haut und ihre Anhangsgebilde''. Springer, Wien 2005, ISBN 3-211-83670-5.<br />
*Ernst G. Jung (Hrsg.): ''Kleine Kulturgeschichte der Haut.'' Steinkopff Verlag, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-7985-1757-8.<br />
*Marianne Abele-Horn: ''Antimikrobielle Therapie. Entscheidungshilfen zur Behandlung und Prophylaxe von Infektionskrankheiten.'' Unter Mitarbeit von Werner Heinz, Hartwig Klinker, Johann Schurz und August Stich, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Peter Wiehl, Marburg 2009, ISBN 978-3-927219-14-4, S. 148–160 (''Infektionen der Haut und Weichgewebe'').<br />
<br />
==Weblinks==<br />
{{Commons|Human skin|Haut}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikiquote}}<br />
<br />
*[http://www.uni-mainz.de/FB/Medizin/Anatomie/workshop/EM/EMHaut.html Elektronenmikroskopische Originalabbildungen] Dr. Jastrows EM-Atlas<br />
*[http://www.haut.de/ Informationsportal zum Thema Haut und Körperpflege] www.haut.de<br />
*[http://staff.washington.edu/chudler/receptor.html Rezeptoren der Haut] (englisch)<br />
*[http://www.dguv.de/de/Prävention/Kampagnen-Veranstaltungen-und-Projekte/Präventionskampagnen/Präventionskampagne-Haut/index.jsp Präventionskampagne Haut] Maßnahme der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) (2007/2008)<br />
*Andra Joeckle, [http://www.deutschlandradiokultur.de/am-tiefsten-ist-die-haut.958.de.html?dram:article_id=301898 deutschlandradiokultur.de: ''Am tiefsten ist die Haut. Schrecken und Schönheit einer Oberfläche'']. Deutschlandradio Kultur, 2012. 7. Januar 2015<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4023838-6}}<br />
<br />
[[Kategorie:Haut|!]]<br />
<br />
{{Wikipedia}}<br />
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Otherwikibot
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Gonade
2023-07-25T07:31:21Z
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<hr />
<div>Eine '''Gonade''' (aus [[Wikipedia:Griechische Sprache|griech.]] ''gone'', ‚Geschlecht‘, ‚Erzeugung‘, ‚Same‘, und ''aden'', ‚Drüse‘), auch '''Keimdrüse''' oder ''Geschlechtsdrüse'' genannt, ist jenes [[Geschlechtsorgan]], in dem einige [[Wikipedia:Sexualhormone|Sexualhormone]] und sämtliche [[Wikipedia:Gamet|Keimzellen]] (Gameten) gebildet werden.<br />
<br />
Die Gonade des [[Wikipedia:Männliches Geschlecht|männlichen Geschlechts]] wird als [[Wikipedia:Hoden|Hoden]] ''(Testikel)'' bezeichnet, die des [[Wikipedia:Weibliches Geschlecht|weiblichen Geschlechts]] als [[Wikipedia:Eierstock|Eierstock]] ''(Ovar)''.<br />
<br />
== Entwicklung ==<br />
Die Gonaden sind jeweils paarig angelegt. Die Gonadenentwicklung erfolgt beim [[Wikipedia:Embryo|Embryo]] zunächst bei beiden Geschlechtern gleich. Erst die bei Säugetieren auf dem [[Wikipedia:Y-Chromosom|Y-Chromosom]] (→ [[Wikipedia:genetisches Geschlecht|genetisches Geschlecht]]) lokalisierte ''[[Wikipedia:sex-determining region of Y|sex-determining region of Y]]'' (SRY) bestimmt über den [[Wikipedia:Hoden-determinierender Faktor|Hoden-determinierenden Faktor]] (TDF) die Entwicklung zum Hoden bzw. bei dessen Fehlen die Entwicklung zum Eierstock. Ein Teil der Gonadenanlage entwickelt sich zu den [[Wikipedia:Keimdrüsenband|Keimdrüsenbändern]]. Aufgrund der frühen Differenzierung zählen die Gonaden auch zu den primären [[Wikipedia:Geschlechtsmerkmal|Geschlechtsmerkmal]]en. Ihr Vorhandensein bestimmt dementsprechend das [[Wikipedia:Gonadales Geschlecht|gonadale Geschlecht]]. Fehlentwicklungen können zur Ausbildung eines [[Wikipedia:Ovotestis|Ovotestis]] führen.<br />
<br />
Bei weiblichen [[Wikipedia:Vögel|Vögel]]n bildet sich der rechte Eierstock noch während der Embryonalentwicklung zumeist wieder vollständig zurück, die weiblichen Geschlechtsorgane gelangen nur links zur Entfaltung.<br />
<br />
== Funktion ==<br />
Die Funktion der Keimdrüsen lässt sich in eine exokrine und eine endokrine Komponente unterteilen:<br />
<br />
=== Exokrine Funktion ===<br />
Die exokrine Komponente besteht in der Bereitstellung der Keimzellen beim [[Wikipedia:Geschlechtsreife|geschlechtsreifen]] Individuum: [[Wikipedia:Eizelle|Eizelle]]n bei der Frau, [[Wikipedia:Spermium|Samenzellen]] beim Mann. Der Mann kann mittels [[Wikipedia:Spermatogenese|Spermatogenese]] von der [[Wikipedia:Pubertät|Pubertät]] an bis ins hohe Alter [[Wikipedia:Zeugung|befruchtungsfähige]] Samenzellen produzieren. Bei der Frau ist die [[Wikipedia:Oogenese|Oogenese]] bereits im 5. Entwicklungsmonat abgeschlossen und sie hat ihr Maximum von etwa 7 Millionen Keimzellen erreicht, welche jetzt in das schützende [[Wikipedia:Diktyotän|Diktyotän]]stadium eintreten. Beim Beginn der Pubertät sind nur noch etwa 400.000 von diesen weiblichen Keimzellen vorhanden. Weniger als 500 von ihnen vollziehen im Verlauf der reproduktiven Phase der Frau bis zur [[Wikipedia:Menopause|Menopause]] einen [[Wikipedia:Follikelsprung|Follikelsprung]].<br />
<br />
=== Endokrine Funktion ===<br />
Die endokrine Komponente besteht bei beiden Geschlechtern in der Bereitstellung der Sexualhormone: bei der Frau [[Wikipedia:Östrogene|Östrogene]] und [[Wikipedia:Gestagene|Gestagene]], beim Mann [[Wikipedia:Androgen|Androgen]]e (v. a. [[Wikipedia:Testosteron|Testosteron]]).<br />
<br />
Das Ausschalten der Gonadenfunktion oder die Entfernung der Keimdrüsen wird bei beiden Geschlechtern als [[Wikipedia:Kastration|Kastration]] bezeichnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Gonade}}<br />
* {{WikipediaDE|Intersexualität}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [http://www.ncbi.nlm.nih.gov/bookshelf/br.fcgi?book=endocrin&part=A972 ''The gonad.''] In: Stephen Nussey, Saffron Whitehead: ''Endocrinology.'' Informa Healthcare, Oxford 2001, ISBN 1-85996-252-1.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4157909-4}}<br />
<br />
[[Kategorie:Endokrine Organe|108]]<br />
[[Kategorie:Endokrine Drüsen|108]]<br />
[[Kategorie:Geschlechtsorgane]]<br />
[[Kategorie:Gonade|!]]<br />
<br />
{{Wikipedia}}<br />
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Otherwikibot
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Wacholder
2023-07-18T08:36:26Z
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<hr />
<div>{{Begriffsklärungshinweis}}<br />
<!-- Für Informationen zum Umgang mit dieser Vorlage siehe bitte [[Wikipedia:Taxoboxen]]. --><br />
{{Taxobox<br />
| Taxon_Name = Wacholder<br />
| Taxon_WissName = Juniperus<br />
| Taxon_Rang = Gattung<br />
| Taxon_Autor = [[Carl von Linné|L.]]<br />
| Taxon2_WissName = Cupressoideae<br />
| Taxon2_Rang = Unterfamilie<br />
| Taxon3_Name = Zypressengewächse<br />
| Taxon3_WissName = Cupressaceae<br />
| Taxon3_Rang = Familie<br />
| Taxon4_Name = Koniferen<br />
| Taxon4_WissName = Coniferales<br />
| Taxon4_Rang = Ordnung<br />
| Taxon5_WissName = Coniferopsida<br />
| Taxon5_Rang = Klasse<br />
| Taxon6_Name = Samenpflanzen<br />
| Taxon6_WissName = Spermatophytina<br />
| Taxon6_Rang = Unterabteilung<br />
| Bild = Lüneburger Heide 006.jpg<br />
| Bildbeschreibung = [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Heide-Wacholder]] (''Juniperus communis'') in der Lüneburger Heide<br />
| Subtaxa_Rang = Sektion<br />
| Subtaxa = <br />
* ''Caryocedrus''<br />
* ''Juniperus''<br />
* ''Sabina''<br />
}}<br />
<br />
[[Datei:Juniperus sabina - Köhler–s Medizinal-Pflanzen-212.jpg|mini|Illustration aus ''Köhler's Medizinalpflanzen'' des [[Wikipedia:Sadebaum|Sadebaum]]es (''Juniperus sabina'')]]<br />
[[Datei:The cypress and juniper trees of the Rocky Mountain region (1915) (14591305408).jpg|mini|Illustration aus ''The cypress and juniper trees of the Rocky Mountain region'', 1915 des [[Wikipedia:Alligator-Wacholder|Alligator-Wacholder]] (''Juniperus deppeana'')]]<br />
<br />
Die '''Wacholder''' (''Juniperus'') sind eine [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Pflanzengattung]] in der [[Wikipedia:Familie (Biologie)|Unterfamilie]] Cupressoideae innerhalb der [[Wikipedia:Familie (Biologie)|Familie]] der [[Wikipedia:Zypressengewächse|Zypressengewächse]] (Cupressaceae). Mit den etwa 50 bis 70 Arten, die dieser Gattung zugerechnet werden, stellen sie fast 40 Prozent der Arten innerhalb der Zypressengewächse. In Mitteleuropa kommen in freier Natur nur zwei Arten vor: der [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Gemeine Wacholder]] und der [[Wikipedia:Sadebaum|Sadebaum]].<br />
<br />
== Name ==<br />
Der deutsche Name ''Wacholder'' (von althochdeutsch ''wechalter'', mittelhochdeutsch ''wëcholtër'')<ref name="Mildenberger" /> hat verschiedene [[Wikipedia:Etymologie|etymologische]] Deutungen erfahren. Sicher ist, dass der Teil „-der“ der Reflex der indogermanischen Baumbezeichnung ist, wie sie in ''Holunder'', ''Affolter'' ([[Wikipedia:Äpfel|Apfelbaum]]), ''Flieder'', [[Wikipedia:Heister (Pflanze)|''Heister'']] und anderen vorkommt. Unsicher ist der erste Teil. Hier wird entweder ein Zusammenhang mit ''wachsen'' angenommen, unter Verweis auf den immergrünen Baum, oder mit ''wickeln'', nach einer (spekulativen) Verwendung zum Binden bzw. für rituell genutzte Wacholdersträuße.<ref name="Kluge" /><ref name="Marzell" /> Die hin und wieder anzutreffende Deutung als ''Wach-Halter'' ist hingegen wohl eine [[Wikipedia:Volksetymologie|Volksetymologie]].<br />
<br />
Im Niederdeutschen wird der Wacholder auch als Machandelbaum bezeichnet.<ref name="Joneleit" /> Daraus hat sich dann als Nebenform die Bezeichnung Machangelstrauch (oder nur ''Machangel'')<ref name="Schmitz1954" /> entwickelt. Diese Bezeichnung ist vor allen Dingen in Grimms Märchen und einigen Gedichten anzutreffen. Der Begriff ''Machangel'' findet sich mehrfach in der Erzählung [[Wikipedia:Der Wehrwolf|Der Wehrwolf]] von [[Wikipedia:Hermann Löns|Hermann Löns]].<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20050414121809/http://gutenberg.spiegel.de/loens/wehrwolf/04.htm |titel=Projekt Gutenberg-DE - Kultur - SPIEGEL ONLINE |datum=2005-04-14 |abruf=2020-08-27}}</ref><br />
<br />
Der botanische Name ist ebenfalls nicht sicher gedeutet. Favorisiert wird die Lesart als [[latein]]isch *''iūni-perus'' aus älterem *''iuveni-paros'' in der Bedeutung „(zu) früh gebärend, abortierend“ nach der Verwendung von ''[[Wikipedia:Juniperus sabina|Juniperus sabina]]''.<ref name="Genaust1996" /><br />
<br />
Der heute nur selten vorkommende Name ''Juniper'', welcher als Vor- und Nachname existiert, leitet sich von ''Juniperus'' ab.<br />
<br />
In Deutschland finden sich in [[Wikipedia:althochdeutsch|althochdeutsch]]en [[Wikipedia:Glosse|Glosse]]n vorwiegend ab dem 10. Jahrhundert aus den von Spohra/Spurcha entwickelten Namensformen der Begriff „Spurk“ für Wacholder.<ref>http://wiki-de.genealogy.net/Sporkmann_(Familienname), abgerufen am 3. Dezember 2016.</ref><br />
<br />
Unter anderem in Österreich und Teilen Bayerns ist der Wacholder unter der Bezeichnung ''Kranewitt'' bekannt, das über mhd. ''kranewite'' auf ahd. ''kranawitu'', ''chranawita'', welches Kranichholz bedeutet, zurückgeht. Den gleichen Ursprung besitzt das gleichbedeutende ''Krammet''.<ref>[https://www.gewuerzkarawane.de/wacholder.html Wacholder-Beeren] auf Gewürzkarawane abgerufen am 14. August 2020</ref> Von der Bezeichnung ''Kranewitt'' leiten sich die Familiennamen [[Wikipedia:Kranewitter|Kranewitter]], [[Wikipedia:Kranebitter|Kranebitter]], [[Wikipedia:Kronawitter|Kronawitter]], [[Wikipedia:Matías Kranevitter|Kranevitter]] und [[Wikipedia:Mark Granovetter|Granovetter]] ab.<br />
<br />
Der Wacholderschnaps ist demgemäß in Österreich unter ''Kranewitter'' bekannt.<br />
<br />
== Beschreibung ==<br />
[[Datei:Juniperus deppeana (alligator juniper) in the Magdalena Mountains, New Mexico.jpg|mini|links|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Borke|Borke]] der [[Wikipedia:Alligator-Wacholder|Alligator-Wacholder]] (''Juniperus deppeana'')]]<br />
[[Datei:Cade2.jpg|mini|Sektion ''Juniperus'': Blätter und beerenförmige Zapfen in verschiedenen Reifestadien des [[Wikipedia:Stech-Wacholder|Stech-Wacholder]]s (''Juniperus oxycedrus'')]]<br />
<br />
=== Vegetative Merkmale ===<br />
Wacholder-Arten sind immergrüne [[Wikipedia:Sträucher|Sträucher]] oder [[Wikipedia:Baum|Bäume]]. Als größtes Einzelexemplar gilt ein [[Wikipedia:Syrischer Wacholder|Syrischer Wacholder]] (''Juniperus drupacea'') in der Türkei mit einer Wuchshöhe von 40 Metern. Das [[Holz]] besitzt einen schmalen [[Wikipedia:Splintholz|Splint]] und einen rötlich-braunen Kern und duftet oft aromatisch, wobei die Namensgebung wie "stinkend" andeutet, welche Arten besonders intensiv riechen. Die Zweige sind rund oder vier- bis sechsflügelig. Die Blätter sind im Allgemeinen kurz und liegen eng an den Zweigen an. Sie sind in der Jugend nadelförmig, später schuppen- oder nadelförmig. Die Blätter sind in gegenständigen Paaren in vier Reihen oder in wechselständigen [[Wikipedia:Quirl (Botanik)|Quirlen]] in drei bis sechs Reihen oder selten in Quirlen mit vier bis acht Reihen an den Zweigen angeordnet.<br />
<br />
Die Sämlinge besitzen zwei bis acht Keimblätter ([[Wikipedia:Kotyledonen|Kotyledonen]]).<br />
<br />
=== Generative Merkmale ===<br />
Die zu den [[Wikipedia:Nacktsamige Pflanzen|Nacktsamigen Pflanzen]] gehörenden Arten sind meist zweihäusig ([[Wikipedia:Diözie|diözisch]]), selten einhäusig ([[Wikipedia:Monözie|monözisch]]) getrenntgeschlechtig. Die männlichen Zapfen besitzen drei bis vier Paare oder Trios [[Wikipedia:Sporophyll|Sporophyll]]e. Jedes Sporophyll besitzt zwei bis acht Pollensäcke.<br />
<br />
Die beerenförmigen weiblichen [[Wikipedia:Zapfen (Botanik)|Zapfen]], oft als Beeren bezeichnet, sind bei einem Durchmesser von 0,3 bis 2 Zentimetern ei- bis kugelförmig. Sie benötigen bis zur Reife ein bis zwei Jahre, bleiben geschlossen und werden bläulich. Die meist dicken, fleischigen Zapfenschuppen sind aus Deck- und Samenschuppen verwachsen und besitzen ein bis drei Samen. Die ungeflügelten, hartschaligen Samen sind rund bis kantig. Die beerenförmigen Zapfen werden von Vögeln als ganzes geschluckt und die Samen verlassen den Darmtrakt unversehrt. Der bittere Geschmack der Zapfen (bei den meisten Arten) ist wohl eine Anpassung gegen Fraß durch Säugetiere.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Chromosom|Chromosom]]engrundzahl beträgt x = 11.<br />
<br />
== Vorkommen ==<br />
Wacholder-Arten kommen vorwiegend auf der [[Wikipedia:Nordhalbkugel|Nordhalbkugel]] der Erde vor. Nur das Verbreitungsgebiet des [[Wikipedia:Ostafrikanischer Wacholder|Ostafrikanischen Wacholders]] reicht im [[Wikipedia:Ostafrika|östlichen Afrika]] bis 18°&nbsp;Süd.<br />
<br />
Wacholder-Arten sind sehr anpassungsfähig. Sie gedeihen in Klimaregionen, die von der [[Wikipedia:Waldtundra|subarktischen]] Tundra bis zu Halbwüsten reichen. Nahezu alle Arten sind gut an regenarme Zeiten angepasst. In Bergregionen sind es häufig Wacholder-Arten, die noch an der [[Wikipedia:Baumgrenze|Baumgrenze]] gedeihen. Der auf den Azoren gedeihende [[Wikipedia:Kurzblättriger Wacholder|Kurzblättrige Wacholder]] ist die einzige Nadelholzart, die sich auf einer mitten im Ozean liegenden Inselkette vulkanischen Ursprungs etablieren konnte.<ref name="Tudge107" /> Die Samen der Vorfahren dieser Art gelangten vermutlich im Verdauungstrakt von Vögeln dorthin.<br />
<br />
Sie kommen vielfach auf trockenen Böden (Sand, [[Wikipedia:Heide (Landschaft)|Heide]], [[Wikipedia:Steppe|Steppe]], [[Wikipedia:Halbwüste|Halbwüste]]) vor.<br />
<br />
In vielen [[Wikipedia:semiarid|semiarid]]en Gebieten wie in den westlichen USA, im nördlichen [[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]], im zentralen und südwestlichen Asien sind sie die dominante Waldbedeckung in weiten Bereichen der Landschaft. Die Untergattung Juniperus ist hauptsächlich [[Wikipedia:Eurasien|eurasisch]] mit einer [[Wikipedia:holarktis|holarktis]]chen Art (''Juniperus communis''). Sie ist auch die einzige Art dieser Untergattung in [[Wikipedia:Nordamerika|Nordamerika]] und Mitteleuropa und überhaupt die am weitesten verbreitete [[Wikipedia:Konifere|Konifere]]nart. Die Untergattung ''Caryocedrus'' ist [[Wikipedia:Endemit|endemisch]] in Südwestasien und [[Wikipedia:Südosteuropa|Südosteuropa]]. Die Untergattung ''Sabina'' besiedelt fast alle Areale, die auch für die ganze Gattung gelten – außer nördlich von 50°&nbsp;Nord in Europa und 60°&nbsp;Nord in Asien.<br />
<br />
In [[Wikipedia:Weideland|stark beweideten]] Gebieten ist Wacholder aufgrund seiner Unverträglichkeit für Weidetiere oft der einzige vorkommende Baum.<br />
<br />
Die häufigere der beiden Wacholder-Arten in Deutschland, der [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Heide-Wacholder]], war der [[Wikipedia:Baum des Jahres|Baum des Jahres]] 2002.<br />
<br />
== Systematik ==<br />
[[Datei:Juniperus drupacea 1.JPG|mini|Sektion ''Caryocedrus'': [[Wikipedia:Syrischer Wacholder|Syrischer Wacholder]] (''[[Wikipedia:Juniperus drupacea|Juniperus drupacea]]'')]]<br />
[[Datei:Juniperus brevifolia.jpg|mini|Sektion ''Juniperus'': [[Wikipedia:Kurzblättriger Wacholder|Kurzblättriger Wacholder]] (''Juniperus brevifolia'') auf den Azoren]]<br />
[[Datei:JuniperusCommunisAlpina.jpg|mini|Sektion ''Juniperus'': [[Wikipedia:Alpen-Wacholder|Alpen-Wacholder]] (''Juniperus communis'' var. ''saxatilis'') im [[Wikipedia:Witoschagebirge|Witoschagebirge]], Bulgarien]]<br />
[[Datei:Juniperus macrocarpa Paros2.jpg|mini|Sektion ''Juniperus'': ''[[Wikipedia:Juniperus macrocarpa|Juniperus macrocarpa]]'' auf der griechischen Insel Paros]]<br />
[[Datei:Juniperus navicularis.JPG|mini|Sektion ''Juniperus'': ''[[Wikipedia:Juniperus navicularis|Juniperus navicularis]]'']]<br />
[[Datei:Juniperus rigida4.jpg|mini|Sektion ''Juniperus'': [[Wikipedia:Igel-Wacholder|Igel-Wacholder]] (''Juniperus rigida'')]]<br />
[[Datei:Starr 080610-8119 Juniperus bermudiana.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Bermuda-Wacholder|Bermuda-Wacholder]] (''Juniperus bermudiana''), Sand Island, [[Wikipedia:Midwayinseln|Midwayinseln]], Hawaii-Inseln]]<br />
[[Datei:SabinaChinensis.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Chinesischer Wacholder|Chinesischer Wacholder]] (''Juniperus chinensis'')]]<br />
[[Datei:Juniperus deppeana infestedcones.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Zweig mit Zapfen der [[Wikipedia:Alligator-Wacholder|Alligator-Wacholder]] (''Juniperus deppeana'')]]<br />
[[Datei:Juniperus excelsa Krym.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Griechischer Wacholder|Griechischer Wacholder]] (''Juniperus excelsa'') auf der Krim]]<br />
[[Datei:JuniperRockCreek.JPG|mini|Sektion ''Sabina'': ''[[Wikipedia:Juniperus grandis|Juniperus grandis]]'' in der Sierra Nevada, Kalifornien]]<br />
[[Datei:JuniperBerry-2.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Kriech-Wacholder|Kriech-Wacholder]] (''Juniperus horizontalis'') in Saskatchewan]]<br />
[[Datei:Juniperus maritima 5859.JPG|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus von ''[[Wikipedia:Juniperus maritima|Juniperus maritima]]'' im [[Wikipedia:Habitat|Habitat]]]]<br />
[[Datei:Juniperus monosperma UGA.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus des [[Wikipedia:Einsamiger Wacholder|Einsamigen Wacholder]] (''Juniperus monosperma'') im [[Wikipedia:Habitat|Habitat]]]]<br />
[[Datei:Juniperus osteosperma Serpents Trail.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus des [[Wikipedia:Utah-Wacholder|Utah-Wacholder]] (''Juniperus osteosperma'') im [[Wikipedia:Habitat|Habitat]]]]<br />
[[Datei:El Hierro Sabinar.JPG|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Phönizischer Wacholder|Phönizischer Wacholder]] (''Juniperus phoenicea'') auf [[Wikipedia:El Hierro|El Hierro]]]]<br />
[[Datei:Juniper in Shahrud, Iran.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus des [[Wikipedia:Persischer Wacholder|Persischen Wacholder]] (''Juniperus polycarpos'') im Habitat]]<br />
[[Datei:Juniperus procera Djibouti.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus von ''[[Wikipedia:Juniperus procera|Juniperus procera]]'' im [[Wikipedia:Habitat|Habitat]]]]<br />
[[Datei:Juniperus recurva coxii Buch.-Ham. ex D.Don (AM AK202965-2).jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus von ''[[Wikipedia:Juniperus recurva|Juniperus recurva]]'' var. ''coxii'']]<br />
[[Datei:Juniperus recurva coxii Buch.-Ham. ex D.Don (AM AK202965-1).jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Hängende Zweige von ''[[Wikipedia:Juniperus recurva|Juniperus recurva]]'' var. ''coxii'']]<br />
[[Datei:Juniperus saltuaria, Jiuzhaigou, Aba, Sichuan, China.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus von ''[[Wikipedia:Juniperus saltuaria|Juniperus saltuaria]]'' im [[Wikipedia:Habitat|Habitat]]]]<br />
[[Datei:Juniperus saxicola CF9A4502.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus von ''[[Wikipedia:Juniperus saxicola|Juniperus saxicola]]'']]<br />
[[Datei:Juniperus scopulorum 3.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Rocky-Mountain-Wacholder|Rocky-Mountain-Wacholder]] (''Juniperus scopulorum''), [[Wikipedia:Habitat|Habitat]] in den [[Wikipedia:Rocky Mountains|Rocky Mountains]]]]<br />
[[Datei:Juniperus scopulorum Garden of the Gods.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Rocky-Mountain-Wacholder|Rocky-Mountain-Wacholder]] (''Juniperus scopulorum'')]]<br />
[[Datei:6940-Juniperus semiglobosa-DZ 09.15.JPG|mini|Sektion ''Sabina'': Zweig mit Zapfen von ''[[Wikipedia:Juniperus semiglobosa|Juniperus semiglobosa]]'']]<br />
[[Datei:Juniperus standleyi, Todos Santos Cuchumatán, Guatemala.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': Habitus von ''[[Wikipedia:Juniperus standleyi|Juniperus standleyi]]'' im [[Wikipedia:Habitat|Habitat]]]]<br />
[[Datei:Juniperus-thurifera-01.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Spanischer Wacholder|Spanischer Wacholder]] (''Juniperus thurifera'') in Spanien]]<br />
[[Datei:Juniperus virginiana berries.jpg|mini|Sektion ''Sabina'': [[Wikipedia:Virginischer Wacholder|Virginischer Wacholder]] (''Juniperus virginiana'')]]<br />
<br />
Die Gattung ''Juniperus'' wurde durch [[Carl von Linné]] aufgestellt.<ref name="GRIN" /> Die [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Gattung]] gehört zur [[Wikipedia:Familie (Biologie)|Unterfamilie]] Cupressoideae innerhalb der [[Wikipedia:Familie (Biologie)|Familie]] [[Wikipedia:Zypressengewächse|Cupressaceae]].<br />
<br />
Die Gattung Wacholder (''Juniperus'') enthält etwa 50 bis 70 [[Wikipedia:Art (Biologie)|Arten]]. Die wissenschaftlichen Diskussionen über die Artenzahlen, die Rangzuordnungen nach Varietäten, Unterarten oder Formen werden teilweise kontrovers geführt. Untersuchungen auf DNA-Basis ([[Wikipedia:RAPD|RAPD]] und [[Wikipedia:Genetischer Fingerabdruck|Genetischer Fingerabdruck]] – Fingerprinting) und bezüglich der Blattölzusammensetzung halten die Diskussion in Bewegung; auch in der Feldforschung gefundene neue Arten lassen die Taxonzahlen schwanken.<br />
<br />
Hier wird meist und vorzugsweise den Ausführungen von [[Robert Phillip Adams]] gefolgt, der 2008<ref name="Adams-Phytologia90" /> annähernd 70 Arten und 27 Varietäten anerkennt, aber die Kategorie Unterart nicht verwendet.<ref name="JuniperusWorld" /><br />
<br />
Die Gattung ''Juniperus'' s.&nbsp;l. wird in drei [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Sektionen]] eingeteilt, die in der Literatur manchmal auch als [[Wikipedia:Gattung (Biologie)|Untergattungen]] geführt werden:<ref name="GymnospermDb" /><br />
<br />
* Sektion ''Caryocedrus'' {{Person|[[Wikipedia:Stephan Ladislaus Endlicher|Endl.]]}} (Syn.: Gattung ''Arceuthos'' {{Person|Antoine}}): Sie enthält nur eine Art:<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Syrischer Wacholder|Syrischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus drupacea'' {{Person|[[Wikipedia:Jacques Julien Houtou de Labillardière|Labill.]]}}): Er kommt in [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]], in der [[Wikipedia:Türkei|Türkei]], in [[Wikipedia:Syrien|Syrien]] im [[Wikipedia:Libanon|Libanon]] und in [[Wikipedia:Israel|Israel]] vor. Am häufigsten kommt er im [[Wikipedia:Taurusgebirge|Taurusgebirge]] (<!-- insbesondere? -->Kilikischer Taurus) in der südlichen Türkei bis ins nördliche Syrien vor. In den anderen Gebieten ist er selten.<ref name="GymnospermDb" /><br />
<br />
* Sektion ''Juniperus'' (Syn.: Gattung ''Juniperus'' sect. ''Oxycedrus'' {{Person|Spach}}): Mit zehn Arten:<br />
** [[Wikipedia:Kurzblättriger Wacholder|Kurzblättriger Wacholder]]<ref name="Zander2008" />, auch Azoren-Wacholder genannt, (''Juniperus brevifolia'' {{Person|([[Wikipedia:Moritz August Seubert|Seub.]]) [[Wikipedia:Franz Antoine (Botaniker, 1815)|Antoine]]}}, Syn.: ''Juniperus oxycedrus'' var. ''brevifolia'' {{Person|Seub.}}): Er kommt nur auf den [[Wikipedia:Azoren|Azoren]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Zedern-Wacholder|Zedern-Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus cedrus'' {{Person|[[Wikipedia:Philip Barker Webb|Webb]] & [[Wikipedia:Sabin Berthelot|Berthel.]]}}) auf den [[Wikipedia:Kanarische Inseln|Kanarischen Inseln]] und auf [[Wikipedia:Madeira|Madeira]].<br />
** [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Gemeiner Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> oder Heide-Wacholder (''Juniperus communis'' {{Person|L.}}) mit sieben Varietäten:<br />
*** ''Juniperus communis'' {{Person|L.}} var. ''communis''<br />
*** ''Juniperus communis'' var. ''charlottensis'' {{Person|R.P.Adams}}: Sie ist auf dem kanadischen [[Wikipedia:Haida Gwaii|Queen-Charlotte-Inseln]] endemisch.<br />
*** [[Wikipedia:Kanadischer Wacholder|Kanadischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus communis'' var. ''depressa'' {{Person|Pursh}}) bzw. in manchen Quellen auch als homonyme Unterart (''Juniperus communis'' subsp. ''depressa'' {{Person|([[Wikipedia:Frederick Traugott Pursh|Pursh]]) [[João do Amaral Franco|Franco]]}}) angegeben, ist in ganz Kanada und den USA verbreitet.<br />
*** ''Juniperus communis'' var. ''jackii'' {{Person|Rehder}} in Nordamerika.<br />
*** ''Juniperus communis'' var. ''megistocarpa'' {{Person|[[Wikipedia:Merritt Lyndon Fernald|Fernald]] & [[Harold St. John|H.St.John]]}} in Kanada.<br />
*** ''Juniperus communis'' var. ''nipponica'' {{Person|([[Wikipedia:Karl Johann Maximowicz|Maxim.]]) E.H.Wilson}} in Japan.<br />
*** [[Wikipedia:Alpen-Wacholder|Alpen-Wacholder]],<ref name="Zander2008" /> auch Zwerg-Wacholder genannt (''Juniperus communis'' var. ''saxatilis'' {{Person|[[Wikipedia:Peter Simon Pallas|Pall.]]}}, Syn.: ''Juniperus communis'' var. ''montana'' {{Person|Aiton}}, ''Juniperus communis'' var. ''nana'' {{Person|(Willd.) Baumg.}}, ''Juniperus nana'' {{Person|Willd.}}): Er ist in der nördlichen Hemisphäre weitverbreitet (von Europa über das westliche, zentrale, nördliche Asien bis in den Fernen Osten, weiters im westlichen Teil Nordamerikas und in Grönland).<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus deltoides|Juniperus deltoides]]'' {{Person|[[Robert Phillip Adams|R.P.Adams]]}}: Die Heimat liegt ab Italien im östlichen Mittelmeerraum und weiter bis zum Iran.<br />
** [[Wikipedia:Formosa-Wacholder|Formosa-Wacholder]] (''Juniperus formosana'' {{Person|[[Wikipedia:Hayata Bunzō|Hayata]]}}, Syn.: ''Juniperus taxifolia'' {{Person|Parl.}} non {{Person|Hook.}}, ''Juniperus mairei'' {{Person|Lemée et Lev.}}, ''Juniperus formosana'' var. ''mairei'' {{Person|(Lemée et Lev.) R.P.Adams et C.F.Hsieh}}, ''Juniperus formosana'' var. ''concolor'' {{Person|Hayata}}, ''Juniperus formosana'' var. ''sinica'' {{Person|Nakai}}, ''Juniperus chekiangensis'' {{Person|Nakai}}): Sie ist in [[Wikipedia:Volksrepublik China|China]] und [[Wikipedia:Taiwan (Insel)|Taiwan]] verbreitet.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus macrocarpa|Juniperus macrocarpa]]'' {{Person|[[Wikipedia:James Edward Smith (Botaniker)|Sm.]]}}: Er ist entlang der Mittelmeer- und Schwarzmeerküsten in Nordafrika, Europa und Kleinasien beheimatet.<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus navicularis|Juniperus navicularis]]'' {{Person|[[Wikipedia:Michel Gandoger|Gand.]]}} ist nur in [[Wikipedia:Portugal|Portugal]] beheimatet.<br />
** [[Wikipedia:Stech-Wacholder|Stech-Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus oxycedrus'' {{Person|L.}}): Er ist im Mittelmeerraum westlich von Italien heimisch.<br />
** [[Wikipedia:Igel-Wacholder|Igel-Wacholder]] oder Nadel-Wacholder (''Juniperus rigida'' {{Person|[[Wikipedia:Philipp Franz von Siebold|Siebold]] & [[Wikipedia:Joseph Gerhard Zuccarini|Zucc.]]}}): Das natürliche Verbreitungsgebiet liegt in [[Wikipedia:Ostasien|Ostasien]] mit China, [[Wikipedia:Koreanische Halbinsel|Korea]], im südöstlichen Russland sowie in [[Wikipedia:Japan|Japan]].<br />
** [[Wikipedia:Luchu-Wacholder|Luchu-Wacholder]] (''Juniperus taxifolia'' {{Person|[[Wikipedia:William Jackson Hooker|Hook.]] & [[Wikipedia:George Arnott Walker Arnott|Arn.]]}}, Syn.: ''Juniperus lutchuensis'' {{Person|Koidz.}}): Dieser Endemit kommt nur auf den japanischen Ogasawara-Inseln vor und gedeiht von der Küste bis in Höhenlagen von 300 Metern an sonnigen, steinigen Standorten.<ref name="GymnospermDb" /><br />
<br />
* Sektion ''Sabina'' {{Person|[[Wikipedia:Édouard Spach|Spach]]}} (Syn.: Gattung ''Sabina'' {{Person|Mill.}}): Mit etwa 56 Arten:<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus angosturana|Juniperus angosturana]]'' {{Person|R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus monosperma'' var. ''gracilis'' {{Person|Martínez}}): Sie gedeiht in Höhenlagen von 1100 bis 2140 Metern in der [[Wikipedia:Sierra Madre Oriental|Sierra Madre Oriental]] in den mexikanischen Bundesstaaten [[Wikipedia:Coahuila|Coahuila]], [[Wikipedia:Hidalgo (Bundesstaat)|Hidalgo]], [[Wikipedia:Nuevo León|Nuevo León]], [[Wikipedia:San Luis Potosí (Bundesstaat)|San Luis Potosí]] sowie [[Wikipedia:Tamaulipas|Tamaulipas]].<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus arizonica|Juniperus arizonica]]'' {{Person|R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus coahuilensis'' var. ''arizonica'' {{Person|R.P.Adams}}): Den Rang einer Art hat sie 2006 erhalten. Sie kommt an voneinander Isolierten Standorten in den südwestlichen [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|US-Bundesstaaten]] in [[Wikipedia:Arizona|Arizona]] sowie [[Wikipedia:New Mexico|New Mexico]] und in den nördlichen mexikanischen Bundesstaaten [[Wikipedia:Chihuahua (Bundesstaat)|Chihuahua]] sowie Sonora vor. Sie gedeiht in Höhenlagen von 980 bis 1600, selten bis zu 2200 Metern.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Ashes Wacholder|Ashes Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus ashei'' {{Person|[[Wikipedia:John Theodore Buchholz|J.Buchholz]]}}, Syn.: ''Juniperus sabinoides'' {{Person|(Kunth) Nees}} non {{Person|Griseb.}}, ''Juniperus sabionoides'' {{Person|Sarg.}} non {{Person|Griseb.}}, ''Juniperus occidentalis'' var. ''texana'' {{Person|Vasey}}, ''Juniperus occidentalis'' var. ''conjugens'' {{Person|Engelm.}}, ''Juniperus tetragona'' var. ''oligosperma'' {{Person|Engelm.}}): Es gibt zwei Varietäten:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus ashei'' {{Person|J.Buchholz}} var. ''ashei'': Sie kommt in den US-Bundesstaaten Arkansas, Missouri (in den Ozark Bergen), Oklahoma, Texas (nur auf dem Edwards Plateau) und im mexikanischen Bundesstaat [[Wikipedia:Coahuila|Coahuila]] vor. Hauptsächlich kommt sie Oklahoma, Arkansas und in den [[Wikipedia:Ozark (Missouri)|Ozark]] Bergen vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus ashei'' var. ''ovata'' {{Person|R.P.Adams}}: Sie wurde 2007 erstbeschrieben.<ref name="AdamsPhytologia89ash" /> Sie kommt hauptsächlich in Coahuila and im westlichen Texas vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Karibischer Wacholder|Karibischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus barbadensis'' {{Person|L.}}): Es gibt zwei Varietäten:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus barbadensis'' {{Person|L.}} var. ''barbadensis'' (Syn.: ''Juniperus virginiana'' var. ''barbadensis'' {{Person|(L.) Gordon)}}: Dieser Endemit kommt nur auf der karibischen Insel [[Wikipedia:St. Lucia|St. Lucia]] (Petit Piton) vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus barbadensis'' var. ''lucayana'' {{Person|(Britton) R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus virginiana'' var. ''australis'' {{Person|Endl.}}, ''Juniperus lucayana'' {{Person|Britton}}, ''Juniperus australis'' {{Person|(Endl.) Pilg.}}): Sie kommt nur auf den Großen Antillen auf [[Wikipedia:Hispaniola|Hispaniola]], [[Wikipedia:Jamaika|Jamaika]] und in [[Wikipedia:Kuba|Kuba]] nur in der Sierra de Nipe und auf der [[Wikipedia:Isla de la Juventud|Isla de la Juventud]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Bermuda-Wacholder|Bermuda-Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus bermudiana'' {{Person|L.}}, Syn.: ''Juniperus oppositifolia'' {{Person|Moench}}, ''Juniperus pyramidalis'' {{Person|Salisb.}}, ''Juniperus virginiana'' var. ''bermudiana'' {{Person|(L.) Vasey}}): Dieser gefährdete Endemit kommt nur auf den [[Wikipedia:Bermuda|Bermuda]]-Inseln vor.<ref name="GymnospermDb" /> Er soll auf der südatlantischen Insel St. Helena ein [[Wikipedia:Neophyt|Neophyt]] sein.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus blancoi|Juniperus blancoi]]'' {{Person|[[Maximino Martínez|Martínez]]}}: Seit 2006 gibt es drei Varietäten:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus blancoi'' {{Person|Martínez}} var. ''blancoi'':<ref name="GRIN" /> Sie kommt in den mexikanischen Bundesstaaten [[Wikipedia:Durango (Bundesstaat)|Durango]], [[Wikipedia:México (Bundesstaat)|México]], [[Wikipedia:Michoacán|Michoacán]] sowie [[Wikipedia:Tlaxcala (Bundesstaat)|Tlaxcala]] vor. Einige der Fundorte sind vielleicht durch Aussamen gepflanzter Exemplare entstanden.<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus blancoi'' var. ''huehuentensis'' {{Person|R.P.Adams et al.}}<ref name="Adams-BiSyEc2005" />: Sie wurde 2006 erstbeschrieben. Dieser Endemit ist nur aus dem Gebiet um dem Gipfel des Cerro Huehuento, südlich von Huachichiles im mexikanischen Bundesstaat Durango bekannt. Sie gedeiht auf Felsen und sehr dünnen Subtratansammlungen in Höhenlagen von 3150 bis 3270 Metern.<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus blancoi'' var. ''mucronata'' {{Person|(R.P.Adams) Farjon}} (Syn.: ''Juniperus mucronata'' {{Person|R.P.Adams}}): Dieser Endemit ist nur aus dem Gebiet Maicoba/Yecora bekannt, in der Nähe der Grenze der mexikanischen Bundesstaaten Sonora sowie Chihuahua. Sie gedeiht an Hängen 30 bis 60 Meter über dem Fluss Maicoba und benachbarter Fließgewässer über [[Wikipedia:Basaltgestein|Basaltgestein]].<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Kalifornischer Wacholder|Kalifornischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus californica'' {{Person|[[Wikipedia:Élie-Abel Carrière|Carrière]]}}, ''Juniperus pyriformis'' {{Person|Lindl.}}, ''Juniperus cerrosianus'' {{Person|Kellogg}}, ''Juniperus cedrosiana'' {{Person|Kellogg}}, ''Juniperus occidentalis'' {{Person|Hook.}}): Er kommt in den südwestlichen US-Bundesstaaten südliches Nevada, Kalifornien sowie nördliches Arizona und im mexikanischen Bundesstaat [[Wikipedia:Baja California (Bundesstaat)|Baja California Norte]] sowie ihre vorgelagerten Inseln [[Wikipedia:Isla de Cedros|Isla de Cedros]] sowie [[Isla Guadalupe]].<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Chinesischer Wacholder|Chinesischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus chinensis'' {{Person|L.}}): Je nach Autor gibt es zwei bis vier Varietäten:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus chinensis'' {{Person|L.}} var. ''chinensis'' (Syn.: ''Juniperus sinensis'' {{Person|J.F.Gmel.}} orth. var., ''Juniperus barbadensis'' {{Person|Thunb.}}, ''Juniperus cabiancae'' {{Person|Vis.}}, ''Juniperus cernua'' {{Person|Roxb.}}, ''Juniperus dimorpha'' {{Person|Roxb.}}, ''[[Wikipedia:Juniperus erectopatens|Juniperus erectopatens]]'' {{Person|(W.C.Cheng & L.K.Fu) R.P.Adams}}, ''Juniperus flagelliformis'' {{Person|Loudon}}, ''Juniperus fortunei'' {{Person|Carrière}}, ''Juniperus gaussenii'' {{Person|W.C.Cheng}}, ''Juniperus jacobii'' {{Person|Beissn.}}, ''Juniperus keteleeri'' {{Person|(Beissn.) Prop.-Giesel.}}, ''Juniperus neaboriensis'' {{Person|A.H.Kent}}, ''Juniperus reevesiana'' {{Person|Endl.}}, ''Juniperus sphaerica'' {{Person|Lindl.}}, ''Juniperus shepherdii'' {{Person|Beissn.}}, ''Juniperus sheppardii'' {{Person|(A.H.Kent) Melle}}, ''Juniperus struthiacea'' {{Person|Knight}}, ''Juniperus thunbergii'' {{Person|Hook. & Arn.}}, ''Juniperus virginica'' {{Person|Thunb.}}, ''Juniperus japonica'' var. ''pyramidalis'' {{Person|Carrière}}, ''Juniperus japonica'' var. ''variegata'' {{Person|Carrière}}, ''Juniperus virginiana'' var. ''keteleeri'' {{Person|(Beissn.) Rehder}}, ''Juniperus sabina'' var. ''erectopatens'' {{Person|(W.C.Cheng & L.K.Fu) Y.F.Yu & L.K.Fu}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''aurea'' {{Person|M.Young}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''aureoglobosa'' {{Person|Rehder}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''corneyanus'' {{Person|(Antoine) Gordon & Glend.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''foemina'' {{Person|Lavallée}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''gaussenii'' {{Person|(W.C.Cheng) Silba}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''glauca'' {{Person|(Slavin) L.H.Bailey}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''globosa'' {{Person|Hornibr.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''horizontalis'' {{Person|Nakai}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''japonica'' {{Person|Siebold}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''keteleeri'' {{Person|Beissn.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''leeana'' {{Person|Lavallée}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''mas'' {{Person|Gordon & Glend.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''mascula'' {{Person|Lavallée}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''pendula'' {{Person|Franch.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''plumosa'' {{Person|Hornibr.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''sheppardii'' {{Person|(A.H.Kent) Hornibr.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''smithii'' {{Person|Loudon}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''torulosa'' {{Person|Eastw.}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''variegata'' {{Person|Maxwell}}): Sie ist in [[Wikipedia:Japan|Japan]], [[Wikipedia:Korea|Korea]], [[Wikipedia:Myanmar|Myanmar]], in der [[Wikipedia:Innere Mongolei|Inneren Mongolei]] und in den chinesischen Provinzen [[Wikipedia:Anhui|Anhui]], [[Wikipedia:Fujian|Fujian]], südliches [[Wikipedia:Gansu|Gansu]], [[Wikipedia:Guangdong|Guangdong]], nördliches [[Wikipedia:Guangxi|Guangxi]], [[Wikipedia:Guizhou|Guizhou]], [[Wikipedia:Hebei|Hebei]], [[Wikipedia:Henan|Henan]], westliches [[Wikipedia:Hubei|Hubei]], [[Wikipedia:Hunan|Hunan]], [[Wikipedia:Jiangsu|Jiangsu]], [[Wikipedia:Jiangxi|Jiangxi]], südliches [[Wikipedia:Shaanxi|Shaanxi]], [[Wikipedia:Shandong|Shandong]], [[Wikipedia:Shanxi|Shanxi]], Sichuan, Yunnan sowie [[Wikipedia:Zhejiang|Zhejiang]] verbreitet.<ref name="FoC" /><br />
*** ''Juniperus chinensis'' var. ''sargentii'' {{Person|A.Henry}} (Syn.: ''Juniperus procumbens'' {{Person|Sarg.}} nom. illeg., ''Juniperus sargentii'' {{Person|(A.Henry) Takeda ex Nakai}}, ''Juniperus chinensis'' subsp. ''sargentii'' {{Person|(A.Henry) Silba}}, ''Juniperus sargentii'' var. ''coeruleum'' {{Person|Pshenn.}}, ''Juniperus sargentii'' var. ''cyanus'' {{Person|Pshenn.}}): Sie kommt in Japan, im östlichen Russland (nur in [[Wikipedia:Sachalin|Sachalin]] sowie auf den Südlichen [[Wikipedia:Kurilen|Kurilen]]) und in der chinesischen Provinz [[Wikipedia:Heilongjiang|Heilongjiang]] vor.<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus chinensis'' var. ''tsukusiensis'' {{Person|(Masamune) Masamune}} (Syn.: ''Juniperus tsukusiensis'' {{Person|Masamune}}, ''Juniperus sargentii'' sensu {{Person|Sasaki}}, ''Juniperus chinensis'' var. ''sargentii'' {{Person|Sasaki}} non {{Person|Henry}}): Sie kommt nur auf der südlichen japanischen Insel [[Wikipedia:Yakushima|Yakushima]] und im [[Wikipedia:Landkreis Hualien|Hualian]] Xian im östlichen Taiwan vor.<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /> Sie wird 2011 als eigenen Art ''[[Juniperus tsukusiensis]]'' {{Person|Masamune}} angesehen.<ref name="Adams-Phytologia93" /><br />
** [[Wikipedia:Rotbeeren-Wacholder|Rotbeeren-Wacholder]] (''Juniperus coahuilensis'' {{Person|(Martínez) [[Henri Marcel Gaussen|Gaussen]]}}): Sie kommt nur im US-Bundesstaat Texas der und im mexikanischen Bundesstaat [[Wikipedia:Coahuila|Coahuila]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus comitana|Juniperus comitana]]'' {{Person|Martínez}}: Sie kommt in den mexikanischen Bundesstaaten Chiapas sowie Hidalgo und in Guatemala in [[Wikipedia:Baja Verapaz|Baja Verapaz]], [[Wikipedia:Huehuetenango|Huehuetenango]] sowie [[Wikipedia:Zacapa|Zacapa]] vor. Sei gedeiht in Höhenlagen von 1300 bis 1775, selten bis zu 2300 Metern.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Mekong-Wacholder|Mekong-Wacholder]] (''Juniperus convallium'' {{Person|[[Wikipedia:Alfred Rehder|Rehder]] & [[Wikipedia:Ernest Henry Wilson|E.H.Wilson]]}}): Es gibt zwei Varietäten:<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus convallium'' {{Person|Rehder & E.H.Wilson}} var. ''convallium'' (Syn.: ''Juniperus mekongensis'' {{Person|Kom.}}, ''Juniperus ramulosa'' {{Person|Florin}}): Sie gedeiht auf hohen Bergen in Höhenlagen von 2200 bis 4300 Metern im östlichen Tibet und in den chinesischen Provinzen südliches Qinghai sowie nordwestliches Sichuan.<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus convallium'' var. ''microsperma'' {{Person|(W.C.Cheng & L.K.Fu) Silba}} (Syn.: ''Juniperus microsperma'' {{Person|(W.C.Cheng et L.K.Fu) R.P.Adams}}): Sie gedeiht auf hohen Bergen in Höhenlagen von 3200 bis 4000 Metern nur im östlichen Tibet.<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Alligator-Wacholder|Alligator-Wacholder]] (''Juniperus deppeana'' {{Person|[[Wikipedia:Ernst Gottlieb von Steudel|Steudel]]}}): Nach Adams und Schwarzbach 2006 gibt es vier Varietäten:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus deppeana'' {{Person|Steudel}} var. ''deppeana'' (Syn.: ''Juniperus thurifera'' {{Person|Spach}} nom. illeg., ''Juniperus foetida'' {{Person|Spach}}, ''Juniperus foetida'' var. ''multicaulis'' {{Person|Spach}}, ''Juniperus gigantea'' {{Person|Roezl}}, ''Juniperus pachyphlaea'' {{Person|Torr.}}, ''Juniperus deppeana'' subsp. ''pachyphlaea'' {{Person|(Torr.) Silba}}, ''Juniperus deppeana'' subsp. ''sperryi'' {{Person|(Correll) A.E.Murray}}, ''Juniperus deppeana'' var. ''pachyphlaea'' {{Person|(Torr.) Martínez}}, ''Juniperus deppeana'' var. ''sperryi'' {{Person|Correll}}, ''Juniperus deppeana'' f. ''sperryi'' {{Person|(Correll) R.P.Adams}}, ''Juniperus deppeana'' f. ''elongata'' {{Person|R.Adams}}): Sie ist von den südlichen US-Bundesstaaten Arizona sowie westliches Texas bis Mexiko verbreitet.<ref name="Adams-Phytologia95b" /> Innerhalb dieser Varietät wurden drei Formen beschrieben, die nicht von allen Autoren anerkannt werden.<br />
*** ''Juniperus deppeana'' var. ''gamboana'' {{Person|(Martínez) R.P.Adams}}: Sie gilt bei manchen Autoren als Art ''[[Juniperus gamboana]]'' und kommt von Mexiko bis Guatemala vor.<br />
*** ''Juniperus deppeana'' var. ''patoniana'' {{Person|(Martínez) Zanoni}} (Syn.: ''Juniperus patoniana'' {{Person|Martínez}}, ''Juniperus deppeana'' subsp. ''patoniana'' {{Person|(Martínez) Silba}}, ''Juniperus deppeana'' var. ''obscura'' {{Person|(Martínez) Gaussen}}, ''Juniperus patoniana'' f. ''obscura'' {{Person|Martínez}}): Sie kommt nur im mexikanischen Bundesstaat Durango vor.<ref name="Adams-Phytologia95b" /><br />
*** ''Juniperus deppeana'' var. ''robusta'' {{Person|Martínez}}: Sie gedeiht in Mexiko nur in der ''Sierra Madre Occidental''.<ref name="Adams-Phytologia95b" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus durangensis|Juniperus durangensis]]'' {{Person|Martínez}}: Sie gedeiht in Höhenlagen von 1600 bis 2900 Metern in den mexikanischen Bundesstaaten [[Wikipedia:Aguascalientes (Bundesstaat)|Aguascalientes]], Chihuahua, Durango, [[Wikipedia:Jalisco|Jalisco]], [[Wikipedia:Sonora (Bundesstaat)|Sonora]] sowie Zacatecas.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Griechischer Wacholder|Griechischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus excelsa'' {{Person|[[Wikipedia:Friedrich August Marschall von Bieberstein|M.Bieb.]]}}, Syn.: ''Juniperus olivieri'' {{Person|Carr.}}, ''Juniperus isophyllos'' {{Person|K.Koch}}, ''Juniperus taurica'' {{Person|(Pall.) Lipsky}} non {{Person|Lindl.}}, ''Juniperus sabina'' var. ''taurica'' {{Person|Pall.}}, ''Juniperus sabina'' var. ''excelsa'' {{Person|(M.-Bieb.) Georgi}}, ''Juniperus foetida'' var. ''excelsa'' {{Person|(M.-Bieb.) Spach}}, ''Juniperus excelsa'' var. ''depressa'' {{Person|O.Schwarz}}): Sie ist vom östlichen Mittelmeerraum über die Schwarzmeerregion und die [[Wikipedia:Kaukasus|Kaukasus]]region bis zum [[Wikipedia:iran|iran]]ischen [[Wikipedia:Elburs-Gebirge|Elburs-Gebirge]] verbreitet.<ref name="GymnospermDb" /> Der bei manchen Quellen als Unterart behandelte ''Juniperus excelsa'' subsp. ''polycarpos'' {{Person|(K.Koch) Takht.}} wird hier als Art ''[[Wikipedia:Juniperus polycarpos|Juniperus polycarpos]]'' geführt.<br />
** [[Wikipedia:Mexikanischer Wacholder|Mexikanischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus flaccida'' {{Person|[[Wikipedia:Diederich Franz Leonhard von Schlechtendal|Schltdl.]]}}): Seit 2015 gibt es keine Varietäten mehr:<ref name="Adams-Phytologia97" /><ref name="GymnospermDb" />: Er kommt im US-Bundesstaat Texas (dort nur im südwestlichsten Teil) und in weiten Teilen Mexikos vor.<ref name="Adams-Phytologia97" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Stinkender Wacholder|Stinkender Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus foetidissima'' {{Person|[[Wikipedia:Carl Ludwig Willdenow|Willd.]]}}, Syn.: ''Juniperus phoenicea'' {{Person|Pall.}} non {{Person|L.}}, ''Juniperus sabinoides'' {{Person|Grisebach}}, ''Juniperus foetida'' var. ''squarrulosa'' {{Person|Spach}}, ''Juniperus foetidissima'' var. ''pindicola'' {{Person|Formanek}}): Sie kommt von [[Wikipedia:Albanien|Albanien]], [[Wikipedia:Nordmazedonien|Nordmazedonien]] bis Griechenland (bis zum [[Wikipedia:Peloponnes|Peloponnes]], Berg [[Wikipedia:Athos|Athos]], auf [[Wikipedia:Thásos|Thásos]]), auf [[Wikipedia:Zypern|Zypern]] im [[Wikipedia:Libanon|Libanon]], über den asiatischen Teil der [[Wikipedia:Türkei|Türkei]] (aber nur selten auf dem Zentralplateau) und im südöstlichen [[Wikipedia:Kaukasien|Kaukasusraum]] bis zur Küste des Kaspischen Meeres in [[Wikipedia:Aserbaidschan|Aserbaidschan]] und entlang der Küste des schwarzen Meeres in der Nähe von [[Novorossiysk]] und auf der [[Wikipedia:Krim|Krim]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus gracilior|Juniperus gracilior]]'' {{Person|[[Wikipedia:Robert Knud Friedrich Pilger|Pilg.]]}}: Es gibt drei Varietäten auf der karibischen Insel [[Wikipedia:Hispaniola|Hispaniola]]:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus gracilior'' {{Person|Pilg.}} var. ''gracilior'': Dieser Endemit kommt in der [[Wikipedia:Dominikanische Republik|Dominikanischen Republik]] nur in der Nähe von Costanza und dem Dorf Yaque vor.<br />
*** ''Juniperus gracilior'' var. ''ekmanii'' {{Person|(Florin) R.P.Adams}} (Syn: ''Juniperus ekmanii'' {{Person|Florin}}): Dieser Endemit kommt in [[Wikipedia:Haiti|Haiti]] nur auf dem Pic la Selle sowie [[Morne la Visite]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus gracilior'' var. ''urbaniana'' {{Person|(Pilg. & [[Wikipedia:Erik Leonard Ekman|Ekman]]) R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus urbaniana'' {{Person|Pilg. & Ekman}}, ''Juniperus barbadensis'' var. ''urbaniana'' {{Person|(Pilg. & Ekman) Silba}}, ''Juniperus barbadensis'' subsp. ''urbaniana'' {{Person|(Pilg. et Ekman) Borhidi}}): Dieser Endemit kommt in Haiti nur auf dem [[Wikipedia:Pic la Selle|Pic la Selle]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus grandis|Juniperus grandis]]'' {{Person|R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus occidentalis'' subsp. ''australis'' {{Person|Vasek}}, ''Juniperus occidentalis'' var. ''australis'' {{Person|(Vasek) A.H.Holmgren & N.H.Holmgren}}): Sie wurde 2006 erstbeschrieben und kommt in den südwestlichen US-Bundesstaaten westliches [[Wikipedia:Nevada|Nevada]] sowie [[Wikipedia:Arizona|Arizona]] vor.<br />
** [[Wikipedia:Kriech-Wacholder|Kriech-Wacholder]] (''Juniperus horizontalis'' {{Person|[[Wikipedia:Conrad Moench|Moench]]}}, Syn.: ''Juniperus horizontalis'' var. ''douglasii'' hort., ''Juniperus horizontalis'' var. ''variegata'' {{Person|Beissner}}): Sie ist in sämtlichen Regionen Kanadas und in nördlich gelegenen US-Bundesstaaten [[Wikipedia:Alaska|Alaska]], [[Wikipedia:Montana|Montana]], [[Wikipedia:Wyoming|Wyoming]], [[Wikipedia:Nebraska|Nebraska]], [[Wikipedia:South Dakota|South Dakota]], [[Wikipedia:North Dakota|North Dakota]], [[Wikipedia:Minnesota|Minnesota]], [[Wikipedia:Iowa|Iowa]], [[Wikipedia:Illinois|Illinois]], [[Wikipedia:Wisconsin|Wisconsin]], [[Wikipedia:Michigan|Michigan]], [[Wikipedia:New York (Bundesstaat)|New York]], [[Wikipedia:Vermont|Vermont]], [[Wikipedia:Massachusetts|Massachusetts]], [[Wikipedia:New Hampshire|New Hampshire]] sowie [[Wikipedia:Maine|Maine]] weitverbreitet.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Schwarzer Wacholder|Schwarzer Wacholder]] (''Juniperus indica'' {{Person|Berthel.}}): Es gibt seit 2005 zwei Varietäten im [[Wikipedia:Himalaya|Himalaya]]:<ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus indica'' {{Person|Berthel.}} var. ''indica'' (Syn.: ''Juniperus wallichiana'' {{Person|Hook. f. et Thomson}})<ref name="GymnospermDb" />: Sie kommt in nördlichen Pakistan, Nepal sowie nordwestlichen Yunnan vor.<br />
*** ''Juniperus indica'' var. ''caespitosa'' {{Person|[[Aljos K. Farjon|Farjon]]}}: Sie wurde 2005 erstbeschrieben und kommt im südlichen Tibet, [[Wikipedia:Bhutan|Bhutan]] sowie [[Wikipedia:Nepal|Nepal]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Jalisco-Wacholder|Jalisco-Wacholder]] (''Juniperus jaliscana'' {{Person|Martínez}}): Sie kommt nur in den mexikanischen Bundesstaaten südliches Durango sowie nordwestliches [[Wikipedia:Jalisco|Jalisco]] vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus komarovii|Juniperus komarovii]]'' {{Person|[[Wikipedia:Carl Rudolf Florin|Florin]]}} (Syn.: ''Juniperus glaucescens'' {{Person|Florin}}): Sie kommt in den chinesischen Provinzen südliches [[Wikipedia:Qinghai|Qinghai]] sowie nordwestliches [[Wikipedia:Sichuan|Sichuan]] und in Russland um den [[Wikipedia:Ussuri|Ussuri]].<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus maritima|Juniperus maritima]]'' {{Person|R.P.Adams}}: Sie kommt nur an den Küsten rund um den [[Wikipedia:Puget Sound|Puget Sound]] von Whidbey Island bis Lesqueti Island und den angrenzenden Küsten von Vancouver Island im westlichen Nordamerika im kanadischen [[Wikipedia:British Columbia|British Columbia]] sowie im US-Bundesstaat Washington vor. Sie gedeiht bis auf eine Ausnahme, einer Düne, nur auf küstennahen Felsen.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus martinezii|Juniperus martinezii]]'' {{Person|Pérez de la Rosa}} (Syn.: ''Juniperus flaccida'' var. ''martinezii'' {{Person|(Pérez de la Rosa) Silba}}, ''Juniperus flaccida'' subsp. ''martinezii'' {{Person|(Pérez de la Rosa) Silba}}): Seit Adams und Schwarzbach 2015 gibt es keine Subtaxa mehr. Dieser Endemit kommt nur in der [[Sierra Cuatralba]] im mexikanischen Bundesstaat Jalisco vor.<ref name="Adams-Phytologia97" /><br />
** [[Wikipedia:Einsamiger Wacholder|Einsamiger Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus monosperma'' {{Person|([[Wikipedia:George Engelmann|Engelm.]]) [[Wikipedia:Charles Sprague Sargent|Sarg.]]}}, ''Juniperus occidentalis'' var. ''monosperma'' {{Person|Engelm.}}, ''Juniperus occidentalis'' var. ''gymnocarpa'' {{Person|Lemmon}}, ''Juniperus californica'' var. ''monosperma'' {{Person|(Engelm.) Lemmon}}, ''Juniperus mexicana'' var. ''monosperma'' {{Person|(Engelm.) Cory}}, ''Juniperus gymnocarpa'' {{Person|(Lemmon) Cory}}): Sie kommt in den US-Staaten Arizona, Colorado, New Mexico, Oklahoma sowie Texas und in den angrenzenden mexikanischen Bundesstaaten nördliches Sonora sowie Chihuahua vor.<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Berg-Wacholder|Berg-Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus monticola'' {{Person|Martínez}}, Syn.: ''Juniperus mexicana'' {{Person|Spreng.}} nom. superfl.,''Juniperus tetragona'' {{Person|Schltdl.}} nom. illeg., ''Juniperus sabinoides'' {{Person|(Kunth) Nees}} nom. illeg., ''Juniperus sabinoides'' {{Person|Humb. ex Lindl. & Gordon}} nom. illeg., ''Juniperus monticola'' subsp. ''orizabensis'' {{Person|(Martínez) Silba}}, ''Juniperus monticola'' f. ''orizabensis'' {{Person|Martínez}}): Es wurden Formen beschrieben, diese werden von einigen Autoren nicht anerkannt. Er ist in Mexiko verbreitet.<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus morrisonicola|Juniperus morrisonicola]]'' {{Person|Hayata}}: Dieser Endemit gedeiht nur in der zentralen Bergkette in Höhenlagen oberhalb von 3000 Metern in Taiwan. Sie wurde vor 2000 als Varietät ''Juniperus squamata'' var. ''morrisonicola'' {{Person|(Hayata) Li & Keng}} betrachtet. Ihre Eigenständigkeit wurde durch molekulargenetische und phytochemische Untersuchungen erkannt.<ref name="AdamsBSaE2000" /><br />
** [[Wikipedia:Westlicher Wacholder|Westlicher Wacholder]] (''Juniperus occidentalis'' {{Person|Hook.}}, Syn.: ''Juniperus andina'' {{Person|Nutt.}}, ''Juniperus pseudocupressus'' {{Person|Dieck}}): Er kommt in westlichen US-Bundesstaaten vor.<br />
** [[Wikipedia:Utah-Wacholder|Utah-Wacholder]] (''Juniperus osteosperma'' {{Person|([[Wikipedia:John Torrey|Torr.]]) [[Elbert Luther Little|Little]]}}): Er kommt in westlichen US-Bundesstaaten vor.<br />
** [[Wikipedia:Phönizischer Wacholder|Phönizischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus phoenicea'' {{Person|L.}}): Mit zwei Varietäten, die in verschiedenen Quellen auch als Unterarten genannt werden:<br />
*** ''Juniperus phoenicea'' {{Person|L.}} var. ''phoenicea'' in [[Wikipedia:Portugal|Portugal]], an den Küsten der Mittelmeerregion, auf der [[Wikipedia:Balkanhalbinsel|Balkanhalbinsel]], der [[Wikipedia:Türkei|Türkei]], in [[Wikipedia:Saudi-Arabien|Saudi-Arabien]] und in [[Wikipedia:Israel|Israel]]. Auch in den südlich des Mittelmeeres gelegenen Staaten Nordafrikas ist die Varietät anzutreffen.<br />
*** ''Juniperus phoenicea'' var. ''turbinata'' {{Person|([[Wikipedia:Giovanni Gussone|Guss.]]) Parl.}} von den atlantischen Inseln Madeira und den Kanaren über die Küstenregionen [[Wikipedia:Frankreich|Frankreich]]s, weiters in [[Wikipedia:Italien|Italien]], [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]] und auf den Inseln der Mittelmeerraumes und im westlichen [[Wikipedia:Nordafrika|Nordafrika]].<br />
** [[Wikipedia:Texas-Wacholder|Texas-Wacholder]] (''Juniperus pinchotii'' {{Person|[[George Bishop Sudworth|Sudw.]]}}): Er kommt in südlichen US-Bundesstaaten und im nördlichen Mexiko vor.<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus pingii|Juniperus pingii]]'' {{Person|[[Zheng Wanjun|W.C.Cheng]]}}: Es gibt vier Varietäten:<ref name="GRIN" /><br />
*** ''Juniperus pingii'' {{Person|W.C.Cheng}} var. ''pingii'': Sie gedeiht in Wäldern an Berghängen in Höhenlagen von 2600 bis 3800 Metern in den chinesischen Provinzen südwestliches [[Wikipedia:Sichuan|Sichuan]] sowie nordwestliches [[Wikipedia:Yunnan|Yunnan]].<ref name="FoC" /><br />
*** ''Juniperus pingii'' var. ''chengii'' {{Person|(L.K.Fu & Y.F.Yu) Farjon}} (Syn.: ''Juniperus chengii'' {{Person|L.K.Fu & Y.F.Yu}}<ref name="FoC" />): Sie wurde 1998 als Art erstbeschrieben<ref name="FoC" /> und hat den Rang einer Varietät seit 2005. Dieser Endemit kommt nur in der chinesischen Provinz nordwestlichen [[Wikipedia:Yunnan|Yunnan]] vor.<ref name="GRIN" /><br />
*** ''Juniperus pingii'' var. ''miehei'' {{Person|Farjon}}: Sie wurde 2005 aus dem südlichen Tibet erstbeschrieben.<ref name="GRIN" /><br />
*** ''Juniperus pingii'' var. ''wilsonii'' {{Person|(Rehder) Silba}} (Syn.: ''Juniperus squamata'' subsp. ''wilsonii'' {{Person|(Rehder) Silba}}, ''Juniperus squamata'' var. ''wilsonii'' {{Person|(Rehder) R.P.Adams}}, ''Juniperus wallichiana'' var. ''loderi'' {{Person|Hornibr.}}, ''Juniperus squamata'' var. ''loderi'' {{Person|(Hornibr.) Hornibr. ex F.J.Chittenden}}, ''Juniperus pingii'' var. ''carinata'' {{Person|Y.F.Yu & L.K.Fu}}, ''Juniperus carinata'' {{Person|(Y.F.Yu & L.K.Fu) R.P.Adams}}): Sie kommt in Tibet und in den chinesischen Provinzen südliches [[Wikipedia:Gansu|Gansu]], nordwestliches [[Wikipedia:Hubei|Hubei]], südliches [[Wikipedia:Qinghai|Qinghai]], südliches [[Wikipedia:Shaanxi|Shaanxi]], Sichuan sowie Yunnan.<ref name="FoC" /><ref name="GRIN" /><br />
** [[Wikipedia:Persischer Wacholder|Persischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus polycarpos'' {{Person|[[Wikipedia:Karl Heinrich Koch|K.Koch]]}})<ref name="AdamsBiSyEc29" />: Mit drei Varietäten in einem weiten Verbreitungsgebiet vom [[Wikipedia:Oman|Oman]] auf der Arabischen Halbinsel über [[Wikipedia:Vorderasien|Vorderasien]] und die Kaukasusregion in Gebiete [[Wikipedia:Zentralasien|Zentralasien]]s und im Norden des [[Wikipedia:Indischer Subkontinent|Indischen Subkontinents]].<br />
*** ''Juniperus polycarpos'' {{Person|K.Koch}} var. ''polycarpos''<br />
*** ''Juniperus polycarpos'' var. ''seravschanica'' {{Person|Kom.}}<br />
*** ''Juniperus polycarpos'' var. ''turcomanica'' {{Person|([[Wikipedia:Boris Alexjewitsch Fedtschenko|B.Fedtsch.]]) R.P.Adams}}<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus poblana|Juniperus poblana]]'' {{Person|(Martínez) R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus flaccida'' var. ''poblana'' {{Person|Martínez}}): Diese Neukombination erfolgte 2006. Seit 2015 gibt es zwei Varietäten:<ref name="Adams-Phytologia97" /><br />
*** ''Juniperus poblana'' var. ''decurrens'' {{Person|R.P.Adams}}<ref name="Adams-Phytologia97" /><br />
*** ''Juniperus poblana'' {{Person|(Martínez) R.P.Adams}} var. ''poblana''<ref name="Adams-Phytologia97" /><br />
** [[Wikipedia:Ostafrikanischer Wacholder|Ostafrikanischer Wacholder]] (''Juniperus procera'' {{Person|[[Wikipedia:Christian Ferdinand Friedrich Hochstetter|Hochst.]]}} ex Endl.): Er kommt in Ostafrika und in den Bergen [[Wikipedia:Jemen|Jemen]]s und [[Wikipedia:Saudi-Arabien|Saudi-Arabien]]s entlang des Roten Meeres vor.<br />
** [[Wikipedia:Kriechender Wacholder|Kriechender Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus procumbens'' {{Person|(Siebold ex Endl.) [[Wikipedia:Friedrich Anton Wilhelm Miquel|Miq.]]}}): Er kommt nur auf den japanischen [[Wikipedia:Bonininseln|Bonininseln]] und auf [[Wikipedia:Kyūshū|Kyūshū]] vor.<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus przewalskii|Juniperus przewalskii]]'' {{Person|Kom.}}: Er kommt in den chinesischen Provinzen [[Wikipedia:Gansu|Gansu]], [[Wikipedia:Qinghai|Qinghai]] und [[Wikipedia:Sichuan|Sichuan]] vor.<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus pseudosabina|Juniperus pseudosabina]]'' {{Person|[[Wikipedia:Friedrich Ernst Ludwig von Fischer|Fisch.]] & [[Wikipedia:Carl Anton von Meyer|C.A.Mey.]]}} ist eine in Asien weit verbreitete Art vom südlichen [[Wikipedia:Sibirien|Sibirien]] über Gebiete [[Wikipedia:Zentralasien|Zentralasien]]s und des nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Gebiets [[Wikipedia:Xinjiang|Xinjiang]] bis nach [[Wikipedia:Pakistan|Pakistan]] und [[Wikipedia:Afghanistan|Afghanistan]].<br />
** [[Wikipedia:Hänge-Wacholder|Hänge-Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus recurva'' {{Person|[[Wikipedia:Francis Buchanan-Hamilton|Buch.-Ham.]]}}, Syn.: ''Juniperus butanensis'' {{Person|Wender.}}, ''Juniperus canescens'' {{Person|Wall. ex Gordon & Glend.}}, ''Juniperus incurva'' {{Person|Buch.-Ham. ex Endl.}}, ''Juniperus lambertiana'' {{Person|Wall. ex Endl.}}, ''Juniperus lorulasi'' {{Person|K.Koch}}, ''Juniperus nepalensis'' {{Person|Rinz. ex Gordon & Glend.}}, ''Juniperus procumbens'' {{Person|Siebold ex Lindl.}}, ''Juniperus religiosa'' {{Person|Royle}}, ''Juniperus repanda'' {{Person|Carrière}}, ''Juniperus squamosa'' {{Person|Buch.-Ham. ex Wall.}} nom. nud., ''Juniperus uncinata'' {{Person|(R.P.Adams) R.P.Adams}}, ''Juniperus uvifera'' {{Person|Loudon}}, ''Juniperus recurva'' var. ''tenuifolia'' {{Person|Spach}}, ''Juniperus recurva'' var. ''typica'' {{Person|Patschke}}, ''Juniperus recurva'' var. ''uncinata'' {{Person|R.P.Adams}}<ref name="Adams-Phytologia91" />): Es gibt zwei Varietäten:<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><ref name="Farjon2010" /><br />
*** ''Juniperus recurva'' var. ''coxii'' {{Person|(A.B.Jacks.) Melville}} (Syn.: ''Juniperus coxii'' {{Person|[[Wikipedia:Albert Bruce Jackson|A.B.Jacks.]]}}):<ref name="Farjon2010" /> Sie kommt im Himalaja in [[Wikipedia:Bhutan|Bhutan]], [[Wikipedia:Sikkim|Sikkim]], im nördlichen [[Wikipedia:Myanmar|Myanmar]], südöstlichen Tibet und im nordwestlichen Yunnan vor.<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
*** ''Juniperus recurva'' {{Person|Buch.-Ham.}} var. ''recurva'': Sie kommt im Himalaja in Nepal, Bhutan, Sikkim, in nördlichen indischen Bundesstaaten [[Wikipedia:Arunachal Pradesh|Arunachal Pradesh]] sowie [[Kumaun]], in [[Wikipedia:Kashmir|Kashmir]], [[Wikipedia:Pakistan|Pakistan]], [[Wikipedia:Afghanistan|Afghanistan]], im südöstlichen Tibet und im nordwestlichen Yunnan vor.<ref name="FoC" /><ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Sadebaum|Sadebaum]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus sabina'' {{Person|L.}}): Seit 2005 gibt es vier Varietäten:<br />
*** ''Juniperus sabina'' {{Person|L.}} var. ''sabina'' ist eine weit verbreitete Art, die neben Afrika und dem Großteil Europas auch in vielen Regionen Asiens anzutreffen ist.<br />
*** ''Juniperus sabina'' var. ''arenaria'' {{Person|(E.H.Wilson) Farjon}} in der Mongolei und einigen nördlich gelegenen Provinzen Chinas.<br />
*** ''Juniperus sabina'' var. ''davurica'' {{Person|(Pall.) Farjon}}<ref name="AdamsPhytologia89" /> (Syn.: ''Juniperus davurica'' {{Person|Pall.}}<ref name="FoC" />): Sie hat seit 2005 den Rang einer Varietät. Sie ist in Sibirien, im südöstlichen Russland, im nordöstlichen China und in der nördlichen Mongolei verbreitet.<ref name="GRIN" /><br />
*** ''Juniperus sabina'' var. ''mongolensis'' {{Person|R.P.Adams}} in der [[Wikipedia:Mongolei|Mongolei]].<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus saltillensis|Juniperus saltillensis]]'' {{Person|[[Marion Trufant Hall|M.T.Hall]]}}<ref name="GRIN-saltillensis" /> in vorwiegend nördlich gelegenen Bundesstaaten Mexikos.<br />
** [[Wikipedia:Sichuan-Wacholder|Sichuan-Wacholder]] (''Juniperus saltuaria'' {{Person|Rehder & E.H.Wilson}}) verbreitet in den chinesischen Provinzen [[Wikipedia:Gansu|Gansu]], [[Wikipedia:Qinghai|Qinghai]], [[Wikipedia:Sichuan|Sichuan]] und [[Wikipedia:Yunnan|Yunnan]] sowie dem Autonomen Gebiet Tibet.<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus saxicola|Juniperus saxicola]]'' {{Person|[[Wikipedia:Nathaniel Lord Britton|Britton]] & [[Percy Wilson|P.Wilson]]}}: Sie ist ein Lokal[[Wikipedia:endemit|endemit]] in der kubanischen [[Wikipedia:Sierra Maestra|Sierra Maestra]] in Höhenlagen von 1600 bis 1700 Metern.<br />
** [[Wikipedia:Rocky-Mountain-Wacholder|Rocky-Mountain-Wacholder]] oder Felsengebirgs-Wacholder (''Juniperus scopulorum'' {{Person|Sarg.}}) in einem breiten Streifen entlang der [[Wikipedia:Rocky Mountains|Rocky Mountains]] von Kanada über die Vereinigten Staaten von Amerika bis nach Nordmexiko.<br />
** [[Wikipedia:Halbkugeliger Wacholder|Halbkugeliger Wacholder]] (''Juniperus semiglobosa'' {{Person|[[Wikipedia:Eduard August von Regel|Regel]]}}): Es gibt seit 2012 zwei Varietäten:<ref name="Adams-Phytologia94a" /><br />
*** ''Juniperus semiglobosa'' var. ''[[Wikipedia:Juniperus jarkendensis|jarkendensis]]'' {{Person|(Kom.) R.P.Adams}} (Syn.: ''Juniperus jarkendensis'' {{Person|[[Wikipedia:Wladimir Leontjewitsch Komarow|Kom.]]}},<ref name="Adams-Phytologia93" /> ''Juniperus sabina'' var. ''jarkendensis'' {{Person|(Kom.) Silba}}): Diese Neukombination erfolgte 2012.<ref name="Adams-Phytologia94a" /> Sie kommt im nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Gebiet [[Wikipedia:Xinjiang|Xinjiang]] vor.<br />
*** ''Juniperus semiglobosa'' {{Person|Regel}} var. ''semiglobosa'' (Syn.: ''Juniperus talassica'' {{Person|Lipsky}}, ''Juniperus shugnanica'' {{Person|Kom.}}, ''Juniperus excelsa'' auct. non {{Person|M.-Bieb}}, ''Juniperus macropoda'' auct. non {{Person|Boiss}}): Sie gedeiht im Hochgebirge im westlichen [[Wikipedia:Zentralasien|Zentralasien]] ([[Wikipedia:Kirgisistan|Kirgisistan]], [[Wikipedia:Kasachstan|Kasachstan]], [[Wikipedia:Usbekistan|Usbekistan]], [[Wikipedia:Tadschikistan|Tadschikistan]]), [[Wikipedia:Hindu Kush|Hindu Kush]] im nordöstlichen Afghanistan und entlang des [[Wikipedia:Karakorum (Gebirge)|Karakorums]] bis [[Wikipedia:Kashmir|Kashmir]] in Pakistan und im nordwestlichen Himalaja in Indien bis [[Wikipedia:Garhwal|Garhwal]].<ref name="GymnospermDb" /><br />
** [[Wikipedia:Beschuppter Wacholder|Beschuppter Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus squamata'' {{Person|Buch.-Ham.}}) mit vier Varietäten in weiten Teilen [[Wikipedia:Zentralasien|Zentralasien]]s, in Ostasien, in nördlichsten Teilen [[Wikipedia:Südasien|Südasien]]s und auch im südostasiatischen Myanmar.<br />
*** ''Juniperus squamata'' {{Person|Buch.-Ham.}} var. ''squamata''<br />
*** ''Juniperus squamata'' var. ''fargesii'' {{Person|Rehder & E.H.Wilson}}<br />
*** ''Juniperus squamata'' var. ''hongxiensis'' {{Person|Y.F.Yu & L.K.Fu}}<br />
*** ''Juniperus squamata'' var. ''parviflora'' {{Person|Y.F.Yu & L.K.Fu}}<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus standleyi|Juniperus standleyi]]'' {{Person|[[Wikipedia:Julian Alfred Steyermark|Steyerm.]]}} im Hochland von Guatemala und in Mexiko.<br />
** [[Wikipedia:Spanischer Wacholder|Spanischer Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus thurifera'' {{Person|L.}}) in Spanien, Frankreich, Marokko und Algerien:<br />
*** ''Juniperus thurifera'' {{Person|L.}} var. ''thurifera''<br />
*** ''Juniperus thurifera'' var. ''africana '' {{Person|[[Wikipedia:René Charles Maire|Maire]]}} wird von anderen Quellen lediglich als Synonym für ''Juniperus thurifera'' {{Person|L.}} geführt.<ref name="GymnospermDb_thurifera" /><br />
** [[Wikipedia:Tibet-Wacholder|Tibet-Wacholder]]<ref name="Zander2008" /> (''Juniperus tibetica'' {{Person|Kom.}}): Er kommt in den chinesischen Provinzen [[Wikipedia:Gansu|Gansu]], [[Wikipedia:Qinghai|Qinghai]], [[Wikipedia:Sichuan|Sichuan]] und im Autonomen Gebiet Tibet vor.<br />
** [[Wikipedia:Virginischer Wacholder|Virginischer Wacholder]] (''Juniperus virginiana'' {{Person|L.}}): Es gibt zwei Varietäten:<br />
*** ''Juniperus virginiana'' {{Person|L.}} var. ''virginiana'' in östlichen Regionen Kanadas und der USA.<br />
*** ''Juniperus virginiana'' var. ''silicicola'' {{Person|([[Wikipedia:John Kunkel Small|Small]]) [[Albert Edward Murray|A.E.Murray]]}} in den USA nur in den südöstlichen Bundesstaaten [[Wikipedia:Florida|Florida]], [[Wikipedia:Georgia|Georgia]], [[Wikipedia:South Carolina|South Carolina]] und [[Wikipedia:North Carolina|North Carolina]].<br />
** ''[[Wikipedia:Juniperus zanonii|Juniperus zanonii]]'' {{Person|R.P.Adams}} (Syn.: ''[[Wikipedia:Juniperus compacta|Juniperus compacta]]'' {{Person|(Martínez) R.P.Adams}}, ''Juniperus monticola'' subsp. ''compacta'' {{Person|(Martínez) Silba}}, ''Juniperus monticola'' f. ''compacta'' {{Person|Martínez}}): Dieser Endemit kommt nur im nördlichen mexikanischen Bundesstaat [[Wikipedia:Nuevo León|Nuevo León]] vor.<ref name="Adams-Phytologia95" /><br />
<br />
Die Sektion ''Sabina'' wird gelegentlich auch als eigenständige Gattung angesehen; manche Botaniker nehmen an, dass die Arten dieser Sektion/Gattung eine eigenständige Entwicklung mit einem anderen stammesgeschichtlichen Ursprung darstellen.<br />
<br />
== Gefährdung und Schutzmaßnahmen ==<br />
Obwohl die Wacholder-Arten generell gut angepasst und auch weit verbreitet sind, gibt es dennoch viele Arten, die die Weltnaturschutzunion [[Wikipedia:IUCN|IUCN]] in der [[Wikipedia:Rote Liste gefährdeter Arten|Roten Liste gefährdeter Arten]]<ref name="IUCN" /> führt, aber als nicht gefährdet („Least Concern“) bezeichnet. Von insgesamt 55 gelisteten Arten werden 13 Arten mit einer Gefährdungskategorie versehen. Das sind ausschließlich Arten, die auf karibischen sowie den atlantischen Inseln der [[Wikipedia:Azoren|Azoren]] und der [[Wikipedia:Kanaren|Kanaren]] oder in [[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]] und [[Wikipedia:Guatemala|Guatemala]] beheimatet sind:<br />
<br />
* Zwei Arten ([[Wikipedia:Bermuda-Wacholder|Bermuda-Wacholder]] und ''[[Wikipedia:Juniperus saxicola|Juniperus saxicola]]'') werden als vom Aussterben bedroht (″Critically Endangered″) bezeichnet.<br />
* Sieben Arten werden als stark gefährdet (″Endangered″) gelistet.<br />
* Vier Arten werden als gefährdet (″Vulnerable″) angeführt.<br />
Ursachen der Bedrohung sind in vielen Fällen andauernde Abholzung und Überweidung.<br />
<br />
In der Roten Liste der Schweiz<ref name="RLSchweiz" /> werden der [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Gemeine Wacholder]] ''Juniperus communis'' s.&nbsp;str., ''Juniperus communis'' subsp. ''nana'' als Synonym für den [[Wikipedia:Alpen-Wacholder|Alpen-Wacholder]] oder Zwerg-Wacholder ''Juniperus communis'' var. ''saxatilis'' und der [[Wikipedia:Sadebaum|Sadebaum]] ''Juniperus sabina'' aufgelistet und als nicht gefährdet (LC) bezeichnet.<br />
<br />
Auf europäischer Ebene wurde mit der [[Wikipedia:Berner Konvention|Berner Konvention]] Appendix I<ref name="Bern-Konvention" /> des [[Wikipedia:Europarat|Europarat]]s der [[Wikipedia:Kurzblättriger Wacholder|Kurzblättrige Wacholder]] oder auch Azoren-Wacholder (''Juniperus brevifolia'') als streng geschützte Wildpflanze ausgewiesen.<br />
<br />
Mit der [[Wikipedia:Richtlinie 92/43/EWG (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie)|Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie]] Nr. 92/43/EWG in der aktualisierten Fassung vom 1.&nbsp;Januar 2007<ref name="FFH" /> der [[Wikipedia:Europäische Union|Europäischen Union]] (FFH-RL) Anhang 1 werden Schutzgebietausweisungen für folgende Lebensraumtypen (LRT), denen Wacholder-Arten angehören, gefordert:<br />
* Mediterrane Küstendünen mit Wacholder-Arten ''Juniperus'' spp. (LRT 2250) – die Inschutzstellung dieser Lebensräume wird als prioritär durchzuführen gefordert<br />
* Formationen des [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Gemeinen Wacholders]] ''Juniperus communis'' auf Heiden und Kalkrasen (LRT 5130)<br />
* Baumförmige Hartlaubgebüsche (Matorrals) mit Wacholder-Arten ''Juniperus'' spp. (LRT 5210)<br />
* Endemische Wälder mit Wacholder-Arten ''Juniperus'' spp. (LRT 9560) – die Inschutzstellung dieser Lebensräume wird als prioritäre Angelegenheit angesehen<br />
<br />
In der Bundesrepublik Deutschland wird der [[Wikipedia:Zedern-Wacholder|Zedern-Wacholder]] ''Juniperus cedrus'' in der [[Wikipedia:Bundesartenschutzverordnung|Bundesartenschutzverordnung]] (BArtSchV)<ref name="BArtSChV" /> durch Ausweisung als streng geschützte Art unter Schutz gestellt.<br />
<br />
Auf dem Nordamerikanischen Kontinent führt die USA über verschiedene Bundesstaaten acht Wacholder-Arten als gefährdete und zu schützende Arten an.<ref name="USDA" /><br />
<br />
[[Datei:Juniperus procumbens nana MN 2007.JPG|mini|Die Sorte ''[[Wikipedia:Juniperus procumbens|Juniperus procumbens]]'' ‘Nana’]]<br />
[[Datei:Juniperus squamata0.jpg|mini|Die Sorte ''[[Wikipedia:Juniperus squamata|Juniperus squamata]]'' ‘Meyeri’]]<br />
<br />
== Nutzung ==<br />
=== Zierpflanze ===<br />
Viele Sorten einiger ''Juniperus''-Arten werden in Gärten und in Park- sowie Friedhofsanlagen als [[Wikipedia:Zierpflanze|Zierpflanze]]n verwendet. Es handelt sich meist um Ausleseformen, die vegetativ vermehrt werden.<ref name="Botanica2003" /> In Asien sind Wacholder-Arten schon seit Jahrhunderten Zierpflanzen, beispielsweise der Chinesische Goldwacholder.<ref name="Botanicgroup" /><br />
<br />
[[Datei:Pear juniper rust 01.jpg|mini|Sporenlager des Birnengitterrosts am Wacholder]]<br />
Die Ausbreitung der Wacholder-Arten und ihrer Sorten als pflegeleichte und immergrüne [[Wikipedia:Zierpflanze|Zierpflanze]]n in Parks und Gärten hat zur zunehmenden Ausbreitung des [[Wikipedia:Birnengitterrost|Birnengitterrost]]s geführt. Diese [[Wikipedia:Pilzkrankheit|Pilzkrankheit]] ist auf Wacholder als [[Wikipedia:Wirt (Biologie)|Wirtspflanze]] angewiesen, wobei der einheimische Gemeine Wacholder (''Juniperus communis'' var. ''communis'' und var. ''saxatilis'') wohl weniger anfällig ist.<ref name="Landwirtschaftskammer" /> Dadurch ist der Bestand an [[Wikipedia:Birnen|Birnbäumen]] stark zurückgegangen.<br />
<br />
=== Wacholder in der Heilkunde und in Getränken ===<br />
Siehe [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Gemeiner Wacholder]]<br />
<br />
=== Brotaufstrich ===<br />
In einigen Regionen der Schweiz wird aus [[#Generative Merkmale|Wacholderbeeren]] ein Konzentrat (Saft) hergestellt, das dann zusammen mit Glukosesirup, Rohzucker, Wasser und Karamellzucker zu dem Brotaufstrich [[Wikipedia:Pflaumenmus#Latwerge|Latwerge]] verarbeitet wird. Das Rezept für diesen Brotaufstrich wird seit langem mündlich überliefert.<br />
Seit ein paar Jahren wird Latwerge bei Großverteilern und in Reformhäusern angeboten.<ref name="Kraftsaft" /><br />
<br />
Die Zapfen des [[Wikipedia:Syrischer Wacholder|Syrischen Wacholders]] werden von [[Wikipedia:Kleinasien|anatolischen]] Bergbauern gesammelt und als vitamin- und zuckerreiches [[Wikipedia:Mus|Mus]] namens Andiz Pekmezi genutzt.<ref name="Selik" /><br />
<br />
=== Küchennutzung === <!-- Gehört zu Gemeiner Wacholder --><br />
[[Datei:Wacholderbeeren getrocknet.jpeg|mini|getrocknete Wacholderbeeren]]<br />
Im getrockneten Zustand wird die Wacholderbeere (Kronwittbirl), auch Krammatbeere und gebietsweise Gewürzbeere genannt, gerne bei der Zubereitung von Sauerkraut, wie auch bei vielerlei Fleischzubereitungen (Sauerbraten, Wildbraten) verwendet.<ref name="Urbon" /><br />
<br />
Gleichfalls ist sie wichtig bei der Herstellung von [[Wikipedia:Räuchern|geräuchertem]] Fleisch oder Fisch. Die Beeren werden in zerstoßenem Zustand den Pökelmischungen beigegeben, sowohl in die Salzmischungen als auch in wässrige [[Wikipedia:Pökeln|Pökellake]]. Der Geschmack der Wacholder-Beere fördert die geschmackliche Entwicklung beim Räuchern von Fleisch oder Fisch. In alten Rezepten findet man Angaben wie diese: 8–12 Wacholderbeeren je Kilogramm Speck oder Schinken.<br />
<br />
Auch das Holz des Wacholder-Strauches wird in Form von Spänen zu den üblichen Räuchermehlen gegeben, um eine Aromatisierung über den Rauch zu erreichen. In alten Rezepten findet man häufig, man solle Kranewitt-Zweige (Wacholderzweige) zur Räucherglut beigeben, um den Geschmack zu verbessern.<br />
<br />
Eine zu hohe Dosierung von Beeren oder Holz führt allerdings zu einer seifigen Geschmacksnote.<br />
<br />
=== Weitere Nutzung ===<br />
Wacholder-Holz, -Zweige und -Beeren werden gerne zum [[Wikipedia:Räucherwerk|Verräuchern]] verwendet. Wacholder-Rauch gilt als reinigend und desinfizierend und wurde schon im Mittelalter verwendet. Er riecht sehr holzig und gleichzeitig frisch; die Rauchentwicklung ist mäßig bis stark.<br />
<br />
Das '''Wacholderöl''' (''Oleum iuniperi'') ist ein aus Wacholderholz (vom Gemeinen Wacholder) durch Destillation gewonnenen ätherisches Öl.<ref>Gundolf Keil, Hans Reinecke: ''Der „kranewittber“-Traktat des ‚Doktor Hubertus‘. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Pharmakologie der Baccae Juniperi.'' In: ''Sudhoffs Archiv.'' Band 57, 1973, S. 361–415, hier: S. 407 f.</ref><br />
<br />
Wacholder wird im Bogensport als sogenanntes Bogenholz verwendet, wobei das Holz dann für mindestens 2 Jahre abgelagert wird. Danach wird der vorbereitete Stamm geviertelt und danach weiterverarbeitet. Die weitere Verwendung ist meistens als sogenanntes Laminat zur Zierde von Bögen und Wurfarmen.<ref name="Hörning" /><br />
<br />
== Giftwirkung des Wacholder ==<br />
[[#Generative Merkmale|Beeren]] und [[Wikipedia:Nadel|Nadel]]n des Wacholder enthalten leicht giftige ätherische Öle, die bei Hautkontakt und Verzehr zu Reizerscheinungen führen können.<ref name="InfoGift" /><br />
Im Gegensatz zu den anderen Wacholdergewächsen ist beim ''Juniperus communis'' nur die Beere (''[[Fructus Juniperi]]'') giftig. Reif ist sie im zweiten Jahr. Die Hauptwirkstoffe sind 0,2–2,9 % [[Wikipedia:ätherische Öle|ätherische Öle]] aus [[Wikipedia:Pinen|alpha-Pinen]], [[Wikipedia:Terpineol|Terpineol]], [[Wikipedia:Sabinen|Sabinen]], [[Wikipedia:Myrcen|Myrcen]], [[Wikipedia:Flavonoide|Flavonoide]]n und anderen.<ref name="Innocenti" /> Eine Überdosierung führt zu Nierenschmerzen, Nierenversagen, Hautreizungen und Leberschädigung.<ref name="Koruk" /> Ferner wird die Herztätigkeit und Atmung gesteigert; seltener können Krämpfe auftreten. Äußerlich kommt es zur Rötung der Haut bis zur [[Wikipedia:Hautblase|Blasenbildung]]. Die maximale Dosierung liegt bei erwachsenen Menschen bei 2&nbsp;g.<br />
<br />
== Trivia ==<br />
Den Strauch, unter den sich der biblische Prophet [[Wikipedia:Elija|Elija]] in seiner Verzweiflung zum Schlafen legte (1. Könige 19,5), hatte [[Wikipedia:Martin Luther|Martin Luther]] fälschlicherweise mit ''Wacholder'' übersetzt, was bis einschließlich der Revision der Luther-Bibel von 1984 beibehalten wurde. Dabei handelt es sich bei der hebräischen Pflanzengattung ''ROTEM'' um eine Ginsterart, wie sie im Nahen Osten vorkommt. Erst in der revidierten Ausgabe der Luther-Bibel von 2017 ist der ''Wacholder'' durch ''[[Wikipedia:Ginster|Ginster]]'' ersetzt.<ref>Vgl. https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lutherbibel-1984/bibeltext/bibel/text/lesen/?tx_bibelmodul_bibletext%5Bscripture%5D=1.+k%C3%B6nige+19 mit https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lutherbibel-2017/bibeltext/bibel/text/lesen/?tx_bibelmodul_bibletext%5Bscripture%5D=1.+k%C3%B6nige+19.</ref> Anders als die Luther-Bibel nannte die deutsche Bibelübersetzung von [[Wikipedia:Ludwig Philippson|Ludwig Philippson]] bereits 1848 die Pflanzengattung ''Ginsterstrauch''.<ref>Ludwig Philippson (Hg.): Die Israelitische Bibel - Zweiter Theil: Die Propheten. Enthaltend: Den heiligen Urtext, die deutsche Uebertragung, die allgemeine, ausführliche Erläuterung mit mehr als 500 englischen Holzschnitten. 2. Aufl. Leipzig 1858.</ref> Wegen der Dominanz der Luther-Bibel ist jedoch der Wacholder in die Kulturgeschichte eingegangen, wie z.&nbsp;B. im Oratorium ''[[Wikipedia:Elias (Mendelssohn)|Elias]]'' von Felix Mendelssohn Bartholdy, in dem ein Rezitativ den Titel trägt: „Siehe, er schläft unter dem Wacholder“. Auch [[Wikipedia:Nelly Sachs|Nelly Sachs]] verband in ihrem 1957 publizierten Gedicht ''Immer noch Mitternacht'' Elija mit dem Wacholder und nicht mit dem Ginster: "So Elia; wie ein Wald mit ausgerissenen Wurzeln / erhob er sich unter dem Wacholder".<ref>Gellner, Christoph: … nichts von Stille, Sanftmut und Erbauung. Elia-Fort- und Weiterschreibungen in der Literatur. URL: http://www.theologie-und-literatur.de/fileadmin/user_upload/Theologie_und_Literatur/Gellner_Elia.pdf (Aufruf 8.12.2019).</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Wikipedia:Liste der Küchenkräuter und Gewürzpflanzen|Liste der Küchenkräuter und Gewürzpflanzen]]<br />
<br />
== Quellen ==<br />
* Christopher J. Earle: [https://www.conifers.org/cu/Juniperus.php Juniperus] bei [http://www.conifers.org/ ''The Gymnosperm Database'', 2019.] (Abschnitte Systematik, Beschreibung und Nutzung).<br />
* {{Internetquelle<br />
|url=http://www.juniperus.org/index.html<br />
|titel=The Juniperus of the World<br />
|autor=Robert P. Adams<br />
|abruf=2010-05-29<br />
|sprache=en}} (Abschnitt Systematik).<br />
* {{Internetquelle<br />
|url=http://www.juniperus.org/species-by-sections.html<br />
|titel=The Juniperus of the World<br />
|autor=Robert P. Adams<br />
|abruf=2019-04-08<br />
|sprache=en}} (Abschnitt Systematik: Sektionen mit ihren Arten – letztes Update 2014).<br />
<br />
=== Literatur ===<br />
* {{Literatur<br />
|Autor=Robert P. Adams<br />
|Titel=Junipers of the World: The genus Juniperus<br />
|Auflage=2.<br />
|Verlag=Trafford Publishing Co.<br />
|Ort=Vancouver<br />
|Datum=2008<br />
|ISBN=978-1-4251-6880-3}}<br />
<br />
=== Einzelnachweise ===<br />
<references><br />
<ref name="IUCN"><br />
{{IUCNSearch |Text=Juniperus |Linktext=''Juniperus'' |Year=2020 |Download=17. Juli 2020}}<br />
</ref><br />
<ref name="JuniperusWorld"><br />
{{Internetquelle |url=http://www.juniperus.org/index.html |titel=The Juniperus of the World |autor=Robert P. Adams |abruf=2019-09-29 |sprache=en}}<br />
</ref><br />
<ref name="GymnospermDb"><br />
Christopher J. Earle: [https://www.conifers.org/cu/Juniperus.php Juniperus] bei [http://www.conifers.org/ ''The Gymnosperm Database'', 2019.]<br />
</ref><br />
<ref name="FoC"><br />
Liguo Fu, Yong-fu Yu, Robert P. Adams, Aljos Farjon: ''Cupressaceae.'': [http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=2&taxon_id=116875 ''Juniperus Linnaeus.'' S. 69–73 – textgleich online wie gedrucktes Werk] In: Wu Zheng-yi, Peter H. Raven (Hrsg.): ''Flora of China.'' Band 4: ''Cycadaceae through Fagaceae.'' Science Press/ Missouri Botanical Garden Press, Peking/ St. Louis 1999, ISBN 0-915279-70-3.<br />
</ref><br />
<ref name="Zander2008"><br />
Walter Erhardt, Erich Götz, Nils Bödeker, Siegmund Seybold: ''Der große Zander. Enzyklopädie der Pflanzennamen.'' Band 2: ''Arten und Sorten.'' Eugen Ulmer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8001-5406-7.<br />
</ref><br />
<ref name="Hörning"><br />
{{Literatur |Autor=Angelika Hörning |Titel=Das Bogenbauer-Buch: Europäischer Bogenbau von der Steinzeit bis heute |Auflage=7. |Verlag=Angelika Hörning |Ort=Ludwigshafen |Datum=2012 |ISBN=978-3-9805877-7-8}}<br />
</ref><br />
<ref name="Farjon2010"><br />
[[Aljos Farjon]]: ''A handbook of the world's Conifers.'' Brill, Leiden/Boston 2010, ISBN 978-9-0041771-8-5, Band 1, S. 1–526. {{DOI|10.1163/9789047430629}}<br />
</ref><br />
<ref name="AdamsBiSyEc29"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams |Titel=Systematics of multiseeded eastern hemisphere Juniperus based of leaf essential oils and RAPD DNA fingerprinting |Sammelwerk=Biochemical Systematics and Ecology |Band=27 |Nummer=7 |Datum=1999 |Seiten=709–725 |Sprache=en |Online=[http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/154-1999BIOCH27709.pdf Online] |Format=PDF |KBytes=732 |DOI=10.1016/S0305-1978(99)00016-2 }} {{Webarchiv|url=http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/154-1999BIOCH27709.pdf |wayback=20110627062819 |text=Online |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-BiSyEc2005"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams, M. Socorro González Elizondo, Martha González Elizondo, Erin Slinkman |Titel=DNA fingerprinting and terpenoid analysis of Juniperus blancoi var. huehuentensis (Cupressaceae), a new subalpine variety from Durango, Mexico |Sammelwerk=Biochemical Systematics and Ecology |Band=34 |Nummer=3 |Datum=2006 |Seiten=205–211 |Sprache=en |DOI=10.1016/j.bse.2005.11.004}}<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia90"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams |Titel=Juniperus of Canada and United States: Taxonomy, Key and Distribution |Sammelwerk=Phytologia |Band=90 |Nummer=3 |Datum=2008 |Seiten=255–314 |Online=[http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/218-Phyto90%283%29255-314AdamsKeytoJuniperusCanadaandUS.pdf Online] |Format=PDF |KBytes=4500 }} {{Webarchiv|url=http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/218-Phyto90%283%29255-314AdamsKeytoJuniperusCanadaandUS.pdf |wayback=20111015022736 |text=Online |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="AdamsPhytologia89ash"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams, Lori E. Baker |Titel=Pleistocene Infraspecific Evolution in Juniperus ashei Buch. |Sammelwerk=Phytologia |Band=89 |Nummer=1 |Datum=2007 |Seiten=8–23 |Online=[http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/193-2007Phyologia89%281%298-23ashei.pdf Online] |Format=PDF |KBytes=3 }} {{Webarchiv|url=http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/193-2007Phyologia89%281%298-23ashei.pdf |wayback=20111015011655 |text=Online |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="AdamsPhytologia89"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams, Andrea E. Schwarzbach, Sanko Nguyen, Julie A. Morris, J-Q. Liu |Titel=Geographic Variation in Juniperus sabina L., J. sabina var. arenaria (E. H. Wilson) Farjon, J. sabina var. davurica (Pall.) Farjon and J. sabina var. mongolensis R. P. Adams |Sammelwerk=Phytologia |Band=89 |Nummer=2 |Datum=2007 |Seiten=153–166 |Online=[http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/199-Phyto89%282%29153-166SabinaGeoVariation07wFigs.pdf Online] |Format=PDF |KBytes=300 }} {{Webarchiv|url=http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/199-Phyto89%282%29153-166SabinaGeoVariation07wFigs.pdf |wayback=20111015010144 |text=Online |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia91"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams, Ram P. Chaudhary, R. Naresh Pandey, Ram Lakhan Singh |Titel=Juniperus recurva var. uncinata, the Hooked Branchlet Juniper, a New Variety from Nepal |Sammelwerk=Phytologia |Band=91 |Nummer=3 |Datum=2009 |Seiten=361 |Online=[http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/230-Phyto91%283%29361-382AdamsIndicaVarUncinata.pdf Online] |Format=PDF |KBytes=1120 }} {{Webarchiv|url=http://www.juniperus.org/AdamsPapersPDFFiles/230-Phyto91%283%29361-382AdamsIndicaVarUncinata.pdf |wayback=20111015011432 |text=Online |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia93"><br />
Robert P. Adams, C.-F. Hsieh, J. Murata: ''Systematics of Juniperus chinensis and J. tsukusiensis from Japan and Taiwan: DNA sequencing and terpenoids.'' In: ''Phytologia.'' Band 93, 2011, S. 118–131.<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia94a"><br />
Robert P. Adams, Andrea E. Schwarzbach: ''Taxonomy of the multi-seeded, entire leaf taxa of Juniperus section Sabina: Sequence analysis of nrDNA and four cpDNA regions.'' In: ''Phytologia.'' Band 94, 2012, S. 350–366. [https://biodiversitylibrary.org/page/47218719 ''Juniperus semiglobosa var. jarliendensis (Komarov) R. P. Adams, comb. nov.'' auf S. 354 eingescannt bei ''biodiversitylibrary.org''.]<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia95"><br />
Robert P. Adams, Andrea E. Schwarzbach: ''Taxonomy of the serrate leaf Juniperus of North America: Phylogenetic analyses using nrDNA and four cpDNA regions.'' In: ''Phytologia.'' Band 95, 2013, S. 172–178.<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia95b"><br />
Robert P. Adams, Andrea E. Schwarzbach: ''Taxonomy of Juniperus deppeana varieties and formas based on nrDNA (ITS), petN-psbM, trnS-trnG, trnD-trnT, trnL-trnF sequences.'' In ''Phytologia.'' Band 95, 2013, S. 161–166.<br />
</ref><br />
<ref name="Adams-Phytologia97"><br />
Robert P. Adams, Andrea E. Schwarzbach: ''A new, flaccid, decurrent leaf variety of Juniperus poblana from Mexico: J. poblana var. decurrens R. P. Adams & S. González.'' In: ''Phytologia.'' Band 97, Nr. 3 3, 2015, S. 152–163.<br />
</ref><br />
<ref name="AdamsBSaE2000"><br />
{{Literatur |Autor=Robert P. Adams |Titel=Systematics of the one seeded Juniperus of the eastern hemisphere based on leaf essential oils and random amplified polymorphic DNAs (RAPDs) |Sammelwerk=Biochemical Systematics and Ecology |Band=28 |Nummer=6 |Datum=2000 |Seiten=529–543 |Sprache=en |DOI=10.1016/S0305-1978(99)00096-4}}<br />
</ref><br />
<ref name="BArtSChV"><br />
{{§|Anlage+1|BArtSchV|buzer|text=Anlage 1 der Bundesartenschutzverordnung}}<br />
</ref><br />
<ref name="Bern-Konvention"><br />
{{Literatur |Hrsg=Europarat |Titel=Berner Konvention-Convention on the Conservation of European Wildlife and Natural Habitats |Ort=Bern |Datum=1979 |Sprache=en |Online=[http://conventions.coe.int/Treaty/FR/Treaties/Html/104-1.htm Online]}}<br />
</ref><br />
<ref name="GymnospermDb_thurifera"><br />
{{Internetquelle |url=http://www.conifers.org/cu/Juniperus_thurifera.php |titel=Juniperus thurifera |werk=The Gymnosperm Database |abruf=2011-01-26 |sprache=en}}<br />
</ref><br />
<ref name="FFH"><br />
{{Literatur |Hrsg=Europäische Union |Titel=Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) – Fassung vom 1. Januar 2007 |Fundstelle=Anhang I, S. 17–19 und 23 |Sammelwerk=ABl. L 206 vom 22. Juli 1992 |Datum= |Seiten=7 |Online={{EU-Richtlinie|1992|43|konsolidiert=2007-01-01 |text=Online}} }}<br />
</ref><br />
<ref name="Genaust1996"><br />
Helmut Genaust: ''Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen.'' 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Birkhäuser, Basel/Boston/Berlin 1996, ISBN 3-7643-2390-6.<br />
</ref><br />
<ref name="GRIN"><br />
{{GRIN|ID=6229|WissName=Juniperus|Rang=genus|Zugriff=2019-03-31}}<br />
</ref><br />
<ref name="GRIN-saltillensis"><br />
{{Internetquelle |url={{GRIN|ID=453939|WissName=Juniperus saltillensis|Linktext=nein}} |titel=Taxon: Juniperus saltillensis M. T. Hall |autor=Germplasm Resources Information Network (GRIN) |hrsg=United States Department of Agriculture Agricultural Research Service |werk=GRIN Taxonomy for Plants |abruf=2010-05-24 |sprache=en}}<br />
</ref><br />
<ref name="Innocenti"><br />
Marzia Innocenti, Marco Michelozzi, Catia Giaccherini, Francesca Ieri, Franco Francesco Vincieri, Nadia Mulinacci: ''Flavonoids and biflavonoids in Tuscan berries of Juniperus communis L.: detection and quantitation by HPLC/DAD/ESI/MS'' In: ''[[Wikipedia:Journal of Agricultural and Food Chemistry|Journal of Agricultural and Food Chemistry]].'' Band 55, Nr. 16, 2007, S. 6596–6602, PMID 17622155.</ref><br />
<ref name="Joneleit"><br />
Siegfried Joneleit: ''Gewächs für alle Fälle.''<br />
</ref><br />
<ref name="Kluge"><br />
Kluge: ''Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache''. 23. erweiterte Auflage, bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin, New York 1999, ISBN 3-11-016392-6.<br />
</ref><br />
<ref name="Koruk"><br />
Suda Tekin Koruk, Esin Ozyilkan, Pınar Kaya, Dilsen Colak, Omer Donderici, Yıldırım Cesaretli: ''Juniper tar poisoning.'' In: ''[[Wikipedia:Clinical Toxicology|Clinical Toxicology]] (Philadelphia).'' Band 43, Nr. 1, 2005, S. 47–49, PMID 15732446.<br />
</ref><br />
<ref name="Marzell">[[Wikipedia:Heinrich Marzell|Heinrich Marzell]]: ''Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen''. Band II, Leipzig 1972.<br />
</ref><br />
<ref name="Mildenberger"><br />
Jörg Mildenberger: ''Anton Trutmanns 'Arzneibuch', Teil II: Wörterbuch''. Würzburg 1997 (= ''Würzburger medizinhistorische Forschungen''. Band&nbsp;56), Band&nbsp;V, S.&nbsp;2257f.<br />
</ref><br />
<ref name="Landwirtschaftskammer"><br />
Landwirtschaftskammer: {{Webarchiv|url=http://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/pflanzenschutz/hausgarten/obst/o-02.htm |wayback=20111101012008 |text=Birnengitterrost |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="RLSchweiz"><br />
{{Literatur |Autor=D. Moser, A. Gygax, B. Bäumler, N. Wyler, R. Palese |Titel=Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Farn- und Blütenpflanzen |Verlag=Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern; Zentrum des Datenverbundnetzes der Schweizer Flora, Chambésy; Conservatoire et Jardin botaniques de la Ville de Genève, Chambésy |Datum=2002 |Seiten=1–118 |Online=[{{Toter Link|inline=ja|date=2017-06-08|url=http://www.bafu.admin.ch/publikationen/publikation/00911/index.html?lang=de}} Online]}}<br />
</ref><br />
<ref name="Tudge107"><br />
[[Wikipedia:Colin Tudge|Colin Tudge]]: ''The secret life of trees.'' Penguin books, London 2006, ISBN 0-14-101293-5, S. 107.<br />
</ref><br />
<ref name="USDA"><br />
{{Internetquelle |url=http://plants.usda.gov/java/threat?txtparm=juniperus&category=sciname&familycategory=all&duration=all&growthhabit=all&wetland=all&statefed=all&sort=sciname&submit.x=56&submit.y=11 |titel=Plants Threatened & Endangered & Protected: Juniperus |autor=Plants Database |hrsg=USDA United States Department of Agriculture |werk=NRCS Natural Resources Conceration Service |abruf=2010-05-25 |sprache=en}}<br />
</ref><br />
<ref name="Selik"><br />
{{Literatur |Autor=Muzaffer Selik, Hubert Ziegler |Titel=Der Zucker-, Eiweiß- und Vitamingehalt des Beerenzapfensaftes von Juniperus drupacea Labill. („Andiz Pekmezi“) |Sammelwerk=[[Wikipedia:Qualitas Plantarum et Materiae Vegetabiles|Qualitas Plantarum et Materiae Vegetabiles]] |Band=17 |Nummer=4 |Datum= |Seiten=265–272 |DOI=10.1007/BF01100190}}<br />
</ref><br />
<ref name="Schmitz1954"><br />
W. Schmitz in ''Beiträge zur deutschen Philologie.'' Band 8–12 (1954, 1970) {{Google Buch|BuchID=X71bAAAAMAAJ|Hervorhebung = Machangel|Linktext= Machandel, Machangel, Wacholder}}<br />
</ref><br />
<ref name="Botanica2003"><br />
{{Literatur |Herausgeber=Gordon Cheers |Titel=Botanica. Das ABC der Pflanzen. 10.000 Arten in Text und Bild |Jahr=2003 |Verlag=Könemann Verlagsgesellschaft |ISBN=3-8331-1600-5 |Kommentar=darin Seite 491–494 }}<br />
</ref><br />
<ref name="Botanicgroup"><br />
Botanicgroup: [http://www.botanicgroup.com/Aussenbegruenung/Nadelgehoelze/Juniperus-Chinensis-Kuriwao-Gold-Chinesischer-Goldwacholder::2378.html ''Juniperus Chinensis Kuriwao Gold – Chinesischer Goldwacholder''.]<br />
</ref><br />
<ref name="Urbon"><br />
{{Literatur |Autor=Barbara Urbon |Titel=Gesundes Wissen aus der Natur: Heilkräuter heute |Verlag=Georg Thieme |Datum=2007 |ISBN=978-3-8304-2247-1 |Seiten=174 |Online={{Google Buch | BuchID = UQX1adH_3AUC | Seite = 174}}}}<br />
</ref><br />
<ref name="InfoGift"><br />
Informationszentrale gegen Vergiftungen: {{Webarchiv|url=http://www.meb.uni-bonn.de/giftzentrale/jahresbericht99-Dateien/typo3/index.php?id=230 |wayback=20110601040737 |text=Wacholder (Juniperus communis) |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
<ref name="Kraftsaft"><br />
Urs Oskar Keller: ''Wacholder, der Kraftsaft.'' In: ''St. Galler Tagblatt.'' 20. Februar 2012, S. 29, {{Webarchiv|url=http://www.urs-ok.ch/pdf/Latwerge_Tagblatt_20022012.pdf |wayback=20150215162312 |text=PDF-Datei. |archiv-bot=2019-04-19 14:44:17 InternetArchiveBot }}<br />
</ref><br />
</references><br />
<br />
=== Ergänzende Literatur ===<br />
* Heinrich Lehmann: ''Beiträge zur Geschichte von Sambucus nigra, Juniperus communis und Juniperus Sabina.'' Math.-nat. Diss. Basel 1935.<br />
* Lutz Roth, [[Wikipedia:Max Daunderer|Max Daunderer]], Kurt Kormann: ''Giftpflanzen, Pflanzengifte : Vorkommen, Wirkung, Therapie, Allergische und phototoxische Reaktionen.'' 3. Auflage. ecomed, Landsberg 1987, ISBN 3-609-64810-4; 6. Auflage, Nikol, Hamburg 2012, ISBN 978-3-86820-009-6.<br />
* Sabine Kurschat-Fellinger: ''Kranewitt. Untersuchungen zu den altdeutschen Übersetzungen des nordischen Wacholderbeertraktats (= Mittelalterliche Wunderdrogentraktate, III).'' (Medizinische Dissertation Würzburg) Pattensen/Hannover (jetzt bei Königshausen & Neumann, Würzburg) 1983 (= ''Würzburger medizinhistorische Forschungen.'' Band 20).<!--ist keine Hauptquelle dieses Gattungs-Artikels – es geht dabei um eine der Arten und das damit belegbare gehört höchstens in den Art-Artikel, was damit belegt sein soll bitte mit diesem Beleg in den Art-Artikel verschieben.--><br />
<br />
=== Weblinks ===<br />
{{Commonscat|Juniperus|Wacholder (''Juniperus'')}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
* [http://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/Juniperus Fossiler Wacholder im Mineralienatlas-WiKi]<br />
* [http://www.meb.uni-bonn.de/giftzentrale/jahresbericht99-Dateien/typo3/index.php?id=230 Zur Giftigkeit von Wacholder (Informationszentrale gegen Vergiftungen NRW)]<br />
<br />
== Weiterführende Literatur ==<br />
<!-- im Artikel noch nicht verwendt --><br />
* R. P. Adams: ''Evolution of dioecious/ monecious taxa in Juniperus, contrasted with Cupressus, Hesperocyparis, Callitropsis and Xanthocyparis (Cupressaceae).'' In: ''Phytologia.'' Band 100, Nr. 4, 2018, S. 248–255. [https://www.juniperus.org/uploads/2/2/6/3/22639912/406._-_2018_phyto_100_4_248-255adamsdioeciousmonoecioiusjunipers1-5-19.pdf Volltext-PDF.]<br />
<br />
{{Linked Coordinates}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4136387-5}}<br />
<br />
[[Kategorie:Wacholder| ]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Integrative_Medizin&diff=45805
Integrative Medizin
2023-06-24T07:43:36Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>'''Integrative Medizin''' beschreibt eine medizinische Richtung, „die die Bedeutung der Beziehung zwischen [[Arzt]] und [[Wikipedia:Patient|Patient]] betont, sich auf die ganze Person fokussiert, auf [[Evidenz]] stützt und alle relevanten therapeutischen Möglichkeiten, [[Wikipedia:Gesundheitsberuf|Gesundheitsberufe]] und -disziplinen nutzt, um optimale [[Gesundheit]] und [[Wikipedia:Heilung|Heilung]] zu erreichen.“ wie es das [[Consortium of Academic Health Centers for Integrative Medicine]] 2004 formuliert hat.<ref name=":0">{{Internetquelle|abruf=2019-11-06|url=https://imconsortium.org/about/introduction/|titel=DEFINITION OF INTEGRATIVE MEDICINE AND HEALTH|werk=Academic Consortium for Integrative Medicine & Health website}}</ref><ref>{{Internetquelle|url=https://www.uni-wh.de/gesundheit/department-fuer-humanmedizin/lehrstuehle-institute-und-zentren/institut-fuer-integrative-medizin-ifim/|abruf=2019-11-25|titel=Institut für Integrative Medizin (IfIM)}}</ref><br />
<br />
Ein Grundmotiv ist die Zusammenführung ("Integration") unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen, Heilmethoden, Maßnahmen als Komponenten eines Behandlungs-Gesamtkonzeptes.<ref>{{Internetquelle|titel=Integrative Medizin|url=https://marjorie-wiki.de/wiki/Integrative_Medizin|abruf=2019-11-27|werk=Marjorie-Wiki}}</ref> Hierbei können Ansätze unterschiedlicher Paradigmen, solcher der [[Konventionelle Medizin|konventionellen]] ([[Schulmedizin]]), [[Traditionelle Medizin|traditionelle]] oder [[Komplementärmedizin|komplementärmedizinische]] eingesetzt werden,<ref>{{Internetquelle| autor=Denise Millstine| titel = Übersicht über die Integrative, Komplementär- und Alternativmedizin - Spezialthemen| sprache = de-DE| datum = 2021-11| url = https://www.msdmanuals.com/de-de/heim/spezialthemen/integrative-komplement%C3%A4r-und-alternativmedizin/%C3%BCbersicht-%C3%BCber-die-itnegrative-komplement%C3%A4r-und-alternativmedizin| abruf = 2023-06-23| werk = MSD Manual Ausgabe für Patienten}}</ref> mit einem Fokus auf solche, für die wissenschaftliche Untersuchungen und [[Wirksamkeitsnachweis|Wirksamkeitsnachweise]] vorliegen ([[Evidenz]]). Sie umfasst [[Pathogenese|pathogenetisch]] und [[Salutogenese|salutogenetisch]] orientierte Therapiemethoden.<ref>{{Literatur| Autor=Hufelandgesellschaft e.V.| Titel = HINTERGRUNDPAPIER Integrative Medizin| Ort = Berlin| Abruf = 2023-06-23| Sprache = de| Datum = 2018-03-26| Online = https://www.hufelandgesellschaft.de/fileadmin/Dokumente/Hufelandgesellschaft_Hintergrundpapier_Integrative_Medizin.pdf}}</ref> Verbreitet ist die Position eines [[Medizinischer Pluralismus|medizinischen Pluralismus]], der einen Dialog auch unterschiedlicher [[Paradigma|Paradigmen]] berücksichtigt. Zentral ist die Bemühung um [[Wissenschaftlichkeit]] und Forschung bei Offenheit des Wissenschaftsbegriffes.<br />
<br />
===Begriffsgeschichte===<br />
In Polarität zur Alternativmedizin, der eine Trennung hervorhebt, kennzeichnet der Begriff der Integrativmedizin Austausch und Zusammenarbeit sich ergänzender ([[Komplementärmedizin|komplementärer]]) Partner. Der Begriff Integrativmedizin wurde in den späten 1940er Jahren in der angloamerikanischen Literatur aufgebracht<ref name=":2">{{Literatur |Autor=Benno Brinkhaus, Tobias Esch |Titel=Was ist integrative Medizin? |Hrsg=Benno Brinkhaus, Tobias Esch |Sammelwerk=Integrative Medizin und Gesundheit |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft |Ort=Berlin |Datum=2021 |ISBN=978-3-95466-422-1 |Seiten=9}}</ref> und seit den 90er Jahren unter anderem von [[Andrew Weil]] propagiert<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Dieter Melchart |Titel=From Complementary to Integrative Medicine and Health: Do We Need a Change in Nomenclature? |Hrsg= |Sammelwerk=Complement Med Res |Band= |Nummer=25 |Auflage= |Verlag=Karger |Ort=Freiburg |Datum=2018 |Sprache=en |ISBN= |DOI=10.1159/000488623 |Seiten=76-78}}</ref>. Im deutschsprachigen Raum kam der Begriff erst ab den 1990er Jahren in Gebrauch.<ref name=":2" /> Die Schwerpunktsetzungen und Interpretationen des noch relativ jungen Begriffes wandelten sich im Laufe der Jahre und werden auch heute von verschiedenen Vertretern teils unterschiedlich gewichtet. Im unteren Bereich finden sich einige Beschreibungen und Definitionen.<br />
<br />
In den 2000er Jahren stand im Vordergrund eine Verbindung von Elementen der konventionellen Medizin mit wissenschaftlich evaluierten Elementen der Komplementär- und Alternativmedizin (siehe Definition NCCAM).<ref name=":2" /><br />
<br />
====Begriffskritik====<br />
Es gibt auch Kritik an dem Begriff, der neben der [[Salutogenese|salutogenetischen]] Orientierung keine konzeptuelle Neuerung gegenüber dem der [[Komplementärmedizin|komplementären Medizin]] enthalte.<ref name=":1" /><br />
<br />
===Aspekte integrativer Medizin===<br />
Das [[Andrew Weil Center for Integrative Medicine]] fasst Aspekte der integrativen Medizin zusammen:<br />
{| class="wikitable"<br />
|+<br />
!Definition im Andrew Weil Center<ref name=":4" /><br />
!Übersetzung<br />
!Konzepte<br />
|-<br />
|Patient and practitioner are partners in the healing process.<br />
|Patient und Behandler sind Partner im Heilungsprozess.<br />
|[[Partizipative Entscheidungsfindung]]<br />
|-<br />
|All factors that influence health, wellness, and disease are taken into consideration, including mind, spirit, and community, as well as the body.<br />
|Alle Faktoren, die Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit beeinflussen, werden berücksichtigt, einschließlich des Geistes, der Seele und der Gemeinschaft sowie des Körpers.<br />
|[[Spiritualität]]<br />
|-<br />
|Appropriate use of both conventional and alternative methods facilitates the body's innate healing response.<br />
|Durch den angemessenen Einsatz sowohl konventioneller als auch alternativer Methoden wird die körpereigene Heilungsreaktion gefördert.<br />
|<br />
|-<br />
|Effective interventions that are natural and less invasive should be used whenever possible.<br />
|Wann immer möglich, sollten wirksame, natürliche und weniger invasive Maßnahmen eingesetzt werden.<br />
|<br />
|-<br />
|Integrative medicine neither rejects conventional medicine nor accepts alternative therapies uncritically.<br />
|Die integrative Medizin lehnt weder die Schulmedizin ab noch akzeptiert sie unkritisch alternative Therapien.<br />
|<br />
|-<br />
|Good medicine is based in good science. It is inquiry-driven and open to new paradigms.<br />
|Gute Medizin basiert auf guter Wissenschaft. Sie ist forschungsorientiert und offen für neue Paradigmen. <br /><br />
|<br />
|-<br />
|Alongside the concept of treatment, the broader concepts of health promotion and the prevention of illness are paramount.<br />
|Neben dem Konzept der Behandlung sind die weiter gefassten Konzepte der Gesundheitsförderung und der Prävention von Krankheiten von zentraler Bedeutung.<br />
|<br />
|-<br />
|Practitioners of integrative medicine should exemplify its principles and commit themselves to self-exploration and self-development.<br />
|Praktizierende der integrativen Medizin sollten deren Prinzipien vorleben und sich zur Selbsterforschung und -entwicklung verpflichten.<br />
|[[Selbsterziehung]]<br />
|}<br />
<br />
====Menschenbild====<br />
Integrative Medizin wird teilweise als [[menschliche Medizin|menschlichere Medizin]] wahrgenommen und dies zum Teil an Defiziten der [[Konventionelle Medizin|konventionellen Medizin]] festgemacht. In letzterer werde eine hohe technische Präzision erreicht. Der Fokus auf ein [[Reduktionismus|reduktionistisch]] - [[Mechanizismus|mechanistisches]] [[Wikipedia:Weltbild|Welt-]] und [[Wikipedia:Menschenbild|Menschenbild]] würde aber wesentlichen Teilaspekten des [[Mensch|Menschen]] nicht immer ausreichend gerecht.<ref>{{Literatur |Autor=Daniela Kuhn |Titel=Der menschliche Mediziner |Hrsg= |Sammelwerk=NZZ |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2013-11-11 |Sprache=de |ISBN= |Seiten= |Online=https://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/der-menschliche-mediziner-1.18182902?reduced=true}}</ref> Hierbei kommen Aspekte der Einzigartigkeit jeder menschlichen [[Wikipedia:Individualität|Individualität]], der menschlichen [[Wikipedia:Begegnung|Begegnung]] und [[Wikipedia:Biographie|Biographie]] in Betracht, die mit dem verbreiteten [[Maschinenparadigma]] schwierig in Deckung zu bringen sind. Entsprechende Gedanken führten auch zur [[Biopsychosoziale Medizin|biopsychosozialen Medizin]].<br />
<br />
Je nach Menschenbild treten Fragen nach [[Leben|Lebensprozessen]] und [[Seele|Seele]] des Menschen, sowie [[Spiritualität|Spiritualität]] stärker in den Vordergrund.<br />
<br />
===Forschung===<br />
Wissenschaftliche Forschung ist im Bereich der integrativen Medizin zentrales Element.<br />
<br />
Beispiele:<br />
<br />
Im 7. Rahmenprogramm der EU (FP7: 7th Framework Programme) fand ein Koordinationsprojekt zur Darstellung der Angebots- und Nachfrageseite der Komplementärmedizin unter dem Namen [[Cambrella]] statt.<ref>{{Literatur |Autor=Hedda Sützl-Klein |Titel=Komplementär- und integrativmedizinische Forschungsprojekte und Horizont 2020 (8. Europäisches Forschungsförderprogramm) |Hrsg=Michael Frass, Lothar Krenner |Sammelwerk=Integrative Medizin, evidenzbasierte komplementärmedizinische Methodenlehre |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer |Ort=Berlin |Datum=2019 |ISBN=978-3-662-48878-2 |Kapitel=39.2 |Seiten=997}}</ref> Das Kürzel "CAMbrella" steht dabei für ein Dachprojekt der Komplementär- und Alternativmedizin (engl.: umbrella of '''C'''omplementary and '''A'''lternative '''M'''edicine).<ref>{{Internetquelle|titel=EU-Projekt Cambrella|url=https://www.kokonat.med.tum.de/forschung-und-entwicklung/eu-projekt-cambrella|zugriff=7. Januar 2020|werk=Website Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München}}</ref><br />
<br />
===Ausbildung an universitären Einrichtungen<ref>Der Abschnitt wurde im September 2021 aus dem Artikel [[Naturheilkunde]] übertragen. Er stammt ursprünglich von Wikipedia.</ref>===<br />
<br />
====Deutschland====<br />
Im Jahr 2003 wurde mit der Revision der Approbationsordnung für Ärzte der Querschnittsbereich Rehabilitation, Physikalische Medizin und Naturheilverfahren als verbindlicher Teil der Lehre in den klinischen Ausbildungsabschnitt eingeführt. Damit wurden naturheilkundlich-komplementärmedizinische Inhalte erstmals prüfungsrelevant. Aktuell bestehen in Deutschland mehrere universitäre Einrichtungen für Naturheilkunde, Komplementärmedizin und integrative Medizin sowie weitere Forschungsinstitute:<ref>http://www.dialogforum-pluralismusindermedizin.de/links</ref><br />
<br />
*[[Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité-Universitätsmedizin Berlin|Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde]], [[wikipedia:Charité|Charité]] Universitätsmedizin Berlin<ref>http://naturheilkunde.immanuel.de/andreas-michalsen/</ref><br />
*Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen<br />
*[[Gerhard Kienle Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten/Herdecke|Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin]], [[wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Universität Witten/Herdecke]]<br />
*Lehrstuhl für Naturheilkunde, Universität Rostock<br />
*[[Kokonat|Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde (KoKoNat)]], Technische Universität München<br />
*Uni-Zentrum Naturheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg<br />
*Ambulanz Naturheilkunde, Gynäkologie, Universitätsklinikum Heidelberg<br />
*Professur für Forschungsmethoden und Informationssysteme in der Komplementärmedizin, Universität Witten-Herdecke<br />
*Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Ruhr-Universität Bochum<ref>https://www.klinikum-bochum.de/fachbereiche/naturheilkunde/fachbereich.html</ref><br />
<br />
==Geographische Verteilung==<br />
<br />
===USA===<br />
In den USA wird die integrative medizinische Bewegung von Organisationen wie dem [[Academic Consortium for Integrative Medicine & Health]], der [[Academy of Integrative Health & Medicine (AIHM)]], dem [[International College of Integrative Medicine (ICIM)]] oder dem [[Integrative Medicine Consortium (IMC)]] vertreten. Bei den [[Wikipedia:National Institutes of Health|National Institutes of Health]] gibt es eine Abteilung für integrative Medizin namens [[National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH)]].<br />
<br />
===Deutschland===<br />
Die [[Hufelandgesellschaft]] ist der Dachverband für komplementärmedizinische Organisationen in Deutschland. Im Jahr 2021 begann sich eine [[Allianz für integrative Medizin und Gesundheit|Allianz für Integrative Medizin und Gesundheit]] zu formieren.<br />
<br />
==Definitionen (deutsch)==<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Einige Definitionen von integrativer Medizin aus dem deutschsprachigen Raum<br />
!Quelle<br />
!Jahr<br />
!Definition<br />
!Autoren<br />
|-<br />
|[[Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg (KIM)|'''Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg (KIM)''']]<br />
|<br />
|„Integrative Medizin“ beschreibt die Verbindung sich sinnvoll ergänzender konventioneller und komplementärer Behandlungsangebote in einem patientenzentrierten Versorgungs-konzept. Neben die leitlinienbasierte fachlich-medizinische Versorgung treten Behandlungs- und Beratungsangebote aus dem Bereich von Naturheilverfahren und Komplementärmedizin. Sie umfassen Naturmedikamente, traditionelle Behandlungsverfahren wir z.B. die Akupunktur, pflegerische Anwendungen wie Wickel und Einreibungen, Aromatherapie und Verfahren der Mind-Body-Therapie (Kunst- und Musiktherapie, MBSR/Meditation, Heileurythmie, Yoga, Tai Chi u.a.). Darüberhinaus geht es um gezielte Beratung und Begleitung zur Umsetzung gesundheitsfördernder Lebensstilveränderungen im Alltag.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.kim-bw.de/newpage#A1undA2 |titel=Gründungsimpuls, Ziele und Arbeitsweise |werk=Kompetenznetz Integrative Medizin Baden-Württemberg |hrsg= |datum= |abruf=2021-06-28 |sprache=de}}</ref><br />
|<br />
|-<br />
|'''[[Hufelandgesellschaft]]'''<br />
|<br />
|Die Integrative Medizin verbindet konventionelle ärztliche Medizin und ärztliche Komplementärmedizin zu einem sinnvollen Gesamtkonzept. Ziel ist es, die individuell beste Therapie für den Patienten zu finden und Nebenwirkungen soweit wie möglich zu reduzieren.<br />
<br />
Die Integrativer Medizin stellt den Patienten in den Mittelpunkt, orientiert sich an dessen individuellen Ressourcen und aktiviert die Selbstheilungskräfte. Ihre Stärke entfaltet sie insbesondere da, wo die konventionelle Akutmedizin an ihre Grenzen stößt: bei der Therapie chronischer Erkrankungen.<br />
<br />
Die Integrative Medizin ist durch wissenschaftliche Erkenntnisse geleitet. Dabei wird das zum Teil Jahrtausende alte Erfahrungswissen komplementärmedizinischer Verfahren in qualitativ hochwertigen Studien wissenschaftlich aufgearbeitet und evaluiert und das Wissen über Möglichkeiten und Grenzen laufend weiterentwickelt.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.hufelandgesellschaft.de/integrative-medizin |titel=Was verstehen wir unter Integrative Medizin? |werk=Hufelandgesellschaft |hrsg= |datum= |abruf=2021-06-28 |sprache=de}}</ref><br />
|<br />
|-<br />
|'''[[Sommerakademie für Integrative Medizin]]'''<br />
|<br />
|„Integrative Medizin“ wird auf der Veranstaltung so verstanden, daß im selben Maße körperliche, seelische und geistige Aspekte der Patient*innen in das Verständnis und in die Therapie von Erkrankungen einbezogen werden. Das reflektierte Studium verschiedener Medizinsysteme, Menschenbilder und Therapieverfahren soll dazu beitragen sich den Zusammenhängen dieser Aspekte zu nähern. Intention ist, die Integrative Medizin auf einer wissenschaftlichen Basis aufzubauen, wobei auch die Weiterentwicklung der Wissenschaft in den Diskurs mit aufgenommen wird.<ref>{{Internetquelle|url=https://sommerakademie-witten.de/de/sommerakademie/ueber-uns|abruf=2019-11-26|titel=Was ist integrative Medizin?|werk=Sommerakademie für integrative Medizin Website}}</ref><br />
|<br />
|}<br />
<blockquote></blockquote><br />
<br />
==Definitionen (englisch)==<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Einige englische Definitionen von integrativer Medizin<br />
!Quelle<br />
!Jahr<br />
!Definition<br />
!Übersetzung<br />
!Autoren<br />
|-<br />
|National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM)<br />
|um 2000<br />
|Integrative medicine combines mainstream medical therapies and CAM therapies for which there is some high-quality scientific evidence of safety and effectiveness.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.drrogersprize.org/defining-complementary-and-alternative-medicine/ |titel=What is CAM? Defining Complementary and Alternative Medicine; Integrative Medicine |werk=Dr. Rogers Prize for Excellence in Complementary and Alternative Medicine |hrsg= |datum= |abruf=2021-09-30 |sprache=en}}</ref><br />
|Die integrative Medizin kombiniert schulmedizinische Therapien mit CAM-Therapien, für die es hochwertige wissenschaftliche Nachweise der Sicherheit und Wirksamkeit gibt.<br />
|<br />
|-<br />
|NCI Dictionary of Cancer Terms<br />
|<br />
|A type of medical care that combines conventional (standard) medical treatment with complementary and alternative (CAM) therapies that have been shown to be safe and to work. CAM therapies treat the mind, body, and spirit.<ref>{{Internetquelle|abruf=2018-09-17|url=https://www.cancer.gov/publications/dictionaries/cancer-terms/def/integrative-medicine|titel=integrative medicine|werk=NCI Dictionary of Cancer Terms}}</ref><br />
|Eine Art der medizinischen Versorgung, bei der konventionelle (standardmäßige) medizinische Behandlung mit komplementären und alternativen Therapien (CAM) kombiniert wird, die sich als sicher und wirksam erwiesen haben. CAM-Therapien behandeln den Geist, den Körper und die Seele.<br />
|<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Mayo Clinic|Mayo Clinic]]<br />
|<br />
|Complementary and alternative medicine (CAM) is the popular name for health care practices that traditionally have not been part of conventional medicine. In many cases, as evidence of efficacy and safety grows, these therapies are being combined with conventional medicine.<br />
<br />
Thus, the term alternative has been dropped and replaced with newer terms, such as complementary and integrative medicine, integrative medicine and health, or just integrative medicine.<ref>https://www.mayoclinic.org/tests-procedures/complementary-alternative-medicine/about/pac-20393581</ref><br />
|Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) ist die gängige Bezeichnung für Gesundheitspraktiken, die traditionell nicht Teil der Schulmedizin sind. In vielen Fällen werden diese Therapien mit der konventionellen Medizin kombiniert, da die Beweise für ihre Wirksamkeit und Sicherheit zunehmen.<br />Daher wurde der Begriff "alternativ" aufgegeben und durch neuere Bezeichnungen wie "komplementäre und integrative Medizin", "integrative Medizin und Gesundheit" oder einfach "integrative Medizin" ersetzt.<br />
|<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:British Medical Journal|British Medical Journal (BMJ)]] Editorial<br />
|2001<br />
|Integrated medicine (or integrative medicine as it is referred to in the United States) is practising medicine in a way that selectively incorporates elements of complementary and alternative medicine into comprehensive treatment plans alongside solidly orthodox methods of diagnosis and treatment.<ref>{{Cite journal|doi=10.1136/bmj.322.7279.119|title=Integrated medicine; Imbues orthodox medicine with the values of complementary medicine|first=Lesley|last=Rees|first2=Andrew|last2=Weil|date=20 January 2001|volume=322|issue=119|journal=British medical journal}}</ref><br />
|Integrierte Medizin (oder integrative Medizin, wie sie in den Vereinigten Staaten genannt wird) bedeutet, Medizin in einer Weise zu praktizieren, die selektiv Elemente der Komplementär- und Alternativmedizin in umfassende Behandlungspläne neben soliden orthodoxen Diagnose- und Behandlungsmethoden einbezieht.<br />
|Lesley Rees, [[:en:Andrew_Weil|Andrew Weil]]<br />
|-<br />
|[[Academic Consortium for Integrative Medicine & Health]]<br />
|<br />
|The practice of medicine that reaffirms the importance of the practitioner-patient relationship. It focuses on the whole person, is informed by evidence, and makes use of all appropriate therapeutic approaches, health care professionals, and disciplines to achieve optimal health and healing.<ref>{{Cite web|url=https://smhs.gwu.edu/integrative-medicine/|title=Integrative Medicine|access-date=1 October 2021|website=GW School of Medicine and Health Sciences (SMHS)}}</ref><ref name=":02">{{Cite web|url=https://imconsortium.org/about/introduction/|title=DEFINITION OF INTEGRATIVE MEDICINE AND HEALTH|access-date=1 October 2021|website=Academic Consortium for Integrative Medicine & Health}}</ref><br />
|Die Ausübung der Medizin, die die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient bekräftigt. Sie stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt, stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und nutzt alle geeigneten therapeutischen Ansätze, Gesundheitsfachkräfte und Disziplinen, um optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen.<br />
|<br />
|-<br />
|[[National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH)]]<br />
|<br />
|There are many definitions of “integrative” health care, but all involve bringing conventional and complementary approaches together in a coordinated way. ... NCCIH generally uses the term “complementary health approaches” when we discuss practices and products of non-mainstream origin. We use “integrative health” when we talk about incorporating complementary approaches into mainstream health care.<ref>{{Cite web|url=https://nccih.nih.gov/health/integrative-health#integrative|title=Complementary, Alternative, or Integrative Health: What’s In a Name?|access-date=2 October 2021|website=National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH)}}</ref><br />
|Es gibt viele Definitionen der "integrativen" Gesundheitsfürsorge, aber bei allen geht es darum, konventionelle und komplementäre Ansätze in einer koordinierten Weise zusammenzubringen. ... Das NCCIH verwendet im Allgemeinen den Begriff "komplementäre Gesundheitsansätze", wenn wir über Praktiken und Produkte sprechen, die nicht aus dem Mainstream stammen. Wir verwenden den Begriff "integrative Gesundheit", wenn wir über die Einbeziehung komplementärer Ansätze in die reguläre Gesundheitsversorgung sprechen.<br />
|<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:World health organization (WHO)|World health organization (WHO)]]<br />
|<br />
|'''''Traditional, complementary and integrative medicine - Definitions'''''<br />
<br />
<br />
'''Traditional medicine''' - Traditional medicine has a long history. It is the sum total of the knowledge, skill, and practices based on the theories, beliefs, and experiences indigenous to different cultures, whether explicable or not, used in the maintenance of health as well as in the prevention, diagnosis, improvement or treatment of physical and mental illness.<br />
<br />
<br />
'''Complementary medicine''' - The terms “complementary medicine” or “alternative medicine” refer to a broad set of health care practices that are not part of that country’s own tradition or conventional medicine and are not fully integrated into the dominant health-care system. They are used interchangeably with traditional medicine in some countries.<br />
<br />
<br />
'''Herbal medicines''' - Herbal medicines include herbs, herbal materials, herbal preparations and finished herbal products, that contain as active ingredients parts of plants, or other plant materials, or combinations.<ref>{{Cite web|url=http://www.who.int/traditional-complementary-integrative-medicine/about/en/|archive-url=http://web.archive.org/web/20210308233417/http://www.who.int/traditional-complementary-integrative-medicine/about/en/|archive-date=8 March 2021|url-status=dead|title=Traditional, complementary and integrative medicine ; Definitions}}</ref><br />
|'''Traditionelle, komplementäre und integrative Medizin - Definitionen'''<br />
'''Traditionelle Medizin''' - Die traditionelle Medizin hat eine lange Geschichte. Sie ist die Summe des Wissens, der Fertigkeiten und der Praktiken, die auf den Theorien, Überzeugungen und Erfahrungen verschiedener Kulturen beruhen, ob erklärbar oder nicht, und die zur Erhaltung der Gesundheit sowie zur Vorbeugung, Diagnose, Verbesserung oder Behandlung von körperlichen und geistigen Krankheiten eingesetzt werden.<br />'''Komplementärmedizin''' - Die Begriffe "Komplementärmedizin" oder "Alternativmedizin" beziehen sich auf ein breites Spektrum von Gesundheitspraktiken, die nicht Teil der eigenen Tradition oder der Schulmedizin des jeweiligen Landes sind und nicht vollständig in das vorherrschende Gesundheitssystem integriert sind. In einigen Ländern werden sie austauschbar mit der traditionellen Medizin verwendet.<br />'''Pflanzliche Arzneimittel''' - Zu den pflanzlichen Arzneimitteln gehören Kräuter, pflanzliche Stoffe, pflanzliche Zubereitungen und pflanzliche Fertigprodukte, die als Wirkstoffe Pflanzenteile, andere pflanzliche Stoffe oder Kombinationen enthalten.<br />
|<br />
|-<br />
|[[:en:Benno_Brinkhaus|Brinkhaus B]] and [[:en:Tobias_Esch|Esch T]], adapted Version of the US consortium IM<br />
|2020<br />
|Integrative medicine and Health reaffirms the importance of the relationship between practitioner and patient, focuses on the whole person, is informed by evidence, and makes use of all appropriate therapeutic, preventive, health-promoting, and lifestyle approaches, healthcare professionals and disciplines to achieve optimal health and healing, emphasizing the art and science of healing. It is based on a social and democratic as well as natural and healthy environment.<ref name=":22">{{Cite |first=Benno|last=Brinkhaus|first2=Tobias|last2=Esch |chapter=Was ist integrative Medizin? |trans-chapter=What is integrative medicine?|editor-first=Benno|editor-last=Brinkhaus|editor-first2=Tobias|editor-last2=Esch |title=Integrative Medicine and Health |publisher=Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft |location=Berlin |date=2021 |ISBN=978-3-95466-422-1 |pages=9}}</ref><ref name=":3">{{Cite journal|title=Neue Definitionen der Integrativen Medizin: Alter Wein in neuen Schläuchen?|language=de|url=https://www.karger.com/Article/Pdf/506224|publisher=Karger|journal=[[Complement Med Res]]|doi=10.1159/000506224|date=2020|volume=27|pages=67–69|last=Esch|first2=Benno|last2=Brinkhaus|first=Tobias|author-link=Tobias Esch|author-link2=Benno Brinkhaus}}</ref><br />
|Integrative Medizin und Gesundheit bekräftigt die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient, stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt, ist evidenzbasiert und nutzt alle geeigneten therapeutischen, präventiven, gesundheitsfördernden und lebensstilbezogenen Ansätze, Fachkräfte und Disziplinen des Gesundheitswesens, um optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen, wobei die Kunst und Wissenschaft des Heilens im Vordergrund steht. Sie stützt sich auf eine soziale und demokratische sowie natürliche und gesunde Umwelt.<br />
|[[:en:Benno_Brinkhaus|Brinkhaus B]], [[:en:Tobias_Esch|Esch T]]<br />
|-<br />
|[[Andrew Weil Center for Integrative Medicine]]<ref name=":4">{{Internetquelle|abruf=2019-11-06|url=https://integrativemedicine.arizona.edu/about/definition.html|titel=What is Integrative Medicine?|werk=Andrew Weil Center for Integrative Medicine website}}</ref><br />
|<br />
|'''What is IM/IH?'''<br />
<br />
Integrative Medicine (IM) is healing-oriented medicine that takes account of the whole person, including all aspects of lifestyle. It emphasizes the therapeutic relationship between practitioner and patient, is informed by evidence, and makes use of all appropriate therapies.<br />
<br />
'''The Defining Principles of Integrative Medicine'''<br />
<br />
*Patient and practitioner are partners in the healing process.<br />
*All factors that influence health, wellness, and disease are taken into consideration, including mind, spirit, and community, as well as the body.<br />
*Appropriate use of both conventional and alternative methods facilitates the body's innate healing response.<br />
*Effective interventions that are natural and less invasive should be used whenever possible.<br />
*Integrative medicine neither rejects conventional medicine nor accepts alternative therapies uncritically.<br />
*Good medicine is based in good science. It is inquiry-driven and open to new paradigms.<br />
*Alongside the concept of treatment, the broader concepts of health promotion and the prevention of illness are paramount.<br />
*Practitioners of integrative medicine should exemplify its principles and commit themselves to self-exploration and self-development.<br />
|'''Was ist IM/IH?'''<br />
Integrative Medizin (IM) ist eine auf Heilung ausgerichtete Medizin, die den ganzen Menschen, einschließlich aller Aspekte des Lebensstils, in den Blick nimmt. Sie legt den Schwerpunkt auf die therapeutische Beziehung zwischen Arzt und Patient, stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und setzt alle geeigneten Therapien ein.<br />
<br />
'''Die bestimmenden Prinzipien der Integrativen Medizin'''<br />
<br />
*Patient und Behandler sind Partner im Heilungsprozess.<br />
*Alle Faktoren, die Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit beeinflussen, werden berücksichtigt, einschließlich des Geistes, der Seele und der Gemeinschaft sowie des Körpers.<br />
*Durch den angemessenen Einsatz sowohl konventioneller als auch alternativer Methoden wird die körpereigene Heilungsreaktion gefördert.<br />
*Wann immer möglich, sollten wirksame, natürliche und weniger invasive Maßnahmen eingesetzt werden.<br />
*Die integrative Medizin lehnt weder die Schulmedizin ab noch akzeptiert sie unkritisch alternative Therapien.<br />
*Gute Medizin basiert auf guter Wissenschaft. Sie ist forschungsorientiert und offen für neue Paradigmen.<br />
*Neben dem Konzept der Behandlung stehen die umfassenderen Konzepte der Gesundheitsförderung und der Prävention von Krankheiten im Vordergrund.<br />
*Praktizierende der integrativen Medizin sollten deren Grundsätze vorleben und sich zur Selbsterforschung und -entwicklung verpflichten.<br />
|<br />
|}<blockquote></blockquote><blockquote></blockquote><br />
==Literatur==<br />
<br />
*"From Complementary to Integrative Medicine and Health: Do We Need a Change in Nomenclature?" Melchart D Complement Med Res 2018;25:76-78 {{DOI|10.1159/000488623}}<br />
*{{Literatur |Autor= |Titel=Integrative Medizin |TitelErg=Evidenzbasierte komplementärmedizinische Methoden |Hrsg=Michael Frass, Lothar Krenner |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer |Ort=Berlin |Datum=2018 |ISBN=978-3-662-48878-2 |Seiten=}}<br />
<br />
==Einzelnachweisliste==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Integrative Medizin|!]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Fallbericht_(Medizin)&diff=45797
Fallbericht (Medizin)
2023-06-20T07:18:13Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Fallbericht|Zu einer allgemeinen Beschreibung siehe [[Wikipedia:anekdotische Evidenz|anekdotische Evidenz]].}}<br />
Ein klinischer '''Fallbericht''' ({{enS|case report}}) ist eine detaillierte Beschreibung medizinischer Maßnahmen und Beobachtungen an einem oder wenigen Patienten. Typischerweise wird in einem solchen Fallbericht über einen ungewöhnlichen Vorgang, eine ungewöhnliche Erkrankung, Situation, Erscheinungsbild, Therapieform, Therapieergebnis etc. berichtet.<ref name="JenicekReporting">{{Literatur |Autor=Milos Jenicek |Titel=Clinical Case Reporting in Evidence-Based Medicine |Auflage=2 |Verlag=Hodder Arnold Publication |Ort=Hamilton (Ontario)/ Montreal (Quebec) Canada |Datum=2001 |ISBN=0-340-76399-X |Sprache=en }}</ref><ref>{{Literatur |Hrsg=Miquel Porta |Titel=A Dictionary of Epidemiology |Auflage=5 |Verlag=Oxford University Press |Ort=Oxford |Datum=2008 |ISBN=978-0-19-531450-2 |Seiten=33 |Sprache=en }}</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
Fallberichte sind eine der ältesten Dokumentationsmethoden für medizinisches Wissen. Schon 1550 v. Chr. gab es in den ägyptischen Schriften Berichte über Behandlungen von einzelnen Patienten.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.medizinische-papyri.de/PapyrusEbers/html/index.html |titel=Papyrus Ebers |abruf=2016-04-15}}</ref> Die Weitergabe von medizinischem Wissen anhand von Einzelfallberichten findet sich auch bei [[Wikipedia:Hippokrates von Kos|Hippokrates]], [[Galenos|Galen]] und vielen berühmten Ärzten.<ref>{{Literatur |Hrsg=Susanne Düwell, Nicolas Pethes |Titel=Fall – Fallgeschichte – Fallstudie |Auflage=1 |Verlag=Campus Verlag |Ort=Frankfurt/ New York |Datum=2014 |ISBN=978-3-593-50102-4}}</ref> Viele wegweisende medizinische Erkenntnisse entstammen Einzelfallberichten oder [[Wikipedia:Fallserie|Fallserie]]nberichten (siehe die folgende Tabelle).<br />
{| class="wikitable"<br />
! Jahr<br />
! Thema/Titel<br />
! Publikationsart<br />
! Zeitschrift<br />
! Autor<br />
|-<br />
|1829<br />
|Erfolgreicher Fall einer [[Wikipedia:Bluttransfusion|Bluttransfusion]]<ref>{{Internetquelle |url=http://www.bloodbook.com/trans-history.html |titel=Geschichte der Bluttransfusion |datum=2005 |sprache=en |archiv-url=https://web.archive.org/web/20111007182745/http://bloodbook.com/trans-history.html |archiv-datum=2011-10-07 |offline=1 |abruf=2016-04-15}}</ref><br />
|Fallbericht<br />
|[[Wikipedia:The Lancet|Lancet]]<br />
|J. Blundell<br />
|-<br />
|1832<br />
|Über einige krankhafte Erscheinungen der absorbierenden Drüsen und der Milz (Erstbeschreibung des [[Wikipedia:Hodgkin-Lymphom|Morbus Hodgkin]])<ref>{{Literatur |Autor=Marvin J. Stone |Titel=Thomas Hodgkin: medical immortal and uncompromising idealist |Sammelwerk=Proceedings (Baylor University. Medical Center) |Band=18 |Nummer=4 |Datum=2005-10-01 |Seiten=368–375 |PMC=1255947 |PMID=16252028 |Sprache=en }}</ref><br />
|Fallserie mit 7 Patientenberichten<br />
|Med. Chir. Transact.<br />
|T. Hodgkin<br />
|-<br />
|1934<br />
|Behandlung einer [[Wikipedia:Myasthenia gravis|Myasthenia gravis]] mit [[Wikipedia:Physostigmin|Physostigmin]]<ref>{{Literatur |Autor=M. B. Walker |Titel=Treatment of myasthenia gravis with physostigmine |Sammelwerk=Lancet |Nummer=1 |Datum=1934 |Seiten=1200–1201 |Sprache=en |Online=https://www.jameslindlibrary.org/walker-mb-1934/}}</ref><br />
|Fallbericht<br />
|Lancet<br />
|M. B. Walker<br />
|-<br />
|1947<br />
|Beseitigung von langanhaltendem Kammerflimmern durch elektrischen Schock ([[Wikipedia:Defibrillation|Defibrillation]])<ref>{{Literatur |Autor=C. S. Beck, W. H. Pritchard, H. S. Feil |Titel=Ventricular fibrillation of long duration abolished by electric shock |Sammelwerk=Journal of the American Medical Association |Band=135 |Nummer=15 |Datum=1947-12-13 |Seiten=985 |PMID=20272528 |Sprache=en }}</ref><br />
|Fallbericht<br />
|[[Wikipedia:Journal of the American Medical Association|JAMA]]<br />
|C. S. Beck<br />
|-<br />
|1961<br />
|[[Wikipedia:Thalidomid|Thalidomid]] und angeborene Fehlbildungen<ref>{{Literatur |Autor=G. S. Somers |Titel=Thalidomide and congenital abnormalities |Sammelwerk=Lancet (London, England) |Band=1 |Nummer=7235 |Datum=1962-04-28 |Seiten=912–913 |PMID=13915092 |Sprache=en }}</ref><br />
|Fallserie<br />
|Lancet<br />
|W. G. McBride<br />
|-<br />
|1967<br />
|Eine humane [[Wikipedia:Herztransplantation|Herztransplantation]]: ein Zwischenbericht einer erfolgreichen Operation am Groote Schuur Hospital, Cape Town<ref>{{Literatur |Autor=A. T. Cheong, E. M. Khoo |Titel=Missing an Osteoporotic Vertebral Fracture |Sammelwerk=Malaysian Family Physician: the Official Journal of the Academy of Family Physicians of Malaysia |Band=4 |Nummer=1 |Datum=2009-04-30 |ISSN=1985-207X |Seiten=33–36 |PMC=4170370 |PMID=25606157 |Sprache=en }}</ref><br />
|Fallbericht<br />
|S. Afr<br />
<br />
Med J<br />
|C. N. Barnard<br />
|-<br />
|1981<br />
|''Pneumocystis-carinii''-Pneumonie und [[Wikipedia:Kandidose|Candidiasis]] der Schleimhäute bei zuvor gesunden homosexuellen Männern: Hinweis auf eine neu erworbene zelluläre Immundefizienz ([[Wikipedia:AIDS|AIDS]])<ref>{{Literatur |Autor=M. S. Gottlieb, R. Schroff, H. M. Schanker, J. D. Weisman, P. T. Fan, R. A. Wolf, A. Saxon |Titel=Pneumocystis carinii pneumonia and mucosal candidiasis in previously healthy homosexual men: evidence of a new acquired cellular immunodeficiency |Sammelwerk=N Engl J Med |Band=305 |Nummer=24 |Datum=1981 |Seiten=1425–1431 |Sprache=en }}</ref><br />
|Fallserie<br />
|[[Wikipedia:The New England Journal of Medicine|NEJM]]<br />
|M. S. Gottlieb<br />
|-<br />
|2008<br />
|[[Wikipedia:Propranolol|Propranolol]] für kindliche [[Wikipedia:Hämangiom|Hämangiom]]e<ref>{{Literatur |Autor=Christine Léauté-Labrèze, Eric Dumas de la Roque, Thomas Hubiche, Franck Boralevi, Jean-Benoît Thambo |Titel=Propranolol for severe hemangiomas of infancy |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=358 |Nummer=24 |Datum=2008-06-12 |Seiten=2649–2651 |DOI=10.1056/NEJMc0708819 |PMID=18550886 |Sprache=en }}</ref><br />
|Fallbericht und Fallserie<br />
|NEJM<br />
|C. Léauté-Labrèze<br />
|}<br />
<br />
== Aktuelle Entwicklungen ==<br />
[[Datei:The rise in non-systematic reviews, case reports, trials, and systematic reviews, 1950 to 2007 (as identified in MEDLINE).jpg|mini|Der Verlauf der Häufigkeit von nicht-systematischen Übersichtsarbeiten, Fallberichten (Case Reports), Studien (Trials) und systematischen Übersichtsarbeiten in den Jahren 1950 bis 2007 (aus MEDLINE)]]<br />
In den letzten Jahrzehnten hat die Anzahl an publizierten Fallberichten stetig zugenommen (siehe Grafik). Neben der Vielzahl an Besprechung des besonderen Nutzens von Fallberichten mag auch die einfache Publikationsmöglichkeit mittels elektronischer Zeitschriften ein maßgeblicher Grund dafür sein.<ref>{{Literatur |Autor=Hilda Bastian, Paul Glasziou, Iain Chalmers |Titel=Seventy-five trials and eleven systematic reviews a day: how will we ever keep up? |Sammelwerk=PLoS medicine |Band=7 |Nummer=9 |Datum=2010-09-01 |Fundstelle=Artikel e1000326 |DOI=10.1371/journal.pmed.1000326 |PMC=2943439 |PMID=20877712 |Sprache=en }}</ref><br />
<br />
=== CAse-REport-Leitlinie und Fallberichte in der Evidenzbasierten Medizin ===<br />
2013 wurde eine internationale konsensusbasierte Publikationsleitlinie für Fallberichte –&nbsp;die CARE-Leitlinie<ref>{{Literatur |Autor=Joel J. Gagnier, David Riley, [[Wikipedia:Doug Altman|Douglas G. Altman]], David Moher, Harold Sox |Titel=The CARE guidelines: consensus-based clinical case reporting guideline development |Sammelwerk=Deutsches Ärzteblatt International |Band=110 |Nummer=37 |Datum=2013-09-01 |Seiten=603–608 |DOI=10.3238/arztebl.2013.0603 |PMC=3784031 |PMID=24078847 |Sprache=en }}</ref> &nbsp;– parallel in mehreren Zeitschriften publiziert: ''[[Wikipedia:The BMJ|The BMJ]] Case Reports, [[Wikipedia:Deutsches Ärzteblatt|Deutsches Ärzteblatt]], Global Advances in Health and Medicine, Headache, [[Journal of Clinical Epidemiology]], Journal of Dietary Supplements, [[Journal of Medical Case Reports]]''.<br />
<br />
Die Leitlinie gibt Angaben für Bereiche, die ein vollständiger Fallbericht enthalten soll, diskutiert die Rolle von Fallberichten in der [[Evidenzbasierte Medizin|Evidenzbasierten Medizin]] (EbM) und zeigt weiterführende Fragen, wie die Kausalitätsbeurteilung am Einzelfall oder der Übertragbarkeit von Ergebnissen eines Falls auf andere Fälle auf. Die Leitlinie wurde in die Reihe der Publikationsleitlinien des EQUATOR-Netzwerkes<ref>[http://equator-network.com/ EQUATOR]</ref> aufgenommen. Unter einer eigenen Website zur CARE-Leitlinie<ref>[http://care-statement.org/ CARE-Leitlinie]</ref> sind Materialien zur Fallberichterstellung zusammengestellt. In der Evidenzbasierten Medizin wurden vermehrt Beiträge zur Rolle von Fallberichten von dem EbM-Mitbegründer [[Milos Jenicek]] verfasst.<ref name="JenicekReporting" /><ref>{{Literatur |Autor=Milos Jenicek |Titel=Writing, Reading, and Understanding in Modern Health Sciences: Medical Articles and Other Forms of Communication |Auflage=1. |Verlag=Apple Academic Press |Datum=2014 |Seiten=119–142}}</ref><br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Erhebungsmethode (Klinische Forschung)]]<br />
[[Kategorie:Medizingeschichte]]{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Wolfgang_Schad&diff=45751
Wolfgang Schad
2023-03-29T09:13:00Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>[[Datei:Schad, Wolfgang.png|miniatur|180px|Wolfgang Schad]]'''Wolfgang Schad''' (* [[Wikipedia:27. Juli|27. Juli(w)]] [[Wikipedia:1935|1935(w)]] in [[Wikipedia:Biberach an der Riß|Biberach an der Riß(w)]]) ist ein deutscher [[Wikipedia:Evolutionsbiologe|Evolutionsbiologe(w)]], [[Goetheanismus|Goetheanist]] und [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposoph(w)]].<br />
<br />
==Leben==<br />
Nach langjähriger Tätigkeit als [[Wikipedia:Waldorfschule|Waldorflehrer(w)]] an der Goetheschule in [[Wikipedia:Pforzheim|Pforzheim(w)]] wurde Wolfgang Schad 1975 Dozent am Seminar für [[Wikipedia:Waldorfpädagogik|Waldorfpädagogik(w)]] in [[Wikipedia:Stuttgart|Stuttgart(w)]]. Daneben war er Mitarbeiter der Pädagogischen Forschungsstelle des [[Wikipedia:Bund der Freien Waldorfschulen| Bundes der Freien Waldorfschulen(w)]] in Stuttgart, die er zeitweilig leitete.<br />
<br />
1992 übernahm Schad –&nbsp;obwohl noch nicht [[Wikipedia:Promotion (Doktor)|promoviert(w)]]&nbsp;– den eigens gegründeten Lehrstuhl für [[Wikipedia:Evolutionsbiologie|Evolutionsbiologie(w)]] und [[Wikipedia:Morphologie (Biologie)|Morphologie(w)]] an der [[Wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Privatuniversität Witten/Herdecke(w)]]. Seine [[Wikipedia:Dissertation|Dissertation(w)]] reichte er nach. Die Gründung des Lehrstuhls wurde durch den [[Wikipedia:Mäzen|Mäzen(w)]] [[Wikipedia:Karl Ludwig Schweisfurth|Karl Ludwig Schweisfurth(w)]] ermöglicht, nach dem auch das Institut benannt wurde.<br />
<br />
Inzwischen ist Schad emeritiert und Bernd Rosslenbroich hat die Institutsleitung übernommen.<ref>Universität Witten/Herdecke Fakultät für Gesundheit: ''[https://www.uni-wh.de/gesundheit/department-fuer-humanmedizin/lehrstuehle-institute-und-zentren/institut-fuer-evolutionsbiologie/ Institut für Evolutionsbiologie]''</ref><br />
<br />
==Werk==<br />
In seinem Hauptwerk ''Säugetiere und Mensch'' (1971) übertrug Schad [[Rudolf Steiner]]s Idee der „Dreigliederung des menschlichen Organismus“ im Sinne einer vergleichenden [[Wikipedia:Morphologie (Biologie)|Morphologie(w)]] auf die [[Wikipedia:Säugetiere|Säugetiere(w)]].<br />
<br />
Von 1982 bis 1985 gab Schad vier Sammelbände mit Werken diverser Autoren unter dem Titel ''Goetheanistische Naturwissenschaft'' im (anthroposophischen) [[Wikipedia:Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus|Verlag Freies Geistesleben(w)]] heraus. Damit etablierte er den Begriff [[Goetheanismus]] im Umfeld der Anthroposophie.<br />
<br />
In anthroposophischen Publikationsorganen erschienen zahlreiche Arbeiten von Schad. Nur ganz vereinzelt schrieb er auch für nicht-anthroposophische Organe.<br />
<br />
==Publikationen (Auswahl)==<br />
<br />
*''Säugetiere und Mensch. Zur Gestaltbiologie vom Gesichtspunkt der Dreigliederung''. Freies Geistesleben (Menschenkunde und Erziehung 26), Stuttgart 1971, ISBN 978-3772511509<br />
**Erweiterte Neuauflage (mit Heinrich Brettschneider und Albrecht Schad), Stuttgart 2012<br />
*''Blütenspaziergänge. Übungen im Naturbetrachten'' (mit Ekkehard Schweppenhäuser). Verlag am Goetheanum, Dornach 1975; 2. erg. A.: Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1986, ISBN 978-3596255542<br />
*''Mensch und Landschaft Afrikas. Zur Ökogeographie, Biologie und Völkerkunde'' (mit [[Jochen Bockemühl]] und [[Andreas Suchantke]]). Freies Geistesleben, Stuttgart 1978, ISBN 978-3772506772<br />
*''Die Geschlechtlichkeit des Menschen. Gesichtspunkte zu ihrer pädagogischen Behandlung'' (mit Andreas Suchantke und [[Stefan Leber]]). Freies Geistesleben (Menschenkunde und Erziehung 39), Stuttgart 1981; 2. erw. A. ebd. 1989, ISBN 978-3772502392<br />
*''Die Vorgeburtlichkeit des Menschen. Der Entwicklungsgedanke in der Embryologie''. Urachhaus, Stuttgart 1982, ISBN 978-3878383512<br />
*''Vom Leben im Lichtraum''. Goetheanistische Naturwissenschaft Band 3 Zoologie, Stuttgart 1983, Seite 42–49.<br />
*''Stauphänomene am menschlichen Knochenbau''. Goetheanistische Naturwissenschaft Band 4 Anthropologie, Stuttgart 1985, Seite 9–29.<br />
*''Gestaltmotive der fossilen Menschenformen''. Goetheanistische Naturwissenschaft Band 4 Anthropologie, Stuttgart 1985, Seite 57–152.<br />
*''Die Ohrorganisation''. Goetheanistische Naturwissenschaft Band 4 Anthropologie, Stuttgart 1985, Seite 174–189.<br />
*''Dynamische Morphologie von Herz und Kreislauf''. Goetheanistische Naturwissenschaft Band 4 Anthropologie, Stuttgart 1985, Seite 190–206.<br />
*''Verantwortbare Freiheit aus Menschenverständnis. Zur individuellen und gesellschaftlichen Problemlage des Schwangerschaftsabbruchs''. Freies Geistesleben (Studien und Versuche 34), Stuttgart 1992,<br />
*''Erziehung ist Kunst. Pädagogik aus Anthroposophie''. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1986; 3. erw. A.: Freies Geistesleben, Stuttgart 1994, ISBN 3-596-25558-9<br />
*''Ökologie'' (mit Andreas Suchantke). Verlag Freies Geistesleben, Januar 1998, ISBN 978-3772509094<br />
*''Goethes Weltkultur'' (= Gesammelte Schriften 1). Freies Geistesleben, Stuttgart 2007, ISBN 3-7725-1971-7<br />
*''Die Evolution des Menschen aus der Sicht von Naturwissenschaft und Anthroposophie''. 2 Vorträge auf 2 Audio-CDs. Sentovision, Basel 2007, ISBN 978-3-03752-033-8<br />
*''Offene Evolution''. 2 Vorträge auf 2 Audio-CDs. Sentovision, Basel 2008, ISBN 978-3-03752-051-2<br />
*''Evolution als Verständnisprinzip in Kosmos, Mensch und Natur''. Stuttgart 2009, ISBN 978-3-7725-1809-6<br />
*Andreas Suchantke, Wolfgang Schad: Ökologie. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1998, ISBN 978-3-7725-0909-4<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*{{DNB-Portal|134239571}}<br />
*[https://www.urachhaus.de/Autoren/Prof-Dr-Wolfgang-Schad.html Kurzbiografie mit Veröffentlichungen und Foto], Website des Verlags Urachhaus<br />
*[https://www.youtube.com/watch?v=RZj9t1PSmSE Podiumsgespräch mit Wolfgang Schad und Hans-Peter Dürr]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references></references><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=p|GND=134239571|LCCN=n/79/34896|VIAF=93638976}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Schad, Wolfgang}}<br />
[[Kategorie:Naturwissenschaftler]]<br />
[[Kategorie:Evolutionsbiologe]]<br />
[[Kategorie:Anthroposoph:in]]<br />
[[Kategorie:Reformpädagoge]]<br />
[[Kategorie:Pädagoge (20. Jahrhundert)]]<br />
[[Kategorie:Pädagoge (21. Jahrhundert)]]<br />
[[Kategorie:Hochschullehrer (Witten)]]<br />
[[Kategorie:Deutscher]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1935]]<br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
<br />
{{Personendaten<br />
|NAME=Schad, Wolfgang<br />
|ALTERNATIVNAMEN=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=deutscher Evolutionsbiologe, Goetheanist und Anthroposoph<br />
|GEBURTSDATUM=27. Juli 1935<br />
|GEBURTSORT=[[Wikipedia:Biberach an der Riß|Biberach an der Riß(w)]]<br />
|STERBEDATUM=<br />
|STERBEORT=<br />
}}<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
[[Kategorie:Professor:in]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Arznei-Engelwurz&diff=45742
Arznei-Engelwurz
2023-03-04T07:43:52Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div><!-- Für Informationen zum Umgang mit dieser Vorlage siehe bitte [[Wikipedia:Taxoboxen]]. --><br />
{{Taxobox<br />
| Taxon_Name = Arznei-Engelwurz<br />
| Taxon_WissName = Angelica archangelica<br />
| Taxon_Rang = Art<br />
| Taxon_Autor = [[Carl von Linné|L.]]<br />
| Taxon2_Name = Engelwurzen<br />
| Taxon2_WissName = Angelica<br />
| Taxon2_Rang = Gattung<br />
| Taxon3_WissName = Apioideae<br />
| Taxon3_Rang = Unterfamilie<br />
| Taxon4_Name = Doldenblütler<br />
| Taxon4_WissName = Apiaceae<br />
| Taxon4_Rang = Familie<br />
| Taxon5_Name = Doldenblütlerartige<br />
| Taxon5_WissName = Apiales<br />
| Taxon5_Rang = Ordnung<br />
| Taxon6_Name = Euasteriden II<br />
| Taxon6_LinkName = Asteriden#Campanuliden<br />
| Taxon6_Rang = ohne<br />
| Bild = AngelicaArchangelica1.jpg<br />
| Bildbeschreibung = <br />
}}<br />
<br />
Die '''Arznei-Engelwurz''' oder '''Echte Engelwurz''' (''Angelica archangelica'') ist eine [[Wikipedia:Art (Biologie)|Pflanzenart]] innerhalb der Familie der [[Wikipedia:Doldenblütler|Doldenblütler]] (Apiaceae). Sie ist in den kühl-gemäßigten bis subarktischen Breiten auf der [[Wikipedia:Nordhalbkugel|Nordhalbkugel]] weitverbreitet und wird in der [[Wikipedia:Heilkunde|Heilkunde]] verwendet und sollte nicht mit dem [[Wikipedia:Riesen-Bärenklau|Riesen-Bärenklau]] verwechselt werden.<br />
<br />
== Beschreibung und Ökologie ==<br />
<br />
[[Datei:Angelica archangelica - Köhler–s Medizinal-Pflanzen-158.jpg|mini|links|Illustration aus Köhler's Medizinalpflanzen]]<br />
[[Datei:Archangelica officinalis a1.jpg|mini|Arznei-Engelwurz (''Angelica archangelica'')]]<br />
[[Datei:Angelica archangelica spring.jpg|mini|Gestielte Laubblätter]]<br />
<br />
=== Erscheinungsbild und Blätter ===<br />
<br />
Die Arznei-Engelwurz ist eine sommergrüne<ref name="FloraWeb" />, [[Wikipedia:zweijährige Pflanze|zwei-]] bis vierjährige, nur einmal blühende ([[Wikipedia:Hapaxanthe Pflanze|Hapaxanthe Pflanze]]) [[Wikipedia:Staude|Staude]] und erreicht Wuchshöhen von 1,2 bis 3 Meter, selten nur 50 Zentimeter. Sie besitzt eine dicke, manchmal gegabelte [[Wikipedia:Pfahlwurzel|Pfahlwurzel]], die bei Wildpflanzen oft rübenförmig ausgebildet ist, bei Kulturpflanzen meist kurz und mit vielen [[Wikipedia:Adventivbildung|Adventivwurzeln]] besetzt ist. Die aufrechte [[Wikipedia:Sprossachse|Sprossachse]] (Stängel) ist zumindest an seiner Basis stielrund, schwach gerillt, innen markig-hohl, oben verzweigt und schmeckt sowie riecht würzig.<br />
<br />
Die grundständigen [[Wikipedia:Blatt (Pflanze)|Laubblätter]] sind lang gestielt. Die Stiele der oberen Stängelblätter sind als weite, knospenumfassende [[Wikipedia:Blattscheide|Blattscheide]]n ausgebildet und haben eine weniger stark zerteilte [[Wikipedia:Blatt (Pflanze)#Blattspreite|Spreite]] als die unteren. Die meisten Blätter sind zwei- bis dreifach gefiedert, ihre Spreite ist hellgrün und oft 60 bis 90 Zentimeter lang. Die einzelnen Fiederabschnitte sind 5 bis 8 Zentimeter lang, eiförmig sowie am Rand grob und unregelmäßig gezähnt. Die Endfieder an der Blattspitze ist dreispaltig – im Gegensatz zur [[Wikipedia:Wald-Engelwurz|Wald-Engelwurz]] (''Angelica sylvestris''). Die [[Wikipedia:Blatt (Pflanze)#Blattstiele|Blattstiele]] sind rund und hohl. Die Blattscheiden sind fast ganz [[Wikipedia:Krautige Pflanze|krautig]] (''Angelica archangelica'' subsp. ''archangelica'') bzw. häutig (Unterart ''Angelica archangelica'' subsp. ''litoralis'').<br />
<br />
[[Datei:Angelica archangelica - Iceland - 20070708b.jpg|mini|Doppeldoldiger Blütenstand von oben mit vielen Insekten]]<br />
<br />
=== Blütenstand, Blüte und Frucht ===<br />
<br />
Die endständigen, halbkugeligen, [[Wikipedia:Dolde|doppeldoldigen]] [[Wikipedia:Blütenstand|Blütenstände]] enthalten viele Blüten. Die Doldenstiele sind nur in den obersten Bereichen behaart. Es gibt 20 bis 40 Doldenstrahlen, sie sind mindestens an den Innenseiten rau-flaumig. Eine Doldenhülle ist meist nicht vorhanden. Die Hüllchenblätter sind zahlreich, von lineal-pfriemlicher Form und kürzer als bis gleich lang wie das Döldchen.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Hermaphroditismus#Hermaphroditismus bei Pflanzen|zwittrig]]en [[Wikipedia:Blüte|Blüte]]n sind fünfzählig mit doppelter [[Wikipedia:Blütenhülle|Blütenhülle]]. Die fünf [[Wikipedia:Kelchblatt|Kelchzähne]] sind undeutlich ausgebildet. Die fünf grünlich-weißen bis gelblichen [[Wikipedia:Kronblatt|Kronblätter]] sind nicht genagelt und bei einer Länge von 1 bis 1,5 Millimeter sowie einer Breite von 0,75 bis 1,25 Millimeter elliptisch und oben in eine eingebogene Spitze verschmälert. Die [[Wikipedia:Griffel (Botanik)|Griffel]] sind während der [[Wikipedia:Blüte#Anthese|Anthese]] kurz. Die Blüten duften nach Honig und werden durch Insekten bestäubt. Die Blütezeit reicht von Juni bis August.<br />
<br />
Die blassgelbe [[Wikipedia:Spaltfrucht|Spaltfrucht]], in dieser Familie auch [[Wikipedia:Doldenblütler#Früchte und Samen|Doppelachäne]] genannt, ist bei einer Länge von 5 bis 8 Millimeter sowie einer Breite von 3,5 bis 5 Millimeter breit-elliptisch. Die rückenständigen Hauptrippen sind fädlich bis leicht gekielt und leicht vorspringend. Die Randrippen sind flügelig ausgebildet und relativ dick. Die Ölstriemen sind zahlreich, klein und umgeben das Nährgewebe ringförmig. Die [[Wikipedia:Griffel (Botanik)|Griffel]] sind zur Fruchtreife zurückgebogen, bis 2 Millimeter lang, dabei doppelt so lang wie das Griffelpolster.<br />
<br />
=== Chromosomenzahl ===<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Chromosom#Chromosomenzahl|Chromosomenzahl]] beträgt für beide Unterarten 2n = 22.<ref name="Oberdorfer2001" /><ref name="IPCN" /><br />
<br />
== Vorkommen ==<br />
<br />
[[Datei:angelica litoralis.jpeg|mini|Küsten-Engelwurz (''Angelica archangelica'' subsp. ''litoralis'')]]<br />
Die Arznei-Engelwurz ist in Nord- und Osteuropa sowie Sibirien, im Himalaya, im südlichen Grönland und in Nordamerika verbreitet. Ursprünglich kommt sie vor in Dänemark, Norwegen, Schweden, Island, Finnland, in den Niederlanden, in Deutschland, Tschechien, im Baltikum, in der Slowakei, im europäischen Russland, in Weißrussland, in der Ukraine, Moldawien, Serbien, Kroatien, Georgien, im Kaukasusraum und in Sibirien.<ref name="GRIN" /><br />
Sie kommt in Mitteleuropa eher selten und nur an feuchten Standorten vor. Sie wird auch kultiviert.<br />
<br />
Die Arznei-Engelwurz wächst in feuchten Wiesen, an Ufern. Sie kommt hauptsächlich auf nassen, zeitweise überschwemmten, nährstoffreichen [[Wikipedia:Ton (Bodenart)|Tonböden]] vor.<br />
<br />
== Systematik ==<br />
<br />
Die Erstveröffentlichung von ''Angelica archangelica'' erfolgte 1753 durch [[Carl von Linné]] in ''[[Wikipedia:Species Plantarum|Species Plantarum]]'' 1, S. 250–251.<ref name="biodiversitylibrary" /> [[Wikipedia:Synonym (Taxonomie)|Synonyme]] für ''Angelica archangelica'' {{Person|L.}} sind ''Archangelica norvegica'' {{Person|Rupr.}} und ''Archangelica officinalis'' {{Person|Hoffm.}}<ref name="tropicos" /><br />
<br />
Innerhalb der Art ''Angelica archangelica'' werden zwei Unterarten unterschieden:<br />
* ''Angelica archangelica'' subsp. ''archangelica'', die [[Wikipedia:Nominotypisches Taxon|Nominatform]], besitzt linealische Hüllchenblättchen, die gleich lang wie die Döldchen sind. Der Stängel ist weich und saftig, schmeckt und riecht würzig. Sie wird als Gewürz- und Heilpflanze angebaut. Ihre Heimat ist Nord- und Osteuropa, die Sudeten und Karpaten. Sie kommt ursprünglich vor in Dänemark, Norwegen Schweden, Finnland, Island, auf den Färöer-Inseln, in den Niederlanden, Deutschland, Tschechien, Slowakei, Litauen, Lettland, Estland, im europäischen Russland und im Kaukasusraum, Weißrussland, Ukraine und in Kroatien.<ref name="Euro+Med" /> In Großbritannien, Belgien und Frankreich ist sie ein Neophyt.<ref name="Euro+Med" /> Sie ist in Mitteleuropa eine Charakterart des Senecion fluviatilis-Verbands.<ref name="Oberdorfer2001" /><br />
* Küsten-Engelwurz (''Angelica archangelica'' subsp. ''litoralis'' {{Person|(Fr.) Thell.}}, Syn.: ''Angelica litoralis'' {{Person|Fr.}}) mit pfriemlichen Hüllchenblättern, die etwa halb so lang sind wie das Döldchen. Der Stängel ist hart, schmeckt und riecht scharf und stechend. Die Unterart ist an den Küsten Nordeuropas verbreitet, ansonsten sehr selten. Sie kommt ursprünglich vor in Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Island, Deutschland, Estland, im europäischen Russland und auf den Färöer-Inseln.<ref name="Euro+Med" /> An den Donauufern flussabwärts bis etwa Wien tritt sie als [[Wikipedia:Neobiota|Neophyt]] auf, wobei die Zugehörigkeit der Populationen zu dieser Unterart nicht vollständig geklärt ist.<ref name="Fischer2008" /> Sie wächst an feuchten Ufern und in Gebüschen und ist salzertragend ([[Wikipedia:Halophile|halophil]] bzw. halotolerant). Sie ist eine Charakterart des Convolvulo-Archangelicetum litoralis.<ref name="Oberdorfer2001" /><br />
<br />
Für Norddeutschland wird diskutiert, welche der beiden Unterarten im Gebiet vorkommen. Für Mecklenburg-Vorpommern und auch Niedersachsen wird angenommen, dass die vorherrschende Unterart entlang von Flussläufen und Kanälen ''Angelica archangelica'' ssp. ''litoralis'' ist, während die Nominatform im Gebiet wohl nur in wenigen Einzelexemplaren auftritt.<ref>Eckhard Garve: ''Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen und Bremen.'' In: ''Landschaftspflege und Naturschutz in Niedersachsen.'' 43, 2007, S.&nbsp;35, {{ISSN|0933-1247}}</ref><ref>H. Henker, H. Kiesewetter: ''Erstnachweise kritischer Pflanzensippen für Mecklenburg-Vorpommern.''In: ''Botanischer Rundbrief für Mecklenburg-Vorpommern.'' 41, 2006, S.&nbsp;5–20 (zitiert in Garve 2007).</ref><br />
<br />
Umstritten ist auch die Zuordnung der Populationen in Süddeutschland, da die Pflanzen in ihren Merkmalen vermitteln. So wurden die Vorkommen in Verlandungsröhrichten und -rieden der Donau-Altwässer 2011 als [[Wikipedia:Autochthone Art|autochthon]] eingestuft und zu ''Angelica archangelica'' subsp. ''archangelica'' gestellt.<ref name="Scheuerer">Martin Scheuerer, Wolfgang Diewald, Wolfgang Ahlmer, Franz Leibl & Carsten Rüther: ''Liste der Gefäßpflanzen im Landkreis Straubing-Bogen''. In: ''Der Bayerische Wald'', 23. Jahrgang (Neue Folge) Heft 1+2 / Februar 2011</ref><br />
<br />
[[Datei:Angelicae radix 021014.jpg|mini|Arznei-Engelwurz in Form der Wurzeldroge (Angelicae radix)]]<br />
[[Datei:Two Angelica Fádno Sámi instruments.jpg|mini|''[[Wikipedia:Fadno|Fadno]]'', das einzige traditionelle Blasinstrument der [[Wikipedia:Samen (Volk)|Samen]], aus dem grünen Stängel geschnitten.]]<br />
<br />
== Giftigkeit und Inhaltsstoffe ==<br />
<br />
Die Arznei-Engelwurz gilt als schwach giftig.<ref name="Roth2012" /><ref name="Schönfelder2011" /><br />
<br />
=== Inhaltsstoffe ===<br />
<br />
Hauptwirkstoff im frischen Rhizom und in den getrockneten Wurzeln ist 0,1–0,37 % [[Wikipedia:Exaltolid|15-Oxypentadecenlacton]]. Weitere Inhaltsstoffe und Wirkstoffe: 0,35–1 % [[Wikipedia:ätherische Öle|ätherische Öle]] ebenfalls mit 15-Oxypentadecenlacton als Hauptkomponente. Ferner die [[Wikipedia:Cumarin|Cumarin]]e: [[Angelicin]], [[Wikipedia:Bergapten|Bergapten]], [[Imperatorin]] [[Osthol]], [[Osthenol]], [[Wikipedia:Xanthotoxin|Xanthotoxin]], [[Xanthotoxol]] und [[Umbelliprenin]].<ref name="Roth2012" /><ref name="Schönfelder2011" /><br />
<br />
Das Rhizom enthält 0,35 bis 1,3 % [[Wikipedia:ätherische Öle|ätherische Öle]], das sich vorwiegend aus [[Wikipedia:Terpene#onoterpene|Monoterpenen]] zusammensetzt. Die wichtigsten Bestandteile sind β-[[Wikipedia:Phellandren|Phellandren]] (13 bis 28 %), α-Phellandren (2 bis 14 %) und α-[[Wikipedia:Pinene|Pinene]] (14 bis 31 %). Daneben wurden über 60 weitere Komponenten identifiziert. Ein kleiner Teil des ätherischen Öls besteht aus [[Wikipedia:Terpene#Sesquiterpene|Sesquiterpenen]], etwa [[Wikipedia:β-Bisabolen|β-Bisabolen]], [[(–)-α-Bisabolol]], β-[[Wikipedia:Caryophyllene|Caryophyllen]], und aus [[Wikipedia:Makrocyclische Verbindungen|makrocyclischen]] [[Wikipedia:Lactone|Lactone]]n. Weitere Bestandteile sind rund 20 [[Wikipedia:Wiesengräserdermatitis|photosensibilisierende]] [[Wikipedia:Furocumarine|Furocumarine]], darunter [[Wikipedia:Bergapten|Bergapten]], [[Imperatorin]], [[Wikipedia:Xanthotoxin|Xanthotoxin]], [[Angelicin]], [[Archangelicin]], oder die C-prenylierten Cumarine Osthenol und Osthol, Umbelliferon.<ref name="Wichtl" /> Außerdem enthalten die Wurzeln [[Wikipedia:Angelicasäure|Angelica-]] und [[Wikipedia:Fumarsäure|Fumarsäure]], [[Wikipedia:Chlorogensäure|Chlorogen-]] und [[Wikipedia:Kaffeesäure|Kaffeesäure]], Harze und [[Flavanone]].<ref name="awlCh" /><br />
<br />
=== Wirkungen beim Menschen ===<br />
<br />
Wirkungen auf die Haut: Die fluoreszierenden [[Wikipedia:Furocumarine|Furocumarine]] als [[Wikipedia:Phototoxie|phototoxische]] Substanzen können auf der Haut eine [[Wikipedia:Dermatitis|Dermatitis]] bewirken, die schwere Störungen des Allgemeinbefindens zur Folge haben kann. Auf frisch gemähten Wiesen kann die Berührung mit dem Saft der Pflanze die sogenannte „Badedermatitis“ hervorrufen, ähnlich wie beim [[Wikipedia:Wiesen-Bärenklau|Wiesen-Bärenklau]] (''Heracleum sphondylium'').<ref name="Roth2012" /><ref name="Schönfelder2011" /> Sehr empfindliche Menschen können bei Hautkontakt mit frischem Pflanzensaft gegen Sonnenlicht sensibilisiert werden ''(Angelicadermitis)''.<ref name="Hager1972" /><br />
<br />
Pharmakologische Wirkung: Es sind Vergiftungen bei der Anwendung größerer Dosen von Radix bzw. Oleum Angelicae zur Abtreibung bekannt.<ref name="Roth2012" /><ref name="Schönfelder2011" /><br />
<br />
== Verwendung ==<br />
<br />
=== Kulinarische Verwendung ===<br />
<br />
Das Öl aus Wurzeln und Samen ist Bestandteil von [[Wikipedia:Likör|Kräuterlikören]] und Bitterschnäpsen, wie [[Wikipedia:Boonekamp|Boonekamp]], [[Wikipedia:Bénédictine|Bénédictine]] und [[Wikipedia:Chartreuse (Likör)|Chartreuse]].<ref name="Wichtl"/> Kandierte Stängel werden als Süßigkeit und als Verzierung für Backwaren angeboten. Engelwurz ist auch Bestandteil des Schneeberger Schnupftabaks.<ref name="Heyland2006" /> Mit den Früchten werden Wermutwein, Gin und [[Wikipedia:Chartreuse (Likör)|Chartreuse]] aromatisiert.<ref name="Heyland2006" /> [[Wikipedia:Gerhard Madaus|Madaus]] nennt auch einen „Choleralikör“. Die [[Wikipedia:Samen (Volk)|Samen]] essen sie noch heute, bei den [[Wikipedia:Grönland#Grönländer|Grönländern]] sei sie nach Rikli fast die einzige pflanzliche Kost.<br />
<br />
=== Verwendung in der Medizin ===<br />
<br />
Verwendung finden vor allem die unterirdischen Pflanzenteile (als [[Wikipedia:Droge (Pharmazie)|Droge]] Angelicae radix), die Bitterstoffe und ätherische Öle enthält, also zu den Amara-Drogen gehört. Alkoholische Auszüge oder Tees werden gegen Appetitlosigkeit<ref name="hoffmann"> {{Literatur|Autor=[[David Hoffmann (Autor)|David Hoffmann]]|Titel=Natürlich gesund – Kräutermedizin|TitelErg=Über 200 Kräuter und Heilpflanzen und ihre Wirkung auf die Gesundheit|Hrsg=[[Element Books]]|Auflage=1|Verlag=Element Books|Ort=[[Wikipedia:Shaftesbury (Dorset)|Shaftesbury]], [[Wikipedia:England|England]], [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|Vereinigtes Königreich]]|Datum=1996|Sprache=de|Umfang=256|Kapitel=Teil Drei: Das Pflanzenverzeichnis|Seiten=60|Originaltitel=The Complete Illustrated Holistic Herbal|Originaljahr=1996|Originalort=Shaftesbury, England|Originalsprache=en|Übersetzer=Mosaik Verlag}} </ref>, leichte Magen- und Darmkrämpfe, Völlegefühl und Blähungen<ref name="hoffmann" /> eingesetzt. Engelwurz wirkt [[Wikipedia:Karminativum|karminativ]], antimikrobiell bzw. antibiotisch<ref>Franz Mauermann: ''Angelica archangelica L. Eine wenig beachtete antibiotisch wirkende Heilpflanze aus paracelsischer Zeit.'' In: Sepp Domandl (Hrsg.): ''Paracelsus Werk und Wirkung. Festschrift für Kurt Goldammer.'' Wien 1975, S. 133–142; hier: S. 140 f.</ref> und regt die Magensaft- und [[Bauchspeicheldrüse]]n-Sekretion an.<ref name="Dörfler1984" /><br />
<br />
Arznei-Engelwurz könne bei [[Wikipedia:Anorexia nervosa|Anorexia nervosa]] (Magersucht) verwendet werden.<ref name="hoffmann" /> In der [[Wikipedia:Volksmedizin|Volksmedizin]] wird das ätherische Öl (als [[Wikipedia:Droge (Pharmazie)|Droge]] Angelicae aetheroleum) aus den Wurzeln innerlich gegen Schlaflosigkeit und äußerlich gegen [[Wikipedia:Rheuma|Rheuma]]<ref name="hoffmann" /> und [[Wikipedia:Neuralgie|Neuralgie]]n angewendet. In größeren Mengen ist das ätherische Öl [[Wikipedia:Gift|toxisch]].<ref name="Wichtl"/> Die Pflanze könne als [[Wikipedia:Antiseptikum|Antiseptikum]] der [[Wikipedia:Ableitende Harnwege|ableitenden Harnwege]] Behandlung von [[Wikipedia:Zystitis|Zystitis]] (Harnblasenentzündung) unterstützen.<ref name="hoffmann" /><br />
<br />
Bei Wildsammlungen besteht eine Gefahr der Verwechslung mit anderen Doldenblütlern, etwa dem giftigen [[Wikipedia:Gefleckter Schierling|Gefleckten Schierling]] (''Conium maculatum''). Der kommerzielle Anbau erfolgt vorwiegend in Polen, den Niederlanden und Deutschland, in geringerem Ausmaß auch in Belgien, Frankreich, Italien, Schweiz und Tschechien. Angebaut werden vornehmlich Landrassen, die der Varietät ''sativa'' der Unterart ''archangelica'' zugerechnet werden und die manchmal als eigene Art ''Angelica sativa'' bezeichnet wird. Die Ernte erfolgt in der Regel im Oktober und November des zweiten Anbaujahres nach Eintritt der Vegetationsruhe. Die Erträge liegen zwischen 2,5 und 4 Tonnen pro Hektar.<ref name="Heyland2006" /><br />
<br />
Madaus empfiehlt besonders die frische, im Frühjahr gegrabene Wurzel der Pflanze, von ihm zitierte Autoren z.&nbsp;T. auch Kraut und Samen. Die Ärzte der Renaissance lobten die Hilfe der Engelwurz gegen die [[Wikipedia:Pest|Pest]], [[Paracelsus]] auch bei inneren Infektionen, als Herzmittel und bei Blähungen. Nach [[Wikipedia:Adam Lonitzer|Lonicerus]] treibt sie Gift aus, wärmt u.&nbsp;a. bei Bauch- und Brustaffektionen, der Geruch soll das Herz stärken. [[Wikipedia:Pietro Andrea Mattioli|Matthiolus]] schloss Fisteln mit dem Wurzelsaft. [[Wikipedia:Christoph Wilhelm Hufeland|Hufeland]] verordnete Angelica bei Schwächezuständen während [[Wikipedia:Typhus|Typhus]], [[Wikipedia:Dysenterie|Dysenterie]], Peripneumonie und Nervenfiebern, Renner bei [[Wikipedia:Hydrops|Hydrops]], von Schwarz bei Febris puerperalis putrida, [[Wikipedia:Julius Clarus|Clarus]] als Antiparalytikum und Stomachikum. [[Sebastian Kneipp|Kneipp]] berichtet Erfolge bei Ruhr und Cholera, das Pulver reinige Magen und Darm, aber auch die Lunge und wirke wundheilend, bei [[Wikipedia:Kolik|Kolik]]<ref name="hoffmann" />, Unterbauchschmerzen, Hals- und Kehlkopfbeschwerden. Nach [[Wikipedia:Henri Leclerc|Leclerc]] helfen Aufguss oder Tinktur vor jeder Mahlzeit bei Appetitlosigkeit. Die Volksmedizin schätzt Engelwurz als schweißtreibendes, magenstärkendes, katarrh- und krampflösendes Mittel, in der Schweiz als Antidot und bei zähem Schleim.<ref>Gerhard Madaus: ''Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band I.'' Olms, Hildesheim / New York 1976, ISBN 3-487-05890-1, S. 526–533 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1938).</ref> [[Kommission E|Kommission E]] empfiehlt Angelicawurzel bei Appetitlosigkeit und Verdauungsbeschwerden. Die Tagesdosis beträgt 4,5 g Droge bzw. 10–20 Tropfen ätherisches Öl. Kontraindikationen und Interaktionen sind nicht bekannt. Die enthaltenen Furanocumarine wirken UV-sensibilisierend.<ref>Heinz Schilcher (Hrsg.): Leitfaden Phytotherapie. 5. Auflage. Urban & Fischer, München 2016, ISBN 978-3-437-55344-8, S. 53–54.</ref><br />
<br />
Die Pflanze gelte als [[Wikipedia:sputum|sputum]]lösend (auswurflösend) bei [[Wikipedia:Husten|Husten]], [[Wikipedia:Bronchitis|Bronchitis]] und [[Wikipedia:Pleuritis|Pleuritis]] (Brustfellentzündung), besonders in Verbindung mit [[Wikipedia:Fieber|Fieber]], [[Wikipedia:Erkältung|Erkältung]] und [[Wikipedia:Influenza|Influenza]] (Grippe). Arznei-Engelwurz eigne sich für [[Brustumschlag|Brustumschläge]].<ref name="hoffmann" /><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
[[Datei:Brunfels Angelika.jpg|mini|Angelica – ''Angelica archangelica''. [[Wikipedia:Otto Brunfels|Otto Brunfels]] 1537. Weitere historische Abbildungen: <ref>[[Wikipedia:Vitus Auslasser|Vitus Auslasser]] 1479. Angelica ([[:Datei:Auslasser Angelica.jpg|Bildlink]])</ref><ref>[[Wikipedia:Leonhart Fuchs|Leonhart Fuchs]] 1543 Zam Angelik - ''Angelica archangelica''. ([[:Datei:Fuchs Zam Angelick.jpg|Bildlink]])</ref><ref>Leonhart Fuchs 1543 Wild Angelik - ''Angelica sylvestris''. ([[:Datei:Fuchs Wild Angelick.jpg|Bildlink]])</ref><ref>[[Wikipedia:Hieronymus Bock|Hieronymus Bock]] 1546. Angelika - ''Angelica archangelica.'' ([[:Datei:Bock Angelika.jpg|Bildlink]])</ref><ref>Hieronymus Bock 1546 Wild Angelik - ''Angelica sylvestris.'' ([[:Datei:Bock Wild Angelik.jpg|Bildlink]])</ref> ]]<br />
<br />
Als Pflanze der nördlichen Breitengrade, die in Island und Skandinavien schon früh als Gemüse angebaut wurde, war die Arznei-Engelwurz den antiken Autoren des Mittelmeerraumes nicht bekannt. Erstmals in einem Kräuterbuch erwähnt wurde sie als ''Angelica'' im nordeuropäischen [[Wikipedia:Galgant-Gewürz-Traktat|Galgant-Gewürz-Traktat]] aus dem 14. Jahrhundert, das wohl fälschlich einem „Alexander Hispanus“ als Verfasser zugesprochenen wurde.<ref>Ute Mauch: ''Ein mittelalterliches Kräuterbuch aus dem 14. Jahrhundert, eine neue Version des lateinischen Macer?'' In: ''Gesnerus.'' Band 63, 2006, S. 181–208, hier: S. 190.</ref> Dieser Galgant-Gewürz-Traktat gibt für die Arznei-Engelwurz folgende Wirkungen an:<br />
* Abwehr von „Zauber und Gift“<br />
* Reinigung der Brust (daher der Name „Brustwurz“)<br />
* Heilung von Bissen wütender Hunde<br />
* Verdauungsanregung.<ref>Galgant-Gewürz-Traktat in deutscher (alemannischer) Übersetzung: Heidelberg. Cpg 620. Südwestdeutschland, 15. Jh. Blatt 92v-93r [http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg620/0190?sid=185649167938a8282b795aec792c8122 (Digitalisat)]</ref><br />
<br />
Eine gedruckte Abhandlung über die Arznei-Engelwurz erschien erstmals im [[Wikipedia:Kleines Destillierbuch|Kleinen Destillierbuch]] des [[Wikipedia:Hieronymus Brunschwig|Hieronymus Brunschwig]]. Brunschwygs Beschreibung zeugt davon, dass er mit dieser Arzneipflanze auch aus seiner Praxis vertraut war. Er unterschied zwischen der Arznei-Engelwurz und der [[Wikipedia:Wald-Engelwurz|Wald-Engelwurz]], die er „bůchalter“ nannte:<br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=Angelica waſſer vom krut keyn alter philo[so]phus ſchriben iſt / darumb ſyn latinſcher namen von den tütſchen in übung iſt angelica. Aber in tütſcher zungen genant des heiligen geiſts wurtzlen von vilen bruſt wurtz / darumb dz es überflüſſig der bruſt bequem iſt / vnd iſt ein geſchlecht der [[Wikipedia:Meisterwurz|meister wirtz von den latinſchen genant oſtrici]]. Aber angelica geſchlecht iſt zweyerley / [[Wikipedia:Wald-Engelwurz|wild]] vnd zam / krut vnd ſtengel in der leng ii. ellenbogen hoch. dz wild von den tütſchen bůchalter genant. […]<br />
|Autor=Hieronymus Brunschwig<br />
|Quelle=''Kleines Destillierbuch'', Straßburg 1500, Blatt 20r<ref>Hieronymus Brunschwig. ''Kleines Destillierbuch.'' Straßburg 1500, Blatt 20r-20v [http://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00031146&pimage=79&v=100&nav=&l=de Bayerische Staatsbibliothek Digitalisat]</ref><ref>[[Wikipedia:Johannes Gottfried Mayer|Johannes Gottfried Mayer]]: ''Die ersten gedruckten Kräuterbücher und das Angelika-Wasser der Donaueschinger Taulerhandschrift.'' In: ''Würzburger Fachprosa-Studien, Beiträge zur mittelalterlichen Medizin-, Pharmazie- und Standesgeschichte aus dem Würzburger medizinhistorischen Institut. Festschrift Michael Holler zum 60. Geburtstag.'' Hrsg. von Gundolf Keil und redigiert von Johannes G. Mayer sowie Christian Naser, Würzburg 1995 (= ''Würzburger medizinhistorische Forschungen.'' Band 38), S. 156–177</ref>}}<br />
<br />
In Bezug auf die Anwendung der Arznei-Engelwurz – hier speziell des Destillats aus den Wurzeln – folgte Brunschwig dem Galgant-Gewürz-Traktat.<br />
<br />
Auch [[Paracelsus]] erwähnte wiederholt die therapeutischen Qualitäten der Engelwurz.<ref>Franz Mauermann: ''Angelica archangelica L. Eine wenig beachtete antibiotisch wirkende Heilpflanze aus paracelsischer Zeit.'' In: Sepp Domandl (Hrsg.): ''Paracelsus Werk und Wirkung. Festschrift für Kurt Goldammer.'' Wien 1975, S. 133–142 (Mauermann schreibt korrekt über die geographische Verbreitung von Angelica archangelica. Die erste Erwähnung der Engelwurz als Heilpflanze schreibt er jedoch Paracelsus und [[Wikipedia:Leonhart Fuchs|Leonhart Fuchs]] zu.)</ref> In [[Wikipedia:Simplicia und Composita|Rezepten mit mehreren Bestandteilen]] empfahl er die Wurzel – insbesondere das aus der Wurzel destillierte Öl<ref>Huser-Ausgabe, Band III, S. 348: „Pro cordis Icteritia: Ea descriptione tumor non abit sed dolor. Olei angelicae: Si Angelica per Balneum maris destillatur, postea tundatur radix, eius tum Angelica in ea decoquitur cum vino albo, netz ein Tüchlein / leg sie auff / donec albescit corpus“. [http://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00022504/images/index.html?id=00022504&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=358 (Digitalisat)]</ref> – zur Behandlung von Schwindsucht (''„morbis siccis, seu phthisi“''<ref>[http://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00022504/images/index.html?id=00022504&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=395 Huser-Ausgabe, Band III, S. 385 ''Paragraphorum liber quintus. De morbis siccis, seu phthisi. … Cura'' …(Ditalisat)]</ref>), als Vorbeugemittel gegen ansteckende Krankheiten (''„infectiones aëreas internas & praeseruatiuum contra pestem“''<ref>Huser-Ausgabe, Band VII, S. 380 [http://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00022507/images/index.html?id=00022507&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=392 ''Alia scholia in librum secvndvm de gradibus. Caput primum'' (Digitalisat)]</ref>), als Mittel gegen Schmerzen im Brustkorb (''„ad Icteritiam cordis, quo tumor non abit, sed dolor“''<ref>[http://daten.digitale-sammlungen.de/0002/bsb00022504/images/index.html?id=00022504&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=357 Huser-Ausgabe, Band III, S.&nbsp;347–348 ''De Icteritiis liber'' (Digitalisat)]</ref>) sowie als Bestandteil eines „Winterweines“ (''„consilia medica“''<ref>[http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10174144_00136.html Huser-Ausgabe, Band V, S. 124 ''Consilia medica'' (Digitalisat)]</ref>). Er deutete die Engelwurz als Produkt einer „Transplantierung“ aus der [[Wikipedia:Meisterwurz|Meisterwurz]]:<br />
:: „… [[Wikipedia:Meisterwurz|Ostricium]] iſt ein Erſter Sam / durch ſein Transplantierung aber wird Angelica geborn / vnd behalt auch ſein Samen“.<ref>Huser-Ausgabe der Chirurgischen Bücher, Basel 1605, S. 267 [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10321482.html?pageNo=289 (Digitalisat)], S. 633 … [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10321482.html?pageNo=661 (Digitalisat)]</ref><br />
<br />
Die „[[Wikipedia:Väter der Botanik|Väter der Botanik]]“ ([[Wikipedia:Otto Brunfels|Otto Brunfels]], [[Wikipedia:Hieronymus Bock|Hieronymus Bock]] und [[Wikipedia:Leonhart Fuchs|Leonhart Fuchs]]) knüpften an die Ausführungen aus dem Destillierbuch des Hieronymus Brunschwig an und diskutierten weitschweifig, zu welcher Heilpflanze der ''Materia medica'' des [[Wikipedia:Pedanios Dioskurides|Dioskurides]] die Arznei-Engelwurz wohl passen würde.<ref>Otto Brunfels. ''Contrafeyt Kreüterbuch.'' Straßburg 1532, S. 318, Text [http://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00054201&pimage=358&v=100&nav=&l=de (Digitalisat)]</ref><ref>Otto Brunfels. ''Ander Teyl des Teütschen Contrafayten Kreüterbůchs.'' Straßburg 1537, S. 120, Abbildung [http://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&l=de&bandnummer=bsb00054202&pimage=00122&v=100&nav= (Digitalisat)]</ref><ref>Hieronymus Bock. ''New Kreütter Buch.'' Straßburg 1539, Buch I, Cap. 140 [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11069345_00274.html (Digitalisat)]</ref><ref>Leonhardt Fuchs. ''New Kreütterbuch.'' Straßburg 1543, Cap. 43 [http://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&l=de&bandnummer=bsb00017437&pimage=00145&v=100&nav= (Digitalisat)]</ref><br />
<br />
Bis zur Mitte des 19. Jh. wurde die Wurzel zur Bereitung des [[Wikipedia:Theriak|Theriak]] und des „Spiritus theriacalis“ verwendet:<br />
{{Zitat<br />
|Text=Spiritus Angelicae compositus. Zusammengesetzter Angelicageist. Statt des Spiritus theriacalis. Nimm: '''Angelicawurzel''' ein Pfund [ca. 360 g], [[Echter Baldrian|Baldrianwurzel]], [[Wikipedia:Gemeiner Wacholder|Wacholderbeeren]], von jedem drei Unzen [ca. 90 g]. Nachdem sie zerschnitten, zerstoßen und in die Destillierblase gebracht sind, füge hinzu rectifizierten Weingeist sechs Pfund [ca. 2160 g], gemeines Wasser, soviel als hinreichend. Nach einer [[Wikipedia:Mazeration|Maceration]] von 24 Stunden sollen sechs Pfund überdestillieren, in welchen eine und eine halbe Unze [ca. 45&nbsp;g] [[Wikipedia:Kampferbaum|Campher]] gelöst werden. Filtriere. Er sei farblos und klar.<br />
|Autor=[[Wikipedia:Karl Friedrich Mohr|Karl Friedrich Mohr]]<br />
|Quelle=''Commentar zur preussischen Pharmakopoe (6. Aufl.)'', Braunschweig 1854, Bd. II, S. 289<ref>K.F. Mohr 1854, Band II, S. 289 [http://dfg-viewer.de/show/?id=8071&tx_dlf%5Bid%5D=http%3A%2F%2Fdigital.ub.uni-duesseldorf.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D2437571&tx_dlf%5Bpage%5D=293 (Digitalisat)]</ref>}}<br />
<br />
In den Jahren 1842/43 entdeckte der Münchner Pharmakologe [[Wikipedia:Ludwig Andreas Buchner|Ludwig Andreas Buchner]] die [[Wikipedia:Angelicasäure|Angelicasäure]] und stellt durch [[Wikipedia:Verseifung|Verseifen]] des Angelica[[Wikipedia:Balsame|balsams]] das [[Angelicin]] dar.<br />
<br />
Im Jahre 1990 veröffentlichte die [[Kommission E|Kommission E]] des ehemaligen [[Wikipedia:Bundesgesundheitsamt|Bundesgesundheitsamt]]es eine (Negativ-)Monographie über Engelwurz-Früchte und -Kraut sowie eine (Positiv-)Monographie über Engelwurz-Wurzeln.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
! Quellen zur Analyse der Inhaltsstoffe der Engelwurz<br />
|-<br />
|<br />
* [[Wikipedia:Johann Friedrich John|Johann Friedrich John]]. ''Chemische Tabellen der Pflanzenanalysen''. J. L. Schrag, Nürnberg 1814, S. 17 (Tabelle IV) [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10936878_00033.html (Digitalisat)]<br />
* [[Wikipedia:Christian Friedrich Bucholz|Christian Friedrich Bucholz]] und [[Wikipedia:Rudolph Brandes|Rudolph Brandes]]: ''Analyse der lufttrockenen Angelikawurzel (Angelica Archangelica) ''. In: [[Wikipedia:Johann Bartholomäus Trommsdorff|Johann Bartholomäus Trommsdorff]]. ''Neues Journal der Pharmacie,'' Band I (1817), Stück 2, S. 138–188 [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10288923_00150.html (Digitalisat)]<br />
* [[Wikipedia:Ludwig Andreas Buchner|Ludwig Andreas Buchner]]: ''Neue chemische Untersuchungen der Angelica-Wurzel''. In: ''Repertorium für die Pharmacie''. Nürnberg, Band LXXVI (1842), S. 145–178 [https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=chi.101382236&view=1up&seq=157 (Digitalisat)]<br />
* Ludwig Andreas Buchner: ''Über eine eigentümliche flüchtige Säure aus der Angelicawurzel''. In: ''Annalen der Chemie und Pharmacie''. Heidelberg, Band XLII (1842), S. 226–233 [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10285226_00234.html (Digitalisat)]<br />
* H. Meyer und D. Zenner: ''Über die flüchtigen Säuren in der Angelica officinalis.'' In: ''Annalen der Chemie und Pharmacie''. Heidelberg, Band LV (1845). S. 317–330 [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10285239_00333.html (Digitalisat)]<br />
* [[Wikipedia:Jonathan Pereira (Mediziner)|Jonathan Pereira’s]]: ''Handbuch der Heilmittellehre. Nach dem Standpunkte der deutschen Medicin bearbeitet von'' [[Wikipedia:Rudolf Buchheim|Rudolf Buchheim]]. Leopold Voß, Leipzig 1846–48, Band II 1848, S. 505–507 [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10287961_00531.html (Digitalisat)]<br />
* [[Wikipedia:Leopold Gmelin|Leopold Gmelin]]: ''Handbuch der Chemie''. Heidelberg, Band V (1852), S. 496–499: Angelikasäure [https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10138528_00516.html (Digitalisat)]<br />
* [[Wikipedia:August Husemann|August Husemann]] und [[Wikipedia:Theodor Husemann|Theodor Husemann]]: ''Die Pflanzenstoffe in chemischer, physiologischer, pharmakologischer und toxikologischer Hinsicht. Für Aerzte, Apotheker, Chemiker und Pharmakologen.'' Springer, Berlin 1871, S. 813–815 Angelicasäure, Angelicin und Angelicabitter [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11010860_00829.html (Digitalisat)]; S. 1130: Angelicaöl [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11010860_01146.html (Digitalisat)]<br />
* Theodor Husemann: ''Handbuch der gesammten Arzneimittellehre.'' 2 Bände, Springer, Berlin 1873–1875. 2. Aufl., Springer, Berlin 1883, Band II, S. 961–962 [https://archive.org/details/handbuchdergesam02huse/page/961 (Digitalisat)]<br />
|}<br />
<br />
== Trivialnamen ==<br />
<br />
Für die Arznei-Engelwurz gibt es, zum Teil nur regional, neben anderen auch die [[Wikipedia:Trivialname|Trivialname]]n Angelika, Norwegisch Angelik, Zam Angelik, Angilje, Angolkenwörtel ([[Wikipedia:Altmark|Altmark]]), Argelkleinwurzel ([[Wikipedia:Rendsburg|Rendsburg]]er Apotheke), Artelkleewurzel (Rendsburger Apotheke), Brustwurz, Brustwurzel, Buchhalter, Cholerawurzel, Dreieinigkeitswurzel, Engelwurtz ([[Wikipedia:mittelhochdeutsch|mittelhochdeutsch]]), Gartenangelik ([[Wikipedia:Schweiz|Schweiz]]), Geilwurzel (Rendsburger Apotheke), Geistwurzel ([[Wikipedia:Schlesien|Schlesien]]), Giftwürze (Schweiz), Gölk (Altmark), Glückenwurzel (Rendsburger Apotheke), Glüthenwurzel (Rendsburger Apotheke), Heiliggeistwurzel, Heiligenwurzel, Heiligengeistwurzel ([[Wikipedia:St. Gallen|St. Gallen]]), Ledepipenkrawt, Lidtpfeiffenkraut, Luftwurzel (Schlesien) und Theriakwurzel.<ref name="Pritzel1882" /><ref>Johannes G. Mayer: ''Die ersten gedruckten Kräuterbücher und das Angelika-Wasser der Donaueschinger Taulerhandschrift.'' In: ''Würzburger Fachprosa-Studien. Beiträge zur mittelalterlichen Medizin-, Pharmazie- und Standesgeschichte aus dem Würzburger medizinhistorischen Institut.'' Würzburg 1995 (= ''Würzburger medizinhistorische Forschungen'', 38), S. 156–177; hier: S. 157.</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Wikipedia:Henning Haeupler|Henning Haeupler]], Thomas Muer: ''Bildatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands'' (= ''Die Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands.'' Band 2). Herausgegeben vom Bundesamt für Naturschutz. Ulmer, Stuttgart 2000, ISBN 3-8001-3364-4 (Abschnitt Beschreibung).<br />
* [[Wikipedia:Johannes Gottfried Mayer|Johannes Gottfried Mayer]]. ''Die ersten gedruckten Kräuterbücher und das Angelika-Wasser der Donaueschinger Taulerhandschrift.'' In: [[Gundolf Keil]] (Hrsg.): ''Würzburger Fachprosastudien (Festschrift Michael Holler)''. Königshausen & Neumann, Würzburg 1995, S. 156–177.<br />
* [[Wikipedia:Siegmund Seybold|Siegmund Seybold]] (Hrsg.): ''Schmeil-Fitschen interaktiv.'' Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2001. ISBN 3-494-01327-6 CD-ROM (Abschnitte Beschreibung und Vorkommen)<br />
* Erich Fürchtegott Heeger: ''Handbuch des Arznei- und Gewürzpflanzenanbaues.'' 2. Auflage. VEB Deutscher Landwirtschaftsverlag, Berlin 1989, ISBN 3-331-00191-0.<br />
* Paul Seitz: ''Die Gartenapotheke.'' Franckh-Kosmos, Stuttgart 1992, ISBN 3-440-06175-2.<br />
* Rainer Schunk: ''Heilkraft aus Heilpflanzen.'' Kaulfuss, Abtswind 1994, ISBN 3-922019-04-8.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
<br />
{{Commonscat|Angelica archangelica|Arznei-Engelwurz (''Angelica archangelica'')}}<br />
* {{FloraWeb|441|Angelica archangelica subsp. archangelica L.}}<br />
* {{FloraWeb|442|Angelica archangelica subsp. litoralis (Fr.) Thell.}}<br />
* {{BiolFlor|221}}<br />
* Verbreitung in den Niederlanden [http://www.verspreidingsatlas.nl/0059] (niederl.)<br />
* Madeleine Kylin: [http://stud.epsilon.slu.se/818/4/Kylin_M_100128.pdf ''Angelica archangelica L.''] (PDF; 745&nbsp;kB) Swedish University of Agricultural Sciences. The Faculty of landscape Planning, Horticulture and Agriculture Science, [[Wikipedia:Alnarp|Alnarp]] 2010<br />
* [http://linnaeus.nrm.se/flora/di/apia/angel/angearcv.jpg Verbreitung der subsp. ''archangelica'' auf der Nordhalbkugel] nach: [[Wikipedia:Eric Hultén|Eric Hultén]], Magnus Fries: ''Atlas of North European vascular plants'' 1986, ISBN 3-87429-263-0<br />
* [http://linnaeus.nrm.se/flora/di/apia/angel/angearcu.jpg Verbreitung der subsp. ''litoralis'' auf der Nordhalbkugel] nach: [[Wikipedia:Eric Hultén|Eric Hultén]], Magnus Fries: ''Atlas of North European vascular plants'' 1986, ISBN 3-87429-263-0<br />
* Thomas Meyer: [http://www.blumeninschwaben.de/Zweikeimblaettrige/Doldenbluetler/engelwurz.htm#Arznei Engelwurz Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei ''Flora-de: Flora von Deutschland'' (alter Name der Webseite: ''Blumen in Schwaben'')]<br />
* Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft. Kulturanleitung für Engelwurz. [http://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/ipz/dateien/kulturanleitung_f__r_engelwurz.pdf Digitalisat]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references><br />
<ref name="Fischer2008">[[Wikipedia:Manfred Adalbert Fischer|Manfred A. Fischer]], Karl Oswald, Wolfgang Adler: ''Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol.'' 3., verbesserte Auflage. Land Oberösterreich, Biologiezentrum der Oberösterreichischen Landesmuseen, Linz 2008, ISBN 978-3-85474-187-9.</ref><br />
<ref name="FloraWeb">{{FloraWeb|440}}</ref><br />
<ref name="tropicos">{{Tropicos|ID=1701408|WissName=Angelica archangelica|Zugriff=2013-09-17}}</ref><br />
<ref name="biodiversitylibrary">[http://biodiversitylibrary.org/page/358269 Erstveröffentlichung eingescannt bei ''biodiversitylibrary.org''.]</ref><br />
<ref name="Pritzel1882">[[Wikipedia:Georg August Pritzel|Georg August Pritzel]], [[Wikipedia:Carl Jessen|Carl Jessen]]: ''Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Neuer Beitrag zum deutschen Sprachschatze.'' Philipp Cohen, Hannover 1882, Seite 38, [http://archive.org/stream/diedeutschenvol00pritgoog#page/n24/mode/2up online.]</ref><br />
<ref name="Roth2012">Lutz Roth, Max Daunderer, Kurt Kormann: ''Giftpflanzen – Pflanzengifte. Vorkommen, Wirkung, Therapie, allergische und phototoxische Reaktionen. Mit Sonderteil über Gifttiere.'' 6., überarbeitete Auflage, Sonderausgabe. Nikol, Hamburg 2012, ISBN 978-3-86820-009-6. </ref><br />
<ref name="Schönfelder2011">Ingrid Schönfelder, [[Wikipedia:Peter Schönfelder|Peter Schönfelder]]: ''Das neue Handbuch der Heilpflanzen.'' Sonderausgabe. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-440-12932-6.<br />
Andreas Alberts, Peter Mullen: Giftpflanzen in Natur und Garten. Bestimmung, Giftwirkung, Erste Hilfe. Extra: Giftige Zimmerpflanzen. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2003, ISBN 3-440-09550-9. </ref><br />
<ref name="Hager1972">Walther Kern, Paul Heinz List, Ludwig Hörhammer: ''Chemikalien und Drogen (AM–CH).'' 4. Auflage. Springer 1972 (''Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis.'' Band 3)</ref><br />
<ref name="Wichtl">Max Wichtl (Hrsg.): ''Teedrogen und Phytopharmaka.'' 4. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2002 ISBN 3-8047-1854-X, S. 38–41.</ref><br />
<ref name="awlCh">[http://www.awl.ch/heilpflanzen/angelica_archangelica/index.htm .''Angelica archangelica.'' In: ''awl.ch.''] (abgerufen 29. Juli 2008).</ref><br />
<ref name="Dörfler1984">Hans-Peter Dörfler, Gerhard Roselt: ''Heilpflanzen.'' Urania Verlag, Leipzig, September 1984, ISBN 3-432-94291-5 (Enke), ISBN 3-423-03269-3 (dtv)</ref><br />
<ref name="Heyland2006">Klaus-Ulrich Heyland, Herbert Hanus, Ernst Robert Keller: ''Ölfrüchte, Faserpflanzen, Arzneipflanzen und Sonderkulturen.'' Ulmer, Stuttgart 2006 ISBN 978-3-8001-3203-4 (''Handbuch des Pflanzenbaus.'' Band 4), S. 595–599. </ref><br />
<ref name="Oberdorfer2001">{{BibISBN|3800131315|Seite=718}} </ref><br />
<ref name="GRIN"> {{GRIN|ID=674|Rang=genus|WissName=Angelica|Zugriff=2018-05-20}}</ref><br />
<ref name="IPCN">{{Tropicos|ID=1701408|WissName=Angelica archangelica|ProjektID=9}}</ref><br />
<ref name="Euro+Med">R. Hand (2011): Apiaceae. – In: Euro+Med Plantbase - the information resource for Euro-Mediterranean plant diversity. [http://ww2.bgbm.org/EuroPlusMed/PTaxonDetail.asp?NameCache=Angelica&PTRefFk=7500000 Datenblatt ''Angelica'']</ref><br />
</references><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
<br />
[[Kategorie:Heilpflanze]]<br />
[[Kategorie:Fruchtgewürz]]<br />
[[Kategorie:Doldenblütler]]<br />
[[Kategorie:Wurzelgewürz]]<br />
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Fühlen (Psychologie)
2023-02-26T08:11:26Z
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<hr />
<div>'''Gefühl''' ist ein [[Wikipedia:Psychologie|psychologischer]] [[Wikipedia:Oberbegriff|Oberbegriff]] für unterschiedlichste psychische [[Wikipedia:Erfahrung|Erfahrung]]en und Reaktionen wie etwa [[Wikipedia:Angst|Angst]], [[Wikipedia:Ärger|Ärger]], [[Wikipedia:Komik|Komik]], [[Wikipedia:Ironie|Ironie]] sowie [[Wikipedia:Mitleid|Mitleid]], [[Wikipedia:Eifersucht|Eifersucht]], [[Wikipedia:Furcht|Furcht]], [[Wikipedia:Freude|Freude]] und [[Wikipedia:Liebe|Liebe]], die sich (potenziell) beschreiben und damit auch [[Wikipedia:Sprache|versprachlichen]] lassen. Obwohl es vielseitige [[Wikipedia:Neurophysiologie|neurophysiologische]] Ansätze der Messung von Gefühlen gibt, sind diese nicht als einheitlich und überindividuell gültig anerkannt. Dies wiederum legt die Deutung von Gefühlen als individuelle oder subjektive [[Wikipedia:Qualia|Bewusstseinsqualitäten]] oder Ichzustände nahe.<ref name="LDP">[[Wikipedia:Wilhelm Karl Arnold|Wilhelm Arnold]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Lexikon der Psychologie.'' Bechtermünz, Augsburg 1996, ISBN 3-86047-508-8, Spalte 684–691.</ref> Gefühle sind das Produkt der Verarbeitung von [[Wikipedia:Reiz|Reiz]]en, die ihren Ursprung in unseren Sinnesorganen nehmen. Sie vermitteln damit ein Bild von der uns umgebenden Welt, aber auch von Vorgängen unseres eigenen Körpers. Gefühle sind nicht nur Ausdruck äußerer Tatsachen, sondern auch unserer eigenen [[Wikipedia:Beurteilung|Beurteilung]].<ref name="FLP" /><br />
<br />
[[Datei:Sensitiva (Miquel Blay, MRABASF E-76) 01.jpg|mini|''Die Feinfühlige'' ([[Wikipedia:Skulptur|Skulptur]] von Miguel Blay um 1910)]]<br />
<br />
==Gefühl, Gemüt, Affekt, Emotion==<br />
Der Begriff Gefühl wird meist [[Wikipedia:synonym|synonym]] mit dem älteren Begriff [[Wikipedia:Gemüt|Gemüt]] verwendet.<ref name="APP">[[Wikipedia:Karl Jaspers|Karl Jaspers]]: ''Allgemeine Psychopathologie''. (1914) 9. Auflage. Springer, Berlin 1973, ISBN 3-540-03340-8, 1. Teil: Die Einzeltatbestände des Seelenlebens, 1. Kap.: Die subjektiven Erscheinungen des kranken Seelenlebens (Phänomenologie), § 5 Gefühle und Gemütszustände, S. 90 ff.; (a) zu Stw. „Synonymität von Gefühlen und Gemütszuständen“: siehe vorgenannte Kap.-Überschriften; (b) zu Stw. „Kategorienbildung“: S. 90 f. (Abs. „Psychol. Vorbemerkungen“)</ref><ref name="VPS">[[Wikipedia:Hans Walter Gruhle|Hans Walter Gruhle]]: ''Verstehende Psychologie''. (Erlebnislehre). 2. Auflage. Georg Thieme, Stuttgart 1956; Kap. II Phänomenologie, Abs. E. Das Gemüt, S. 39–56; (a)&nbsp;zu&nbsp;Stw. „Definition Gemüt“: S. 39 („Gemüt ist der Sammelnamen für alle Gefühlsregungen.“); (b)&nbsp;zu Stw. „Sensibilität“: S. 324; (c)&nbsp;zu&nbsp;Stw. „Verliebtsein – ein ungerichtetes Gefühl?“: S. 46, 49 ff.; (d)&nbsp;zu&nbsp;Stw. „Energetischer Aspekt“: S. 40 f.</ref> Die Bezeichnungen [[Wikipedia:Affekt|Affekt]], Gefühl, [[Wikipedia:Emotion|Emotion]] werden sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch bei den verschiedenen Autoren zum Teil [[Wikipedia:Synonym|übereinstimmend]] als auch unterschiedlich definiert und benutzt. Übereinstimmung besteht darin, dass es bei Gefühlen fast ausnahmslos um Organfunktionen geht, die der Steuerung durch das [[Wikipedia:Autonomes Nervensystem|autonome Nervensystem]] unterliegen.<ref name="NKV" /><ref>Karl-Ludwig Täschner: ''Praktische Psychiatrie''. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1989; zu Kap. 2.6 „Affekt“: S. 26.</ref><ref name="FLP" /> Eine Unterscheidung zwischen Gefühl und Emotion legt die [[Wikipedia:James-Lange-Theorie|James-Lange-Theorie]] nahe. [[Wikipedia:William James|William James]] schreibt: „Wir sind traurig, weil wir weinen, wütend, weil wir zuschlagen, wir haben Angst, weil wir zittern.“<ref>[[Wikipedia:William James|William James]]: ''The principles of psychology''. [1890] Holt Rinehart & Wilson, New York, 1950 (2 vols.); S. 450</ref> Die motorischen Reaktionen des Weinens, Zuschlagens, Zitterns sollten entsprechend der [[Wikipedia:Lateinisch|lat.]] Herkunft des Wortes „Emotion“ von ''movere'' = bewegen als [[Wikipedia:Gemütsbewegung|Gemütsbewegung]]en aufgefasst werden, während die rein [[Wikipedia:sensorisch|sensorisch]]e Erfahrung des Traurigseins, der Wut und der Angst als Gefühlswahrnehmung bezeichnet werden sollte.<ref name="HWB" /> Auch von der Wortbedeutung ausgehend wäre nach der Abgrenzung zum Begriff der Emotion zu fragen.<br />
<br />
==Etymologische Wortgruppierungen==<br />
Die Herkunft des Worts ''fühlen'' ist unklar. Es besteht eine Verwandtschaft mit [[Wikipedia:Englische Sprache|engl.]] ''to feel''. Die Grundbedeutung ist wohl „tasten“. Sie wurde auf alle körperlichen und im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert auch auf seelische Empfindungen übertragen. Daher wird ursprünglich unter Gefühl der [[Tastsinn]] und die daraus resultierende seelische [[Wikipedia:Stimmung (Psychologie)|Stimmung]] (17. Jh.) verstanden. Eine ähnliche Wortbildung wie ''Ge-fühl'' ist das Wort ''[[Wikipedia:Geschmack (Sinneseindruck)|Ge-schmack]]'', das jedoch aus einer anderen [[Wikipedia:Sinnesmodalität|Sinnesmodalität]] gebildet ist. Auch hier besteht eine übertragene Bedeutung ins [[Wikipedia:Ästhetisch|Ästhetisch]]e und [[Wikipedia:Kultur|Kultur]]elle ([[Wikipedia:Geschmack (Kultur)|Geschmack]] als humanistischer Wert), vgl. daneben auch die formal ähnlichen Wortbildungen wie [[Wikipedia:Gehörsinn|Gehörsinn]], [[Wikipedia:Gesichtssinn|Gesichtssinn]] mit der Vorsilbe ''Ge-'' als eines [[Wikipedia:Sammelbegriff|Sammelbegriff]]s; vgl. ''Berg'' – ''Gebirge'' / ''Busch'' – ''Gebüsch''. Da Sinneseindrücke immer nur Ausschnitte aus den physikalischen Gegebenheiten vermitteln können, kommt jeder Sinnesmodalität jeweils auch eine spezifische psychologische Qualität zu, vgl. → [[Wikipedia:Abstraktionstheorie#Konstitutive Abstraktion|Abstraktionstheorie]].<br />
<br />
Interessant erscheint im sprachvergleichenden Zusammenhang auch der Bedeutungswandel von [[Wikipedia:Deutsche Sprache|dt.]] „tasten“ zu engl. ''to taste'' = „kosten, schmecken, versuchen, genießen, erleben“, und englisch ''tasteful'' = „geschmackvoll“.<ref name="HWB">Günther Drosdowski: ''Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Die Geschichte der deutschen Wörter und der Fremdwörter von ihrem Ursprung bis zur Gegenwart.'' Dudenverlag, Band 7, 2. Auflage, Mannheim 1997, ISBN 3-411-20907-0; (b)&nbsp;zu Sachartikel „Emotion“: S. 154; (b)&nbsp;zu Sachartikel „Fühlen“ S. 209.</ref> Ein wahrscheinlich anderer Wortstamm ist das [[Altgriechische Sprache|altgriechische]] πάσχω [pas-cho] = ''1)'' „einen Eindruck empfangen, erfahren, erleben, mir begegnet, mir widerfährt, mich trifft, es geht mir, ich mache es mir, es gemahnt mich, mir wird zu Mute, ich bin der Stimmung, begehre“; ''2)'' im üblen Sinne: „etwas (Übles) erfahren, erleiden, erdulden, ausstehen, sich Leid zufügen, sich abmühen“; ''3)'' im guten Sinne: „Gutes erleiden oder empfangen, sich wohl befinden, Wohltaten genießen, Belohnungen einernten, Dienste erhalten“.<ref name="GDW">[[Wikipedia:Gustav Eduard Benseler|Gustav Eduard Benseler]] et al.: ''Griechisch-Deutsches Schulwörterbuch''. B.G. Teubner, 13. Auflage, Leipzig 1911, S. 704</ref> Im Lateinischen ist damit das Verb ''pati'' = „erleiden“ im gleichen Zusammenhang zu erwähnen. Das altgriechische Wort bringt die [[Wikipedia:Ichqualität|Ichqualität]] der jeweiligen Eindrücke und Erfahrungen ebenso wie das dt. Verb ''fühlen'' eindeutig zum Ausdruck. Daneben werden auch die aktiven und passiven Gefühle in der Bedeutung von πάσχω mit eingeschlossen.<br />
<br />
==Gefühlsachterbahn: Der Roller Coaster Ride nach Hurst/Shepard==<br />
Psychologen kennen die Gefühlsphasen, die Betroffene unterschiedlich schwer durchleben, auch als ''Roller Coaster Ride'' – als Achterbahnfahrt der Gefühle, je nachdem wie viele Anstrengungen und Niederlagen folgen.<br />
<br />
Interessanterweise sind diese Phasen für sämtliche Traumata typisch: ob Liebeskummer, den Verlust eines Angehörigen oder des Arbeitsplatzes – der emotionale Ritt verläuft fast immer gleich.<br />
<br />
Das macht es für die Betroffenen natürlich nicht besser, und ein einfaches Rezept, diese Gefühlsphasen zu vermeiden, gibt es auch nicht. Aber sie lassen sich so zumindest abmildern: Wer sich bewusst macht, welche Phase er selbst oder ein guter Freund gerade durchleidet, sieht sich selbst in einem anderen Licht und kann (sich) besser helfen.<br />
<br />
Diese Phasen der Gefühlsachterbahn haben die Wissenschaftler Joe B. Hurst und John W. Shepard schon 1986 genauer erforscht und in ihr sogenanntes Roller Coaster Modell<ref>{{Literatur |Autor=Joe B. Hurst, John W. Shepard |Titel=The Dynamics of Plant Closings: An Extended Emotional Roller Coaster Ride |Hrsg=American Counseling Association |Sammelwerk=Journal of Counseling & Development |Band=6 |Nummer=64 |Auflage= |Verlag=John Wiley & Sons, Inc. |Ort= |Datum=1986-02 |ISBN= |Seiten=401-405}}</ref> übersetzt.<br />
<br />
Die einzelnen Phasen erklären sich dann so<ref>{{Internetquelle |autor=Dieter Schwarz |url=https://www.il-institut.at/resilienz-erkenne-deine-muster/ |titel=Wie du deine Resilienz steigerst - Teil 3: Erkenne deine Muster & brich sie auf! |werk=il Institut für Aus- & Weiterbildung Krems |datum=2020-01-30 |abruf=2020-03-05 |sprache=de-DE}}</ref>:<br />
<br />
1. Vorahnung: Der Betroffene antizipiert eine bevorstehende Krise (zum Beispiel eine mögliche Kündigung) und kalkuliert die (finanziellen und emotionalen) Kosten sowie seine Reaktionen darauf durch.<br />
<br />
2. [[Wikipedia:Akute Belastungsreaktion|Schock]]: Auch wenn man es irgendwie ahnte – nun ist es Gewissheit. Das Schlimmste ist passiert, die Enttäuschung groß. Unmittelbar danach setzt erst einmal ein Schock ein. Der Betroffene braucht Zeit, seine Situation vollständig zu erfassen und zu realisieren, dass das Ergebnis endgültig ist.<br />
<br />
3a. [[Wikipedia:Trauer|Trauer]]: Der Betroffene nimmt sich eine Auszeit und Zeit zur Trauer. Die gehört zur Krisenbewältigung dazu. Oft kommt es dabei – nach einer Weile – zur Erleichterung: Die bange Ungewissheit, das Warten hat ein Ende. Das Leben muss jetzt weitergehen.<br />
<br />
3b. Anstrengung: Deshalb werden jetzt neue Pläne gemacht: Wie geht es weiter? Was ist zu tun? Im Falle einer Kündigung werden jetzt üblicherweise die Bewerbungsunterlagen aktualisiert und Stellenanzeigen in Jobbörsen durchsucht: Was wird angeboten? Was bin ich auf dem Arbeitsmarkt wert? Leichte Hoffnung setzt ein. Bloß nicht aufgeben! Der Betroffene macht sich Mut, strengt sich erneut an. Und gibt es gar erste Erfolgserlebnisse, geht es gleich weiter zu Phase 6.<br />
<br />
4a. Sorge: Doch die Hoffnung mischt sich mit Selbstzweifeln: Was, wenn ich es nicht schaffe? Wie soll es dann weitergehen? Aus temporären Sorgen können sogar größere (Existenz-)Ängste erwachsen.<br />
<br />
4b. Leugnung: Die ersten spontanen Versuche bleiben leider erfolglos. Es geht einfach nicht weiter oder aufwärts. Aber aufgeben oder die Strategie ändern? Nein! Stattdessen wird die Situation jetzt gerne schön geredet – vor allem im privaten Umfeld und vor sich selbst.<br />
<br />
4c. Wut: Es geht partout nicht voran oder aufwärts. Das frustriert. Noch einmal wird der Auslöser (zum Beispiel die Kündigung) reflektiert – und es werden Schuldige gesucht: der Chef, die Kollegen, die Umstände, das System, die Zustände in Deutschland – ein Skandal! Eine einzige unfaire Verschwörung! Und die Wut wird zur Erklärung, warum es nicht klappt.<br />
<br />
4d. Aufgabe: Nichts hilft. Nicht mal jammern oder schimpfen. Egal, was der Betroffene auch unternimmt, er kommt (scheinbar) nicht mehr auf die Beine. Im Falle einer Kündigung kommen weiterhin alle Bewerbungen zurück, es hagelt nur Absagen. Ausnahmslos. Irgendwann resigniert der Betroffene und gibt (sich) auf.<br />
<br />
4e. [[Wikipedia:Depression|Depression]]: Je nachdem welchen Stellenwert der Verlust (etwa Arbeit und Karriere) vorher hatten, ist daran viel Selbstwertgefühl geknüpft. Eine Zeitlang lässt sich das aushalten, aber irgendwann hat das Selbstvertrauen einen massiven Knacks. Studien zeigen zum Beispiel: Langzeitarbeitslosigkeit wirkt sich massiv und negativ auf die Psyche aus. Manche verfallen gar in eine Depression.<br />
<br />
5. Hoffnung: Natürlich muss es nicht so weit kommen. Womöglich gibt es auch einen ersten Lichtblick: Ein Freund macht Mut, es tun sich unverhofft Chancen auf, Minierfolgserlebnisse. In einer solchen Phase wirken sie wie ein emotionales Aufputschmittel: Neue Kräfte werden mobilisiert und neue Anstrengungen unternommen. Hoffnung macht sich erneut breit. Wird sie allerdings jäh gedämpft, setzt ein neuer 4er-Zyklus ein.<br />
<br />
6. Enthusiasmus: Es sieht gut aus – der Ausweg, die Lösung, der neue Job ist zum Greifen nah. Jetzt mobilisiert der Körper alle Reserven – auch die emotionalen. Euphorie mischt sich unter die Anstrengungen. Das Tal scheint überwunden.<br />
<br />
7a. Überwindung: Es ist geschafft, die Krise ist überstanden. Der Betroffene hat seine Katharsis durchlebt und ist daraus vielleicht sogar gestärkt hervorgegangen. Nicht wenige entwickeln dabei die vielbeschworene Resilienz.<br />
<br />
7b. Neuer Zyklus: Es kann aber eben auch anders kommen: Die Hoffnung zerplatzt. Im letzten Moment verglimmt der Docht der die zweite Karriere zünden sollte. Umso tiefer ist jetzt der Absturz – ein neuer 4er-Zyklus setzt ein. Und mit ihm noch stärkere Selbstzweifel. Aus der Depression kann jetzt gar Apathie werden. Hier hilft meist nur noch Hilfe durch Fachärzte.<ref>{{Internetquelle |autor=Ralph Schlieper-Damrich |url=https://www.krisenpraxis.de/tag/krisenmodell/ |titel=Krisenmodell – KrisenPraxis |abruf=2020-03-05 |sprache=de-DE}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Jochen Mai et al. |url=https://karrierebibel.de/achterbahn-der-gefuehle/ |titel=Achterbahn der Gefühle: Typische Phasen von Lebenskrisen |werk= |hrsg=Karriere Bibel |datum=2019-12-29 |abruf=2020-03-05 |sprache=de-DE}}</ref><br />
<br />
==Wissenschaftsgeschichte==<br />
[[Datei:Passions.jpg|mini|320px|Titelseite der Originalarbeit von René Descartes: Les passions de l’âme. Paris 1649|verweis=Special:FilePath/Passions.jpg]]<br />
<br />
Von [[Wikipedia:Platon|Platon]] über [[Wikipedia:Aristoteles|Aristoteles]] bis [[Wikipedia:René Descartes|René Descartes]] präsentierte sich die Psychologie des Gefühls als eine Lehre von den [[Wikipedia:Affekt|Affekt]]en und [[Wikipedia:Leidenschaft|Leidenschaft]]en bzw. von den „Passiones“ (Dualismus von Seele und Körper).<ref name="FLP">[[Wikipedia:Peter R. Hofstätter|Peter R. Hofstätter]] (Hrsg.): ''Psychologie''. Das Fischer Lexikon, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt a.&nbsp;M. 1972, ISBN 3-436-01159-2; (a)&nbsp;zur „Definition“ S. 124; (b)&nbsp;zum Stw. „Gefühl und Vegetative Organfunktionen“: S. 125 f.; (c)&nbsp;zum Stw. „Die Zerknirschung und Schuldfrage bei körpernahen Gefühlen“: S. 125, 206; (d)&nbsp;zum Stw. „Ethische Konsequenzen“: S. 125.</ref><br />
Der Begriff der körpernahen Gefühle ([[Wikipedia:Zönästhesie|Zönästhesie]]n) geht auf die französische Schule der [[Vitalismus|Vitalisten]] zurück. Der [[Wikipedia:Experimentalpsychologie|experimentalpsychologische]] Forschungsansatz, etwa Gefühle zu messen, geht auf [[Wikipedia:Wilhelm Wundt|Wilhelm Wundt]] (1832–1920) zurück. Wundt unterschied bei Gefühlen die Dimensionen a) Lust-Unlust, b) Spannung-Lösung und c) Erregung-Beruhigung.<ref>[[Wikipedia:Wilhelm Wundt|Wilhelm Wundt]]: ''Grundriß der Psychologie''. Band I. S. 35 ff.</ref> Die Dimension a) wäre als subjektiver Anteil der Gefühle, b) als energetischer Aspekt und c) als motorische oder Handlungskomponente zu bezeichnen. Diese Handlungskomponente ist dem Begriff [[Wikipedia:Emotion|Emotion]] eigen und darf nicht mit dem energetischen Aspekt verwechselt werden. Die Messung von Gefühlen muss sich z.&nbsp;T. auf den [[Wikipedia:Psychodynamik|energetischen]], [[Wikipedia:neurophysiologisch|neurophysiologisch]]en Aspekt der Gefühle beschränken, siehe [[Wikipedia:Elektrokardiogramm|EKG]], [[Wikipedia:Elektroenzephalogramm|EEG]] und [[Wikipedia:Psychogalvanische Hautreaktion|HGR]], z.&nbsp;T. werden [[Wikipedia:Testpsychologie|testpsychologische]] Verfahren (Fragebögen, Skalen usw.) in Ansatz gebracht. Wundt stellte weiter fest, dass sich jeder [[Wikipedia:Empfindung|Empfindung]] ein Gefühlston hinzugesellt.<ref>[[Wikipedia:Wilhelm Wundt|Wilhelm Wundt]]: ''Grundzüge der physiologischen Psychologie''. Bd. I, S. 350 ff.</ref> Mit der Frage der „Empfindungsgefühle“ hat sich auch [[Wikipedia:Carl Stumpf|Carl Stumpf]] befasst.<ref>[[Wikipedia:Carl Stumpf|Carl Stumpf]]: ''Empfindung und Vorstellung''. Abh. Preuß. Akad. d. Wiss. phil.-hist. Kl., 1918</ref> Die [[Wikipedia:Elektroenzephalographie|Elektroenzephalographie]] (EEG) entsprang deutschem Erfindergeist und hat Gedanken der deutschen Metaphysik, Philosophie und Naturwissenschaft des 19.&nbsp;Jahrhunderts fortgesetzt. [[Wikipedia:Hans Berger (Mediziner)|Hans Berger]] (1873–1941) ist als Begründer dieser Untersuchungstechnik zu nennen. Berger hat ursprünglich beabsichtigt, das EEG als fruchtbare Methode zur Aufklärung des [[Wikipedia:Psychophysische Korrelation|Leib-Seele-Verhältnisses]] verwendbar zu machen. Davon ist heute vielfach nur die objektivierbare Seite dieser Untersuchung zurückgeblieben und hat sich somit überwiegend in der [[Neurologie]] angesiedelt, während die [[Wikipedia:Psychiatrie|Psychiatrie]] diesem Verfahren bisher eher wenig abgewinnen konnte. In neuerer Zeit wurden emotionale Faktoren als Ursache von EEG-Anomalien von Pateisky (1957) beschrieben und können als sog. Aktivationsmethoden bei der Ableitung der Hirnstromkurven angewandt werden.<ref>Johann Kugler: ''Elektroenzephalographie in Klinik und Praxis. Eine Einführung.'' 3. Auflage. Thieme, Stuttgart 1981, ISBN 3-13-367903-1, S. V und 72.</ref><ref>K. Pateisky: ''Die elektroencephalographische Aktivierung bei Epilepsie unter Berücksichtigung von Mechanismen des Erregungsumfanges''. Wien. klin. Wschr. 69/38–39 (1957) 713–715.</ref> Hans Berger kam zu der für ihn recht enttäuschenden Feststellung, dass das EEG bei Psychosen keine spezifischen Reaktionsmuster aufweist. Lediglich eine „Verkürzung der Alphawellen“ wurde von ihm ähnlich wie bei Gesunden im Falle einer ängstlich gespannten Erregung festgestellt (3. und 12. Mitteilung).<ref>Walter Christian: ''Klinische Elektroenzephalographie.'' Lehrbuch und Atlas. 2. Auflage. Georg Thieme, Stuttgart 1977, ISBN 3-13-440202-5; S. 353</ref><ref>[[Wikipedia:Hans Berger (Mediziner)|Hans Berger]]: ''Über das Elektroenkephalogramm des Menschen''. III. Mitteilung. Arch. Psychiat. Nervenkr. 94 (1931) 16</ref><ref>Hans Berger: ''Über das Elektroenkephalogramm des Menschen''. XII. Mitteilung. Arch. Psychiat. Nervenkr. 106 (1937) 165</ref><br />
<br />
==Begriffliche Abgrenzungen==<br />
[[Datei:Physiognomy.jpg|mini|320px|Verschiedene Gefühlszustände]]<br />
<br />
Einige Autoren unterscheiden bestimmte [[Wikipedia:Grundgefühl|Grundgefühl]]e, die ihrerseits wieder zu anderen sekundären Gefühlen Anlass geben. Dabei werden auch eine individuelle [[Wikipedia:ontogenetisch|ontogenetisch]]e und eine überindividuelle [[Wikipedia:phylogenetisch|phylogenetisch]]e Sichtweise unterschieden, vgl. → [[Wikipedia:psychogenetisches Grundgesetz|psychogenetisches Grundgesetz]]. [[Wikipedia:C.G. Jung|C.G. Jung]] unterscheidet zwischen Gefühl und [[Wikipedia:Affekt|Affekt]], obwohl er Übergänge zwischen beiden als fließend bezeichnet. Affekt hält er als gleichbedeutend mit [[Wikipedia:Emotion|Emotion]]. Beide seien eher neurophysiologisch definierbar bzw. durch messbare Körperinnervationen zu bestimmen, während Gefühle durch eher minimale Körperinnervationen hervorgerufen seien, vgl. → [[Wikipedia:psychogalvanische Hautreaktion|psychogalvanische Hautreaktion]]. Während Affekte den [[Wille]]n umgehen bzw. ausschalten können, seien Gefühle eine „willkürlich disponible Funktion“. Jung unterscheidet daher gerichtete Gefühle – wie z.&nbsp;B. ''Lieben'' – von ungerichteten Gefühlen wie ''Verliebtsein''. Gerichtete Gefühle nennt er aktiv, ungerichtete passiv. Solche passiven Gefühle seien [[Wikipedia:irrational|irrational]], weil sie eher durch Wechselwirkung mit der [[Intuition|Intuition]] zustande kommen wie [[Wikipedia:Einfühlung|Einfühlung]], aktive Gefühle dagegen seien [[Wikipedia:Rationalität#Psychologie|rationale]] Gefühle, die jedoch diese Bewertung nicht dem Denken, sondern der [[Wikipedia:Subjektivität|Subjektivität]] als spezifischer Eigenschaft des Fühlens verdanken.<ref name="JGW6">[[Wikipedia:Carl Gustav Jung|Carl Gustav Jung]]: ''Definitionen''. In: ''Gesammelte Werke''. Walter-Verlag, Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 6, Psychologische Typen, ISBN 3-530-40081-5; (a)&nbsp;zu&nbsp;Stw. „Abgrenzung Affekt-Gefühl“: S. 440 f., §&nbsp;681 und S. 463, §&nbsp;726; (b)&nbsp;zu Stw. „Kategorienbildung“: S. 462, §&nbsp;725; (c)&nbsp;zu Stw. „Wesen der Fühlfunktion“: S. 460 ff., §§&nbsp;720–726 und S. 494, §§&nbsp;795–797 (rationale Funktionen); (d)&nbsp;zu Stw. „Kollektiver Fühltypus“: S. 97, §&nbsp;146 ff., S. 476, §&nbsp;762, S. 503 f, §&nbsp;811.</ref> Diese Auffassung Jungs wird jedoch nicht allgemein geteilt. [[Wikipedia:Theodor Lipps|Theodor Lipps]] vertritt zusammen mit [[Wikipedia:Hans Walter Gruhle|Hans Walter Gruhle]] die Auffassung, dass ungerichtete Gefühle eine Gegebenheit darstellen, die in sich selbst beruhe. Bei jeder anderen Gegebenheit sei man auf etwas Bestimmtes eingestellt. Im ungerichteten Gefühl aber habe man es mit sich zu tun ([[Wikipedia:Ichqualität|Ichqualität]]). Diese Unterscheidung leuchte ein, wenn man sich vor Augen führe, dass jemand im Fall des ungerichteten Gefühls zwar etwas empfinden könne, aber dabei im Grunde nur sich selber fühle ([[Wikipedia:Subjekt-Objekt-Spaltung|Subjekt-Objekt-Spaltung]]). Verliebtsein enthält aber meist beide Komponenten, das allgemeine persönliche Ergriffensein sowie die Objektbeziehung.<ref name="VPS" /> Als Ergebnis der [[Wikipedia:Psychoanalyse|Psychoanalyse]] kann es gewertet werden, dass ungerichtete, diffuse Gefühle wie z.&nbsp;B. frei flottierende [[Wikipedia:Angst|Angst]] auch [[Wikipedia:neurotisch|neurotisch]] bedingt sein können. Dies heißt, dass aus vermiedenen konkreten Befürchtungen infolge von [[Wikipedia:Regression (Psychoanalyse)|Regression]] und [[Wikipedia:Verdrängung (Psychoanalyse)|Verdrängung]] wieder eine diffuse, ungerichtete Form von Angst entstehe, wie sie als normales Entwicklungsstadium in der Kindheit angesehen wird: Das Kind ist noch nicht in der Lage, auf konkrete Gefahrenmomente hin entsprechende Reaktions- und [[Wikipedia:Handlungsmuster|Handlungsmuster]] wie ein Erwachsener [[Bereitstellung|bereitzustellen]]. Durch die Entwicklung solcher Muster lernt das Kind in der Regel erst, solche Gefahrenmomente zu meistern und zu bewältigen.<ref name="NKV">[[Wikipedia:Stavros Mentzos|Stavros Mentzos]]: ''Neurotische Konfliktverarbeitung.'' Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-42239-6; (a)&nbsp;zum Kap. I.3. „Affektive und Gefühlszustände“: S.&nbsp;27; (b)&nbsp;zum Kap. I.5. „Die Angst“: S. 30 ff.</ref><br />
<br />
Um auf die eingangs dieses Kapitels ''Begriffliche Abgrenzungen'' getroffene Unterscheidung von Grundgefühlen und sekundären Gefühlen zurückzukommen, wären somit z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Schamgefühl|Schamgefühl]]e als sekundäre im Verlauf der [[Wikipedia:Sozialisation|Sozialisation]] sich ausbildende Gefühle zu beurteilen, die mit einem komplexen, jeweils individuellen [[Wikipedia:Wertesystem|Wertesystem]] in Zusammenhang stehen. Dessen kollektive und individuelle Gesichtspunkte sind für die Trennung in verschiedene Ich-Zustände verantwortlich. Beispielsweise erst durch [[Wikipedia:Identifikation (Psychologie)|Identifikation]] eines Individuums mit z.&nbsp;B. einem bestimmten Kultur-[[Wikipedia:Über-Ich|Über-Ich]] werden die entsprechenden Gegentendenzen abgelehnt und somit in ein entsprechendes Wertesystem eingeordnet.<ref>[[Wikipedia:Erich Neumann (Mediziner)|Erich Neumann]]: ''Tiefenpsychologie und neue Ethik.'' Kindler-Verlag, München 1964; Ausgabe im Fischer-Taschenbuch-Verlag 1985, Reihe: ''Geist und Psyche,'' ISBN 3-596-42005-9, S. 21.</ref> Gegen die Unterscheidung von Grundgefühlen wird eingewendet, dass jede begriffliche Kategorienbildung in Bezug auf Gefühle dem Wesen der Gefühle abträglich sei. Gefühle sind letztlich weder begrifflich noch gegenständlich allgemein definierbar, sondern können höchstens äußerlich im Einzelfall umschrieben werden. Denken und Fühlen sind verschiedene Kognitionskategorien und daher ist das Unterscheiden von Gefühlen in einer begrifflichen Sprache eine [[Wikipedia:Inkommensurabilität (Wissenschaftstheorie)|inkommensurable]], d.&nbsp;h. dem Fühlen nicht angemessene Einteilung.<ref name="JGW6" /><ref name="APP" /><br />
<br />
==Fühlen als elementare psychische Funktion nach Jung==<br />
[[Datei:Persona weiblich.svg|mini|320px|Typisch weibliche [[Einstellung (Psychosomatik)|Einstellung]] der [[Wikipedia:Persona#Analytische Psychologie|Persona]] nach C.G. Jung, bei der das äußere Ich der Gefühlswelt zugewandt ist, das innere jedoch den praktischen Dingen des Lebens|verweis=Special:FilePath/Persona_weiblich.svg]]<br />
<br />
Fühlen wird nach C.G. Jung zu den vier psychologischen Grundfunktionen gerechnet neben [[Denken]], [[Wikipedia:Empfindung#Psychologie|Empfinden]], und [[Intuition|Intuieren]]. Diese Grundfunktionen können nach Jung nicht von anderen Funktionen abgeleitet werden. Fühlen wird als ein gänzlich subjektiver Vorgang angesehen, der zwischen dem Ich und einem gegebenen seelischen Inhalt entsteht, aber auch in jeder Hinsicht von äußeren Reizen unabhängig sein kann. Dennoch werde mit jeder [[Wikipedia:Empfindung|Empfindung]] auch eine [[Wikipedia:Assoziation (Psychologie)|Gefühlsassoziation]] hervorgerufen. Daher wird das Gefühl von Jung auch als eine rationale [[Wikipedia:Einstellung (Psychologie)|Einstellung]] beschrieben, d.&nbsp;h. als eine entwicklungsgeschichtlich und [[Wikipedia:Ontogenese|ontogenetisch]] späte Fähigkeit. Hierbei geht Jung davon aus, dass Empfindung und Intuition als urtümliche [[Wikipedia:irrational|irrational]]e Fähigkeiten angesehen werden müssen. Das Wesen der Gefühle könne dennoch nicht durch intellektuelle Darlegungen erfasst werden (siehe auch: vorstehendes Kapitel [[#Begriffliche Abgrenzungen|''Begriffliche Abgrenzungen'']]). Sie bauten auf den [[Wikipedia:phylogenetisch|phylogenetisch]] und ontogenetisch frühen Funktionen des Intuierens und Empfindens auf. – Dennoch scheinen Gefühle die ontogenetisch primären [[Wikipedia:Ausdruckspsychologie|Ausdrucksformen]] der Kleinkinder zu sein, deren Verstandesfunktionen noch nicht entwickelt sind (siehe auch: [[Wikipedia:Facial Action Coding System|Facial Action Coding System]]). Nach Jung gehören Gefühle und [[Intuition|Intuition]] zum unbewussten Seelenleben im Gegensatz zu Denken und Empfindung. Verbindet man die Gesichtspunkte der frühen weniger differenzierten unbewussten und späteren differenzierteren bewussten Funktionen mit der Jungschen Einteilung der frühen irrationalen und der späteren rationalen Funktionen, so ergibt sich folgende Reihe: Intuieren → Empfinden → Fühlen → Denken. Durch diese Reihe sei angedeutet, dass die Stärke der physiologischen Einflussnahme in Pfeilrichtung durch die ontogenetische Prädisposition größer erscheint als in umgekehrter Richtung. Das Denken kann also z.&nbsp;B. weniger Einfluss auf die Gefühle nehmen, als die Gefühle auf das Denken. Diese Annahme ist neuerdings durch [[Wikipedia:Neurobiologie|neurobiologische]] Forschungsergebnisse bestätigt worden, bei denen die [[Wikipedia:Afferent|Afferenzen]] und [[Wikipedia:Efferent|Efferenzen]] der [[Wikipedia:Amygdala|Amygdala]] (als ontogenetisch frühes Gefühlszentrum) insbesondere im Hinblick auf Afferenzen aus dem Großhirn (als später differenziertes Organ für die Denkvorgänge) miteinander verglichen wurden.<ref name="WWF">{{Webarchiv|url=http://www.hr-online.de/website/specials/wissen/index.jsp?rubrik=40214&key=standard_document_35655630 | wayback=20090212203108 | text=''Wie wir fühlen''.}} HR2-Funkkolleg, 8. November 2008 9:25 Uhr (a)&nbsp;zu&nbsp;Stw. „Neurobiologie“: 0:05:38-0:07:42/0:24:38; (b)&nbsp;zu&nbsp;Stw. „Bedeutungserteilung“: 0:02:37-0:05:37/0:24:38</ref><br />
<br />
Der „subjektive Vorgang“ des Fühlens bewirke eine ganz bestimmte Bewertung z.&nbsp;B. im Sinne des Annehmens oder Zurückweisens. Eine solche gefühlsmäßige Bewertung sei auch die [[Wikipedia:Stimmung (Psychologie)|Stimmung]] als isolierte, länger andauernde Bewusstseinslage, die von momentanen Empfindungen unabhängig sei (vgl.: [[Wikipedia:Lustprinzip|Lustprinzip]] – [[Wikipedia:Realitätsprinzip|Realitätsprinzip]]; [[Wikipedia:Primärprozess|Primärprozess]] – [[Wikipedia:Sekundärprozess|Sekundärprozess]]).<ref name="JGW6" /> Die Funktion des Fühlens könne auch Einfluss auf den Charakter eines Menschen nehmen. Wenn sie zur Hauptfunktion eines Menschen wird, so spricht Jung von einem „Fühltypus“. Hier ergibt sich die Frage der Bezogenheit oder des Affiziertseins. Die Funktion des Fühlens kann nach Jung individuell oder kollektiv sein. Individuelle Bezogenheit führe zu privaten Kontakten. Kollektive Bezogenheit führe zu allgemeinem Fühlen bzw. zu [[Wikipedia:moral|moral]]ischem Bewusstsein. In den Fällen, in denen keine ausgeprägte [[Wikipedia:Individualität|Individualität]] bestehe und [[Wikipedia:Identität|Identität]] mit der [[Wikipedia:Persona|Persona]] als kollektiver Bezogenheit vorliege, werde die „Seele“, [[Wikipedia:Animus und Anima|Anima oder Animus]], weitestgehend bei sich selbst ausgeschaltet bzw. unbewusst und das [[Seelenbild]] in eine andere reale Person verlegt. Es handele sich um einen der [[Wikipedia:Participation mystique|Participation mystique]] vergleichbaren Zustand. Diese Identität äußere sich in einer zwanghaften Abhängigkeit von der in eine reale Person [[Wikipedia:Projektion (Psychoanalyse)|projizierten]] [[Wikipedia:Komplementarität|komplementären]] Vorstellung. Werde diese Vorstellung nicht projiziert, so leide darunter die [[Wikipedia:Anpassungsreaktion|Anpassung]] und es resultiere eine relative Beziehungslosigkeit, indem der bedingende Charakter dem Objekt entzogen werde. Bisweilen werde hierdurch [[Wikipedia:Homosexualität|Homosexualität]] begünstigt.<ref name="JGW6" /><br />
<br />
==Funktionen des Gefühls==<br />
[[Datei:Ethische Grundbegriffe.svg|mini|320px|Gefühle haben wegen ihrer Funktion des [[Wikipedia:Wertvorstellung|Bewertens]] eine enge Beziehung zu [[Wikipedia:Ethik#Ethische Grundbegriffe|ethischen Grundbegriffen]] bzw. zur [[Wikipedia:Rationalität#Psychologie|Rationalität]].]]<br />
<br />
Da das Gefühl nicht nur objektive Daten aus unserer Umwelt vermittelt, sondern auch als subjektiver Ausdruck des eigenen [[Ich]]s betrachtet werden kann, gilt es stets, beide Quellen dieser Herkunft zu unterscheiden. Mit der Inschrift „[[Wikipedia:Erkenne dich selbst|Erkenne dich selbst]]!“ am [[Wikipedia:Apollontempel|Apollotempel]] von [[Wikipedia:Delphi|Delphi]] war eine Aufforderung zur Neutralisierung des eigenen Weltbezugs verbunden frei von subjektiven Störquellen.<ref name="FLP" /> Gefühle erteilen den jeweiligen Gefühlsinhalten bestimmte [[Wikipedia:Werturteil|Werte]]. Sie werden nach C. G. Jung daher als ''[[Wikipedia:Rationalität#Psychologie|rationale Funktionen]]'' betrachtet. Sie bewerten diese Inhalte bereits unbewusst als persönlich ''annehmbar'', ''abweisbar'' oder aber als ''gleichgültig'' hinsichtlich der ggf. später erforderlichen bewussten Auseinandersetzung. Gefühle haben durch die ihnen innewohnende Beziehung zu einem nichtdiskursiven, auf Erfahrungen beruhenden [[Wikipedia:Wertvorstellung|Wertesystem]] enge Beziehungen zum Handeln bzw. zum ethischen Verhalten eines Menschen (vgl. Abb.). Ein Kriterium des [[Wikipedia:Ichbewusstsein|Ichbewusstsein]]s ist das Tätigkeitsgefühl. Fasst man Gefühle als die Summe von „Elementarfaktoren“ auf, die aus äußeren Sinnesdaten, aus der Objektwelt stammenden Sicherheitserlebnissen, Belohnungs- und Bestrafungserfahrungen herrühren, die aber auch auf innere Spannungen zurückzuführen sind, welche sich aus der [[Wikipedia:Triebtheorie|Triebstruktur]] ergeben, so muss ihr Einfluss auf die Ich-Struktur den in ihnen fixierten [[Wikipedia:Handlungsschema|Handlungsschema]]ta entsprechen.<ref>[[Wikipedia:Wolfgang Loch|Wolfgang Loch]]: ''Zur Theorie, Technik und Therapie der Psychoanalyse''. S.Fischer Conditio humana, hrsg. von [[Wikipedia:Thure von Uexküll|Thure von Uexküll]] & [[Wikipedia:Ilse Grubrich-Simitis|Ilse Grubrich-Simitis]] 1972, ISBN 3-10-844801-3, S. 55</ref><br />
<br />
Auch der [[Wikipedia:Psychodynamik|energetische]] Aspekt kommt bei gefühlsmäßigen Bewertungen zum Tragen. Tiefe Gefühle können das gesamte Seelenleben erfassen, so dass für Anderes kaum mehr Energie übrig bleibt.<ref name="VPS" /> Eine solche Einstellung des gesamten Organismus auf eine ganz bestimmte Reaktionsbereitschaft wird auch [[Bereitstellung]] genannt. Der unterschiedliche [[Wikipedia:Psychodynamik|dynamische]] Charakter der Gefühle ist bei vielen differenzierten Reaktionen zu beachten (vgl. die Reaktionen bei [[Wikipedia:Schuldgefühl|Schuldgefühl]]en und bei der dabei häufigen [[Wikipedia:Ich-Anachorese|Ich-Anachorese]]).<br />
<br />
Gefühle dienen des Weiteren der schnellen und averbalen mitmenschlichen Orientierung. Sie stellen häufig eine mitmenschliche [[Wikipedia:Ausdruckspsychologie|Ausdrucksfunktion]] dar. Die zwischenmenschliche Kommunikation enthält jedoch vielfach intuitive Faktoren, die einer verbalen Kommunikation nicht bedürfen.<ref name="WWF" /><br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*[[Wikipedia:Martin Hartmann (Philosoph)|Martin Hartmann]]: ''Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären.'' Campus, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37718-6; 2., aktualisierte Auflage 2010, ISBN 978-3-593-39285-1.<br />
*[[Wikipedia:Heiner Hastedt|Heiner Hastedt]]: ''Gefühle. Philosophische Bemerkungen'' (= ''Reclams Universal-Bibliothek'', Nr. 18357). Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-15-018357-1.<br />
*[[Wikipedia:Rolf Kühn (Philosoph)|Rolf Kühn]]: ''Macht der Gefühle.'' Alber, Freiburg im Breisgau / München 2008, ISBN 978-3-495-48313-8.<br />
*[[Wikipedia:Hermann Schmitz (Philosoph)|Hermann Schmitz]]: ''Der Gefühlsraum. System der Philosophie,'' 3. Band: ''Der Raum'', Teil II: ''Der Gefühlsraum'', Bouvier, Bonn 2005, ISBN 978-3-416-03085-4.<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*[http://www.sign-lang.uni-hamburg.de/projekte/plex/plex/lemmata/g-lemma/gefuehl.htm Gebärdenlexikon]<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4019702-5}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Fuhlen}}<br />
[[Kategorie:Allgemeine Psychologie]]<br />
{{QuelleWikipedia}}<br />
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Erysidoron
2023-02-21T08:06:50Z
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<hr />
<div>'''Erysidoron''' sind zwei Präparate aus der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]], die typischerweise im Wechsel gegeben werden. Erysidoron I enthält [[Apis mellifica]] D2 und [[Wikipedia:Atropa belladonna|Atropa belladonna]] D2, Erysidoron II enthält [[Carbo Betulae]] und [[Wikipedia:Sulfur|Sulfur]] D1. Das Anwendungsgebiet sind typischerweise akute Entzündungsprozesse.<br />
[[Kategorie:Anthroposophisches Arzneimittel]]<br />
[[Kategorie:Stub]]</div>
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Erysidoron
2023-02-20T08:16:33Z
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<hr />
<div>'''Erysidoron''' sind zwei Präparate aus der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]], die typischerweise im Wechsel gegeben werden. Erysidoron I enthält [[Apis mellifica]] D2 und [[Wikipedia:Atropa belladonna|Atropa belladonna]] D2, Erysidoron II enthält [[Carbo Betulae]] und [[Wikipedia:Sulfur|Sulfur]] D1. Das Anwendungsgebiet sind typischerweise akute Entzündungsprozesse.<br />
[[Kategorie:Anthroposophisches Arzneimittel]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
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Blei
2023-02-12T07:55:51Z
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<hr />
<div>'''Blei''' ist ein [[chemisches Element]] mit dem [[Wikipedia:Elementsymbol|Elementsymbol]] Pb ({{laS|''plumbum''}}) und der [[Wikipedia:Ordnungszahl|Ordnungszahl]] 82. Es ist ein giftiges [[Wikipedia:Schwermetall|Schwermetall]] und steht in der 4. [[Wikipedia:Hauptgruppe|Hauptgruppe]] bzw. der 14. [[Wikipedia:Gruppe des Periodensystems|IUPAC-Gruppe]] ([[Wikipedia:Kohlenstoffgruppe|Kohlenstoffgruppe]]) und 6. Periode des [[Periodensystem]]s. Blei ist leicht verformbar und hat einen vergleichsweise niedrigen Schmelzpunkt.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Isotop|Isotop]]e <sup>206</sup>Pb, <sup>207</sup>Pb und <sup>208</sup>Pb sind die schwersten stabilen Atome, Blei ist damit das Element mit der höchsten [[Wikipedia:Massenzahl|Massen-]] und [[Wikipedia:Ordnungszahl|Ordnungszahl]], das noch stabil ist. Alle Blei[[Wikipedia:isotop|isotop]]e haben die [[Wikipedia:Magische Zahl (Physik)|magische Protonenzahl]] 82, die diese Stabilität bewirkt. Bei <sup>208</sup>Pb liegt sogar ein so genannter ''doppelt magischer Kern'' vor, weil er zusätzlich die magische Neutronenzahl 126 aufweist.<br />
<br />
Da die Bleiisotope -206, -207 und -208 die Endprodukte der drei natürlichen [[Wikipedia:Zerfallsreihe|Zerfallsreihe]]n radioaktiver Elemente sind, ist relativ viel Blei entstanden; es kommt deshalb in der Erdkruste im Vergleich zu anderen schweren Elementen ([[Quecksilber]], [[Gold]] u.&nbsp;a.) häufig vor.<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
[[Datei:Museum Pachten, Wasserverteilertopf.jpg|mini|hochkant|links|Römischer Wasserverteilertopf gefunden in [[Wikipedia:Contiomagus|Contiomagus]]]]<br />
[[Datei:Lead ingots.JPG|mini|hochkant|links|Bleibarren aus dem [[Wikipedia:Britannien in römischer Zeit|römischen Britannien]]]]<br />
<br />
Der bisher älteste Fund von metallischem Blei wurde in [[Wikipedia:Çatalhöyük|Çatalhöyük]], etwa 50&nbsp;km südöstlich von [[Wikipedia:Konya|Konya]] auf dem Anatolischen Plateau, gemacht. Er besteht aus Bleiperlen zusammen mit Kupferperlen, die auf etwa 6500 vor Christus datiert wurden.<ref name="Gmelin-Institut für anorganische Chemie und Grenzg">{{Literatur| Autor=Gmelin-Institut für anorganische Chemie und Grenzg | Titel=Blei Teil A 1: Geschichtliches | Verlag=Springer-Verlag | ISBN=978-3-662-11844-3 | Jahr=2013 | Online={{Google Buch | BuchID=ZQ-CBwAAQBAJ | Seite=6 }} | Seiten=6 }}</ref><br />
<br />
In der frühen [[Wikipedia:Bronzezeit|Bronzezeit]] wurde Blei neben [[Wikipedia:Antimon|Antimon]] und [[Arsen]] verwendet, um aus Legierungen mit Kupfer [[Wikipedia:Bronze|Bronze]]n zu erzeugen, bis sich [[Zinn]] weitgehend durchsetzte. Bereits die [[Wikipedia:Babylonier|Babylonier]] kannten Vasen aus Blei. Die [[Wikipedia:Assyrer|Assyrer]] mussten Blei (''abāru'') einführen, was von [[Wikipedia:Tukulti-apil-Ešarra I.|Tiglat-pileser I.]] unter anderem als Tribut von [[Wikipedia:Melid|Melid]] belegt ist.<ref>[[Wikipedia:Betina Faist|Betina Faist]]: ''Der Fernhandel des assyrischen Reiches zwischen dem 14. und dem 11.&nbsp;Jahrhundert vor Christus'' (= ''Alter Orient und Altes Testament.'' Band 265). Ugarit Verlag, Münster 2001, S.&nbsp;45.</ref> Im [[Wikipedia:Antikes Griechenland|antiken Griechenland]] wurde Blei hauptsächlich in Form von Bleiglanz abgebaut, um daraus Silber zu gewinnen.<ref name="Schwerteck707">{{DNP|2|707|709, hier Sp. 707|Blei|Hans Schwerteck|}}</ref> Im [[Wikipedia:Römisches Reich|römischen Reich]] dagegen wurde der Stoff für eine Vielzahl von Anwendungsbereichen genutzt. Von besonderer Bedeutung war das Blei beispielsweise in der Architektur, wo Steinblöcke mithilfe von Bleiklammern aneinander befestigt wurden. So wurden für die Errichtung der [[Wikipedia:Porta Nigra|Porta Nigra]] schätzungsweise sieben Tonnen Blei verbaut.<ref>[[Peter Kritzinger]]: ''Ein neues Zeugnis eines alten Bekannten: Bleisiegel, Bleihandel und Bleiproduktion im freien Germanien.'' In: [[Wikipedia:Marburger Beiträge zur Antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte|Marburger Beiträge zur Antiken Handels-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte]]. Band 35, 2017, S. 87–107, hier S. 102 (insbesondere Anm. 55) ([https://www.academia.edu/31252335/Ein_neues_Zeugnis_eines_alten_Bekannten_Bleisiegel_Bleihandel_und_Bleiproduktion_im_freien_Germanien_in_MBAH_35_2017_87_107 online]).</ref> Weitere wichtige Einsatzbereiche waren die Verkleidung von [[Wikipedia:Schiffsrumpf|Schiffsrümpfen]] zum Schutz vor Schädlingsbefall und die Herstellung von innerstädtischen Wasserleitungen. Hinzu kam die Nutzung von Blei als Rohstoff für die Herstellung von Gefäßen, als Material von Schreibtafeln oder für die sogenannten [[Wikipedia:Tessera|Tessera]]e, die zum Beispiel als Erkennungs- oder Berechtigungsmarke dienten.<ref name="Schwerteck708">{{DNP|2|707|709, hier Sp. 708|Blei|Hans Schwerteck|}}</ref> Kleine Bleistücke, die sogenannten „Schleuderbleie“, dienten im römischen Heer als [[Wikipedia:Schleuder (Waffe)|Schleudergeschoss]].<ref>[[Wikipedia:Dietwulf Baatz|Dietwulf Baatz]]: ''Schleudergeschosse aus Blei. Eine waffentechnische Untersuchung.'' In: ''Saalburg-Jahrbuch.'' Band 45, 1990, S. 59–67.</ref> Aufgrund des hohen Bedarfs fand auch ein Handel mit Blei über weite Strecken statt, der sich unter anderem durch Inschriften auf römischen Bleibarren nachweisen lässt.<ref name="Schwerteck708" /><br />
<br />
In der antiken Literatur war man der Ansicht, Blei und Zinn seien zwei Erscheinungsformen des gleichen Stoffes, sodass man Blei im [[Latein]]ischen als ''plumbum nigrum'' (von ''niger'', „schwarz“), Zinn als ''plumbum candidum'' (von ''candidus'', „weiß“) bezeichnete. Daher ist oft unklar, ob ein antiker Text mit ''plumbum'' Blei oder Zinn meint.<ref name="Schwerteck707" /> Schon der römische Autor [[Wikipedia:Vitruv|Vitruv]] hielt die Verwendung von Blei für Trinkwasserrohre für gesundheitsschädlich und empfahl, stattdessen nach Möglichkeit Tonrohre zu verwenden.<ref>Vitruv, ''De architectura'' 8,6,10–11 (Text: [https://archive.org/details/vitruviidearchit00vitr/page/192 lat.] [https://archive.org/details/bub_gb_ePJYAAAAYAAJ/page/n267 dt.]).</ref> Trotzdem waren Trinkwasserrohre aus Blei bis in die 1970er Jahre gebräuchlich, was beispielsweise auch in dem englischen Wort ''plumber'' („Rohrverleger“) zum Ausdruck kommt. Aus heutiger Sicht besonders bedenklich war auch die Zugabe von Blei als Süßungsmittel zum Wein (sogenannter „Bleizucker“, siehe [[Wikipedia:Blei(II)-acetat|Blei(II)-acetat]]). Die häufige Nutzung von Blei in Rohren und im Wein wurde teilweise auch als Grund für den [[Wikipedia:Untergang des Römischen Reiches|Untergang des Römischen Reiches]] diskutiert, was heutzutage in der Forschung allerdings abgelehnt wird.<ref name="Schwerteck708" /><br />
<br />
In [[Wikipedia:Westfalen|Westfalen]] gewannen die Römer bis zu ihrem Rückzug nach der [[Wikipedia:Varusschlacht|Varusschlacht]] Blei. Die für unterschiedliche Fundstellen typische Zusammensetzung der [[Wikipedia:Isotop|Isotop]]e zeigt, dass das Blei für die Herstellung römischer [[Wikipedia:Bleisarg|Bleisärge]], die im [[Wikipedia:Rheinland|Rheinland]] gefunden wurden, aus der nördlichen [[Wikipedia:Eifel|Eifel]] stammt. Die römische Bleiverarbeitung hat zu einer bis heute nachweisbaren Umweltverschmutzung geführt: [[Wikipedia:Eisbohrkern|Eisbohrkern]]e aus [[Wikipedia:Grönland|Grönland]] zeigen zwischen dem 5.&nbsp;Jahrhundert v. Chr. und dem 3.&nbsp;Jahrhundert n.&nbsp;Chr. einen messbaren Anstieg des Bleigehalts in der Atmosphäre.<br />
<br />
Auch später hatte Blei eine wichtige Bedeutung. Es wurde beispielsweise zum Einfassen von [[Wikipedia:Bleiglasfenster|Bleiglasfenster]]n, beispielsweise in Kirchen oder für das Eindecken von [[Wikipedia:Bleidach|Bleidächern]] verwendet. Besonders wichtig wurde Blei vor allem nach Erfindung der Feuerwaffen für das Militär als Material für [[Wikipedia:Projektil|Projektil]]e von Handfeuerwaffen. Da die Soldaten ihre Geschosse selbst herstellten, war es nicht unüblich, dass sie alles Blei stahlen, das sie finden konnten, um Geschosse daraus anzufertigen.<br />
<br />
[[Datei:Saturn symbol.svg|mini|links|100px|Alchemistisches Symbol für Blei]]<br />
Blei spielte auch in der [[Alchemie]] eine wichtige Rolle. Auf Grund seiner Ähnlichkeit zu [[Gold]] (ähnlich weich und schwer) galt Blei als guter Ausgangsstoff für die [[Wikipedia:Goldsynthese|Goldsynthese]] (Synthese als Farbumwandlung von Grau nach Gelb). Das alchemistische Symbol für Blei ist eine stilisierte Sichel (♄), da es bereits seit dem Altertum als [[Wikipedia:Planetenmetall|Planetenmetall]] dem [[Wikipedia:Saturn (Mythologie)|Gott]] und [[Wikipedia:Saturn (Planet)|Planeten]] Saturn zugeordnet wurde.<br />
<br />
Mit Beginn der [[Wikipedia:Industrielle Revolution|industriellen Revolution]] wurde Blei dann in großen Mengen für die [[Wikipedia:chemische Industrie|chemische Industrie]], zum Beispiel für die Schwefelsäureproduktion im [[Wikipedia:Bleikammerverfahren|Bleikammerverfahren]] oder die Auskleidung von Anlagen zur [[Wikipedia:Sprengstoff|Sprengstoff]]herstellung, benötigt. Es war damals das wichtigste [[Wikipedia:Nichteisenmetall|Nichteisenmetall]].<br />
<br />
Beim Versuch, das Alter der Erde durch Messung des Verhältnisses von Blei zu Uran in Gesteinsproben zu bestimmen, stellte der US-amerikanische Geochemiker [[Wikipedia:Clair Cameron Patterson|Clair Cameron Patterson]] etwa 1950 fest, dass die Gesteinsproben ausnahmslos mit großen Bleimengen aus der Atmosphäre verunreinigt waren. Als Quelle konnte er das als Antiklopfmittel in Kraftstoffen verwendete [[Wikipedia:Tetraethylblei|Tetraethylblei]] nachweisen. Nach Pattersons Befunden enthielt die Atmosphäre vor 1923 fast überhaupt kein Blei. Aufgrund dieser Erkenntnisse kämpfte er Zeit seines Lebens für die Verringerung der Freisetzung von Blei in die Umwelt. Seine Bemühungen führten schließlich dazu, dass 1970 in den USA der [[Wikipedia:Clean Air Act|Clean Air Act]] mit strengeren Abgasvorschriften in Kraft trat. 1986 wurde der Verkauf verbleiten Benzins in den Vereinigten Staaten, in Deutschland durch das [[Wikipedia:Benzinbleigesetz|Benzinbleigesetz]] schrittweise ab 1988<ref name="umweltdatenbank.de">BENZINBLEIGESETZ: [https://www.umweltdatenbank.de/cms/lexikon/28-lexikon-b/143-benzinbleigesetz.html BENZINBLEIGESETZ], abgerufen am 24. März 2018</ref>, in der EU ab 2001 völlig verboten. Daraufhin sank der Bleigehalt im Blut der Amerikaner fast sofort um 80 Prozent. Da Blei jedoch in der Umwelt praktisch ewig erhalten bleibt, hat dennoch heute jeder Mensch etwa 600mal mehr von dem Metall im Blut als vor 1923. Pro Jahr wurden um das Jahr 2000 immer noch legal etwa 100000 Tonnen in die Atmosphäre freigesetzt. Die Hauptverursacher sind Bergbau, Metallindustrie und produzierendes Gewerbe.<ref name="Bill Bryson">{{Literatur| Autor=Bill Bryson | Titel=Eine kurze Geschichte von fast allem | Verlag=Goldmann Verlag | ISBN=978-3-641-07924-6 | Jahr=2011 | Online={{Google Buch | BuchID=NWsyP3fb5GgC | Seite=234 }} | Seiten=219 }}</ref><br />
[[Datei:Starterbatterie.jpg|mini|Bleiakkumulator für Kraftfahrzeuge]]<br />
Im Jahr 2009 lag die Menge des gewonnenen Bleis bei den Nichteisenmetallen an vierter Stelle nach [[Wikipedia:Aluminium|Aluminium]], [[Kupfer]] und [[Zink]]. Es wird vor allem für Autobatterien ([[Wikipedia:Bleiakkumulator|Bleiakkumulator]]en) verwendet (60 % der Gesamtproduktion).<ref name="Wolfgang Piersig">{{Literatur| Autor=Wolfgang Piersig | Titel=Blei – Metall der Antike, der Gegenwart, Mit Zukunft, ein Werkstoff Für Technik, Kultur, Kunst | Verlag=GRIN Verlag | ISBN=978-3-656-07290-4 | Jahr=2011 | Online={{Google Buch | BuchID=qfNq6Ycx6doC | Seite=8 }} | Seiten=8 }}</ref><br />
<br />
Allgemein wird versucht, die Belastung von Mensch und Umwelt mit Blei und damit [[Wikipedia:Bleivergiftung|Bleivergiftung]]en zu verringern. Außer dem Verbot von bleihaltigem Benzin wurde ab 2002 durch die [[Wikipedia:RoHS-Richtlinien|RoHS-Richtlinien]] die Verwendung von Blei in Elektro- und Elektronikgeräten eingeschränkt. 1989 wurden bleihaltige Anstriche und Beschichtungen vollständig verboten<ref name="baua.de">Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: [https://www.baua.de/DE/Angebote/Veranstaltungen/Dokumentationen/Gefahrstoffe/Blei-Workshop-2009.html BAuA – Dokumentationen – Dokumentation des Stakeholder-Workshops „Sanierung von Holzfenstern mit bleihaltigen Anstrichen“ am 16. Februar 2009 – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin], abgerufen am 24. März 2018</ref>, der Einsatz von bleihaltiger Munition wurde ab 2005 in einigen Bundesländern teilweise verboten.<ref>Technische Universität Dresden Fakultät Umweltwissenschaften: [http://forst.brandenburg.de/media_fast/4055/Dissertation_Jan_Engel.pdf Untersuchungen zur Verbreitung bleifreier Jagdmunition – Eine diffusionstheoretische Betrachtung zur Akzeptanz einer potenziellen Umweltinnovation], Dissertation von Jan Engel</ref> Als Material für Wasserrohre wurde Blei schon 1973 verboten, jedoch existiert noch keine Bestimmung zur Entfernung von Bleirohren aus Bestandsimmobilien, weswegen 2017 der deutsche Bundesrat ein Verbot bleihaltiger Trinkwasserleitungen forderte.<ref>[https://www.innenministerkonferenz.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0601-0700/700-17(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1 Drucksache 700/17 (Beschluss) 15.12.17 zur Verordnung zur Neuordnung trinkwasserrechtlicher Vorschriften], Entschließung B 4.</ref><ref name="nlga.niedersachsen.de" /> Seit 1. März 2018 ist das Verwenden (Lagern, Mischen, Gebrauchen zur Herstellung u.&nbsp;a.) und Inverkehrbringen von Blei -massiv (z.&nbsp;B. als Barren oder Pellets) oder als Pulver- ähnlich wie schon länger bei vielen Bleiverbindungen in der Europäischen Union von wenigen Ausnahmen abgesehen regelmäßig verboten, wenn das zum Verkauf an die breite Öffentlichkeit bestimmt ist und die Bleikonzentration darin 0,3 % oder mehr beträgt; im übrigen muss der Lieferant gewährleisten, dass das vor dem Inverkehrbringen als „nur für gewerbliche Anwender“ gekennzeichnet ist<ref>Art. 67 Abs. 1 der [[Wikipedia:Verordnung (EG) Nr. 1907/2006|Verordnung (EG) Nr. 1907/2006]] i.&nbsp;V.&nbsp;m. mit Anhang XVII Nr. 30 zu dieser sogenannten REACH-VO und mit Anhang VI Teil 3 zur Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (die sogenannte [[Wikipedia:CLP-Verordnung|CLP-Verordnung]]). Das Verbot erfolgte durch Aufnahme von Blei als Pulver (Partikelgröße unter 1&nbsp;mm, Index-Nr. 082-13-00-1) oder massiv (Index-Nr. 082-14-00-7) in die Liste der fortpflanzungsgefährdenden Stoffe (hier der Kategorie 1A) gemäß Tabelle 3 zum zuvor genannten Anhang zur CLP-VO und gemäß Anlage 5 zum zuvor genannten Anhang zur REACH-VO durch die [https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R1510&from=PL Verordnung (EU) 2017/1510 der Kommission vom 30.8.2017] mit Wirkung ab 1.3.2018. Ein Verstoß gegen dieses Verbot des Inverkehrbringens z.&nbsp;B. durch Verkauf von solchem Blei an „privat“ zum Bleigießen u.&nbsp;ä. ist daher in Deutschland nach §&nbsp;5 Nr. 20 [[Wikipedia:Chemikalien-Sanktionsverordnung|Chemikalien-Sanktionsverordnung]] i.&nbsp;V.&nbsp;m. §&nbsp;27 [[Wikipedia:Chemikaliengesetz (Deutschland)|Chemikaliengesetz]] eine Straftat. (Stand Juli 2019)</ref>.<br />
<br />
== Vorkommen ==<br />
Blei kommt in der [[Wikipedia:Erdkruste|Erdkruste]] mit einem Gehalt von etwa 0,0018 % vor<ref>Hans Breuer: ''Allgemeine und anorganische Chemie.'' (= dtv-Atlas Chemie. Band 1). 9. Auflage. dtv, München 2000, ISBN 3-423-03217-0, S.&nbsp;151.</ref> und tritt eher selten [[Wikipedia:gediegen|gediegen]], das heißt in elementarer Form auf. Dennoch sind weltweit inzwischen rund 200 Fundorte für gediegen Blei bekannt (Stand: 2017), so unter anderem in [[Wikipedia:Argentinien|Argentinien]], [[Wikipedia:Äthiopien|Äthiopien]], [[Wikipedia:Australien|Australien]], [[Wikipedia:Belgien|Belgien]], [[Wikipedia:Brasilien|Brasilien]], [[Wikipedia:Volksrepublik China|Volksrepublik China]], [[Wikipedia:Deutschland|Deutschland]], [[Wikipedia:Finnland|Finnland]], [[Wikipedia:Frankreich|Frankreich]], [[Wikipedia:Georgien|Georgien]], [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]], [[Wikipedia:Grönland|Grönland]], [[Wikipedia:Italien|Italien]], [[Wikipedia:Kanada|Kanada]], [[Wikipedia:Kasachstan|Kasachstan]], [[Wikipedia:Kirgisistan|Kirgisistan]], [[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]], der [[Wikipedia:Mongolei|Mongolei]], [[Wikipedia:Namibia|Namibia]], [[Wikipedia:Norwegen|Norwegen]], [[Wikipedia:Österreich|Österreich]], [[Wikipedia:Polen|Polen]], [[Wikipedia:Russland|Russland]], [[Wikipedia:Schweden|Schweden]], [[Wikipedia:Slowenien|Slowenien]], [[Wikipedia:Tschechien|Tschechien]], der [[Wikipedia:Ukraine|Ukraine]], den [[Wikipedia:Amerikanische Jungferninseln|US-amerikanischen Jungferninseln]], im [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|Vereinigten Königreich]] und den [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten von Amerika]] (USA).<ref name="Fundorte">Fundortliste für gediegen Blei beim [https://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/MineralDataShow?mineralid=427&sections=12 Mineralienatlas] und bei [https://www.mindat.org/show.php?id=2358&ld=1#themap Mindat]</ref><br />
<br />
Auch in Gesteinsproben des [[Wikipedia:Mittelatlantischer Rücken|mittelatlantischen Rückens]], genauer am nordöstlichen Rand der „Markov-Tiefe“ innerhalb der „Sierra-Leone-Bruchzone“ (Sierra-Leone-Schwelle), sowie außerhalb der Erde auf dem [[Mond]] im [[Wikipedia:Mare Fecunditatis|Mare Fecunditatis]] konnte Blei gefunden werden.<ref name="Fundorte" /><br />
<br />
An jedem Fundort weicht die Isotopenzusammensetzung geringfügig von den oben angegebenen Mittelwerten ab, so dass man mit einer genauen Analyse der Isotopenzusammensetzung den Fundort bestimmen und bei archäologischen Fundstücken auf alte Handelswege schließen kann. Zudem kann Blei ebenfalls fundortabhängig verschiedene [[Wikipedia:Fremdatom|Fremdbeimengungen]] wie Silber, Kupfer, Zink, Eisen, Zinn und/oder Antimon enthalten.<ref name="handbookofmineralogy">{{Literatur | Hrsg= John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols | Titel= Lead | Sammelwerk= Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America | Datum= 2001 | Online= http://www.handbookofmineralogy.org/pdfs/lead.pdf | Format= PDF | KBytes= 57 | Abruf= 2018-01-12}}</ref><br />
<br />
In Bleierzen ist Blei zumeist als [[Wikipedia:Galenit|Galenit]] (Bleisulfid PbS, ''Bleiglanz'') zugegen. Dieses Mineral ist auch die bedeutendste kommerzielle Quelle für die Gewinnung neuen Bleis. Weitere Bleimineralien sind [[Wikipedia:Cerussit|Cerussit]] (Blei(II)-carbonat, PbCO<sub>3</sub>, auch ''Weißbleierz''), [[Wikipedia:Krokoit|Krokoit]] (Blei(II)-chromat, PbCrO<sub>4</sub>, auch ''Rotbleierz'') und [[Wikipedia:Anglesit|Anglesit]] (Blei(II)-sulfat, PbSO<sub>4</sub>, auch ''Bleivitriol''). Die Bleiminerale mit der höchsten Bleikonzentration in der Verbindung sind [[Lithargit]] und [[Massicotit]] (bis 92,8 %) sowie [[Wikipedia:Minium|Minium]] (bis 90,67 %). Insgesamt sind bisher 514 [[:Kategorie:Bleimineral|Bleiminerale]] bekannt (Stand: 2017).<ref>[http://webmineral.com/chem/Chem-Pb.shtml Webmineral – Mineral Species sorted by the element Pb (Lead)] (englisch).</ref><br />
<br />
Die wirtschaftlich abbaubaren Vorräte werden weltweit auf 67 Millionen Tonnen geschätzt (Stand 2004).<ref name="Fraunhofer">Fraunhofer-Institut: ''{{Webarchiv|url=http://www.isi.fraunhofer.de/isi-media/docs/n/de/publikationen/Endbericht_Rohstoffe.pdf |wayback=20130310060240 |text=Trends der Angebots- und Nachfragesituation bei mineralischen Rohstoffen. |archiv-bot=2018-08-29 22:30:06 InternetArchiveBot }}'' (PDF, 350 S.; 2,1&nbsp;MB).</ref> Die größten Vorkommen findet man in der [[Wikipedia:Volksrepublik China|Volksrepublik China]], den [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|USA]], [[Wikipedia:Australien|Australien]], [[Wikipedia:Russland|Russland]] und [[Wikipedia:Kanada|Kanada]]. In Europa sind [[Wikipedia:Schweden|Schweden]] und [[Wikipedia:Polen|Polen]] die Länder mit den größten Vorkommen.<br />
<br />
Auch in Deutschland wurde in der nördlichen Eifel (Rescheid / Gruben Wohlfahrt und Schwalenbach; [[Wikipedia:Mechernich|Mechernich]] / Grube Günnersdorf und auch Tagebau /Virginia; [[Wikipedia:Bleialf|Bleialf]]), im Schwarzwald, im Harz (Goslar/[[Wikipedia:Rammelsberg|Rammelsberg]]), in Sachsen (Freiberg/[[Wikipedia:Muldenhütten|Muldenhütten]]), an der unteren Lahn ([[Wikipedia:Bad Ems|Bad Ems]], [[Wikipedia:Holzappel|Holzappel]]), sowie in Westfalen ([[Wikipedia:Ramsbeck|Ramsbeck]]/Sauerland) in der Vergangenheit Bleierz abgebaut, verhüttet und veredelt.<br />
<br />
Die bedeutendste Quelle für Blei ist heute das [[Wikipedia:Recycling|Recycling]] alter Bleiprodukte. Daher bestehen in Deutschland nur noch zwei Primärhütten, die Blei aus Erz herstellen, die [[Wikipedia:Bleihütte Binsfeldhammer|Bleihütte Binsfeldhammer]] in [[Wikipedia:Stolberg (Rhld.)|Stolberg (Rhld.)]] und [[Metaleurop]] in [[Wikipedia:Nordenham|Nordenham]] bei [[Wikipedia:Bremerhaven|Bremerhaven]]. Sämtliche anderen Hütten erzeugen so genanntes Sekundärblei, indem sie altes Blei (insbesondere aus gebrauchten [[Wikipedia:Autobatterie|Autobatterie]]n) aufarbeiten.<br />
<br />
== Blei als Mineral ==<br />
[[Datei:Lead-288819.jpg|mini|Gediegen Blei – Fundort: Langban, Schweden]]<br />
<br />
Natürliche Vorkommen an Blei in seiner elementaren Form waren bereits vor der Gründung der [[Wikipedia:International Mineralogical Association|International Mineralogical Association]] (IMA) bekannt. Als vermutliche [[Wikipedia:Typlokalität|Typlokalität]] wird die manganreichen Eisenerz-[[Wikipedia:Lagerstätte|Lagerstätte]] [[Wikipedia:Långban|Långban]] in Schweden angegeben, wo derbe Massen von bis zu 50&nbsp;kg<ref name="Klockmann">{{Literatur| Autor= [[Wikipedia:Friedrich Klockmann|Friedrich Klockmann]] | Hrsg= [[Wikipedia:Paul Ramdohr|Paul Ramdohr]], [[Wikipedia:Karl Hugo Strunz|Hugo Strunz]] | Titel= Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie | Auflage= 16. | Verlag= Enke | Ort= Stuttgart | Datum= 1978 | JahrEA= 1891 | Seiten= 396 | ISBN= 3-432-82986-8}}</ref> oder 60&nbsp;kg<ref>{{Literatur | Autor= Richard V. Gaines, H. Catherine W. Skinner, Eugene E. Foord, [[Wikipedia:Brian Mason|Brian Mason]], Abraham Rosenzweig | Titel= Dana’s New Mineralogy | Auflage= 8. | Verlag= John Wiley & Sons | Ort= New York (u.&nbsp;a.) | Datum= 1997 | Seiten= 5 | ISBN= 0-471-19310-0}}</ref> gefunden worden sein sollen. Blei ist daher als sogenanntes ''grandfathered'' [[Wikipedia:Mineral|Mineral]] als eigenständige Mineralart anerkannt.<ref>[http://cnmnc.main.jp/IMA_Master_List_%282019-07%29.pdf#page=110 IMA/CNMNC List of Mineral Names; July 2019] (PDF 1,67&nbsp;MB; Blei (Lead) siehe S. 106)</ref><br />
<br />
Gemäß der [[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Strunz (9. Auflage)#A. Kupfer-Cupalit-Familie|Systematik der Minerale nach Strunz (9. Auflage)]] wird Blei unter der System-Nummer ''1.AA.05'' (Elemente – Metalle und intermetallische Verbindungen – Kupfer-Cupalit-Familie – Kupfergruppe)<ref>[http://cnmnc.main.jp/IMA2009-01%20UPDATE%20160309.pdf#page=161 IMA/CNMNC List of Mineral Names; 2009] (PDF 1,8&nbsp;MB, Blei (Lead) siehe S.&nbsp;161).</ref> beziehungsweise in der veralteten [[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Strunz (8. Auflage)#I/A. Metalle und intermetallische Legierungen (ohne Halbmetalle)|8. Auflage]] unter ''I/A.03'' (''Zinn-Blei-Gruppe'') eingeordnet. Die vorwiegend im englischsprachigen Raum verwendete [[Systematik der Minerale nach Dana/Elemente#01.01 Elemente: Metallische Elemente außer der Platingruppe|Systematik der Minerale nach Dana]] führt das Element-Mineral unter der System-Nr. 01.01.01.04 (''Goldgruppe'').<ref>[http://webmineral.com/dana/dana.php?class=01&subclass=01&group=01#.WlfYN4gxmUk Webmineral – Minerals Arranged by the New Dana Classification. 01.01.01 Gold group]</ref><br />
<br />
In der Natur tritt gediegen Blei meist in Form von zentimetergroßen Blechen und Platten sowie in körnigen, dendritischen, haar- oder drahtförmigen [[Wikipedia:Mineral-Aggregat|Aggregaten]] auf.<ref>Bildbeispiele von [https://www.mindat.org/photo-23609.html plattigem] und [https://www.mindat.org/photo-769985.html dendritischem] Blei bei mindat.org</ref> Sehr selten finden sich auch [[Wikipedia:Oktaeder|oktaedrische]], würfelige und [[Wikipedia:Dodekaeder|dodekaedrische]] Blei[[Wikipedia:kristall|kristall]]e, die meist winzig sind,<ref>[https://www.mindat.org/photo-87113.html Bildbeispiel einer mikroskopischen Aufnahme von oktaedrischen Bleikristallen] bei mindat.org</ref> aber gelegentlich eine Größe zwischen 4&nbsp;cm<ref name="Klockmann" /> und 6&nbsp;cm erreichen können.<ref name="handbookofmineralogy" /><br />
<br />
== Staaten mit der größten Förderung ==<br />
<!-- Bitte Abschnittsüberschrift nicht löschen oder umbenennen, da interne Verlinkung aus anderen Artikeln (z.&nbsp;B. China) in Arbeit! Danke! Benutzer:Bertonymus --><br />
<br />
{{Siehe auch|Liste der größten Bleiproduzenten}}<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|+Die Länder mit der größten Bleiförderung (2004)<ref>United States Geological Survey.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! Rang<br />
! Land<br />
! Fördermengen<br />(in 1000 [[Wikipedia:Tonne (Einheit)|t]])<br />
! Rang<br />
! Land<br />
! Fördermengen<br />(in 1000 t)<br />
|-<br />
| 1 || {{CHN}} || 950<br />
| 11 || {{SWE}} || 33,9<br />
|-<br />
| 2 || {{AUS}} || 642<br />
| 12 || {{KAZ}} || 33<br />
|-<br />
| 3 || {{USA}} || 445<br />
| 13 || {{MAR}} || 31,3<br />
|-<br />
| 4 || {{PER}} || 306,2<br />
| 14 || {{RUS}} || 24<br />
|-<br />
| 5 || {{MEX}} || 118,5<br />
| 15 || {{IRN}} || 22<br />
|-<br />
| 6 || {{CAN}} || 76,7<br />
| 16 || {{PRK}} || 20<br />
|-<br />
| 7 || {{IRL}} || 65,9<br />
| 17 || {{BGR}} || 19<br />
|-<br />
| 8 || {{IND}} || 39,8<br />
| 18 || {{TUR}} || 18,7<br />
|-<br />
| 9 || {{POL}} || 38<br />
| 19 || {{ROM}} || 15<br />
|-<br />
| 10 || {{ZAF}} || 37,5<br />
| 20 || {{BRA}} || 14,7<br />
|}<br />
<br />
Die weltweit bedeutendsten Förderländer für Bleierz im Jahre 2004 waren die Volksrepublik China (950.000 Tonnen), Australien (642.000 Tonnen) und die USA (445.000 Tonnen), deren Anteil an den weltweit abgebauten 3,1 Millionen Tonnen zusammen etwa zwei Drittel betrug. In Europa sind Irland, Schweden und Polen als die größten Bleiproduzenten zu nennen.<br />
<br />
Die wichtigsten Produzenten von raffiniertem Blei ([[Wikipedia:Hüttenweichblei|Hüttenweichblei]] mit 99,9 % Reinheit) sind die Volksrepublik China (1,8 Millionen Tonnen), die USA (1,2 Millionen Tonnen) und Deutschland (403.000 Tonnen), deren Anteil zusammen rund die Hälfte der weltweit erzeugten 6,7 Millionen Tonnen beträgt. Weitere bedeutende Produzenten von raffiniertem Blei in Europa sind Großbritannien, Italien, Frankreich und Spanien.<br />
<br />
Der weltweite Verbrauch bzw. Produktion von Blei stieg von etwa 7 Millionen Tonnen auf etwa 11 Millionen Tonnen in den Jahren 2013 bis 2016.<ref name="statista.com">Statistik: [https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38025/umfrage/verbrauch-von-bleimetall-weltweit-seit-2004/ Weltweiter Bleiverbrauch bis 2016 | Statistik], abgerufen am 24. März 2018</ref><ref name="statista.com2">Statistik: [https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38017/umfrage/produktion-von-bleimetall-weltweit-seit-2004/ • Weltweite Bleiproduktion bis 2016 | Statistik], abgerufen am 24. März 2018</ref><br />
<br />
== Gewinnung und Darstellung ==<br />
[[Datei:GalèneMissouri.jpg|mini|[[Wikipedia:Galenit|Galenit]] ''(Bleiglanz)'' aus [[Wikipedia:Missouri|Missouri]]]]<br />
<br />
Das mit Abstand bedeutendste Bleimineral ist das [[Wikipedia:Galenit|Galenit]]. Dieses tritt häufig vergesellschaftet mit den Sulfiden anderer Metalle (Kupfer, Bismut, Zink, Arsen, Antimon u.&nbsp;a.) auf, die naturgemäß als Verunreinigung des Rohbleis bis zu einem Anteil von 5 % enthalten sind.<br />
<br />
Das durch Zerkleinerung, Klassierung und [[Wikipedia:Flotation|Flotation]] auf bis zu 60 % Mineralgehalt aufbereitete Erz wird in drei verschiedenen industriellen Prozessen in metallisches Blei überführt. Dabei treten die Verfahren der Röstreduktion und der Röstreaktion zunehmend in den Hintergrund und werden durch Direktschmelzverfahren ersetzt, die sich einerseits wirtschaftlicher gestalten lassen und die andererseits umweltverträglicher sind.<br />
<br />
=== Röstreduktionsarbeit ===<br />
Dieses Verfahren verläuft in zwei Stufen, dem [[Wikipedia:Rösten (Metallurgie)|Rösten]] und der [[Wikipedia:Reduktion (Chemie)|Reduktion]]. Beim Rösten wird das fein zerkleinerte Bleisulfid auf einen [[Wikipedia:Wanderrost|Wanderrost]] gelegt und 1000&nbsp;°C heiße Luft hindurchgedrückt. Dabei reagiert es mit dem [[Sauerstoff]] der Luft in einer exothermen Reaktion zu [[Wikipedia:Blei(II)-oxid|Blei(II)-oxid]] (PbO) und [[Wikipedia:Schwefeldioxid|Schwefeldioxid]]. Dieses wird über die Röstgase ausgetrieben und kann für die [[Wikipedia:Schwefelsäure|Schwefelsäure]]produktion verwendet werden. Das Bleioxid ist unter diesen Bedingungen flüssig und fließt nach unten. Dort kann es [[Wikipedia:Sintern|gesintert]] werden.<br />
<br />
:<math>\mathrm{2\ PbS\ +\ 3\ O_2\ \longrightarrow\ 2\ PbO\ +\ 2\ SO_2}\ \ \Delta H_{\mathrm{r}}^0=-836\ \mathrm{kJ \cdot mol}^{-1}</math> (Röstarbeit)<br />
<br />
Anschließend erfolgt die Reduktion des Bleioxids mit Hilfe von [[Wikipedia:Koks|Koks]] zu metallischem Blei. Dies geschieht in einem Schachtofen, ähnlich dem beim [[Wikipedia:Hochofenprozess|Hochofenprozess]] verwendeten. Dabei werden schlackebildende Zuschlagsstoffe wie [[Wikipedia:Calciumcarbonat|Kalk]] beigefügt.<br />
<br />
:<math>\mathrm{PbO\ +\ C\ \longrightarrow\ Pb\ +\ CO}\ \ \Delta H_{\mathrm{r}}^0=+107\ \mathrm{kJ \cdot mol}^{-1}</math><br />
<br />
:<math>\mathrm{PbO\ +\ CO\ \longrightarrow\ Pb\ +\ CO_2}\ \ \Delta H_{\mathrm{r}}^0=-66\ \mathrm{kJ \cdot mol}^{-1}</math> (Reduktionsarbeit)<br />
<br />
=== Röstreaktionsarbeit ===<br />
Dieses Verfahren kommt vor allem bei hochgradig mit PbS angereicherten Bleierzen zum Einsatz und ermöglicht die Bleierzeugung in einem Schritt. Dabei wird das sulfidische Erz nur unvollständig geröstet. Anschließend wird das Bleisulfid/Bleioxid-Gemisch weiter unter Luftabschluss erhitzt. Dabei setzt das Bleioxid sich mit dem verbliebenen PbS ohne Zugabe eines weiteren Reduktionsmittels zu Blei und Schwefeldioxid um:<br />
<br />
:<math>\mathrm{2\ PbS\ +\ 3\ O_2\ \longrightarrow\ 2\ PbO\ +\ 2\ SO_2} </math> (Röstarbeit),<br />
<br />
:<math>\mathrm{PbS\ +\ 2\ PbO\ \longrightarrow\ 3\ Pb\ +\ SO_2}</math> (Reaktionsarbeit).<br />
<br />
=== Direktschmelzverfahren ===<br />
Moderne Herstellungsverfahren für Blei basieren auf Direktschmelzverfahren, die auf Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit hin optimiert wurden (z.&nbsp;B. das [[Wikipedia:QSL-Verfahren|QSL-Verfahren]]<ref>{{Webarchiv | url=http://www.berzelius.de/produkte/qsl/index.html | wayback=20070929082916 | text=QSL bei berzelius.de}}</ref>). Vorteilhaft ist die kontinuierliche Prozessführung mit Beschränkung auf einen Reaktionsraum, der als einziger [[Wikipedia:Emittent (Umwelt)|Emittent]] für Schadstoffe auftritt&nbsp;– im Vergleich dazu weisen die klassischen Produktionsverfahren das [[Wikipedia:Sintern|Sintern]] als zusätzlichen emittierenden Schritt auf. Das Rösten und die Reduktion finden parallel in einem Reaktor statt. Das Bleisulfid wird ähnlich wie beim Röstreaktionsverfahren nicht vollständig geröstet. Ein Teil des Bleis entsteht somit durch Reaktion des Bleisulfids mit Bleioxid. Da der Reaktor leicht geneigt ist, fließen Blei und bleioxidhaltige [[Wikipedia:Schlacke (Metallurgie)|Schlacke]] ab. Diese passiert die Reduktionszone, in die Kohlenstaub eingeblasen und das Bleioxid so zu Blei reduziert wird. Beim Rösten wird statt Luft reiner [[Sauerstoff]] verwendet. Dadurch verringert sich das Volumen an Abgasen erheblich, die andererseits eine im Vergleich zu konventionellen Verfahren höhere Konzentration an Schwefeldioxid aufweisen. Deren Verwendung für die Schwefelsäureherstellung gestaltet sich somit einfacher und wirtschaftlicher.<br />
<br />
=== Raffination ===<br />
[[Datei:Lead electrolytic and 1cm3 cube.jpg|mini|links|Bleiknollen, elektrolytisch raffiniert, 99,989 %]]<br />
Das entstehende [[Wikipedia:Werkblei|Werkblei]] enthält 2–5 % andere Metalle, darunter [[Kupfer]], [[Silber]], [[Gold]], [[Zinn]], [[Wikipedia:Antimon|Antimon]], [[Arsen]], [[Wikipedia:Bismut|Bismut]] in wechselnden Anteilen. Das Aufreinigen und Vermarkten einiger dieser Beiprodukte, insbesondere des bis zu 1 % im Werkblei enthaltenen Silbers, trägt wesentlich zur Wirtschaftlichkeit der Bleigewinnung bei.<br />
<br />
Die pyrometallische Raffination des Bleis ist ein mehrstufiger Prozess. Durch Schmelzen in Gegenwart von Natriumnitrat/Natriumcarbonat bzw. von Luft werden Antimon, Zinn und Arsen oxidiert und können als Bleiantimonate, -stannate und -arsenate von der Oberfläche der Metallschmelze abgezogen werden („Antimonabstrich“). Kupfer wie auch eventuell enthaltenes Zink, Nickel und Kobalt werden durch [[Wikipedia:Seigerung|Seigern]] des Werkbleis aus dem Rohmetall entfernt. Dabei sinkt auch der Schwefelgehalt beträchtlich. Silber wird nach dem [[Wikipedia:Parkes-Verfahren|Parkes-Verfahren]] ggf. durch die Zugabe von Zink und das Ausseigern der sich bildenden Zn-Ag-[[Wikipedia:Mischkristall|Mischkristall]]e aus dem Blei abgeschieden („Parkesierung“), während die Bedeutung des älteren Pattinson-Verfahrens stark zurückgegangen ist (''siehe auch'' Herstellung von Silber, [[Wikipedia:Blicksilber|Blicksilber]]). Bismut kann nach dem Kroll-Betterton-Verfahren durch Legieren mit [[Wikipedia:Calcium|Calcium]] und [[Wikipedia:Magnesium|Magnesium]] als Bismutschaum von der Oberfläche der Bleischmelze abgezogen werden.<br />
<br />
Eine weitere Reinigung kann durch elektrolytische Raffination erfolgen, jedoch ist dieses Verfahren bedingt durch den hohen Energiebedarf kostenintensiver. Blei ist zwar ein unedles Element, welches in der [[Wikipedia:Elektrochemische Spannungsreihe|elektrochemischen Spannungsreihe]] ein negativeres [[Wikipedia:Standardpotential|Standardpotential]] als Wasserstoff aufweist. Dieser hat jedoch an Bleielektroden eine hohe [[Wikipedia:Überspannung (Elektrochemie)|Überspannung]], so dass eine elektrolytische Abscheidung metallischen Bleis aus wässrigen Lösungen möglich wird, siehe [[Wikipedia:elektrolytische Bleiraffination|elektrolytische Bleiraffination]].<br />
<br />
Raffiniertes Blei kommt als Weichblei bzw. genormtes [[Wikipedia:Hüttenblei|Hüttenblei]] mit 99,9- bis 99,97%iger Reinheit (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Eschweiler Raffiné|Eschweiler Raffiné]]) oder als Feinblei mit 99,985 bis 99,99 % Blei (DIN 1719, veraltet) in den Handel. Entsprechend dem Verwendungszweck sind auch Bezeichnungen wie Kabelblei für die Legierung mit ca. 0,04 % Kupfer verbreitet. Aktuelle Normen wie DIN EN 12659 kennen diese noch gebräuchlichen Bezeichnungen nicht mehr.<br />
<br />
== Eigenschaften ==<br />
=== Physikalische Eigenschaften ===<br />
[[Datei:Face-centered cubic.svg|150px|mini|Kubisch-flächenzentriertes Gitter des Bleis (a=494 pm).]]<br />
<br />
Blei ist ein unedles Metall mit einem Standard[[Wikipedia:elektrodenpotential|elektrodenpotential]] von etwa −0,13&nbsp;V.<ref name="Binnewies" /> Es ist allerdings edler als viele andere Gebrauchsmetalle, wie Eisen, Zink oder Aluminium. Es ist ein [[Wikipedia:Diamagnetismus|diamagnetisches]] Schwermetall mit einer [[Wikipedia:Dichte|Dichte]] von 11,3&nbsp;g/cm³, das [[Wikipedia:Kubisches Kristallsystem|kubisch-flächenzentriert]] kristallisiert und damit eine kubisch [[Wikipedia:dichteste Kugelpackung|dichteste Kugelpackung]] mit der {{Raumgruppe|Fm-3m|lang}} aufweist. Der [[Wikipedia:Gitterparameter|Gitterparameter]] beträgt bei reinem Blei 0,4950&nbsp;[[Wikipedia:Nanometer|nm]]<ref>{{Literatur | Autor= Ralph W. G. Wyckoff | Titel= Crystal Structures | Band= 1 | Auflage= 2. | Verlag= John Wiley & Sons | Ort= New York, London, Sydney | Datum= 1963 | Seiten= 3 | ISBN= | Kommentar= im [http://som.web.cmu.edu/StructuresAppendix2.pdf#page=3 Anhang]}}</ref> (entspricht 4,95&nbsp;[[Wikipedia:Ångström (Einheit)|Å]]) bei 4 [[Wikipedia:Formeleinheit|Formeleinheit]]en pro [[Wikipedia:Elementarzelle|Elementarzelle]].<ref>{{Literatur| Autor= [[Wikipedia:Karl Hugo Strunz|Hugo Strunz]], [[Wikipedia:Ernest Henry Nickel|Ernest H. Nickel]] | Titel= Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System | Auflage= 9. | Verlag= E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller) | Ort= Stuttgart | Datum= 2001 | Seiten= 35| ISBN= 3-510-65188-X}}</ref><br />
<br />
Darauf gründet die ausgeprägte [[Wikipedia:Duktilität|Duktilität]] des Metalls und die geringe [[Wikipedia:Mohshärte|Mohshärte]] von 1,5. Es lässt sich daher leicht zu Blechen walzen oder zu Drähten formen, die jedoch wegen ihrer geringen Härte nur wenig beständig sind. Eine [[Wikipedia:diamant|diamant]]artige Modifikation, wie sie von den leichteren Homologen der Gruppe 14 bekannt ist, tritt beim Blei nicht auf. Das liegt an der [[Wikipedia:Relativistischer Effekt|relativistisch]] bedingten Instabilität der Pb-Pb-Bindung und an der geringen Tendenz, vierwertig aufzutreten.<br />
<br />
Frische Bleiproben sind von grauweißer bis metallisch weißer Farbe und zeigen einen typisch metallischen [[Wikipedia:Glanz#Minerale|Glanz]], der aber durch oberflächliche Oxidation sehr schnell abnimmt. Die Farbe wechselt dabei ins Dunkelgraue und wird matt. Auf Papier hinterlässt das weiche Metall einen (blei)grauen [[Wikipedia:Strichfarbe|Strich]]. Aus diesem Grund wurde früher mit Blei geschrieben und gemalt. Der Name „[[Wikipedia:Bleistift|Bleistift]]“ blieb bis heute erhalten, obwohl man seit langem dafür [[Wikipedia:Graphit|Graphit]] benutzt.<br />
<br />
Der Schmelzpunkt des Bleis liegt bei 327&nbsp;°C, sein Siedepunkt bei 1740–1751&nbsp;°C (Werte in Fachliteratur unterschiedlich: 1740&nbsp;°C,<ref name="Merck-SDB">{{Merck|107362|Datum=23. Februar 2010}}</ref> 1746&nbsp;°C,<ref name="Binnewies">Michael Binnewies: ''Allgemeine und anorganische Chemie.'' Spektrum, Heidelberg 2004, ISBN 3-8274-0208-5.</ref> 1751&nbsp;°C<ref name="HoWi">{{Holleman-Wiberg|Auflage=101.|Startseite=?}}</ref>). Blei [[Wikipedia:Leitfähigkeit|leitet]] als typisches Metall sowohl [[Wärme]] als auch [[Wikipedia:Elektrischer Strom|Strom]], dies aber deutlich schlechter als andere Metalle (vgl. elektrische Leitfähigkeit Blei: 4,8&nbsp;·&nbsp;10<sup>6</sup>&nbsp;S/m,<ref name="HoWi" /> Silber: 62&nbsp;·&nbsp;10<sup>6</sup>&nbsp;S/m<ref name="HoWi" />). Unterhalb von 7,196&nbsp;K zeigt Blei keinen [[Wikipedia:Elektrischer Widerstand|elektrischen Widerstand]], es wird zum [[Wikipedia:Supraleiter|Supraleiter]] vom Typ I. Die [[Wikipedia:Schallgeschwindigkeit|Schallgeschwindigkeit]] in Blei liegt bei etwa 1200&nbsp;m/s, in der Literatur streuen die Werte etwas, wahrscheinlich bedingt durch unterschiedliche [[Wikipedia:Stoffreinheit|Reinheit]] oder Bearbeitung.<br />
<br />
=== Chemische Eigenschaften ===<br />
An der Luft wird Blei durch Bildung einer Schicht aus Bleioxid [[Wikipedia:Passivierung|passiviert]] und damit vor weiterer [[Wikipedia:Oxidation|Oxidation]] geschützt. Frische Schnitte glänzen daher zunächst metallisch, laufen jedoch schnell unter Bildung einer matten Oberfläche an. In feinverteiltem Zustand ist Blei leichtentzündlich (''pyrophores Blei'').<br />
<br />
Auch in diversen Säuren ist Blei durch Passivierung unlöslich. So ist Blei beständig gegen [[Wikipedia:Schwefelsäure|Schwefelsäure]], [[Wikipedia:Flusssäure|Flusssäure]] und [[Wikipedia:Salzsäure|Salzsäure]], da sich mit den Anionen der jeweiligen Säure unlösliche Bleisalze bilden. Deshalb besitzt Blei für spezielle Anwendungen eine gewisse Bedeutung im chemischen Apparatebau.<br />
<br />
Löslich ist Blei dagegen in [[Wikipedia:Salpetersäure|Salpetersäure]] ([[Wikipedia:Blei(II)-nitrat|Blei(II)-nitrat]] ist wasserlöslich), heißer, konzentrierter Schwefelsäure (Bildung des löslichen Pb(HSO<sub>4</sub>)<sub>2</sub>-Komplexes), [[Wikipedia:Essigsäure|Essigsäure]] (nur bei Luftzutritt) und heißen [[Wikipedia:Alkalische Lösung|Laugen]].<br />
<br />
In Wasser, das keinen Sauerstoff enthält, ist metallisches Blei stabil. Bei Anwesenheit von Sauerstoff löst es sich jedoch langsam auf, so dass bleierne Trinkwasserleitungen eine Gesundheitsgefahr darstellen können. Wenn das Wasser dagegen viele [[Wikipedia:Hydrogencarbonate|Hydrogencarbonat-]] und [[Wikipedia:Sulfate|Sulfationen]] enthält, was meist mit einer hohen [[Wikipedia:Wasserhärte|Wasserhärte]] einhergeht, bildet sich nach einiger Zeit eine Schicht basischen [[Wikipedia:Blei(II)-carbonat|Bleicarbonats]] und [[Wikipedia:Blei(II)-sulfat|Bleisulfats]]. Diese schützt das Wasser vor dem Blei, jedoch geht selbst dann noch etwas Blei aus den Leitungen in das Wasser über.<br />
<br />
== Isotope ==<br />
Natürlich vorkommendes Blei besteht im Mittel zu etwa 52,4 % aus dem Isotop <sup>208</sup>Pb, zu etwa 22,1 % aus <sup>207</sup>Pb, zu etwa 24,1 % aus <sup>206</sup>Pb und zu etwa 1,4 % <sup>204</sup>Pb. Die Zusammensetzung ist je nach Lagerstätte geringfügig verschieden, so dass mit einer Analyse der Isotopenzusammensetzung die Bleiherkunft festgestellt werden kann. Das ist für historische Funde aus Blei und Erkenntnisse früherer Handelsbeziehungen von Bedeutung.<br />
<br />
Die drei erstgenannten Isotope sind stabil. Bei <sup>204</sup>Pb handelt es sich um ein [[Wikipedia:Primordiales Nuklid|primordiales Radionuklid]]. Es zerfällt unter Aussendung von [[Wikipedia:Alphastrahlung|Alphastrahlung]] mit einer [[Wikipedia:Halbwertszeit|Halbwertszeit]] von 1,4&nbsp;·&nbsp;10<sup>17</sup>&nbsp;Jahren (140 [[Wikipedia:Billiarde|Billiarde]]n Jahre) in <sup>200</sup>[[Quecksilber|Hg]]. <sup>208</sup>Pb besitzt einen [[Wikipedia:Magische Zahl (Physik)|doppelt magischen Kern]]; es ist das schwerste stabile Nuklid. (Das noch schwerere, lange für stabil gehaltene <sup>209</sup>[[Wikipedia:Bismut|Bi]] ist nach neueren Messungen<ref>P. de Marcillac, N. Coron, G. Dambier, J. Leblanc, J.-P. Moalic: ''Experimental detection of α-particles from the radioactive decay of natural bismuth.'' In: ''[[Wikipedia:Nature|Nature]].'' 422, 2003, S.&nbsp;876–878; [[doi:10.1038/nature01541]].</ref> instabil und zerfällt mit einer Halbwertszeit von (1,9 ± 0,2)· 10<sup>19</sup> Jahren (19 [[Wikipedia:Trillion|Trillion]]en Jahre) unter Aussendung von Alphateilchen in <sup>205</sup>[[Wikipedia:Thallium|Tl]]. Sein sehr langsamer Zerfall ist darin begründet, dass es mit Z=83 nur ein Proton mehr als die magische Protonenzahl von 82 und die magische Neutronenzahl 126 aufweist, also sehr ähnlich aufgebaut ist wie der doppelt magische Bleikern mit 208 Nukleonen).<br />
<br />
Die stabilen Isotope des natürlich vorkommenden Bleis sind jeweils die Endprodukte der Uran- und Thorium-Zerfallsreihen: <sup>206</sup>Pb ist das Endnuklid der beim <sup>238</sup>U beginnenden [[Wikipedia:Uran-Radium-Reihe|Uran-Radium-Reihe]], <sup>207</sup>Pb ist das Ende der beim <sup>235</sup>U beginnenden [[Wikipedia:Uran-Actinium-Reihe|Uran-Actinium-Reihe]] und <sup>208</sup>Pb das Ende der beim <sup>244</sup>Pu bzw. <sup>232</sup>Th beginnenden [[Wikipedia:Thorium-Reihe|Thorium-Reihe]]. Durch diese Zerfallsreihen kommt es zu dem Effekt, dass das Verhältnis der Bleiisotope in einer Probe bei Ausschluss eines stofflichen Austausches mit der Umwelt zeitlich nicht konstant ist. Dies kann zur [[Wikipedia:Geochronologie|Altersbestimmung]] durch die Uran-Blei- bzw. Thorium-Blei-Methode genutzt werden, die auf Grund der langen Halbwertszeiten der Uran- und Thoriumisotope im Gegensatz zur [[Wikipedia:Radiokarbonmethode|Radiokarbonmethode]] gerade zur Datierung von Millionen Jahre alten Proben tauglich ist. Außerdem führt der Effekt zu differenzierten Isotopensignaturen im Blei aus verschiedenen Lagerstätten, was zum Herkunftsnachweis herangezogen werden kann.<br />
<br />
Weiterhin existieren noch 33 instabile [[Wikipedia:Isotop|Isotop]]e und 13 instabile [[Wikipedia:Isomer (Kernphysik)|Isomere]] von <sup>178</sup>Pb bis <sup>215</sup>Pb,<ref name="nubase">G. Audi, O. Bersillon, J. Blachot, A.H. Wapstra: {{Webarchiv|text=''The NUBASE evaluation of nuclear and decay properties.'' |url=http://amdc.in2p3.fr/nubase/Nubase2003.pdf |wayback=20110720233206 |archiv-bot=2018-03-25 11:09:53 InternetArchiveBot }} (PDF; 1&nbsp;MB), In: ''Nuclear Physics.'' Band A 729. Amsterdam 2003, S.&nbsp;3–128.</ref> die entweder künstlich hergestellt wurden oder in den [[Wikipedia:Zerfallsreihe|Zerfallsreihe]]n des [[Wikipedia:Uran|Uran]]s bzw. des [[Wikipedia:Thorium|Thorium]]s vorkommen, wie etwa <sup>210</sup>Pb in der Uran-Radium-Reihe. Das langlebigste Isotop unter ihnen ist <sup>205</sup>Pb mit einer Halbwertszeit von 153 [[Wikipedia:Million|Million]]en Jahren.<br />
<br />
''→ [[Wikipedia:Liste der Isotope/Ordnungszahl 81 bis Ordnungszahl 90#82 Blei|Liste der Blei-Isotope]]''<br />
<br />
== Verwendung ==<br />
Die größten Bleiverbraucher sind die USA, Japan, Deutschland und die Volksrepublik China. Der Verbrauch ist stark von der [[Wikipedia:Konjunktur|Konjunktur]] in der Automobilindustrie abhängig, in deren Akkumulatoren etwa 60 % des Weltbedarfs an Blei verwendet werden. Weitere 20 % werden in der chemischen Industrie verarbeitet.<br />
<br />
=== Strahlenabschirmung ===<br />
[[Datei:Lead shielding.jpg|mini|[[Wikipedia:Bleiburg (Strahlenschutz)|Bleiklötze zur Abschirmung einer radioaktiven Strahlenquelle]] im Labor]]<br />
Wegen seiner hohen [[Wikipedia:Atommasse|Atommasse]] eignet sich Blei in ausreichend dicken Schichten oder Blöcken zur [[Wikipedia:Abschirmung (Strahlung)#Röntgen- und Gammastrahlung|Abschirmung]] gegen [[Wikipedia:Gammastrahlung|Gamma-]] und [[Wikipedia:Röntgenstrahlung|Röntgenstrahlung]]; es [[Wikipedia:Absorption (Physik)|absorbiert]] [[Wikipedia:Röntgenstrahlung|Röntgen-]] und [[Wikipedia:Gammastrahlung|Gammastrahlung]] sehr wirksam. Blei ist hierfür billiger und leichter zu verarbeiten, etwa als weiches Blech, als noch „atom-schwerere“, dichtere Metalle. Deshalb wird es ganz allgemein im [[Wikipedia:Strahlenschutz|Strahlenschutz]] (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Nuklearmedizin|Nuklearmedizin]], [[Wikipedia:Radiologie|Radiologie]], [[Wikipedia:Strahlentherapie|Strahlentherapie]]) zur [[Wikipedia:Abschirmung (Strahlung)|Abschirmung]] benutzt. Ein Beispiel ist die Blei[[Wikipedia:schürze|schürze]], welche Ärzte und Patienten bei Röntgenaufnahmen tragen. [[Wikipedia:Bleiglas|Bleiglas]] wird ebenfalls zum Strahlenschutz verwendet.<br />
<br />
Im Krankenhausbereich ist als technische Angabe bei baulichen Einrichtungen mit Abschirmfunktion wie Wänden, Türen, Fenster der ''Bleidickegleichwert''<!--unsicher ob korrekt bezeichnet--> üblich und oft angeschrieben, um die Wirksamkeit von Strahlenschutz und Strahlenbelastung berechnen zu können.<br />
<br />
Blei wird deshalb z.&nbsp;B. auch für [[Wikipedia:Streustrahlenraster|Streustrahlenraster]] eingesetzt.<br />
<br />
Einen besonderen Anwendungsfall stellt die Abschirmung von [[Wikipedia:Gammaspektrometer|Gamma-Spektrometern]] für die Präzisionsdosimetrie dar. Hierfür wird Blei mit möglichst geringer Eigen-Radioaktivität benötigt. Der natürliche Gehalt an radioaktivem <sup>210</sup>Pb wirkt sich störend aus. Er fällt umso niedriger aus, je länger der Verhüttungszeitpunkt zurückliegt, denn mit der Verhüttung werden die Mutter-Nuklide aus der [[Wikipedia:Uran-Radium-Reihe|Uran-Radium-Reihe]] (Begleiter im Erz) vom Blei abgetrennt. Das <sup>210</sup>Pb zerfällt daher vom Zeitpunkt der Verhüttung an mit seiner [[Wikipedia:Halbwertszeit|Halbwertszeit]] von 22,3&nbsp;Jahren, ohne dass neues nachgebildet wird. Deshalb sind historische Bleigegenstände wie etwa Trimmgewichte aus gesunkenen Schiffen oder historische Kanonenkugeln zur Gewinnung von strahlungsarmem Blei für die Herstellung solcher Abschirmungen begehrt. Auch gibt es noch andere Forschungseinrichtungen, die aus ähnlichen Gründen dieses alte Blei benötigen.<ref>[http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/0,1518,689783,00.html ''Neutrino-Jagd, Blei aus antikem Schiff schützt Hightech-Experiment.''] In: ''Spiegel Online.'' 19. März 2010, abgerufen: 19. März 2010.</ref><br />
<br />
=== Metall ===<br />
Blei wird vorwiegend als Metall oder [[Wikipedia:Legierung|Legierung]] verwendet. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als Blei eines der wichtigsten und meistverwendeten Metalle war, versucht man heute, Blei durch andere, ungiftige Elemente oder Legierungen zu ersetzen. Wegen seiner wichtigen Eigenschaften, vor allem seiner [[Wikipedia:Korrosion|Korrosion]]sbeständigkeit und hohen [[Wikipedia:Dichte|Dichte]] sowie seiner einfachen Herstellung und Verarbeitung, hat es aber immer noch eine große Bedeutung in der Industrie. Elemente mit einer ähnlichen oder noch höheren Dichte beispielsweise sind entweder noch problematischer ([[Quecksilber]], [[Wikipedia:Uran|Uran]]) oder sehr selten und teuer ([[Wikipedia:Wolfram|Wolfram]], [[Gold]], [[Wikipedia:Platin|Platin]]).<br />
<br />
==== Elektrotechnik ====<br />
Das meiste Blei wird heutzutage für chemische Energiespeicher in Form von Bleiakkumulatoren (z.&nbsp;B. für Autos) verwendet. Ein Autoakku enthält eine Blei- und eine Blei(IV)-oxid-Elektrode sowie verdünnte Schwefelsäure (37 %) als Elektrolyt. Aus den bei der elektrochemischen Reaktion entstehenden Pb<sup>2+</sup>-Ionen bildet sich in der Schwefelsäure unlösliches Blei(II)-sulfat. Wiederaufladen ist durch die [[Wikipedia:Rückreaktion|Rückreaktion]] von Blei(II)-sulfat zu Blei und Blei(IV)-oxid möglich. Ein Vorteil des Bleiakkumulators ist die hohe [[Wikipedia:Nennspannung|Nennspannung]] einer [[Wikipedia:Galvanische Zelle|Akkuzelle]] von 2,06&nbsp;[[Wikipedia:Volt|Volt]].<br />
<br />
==== Maschinenbau ====<br />
Da Blei eine hohe Dichte besitzt, wird es als Gewicht benutzt. Umgangssprachlich gibt es deshalb die Bezeichnung „bleischwer“ für sehr schwere Dinge. Bleigewichte wurden unter anderem als Ausgleichsgewichte zum [[Wikipedia:Auswuchten|Auswuchten]] von Autorädern benutzt. Dies ist aber seit dem 1.&nbsp;Juli 2003 bei PKW-Neuwagen und seit dem 1.&nbsp;Juli 2005 bei allen PKW (bis 3,5 t) verboten; die Bleigewichte sind durch Zink- oder Kupfergewichte ersetzt worden. Weitere Anwendungen unter Ausnutzung der hohen Dichte sind: Bleiketten zur Straffung von Gardinen und Tauchgewichte, um beim Tauchen den Auftrieb von Taucher und Ausrüstung auszugleichen. Außerdem wird Blei als Schwingungsdämpfer in vibrationsempfindlichen (Auto-)Teilen, zur Stabilisierung von Schiffen und für Sonderanwendungen des Schallschutzes verwendet.<br />
<br />
==== Apparatebau ====<br />
Blei ist durch [[Wikipedia:Passivierung|Passivierung]] chemisch sehr beständig und widersteht u.&nbsp;a. [[Wikipedia:Schwefelsäure|Schwefelsäure]] und [[Wikipedia:Brom|Brom]]. Daher wird es als [[Wikipedia:Korrosionsschutz|Korrosionsschutz]] im Apparate- und Behälterbau eingesetzt. Eine früher wichtige Anwendung war das [[Wikipedia:Bleikammerverfahren|Bleikammerverfahren]] zur Schwefelsäureherstellung, da damals Blei das einzige bekannte Metall war, das den Schwefelsäuredämpfen widerstand. Auch frühere Anlagen und Räume zur Herstellung von Nitroglyzerin wurden an Boden und Wand mit Blei ausgekleidet.<ref>F. Scheiding: ''Über die Schutzmaassregeln bei Herstellung des Nitroglycerins.'' In: ''[[Wikipedia:Angewandte Chemie (Zeitschrift)|Angewandte Chemie]].'' 3, 20, 1890, S.&nbsp;609–613; [[doi:10.1002/ange.18900032002]].</ref> Blei wurde auch häufig zur Ummantelung von Kabeln zum Schutz vor Umwelteinflüssen benutzt, beispielsweise bei Telefonkabeln. Heute ist Blei dabei meist durch [[Wikipedia:Kunststoff|Kunststoff]]e, z.&nbsp;B. PVC, abgelöst worden, wird aber bis heute bei Kabeln in [[Wikipedia:Erdölraffinerie|Raffinerien]] eingesetzt, da es auch gegen [[Wikipedia:Kohlenwasserstoffe|Kohlenwasserstoffe]] unempfindlich ist.<br />
<br />
==== Bauwesen ====<br />
[[Datei:Salemer Münster Orgel innen Pneumatische Traktur.jpg|mini|Bleirohre der pneumatischen [[Wikipedia:Traktur|Traktur]] einer Orgel]]<br />
<br />
Da Blei leicht zu bearbeiten und zu gießen ist, wurde Blei in der Vergangenheit häufig für metallische Gegenstände verwendet. Zu den wichtigsten Bleiprodukten zählten u.&nbsp;a. Rohre. Aufgrund der Toxizität der aus dem Blei evtl. entstehenden chemischen Verbindungen ([[Wikipedia:Bleivergiftung|Bleivergiftung]]) kommen Bleirohre aber seit den 1970er Jahren nicht mehr zum Einsatz. Trotz einer gebildeten Karbonatschicht in den Rohren löst sich das Blei weiterhin im [[Wikipedia:Trinkwasser|Trinkwasser]]. Erfahrungsgemäß wird bereits nach wenigen Metern der Grenzwert der geltenden [[Wikipedia:Trinkwasserverordnung|Trinkwasserverordnung]] nicht mehr eingehalten.<br />
<br />
[[Datei:Bleifuge zwischen Mauersteinen.JPG|mini|Blei zur Versiegelung einer Mauerfuge]]<br />
<br />
Weitere Verwendung im Hochbau fand Blei zur Verbindung von Steinen durch eingegossene Metallklammern oder Metalldübel, etwa um [[Wikipedia:Scharnier|Scharnier]]e an einen steinernen Türstock zu befestigen oder ein [[Wikipedia:Geländer|Eisengeländer]] an einer Steintreppe. Diese Verbleiungstechnik ist in der Restaurierung noch weit verbreitet. So an der Turmspitze im Wiener [[Wikipedia:Stephansdom|Stephansdom]] oder der Brücke in [[Wikipedia:Mostar|Mostar]]. Auch für Fensterfassungen, z.&nbsp;B. an [[Wikipedia:mittelalter|mittelalter]]lichen Kirchenfenstern, wurden oft [[Wikipedia:Bleirute|Bleirute]]n verwendet. Blei (Walzblei) findet auch Verwendung als [[Wikipedia:Dachdeckung|Dachdeckung]] (z.&nbsp;B. die Hauptkuppeln der [[Wikipedia:Hagia Sophia|Hagia Sophia]]) oder für Dachabschlüsse (z.&nbsp;B. bei den berühmten „[[Wikipedia:Bleikammern|Bleikammern]]“, dem ehemaligen Gefängnis von [[Wikipedia:Venedig|Venedig]] und im Kölner Dom) sowie zur Einfassung von Dachöffnungen. Auch wurde früher Farben und Korrosionsschutzanstrichen Blei beigemischt, insbesondere bei Anstrichen für Metalloberflächen. Noch heute stellt Blei bei Gebäuden im Bestand einen zu berücksichtigenden [[Wikipedia:Gebäudeschadstoff|Gebäudeschadstoff]] dar, da es in vielen älteren Bau- und Anlageteilen weiterhin zu finden ist.<br />
<br />
==== Pneumatiksteuerungen ====<br />
<br />
Ein spezieller Anwendungsbereich von Bleirohren waren ab dem späten 19. Jahrhundert pneumatische Steuerungen für Orgeln ([[Wikipedia:Traktur#Pneumatisch|pneumatische Traktur]]), [[Wikipedia:Kunstspielklavier|pneumatische Kunstspielklaviere]] und, als ein spezieller und sehr erfolgreicher Einsatzfall, die Steuerung der [[Wikipedia:Edwin Albert Link|Link-Trainer]], des ersten weitverbreiteten Flugsimulators. Die Vorteile von Bleirohren (billig, stabil, flexibel, kleiner Platzbedarf für die nötigen umfangreichen Rohrbündel, lötbar, mechanisch leicht zu verarbeiten, langlebig) waren dafür ausschlaggebend.<br />
<br />
==== Militärtechnik ====<br />
Ein wichtiger Abnehmer für Bleimetall war und ist das Militär. Blei dient als Grundstoff für Geschosse, sowohl für [[Wikipedia:Schleuder (Waffe)|Schleudern]] als auch für Feuerwaffen. In sogenannten [[Wikipedia:Kartätsche (Munition)|Kartätschen]] wurde gehacktes Blei verschossen. Der Grund für die Verwendung von Blei waren und sind einerseits die hohe Dichte und damit hohe Durchschlagskraft und andererseits die leichte Herstellung durch Gießen. Heutzutage wird das Blei meist von einem Mantel (daher „[[Wikipedia:Mantelgeschoss|Mantelgeschoss]]“) aus einer Kupferlegierung ([[Wikipedia:Messing|Tombak]]) umschlossen. Vorteile sind vor allem eine höhere erreichbare Geschossgeschwindigkeit, bei der ein nicht ummanteltes Bleigeschoss aufgrund seiner Weichheit nicht mehr verwendet werden kann, und die Verhinderung von Bleiablagerungen im Inneren des Laufes einer Feuerwaffe. [[Wikipedia:Bleifreie Munition|Bleifreie Munition]] ist jedoch auch verfügbar.<br />
<br />
==== Karosseriereparatur ====<br />
Vor dem Aufkommen moderner 2-Komponenten-[[Wikipedia:Spachtelmasse|Spachtelmasse]] wurden Blei oder Blei-Zinn-Legierungen aufgrund ihres geringen Schmelzpunktes zum Ausfüllen von Schad- und Reparaturstellen an Fahrzeugkarosserien genutzt. Dazu wurde das Material mit [[Wikipedia:Lötbrenner|Lötbrenner]] und [[Wikipedia:Flussmittel (Löten)|Flussmittel]] auf die Schadstelle [[Wikipedia:Löten|aufgelötet]]. Anschließend wurde die Stelle wie beim Spachteln verschliffen. Dies hat den Vorteil, dass das Blei im Gegensatz zu Spachtelmasse eine feste Bindung mit dem Blech eingeht und bei Temperaturschwankungen auch dessen Längenausdehnung mitmacht. Da die entstehenden Dämpfe und Stäube giftig sind, wird dieses Verfahren heute außer bei der Restaurierung historischer Fahrzeuge kaum noch verwendet.<br />
<br />
==== Brauchtum ====<br />
Ein alter [[Wikipedia:Orakel|Orakel]]-Brauch, den bereits die Römer pflegten, ist das [[Wikipedia:Bleigießen|Bleigießen]], bei dem flüssiges Blei (heutzutage auch in Legierung mit Zinn) in kaltem Wasser zum Erstarren gebracht wird. Anhand der zufällig entstehenden Formen sollen Weissagungen über die Zukunft getroffen werden. Heute wird der Brauch noch gerne zu [[Wikipedia:Neujahr|Neujahr]] geübt, um einen (nicht unbedingt ernst genommenen) Ausblick auf das kommende Jahr zu bekommen.<br />
<br />
==== Wassersport ====<br />
[[Datei:Metallpreise.png|mini|Weltmarktpreise für Metall, Juni 2013 (Blei: sechste Beschriftung von unten)]]<br />
Beim [[Wikipedia:Tauchen|Tauchen]] werden [[Wikipedia:Blei (Tauchen)|Bleigewichte]] zum [[Wikipedia:Tarieren|Tarieren]] verwendet; der hohe Dichteüberschuss (gut 10&nbsp;g/cm³) gegenüber Wasser liefert kompakt den Abtrieb, so dass ein Taucher auch in geringer Wassertiefe schweben kann. Für die Verwendung von Blei als Gewicht ist ferner der vergleichsweise niedrige Preis begünstigend: Ausgehend von den Weltmarktpreisen für Metalle vom Juli 2013 hat Blei ein hervorragendes Preis-Gewichts-Verhältnis. Die Verwendung erfolgt in Form von Platten an den Schuhsohlen eines Panzertauchanzugs, als abgerundete Blöcke aufgefädelt auf einem breiten Hüftgurt oder – modern – als Schrotkugeln in Netzen in den Taschen einer Tarierweste. Öffnen der Gurtschnalle oder der Taschen (unten) erlaubt es, den Ballast notfalls rasch abzuwerfen.<br />
<br />
Der [[Wikipedia:Kiel (Schiffbau)|Kielballast]] von [[Wikipedia:Segelyacht|Segelyacht]]en besteht bevorzugt aus Blei. Eisenschrott ist zwar billiger, aber auch weniger dicht, was bei den heute üblichen schlanken Kielen nicht optimal ist. Neben der Dichte ist ein weiter Vorteil, dass Blei nicht rostet und daher auch bei einem Schaden in der Kielverkleidung nicht degeneriert.<br />
<br />
=== Legierungsbestandteil ===<br />
Blei wird auch in einigen wichtigen [[Wikipedia:Legierung|Legierung]]en eingesetzt. Durch das Zulegieren weiterer Metalle ändern sich je nach Metall die [[Wikipedia:Härte|Härte]], der [[Wikipedia:Schmelzpunkt|Schmelzpunkt]] oder die [[Wikipedia:Korrosion|Korrosion]]sbeständigkeit des Materials. Die wichtigste Bleilegierung ist das [[Wikipedia:Hartblei|Hartblei]], eine Blei-Antimon-Legierung, die erheblich härter und damit mechanisch belastbarer als reines Blei ist. Spuren einiger anderer Elemente (Kupfer, Arsen, Zinn) sind meist in Hartblei enthalten und beeinflussen ebenfalls maßgeblich die Härte und Festigkeit. Verwendung findet Hartblei beispielsweise im Apparatebau, bei dem es neben der chemischen Beständigkeit auch auf Stabilität ankommt.<br />
<br />
[[Datei:Metal movable type.jpg|mini|Bleilettern]]<br />
<br />
Eine weitere Bleilegierung ist das [[Wikipedia:Letternmetall|Letternmetall]], eine Bleilegierung mit 60–90 % Blei, die als weitere Bestandteile Antimon und Zinn enthält. Es wird für [[Wikipedia:Letter|Letter]]n im klassischen [[Wikipedia:Buchdruck|Buchdruck]] verwendet, spielt heute allerdings in der Massenproduktion von Druckgütern keine Rolle mehr, sondern allenfalls für [[Wikipedia:Bibliophilie|bibliophile]] Editionen. Daneben wird Blei in [[Wikipedia:Lager (Maschinenelement)|Lagern]] als so genanntes [[Wikipedia:Lagermetall|Lagermetall]] verwendet.<br />
<br />
Blei spielt eine Rolle als Legierungsbestandteil in [[Wikipedia:Lot (Metall)|Weichlot]], das unter anderem in der [[Wikipedia:Elektrotechnik|Elektrotechnik]] Verwendung findet. In Weichloten ist Zinn neben Blei der wichtigste Bestandteil. Die Verwendung von Blei in Loten betrug 1998 weltweit etwa 20.000 Tonnen. Die EG-Richtlinie 2002/95/EG [[Wikipedia:RoHS|RoHS]] verbannt Blei seit Juli 2006 weitgehend aus der [[Wikipedia:Löten|Löttechnik]]. Für spezielle Anwendungen gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen.<ref name="ihk-krefeld.de">RoHS: Neue Ausnahmen von den Stoffverwendungsgeboten: {{Webarchiv|url=https://www.ihk-krefeld.de/de/innovation/umwelt/kreislaufwirtschaft/neue-ausnahmen-von-den-stoffverwendungsverboten-in-elektro-und-elektronikgeraet.html |wayback=20180324163325 |text=RoHS: Neue Ausnahmen von den Stoffverwendungsgeboten |archiv-bot=2018-08-29 22:30:06 InternetArchiveBot }}, abgerufen am 24. März 2018</ref><br />
<br />
Blei ist ein häufiger Nebenbestandteil in [[Wikipedia:Messing|Messing]]. Dort hilft ein Bleianteil (bis 3 %), die Zerspanbarkeit zu verbessern. Auch in anderen Legierungen, wie z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Rotguss|Rotguss]], kann Blei als Nebenbestandteil enthalten sein. Daher ist es ratsam, nach längerem Stehen das erste aus Messingarmaturen kommende Wasser wegen etwas herausgelösten Bleis eher nicht zu trinken.<ref>[http://help.orf.at/stories/1686782/ ''Zu viel Blei in Küchenarmaturen.''] auf: ''orf.at '' 19. August 2011, abgerufen am 28. April 2012.</ref><br />
<br />
=== Bleifrei ===<br />
Bleihaltige Produkte und Anwendungen werden entweder vollständig ersetzt (wie [[Wikipedia:Tetraethylblei|Tetraethylblei]] im [[Wikipedia:Motorenbenzin|Benzin]]) oder der Bleigehalt durch Grenzwerte auf einen der technischen Verunreinigung entsprechenden Wert beschränkt (z.&nbsp;B. Zinn und [[Wikipedia:Lot (Metall)|Lot]]). Diese Produkte werden gern „bleifrei“ genannt. Grenzwerte gibt es u.&nbsp;a. in der Gesetzgebung um die so genannte [[Wikipedia:RoHS|RoHS]] (Richtlinie 2011/65/EU), die 1000&nbsp;[[Wikipedia:Parts per million|ppm]] (0,1 %) vorsieht. Strenger ist der Grenzwert für Verpackungen mit 100&nbsp;ppm (Richtlinie 94/62/EG).<br />
<br />
Der politische Wille zum Ersetzen des Bleis gilt auch dort, wo die Verwendung aufgrund der Eigenschaften technisch oder wirtschaftlich interessant wäre, die Gesundheitsgefahr gering und ein Recycling mit sinnvollem Aufwand möglich wäre (z.&nbsp;B. Blei als Dacheindeckung). <!-- Interessanterweise findet aber kaum eine Einschränkung der Verwendung von Blei für die Jagd statt. Dabei ist es nur seit einiger Zeit untersagt, in direkter Umgebung von Gewässern mit Bleischrot zu schießen; und das, obwohl die Jäger in Deutschland etwa zehn mal so viel Blei pro Jahr verbrauchen, wie es die Elektronikindustrie vor dem Inkrafttreten des Bleiverbotes tat. Das Verbot ist nicht allgemein, sondern betrifft einige Bundesländer. Formulierungen wie „interessanterweise“ gehören aber nicht in eine Enzyklopädie; Quellen zu den Angaben fehlen --><br />
<br />
=== Bleiglas ===<br />
Wegen der [[Wikipedia:Abschirmung (Strahlung)|abschirmenden]] Wirkung des Bleis besteht der Konus von [[Wikipedia:Kathodenstrahlröhre|Kathodenstrahlröhre]]n (d.&nbsp;h. der „hintere“ Teil der Röhre) für [[Wikipedia:Fernseher|Fernseher]], Computer[[Wikipedia:bildschirm|bildschirm]]e etc. aus [[Wikipedia:Bleiglas|Bleiglas]]. Das Blei absorbiert die in Kathodenstrahlröhren zwangsläufig entstehenden weichen [[Wikipedia:Röntgenstrahlung|Röntgenstrahlen]]. Für diesen Verwendungszweck ist Blei noch nicht sicher zu ersetzen, daher wird die [[Wikipedia:RoHS-Richtlinie|RoHS-Richtlinie]] hier nicht angewendet. Glas mit sehr hohem Bleigehalt wird wegen dieser Abschirmwirkung auch in der [[Wikipedia:Radiologie|Radiologie]] sowie im [[Wikipedia:Strahlenschutz|Strahlenschutz]] (zum Beispiel in Fensterscheiben) verwendet. Ferner wird Bleiglas wegen seines hohen [[Wikipedia:Brechungsindex|Brechungsindex]]es für hochwertige Glaswaren als sogenanntes [[Wikipedia:Bleikristall|Bleikristall]] verwendet.<br />
<br />
== Toxizität ==<br />
{{Hauptartikel|Bleivergiftung}}<br />
Elementares Blei kann vor allem in Form von Staub über die Lunge aufgenommen werden. Dagegen wird Blei kaum über die Haut aufgenommen. Daher ist elementares Blei in kompakter Form für den Menschen nicht giftig. Metallisches Blei bildet an der Luft eine dichte, schwer wasserlösliche Schutzschicht aus Bleicarbonat. Toxisch sind gelöste Bleiverbindungen sowie Bleistäube, die durch Verschlucken oder Einatmen in den Körper gelangen können. Besonders toxisch sind Organobleiverbindungen, z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Tetraethylblei|Tetraethylblei]], die stark [[Wikipedia:lipophil|lipophil]] sind und rasch über die Haut aufgenommen werden.<br />
<br />
Seit 2006 werden einatembare Fraktionen von Blei und anorganische Bleiverbindungen von der [[Wikipedia:MAK-Kommission|MAK-Kommission]] der [[Wikipedia:Deutsche Forschungsgemeinschaft|Deutschen Forschungsgemeinschaft]] als krebserzeugend eingestuft:<ref name="DFG_2017">MAK- und BAT-Werte-Liste&nbsp;2017, Mitteilung&nbsp;53, [[Wikipedia:Deutsche Forschungsgemeinschaft#Liste der Senatskommissionen|Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe]], Wiley-VCH Verlag, 21.&nbsp;Juli 2017, ISBN 978-3-527-81211-0, Kapitel ''III. Krebserzeugende Arbeitsstoffe'' ({{DOI|10.1002/9783527812110.ch3}}, freier Volltext) und ''MAK- und BAT-Werte-Liste 2017'' ({{DOI|10.1002/9783527812110.oth}}, freier Volltext).</ref><br />
* Bleiarsenat und Bleichromat in der Kategorie&nbsp;1 („Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Epidemiologische Untersuchungen geben hinreichende Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen einer Exposition beim Menschen und dem Auftreten von Krebs.“),<br />
* Blei und andere anorganischen Bleiverbindungen außer Bleiarsenat und Bleichromat in der Kategorie&nbsp;2 („Stoffe, die als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweise aus Tierversuchen und epidemiologischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen Beitrag zum Krebsrisiko leisten.“).<br />
<br />
Blei reichert sich selbst bei Aufnahme kleinster Mengen, die über einen längeren Zeitraum stetig eingenommen werden, im Körper an, da es z.&nbsp;B. in Knochen eingelagert und nur sehr langsam wieder ausgeschieden wird. Blei kann so eine chronische Vergiftung hervorrufen, die sich unter anderem in Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abmagerung und Defekten der Blutbildung, des Nervensystems und der Muskulatur zeigt. Bleivergiftungen sind besonders für Kinder und Schwangere gefährlich. Es kann auch Fruchtschäden und Zeugungsunfähigkeit bewirken. Im Extremfall kann die Bleivergiftung zum Tod führen. Die Giftigkeit von Blei beruht unter anderem auf einer Störung der [[Wikipedia:Hämoglobin|Hämoglobin]]synthese. Es hemmt mehrere [[Wikipedia:Enzym|Enzym]]e und behindert dadurch den Einbau des Eisens in das Hämoglobinmolekül. Dadurch wird die Sauerstoff-Versorgung der Körperzellen gestört.<br />
<br />
Bleiglas und Bleiglasur eignet sich nicht für Ess- und Trinkgefässe, da [[Wikipedia:Essigsäure|Essig(säure)]] Blei als wasserlösliches Bleiazetat aus dem Silikatverbund herauslösen kann. Als Automotoren noch mit Benzin mit Bleitetraethyl liefen, war die Vegetation in der Nähe von Straßen und in den Städten mit Blei, als Oxidstaub, belastet. Raue und vertiefte Oberflächen, etwa die Einziehung rund um den Stängel eines Apfels, sind Fallen für Staub.<br />
<br />
== Bleibelastung der Umwelt ==<br />
=== Luft ===<br />
Die Bleibelastung der Luft wird hauptsächlich durch bleihaltige [[Wikipedia:Stäube|Stäube]] verursacht: Hauptquellen sind die Blei-erzeugende Industrie, die Verbrennung von Kohle und bis vor einigen Jahren vor allem der Autoverkehr durch die Verbrennung bleihaltiger Kraftstoffe in Automotoren – durch Reaktion mit dem [[Wikipedia:Motorenbenzin|Benzin]] zugesetzten [[Wikipedia:halogen|halogen]]ierten [[Wikipedia:Kohlenwasserstoff|Kohlenwasserstoff]]en entstand aus dem zugesetzten [[Wikipedia:Bleitetraethyl|Bleitetraethyl]] neben geringeren Mengen an [[Wikipedia:Blei(II)-chlorid|Blei(II)-chlorid]] und [[Wikipedia:Blei(II)-bromid|Blei(II)-bromid]] vor allem Blei und [[Wikipedia:Blei(II)-oxid|Blei(II)-oxid]]. Infolge des Verbotes bleihaltiger Kraftstoffe ist die entsprechende Luftbelastung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.<br />
<br />
Am höchsten ist die Bleibelastung durch Bleistäube derzeit bei der Arbeit in Blei-produzierenden und -verarbeitenden Betrieben. Auch beim Reinigen und Entfernen alter [[Wikipedia:Blei(II,IV)-oxid|Mennige]]-Anstriche durch [[Wikipedia:Sandstrahlen|Sandstrahlen]] entsteht Bleistaub. Die bei der Bleiraffination und der Verbrennung von Kohle entstehenden Bleioxidstäube konnten durch geeignete Filter verringert werden. Eine weitere Quelle, die mengenmäßig aber kaum ins Gewicht fällt, ist die Verbrennung von [[Wikipedia:Hausmüll|Hausmüll]] in [[Wikipedia:Müllverbrennungsanlage|Müllverbrennungsanlage]]n.<br />
<br />
Sport- und andere Schützen sind erheblichen Belastungen durch im [[Wikipedia:Mündungsfeuer|Mündungs]]- bzw. Zündfeuer enthaltene [[Wikipedia:Schwermetalle|(Schwer)metalle]] ausgesetzt, darunter neben [[Wikipedia:Antimon|Antimon]], [[Kupfer]] und [[Quecksilber]] eben auch Blei;<ref>Katja Bauer: [http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/giftstoffe-auf-schiessstaenden-von-elitepolizisten--122731895.html ''Giftstoffe auf Schießständen von Elitepolizisten?''] auf: ''[[Wikipedia:badische-zeitung.de|badische-zeitung.de]]'', 4. Juni 2016, (4. Juni 2016)</ref> Vorsorge kann durch den Betrieb entsprechender Absauganlagen auf [[Wikipedia:Schießstand|Schießständen]] sowie durch den Gebrauch [[Wikipedia:Bleifreie Munition|bleifreier Munition]] getroffen werden.<ref>[http://www.badische-zeitung.de/panorama/sportschuetzen-sollen-bleifreie-munition-benutzen--122907041.html ''Sportschützen sollen bleifreie Munition benutzen.''] In: ''[[Wikipedia:badische-zeitung.de|badische-zeitung.de]]'', ''Panorama.'' 9. Juni 2016. (11. Juni 2016)</ref><br />
<br />
=== Boden ===<br />
Auch Böden können mit Blei belastet sein. Der mittlere Bleigehalt der kontinentalen [[Wikipedia:Erdkruste|Erdkruste]] liegt bei 15&nbsp;mg/kg. Böden enthalten von Natur aus zwischen 2 und 60&nbsp;mg/kg Blei; wenn sie aus bleierzhaltigen Gesteinen entstanden sind, kann der Gehalt deutlich höher sein.<ref name="Scheffer">F. Scheffer, P. Schachtschabel: ''Lehrbuch der Bodenkunde.'' 13. Auflage. Enke Verlag, Stuttgart 1992, ISBN 3-432-84772-6, Kap. XXII 4 d.</ref> Der Großteil der Bleibelastung von Böden ist [[Wikipedia:anthropogen|anthropogen]], die Quellen dafür sind vielfältig. Der Großteil des Eintrags erfolgt über Bleistäube aus der Luft, welche mit dem Regen oder durch trockene Deposition in die Böden gelangen. Für Deutschland und das Jahr 2000 wurde der atmosphärische Eintrag in Böden auf 571&nbsp;t Blei/Jahr geschätzt. Eine weitere Quelle ist belasteter [[Wikipedia:Dünger|Dünger]], sowohl [[Wikipedia:Mineraldünger|Mineraldünger]] (136&nbsp;t Pb/a), insbesondere [[Wikipedia:Ammonsalpeter|Ammonsalpeter]], als auch [[Wikipedia:Wirtschaftsdünger|Wirtschaftsdünger]] (182&nbsp;t Pb/a). [[Wikipedia:Klärschlamm|Klärschlämme]] (90&nbsp;t Pb/a) und [[Wikipedia:Kompost|Kompost]] (77&nbsp;t Pb/a) tragen ebenfalls zur Bleibelastung der Böden bei.<ref>[http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/2936.pdf Umweltdaten (S.&nbsp;31).] (PDF; 4,1&nbsp;MB).</ref> Ein erheblicher Eintrag erfolgt auch durch Bleischrot-Munition.<ref>[http://www.nabu-aachen-land.de/unsere-meinung/bleischrot-und-umwelt Bleischrot und Umwelt, Nabu; Kreisverband Aachen].</ref><ref>[http://www.swr.de/odysso/umwelt/-/id=6381798/nid=6381798/did=8802802/qfx7zl/index.html Jagd mit Bleimunition, SWR].</ref> Bei Altlasten, wie z.&nbsp;B. an ehemaligen Standorten von bleiproduzierenden Industriebetrieben oder in der Umgebung von alten bleiummantelten Kabeln, kann der Boden ebenfalls eine hohe Bleibelastung aufweisen. Eine besonders große Bleiverseuchung gibt es in dem Ort [[Santo Amaro da Purificação]] in [[Wikipedia:Brasilien|Brasilien]].<br />
<br />
=== Wasser ===<br />
Die Bleibelastung der Gewässer resultiert hauptsächlich aus dem Ausschwemmen von Blei aus belasteten Böden. Dazu tragen auch geringe Mengen bei, die der Regen aus Bleiwerkstoffen wie Dachplatten löst. Die direkte Verschmutzung von Gewässern durch die Bleiindustrie und den Bleibergbau spielt (zumindest in Deutschland) auf Grund des Baus von [[Wikipedia:Kläranlage|Kläranlage]]n fast keine Rolle mehr. Der Jahreseintrag von Blei in Gewässer ist in Deutschland von ca. 900&nbsp;t im Jahr 1985 auf ungefähr 300&nbsp;t im Jahr 2000 zurückgegangen.<ref>[http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/2936.pdf Umweltdaten (S.&nbsp;28 und 35).] (PDF; 4,1&nbsp;MB).</ref> <br />
<br />
In Deutschland beträgt der Grenzwert im Trinkwasser seit dem 1.&nbsp;Dezember 2013 10&nbsp;µg/l (früher 25&nbsp;µg/l)<ref name="nlga.niedersachsen.de">[[Wikipedia:Niedersächsisches Landesgesundheitsamt|Niedersächsisches Landesgesundheitsamt]]: [https://www.nlga.niedersachsen.de/umweltmedizin/wasser/blei_im_trinkwasser/fragen_und_antworten_zu_blei_im_trinkwasser/fragen-und-antworten-zu-blei-im-trinkwasser-117055.html Fragen und Antworten zu Blei im Trinkwasser], abgerufen am 21. Januar 2020</ref>; die Grundlage der Messung ist eine für die durchschnittliche wöchentliche Wasseraufnahme durch Verbraucher repräsentative Probe (siehe [[Wikipedia:Trinkwasserverordnung|Trinkwasserverordnung]]).<br />
<br />
=== Nahrung ===<br />
Durch die Bleibelastung von Luft, Boden und Wasser gelangt das Metall über Pilze, Pflanzen und Tiere in die Nahrungskette des Menschen. Besonders hohe Bleibelastungen können in verschiedenen Pilzen enthalten sein. Auf den Blättern von Pflanzen lagert sich Blei als Staub ab, das war charakteristisch für die Umgebung von Straßen mit viel Kfz-Verkehr, als Benzin noch verbleit wurde. Dieser Staub kann durch sorgfältiges Waschen entfernt werden. Zusätzliche Quellen können bleihaltige Munition bei gejagten Tieren sein. Blei kann auch aus bleihaltigen Glasuren von Keramikgefäßen in Lebensmittel übergehen. In frischem Obst und Gemüse ist in den allermeisten Fällen Blei und Cadmium nicht oder nur in sehr geringen Spuren nachweisbar.<ref name="vis.bayern.de">Schwermetalle in Lebensmitteln: [https://www.vis.bayern.de/ernaehrung/lebensmittelsicherheit/unerwuenschte_stoffe/schwermetalle.htm Schwermetalle in Lebensmitteln], abgerufen am 24. März 2018</ref><br />
<br />
Wasserleitungen aus Bleirohren können das Trinkwasser belasten. Sie sind in Deutschland erst seit den 1970er Jahren nicht mehr verbaut worden. Besonders in Altbauten in einigen Regionen Nord- und Ostdeutschlands sind Bleirohre immer noch anzutreffen. Bei über 5 % der Proben des Wassers aus diesen Gebäuden lagen die Bleiwerte des Leitungswassers laut [[Wikipedia:Stiftung Warentest|Stiftung Warentest]] über dem aktuellen gesetzlichen Grenzwert.<ref>[http://www.test.de/presse/pressemitteilungen/Weltwassertag-am-22-Maerz-Stiftung-Warentest-warnt-vor-Blei-im-Trinkwasser-1855387-0/ Stiftung Warentest warnt vor Blei im Trinkwasser], 19. März 2010, abgerufen am 2. Januar 2013.</ref> Gleiches gilt für Österreich und betrifft Hauszuleitungen der Wasserversorgers und Leitungen im Haus, die Sache des Hauseigentümers sind. Aus bleihaltigem [[Wikipedia:Essgeschirr|Essgeschirr]] kann Blei durch saure Lebensmittel (Obst, Wein, Gemüse) herausgelöst werden.<br />
<br />
Wasserleitungsarmaturen (Absperrhähne, Formstücke, Eckventil, Mischer) sind meist aus [[Wikipedia:Messing|Messing]] oder [[Wikipedia:Rotguss|Rotguss]]. Messing wird für gute Zerspanbarkeit 3 % Blei zugesetzt, Rotguss enthält 4–7 %. Ob Blei- und andere Schwermetallionen (Cu, Zn, Ni) in relevantem Ausmaß ins Wasser übertreten, hängt von der Wasserqualität ab: [[Wikipedia:Wasserhärte|Wasserhärte]], [[Wikipedia:pH-Wert|pH-Wert]], Sauerstoff, Salzgehalt. Mit 2013 wurde der Grenzwert für den Bleigehalt im Trinkwasser herabgesetzt auf 0,01&nbsp;mg/L.<ref>{{Webarchiv | url= http://www.messing-sanitaer.de/GGIntern/Information/RotgussKontraMessing.htm | wayback = 20130528144620 | text = ''Rotguss kontra Messing.''}} auf: ''messing-sanitaer.de'', abgerufen am 3. Februar 2014.</ref><ref>[http://www.trinkwasserspezi.de/html/korrosion.html ''Korrosion an metallischen Werkstoffen im Trinkwasser.''] auf: ''trinkwasserspezi.de'', abgerufen am 3. Februar 2014.</ref> Grundsätzlich kann nach längerem Stehen des Wassers in der Leitung, etwa über Nacht, durch Laufenlassen der Wasserleitung von etwa einer Minute (Spülen) vor der Entnahme für Trinkwasserzwecke der Gehalt aller aus der Leitungswandung eingewanderten Ionen reduziert werden.<br />
<br />
== Analytik ==<br />
=== Klassische qualitative Bestimmung von Blei ===<br />
==== Nachweis durch Kristallisation ====<br />
Bleiionen können in einer mikroskopischen Nachweisreaktion als Blei(II)-iodid dargestellt werden. Dabei wird die Probe in verdünnter Salzsäure gelöst und vorsichtig bis zur Kristallisation eingedampft. Der Rückstand wird mit einem Tropfen Wasser aufgenommen und anschließend mit einem Kristall eines wasserlöslichen Iodids, z.&nbsp;B. Kaliumiodid (KI), versetzt. Es entstehen nach kurzer Zeit mikroskopisch kleine, gelbe, hexagonale Blättchen des Blei(II)-iodids.<br />
<br />
:<math>\mathrm{Pb^{2+}\ +\ 2\ I^-\ \longrightarrow\ PbI_2 \downarrow}</math><br />
<br />
==== Qualitativer Nachweis im Trennungsgang ====<br />
Da Blei nach Zugabe von HCl nicht quantitativ als PbCl<sub>2</sub> ausfällt, kann es sowohl in der HCl-Gruppe als auch in der H<sub>2</sub>S-Gruppe nachgewiesen werden. Das PbCl<sub>2</sub> kann sowohl durch Zugabe von Kaliumiodid gemäß obiger Reaktion als gelbes PbI<sub>2</sub> gefällt werden, als auch mit K<sub>2</sub>Cr<sub>2</sub>O<sub>7</sub> als gelbes Bleichromat, PbCrO<sub>4</sub>.<br />
<br />
Nach Einleiten von H<sub>2</sub>S in die salzsaure Probe fällt zweiwertiges Blei in Form von schwarzem PbS aus. Dieses wird nach Digerieren mit (NH<sub>4</sub>)S<sub>X</sub> und Zugabe von 4 M HNO<sub>3</sub> als PbI<sub>2</sub> oder PbCrO<sub>4</sub> nachgewiesen.<ref>G. Jander, E. Blasius: ''Lehrbuch der analytischen und präparativen anorganischen Chemie.'' 16. Auflage. S. Hirzel-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-7776-1388-6, S.&nbsp;533, 472, 540–541.</ref><br />
<br />
=== Instrumentelle quantitative Analytik des Bleis ===<br />
Für die Spurenanalytik von Blei und seinen Organoderivaten steht eine Reihe von Methoden zur Verfügung. Allerdings werden in der Literatur laufend neue bzw. verbesserte Verfahren vorgestellt, auch im Hinblick auf die oft erforderliche Vorkonzentrierung. Ein nicht zu unterschätzendes Problem besteht in der Probenaufarbeitung.<br />
<br />
==== Atomabsorptionsspektrometrie (AAS) ====<br />
Unter den verschiedenen Techniken der AAS liefert die Quarzrohr- und die Graphitrohrtechnik die besten Ergebnisse für die Spurenanalytik von Bleiverbindungen. Häufig wird Blei mit Hilfe von NaBH<sub>4</sub> in das leicht flüchtige Bleihydrid, PbH<sub>2</sub>, überführt. Dieses wird in eine Quarzküvette geleitet und anschließend elektrisch auf über 900&nbsp;°C erhitzt. Dabei wird die Probe atomisiert und es wird unter Verwendung einer Hohlkathodenlampe die Absorbanz bei 283,3&nbsp;nm gemessen. Es wurde eine Nachweisgrenze von 4,5&nbsp;ng/ml erzielt. Gerne wird in der AAS auch eine Luft-Acetylenfackel (F-AAS) oder mikrowelleninduziertes Plasma (MIP-AAS) zur Atomisierung eingesetzt.<ref>N. Maleki, A. Safavi, Z. Ramezani: ''Determination of lead by hydride generation atomic absorption spectrometry (HGAAS) using a solid medium for generating hydride.'' In: ''[[Wikipedia:J Anal At Spectrom|J Anal At Spectrom]].'' 14, 1999, S.&nbsp;1227–1230; [[doi:10.1039/A808429G]].</ref><br />
<br />
==== Atomemissionsspektrometrie (AES) ====<br />
In der AES haben sich das mikrowelleninduzierte Plasma (MIP-AES) und das induktiv gekoppelte Argon-Plasma (ICP-AES) zur Atomisierung bewährt. Die Detektion findet bei den charakteristischen Wellenlängen 283,32&nbsp;nm und 405,78&nbsp;nm statt. Mit Hilfe der MIP-AES wurde für Trimethylblei, (CH<sub>3</sub>)<sub>3</sub>Pb<sup>+</sup>, eine Nachweisgrenze von 0,19&nbsp;pg/g ermittelt.<ref>M. Heisterkamp, F. Adams: ''In situ propylation using sodium tetrapropylborate as a fast and simplified sample preparation for the speciation analysis of organolead compounds using GC-MIP-AES.'' In: ''[[J. Anal. At. Spectrom.]]'' 14, 1999, S.&nbsp;1307–1311; [[doi:10.1039/A901340G]].</ref> Die ICP-AES ermöglicht eine Nachweisgrenze für Blei in Trinkwasser von 15,3&nbsp;ng/ml.<ref>M. Zougagh, A. Garcia de Torres, E. Alonso, J. Pavon: ''Automatic on line preconcentration and determination of lead in water by ICP-AES using a TS-microcolumn.'' In: ''[[Wikipedia:Talanta|Talanta]].'' 62, 2004, S.&nbsp;503–510; [[doi:10.1016/j.talanta.2003.08.033]].</ref><ref>Z. Chen, N. Zhang, L. Zhuo, B. Tang: ''Catalytic kinetic methods for photometric or fluorometric determination of heavy metal ions.'' In: ''[[Wikipedia:Microchim Acta|Microchim Acta]].'' 164, 2009, S.&nbsp;311–336; [[doi:10.1007/s00604-008-0048-8]].</ref><br />
<br />
==== Massenspektrometrie (MS) ====<br />
In der Natur treten für Blei insgesamt vier stabile Isotope mit unterschiedlicher Häufigkeit auf. Für die Massenspektrometrie wird häufig das Isotop <sup>206</sup>Pb genutzt. Mit Hilfe der [[Wikipedia:Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma|ICP-Quadrupol-MS]] konnte dieses Isotop im Urin mit einer Nachweisgrenze von 4,2 pg/g bestimmt werden.<ref>A. Townsend, K. Miller, St. McLean, St. Aldous: ''The determination of copper, zinc, cadmium and lead in urine by high resolution ICP-MS.'' In: ''[[J. Anal. At. Spectrom.]]'' 13, 1998, S.&nbsp;1213–1219; [[doi:10.1039/A805021J]].</ref><br />
<br />
==== Photometrie ====<br />
Die am weitesten verbreitete Methode zur photometrischen Erfassung von Blei ist die sog. Dithizon-Methode. [[Wikipedia:Dithizon|Dithizon]] ist ein zweizähniger, aromatischer Ligand und bildet bei pH 9–11,5 mit Pb<sup>2+</sup>-Ionen einen roten Komplex dessen Absorbanz bei 520&nbsp;nm (ε = 6,9·10<sup>4</sup>&nbsp;l/mol·cm) gemessen wird. Bismut und [[Wikipedia:Thallium|Thallium]] stören die Bestimmung und sollten vorher quantitativ gefällt oder extrahiert werden.<ref>R. Lobinski, Z. Marczenko: ''Spectrochemical Trace Analysis for Metals and Metalloids.'' Elsevier 1997, ISBN 0-444-82879-6.</ref><ref>I. Oehme, O. S. Wolfbeis: ''Optical Sensors for Determination of Heavy Metal Ions.'' In: ''[[Microchim. Acta]].'' 126, 1997, S.&nbsp;177–192; [[doi:10.1007/BF01242319]].</ref><ref>B. Lange, Z. J. Vejdelek: ''Photometrische Analyse.'' Verlag Chemie, Weinheim 1980.</ref><br />
<br />
==== Voltammetrie ====<br />
Für die elektrochemische Bestimmung von Spuren von Blei eignet sich hervorragend die subtraktive anodische Stripping-Voltammetrie (SASV). Dabei geht der eigentlichen voltammetrischen Bestimmung eine reduktive Anreicherungsperiode auf einer rotierenden Ag-Disk-Elektrode voraus. Es folgt die eigentliche Bestimmung durch Messung des Oxidationsstroms beim Scannen eines Potentialfensters von −800&nbsp;mV bis −300&nbsp;mV. Anschließend wird die Messung ohne vorangehende Anreicherung wiederholt und die so erhaltene Kurve von der ersten Messung subtrahiert. Die Höhe des verbleibenden Oxidationspeaks bei −480&nbsp;mV korreliert mit der Menge an vorhandenem Blei. Es wurde eine Nachweisgrenze von 50&nbsp;pM Blei in Wasser ermittelt.<ref>Y. Bonfil, E. Kirowas-Eisner: ''Determination of nanomolar concentrations of lead and cadmium by anodic-stripping voltammetry at a silver electrode.'' In: ''[[Wikipedia:Anal. Chim. Acta|Anal. Chim. Acta]].'' 457, 2002, S.&nbsp;285–296; {{Webarchiv|text=(PDF) |url=http://mounier.univ-tln.fr/rcmo/php_biblio/PDF/5082.pdf |wayback=20120130214700 |archiv-bot=2018-03-25 11:09:53 InternetArchiveBot }}</ref><ref>J. Wang: ''Stripping Analysis at Bismuth Electrodes: A Review.'' In: ''[[Wikipedia:Electroanalysis|Electroanalysis]].'' 17, 2005, S.&nbsp;1341–1346; [[doi:10.1002/elan.200403270]].</ref><br />
<br />
== Bleiverbindungen ==<br />
[[Datei:Lead monoxide.jpg|mini|Blei(II)-oxid]]<br />
[[Datei:Red lead.jpg|mini|Mennige]]<br />
[[Datei:Lead(II) sulfate.jpg|mini|Bleisulfat]]<br />
''→ [[:Kategorie:Bleiverbindung]]''<br />
<br />
Bleiverbindungen kommen in den [[Wikipedia:Oxidationsstufe|Oxidationsstufe]]n +II und +IV vor. Aufgrund des [[Wikipedia:Relativistischer Effekt|relativistischen Effekts]] ist die Oxidationsstufe +II dabei – im Gegensatz zu den leichteren Homologen der Gruppe 14, wie [[Kohlenstoff]] und [[Wikipedia:Silicium|Silicium]] – stabiler als die Oxidationsstufe +IV. Der Sachverhalt der Bevorzugung der um 2 erniedrigten Oxidationsstufe, findet sich in analoger Weise auch in anderen Hauptgruppen und wird [[Wikipedia:Effekt des inerten Elektronenpaares|Effekt des inerten Elektronenpaares]] genannt. Blei(IV)-Verbindungen sind deshalb starke Oxidationsmittel. In [[Wikipedia:Intermetallische Verbindung|intermetallischen Verbindungen]] des Bleis (''Plumbide'': M<sub>x</sub>Pb<sub>y</sub>), vor allem mit [[Wikipedia:Alkalimetalle|Alkali-]] und [[Wikipedia:Erdalkalimetalle|Erdalkalimetalle]]n, nimmt es auch negative Oxidationsstufen bis −IV an. Viele Bleiverbindungen sind [[Wikipedia:Salze|Salze]], es gibt aber auch organische Bleiverbindungen, die kovalent aufgebaut sind. Ebenso wie bei Bleimetall wird heutzutage versucht, Bleiverbindungen durch andere, ungiftige Verbindungen zu substituieren. So wurde „Bleiweiß“ (basisches Blei(II)-carbonat) als Weißpigment durch [[Wikipedia:Titandioxid|Titandioxid]] ersetzt.<br />
<br />
=== Oxide ===<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-oxid|Blei(II)-oxid]] PbO tritt in zwei Modifikationen, als rote Bleiglätte und als gelbes Massicolit, auf. Beide Modifikationen wurden früher als Pigmente verwendet. Es dient als Ausgangsstoff für andere Bleiverbindungen.<br />
* [[Wikipedia:Blei(II,IV)-oxid|Blei(II,IV)-oxid]] Pb<sub>3</sub>O<sub>4</sub>, auch Mennige genannt, ist ein leuchtend rotes Pulver, das früher verbreitet als Pigment und Rostschutzfarbe verwendet wurde. Es ist in Deutschland, seit 2005 auch in der Schweiz, als Rostschutz verboten. Pb<sub>3</sub>O<sub>4</sub> wird in der Glasherstellung für die Bereitung von [[Wikipedia:Bleikristall|Bleikristall]] verwendet.<br />
* [[Wikipedia:Blei(IV)-oxid|Blei(IV)-oxid]] PbO<sub>2</sub> ist ein schwarz-braunes Pulver, das als Elektrodenmaterial in Bleiakkumulatoren und als Oxidationsmittel in der chemischen Industrie (z.&nbsp;B. Farbstoffherstellung) verwendet wird.<br />
<br />
=== Schwefelverbindungen ===<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-sulfid|Blei(II)-sulfid]] PbS ist als [[Wikipedia:Galenit|Galenit]] (''Bleiglanz'') das wichtigste Bleimineral. Es dient v.&nbsp;a. zur Herstellung metallischen Bleis.<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-sulfat|Blei(II)-sulfat]] PbSO<sub>4</sub> kommt als [[Wikipedia:Anglesit|Anglesit]] ebenfalls in der Natur vor und wurde als Weißpigment verwendet.<br />
<br />
=== Weitere Bleisalze ===<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-acetat|Blei(II)-acetat]] Pb(CH<sub>3</sub>COO)<sub>2</sub> · 3H<sub>2</sub>O, auch Bleizucker genannt, war früher ein [[Wikipedia:Zucker|Zucker]]ersatzstoff z.&nbsp;B. für das Süßen von Wein. Aufgrund der Giftigkeit von Bleizucker starben früher Menschen an solcherart vergiftetem Wein.<br />
* [[Wikipedia:Blei(IV)-acetat|Blei(IV)-acetat]] (Pb(CH<sub>3</sub>COO)<sub>4</sub>) bildet farblose, an feuchter Luft nach Essig riechende Kristallnadeln. Mit Wasser zersetzt es sich zu Blei(IV)-oxid und Essigsäure. Es dient in der Organischen Chemie als starkes Oxidationsmittel.<br />
* [[Wikipedia:Bleiweiß|Bleiweiß]], basisches Bleicarbonat 2 PbCO<sub>3</sub> · Pb(OH)<sub>2</sub>, war früher ein beliebtes Weißpigment; es ist heute meist durch Titanoxid abgelöst.<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-nitrat|Blei(II)-nitrat]] Pb(NO<sub>3</sub>)<sub>2</sub> ist ein giftiges, weißes Pulver, das für Sprengstoffe und zur Herstellung von Streichhölzern verwendet wurde.<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-chlorid|Blei(II)-chlorid]] PbCl<sub>2</sub> dient als Ausgangsstoff zur Herstellung von Bleichromat.<br />
* [[Wikipedia:Blei(II)-chromat|Blei(II)-chromat]] PbCrO<sub>4</sub> ist ein orange-gelbes Pulver, welches früher als Pigment diente und heute wegen seiner Giftigkeit nicht mehr eingesetzt wird.<br />
* [[Wikipedia:Bleiazid|Bleiazid]] Pb(N<sub>3</sub>)<sub>2</sub> ist ein wichtiger [[Wikipedia:Initialsprengstoff|Initialsprengstoff]].<br />
<br />
=== Organische Bleiverbindungen ===<br />
[[Wikipedia:Organische Bleiverbindungen|Organische Bleiverbindungen]] liegen fast immer in der Oxidationsstufe +4 vor. Deren bekannteste ist [[Wikipedia:Tetraethylblei|Tetraethylblei]] Pb(C<sub>2</sub>H<sub>5</sub>)<sub>4</sub> (TEL), eine giftige Flüssigkeit, die als [[Wikipedia:Antiklopfmittel|Antiklopfmittel]] Benzin zugesetzt wurde. Heute wird Tetraethylblei nur noch in [[Wikipedia:Avgas|Flugbenzin]] verwendet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Kategorie:Blei}}<br />
* {{WikipediaDE|Blei}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Gerhart Jander, Ewald Blasius: ''Einführung in das anorganisch-Chemische Praktikum.'' 14. Auflage. S. Hirzel, Leipzig 1995, ISBN 3-7776-0672-3.<br />
* William H. Brock: ''Viewegs Geschichte der Chemie.'' Vieweg, Braunschweig 1997, ISBN 3-540-67033-5.<br />
* Stefan Meier: ''Blei in der Antike. Bergbau, Verhüttung, Fernhandel.'' Dissertation. Zürich, Universität 1995.<br />
* Raymund Gottschalk, Albrecht Baumann: ''Material provenance of late-Roman lead coffins in the Rheinland, Germany.'' In: ''European Journal of Mineralogy.'' 13, Stuttgart 2001, S.&nbsp;197–200.<br />
* Heiko Steuer, Ulrich Zimmermann: ''Alter Bergbau in Deutschland''. (= Archäologie in Deutschland. Sonderheft). Konrad Theiss, Stuttgart 1993, ISBN 3-8062-1066-7.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commons|Lead|Blei}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Praktikum Anorganische Chemie/ Blei}}<br />
* [http://www.materialarchiv.ch/#/detail/895/blei/ MATERIAL ARCHIV: Blei] – Umfangreiche Materialinformationen und Bilder<br />
* [https://archive.epa.gov/epa/aboutepa/lead-poisoning-historical-perspective.html Lead Poisoning: A Historical Perspective – Historische Perspektive zur Bleivergiftung] (englisch)<br />
* {{Webarchiv | url= http://www.umweltdaten.de/medien/battdfiu.pdf | wayback = 20120413080528 | text = Untersuchung von Batterieverwertungsverfahren und -anlagen hinsichtlich ökologischer und ökonomischer Relevanz unter besonderer Berücksichtigung des Cadmiumproblems}} (2001, PDF, S.&nbsp;215–226; 1,37&nbsp;MB)<br />
* [http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Gefahrstoffe/TRGS/pdf/TRGS-505.pdf?__blob=publicationFile&v=3 TRGS 505-Technische Regeln für Gefahrstoffe-Blei] (PDF; 186&nbsp;kB)<br />
* [http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/2936.pdf Einträge von Blei in die Umwelt] (PDF; 3,9&nbsp;MB)<br />
* {{Webarchiv | url=http://www.umweltdaten.de/daten/monitor/pbmono.pdf | wayback=20070927210536 | text=Umweltbundesamt: Stoffmonografie Blei (1996)}} (PDF; 48&nbsp;kB)<br />
* [http://www.organische-chemie.ch/chemie/2007jan/bleivergiftung.shtm Molekulare Ursache für Bleivergiftungen]<br />
* [http://sis.nlm.nih.gov/enviro/lead.html Lead and Human Health], Environmental Health & Toxicology, Specialized Information Services, National Library of Medicine (en.)<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Navigationsleiste Periodensystem}}<br />
<br />
{{Exzellent|7. Januar 2007|26088166}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4145879-5|LCCN=sh/85/075435|NDL=00568006}}<br />
<br />
[[Kategorie:Chemisches Element]]<br />
[[Kategorie:Planetenmetalle|108]]<br />
<br />
{{Wikipedia}}<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]<br />
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Allianz für integrative Medizin und Gesundheit
2023-02-05T07:38:48Z
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<hr />
<div>{{Infobox Organisation<br />
| Logo = <br />
| Rechtsform = <br />
| Gründungsdatum = <br />
| Zweck = <br />
| Vorsitz = <br />
| Geschäftsführung = <br />
| Website = https://www.allianz-integrative-medizin.de/<br />
|Abkürzung=AIM}}<br />
<br />
Die '''Allianz für integrative Medizin und Gesundheit (AIM)''' ist ein Zusammenschluss im Rahmen der [[Integrative Medizin|integrativen Medizin]] in [[Wikipedia:Deutschland|Deutschland]]. Sie beschreibt sich selbst als "eine Plattform von medizinischen Berufsverbänden und Netzwerken, zivilgesellschaftlichen Bündnissen, Patientenvertreter*innen sowie weiteren engagierten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Gesellschaft und dem Gesundheitswesen."<ref>{{Internetquelle| titel = Es ist Zeit für ein neues Denken im Gesundheitswesen - AIM| sprache = de| datum = 2022-07-25| url = https://www.allianz-integrative-medizin.de/| abruf = 2023-02-04}}</ref> Zu den Initiatoren zählen [[weils-hilft]], [[Hufelandgesellschaft]], [[Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD)|Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland]], [[Netzwerk Ganzheitsmedizin]], [[Kneipp-Bund]], [[Natur und Medizin]], [[Gesundheit aktiv]].<ref>{{Internetquelle| titel = Mehr Gesundheit wagen - Die Allianz für Integrative Medizin und Gesundheit| sprache = de| url = https://www.allianz-integrative-medizin.de/wer-sind-wir/| abruf = 2023-02-04}}</ref><br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Integrative Medizin]]<br />
[[Kategorie:Organisation (Gesundheitswesen)]]<br />
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Arsen
2022-12-19T07:43:47Z
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<hr />
<div>'''Arsen''' [{{IPA|aʁˈzeːn}}] ist ein [[chemisches Element]] mit dem [[Wikipedia:Elementsymbol|Elementsymbol]] As und der [[Wikipedia:Ordnungszahl|Ordnungszahl]] 33. Im [[Periodensystem]] der Elemente steht es in der 4. [[Wikipedia:Periode-4-Element|Periode]] und der 5. [[Wikipedia:Hauptgruppe|Hauptgruppe]], bzw. 15.&nbsp;[[Wikipedia:Gruppe des Periodensystems|IUPAC-Gruppe]] oder [[Wikipedia:Stickstoffgruppe|Stickstoffgruppe]]. Arsen kommt selten [[Wikipedia:gediegen|gediegen]] vor, meistens in Form von [[Wikipedia:Sulfide|Sulfide]]n. Es gehört zu den [[Wikipedia:Halbmetalle|Halbmetalle]]n, da es je nach [[Wikipedia:Polymorphie (Materialwissenschaft)|Modifikation]] [[Wikipedia:Metalle|metallische]] oder [[Wikipedia:Nichtmetalle|nichtmetallische]] Eigenschaften zeigt.<br />
<br />
Umgangssprachlich wird auch das als Mord[[Wikipedia:gift|gift]] bekannte [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsenik]] meist einfach „Arsen“ genannt. Arsenverbindungen kennt man schon seit dem [[Wikipedia:Altertum|Altertum]]. Als [[Wikipedia:mutagene|mutagene]]s [[Wikipedia:Klastogen|Klastogen]] können Arsenverbindungen als Gift wirken, welches [[Wikipedia:Chromosomenaberration|Chromosomenaberration]]en hervorrufen und somit [[Wikipedia:Karzinogen|karzinogene]] Wirkung besitzen kann.<ref>Jorma Maeki-Paakkanen, Päivi Kurttio, Anna Paldy, Juha Pekkanen: [http://www.researchgate.net/profile/Jorma_Maeki-Paakkanen/publication/13407016_Association_between_the_clastogenic_effect_in_peripheral_lymphocytes_and_human_exposure_to_arsenic_through_drinking_water/links/0f31752f8e6c6837ad000000.pdf ''Association between the clastogenic effect in peripheral lymphocytes and human exposure to arsenic through drinking water''.] (PDF) In: ''Environmental and Molecular Mutagenesis.'' 32, Nr. 4, 1998, S.&nbsp;301–313.</ref><ref name="Odunola">Oyeronke A. Odunola, Aliyu Muhammad, Ahsana D. Farooq, Kourosh Dalvandi, Huma Rasheed, Muhammad I. Choudhary, Ochuko L. Erukainure: ''Comparative assessment of redox-sensitive biomarkers due to acacia honey and sodium arsenite administration in vivo.'' In: ''Mediterranean Journal of Nutrition and Metabolism.'' 6, Nr. 2, 2013, S.&nbsp;119–126, [[doi:10.1007/s12349-013-0127-1]].</ref><br />
<br />
Arsen wird zur [[Wikipedia:Dotierung|Dotierung]] von [[Wikipedia:Halbleiter|Halbleiter]]n und als Bestandteil von [[Wikipedia:III-V-Verbindungshalbleiter|III-V-Halbleitern]] wie [[Wikipedia:Galliumarsenid|Galliumarsenid]] genutzt. Die organische Arsenverbindung [[Wikipedia:Arsphenamin|Arsphenamin]] (''Salvarsan'') galt trotz schwerer und schwerster Nebenwirkungen<ref>Bernhard Fischer: ''Ueber Todesfälle nach Salvarsan.'' In: ''[[Wikipedia:Deutsche Medizinische Wochenschrift|Deutsche Medizinische Wochenschrift]].'' Band 42, 1916, S. 106 f., 908–910, 939–942 und 976–978.</ref> Anfang des 20. Jahrhunderts als Durchbruch in der Behandlung der [[Wikipedia:Syphilis|Syphilis]]. Heute wird [[Wikipedia:Arsentrioxid|Arsentrioxid]] als letzte Behandlungsoption in der Therapie der [[Wikipedia:Promyelozytenleukämie|Promyelozytenleukämie]] angewendet.<br />
<br />
==Geschichte==<br />
[[Datei:AlbertusMagnus.jpg|mini|links|[[Wikipedia:Albertus Magnus|Albertus Magnus]] gilt als erster Hersteller reinen Arsens]]<br />
Der Name Arsen geht unmittelbar auf {{grcS|ἀρσενικόν|arsenikón}} zurück, der antiken Bezeichnung des [[Wikipedia:Mineral|Arsenminerals]] [[Wikipedia:Auripigment|Auripigment]]. Sie findet sich schon bei [[Wikipedia:Pedanios Dioscurides|Dioskurides]] im 1.&nbsp;Jahrhundert. Die griechische Bezeichnung scheint ihrerseits ihren Ursprung im Altpersischen ''(al-)zarnik'' (goldfarben, Auripigment, „Arsen“)<ref>J. Elfenbein: ''Der erste Krimi der Weltgeschichte. Teil 3: Die Machtergreifung des König Darius.'' In: ''Borsuye. Zeitschrift für Medizin u. Kultur.'' 10, 39, 1998, S. 10 f.</ref> zu haben und gelangte wohl durch semitische Vermittlung ins Griechische. [[Wikipedia:Etymologie|Volksetymologisch]] wurde der Name fälschlicherweise vom gleichlautenden (alt- und neu-)griechischen Wort {{lang|el|αρσενικός|arsenikós}} abgeleitet, das sich etwa mit männlich/stark übersetzen lässt. Erst seit dem 19.&nbsp;Jahrhundert ist die Bezeichnung Arsen gebräuchlich. Das [[Wikipedia:Elementsymbol|Elementsymbol]] wurde 1814 von [[Wikipedia:Jöns Jakob Berzelius|Jöns Jakob Berzelius]] vorgeschlagen.<br />
<br />
Der erste Kontakt von Menschen mit Arsen lässt sich aus dem 3.&nbsp;Jahrtausend v. Chr. nachweisen: In den Haaren der im Gletschereis erhaltenen Mumie des volkstümlich [[Wikipedia:Ötzi|Ötzi]] genannten Alpenbewohners ließen sich größere Mengen Arsen nachweisen, was [[Wikipedia:Archäologie|archäologisch]] als Hinweis darauf gedeutet wird, dass der betroffene Mann in der Kupferverarbeitung tätig war – Kupfererze sind oft mit Arsen verunreinigt. Im klassischen Altertum war Arsen in Form der Arsen-[[Wikipedia:Sulfide|Sulfide]] [[Wikipedia:Auripigment|Auripigment]] (As<sub>2</sub>S<sub>3</sub>) und [[Wikipedia:Realgar|Realgar]] (As<sub>4</sub>S<sub>4</sub>) bekannt, die etwa von dem Griechen [[Wikipedia:Theophrastos von Eresos|Theophrastos]], dem Nachfolger [[Wikipedia:Aristoteles|Aristoteles]], beschrieben wurden. Auch der griechische Philosoph [[Wikipedia:Demokrit|Demokrit]] hatte im 5. Jahrhundert v. Chr. nachweislich Kenntnisse über Arsenverbindungen. Der [[Wikipedia:Leidener Papyrus X|Leidener Papyrus X]] aus dem 3.&nbsp;Jahrhundert nach Chr. lässt darauf schließen, dass sie benutzt wurden, um [[Silber]] goldartig und [[Kupfer]] weiß zu färben. Der römische Kaiser [[Wikipedia:Caligula|Caligula]] hatte angeblich bereits im 1.&nbsp;Jahrhundert nach Chr. ein Projekt zur Herstellung von Gold aus dem (goldgelben) Auripigment in Auftrag gegeben. Die [[Alchemie|Alchimisten]], die Arsen-Verbindungen nachweislich der Erwähnung im antiken Standardwerk ''[[Physica et Mystica]]'' kannten, vermuteten eine Verwandtschaft mit [[Schwefel]] und [[Quecksilber]]. [[Wikipedia:Arsen(III)-sulfid|Arsen(III)-sulfid]] kam als Malerfarbe und [[Wikipedia:Epilation|Enthaarungsmittel]] zum Einsatz sowie zur äußerlichen als auch inneren Behandlung von [[Lunge]]nkrankheiten.<br />
[[Datei:Arsenic alchemical symbol.svg|mini|links|hochkant|Symbol der [[Alchemie|Alchemisten]] für das Arsen]]<br />
Im [[Wikipedia:Mittelalter|Mittelalter]] wurde [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsenik]] (Arsen(III)-oxid) im [[Wikipedia:Hüttenrauch|Hüttenrauch]] (staubbeladenes Abgas metallurgischer Öfen) gefunden. [[Wikipedia:Albertus Magnus|Albertus Magnus]] beschrieb um 1250 erstmals die Herstellung von Arsen durch [[Wikipedia:Reduktion (Chemie)|Reduktion]] von Arsenik mit Kohle. Er gilt daher als Entdecker des Elements, auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass das elementare Metall schon früher hergestellt wurde. [[Paracelsus]] führte es im 16. Jahrhundert in die [[Wikipedia:Heilkunde|Heilkunde]] ein. Etwa zur gleichen Zeit wurden Arsenpräparate in der chinesischen Enzyklopädie ''[[Wikipedia:Ben cao gang mu|Pen-ts'ao Kang-mu]]'' des Apothekers Li Shi-zhen beschrieben. Dieser Autor hebt insbesondere die Anwendung als [[Wikipedia:Pestizid|Pestizid]] in [[Wikipedia:Reis|Reis]]feldern hervor.<br />
<br />
Im 17.&nbsp;Jahrhundert wurde das gelbe Auripigment bei niederländischen Malern als ''[[Wikipedia:Arsen(III)-sulfid|Königsgelb]]'' populär. Da sich das Pigment über längere Zeiträume hinweg in [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsen(III)-oxid]] umwandelt und von der Leinwand bröckelt, entstehen Schwierigkeiten bei der [[Wikipedia:Restaurierung|Restaurierung]]. Ab 1740 wurden Arsenpräparate in Europa mit Erfolg als [[Wikipedia:Beizen (Pflanzenschutz)|Beizmittel im Pflanzenschutz]] eingesetzt. Diese Nutzung verbot man jedoch 1808 wegen ihrer hohen [[Wikipedia:Toxizität|Giftigkeit]] wieder. Der Einsatz von Arsenzusätzen für den Bleiguss beruht auf der größeren Härte solcher Bleilegierungen, typische Anwendung sind [[Wikipedia:Schrotkugel|Schrotkugel]]n. Obwohl die Giftigkeit und die Verwendung als Mordgift bekannt war, ist Arsen im beginnenden 19.&nbsp;Jahrhundert eines der bedeutendsten [[Wikipedia:Asthma bronchiale|Asthmamittel]]. Grundlage sind anscheinend Berichte, in denen den Chinesen nachgesagt wurde, sie würden Arsen in Kombination mit Tabak rauchen, um Lungen zu bekommen, die stark wie Blasebälge seien. Ebenfalls bis ins 19. Jahrhundert fanden Arsenverbindungen äußerlich und innerliche Anwendungen bei bösartigen Geschwülsten, Hauterkrankungen und (etwa in Form der [[Wikipedia:Fowlersche Lösung|Fowlerschen Tropfen]]) bei Fieber.<ref>Doris Schwarzmann-Schafhauser: ''Arsen.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 101.</ref><br />
<br />
Arsen wurde in Form von Kupferarsenaten in Farbmitteln wie dem [[Wikipedia:Schweinfurter Grün|Pariser Grün]] eingesetzt, um Tapeten zu bedrucken. Bei hoher Feuchtigkeit wurden diese Pigmente durch Schimmelpilzbefall in giftige flüchtige Arsenverbindungen umgewandelt, die nicht selten zu chronischen Arsenvergiftungen führten.<br />
<br />
Doch auch in Kriegen fand Arsen Verwendung: Im [[Wikipedia:Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] wurden Arsenverbindungen in chemischen Kampfstoffen ([[Wikipedia:Nasen- und Rachenkampfstoff|Blaukreuz]]) oder [[Wikipedia:Lewisit|Lewisit]] eingesetzt. Bei den Opfern bewirkten sie durch Angriff auf Haut und Lungen grausame Schmerzen und schwerste körperliche Schädigungen.<br />
<br />
==Vorkommen==<br />
[[Datei:Arsen gediegen - St. Andreasberg, Harz.JPG|mini|links|Gediegenes Arsen in [[Wikipedia:Mineral-Aggregat|nierig-traubiger Ausbildung]] aus [[Wikipedia:Sankt Andreasberg|Sankt Andreasberg]] im Harz<br />([[Wikipedia:Mineralogisches Museum der Universität Bonn|Mineralogisches Museum der Universität Bonn]])]]<br />
[[Datei:Arsenic-4jg33a.jpg|mini|links|Silbrig glänzende Arsenkristalle (Vergrößerung, [[:Datei:Arsenic-4jg33b.jpg|Gesamtgröße der Stufe]]: 4,2&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;3,2&nbsp;cm&nbsp;×&nbsp;3&nbsp;cm)]]<br />
Arsen kommt in geringen Konzentrationen von bis zu 10&nbsp;ppm praktisch überall im Boden vor. Es ist in der [[Wikipedia:Erdkruste|Erdkruste]] ungefähr so häufig wie [[Wikipedia:Uran|Uran]] oder [[Wikipedia:Germanium|Germanium]]. In der kontinentalen Erdkruste kommt Arsen mit durchschnittlich 1,7&nbsp;ppm vor, wobei es durch seinen [[Wikipedia:Goldschmidt-Klassifikation|lithophilen Charakter]] (= Silikat liebend) in der oberen Kruste angereichert ist (2&nbsp;ppm gegenüber 1,3&nbsp;ppm in der unteren Kruste);<ref name="1995wedepohl">K. H. Wedepohl: ''The composition of the continental crust.'' In: ''[[Wikipedia:Geochimica et Cosmochimica Acta|Geochimica et Cosmochimica Acta]].'' 59/7, 1995, S.&nbsp;1217–1232.</ref> damit liegt Arsen in der Tabelle der [[Wikipedia:Liste der Häufigkeiten chemischer Elemente|häufigsten Elemente]] an 53.&nbsp;Stelle.<br />
<br />
Arsen (''Scherbenkobalt'') kommt in der Natur [[Wikipedia:gediegen|gediegen]], das heißt in elementarer Form, vor und ist daher von der [[Wikipedia:International Mineralogical Association|International Mineralogical Association]] (IMA) als eigenständiges [[Wikipedia:Mineral|Mineral]] anerkannt. Gemäß der [[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Strunz (9. Auflage)|Systematik der Minerale nach Strunz (9. Auflage)]] wird Arsen unter der System-Nr. 1.CA.05 (Elemente – Halbmetalle (Metalloide) und Nichtmetalle – Arsengruppen-Elemente)<ref>[http://pubsites.uws.edu.au/ima-cnmnc/IMA2009-01%20UPDATE%20160309.pdf IMA/CNMNC List of Mineral Names – Gold.] (PDF; 1,8 MB) S.&nbsp;17 (englisch).</ref> ([[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Strunz (8. Auflage)|8. Auflage]]: ''I/B.01-10'') eingeordnet. Die im englischsprachigen Raum ebenfalls geläufige [[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Dana/Elemente|Systematik der Minerale nach Dana]] führt das Element-Mineral unter der System-Nr. 01.03.01.01.<br />
<br />
Weltweit sind zurzeit (Stand: 2011) rund 330 Fundorte für gediegenes Arsen bekannt.<ref>[https://www.mindat.org/show.php?id=357&ld=1#themap Localities for Arsenic.] Mindat.</ref> In Deutschland wurde es an mehreren Fundstätten im [[Wikipedia:Schwarzwald|Schwarzwald]] (Baden-Württemberg), im bayerischen [[Wikipedia:Spessart|Spessart]] und [[Wikipedia:Oberpfälzer Wald|Oberpfälzer Wald]], im hessischen [[Wikipedia:Odenwald|Odenwald]], in den Silberlagerstätten des [[Wikipedia:Erzgebirge|Westerzgebirges]] (Sachsen), am [[Wikipedia:Hunsrück|Hunsrück]] (Rheinland-Pfalz) sowie im [[Wikipedia:Thüringer Wald|Thüringer Wald]] gefunden. In Österreich trat Arsen an mehreren Fundstätten in [[Wikipedia:Kärnten|Kärnten]], [[Wikipedia:Salzburg|Salzburg]] und der [[Wikipedia:Steiermark|Steiermark]] zutage. In der Schweiz fand sich gediegen Arsen in den Kantonen [[Wikipedia:Kanton Aargau|Aargau]] und [[Wikipedia:Kanton Wallis|Wallis]].<br />
<br />
Weitere Fundorte sind in [[Wikipedia:Australien|Australien]], [[Wikipedia:Belgien|Belgien]], [[Wikipedia:Bolivien|Bolivien]], [[Wikipedia:Bulgarien|Bulgarien]], [[Wikipedia:Chile|Chile]], [[Wikipedia:Volksrepublik China|China]], [[Wikipedia:Finnland|Finnland]], [[Wikipedia:Frankreich|Frankreich]], [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]], [[Wikipedia:Irland|Irland]], [[Wikipedia:Italien|Italien]], [[Wikipedia:Japan|Japan]], [[Wikipedia:Kanada|Kanada]], [[Wikipedia:Kasachstan|Kasachstan]], [[Wikipedia:Kirgisistan|Kirgisistan]], [[Wikipedia:Madagaskar|Madagaskar]], [[Wikipedia:Malaysia|Malaysia]], [[Wikipedia:Marokko|Marokko]], [[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]], [[Wikipedia:Mongolei|Mongolei]], [[Wikipedia:Neuseeland|Neuseeland]], [[Wikipedia:Norwegen|Norwegen]], [[Wikipedia:Österreich|Österreich]], [[Wikipedia:Peru|Peru]], [[Wikipedia:Polen|Polen]], [[Wikipedia:Rumänien|Rumänien]], [[Wikipedia:Russland|Russland]], [[Wikipedia:Schweden|Schweden]], [[Wikipedia:Slowakei|Slowakei]], [[Wikipedia:Spanien|Spanien]], [[Wikipedia:Tschechien|Tschechien]], [[Wikipedia:Ukraine|Ukraine]], [[Wikipedia:Ungarn|Ungarn]], im [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|Vereinigten Königreich]] (Großbritannien) und in den [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten]] (USA) bekannt.<br />
<br />
Weit häufiger kommt das Element allerdings in verschiedenen [[Wikipedia:Intermetallische Verbindung|intermetallischen Verbindungen]] mit [[Wikipedia:Antimon|Antimon]] ([[Allemontit]]) und [[Kupfer]] ([[Wikipedia:Whitneyit|Whitneyit]]) sowie in verschiedenen [[Wikipedia:Mineral|Mineral]]en vor, die überwiegend der Klasse der [[Wikipedia:Sulfide|Sulfide]] und [[Wikipedia:Sulfosalze|Sulfosalze]] angehören. Insgesamt sind bisher (Stand: 2011) 565 Arsenminerale bekannt.<ref>[http://webmineral.com/chem/Chem-As.shtml Mineral Species sorted by the element As (Arsenic).] Webmineral.</ref> Die höchsten Konzentrationen an Arsen enthalten dabei unter anderem die Minerale [[Duranusit]] (ca. 90 %), [[Wikipedia:Skutterudit|Skutterudit]] und [[Wikipedia:Arsenolith|Arsenolith]] (jeweils ca. 76 %), die allerdings selten zu finden sind. Weit verbreitet sind dagegen [[Wikipedia:Arsenopyrit|Arsenopyrit]] (''Arsenkies''), [[Wikipedia:Löllingit|Löllingit]], [[Wikipedia:Realgar|Realgar]] (''Rauschrot'') und [[Wikipedia:Auripigment|Auripigment]] (''Orpiment'', ''Rauschgelb''). Weitere bekannte Minerale sind [[Wikipedia:Cobaltit|Cobaltit]] (''Kobaltglanz''), [[Wikipedia:Domeykit|Domeykit]] (''Arsenkupfer''), [[Wikipedia:Enargit|Enargit]], [[Wikipedia:Gersdorffit|Gersdorffit]] (''Nickelarsenkies''), [[Wikipedia:Proustit|Proustit]] (''Lichtes Rotgültigerz'', ''Rubinblende''), [[Wikipedia:Rammelsbergit|Rammelsbergit]] sowie [[Wikipedia:Safflorit|Safflorit]] und [[Wikipedia:Sperrylith|Sperrylith]].<br />
<br />
[[Wikipedia:Arsenate|Arsenate]] finden sich häufig in [[Wikipedia:Phosphate|phosphathaltigen]] [[Wikipedia:Gestein|Gestein]]en, da sie eine vergleichbare [[Wikipedia:Löslichkeit|Löslichkeit]] aufweisen und das häufigste Sulfidmineral [[Wikipedia:Pyrit|Pyrit]] kann bis zu einigen Massenprozent Arsen einbauen.<br />
<br />
Arsen wird heutzutage als Nebenprodukt der Verhüttung von Gold-, Silber-, Zinn-, Kupfer-, Cobalt- und weiteren Buntmetallerzen sowie bei der Verarbeitung von Phosphatrohstoffen gewonnen. Die größten Produzenten im Jahr 2009 waren China, Chile, Marokko und Peru. Arsen ist nur schwer wasserlöslich und findet sich daher nur in geringen Spuren, etwa 1,6&nbsp;ppb (Milliardstel Massenanteilen) in Meeren und Ozeanen.<br />
<br />
In der Luft findet man Arsen in Form von [[Wikipedia:Aerosol|partikulärem]] [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsen(III)-oxid]]. Als natürliche Ursache dafür hat man [[Wikipedia:Vulkanausbruch|Vulkanausbrüche]] identifiziert, die insgesamt jährlich geschätzte 3000 Tonnen in die [[Wikipedia:Erdatmosphäre|Erdatmosphäre]] eintragen. Bakterien setzen weitere 20.000 Tonnen in Form organischer Arsenverbindungen wie [[Wikipedia:Trimethylarsin|Trimethylarsin]] frei. Ein großer Teil am freigesetzten Arsen entstammt der Verbrennung [[Wikipedia:Fossile Energie|fossiler Brennstoffe]] wie [[Wikipedia:Kohle|Kohle]] oder [[Wikipedia:Erdöl|Erdöl]]. Die geschätzten [[Wikipedia:Emission (Umwelt)|Emissionen]], verursacht durch den Straßenverkehr und stationäre Quellen, betrugen 1990 in der [[Wikipedia:Deutschland|Bundesrepublik Deutschland]] 120 Tonnen (20 Tonnen in den alten, 100 Tonnen in den neuen Bundesländern). Die Außenluftkonzentration von Arsen liegt zwischen 0,5 und 15 Nanogramm pro Kubikmeter.<br />
<br />
{| class="wikitable" style="width:20em"<br />
|+Raffinerieproduktion nach Ländern (2009, geschätzt)<ref name="usgs">[http://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/commodity/arsenic/mcs-2010-arsen.pdf USGS - Arsenic Statistics and Information - Mineral Commodity Summaries 2010] (PDF; 92&nbsp;kB).</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe8"<br />
!Land!!Tonnen<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Volksrepublik China|Volksrepublik China]]||25.000<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Chile|Chile]]||11.500<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Marokko|Marokko]]||{{0}}7.000<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Peru|Peru]]||{{0}}4.000<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Kasachstan|Kasachstan]]||{{0}}1.500<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Russland|Russland]]||{{0}}1.500<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]]||{{0}}1.500<br />
|-<br />
|[[Wikipedia:Belgien|Belgien]]||{{0}}1.000<br />
|-<br />
|andere||{{0|00.}}500<br />
|-<br />
|Gesamt||53.500<br />
|}<br />
<br />
==Gewinnung und Darstellung==<br />
[[Datei:ArsenbergwerkRotgueldensee.jpg|mini|Ehemalige Arsenbergwerke unterhalb des [[Wikipedia:Rotgüldensee|Rotgüldensee]]s im [[Wikipedia:Lungau|Lungau]]<ref>[http://www.umweltbundesamt.at/umweltsituation/altlasten/altlasteninfo/sanaltlasten/salzburg/s7/ ''Gesicherte Altlast S 7: Arsenikhalde Rotgülden.''] umweltbundesamt.at; abgerufen am 6. November 2012.</ref>]]<br />
<br />
Arsen fällt in größeren Mengen als Nebenprodukt bei der Gewinnung von [[Kupfer]], [[Blei]], [[Wikipedia:Cobalt|Cobalt]] und [[Gold]] an. Dies ist die Hauptquelle für die kommerzielle Nutzung des Elements.<br />
<br />
Es kann durch thermische Reduktion von [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsen(III)-oxid]] mit [[Wikipedia:Koks|Koks]] oder [[Eisen]] und durch Erhitzen von [[Wikipedia:Arsenopyrit|Arsenkies]] (FeAsS) oder [[Wikipedia:Löllingit|Arsenikalkies]] (FeAs<sub>2</sub>) unter Luftabschluss in liegenden Tonröhren gewonnen werden. Dabei [[Wikipedia:Sublimierung (Physik)|sublimiert]] elementares Arsen, das an kalten Oberflächen wieder in den festen Aggregatzustand zurückkehrt.<br />
<br />
:<chem>FeAsS_{(s)} -> FeS_{(s)} {}+ As_{(g)}</chem><br />
:<small>Arsenkies zersetzt sich in Eisensulfid und elementares Arsen.</small><br />
:<chem>FeAs2_{(s)} -> FeAs_{(s)} {}+ As_{(g)}</chem><br />
:<small>Arsenikalkies zersetzt sich in [[Wikipedia:Eisenarsenid|Eisenarsenid]] und elementares Arsen.</small><br />
<br />
Für die [[Wikipedia:Halbleiter|Halbleiter]]technik wird Arsen, dessen Reinheit über 99,99999 Prozent betragen muss, durch Reduktion von mehrfach [[Wikipedia:Destillation|destilliertem]] [[Wikipedia:Arsen(III)-chlorid|Arsen(III)-chlorid]] im [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]]strom hergestellt:<br />
<br />
:<chem>2AsCl3 + 3H2 -> 6HCl + 2As</chem><br />
:<small>Arsentrichlorid reagiert mit Wasserstoff zu Chlorwasserstoff und elementarem Arsen.</small><br />
<br />
Früher wurde es auch durch [[Wikipedia:Sublimierung (Physik)|Sublimation]] aus [[Wikipedia:Lösung (Chemie)|Lösungen]] in flüssigem [[Blei]] erzeugt. Dabei wird der [[Schwefel]] der Arsen-Erze durch das Blei in Form von [[Wikipedia:Blei(II)-sulfid|Blei(II)-sulfid]] gebunden. Die hierbei erzielten Reinheiten von über 99,999 Prozent waren für Halbleiteranwendungen nicht ausreichend. Eine andere Möglichkeit besteht im [[Wikipedia:Kristallisation|Auskristallisieren]] bei hohen Temperaturen aus geschmolzenem Arsen oder in der Umwandlung in [[Wikipedia:Arsenwasserstoff|Monoarsan]], einer anschließenden Reinigung sowie der Zersetzung bei 600&nbsp;[[Wikipedia:Grad Celsius|°C]] in Arsen und [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]].<ref name="Brauer">G. Brauer (Hrsg.): ''Handbook of Preparative Inorganic Chemistry.'' 2. Auflage. vol. 1, Academic Press 1963, S.&nbsp;591–592.</ref><br />
<br />
==Eigenschaften==<br />
[[Datei:Arsenkomplexe.png|rechts|gerahmt|Arsenionen in chemischen Komplexen (R bezeichnet die Liganden)]]<br />
[[Datei:Arsen 1.jpg|mini|links|metallisch glänzendes graues Arsen]]<br />
Arsen bildet mit [[Wikipedia:Stickstoff|Stickstoff]], [[Phosphor|Phosphor]], [[Wikipedia:Antimon|Antimon]] und [[Wikipedia:Bismut|Bismut]] die 5. [[Wikipedia:Hauptgruppe|Hauptgruppe]] des [[Periodensystem]]s und nimmt wegen seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften den Mittelplatz in dieser Elementgruppe ein. Arsen hat eine relative [[Wikipedia:Atommasse|Atommasse]] von 74,92159. Der Radius des Arsen-[[Wikipedia:Atom|Atom]]s beträgt 124,5 [[Wikipedia:Pikometer|Pikometer]]. In [[Wikipedia:Kovalente Bindung|kovalent gebundenem]] Zustand ist er etwas kleiner (121 Pikometer). Aufgrund der Abgabe der äußeren Elektronen ([[Wikipedia:Valenzelektron|Valenzelektron]]en) bei der [[Wikipedia:Ionisation|Ionisierung]] reduziert sich der Radius beträchtlich auf 34 Pikometer (As<sup>5+</sup>; das äußerste p- und das äußerste s-[[Wikipedia:Atomorbital|Atomorbital]] bleiben unbesetzt) beziehungsweise 58 Pikometer (As<sup>3+</sup>; nur das p-Orbital ist unbesetzt). In chemischen [[Wikipedia:Komplexchemie|Komplexverbindungen]] ist das As<sup>5+</sup>-[[Wikipedia:Kation|Kation]] von vier Bindungspartnern ([[Wikipedia:Ligand|Ligand]]en), As<sup>3+</sup> von sechs umgeben. Arsen tritt allerdings nur sehr selten in eindeutig ionischer Form auf.<br />
<br />
Der Wert für die [[Wikipedia:Elektronegativität|Elektronegativität]] liegt nach [[Wikipedia:Linus Carl Pauling|Pauling]] auf der von 0 ([[Wikipedia:Metalle|Metalle]]) bis 4 ([[Wikipedia:Nichtmetalle|Nichtmetall]]) reichenden [[Wikipedia:Elektronegativität#Pauling-Skala|Skala]] bei 2,18 und ist damit mit dem Wert des Gruppennachbarn Phosphor vergleichbar. Der [[Wikipedia:Halbmetalle|Halbmetall]]-Charakter des Arsens zeigt sich zudem darin, dass die benötigte [[Wikipedia:Dissoziation (Chemie)|Dissoziationsenergie]] von 302,7&nbsp;[[Wikipedia:Joule|kJ]]/[[Wikipedia:mol|mol]], also die [[Wikipedia:Energie|Energie]], die aufgebracht werden muss, um ein einzelnes Arsen-Atom aus einem Arsen-[[Wikipedia:Festkörper|Festkörper]] herauszulösen, zwischen der des Nichtmetalls Stickstoff (473,02&nbsp;kJ/mol; [[Wikipedia:kovalente Bindung|kovalente Bindung]]) und des Metalls Bismut (207,2&nbsp;kJ/mol; [[Wikipedia:metallische Bindung|metallische Bindung]]) liegt. Unter Normaldruck [[Wikipedia:Sublimierung (Physik)|sublimiert]] Arsen bei einer Temperatur von 613&nbsp;°C, geht also aus dem festen Aggregatzustand direkt in die Gasphase über. Arsendampf ist zitronengelb und setzt sich bis ungefähr 800&nbsp;°C aus As<sub>4</sub>-[[Wikipedia:Molekül|Molekül]]en zusammen. Oberhalb von 1700&nbsp;°C liegen As<sub>2</sub>-Moleküle vor.<br />
<br />
Arsen zeigt je nach Verbindungspartner [[Wikipedia:Oxidationszahl|Oxidationsstufen]] zwischen −3 und +5. Mit elektropositiven Elementen wie [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]] oder Metallen bildet es Verbindungen, in denen es eine [[Wikipedia:Oxidationszahl|Oxidationsstufe]] von −3 einnimmt. Beispiele dafür sind [[Wikipedia:Arsenwasserstoff|Monoarsan]] (AsH<sub>3</sub>) und [[Wikipedia:Domeykit|Arsenkupfer]] (Cu<sub>3</sub>As). In Verbindungen mit elektronegativen Elementen wie den Nichtmetallen [[Sauerstoff]], [[Schwefel]] und [[Wikipedia:Chlor|Chlor]] besitzt es die Oxidationsstufe +3 oder +5; erstere ist dabei gegenüber den in derselben Hauptgruppe stehenden Elementen Stickstoff und Phosphor tendenziell bevorzugt.<br />
<br />
===Modifikationen===<br />
Arsen kommt wie andere Elemente der Stickstoffgruppe in verschiedenen [[Wikipedia:Allotropie|allotropen]] Modifikationen vor. Anders als beim Stickstoff, der in Form zweiatomiger Moleküle mit kovalenter Dreifachbindung vorkommt, sind die entsprechenden As<sub>2</sub>-Moleküle instabil und Arsen bildet stattdessen kovalente Netzwerke aus.<br />
<br />
====Graues Arsen====<br />
[[Datei:Grauesarsen.png|rechts|gerahmt|Schichtstruktur des grauen Arsens]]<br />
Graues oder [[Wikipedia:Metalle|metallisches]] Arsen ist die stabilste Form. Es hat eine [[Wikipedia:Dichte|Dichte]] von 5,73&nbsp;g/cm<sup>3</sup>. Seine [[Wikipedia:Kristall|Kristall]]e sind stahlgrau, metallisch glänzend und leiten den [[Wikipedia:Elektrischer Strom|elektrischen Strom]].<br />
<br />
Betrachtet man den strukturellen Aufbau des grauen Arsens, dann erkennt man Schichten aus gewellten Arsen-Sechsringen, welche die [[Wikipedia:Konformation#Konformationen bei cyclischen Molekülen|Sesselkonformation]] einnehmen. Darin bilden die Arsen-[[Wikipedia:Atom|Atom]]e eine Doppelschicht, wenn man sich den Aufbau der Schicht im Querschnitt ansieht. Die Übereinanderlagerung dieser Doppelschichten ist sehr kompakt. Bestimmte Atome der nächsten darüberliegenden oder darunterliegenden Schicht sind von einem Bezugsatom fast ähnlich weit entfernt wie innerhalb der betrachteten Doppelschicht. Dieser Aufbau bewirkt, dass die graue Arsen-Modifikation wie die [[Wikipedia:Homologe Reihe|homologen]] Elemente [[Wikipedia:Antimon|Antimon]] und [[Wikipedia:Bismut|Bismut]] sehr spröde ist. Deswegen werden diese drei Elemente häufig auch als [[Wikipedia:Sprödmetalle|Sprödmetalle]] bezeichnet.<br />
<br />
====Gelbes Arsen====<br />
Wird Arsen-Dampf, in dem Arsen gewöhnlich als As<sub>4</sub>-[[Wikipedia:Tetraeder|Tetraeder]] vorliegt, schnell abgekühlt, so bildet sich das [[Wikipedia:Metastabilität|metastabile]] gelbe Arsen mit einer Dichte von 1,97&nbsp;g/cm<sup>3</sup>. Es besteht ebenfalls aus tetraedrischen As<sub>4</sub>-[[Wikipedia:Molekül|Molekül]]en. Gelbes Arsen ist ein [[Wikipedia:Nichtmetalle|Nichtmetall]] und leitet infolgedessen den elektrischen Strom nicht. Es kristallisiert aus [[Wikipedia:Kohlenstoffdisulfid|Schwefelkohlenstoff]] und bildet kubische, stark [[Wikipedia:Brechung (Physik)|lichtbrechende]] Kristalle, die nach [[Wikipedia:Knoblauch|Knoblauch]] riechen. Bei [[Wikipedia:Raumtemperatur|Raumtemperatur]] und besonders schnell unter [[Wikipedia:Licht|Licht]]einwirkung wandelt sich gelbes Arsen in graues Arsen um.<ref name="Brauer" /><br />
<br />
====Schwarzes Arsen====<br />
Schwarzes Arsen selbst kann seinerseits in zwei verschiedenen Formen vorkommen. ''[[Wikipedia:Amorphes Material|Amorphes]] schwarzes Arsen'' entsteht durch Abkühlung von Arsen-Dampf an 100 bis 200&nbsp;°C warmen Oberflächen. Es besitzt keine geordnete Struktur, sondern liegt in einer amorphen, [[Wikipedia:glas|glas]]artigen Form vor, analog zum roten [[Phosphor|Phosphor]]. Die Dichte beträgt 4,7 bis 5,1&nbsp;g/cm<sup>3</sup>. Oberhalb 270&nbsp;°C wandelt sich das schwarze Arsen in die graue Modifikation um. Wird glasartiges, amorphes schwarzes Arsen bei Anwesenheit von metallischem [[Quecksilber]] auf 100 bis 175&nbsp;°C erhitzt, so entsteht das metastabile ''[[Wikipedia:Orthorhombisches Kristallsystem|orthorhombische]] schwarze Arsen'', das mit dem schwarzen Phosphor vergleichbar ist.<br />
<br />
Natürlich gebildetes orthorhombisches schwarzes Arsen ist in der Natur als seltenes Mineral [[Wikipedia:Arsenolamprit|Arsenolamprit]] bekannt.<br />
<br />
====Braunes Arsen====<br />
Bei der Reduktion von Arsenverbindungen in [[Wasser|wässriger]] [[Wikipedia:Lösung (Chemie)|Lösung]] entstehen ähnlich wie beim [[Phosphor|Phosphor]] Misch[[Wikipedia:Polymerisation|polymerisate]]. Bei diesen bindet ein Teil der freien [[Wikipedia:Wertigkeit (Chemie)|Valenzen]] des Arsens [[Wikipedia:Hydroxygruppe|Hydroxygruppe]]n&nbsp;(–OH). Man nennt diese Form des Arsens ''braunes Arsen''.<ref>{{Holleman-Wiberg|Auflage=101.|Startseite=?}}</ref><br />
<br />
===Reaktionen===<br />
Arsen [[Wikipedia:Chemische Reaktion|reagiert]] heftig mit [[Wikipedia:Oxidationsmittel|Oxidationsmittel]]n und [[Wikipedia:Halogene|Halogene]]n. So verbrennt Arsen an der Luft mit bläulicher Flamme zu einem weißen Rauch von giftigem [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsen(III)-oxid]].<br />
<br />
:<chem>4As + 3O2 -> 2As2O3</chem><br />
:<small>Arsen reagiert mit Sauerstoff zu Arsen(III)-oxid.</small><br />
<br />
Ohne äußere Wärmezufuhr findet die Reaktion mit Chlor unter Feuererscheinung zu [[Wikipedia:Arsen(III)-chlorid|Arsen(III)-chlorid]] statt.<br />
<br />
:<chem>2As + 3Cl2 -> 2AsCl3</chem><br />
:<small>Arsen reagiert mit Chlor zu Arsentrichlorid.</small><br />
<br />
Eine weitere [[Wikipedia:Oxidation|Oxidation]] ist möglich.<br />
<br />
:<chem>AsCl3 + Cl2 -> AsCl5</chem><br />
:<small>Arsentrichlorid reagiert mit Chlor zu Arsenpentachlorid.</small><br />
<br />
Analoge Reaktionsgleichungen gelten für die entsprechenden Reaktionen mit [[Wikipedia:Fluor|Fluor]].<br />
Stark [[Wikipedia:Oxidation|oxidierende]] [[Wikipedia:Säuren|Säuren]], wie konzentrierte [[Wikipedia:Salpetersäure|Salpetersäure]] oder [[Wikipedia:Königswasser|Königswasser]], wandeln Arsen in [[Wikipedia:Arsensäure|Arsensäure]] um.<br />
<br />
:<chem>As + 5HNO3 -> 5NO2 + H2O + H3AsO4</chem><br />
:<small>Arsen reagiert mit Salpetersäure zu Stickstoffdioxid, Wasser und Arsensäure.</small><br />
<br />
Ist die Oxidationsstärke weniger groß – etwa bei Verwendung von verdünnter Salpetersäure oder [[Wikipedia:Schwefelsäure|Schwefelsäure]] – entsteht [[Wikipedia:Arsenige Säure|Arsenige Säure]].<br />
<br />
:<chem>2As + 3H2SO4 -> 3SO2 + 2H3AsO3</chem><br />
:<small>Arsen reagiert mit Schwefelsäure zu Schwefeldioxid und Arseniger Säure.</small><br />
<br />
Unter sauren Bedingungen und bei Anwesenheit von nichtpassivierten unedlen [[Wikipedia:Metalle|Metalle]]n, insbesondere [[Zink]], reagiert Arsen mit dem gebildeten [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]] zu [[Wikipedia:Arsenwasserstoff|Monoarsan]].<br />
<br />
:<chem>Zn + 2H3O+ -> Zn^2+ + H2 + 2 H2O</chem><br />
:<small>Zink reagiert mit Wasserstoffionen zu Zinkionen und neutralem Wasserstoff.</small><br />
:<chem>2As + 3H2 -> 2AsH3</chem><br />
:<small>Arsen reagiert mit Wasserstoff zu Monoarsan.</small><br />
<br />
Mit basischem [[Wikipedia:Natriumhydroxid|Natriumhydroxid]] bildet sich das entsprechende Arsenitsalz.<br />
<br />
:<chem>2As + 6NaOH -> 2Na3AsO3 + 3H2</chem><br />
:<small>Arsen reagiert mit Natriumhydroxid zu Natriumarsenit und elementarem Wasserstoff.</small><br />
<br />
==Isotope==<br />
Vom Arsen sind künstlich hergestellte, [[Wikipedia:Radioaktivität|radioaktive]] Isotope mit [[Wikipedia:Massenzahl|Massenzahl]]en zwischen 65 und 87 bekannt. Die [[Wikipedia:Halbwertszeit|Halbwertszeit]]en liegen zwischen 96 Millisekunden (<sup>66</sup>As) und 80,3 Tagen (<sup>73</sup>As). Natürlich vorkommendes Arsen besteht zu 100 Prozent aus dem [[Wikipedia:Isotop|Isotop]] <sup>75</sup>As, es ist daher ein [[Wikipedia:Reinelement|anisotopes]] Element. Der entsprechende Arsen-[[Wikipedia:Atomkern|Kern]] besteht also aus genau 33 [[Wikipedia:Proton|Proton]]en und 42 [[Wikipedia:Neutron|Neutron]]en. Physikalisch zählt man ihn daher zu den ug-Kernen (u steht hier für ungerade, g für gerade). Sein [[Wikipedia:Kernspin|Kernspin]] beträgt 3/2.<br />
<br />
==Verwendung==<br />
Arsen wird [[Blei]]legierungen zugesetzt, um ihre Festigkeit zu verbessern und das Blei gießbar zu machen. Vor allem die fein strukturierten Platten von [[Wikipedia:Akkumulator|Akkumulator]]en könnten ohne Arsen nicht gegossen werden. Historisch war Arsen eine wichtige Zutat von [[Kupfer]]legierungen, die dadurch besser verarbeitbar wurden. Metallisches Arsen wurde früher gelegentlich zur Erzeugung mattgrauer Oberflächen auf Metallteilen verwendet, um eine Alterung vorzutäuschen.<br />
[[Datei:Wafer 2 Zoll bis 8 Zoll.jpg|mini|hochkant|[[Wikipedia:Wafer|Wafer]] verschiedener Größe]]<br />
In der [[Wikipedia:Elektronik|Elektronik]] spielt es als mindestens 99,9999 Prozent reines Element für [[Wikipedia:Galliumarsenid|Gallium-Arsenid]]-[[Wikipedia:Halbleiter|Halbleiter]], sogenannte [[Wikipedia:III-V-Verbindungshalbleiter|III-V-Halbleiter]] (aufgrund der Kombination von Elementen aus der [[Wikipedia:Borgruppe|3.]] und [[Wikipedia:Gruppe-15-Element|5. Hauptgruppe]] des [[Periodensystem]]s), sowie für [[Wikipedia:Epitaxie|Epitaxie]]schichten auf [[Wikipedia:Wafer|Wafer]]n in Form von [[Indiumarsenidphosphid]] und [[Wikipedia:Galliumarsenidphosphid|Galliumarsenidphosphid]] eine wesentliche Rolle in der Herstellung von Hochfrequenzbauelementen wie [[Wikipedia:Integrierter Schaltkreis|Integrierten Schaltkreisen]] (ICs), [[Wikipedia:Leuchtdiode|Leuchtdiode]]n (LEDs) beziehungsweise [[Wikipedia:Laser|Laser]]dioden (LDs). Es gab Anfang 2004 weltweit nur drei Hersteller von hochreinem Arsen, zwei in [[Wikipedia:Deutschland|Deutschland]] und einen in [[Wikipedia:Japan|Japan]].<br />
<br />
Arsen wird in Form seiner Verbindungen in einigen Ländern als [[Wikipedia:Biozid|Schädlingsbekämpfungsmittel]] im [[Wikipedia:Weinbau|Weinbau]], als [[Wikipedia:Fungizid|Fungizid]] (Antipilzmittel) in der [[Wikipedia:Holzwirtschaft|Holzwirtschaft]], als [[Wikipedia:Holzschutzmittel|Holzschutzmittel]], als [[Wikipedia:Rodentizid|Rattengift]] und als Entfärbungsmittel in der Glasherstellung verwendet. Der Einsatz ist umstritten, da die eingesetzten Arsenverbindungen (hauptsächlich Arsen(III)-oxid) giftig sind.<br />
<br />
===Arsen in Arzneimitteln===<br />
Die Verwendung arsenhaltiger Mineralien als Heilmittel ist bereits in der Antike durch [[Wikipedia:Hippokrates von Kos|Hippokrates]] und [[Wikipedia:Plinius der Ältere|Plinius]] bezeugt. Sie wurden als Fiebermittel, als Stärkungsmittel und zur Therapie von [[Wikipedia:Migräne|Migräne]], [[Wikipedia:Rheuma|Rheuma]]tismus, [[Wikipedia:Malaria|Malaria]], [[Wikipedia:Tuberkulose|Tuberkulose]] und [[Wikipedia:Diabetes mellitus|Diabetes]] eingesetzt. Im 18.&nbsp;Jahrhundert wurde eine Mischung aus [[Wikipedia:Kaliumarsenit|Kaliumarsenit]] und [[Echter Lavendel|Lavendelwasser]] als [[Wikipedia:Fowlersche Lösung|Fowler’sche Lösung]] bekannt, die lange als medizinisches Wundermittel galt und als Fiebersenker, Heilwasser und sogar als [[Wikipedia:Aphrodisiakum|Aphrodisiakum]] Anwendung fand. Kaliumarsenit war als Bestandteil der Fowler’schen Lösung bis in die 1960er Jahre in Deutschland als Mittel zur Behandlung der [[Schuppenflechte|Psoriasis]] im Einsatz.<ref name="ITOM">{{Literatur |Autor=Stéphane Gibaud, Gérard Jaouen |Titel=Arsenic-based drugs: from Fowler’s solution to modern anticancer chemotherapy |Sammelwerk=[[Wikipedia:Topics in Organometallic Chemistry|Topics in Organometallic Chemistry]] |Band=32 |Datum=2010 |Seiten=1–20 |DOI=10.1007/978-3-642-13185-1_1}}</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Konstantin der Afrikaner|Constantinus Africanus]] (1017–1087) empfahl eine Arsenapplikation zur Bekämpfung von Zahnschmerzen. Bereits um 2700 vor Christus soll die Anwendung von Arsen zur Behandlung eines schmerzenden Zahnes in der chinesischen Heilkunst beschrieben worden sein. In dem Mitte des 10. Jahrhunderts erschienenen Werk „''Liber Regius''“ empfahl der arabische Arzt Haly Abbas (ʿAli ibn al-ʿAbbās; † 944) ebenfalls den Einsatz von Arsenik zur Devitalisation der Pulpa.<ref>J. M. Hyson: ''A history of arsenic in dentistry.'' In: ''Journal of the California Dental Association.'' Band 35, Nummer 2, Februar 2007, S.&nbsp;135–139. PMID 17494382.</ref> Arsen(III)-oxid wurde bis in die Neuzeit zur Devitalisation der [[Wikipedia:Zahnpulpa|Zahnpulpa]] verwendet und verschwand in den 1970er Jahren wegen der [[Wikipedia:Karzinogen|krebserregenden]] Wirkung, Entzündungen des [[Wikipedia:Zahnhalteapparat|Zahnhalteapparat]]es, des Verlustes eines oder mehrerer Zähne einschließlich [[Wikipedia:Nekrose|Nekrose]]n des umliegenden [[Wikipedia:Alveolarfortsatz|Alveolarknochens]], [[Wikipedia:Allergie|Allergie]]n und Vergiftungserscheinungen aus dem Therapiespektrum.<ref>M. Hülsmann: ''Risiken und Nebenwirkungen bei der Devitalisierung permanenter Zähne.'' In: ''Zahnärztl. Mitt.'' 86, 1996, S. 338–345.</ref><br />
<br />
Einen Aufschwung erlebten arsenhaltige bzw. Arsenverbindungen<ref>Ernst Sieburg: ''Zur Biologie aromatischer Arsenverbindungen.'' In: ''[[Wikipedia:Biological Chemistry|Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie]].'' Band 97, 1916, S. 53–108.</ref> enthaltende Arzneimittel zu Beginn des 20.&nbsp;Jahrhunderts. [[Wikipedia:Harold Wolferstan Thomas|Harold Wolferstan Thomas]] und [[Wikipedia:Anton Breinl|Anton Breinl]] konnten 1905 beobachten, dass das arsenhaltige Präparat [[Wikipedia:Natriumhydrogenarsanilat|Atoxyl]] [[Wikipedia:Trypanosomen|Trypanosomen]], zu denen die Erreger der [[Wikipedia:Afrikanische Trypanosomiasis|Schlafkrankheit]] gehören, abtötet. 1920 wurde eine Weiterentwicklung, das [[Wikipedia:Tryparsamid|Tryparsamid]], in der Zeit von 1922 bis 1970 im tropischen [[Wikipedia:Afrika|Afrika]] zur Therapie der Schlafkrankheit eingesetzt. Es war bedeutsam für die Eingrenzung dieser Epidemie in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, konnte jedoch zur Erblindung führen. Das in den 1950er Jahren entwickelte [[Wikipedia:Melarsoprol|Melarsoprol]] war über mehrere Jahrzehnte das Mittel der Wahl zur Behandlung der Schlafkrankheit und wird heute noch eingesetzt, da keine effektiven Nachfolgepräparate zur Verfügung stehen.<br />
<br />
Ebenfalls angeregt durch die Trypanosomen-toxische Wirkung von Atoxyl entwickelte [[Wikipedia:Paul Ehrlich|Paul Ehrlich]] das arsenhaltige [[Wikipedia:Arsphenamin|Arsphenamin]] (Salvarsan).<ref>Vgl. auch [[Wikipedia:Florian G. Mildenberger|Florian G. Mildenberger]]: ''Kein Heil durch Arsen? Die Salvarsandebatte und ihre Konsequenzen.'' In: ''Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen.'' Band 8/9, 2012/2013 (2014), S. 327–390.</ref> Das 1910 in die Therapie der [[Wikipedia:Syphilis|Syphilis]] eingeführte Mittel stellte das erste auf theoretischen Vorüberlegungen beruhende, systematisch entwickelte, spezifisch wirkende [[Wikipedia:Chemotherapeutikum|Chemotherapeutikum]] dar und war Vorbild für die Entwicklung der bis heute verwendeten [[Wikipedia:Sulfonamid|Sulfonamid]]e. Es wurde lange Zeit auch bei der Behandlung von [[Wikipedia:Dysenterie|Dysenterie]] eingesetzt.<ref name="ITOM" /><br />
<br />
Im Jahr 2000 wurde ein arsenikhaltiges Präparat unter dem Namen ''Trisenox'' in den USA zur Behandlung der [[Wikipedia:Akute myeloische Leukämie|akuten Promyelozytenleukämie]] (APL) zugelassen. Seit 2002 besteht für ''Trisenox'' in Europa eine Zulassung zur Behandlung der APL, (Vertrieb in EU und USA: [[Wikipedia:Cephalon (Unternehmen)|Cephalon]]). Seine Wirksamkeit bei der [[Wikipedia:Krebs (Medizin)|Krebstherapie]] wird auch auf die [[Angioneogenese|antiangioneogenetische]] Wirkung zurückgeführt.<br />
<br />
Die verschiedenen Arsensulfide sind Bestandteil von Arzneimitteln der [[Traditionelle chinesische Medizin|Chinesischen Medizin]].<br />
<br />
===Arsenik als Insektizid bei der Taxidermie===<br />
Aufgrund der [[Wikipedia:Gift|toxischen]] Eigenschaften von Arsenverbindungen wurde früher überwiegend [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsenik]]<ref>Fernando Marte, Amandine Pequinot, David W. Von Endt: ''{{Webarchiv | url=http://www.crcc.cnrs.fr/IMG/pdf/Arsenic_in_taxidermy_collections-2.pdf | wayback=20110720213359 | text=Arsenic in Taxidermy Collections: History, Detection, and Management.}}'' (PDF; 159&nbsp;kB)</ref> zur [[Wikipedia:Taxidermie|Haltbarmachung]] von [[Wikipedia:Wirbeltiere|Wirbeltiere]]n (''Taxidermie'') als [[Wikipedia:Insektizid|Insektizid]] verwendet.<ref>Gerhard Schröder: ''Das Sammeln, Konservieren von Wirbeltieren''. 1936.</ref> Viele andere Stoffe, wie auch [[Wikipedia:Lindan|Lindan]], wurden zum selben Zweck verwendet,<ref>Rudolf Piechocki, Joachim Händel: ''Mikroskopische Präparationstechnik.'' Teil II, 4. Auflage. 1996.</ref> wie es die Fachliteratur der Präparatoren aus der Zeit von 1868 bis 1996 beschreibt. Solche Stoffe sind jedoch auch für Menschen giftig und stellen heute an Präparatoren besondere Anforderungen, da diese auch in Kontakt mit derart kontaminierten Präparaten kommen.<ref>Felix Divo: ''{{Webarchiv | url=http://ls.cabacos.de/_obj/67FB28E8-99E0-4240-A060-6BEE1CC77AA5/outline/Die-Untersuchung-von-Praeparaten-auf-Gifte.pdf | archive-is=20151122113547 | text=Die Untersuchung von Tierpräparaten auf Gifte}}.'' [[Wikipedia:Jugend forscht|Jugend-forscht]]-Arbeit von 2011.</ref><br />
<br />
==Biologische Bedeutung==<br />
Die biologische Bedeutung des Arsens für den Menschen ist nicht vollständig geklärt. Es gilt als Spurenelement im Menschen, Mangelerscheinungen wurden bisher aber nur an Tieren nachgewiesen. Der notwendige Bedarf liegt, falls er bestehen sollte, zwischen 5 und 50&nbsp;µg pro Tag.<ref>John Emsley: ''Parfum, Portwein, PVC …''. Wiley Verlag, Weinheim 2003, S.&nbsp;274–275.</ref> Eine tägliche Arsenaufnahme von – je nach Wahl der Nahrungsmittel – bis zu einem Milligramm gilt als harmlos. In einer neuen Studie konnte eine erhöhte Arsenbelastung durch hohe Arsengehalte im Grundwasser von Reisanbaugebieten mit der Entstehung von Krebserkrankungen in Verbindung gebracht werden. Die Förderung der Krebsentwicklung ist jedoch dosisabhängig und nur bei Verzehr von belastetem Reis als täglichem Grundnahrungsmittel gegeben.<ref name="arsenic_rice">M. Banerjee, N. Banerjee, P. Bhattacharjee, D. Mondal, P. R. Lythgoe, M. Martínez, J. Pan, D. A. Polya, A. K. Giri: ''High arsenic in rice is associated with elevated genotoxic effects in humans.'' In: ''Scientific reports.'' Band 3, Juli 2013, S.&nbsp;2195, [[doi:10.1038/srep02195]]. PMID 23873074.</ref> Es gibt bei regelmäßigem Verzehr von Arsenverbindungen, speziell [[Wikipedia:Arsentrioxid|Arsentrioxid]] eine Gewöhnung, die beim Absetzen der Dosis sogar von Entzugserscheinungen begleitet werden. Menschen, die eine solche Gewöhnung erworben haben, werden [[Wikipedia:Arsenikesser|Arsenikesser]] genannt.<br />
<br />
Meerestiere wie [[Wikipedia:Muscheln|Muscheln]] oder [[Wikipedia:Garnele|Garnele]]n enthalten besonders viel Arsen, letztere bis zu 175&nbsp;[[Wikipedia:Parts per million|ppm]]. Vermutlich agiert es durch die [[Wikipedia:Chemische Bindung|Bindung]] an freie [[Wikipedia:Thiolgruppe|Thiolgruppe]]n in [[Wikipedia:Enzym|Enzym]]en als [[Wikipedia:Inhibitor|Inhibitor]], verhindert also deren Wirkung.<br />
<br />
Für viele Tiere ist Arsen ein essentielles Spurenelement. So zeigen [[Wikipedia:Haushuhn|Hühner]] oder [[Wikipedia:Ratten|Ratten]] bei arsenfreier Ernährung deutliche Wachstumsstörungen; dies hängt wahrscheinlich mit dem Einfluss des Elements auf die [[Wikipedia:Stoffwechsel|Verstoffwechslung]] der [[Wikipedia:Aminosäuren|Aminosäure]] [[Wikipedia:Arginin|Arginin]] zusammen. Zahlreiche [[Wikipedia:Alge|Alge]]n und [[Wikipedia:Krebstiere|Krebstiere]] enthalten organische Arsen-Verbindungen wie das schon erwähnte Arsenobetain. Arsen führt zur verstärkten Bildung der sauerstofftransportierenden [[Wikipedia:Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]. Aus diesem Grund wurde es früher dem Futter von Geflügel und Schweinen zugesetzt, um eine schnellere Mästung zu ermöglichen. Trainer von Rennpferden benutzten es zum illegalen [[Wikipedia:Doping|Doping]] ihrer Tiere – heute kann der Zusatz von Arsen zur Nahrung allerdings leicht im Urin nachgewiesen werden.<br />
<br />
Lösliche Arsenverbindungen werden leicht über den [[Wikipedia:Verdauungstrakt|Magen-Darm-Trakt]] aufgenommen und rasch innerhalb von 24 Stunden im Körper verteilt. Man findet den größten Teil des aufgenommenen Arsens in den [[Wikipedia:Muskulatur|Muskeln]], [[Wikipedia:Knochen|Knochen]], [[Wikipedia:Niere|Niere]]n und [[Lunge]]n. Im Menschen wurde es zusammen mit [[Wikipedia:Thallium|Thallium]] in fast jedem Organ nachgewiesen. Blut enthält bis zu 8&nbsp;[[Wikipedia:Parts per billion|ppb]] Arsen, in den anderen Organen des Körpers wie etwa den Knochen hat es einen Anteil von zwischen 0,1 und 1,5 ppm, in Haaren liegt der Anteil bei etwa 1 ppm. Der Gesamtgehalt von Arsen im Körper eines Erwachsenen liegt im Durchschnitt bei etwa 7 Milligramm.<br />
<br />
Organische Arsenverbindungen wie die aus [[Wikipedia:Fische|Fische]]n und [[Wikipedia:Meeresfrüchte|Meeresfrüchte]]n stammende [[Wikipedia:Dimethylarsinsäure|Dimethylarsinsäure]], [[Trimethylarsenoxid]], [[Wikipedia:Trimethylarsin|Trimethylarsin]] sowie [[Wikipedia:Arsenobetain|Arsenobetain]] verlassen den menschlichen Körper fast unverändert innerhalb von zwei bis drei Tagen über die Nieren. Anorganische Arsenverbindungen werden in der Leber zu [[Monomethylarsonsäure]] (MMAA) und Dimethylarsinsäure (DMAA) umgewandelt und anschließend ebenso über die Nieren ausgeschieden.<br />
<br />
Bei Pflanzen erhöht das Element den [[Wikipedia:Kohlenhydrate|Kohlenhydrat]]-Umsatz. Der [[Gebänderter Saumfarn|Gebänderte Saumfarn]] ''(Pteris vittata)'' nimmt das Halbmetall bevorzugt aus dem Boden auf und kann bis zu fünf Prozent seines Trockengewichts an Arsen aufnehmen. Aus diesem Grund wird die schnellwachsende Pflanze zur biologischen Säuberung arsenkontaminierter Böden eingesetzt.<br />
<br />
Die stimulierende Wirkung des Arsens ist vermutlich auch Ursache des früher in einigen [[Wikipedia:Alpen|Alpen]]gegenden verbreiteten [[Wikipedia:Arsenikesser|Arsenikessens]]. Im 17. Jahrhundert verzehrten manche der dortigen Bewohner lebenslang zweimal wöchentlich bis zu 250 Milligramm Arsen – bei Männern, weil es bei der Arbeit in den Höhenlagen half, bei Frauen, da es angeblich zu einer kräftigen Gesichtsfarbe beitrug. In der Wissenschaft lange als Märchen abgetan, nahm ein Bauer aus den Steirischen Alpen 1875 vor der in Graz versammelten deutschen Fachwelt eine Dosis von 400 Milligramm Arsentrioxid zu sich, die sich später auch in seinem Urin nachweisen ließ. Die Dosis lag weit über dem Doppelten der für normale Menschen tödlichen Arsenmenge, zeigte aber keinerlei negative Auswirkungen auf den Bauern. Ähnliches wird von Bewohnern einer Siedlung in der hochgelegenen [[Wikipedia:chile|chile]]nischen [[Wikipedia:Atacamawüste|Atacamawüste]] berichtet, deren Trinkwasser hochgradig mit Arsen belastet ist, die jedoch keinerlei Vergiftungssymptome zeigen. Heute geht man davon aus, dass eine langsame Gewöhnung an das Gift mit sukzessive steigenden Dosen physiologisch möglich ist.<br />
<br />
Über den [[Wikipedia:Stamm (Systematik)#Bakterienstämme|Bakterienstamm]] [[Wikipedia:GFAJ-1|GFAJ-1]] wurde 2010 berichtet, dass er unter bestimmten Bedingungen in [[Wikipedia:arsenat|arsenat]]haltigen [[Wikipedia:Nährmedium|Nährmedien]] in der Lage sei, Arsenat anstatt [[Wikipedia:Phosphat|Phosphat]] in [[Wikipedia:Biomolekül|Biomolekül]]e wie die [[Wikipedia:DNA|DNA]] einzubauen, ohne dabei abzusterben, was bisher eher als unmöglich galt.<ref>Felisa Wolfe-Simon, Jodi Switzer Blum, Thomas R. Kulp, Gwyneth W. Gordon, Shelley E. Hoeft, Jennifer Pett-Ridge, John F. Stolz, Samuel M. Webb, Peter K. Weber, Paul C. W. Davies, Ariel D. Anbar, Ronald S. Oremland: ''A Bacterium That Can Grow by Using Arsenic Instead of Phosphorus.'' In: ''[[Wikipedia:Science|Science]]''. 2010, [[doi:10.1126/science.1197258]].</ref> Der Befund scheint jedoch auf unsauberen Arbeitsmethoden zu basieren,<ref>{{Internetquelle |url=http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1056655 |titel=Angemerkt!: Der Arsen-Schnellschuss geht nach hinten los – Spektrum der Wissenschaft |autor=Lars Fischer |werk=wissenschaft-online.de |datum=2012-08-15 |zugriff=2014-12-27}}</ref><ref>Erika Check Study challenges existence of arsenic-based life: ''Study challenges existence of arsenic-based life.'' In: ''nature news.'' 20. Januar 2012, [[doi:10.1038/nature.2012.9861]].</ref> die Befunde konnten nicht repliziert werden.<ref>M. L. Reaves, S. Sinha, J. D. Rabinowitz, L. Kruglyak, R. J. Redfield: ''Absence of arsenate in DNA from arsenate-grown GFAJ-1 cells.'' 19. April 2012, {{arXiv|1201.6643v2}}.</ref><br />
<br />
==Sicherheitshinweise==<br />
Arsen-Stäube sind leicht entzündlich.<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T57.0<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung: Arsen und dessen Verbindungen<br />
}}<br />
<br />
===Toxizität===<br />
Dreiwertige lösliche Verbindungen des Arsens sind hoch toxisch, weil sie biochemische Prozesse wie die [[Wikipedia:DNA-Reparatur|DNA-Reparatur]], den zellulären Energiestoffwechsel, rezeptorvermittelte Transportvorgänge und die Signaltransduktion stören. Dabei kommt es mutmaßlich nicht zu einer direkten Einwirkung auf die DNA, sondern zu einer Verdrängung des Zink-Ions aus seiner Bindung zu [[Wikipedia:Metallothionein|Metallothionein]]en und damit zur Inaktivierung von [[Wikipedia:Tumorsuppressor |Tumorsupressorprotein]]en (siehe auch [[Wikipedia:Zinkfingerprotein|Zinkfingerprotein]]). Arsen(III)- und Zink(II)-Ionen haben vergleichbare Ionenradien und damit ähnliche [[Wikipedia:Affinität (Biochemie)|Affinität]] zu diesen Zinkfingerproteinen, allerdings führt Arsen dann nicht zur Aktivierung der Tumorsupressorproteine.<br />
<br />
Eine akute Arsenvergiftung führt zu Krämpfen, Übelkeit, Erbrechen, inneren Blutungen, Durchfall und [[Wikipedia:Kolik|Kolik]]en, bis hin zu Nieren- und Kreislaufversagen. Bei schweren Vergiftungen fühlt sich die Haut feucht und kalt an und der Betroffene kann in ein [[Wikipedia:Koma|Koma]] fallen. Die Einnahme von 60 bis 170 Milligramm [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsenik]] gilt für Menschen als tödliche Dosis ([[Wikipedia:Letale Dosis|LD<sub>50</sub>]]&nbsp;=&nbsp;1,4&nbsp;mg/kg&nbsp;Körpergewicht); meist tritt der Tod innerhalb von mehreren Stunden bis wenigen Tagen durch Nieren- und Herz-Kreislauf-Versagen ein. Eine chronische Arsenbelastung kann Krankheiten der Haut und Schäden an den Blutgefäßen hervorrufen, was zum Absterben der betroffenen Regionen ([[Black Foot Disease]]) sowie zu bösartigen Tumoren der Haut, Lunge, Leber und Harnblase führt. Diese Symptome wurden auch als [[Wikipedia:Złoty Stok|Reichensteiner]] Krankheit bezeichnet, nach einem Ort in Schlesien, dessen Trinkwasser durch den [[Wikipedia:Arsenik|Arsenik]]-Abbau bis zu 0,6&nbsp;mg Arsen pro Liter enthielt.<ref>Johann Mutschmann, Fritz Stimmelmayr: ''Taschenbuch der Wasserversorgung.'' Vieweg+Teubner, 2007, ISBN 978-3-8348-0012-1.</ref><br />
<br />
Die [[Wikipedia:Chronische Vergiftung|chronische]] Arsen-Vergiftung führt über die Bindung an Sulfhydryl-Gruppen von Enzymen der Blutbildung (zum Beispiel Delta-Amino-Laevulin-Säure-Synthetase) zu einem initialen Abfall des Hämoglobins im Blut, was zu einer reaktiven [[Wikipedia:Polyglobulie|Polyglobulie]] führt. Des Weiteren kommt es bei chronischer Einnahme von Arsen zur Substitution der Phosphor-Atome<!-- wenn bekannt, welche(s) Atom(e) genau, bitte ergänzen --> im Adenosin-Triphosphat (ATP) und damit zu einer Entkopplung der Atmungskette, was zu einer weiteren reaktiven Polyglobulie führt. Klinisch finden sich hier nach Jahren der As-Exposition [[Wikipedia:Trommelschlägelfinger|Trommelschlägelfinger]], [[Wikipedia:Uhrglasnägel|Uhrglasnägel]], [[Wikipedia:Mees-Nagelbänder|Mees-Nagelbänder]] und [[Wikipedia:Akrozyanose|Akrozyanose]] ([[Wikipedia:Raynaud-Syndrom|Raynaud-Syndrom]]), mit Folge der ''Black Foot Disease''.<br />
<br />
Metallisches Arsen dagegen zeigt wegen seiner Unlöslichkeit nur eine geringe Giftigkeit, da es vom Körper kaum aufgenommen wird (LD<sub>50</sub> = 763&nbsp;mg/kg Ratte, oral).<ref name="Merck">{{Merck|100115|Datum=26. April 2010}}</ref> Es sollte aber, da es sich an der Luft leicht mit seinen sehr giftigen Oxiden wie dem Arsenik überzieht, stets mit größter Vorsicht behandelt werden. Anders verhält es sich mit Arsenik, das in früheren Zeiten als [[Wikipedia:Stimulans|Stimulans]] von [[Wikipedia:Arsenikesser|Arsenikesser]]n benutzt wurde, um einer Arsenvergiftung vorzubeugen. Der Mechanismus dieser Immunisierung gegen Arsen ist nicht bekannt.<br />
<br />
===Grenzwerte===<br />
[[Wikipedia:Anion|Anion]]isches Arsen tritt als [[Wikipedia:Arsenite|Arsenit]] ([AsO<sub>3</sub>]<sup>3−</sup>) und [[Wikipedia:Arsenate|Arsenat]] ([AsO<sub>4</sub>]<sup>3−</sup>) in vielen Ländern im [[Wikipedia:Grundwasser|Grundwasser]] in hohen Konzentrationen auf. Durch Auswaschungen aus arsenhaltigen Erzen in Form von drei- und fünfwertigen Ionen trinken weltweit über 100 Millionen Menschen belastetes [[Wikipedia:Trinkwasser|Wasser]]. Besonders in [[Wikipedia:Indien|Indien]], [[Wikipedia:Bangladesch|Bangladesh]] und [[Wikipedia:Thailand|Thailand]], wo im 20.&nbsp;Jahrhundert mit internationaler Unterstützung zahlreiche Brunnen gegraben wurden, um von mit Krankheitserregern kontaminiertem Oberflächenwasser auf Grundwasser ausweichen zu können, führte diese unerkannte Belastung des Trinkwassers zu chronischer Arsenvergiftung bei weiten Teilen der betroffenen Bevölkerung. Das Problem kann, wo es bekannt wird, chemisch durch Oxidation der Arsenverbindungen und nachfolgende Ausfällung mit Eisenionen behoben werden. Von der [[Wikipedia:Rice University|Rice University]] wurde eine kostengünstige Filtermöglichkeit mit [[Wikipedia:Nanoteilchen|Nano]]-[[Wikipedia:Magnetit|Magnetit]] entwickelt<ref>[http://cben.rice.edu/ShowInterior.aspx?id=162 Arsenic Removal Using Nanoscale Magnetite].</ref><br />
[[Datei:Weltkarte arsenrisikogebiete.gif|gerahmt|zentriert|Arsen im Grundwasser: Risikogebiete weltweit]]<br />
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt seit 1992 einen Grenzwert für Arsen im Trinkwasser von 10 Mikrogramm pro Liter. Der Wert wird in vielen Staaten Europas und in den USA immer noch überschritten. In Deutschland wird er dagegen seit 1996 eingehalten. Eine Richtlinie der Europäischen Union (EU) von 1999 schreibt einen Höchstwert von 10 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser EU-weit vor.<ref>''Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch.'' ({{EUR-Lex-Rechtsakt|reihe=L|jahr=1998|amtsblattnummer=330|anfangsseite=32|endseite=54|format=PDF|titel=Webdokument}}, eur-lex.europa.eu).</ref> Die USA verpflichteten sich im Jahre 2001, diesen Grenzwert ab 2006 einzuhalten.<br />
<br />
Das im Grundwasser vorkommende Arsen reichert sich in [[Wikipedia:Reis|Reis]] zehnmal so stark an wie in anderen Getreidearten. Auf dem Weltmarkt angebotene Sorten enthalten zwischen 20 und 900 Mikrogramm Arsen pro Kilogramm.<ref name="stone">{{Internetquelle |url=http://www.sueddeutsche.de/wissen/gefahr-durch-arsen-gift-im-korn-1.190133 |titel=Gefahr durch Arsen – Gift im Korn |autor=Richard Stone |werk=[[Wikipedia:Süddeutsche Zeitung|sueddeutsche.de]] |datum=2010-05-17 |zugriff=2014-12-27}}</ref><ref name="aerzteblatt-55269">{{Internetquelle |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55269/Arsen-macht-Reis-genotoxisch |titel=Arsen macht Reis genotoxisch |zugriff=2014-12-27 |autor=rme/aerzteblatt.de |werk=[[Wikipedia:Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-07-23}}</ref><ref name="arsenic_rice" /> Im Jahr 2005 senkte die chinesische Regierung den zulässigen Gehalt anorganischer Arsenverbindungen von 700 auf 150 Mikrogramm pro Kilogramm Lebensmittel,<ref name="stone" /> im Juli 2014 beschloss die [[Wikipedia:Codex Alimentarius|Codex Alimentarius]]-Kommission erstmals einen Höchstwert von 200 Mikrogramm für polierten Reis.<ref>[https://www.merkur.de/leben/gesundheit/blei-arsen-babynahrung-reis-neue-grenzwerte-schwermetalle-zr-3709190.html ''Blei im Baby-Brei: Neue Grenzwerte festgelegt.''] [[Wikipedia:Deutsche Presse-Agentur|DPA]]-Meldung auf merkur-online.de vom 17. Juli 2014, abgerufen am 2. November 2014.</ref><ref>[http://www.fao.org/news/story/en/item/238558/icode/ ''Codex Alimentarius Commission - Geneva 14-18 July 2014.''] auf der Webseite der [[Wikipedia:FAO|FAO]], abgerufen am 2. November 2014 (englisch).</ref> Die für Lebensmittelsicherheit zuständige [[Wikipedia:EU-Kommission|EU-Kommission]] diskutiert für Erzeugnisse aus [[Wikipedia:Puffreis|Puffreis]] einen um 15 Prozent höheren Grenzwert und für spezielle Produkte für Kleinkinder einen nur halb so hohen (d.&nbsp;h. 100 Mikrogramm pro kg).<ref>[http://ec.europa.eu/food/committees/regulatory/scfcah/toxic/docs/sum_20140701_en.pdf ''Summary Report Of The Standing Committee On The Food Chain And Animal Health Held In Brussels On 01 July 2014.''] (PDF) ec.europa.eu; abgerufen am 2. November 2014 (englisch).</ref><ref>Keiligh Baker: [http://www.dailymail.co.uk/news/article-2817542/More-half-rice-products-exceed-new-EU-limits-ARSENIC.html ''Cereal killers? More than half of rice products including Rice Krispies and Heinz baby rice exceed new EU limits for ARSENIC.''] In: ''[[Wikipedia:Daily Mail|Daily Mail]].'' 2. November 2014, abgerufen am 2. November 2014 (englisch).</ref><br />
<br />
Für andere belastete Lebensmittel wie [[Wikipedia:Bier|Bier]]<ref>Nadja Podbregar: [http://www.wissenschaft.de/leben-umwelt/chemie/-/journal_content/56/12054/914839/R%C3%A4tsel-um-Arsen-im-Bier-gel%C3%B6st/ ''Rätsel um Arsen im Bier gelöst.''] In: ''[[Wikipedia:Bild der Wissenschaft|wissenschaft.de]].'' 7. April 2013, abgerufen am 3. November 2014.</ref> oder Fruchtsäfte gibt es noch keine Grenzwerte, obwohl sie mehr Arsen enthalten können, als für Trinkwasser zulässig ist. Verbraucherorganisationen fordern für Apfelsaft einen Grenzwert von 3, höchstens aber 4,4 [[Wikipedia:Parts per billion|ppb]] (entspricht Mikrogramm pro kg).<ref>[https://www.washingtonpost.com/national/health-science/fda-data-shows-arsenic-in-rice-juice-and-beer/2014/05/19/5210a850-a0b0-11e3-b8d8-94577ff66b28_story.html ''FDA data shows arsenic in rice, juice and beer.''] In: ''[[Wikipedia:Washington Post|Washington Post]].'' 19. Mai 2014, abgerufen am 3. November 2014 (englisch).</ref><br />
<br />
Fische und Meeresfrüchte weisen zwar hohe Gehalte an Arsen auf, jedoch nahezu ausschließlich in der als unbedenklich geltenden organisch gebundenen Form.<ref>[http://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/chemie/schwermetalle/ue_2009_schwermetalle_elemente.htm ''Elemente, Schwermetalle und Mineralstoffe – Untersuchungsergebnisse 2009.''] auf der Webseite des [[Wikipedia:Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit|LGL Bayern]], aktualisiert am 3. Mai 2012, abgerufen am 3. November 2014.</ref> Grenzwerte wie für [[Quecksilber]] oder [[Wikipedia:Cadmium|Cadmium]] gibt es nicht.<br />
<br />
Das neue Chemikaliengesetz der EU umgesetzt in der [[Wikipedia:Gefahrstoffverordnung|Gefahrstoffverordnung]] Deutschlands von 2005 verbietet im Anhang&nbsp;4 die „gewerbliche“ (nicht private) Verarbeitung von arsenhaltigen Mitteln und Zubereitungen, die mehr als 0,3 Gewichtsprozent an Arsen aufweisen. Derartige Grenzwertregelungen sind gegeben, da Arsen in den Verzinkereien der Galvanikindustrie weltweit der Zinkschmelze zugesetzt wird, um die Haftungseigenschaften des Zinks an der Eisenoberfläche des zu verzinkenden Metallstückes zu verbessern. Auf Grund der Temperatur im Zink-Schmelzbad von 460&nbsp;°C bis 480&nbsp;°C kommt es zum Verdampfen von Arsen, Cadmium und anderen leicht flüchtigen Metallen und deren Anreicherung in der Luft des Arbeitsplatzes. So können zulässige Grenzwerte kurzfristig um das Tausendfache überschritten werden, mit der Folge der aerogen-alveolaren Aufnahme in den Körper.<ref>T. K. Morris: ''Cadmium exposures at three nonferrous foundries: an unexpected trace source.'' In: ''J Occup Environ Hyg.'' 1(1), Jan 2004, S.&nbsp;39–44. Ohio Bureau of Workers’ Compensation, Division of Safety and Hygiene, Cincinnati OH.</ref> Messungen ergaben, dass Arsen (und Cadmium) im hochreinen Zink (99,995 [[Wikipedia:Stoffreinheit|Reinheitsgrad]], [[DIN 1179|DIN-1179]]-Reinheitsgrad) mit weniger als 0,0004 Gewichts-% ausgewiesen waren und nach Zugabe von 450 Gramm dieses hochreinen Zinks in die Zinkschmelze zu einem Anstieg der Cd-/As-Konzentration von 3 bis 7&nbsp;µg/m<sup>3</sup> Luft auf über 3000&nbsp;µg/m<sup>3</sup> Luft führten. Für Arsen wurde diese Tatsache überraschend in einer Verzinkerei durch Messung der Arsen-Konzentration in Zinkschmelze, Blut und Urin festgestellt (unveröffentlicht). Bei Galvanik-Arbeitern wird die Urin-Arsen-Konzentration mit 25 bis 68&nbsp;µg/l Urin gemessen, im Vergleich zu unbelasteter Bevölkerung mit 0,1&nbsp;µg Arsen/l Urin.<br />
<br />
===Abreicherung===<br />
Für die Entfernung von ionischem Arsen aus dem [[Wikipedia:Trinkwasser|Trinkwasser]] gibt es Verfahren, die auf [[Wikipedia:Adsorption|Adsorption]] an [[Wikipedia:Aktivkohle|Aktivkohle]], aktiviertem [[Wikipedia:Aluminiumoxid|Aluminiumoxid]] oder [[Wikipedia:Eisen(III)-hydroxidoxid|Eisenhydroxid-Granulat]] beruhen. Letzteres wird standardmäßig in [[Wikipedia:Festbettreaktor|Festbettreaktor]]en in der Trinkwasseraufbereitung in Deutschland und international eingesetzt. Daneben werden [[Wikipedia:Ionenaustauscher|Ionenaustauscher]] verwendet. Es ist möglich, Arsen mittels [[Wikipedia:Gentechnik|gentechnisch]] veränderten Pflanzen aus dem Boden zu entfernen, die es in Blättern speichern. Zur [[Wikipedia:Phytosanierung|Phytosanierung]] von Trinkwasser bietet sich die [[Wikipedia:Dickstielige Wasserhyazinthe|Dickstielige Wasserhyazinthe]] an, die Arsen insbesondere in ihr [[Wikipedia:Wurzel (Pflanze)|Wurzelgewebe]] einlagert und so eine Abreicherung des [[Wikipedia:Stoffreinheit|kontaminierten]] Wassers bewirkt. Organische Arsenverbindungen in belasteten Böden können [[Wikipedia:enzym|enzym]]atisch mit Hilfe von Pilzen abgebaut werden.<br />
<br />
In Bangladesh wird nach einem Verfahren der schweizerischen Forschungseinrichtung [[Wikipedia:EAWAG|EAWAG]] versucht, Arsen mit Hilfe von transparenten [[Wikipedia:PET-Flasche|PET-Flasche]]n und Zitronensaft abzureichern. Bei dieser SORAS ''(Solar Oxidation and Removal of Arsenic)'' genannten Methode oxidiert Sonnenlicht das Arsen; die Inhaltsstoffe des Zitronensafts helfen bei der Ausfällung. Mit dieser kostengünstigen Methode lässt sich der Arsengehalt um 75 bis 90 Prozent senken.<br />
<br />
In Gewässern des [[Wikipedia:Yellowstone-Nationalpark|Yellowstone-Nationalpark]]s, die sich aus [[Wikipedia:Geysir|Geysir]]en und anderen [[Wikipedia:Thermalquelle|Thermalquelle]]n [[Wikipedia:vulkan|vulkan]]ischen Ursprungs speisen, wurden [[Wikipedia:Eukaryoten|eukaryontische]] Algen der Gattung ''Cyanidioschyzon'' gefunden, die die hohen Arsenkonzentrationen der Gewässer tolerieren und sie zu biologisch weniger verfügbaren organischen Verbindungen [[Wikipedia:Oxidation|oxidieren]] können. An einer Nutzung zur Abreicherung in Trinkwasser wird gearbeitet.<ref>Jie Qin u.&nbsp;a.: ''Biotransformation of arsenic by a Yellowstone thermoacidophilic eukaryotic alga.'' In: ''[[Wikipedia:Proceedings of the National Academy of Sciences|Proceedings of the National Academy of Sciences]].'' ([http://www.pnas.org/content/early/2009/03/09/0900238106.abstract Abstract]).</ref><br />
<br />
===Antidote===<br />
Als [[Wikipedia:Antidot|Antidot]]e bei akuten Arsenvergiftungen stehen die schwefelhaltigen Komplexbildner [[Wikipedia:Dimercaptopropansulfonsäure|Dimercaptopropansulfonsäure]] (=DMPS), [[Wikipedia:Dimercaptobernsteinsäure|Dimercaptobernsteinsäure]] und das ältere, schlechter verträgliche [[Wikipedia:Dimercaprol|Dimercaprol]] zur Verfügung. Sie sind noch bei starken Arsendosen effektiv, wenn die Vergiftung rechtzeitig diagnostiziert wird. Ihr Stellenwert bei der Behandlung chronischer Arsenvergiftungen ist hingegen umstritten. Aktivkohle ein bis mehrere Stunden nach der Einnahme kann das Metall ebenfalls binden und zur Ausscheidung bringen.<br />
<br />
===Prophylaxe===<br />
Indische Forscher haben im Tierversuch herausgefunden, dass die Einnahme von Knoblauch zur Senkung der Arsengehalte im Blut und der Erhöhung der Arsengehalte im Urin führen kann. Erklärt wird dies über eine Ausfällung des Arsen bei Reaktion mit schwefelhaltigen Substanzen wie etwa [[Wikipedia:Allicin|Allicin]], das Bestandteil des Knoblauchs ist. Zur Prophylaxe werden zwei bis drei Knoblauchzehen täglich empfohlen.<ref name="derstandard-3185259">{{Internetquelle |url=http://derstandard.at/3185259 |titel=Umweltproblem Arsen: Körperentgiftung durch Knoblauch möglich |werk=[[Wikipedia:Der Standard|derstandard.at]] |datum=2008-01-19 |zugriff=2014-12-27}}</ref><br />
<br />
==Nachweis==<br />
===Anorganische Nachweisreaktionen===<br />
Arsenverbindungen zeigen beim Verbrennen eine wenig charakteristische fahlblaue [[Wikipedia:Flammenfärbung|Flammenfärbung]]. Bei der [[Wikipedia:Glühröhrchenprobe|Glühröhrchenprobe]] erhitzt man Arsenverbindungen, welche teilweise [[Wikipedia:Sublimierung (Physik)|sublimieren]] und sich an kalten Oberflächen in Form von schwarzem Arsen, weißem [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsen(III)-oxid]] oder gelbem [[Wikipedia:Arsen(III)-sulfid|Arsentrisulfid]] wieder niederschlagen.<br />
<br />
*Die so genannte [[Wikipedia:Marshsche Probe|Marshsche Probe]] ist die klassische [[Wikipedia:Nachweisreaktion|Nachweisreaktion]] in der Chemie und Gerichtsmedizin für Arsen:<br /> <chem>As2O3 + 6Zn + 12H3O+ -> 2AsH3 + 6Zn^2+ + 15H2O</chem><br />
*Bei der [[Wikipedia:Zinn(II)-chlorid|Bettendorfschen Probe]] oxidiert Arsen in konzentrierter [[Wikipedia:Salzsäure|Salzsäure]] unabhängig von der [[Wikipedia:Oxidationszahl|Oxidationsstufe]] zweiwertige [[Zinn]]-Ionen. Dabei fällt elementares Arsen aus:<br /> <chem>2As^3+ + 3Sn^2+ -> 3Sn^4+ + 2As</chem><br />
*Gibt man zu einer [[Wikipedia:ammoniak|ammoniak]]alischen, [[Wikipedia:ammoniumchlorid|ammoniumchlorid]]haltigen [[Wikipedia:Lösung (Chemie)|Lösung]] von [[Wikipedia:Arsenate|Arsenat]] [[Wikipedia:Magnesium|Magnesium]]-Ionen, so erhält man einen [[Wikipedia:kristall|kristall]]inen Niederschlag von [[Magnesiumammoniumarsenat]]-Hexahydrat:<br /> <chem>AsO4^3- + Mg^2+ + NH4+ + 6H2O -> MgNH4AsO4.6H2O</chem><br /> <small>Arsenat reagiert mit Magnesiumionen, Ammoniumionen und Wasser zu Magnesiumammoniumarsenat-Hexahydrat.</small><br />
*Eine weitere Nachweisreaktion von Arsen(at) in [[Wasser|wässriger]] Lösung ist die Fällung mit [[Wikipedia:Ammoniumheptamolybdat|Ammoniumheptamolybdat]]. Der gelbe Niederschlag ist schwerlöslich in [[Wikipedia:Säuren|Säuren]], aber gut löslich in [[Wikipedia:Basen (Chemie)|Basen]]:<br /> <chem>H2AsO4- + 22H3O+ + 3NH4+ + 12MoO4^2- -> (NH4)3[As(Mo3O{10})4.aq] + 34H2O</chem><br /> <small>Dihydrogenarsenat reagiert mit Wasserstoffionen, Ammoniumionen und Molybdationen zu Ammoniumarsenomolybdat und Wasser.</small><br />
<br />
===Instrumentelle Bestimmungsverfahren für Arsen===<br />
====Atomabsorptionsspektrometrie (AAS)====<br />
Bei der Flammen-AAS werden die Arsenverbindungen in einer reduzierenden Luft-Acetylen-Flamme ionisiert. Anschließend wird eine Atomabsorptionsmessung bei 189,0&nbsp;nm beziehungsweise 193,8&nbsp;nm durchgeführt. [[Wikipedia:Nachweisgrenze|Nachweisgrenze]]n bis zu 1&nbsp;µg/ml wurden beschrieben. Häufig wird das Arsen auch mit Hilfe von NaBH<sub>4</sub> in das gasförmige Arsin (AsH<sub>3</sub>) überführt (Hydridtechnik). In der Quarzrohrtechnik wird AsH<sub>3</sub> zuerst bei rund 1000&nbsp;°C in einem elektrisch beheizten Quarzröhrchen thermisch in seine atomaren Bestandteile zersetzt, um anschließend die Absorption bei o.&nbsp;g. Wellenlängen zu bestimmen. Die Nachweisgrenze bei dieser Technik liegt bei 0,01&nbsp;µg/l.<ref name="Lobinski">R. Lobinski, Z. Marcenko: ''Spectrochemical Trace Analysis for Metals and Metalloids.'' Elsevier, 1997.</ref> Eine weitere Methode ist die sog. Graphitrohrtechnik, bei der das Arsen einer festen Probe bei 1700&nbsp;°C und höher verflüchtigt und anschließend die Extinktion bei 193,8&nbsp;nm gemessen wird.<ref>P. Liang, L. Peng, P. Yan: ''Speciation of As(III) and As(V) in water samples by liquid-liquid microextraction separation and determination by graphite furnace atomic absorption spectrometry.'' In: ''[[Wikipedia:Microchimica Acta|Microchimica Acta]].'' 166, 1999, S.&nbsp;47–52 and darin genannte Zitationen.</ref><ref>Y. Jiang, J. Liu, X. Xia, D. Wang: ''Ammonium pyrrolidinedithiocarbamate-modified activated carbon micro-column extraction for the determination of As(III) in water by graphite furnace atomic absorption spectrometry.'' In: ''Microchimica Acta.'' 161, 2008, S.&nbsp;137–142.</ref><ref>D. Hung, O. Nekrassova, R. Compton: ''Analytical Methods for Inorganic Arsenic in Water: A Review.'' In: ''[[Wikipedia:Talanta|Talanta]].'' 64, 2004, S.&nbsp;269–277.</ref><br />
<br />
====Atomemissionsspektrometrie====<br />
Die Kopplung von Hydridtechnik mit dem induktiv gekoppelten Plasma/ laserinduzierter Fluoreszenzmessung ist eine sehr nachweisstarke Methode zur Bestimmung von Arsen. Mittels Hydriderzeugung freigesetztes AsH<sub>3</sub> wird dabei im Plasma atomisiert und mit einem Laser zur Emission angeregt. Mit dieser Methode wurden Nachweisgrenzen von 0,04&nbsp;ng/mL erreicht.<ref name="Mattusch">J. Mattusch, R. Wennrich: ''Novel Analytical Methodologies for the Determination of Arsenic and other Metalloid Species in Solids, Liquids and Gases.'' In: ''Microchimica Acta.'' 151, 2005, S.&nbsp;137–139.</ref><br />
<br />
====Massenspektrometrie (MS)====<br />
Bei der [[Wikipedia:Massenspektrometrie|Massenspektrometrie]] wird die Arsenspezies zunächst durch ein induktiv gekoppeltes Argonplasma (ICP-MS) thermisch ionisiert. Anschließend wird das Plasma in das Massenspektrometer geleitet. Eine Nachweisgrenze von 0,2&nbsp;µg/l wurde für Arsenit beschrieben.<ref name="Lobinski" /><ref name="Mattusch" /><ref name="Londesborough">S. Londesborough, J. Mattusch, R. Wennrich: ''Separation of organic and inorganic arsenic species by HPLC-ICP-MS.'' In: ''Fresenius Journal of Analytical Chemistry.'' 363, 1999, S.&nbsp;577–581.</ref><br />
<br />
====Photometrie====<br />
Weitverbreitet ist die photometrische Erfassung von As als Arsenomolybdänblau. As(V) reagiert zunächst mit (NH<sub>4</sub>)<sub>2</sub>MoO<sub>4</sub>. Danach folgt eine Reduktion mit SnCl<sub>2</sub> oder Hydrazin zu einem blauen Komplex. Die [[Wikipedia:Photometrie|Photometrie]] erfolgt bei 730&nbsp;nm und ist somit nahezu störungsfrei. Die Nachweisgrenzen können durch Verwendung von basischen Farbstoffen als Komplexbildner verbessert werden.<ref name="Lobinski" /><br />
<br />
====Neutronenaktivierungsanalyse====<br />
Eine sehr empfindliche Arsenbestimmung im [[Wikipedia:Parts per trillion|ppt]]-Bereich ist mittels [[Wikipedia:Neutronenaktivierungsanalyse|Neutronenaktivierungsanalyse]] möglich.<ref name="Schwedt">G. Schwedt: ''Analytische Chemie.'' 2. Auflage. Wiley-VCH, 2008, S.&nbsp;352.</ref> Sie kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn die Probe eine komplexe Zusammensetzung aufweist oder schwierig aufzuschließen ist. Allerdings gibt diese Methode keinen Hinweis auf die chemische Verbindung, in der das Arsen vorliegt. Bei der Wechselwirkung von Neutronen mit der Probe, die das natürliche [[Wikipedia:Isotop|Isotop]] Arsen-75 enthält, wird das schwerere Isotop Arsen-76 gebildet, das jedoch instabil ist und sich unter einem [[Wikipedia:Betazerfall|β-Zerfall]] in Selen-76 umwandelt. Gemessen werden dabei die [[Wikipedia:Betastrahlen|β-Strahlen]], über die ein Rückschluss auf die Menge des Arsens möglich ist.<br />
<br />
:<chem>^{75}_{33}As + ^{1}_{0}n -> ^{76}_{33}As -> ^{76}_{34}Se + e-</chem><br />
<br />
====Biosensoren====<br />
Bei [[Wikipedia:Biosensor|Biosensor]]en wird die [[Wikipedia:Biolumineszenz|Biolumineszenz]] bei Kontakt von in Wasser gelöstem Arsen mit genetisch modifizierten [[Wikipedia:Bakterien|Bakterien]] (z.&nbsp;B. ''[[Wikipedia:Escherichia coli|Escherichia coli]]'' K12) und eines Lichtmessgeräts ([[Luminometer]]) detektiert. Die vorhandene Arsenkonzentration korreliert dabei direkt mit der emittierten Lichtmenge.<ref>{{Webarchiv | url=https://www.ufz.de/export/data/1/27181_ARSOlux_Projektkennblatt.pdf | wayback=20151122184333 | text=''Entwicklung eines anwendungsbereiten Arsenbiosensors auf Basis von Bioreporter-Bakterien''.}} (PDF) Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.</ref><ref>[http://www.schnatterente.net/wissenschaft/blinkende-e-coli-batkerien Escherichia coli Bakterien in Arsen Detektoren] 23. März 2012.</ref><br />
<br />
==Verbindungen==<br />
===Arsenwasserstoffe===<br />
[[Wikipedia:Chemische Verbindung|Chemische Verbindung]]en von Arsen und [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]] (→ [[Wikipedia:Arsane|Arsane]]) sind im Vergleich zu den entsprechenden Verbindungen der [[Wikipedia:Hauptgruppe|Hauptgruppe]]nnachbarn [[Wikipedia:Stickstoff|Stickstoff]] und [[Phosphor|Phosphor]] nicht sehr zahlreich und sehr instabil. Es sind zurzeit drei Arsane bekannt.<br />
<br />
*[[Wikipedia:Arsenwasserstoff|Arsenwasserstoff]] (auch Monoarsan oder Arsin genannt) mit der [[Wikipedia:Summenformel|Summenformel]] AsH<sub>3</sub> ist eine wichtige Ausgangssubstanz zur Herstellung von [[Wikipedia:Galliumarsenid|Galliumarsenid]] in der Halbleiterindustrie.<br />
*[[Diarsan]] (As<sub>2</sub>H<sub>4</sub>)<br />
*[[Triarsan]] (As<sub>3</sub>H<sub>5</sub>)<br />
<br />
===Halogenverbindungen===<br />
Arsen bildet mit [[Wikipedia:Halogene|Halogene]]n binäre Verbindungen vom Typ AsX<sub>3</sub>, AsX<sub>5</sub> und As<sub>2</sub>X<sub>4</sub> (X bezeichnet das entsprechende Halogen).<br />
<br />
*[[Wikipedia:Arsen(III)-fluorid|Arsen(III)-fluorid]] (AsF<sub>3</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Arsen(V)-fluorid|Arsen(V)-fluorid]] (AsF<sub>5</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Arsen(III)-chlorid|Arsen(III)-chlorid]] (AsCl<sub>3</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Arsenpentachlorid|Arsenpentachlorid]] (AsCl<sub>5</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Arsentribromid|Arsentribromid]] (AsBr<sub>3</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Arsentriiodid|Arsentriiodid]] (AsI<sub>3</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Diarsentetraiodid|Diarsentetraiodid]] (As<sub>2</sub>I<sub>4</sub>)<br />
<br />
===Sauerstoffverbindungen===<br />
Wichtige Sauerstoffsäuren sind:<br />
<br />
*[[Wikipedia:Arsensäure|Arsensäure]] (2 H<sub>3</sub>AsO<sub>4</sub> · H<sub>2</sub>O), deren Salze als [[Wikipedia:Arsenate|Arsenate]] oder Arsenate(V) bezeichnet werden und den Phosphaten ähneln. Beispiele sind [[Wikipedia:Calciumarsenat|Calciumarsenat]] (Ca<sub>3</sub>(AsO<sub>4</sub>)<sub>2</sub>·3H<sub>2</sub>O) und [[Wikipedia:Bleihydrogenarsenat|Bleihydrogenarsenat]] (PbHAsO<sub>4</sub>), die als [[Wikipedia:Pflanzenschutzmittel|Pflanzenschutzmittel]] verwendet wurden<br />
*Arsenige Säure (H<sub>3</sub>AsO<sub>3</sub>), deren Salze als Arsenite oder Arsenate(III) bezeichnet werden.<br />
<br />
Das wichtigste Arsenoxid ist [[Wikipedia:Arsen(III)-oxid|Arsen(III)-oxid]] (Arsentrioxid auch Arsenik oder Weißarsenik, As<sub>2</sub>O<sub>3</sub>, das Anhydrid der Arsenigen Säure), das in der Gasphase in Form von Doppelmolekülen mit der Formel As<sub>4</sub>O<sub>6</sub> vorliegt. Es ist [[Wikipedia:amphoter|amphoter]] und weist damit auf den Halbmetallcharakter des Arsens hin. Neben As<sub>2</sub>O<sub>3</sub> kennt man As<sub>2</sub>O<sub>5</sub> (Arsenpentaoxid, das Anhydrid der Arsensäure) und das gemischte Anhydrid der Arsenigen Säure und Arsensäure As<sub>2</sub>O<sub>4</sub> (Arsentetraoxid)<br />
<br />
Ein historisch wichtiges Färbe- und Pflanzenschutzmittel ist ein Kupfer-Arsen-Oxid mit dem Trivialnamen [[Wikipedia:Schweinfurter Grün|Schweinfurter Grün]] (Cu(AsO<sub>2</sub>)<sub>2</sub>·Cu(CH<sub>3</sub>COO)<sub>2</sub>).<br />
<br />
===Schwefelverbindungen===<br />
Es bestehen zwei wichtige Arsensulfide, die beide als Minerale in der Natur vorkommen.<br />
<br />
*[[Arsenmonosulfid]] ([[Wikipedia:Realgar|Realgar]], As<sub>4</sub>S<sub>4</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Arsen(III)-sulfid|Arsen(III)-sulfid]] ([[Wikipedia:Auripigment|Auripigment]], As<sub>2</sub>S<sub>3</sub>)<br />
<br />
===Arsen-Metall-Verbindungen===<br />
Wichtige Verbindungen von Arsen mit Metallen sind<br />
<br />
*[[Wikipedia:Galliumarsenid|Galliumarsenid]] (GaAs), ein wichtiger Halbleiter<br />
*[[Wikipedia:Indiumarsenid|Indiumarsenid]] (InAs), ein wichtiger Halbleiter<br />
*[[Wikipedia:Nickelarsenid|Nickelarsenid]] (NiAs)<br />
*[[Wikipedia:Aluminiumgalliumarsenid|Aluminiumgalliumarsenid]] (AlGaAs)<br />
<br />
===Organische Verbindungen===<br />
In Analogie zu den [[Wikipedia:Amine|Amine]]n und [[Wikipedia:Phosphane|Phosphinen]] findet man entsprechende Verbindungen mit Arsen anstelle von [[Wikipedia:Stickstoff|Stickstoff]] oder [[Phosphor|Phosphor]]. Sie werden als [[Wikipedia:Arsine|Arsine]] bezeichnet.<br />
<br />
*[[Dimethylarsin]] (AsH(CH<sub>3</sub>)<sub>2</sub>)<br />
*[[Wikipedia:Trimethylarsin|Trimethylarsin]] (As(CH<sub>3</sub>)<sub>3</sub>), eine übelriechende Flüssigkeit, die zur Behandlung bakterieller Infektionen und als [[Wikipedia:Fungizid|Pilzschutzmittel]] Anwendung fand.<br />
<br />
Zu den [[Arsorane]]n, Verbindungen vom Typ R<sub>5</sub>As, wobei R<sub>5</sub> für fünf – möglicherweise unterschiedliche – organische Gruppen steht, zählt man etwa [[Pentaphenylarsen]] oder [[Wikipedia:Pentamethylarsen|Pentamethylarsen]]. Fehlt eine der fünf Gruppen, bleibt ein einfach positiv geladenes Ion zurück (R steht wiederum für – möglicherweise verschiedene – organische Gruppen), das man als [[Arsoniumion]] (AsR<sub>4</sub>)<sup>+</sup> bezeichnet.<br />
[[Datei:Polyzyklisches Arsen.png|mini|hochkant=2|Strukturformel eines polycyclischen Moleküls mit Arsen-Rückgrat (R=tert. [[Wikipedia:Butylgruppe|Butylgruppe]])]]<br />
<br />
Analog zu den [[Wikipedia:Carbonsäuren|Carbonsäuren]] lassen sich zwei Klassen arseno-organischer Säuren bilden:<br />
<br />
*[[Arsinsäure]]n (RR'AsOOH)<br />
*[[Arsonsäure]]n (RAsO(OH)<sub>2</sub>)<br />
<br />
Zudem sind [[Wikipedia:Heteroaromaten|Heteroaromaten]] mit Arsen als [[Wikipedia:Heteroatom|Heteroatom]] bekannt, wie [[Wikipedia:Arsabenzol|Arsabenzol]], das aus einem Benzolring besteht, in dem ein Kohlenstoffatom durch Arsen ersetzt ist und das somit analog zu [[Wikipedia:Pyridin|Pyridin]] aufgebaut ist.<br />
[[Datei:Polyarsin.png|mini|hochkant=1.5|Auszug der Struktur von Polyarsin]]<br />
<br />
Auch homocyclische Arsenverbindungen existieren. Beispiele sind<br />
<br />
*[[Pentamethylcyclopentaarsen]] (AsCH<sub>3</sub>)<sub>5</sub><br />
*[[Hexamethylcyclohexaarsen]] (AsCH<sub>3</sub>)<sub>6</sub><br />
<br />
deren Moleküle einen Fünf- beziehungsweise Sechsring aus Arsenatomen als Rückgrat aufweisen, an den nach außen hin je eine [[Wikipedia:Methan|Methylgruppe]] pro Arsenatom gebunden ist. Eine polycyclische Variante bildet das nebenstehende Molekül, dessen Rückgrat sich aus einem Sechs- und zwei angehefteten Fünfringen zusammensetzt (R steht für jeweils eine ''tert''-[[Wikipedia:Butylgruppe|Butylgruppe]]).<br />
<br />
Schließlich lassen sich Arsen[[Wikipedia:polymer|polymer]]e darstellen, lange Kettenmoleküle, die als [[Polyarsine]] bezeichnet werden. Sie bestehen aus einer zentralen „Strickleiter“ der Arsenatome, an die außen auf jeder Seite je „Sprosse“ eine Methylgruppe angeheftet ist, so dass sich die chemische Formel (AsCH<sub>3</sub>)<sub>2n</sub> ergibt, wobei die natürliche Zahl ''n'' weit über 100 liegen kann. Polyarsine zeigen deutliche Halbleitereigenschaften.<br />
<br />
===Bioorganische Verbindungen===<br />
In der [[Wikipedia:Bioorganik|Bioorganik]] spielen [[Arsenolipide]],<ref>K. O. Amayo, A. Raab, E. M. Krupp, T. Marschall, M. Horsfall Jr, J. Feldmann: ''Arsenolipids show different profiles in muscle tissues of four commercial fish species.'' J Trace Elem Med Biol. 2013 Nov 23. pii: S0946-672X(13)00167-3. PMID 24332310.</ref> Arsenosaccharide und arsenhaltige [[Wikipedia:Glycolipide|Glycolipide]] eine bedeutende Rolle. Wichtige Vertreter dieser Stoffklassen sind zum Beispiel [[Wikipedia:Arsenobetain|Arsenobetain]], [[Wikipedia:Arsenocholin|Arsenocholin]] und unterschiedlich substituierte Arsenoribosen. Sie treten vor allem kumuliert in maritimen Lebewesen auf und können auf diesem Weg in die menschliche [[Wikipedia:Nahrungskette|Nahrungskette]] gelangen. Arsenhaltige Biomoleküle konnten in Algen, [[Wikipedia:Meeresschwamm|Meeresschwämmen]] und in Fischgewebe nach erfolgter Extraktion mittels [[Wikipedia:HPLC|HPLC]]-[[Wikipedia:Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma|ICP-MS]] nachgewiesen werden. Die Analytik von Organo-Arsenverbindungen (einschließlich ihrer [[Wikipedia:Speziation|Speziation]]) ist sehr aufwändig.<ref name="Londesborough" /><ref>V. Dembitsky, D. Levitsky: ''Arsenolipides.'' In: ''Progress in Lipid Research.'' 43, 2004, S.&nbsp;403–448.</ref><br />
<br />
==Arsen in Kriminalgeschichte, Literatur und Film==<br />
Das Element Arsen erreichte zweifelhafte Berühmtheit als Mordgift, belegt durch geschichtliche Aufzeichnungen sowie die Instrumentalisierung in Literatur und Film. Es handelte sich bei dem Mordgift allerdings nie um elementares Arsen, sondern um dessen Verbindungen.<br />
<br />
In Italien und Frankreich starben Herzöge, Könige und Päpste an vorsätzlich herbeigeführten Arsenvergiftungen. Im Frankreich des 17. Jahrhunderts steht die [[Wikipedia:Marquise de Brinvilliers|Marquise de Brinvilliers]], die ihren Vater und zwei Brüder mit einer [[Wikipedia:Arsenik|Arsenik]]mischung vergiftete, im Mittelpunkt eines Giftskandals. In Deutschland brachte die Serienmörderin [[Wikipedia:Gesche Gottfried|Gesche Gottfried]] aus Bremen 15 Menschen zu Tode. Aufsehen erregte auch der Fall der Serienmörderin [[Wikipedia:Anna Margaretha Zwanziger|Anna Margaretha Zwanziger]] zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Urheber der Morde blieben jedoch meist unerkannt, da Arsen bis 1836 in kleinen Mengen nicht nachgewiesen werden konnte. Erst die durch [[Wikipedia:James Marsh (Chemiker)|James Marsh]] entwickelte und nach ihm benannte [[Wikipedia:Marshsche Probe|Marshsche Probe]] machte es möglich, Spuren des Elementes zu identifizieren und somit eine unnatürliche Todesursache nachzuweisen. Im 19. und 20. Jahrhundert fanden weiter vorsätzliche Vergiftungen mit arsenhaltigen Mitteln statt – zum einen, weil sie leicht als Herbizide verfügbar waren, zum anderen ließ sich bei chronischer Gabe kleiner Dosen ein krankheitsbedingter Tod vortäuschen. Im September 1840 fiel im Prozess gegen [[Wikipedia:Marie Lafarge|Marie Lafarge]] das erste Urteil, das alleine auf den Ergebnissen der Marshschen Probe beruhte. Im Fall der [[Wikipedia:Marie Besnard|Marie Besnard]], die angeblich zwischen 1927 und 1949 für mehrere Todesfälle in ihrem Umfeld in [[Wikipedia:Loudun|Loudun]] verantwortlich sein sollte, konnte ein eindeutiger Beweis nicht erbracht werden, weil Untersuchungsergebnisse widersprüchlich waren, und sie musste 1954 letztendlich freigesprochen werden.<br />
[[Datei:The Imperial Portrait of Emperor Guangxu2.jpg|mini|links|Kaiser [[Wikipedia:Guangxu|Guangxu]] wurde mit Arsen vergiftet]]<br />
[[Datei:Napoleon - 1.jpg|mini|hochkant|Für Napoléon&nbsp;I. Bonaparte wird der Tod durch Arsenvergiftung vermutet]]<br />
Jahrelang glaubte die Fachwelt, dass der Tod des ehemaligen französischen Kaisers [[Wikipedia:Napoleon Bonaparte|Napoleon Bonaparte]] mit 51 Jahren auf der Insel [[Wikipedia:St. Helena (Insel)|St. Helena]] einem Giftanschlag mit Arsen zugeschrieben werden muss. Zumindest hatte man in seinen Haaren hochkonzentrierte Spuren des Giftes entdeckt. Heute existieren verschiedene andere Thesen zur Erklärung des Faktenbefunds. Eine Möglichkeit besteht darin, dass das Arsen ''nach'' seinem Tod den Haaren beigegeben wurde, um diese zu konservieren, eine damals durchaus übliche Methode. Möglich ist ein Übermaß der Benutzung der arsenhaltigen [[Wikipedia:Fowlersche Lösung|Fowlersche Lösung]], die zu seiner Zeit bei vielen seiner Zeitgenossen als medizinisches Wundermittel galt. Die dritte und heute als wahrscheinlichste angesehene Möglichkeit ist, dass sich Napoleon durch organische Arsenverbindungen vergiftete, die Schimmelpilze beständig aus seinen mit grünen Arsenpigmenten gefertigten Tapeten freisetzten. Deren hoher Arsengehalt ist durch eine 1980 in einem Notizbuch aufgefundene Materialprobe schlüssig belegt.<br />
<br />
Der berühmte Philosoph [[Wikipedia:René Descartes|René Descartes]] starb 1650 wenige Monate nach seiner Ankunft am Hofe der schwedischen Königin [[Wikipedia:Christine von Schweden|Christine]]. Der Verdacht, er sei von einem der Jesuiten, die sich am Hofe der protestantischen Königin aufhielten, aus religionspolitischen Gründen mit Arsen vergiftet worden, verstärkte sich, als Christine später tatsächlich zum Katholizismus [[Wikipedia:Konversion (Religion)|konvertierte]], konnte aber nicht erhärtet werden, so dass die offizielle Todesursache, [[Wikipedia:Lungenentzündung|Lungenentzündung]], sich in den Biographien etablierte. Erst kürzlich wurde anhand von neu aufgefundenen und neu interpretierten Dokumenten der alte Verdacht erhärtet und behauptet, dass der „Giftmord an Descartes in sehr hohem Maße wahrscheinlich, um nicht zu sagen, fast sicher“ erscheint.<ref>[[Wikipedia:Theodor Ebert (Philosoph)|Theodor Ebert (Philosoph)]]: [http://hpd.de/node/8068?page=0,1 Interview] zu seinem Buch ''Der rätselhafte Tod des René Descartes.'' Alibri, Aschaffenburg 2009.</ref><br />
<br />
Im Jahre 1900 kam es im britischen [[Wikipedia:Manchester|Manchester]] zu einer Massenvergiftung, von der mehrere Tausend Menschen betroffen waren. Wie sich herausstellte, hatten alle Bier derselben Brauerei getrunken. In Vorstufen der Bierproduktion wurde anscheinend Schwefelsäure eingesetzt, die ihrerseits aus Schwefel hergestellt wurde, der aus mit Arsenopyrit kontaminierten Sulfidmineralen stammte. Etwa 70 Menschen erlagen ihren Vergiftungen.<br />
<br />
In den Jahren 2010 und 2011 starben in Österreich zwei Männer an einer Arsenvergiftung. Am 11. April 2013 wurde am Landesgericht Krems eine 52-jährige Polin des Mordes an den beiden für schuldig befunden und von dem Geschworenengericht nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt.<ref>orf.at: [http://noe.orf.at/news/stories/2579588/ Lebenslange Haft im Arsen-Prozess], abgerufen am 12. April 2013.</ref><br />
Noch in den 1950er Jahren auf dem Höhepunkt des [[Wikipedia:Kalter Krieg|Kalten Krieges]] erkrankte die US-amerikanische Botschafterin, Clare Booth Luce, in Rom durch eine Vergiftung mit dem aus Tapeten freigesetzten Arsen. Die Tatsache, dass die Krankheit auf die schimmelpilzbefallenen Tapeten und nicht auf gegnerische Geheimagenten zurückgeführt werden konnte, trug in diesem Fall nicht nur zur Genesung der Botschafterin, sondern auch zum Erhalt des Friedens bei.<br />
<br />
In Friedrich Schillers bürgerlichem Trauerspiel „[[Wikipedia:Kabale und Liebe|Kabale und Liebe]]“ vergiftet der junge Major Ferdinand von Walter erst seine Geliebte Luise Millerin und dann sich selbst. Allerdings tritt in „Kabale und Liebe“ der Tod unrealistischerweise binnen Minuten ein.<br />
<br />
Die Protagonistin des berühmten Romans ''[[Wikipedia:Madame Bovary|Madame Bovary]]'' von [[Wikipedia:Gustave Flaubert|Gustave Flaubert]], die unglücklich verheiratete Landarztgattin Emma Bovary, stirbt am Ende des Romans durch [[Wikipedia:Suizid|Suizid]] mit Arsen in Form eines weißen Pulvers. Der Spross einer Arztfamilie Flaubert beschreibt die Vergiftungssymptome und den äußerst qualvollen Tod der Bovary sehr detailliert.<br />
<br />
Im Roman „Starkes Gift“ („Strong Poison“) von [[Wikipedia:Dorothy L. Sayers|Dorothy L. Sayers]] ist das Opfer mit Arsen vergiftet worden. Die Verdächtige, Krimi-Schriftstellerin Harriet Vane, hat sich zur fraglichen Zeit intensiv mit Arsenmorden beschäftigt und sich dazu sogar vom Apotheker beraten lassen.<br />
<br />
Der berühmte Detektiv „[[Wikipedia:Kalle Blomquist|Kalle Blomquist]]“ aus dem gleichnamigen Kinderbuch von [[Wikipedia:Astrid Lindgren|Astrid Lindgren]] wendete die Marshsche Probe an, um ein mit Arsen vergiftetes Stück Schokolade zu überprüfen.<br />
<br />
In dem Theaterstück von Joseph Kesselring ''[[Wikipedia:Arsen und Spitzenhäubchen|Arsen und Spitzenhäubchen]]'' (englisch: ''Arsenic and Old Lace'') vergiften zwei alte Damen in gutmeinender Absicht ältere einsame Herren mit einer Arsen-, [[Wikipedia:Strychnin|Strychnin]]- und [[Wikipedia:Kaliumcyanid|Zyankali]]-Mischung. Bekannt wurde das Stück durch die gleichnamige Verfilmung von [[Wikipedia:Frank Capra|Frank Capra]] mit [[Wikipedia:Cary Grant|Cary Grant]], [[Wikipedia:Peter Lorre|Peter Lorre]] und [[Wikipedia:Priscilla Lane|Priscilla Lane]] in den Hauptrollen.<br />
<br />
==Arsen in der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]]==<br />
Arsen kommt im [[Pflanze|Pflanzenreich]] in der Regel nicht vor mit Ausnahme in der [[Wikipedia:Grünalge|Grünalge]], die Meerestieren als Nahrung dient. Für [[Tier|Tiere]], wie auch den [[Mensch|Menschen]] ist Arsen wichtig, insbesondere für die [[Organ (Biologie)|Organe]], die Ausdruck des [[Astralleib|Astralleibes]] sind. In den Pflanzen ist der Astralleib nicht direkt in der Pflanze selbst tätig. <br />
<br />
=== Das Bild der Arsenvergiftung ===<br />
Die Symptome der Arsenvergiftung kann man im anthroposophischen Menschenbild als ein zu tiefes Eingreifen des Astralleibes über die Tagseite verstehen: Innerhalb der ersten Stunde treten Lokalreaktionen im Mundraum wie ein Gewebeödem, Übelkeit und Brechreiz, sowie Magenkrämpfe und Darmkoliken auf. Der Mensch "wacht" für seine Verdauung auf. In den folgenden Stunden treten Reiswasserdurchfälle mit Elektrolytverlust sowie anschließendem Nierenversagen auf, was unbehandelt schnell zum Tod führt. Trotz des hypovolämischen Schocks bleibt der Vergiftete bis zum Tod bei Bewusstsein. Die durch die Arsenvergiftung ausgelöste Mydriasis, die Kontraktur der Augenmuskulatur, die zu einem Exophthalmus und einer gesteigerten Lichtempfindlichkeit, die Verkrampfung, die zur spastischen Lähmung führt und die damit verbundene Angst können als Ausdruck einer zu starken Tätigkeit des Astralleibes bzw. als ein gesteigertes Aufwachen aufgefasst werden.<br />
<br />
===Arsen als Gegenbild des Schwefels===<br />
[[Schwefel]] wurde von [[Wikipedia:Bakterien|Bakterien]] reduziert und als Energielieferant verwendet, bevor es Sauerstoffatmer gab. Aus diesen entwickelten sich weitere Bakterien, die dann Sauerstoff verstoffwechseln konnten. Bei der Proteinbiosynthese wird bei allen Peptidketten als erste Aminosäure die schwefelhaltige Aminosäure [[Wikipedia:Methionin|Methionin]] verwendet. Schwefelhaltige Aminosäuren wie z.B. [[Wikipedia:Cystein|Cystein]] ermöglichen die Funktionalität von [[Wikipedia:Protein|Proteinen]], indem sie über [[Wikipedia:Disulfidbrücken|Disulfidbrücken]] die [[Wikipedia:Proteinstruktur|Proteinstruktur]] stabilisieren. Auch ist Schwefel wesentlicher Bestandteil des [[Wikipedia:Gluthation|Gluthations]], welches zellschädigende Stoffwechselradikale reduziert und damit entgiftet. Durch diese Beispiele illustriert kann der Schwefel als lebensfördernde Substanz verstanden werden oder als "Substanz des [[Ätherleib|Ätherleibes]]".<br />
<br />
Eingenommenes Arsen bei einer Arsenvergiftung verbindet sich mit den Schwefelgruppen der Aminosäuren und führt durch deren Funktionsverlust zu einem Zusammenbrechen des [[Wikipedia:Citratzyklus|Citratzyklus]] und somit schließlich zu [[Wikipedia:Nekrose|Nekrosen]]. Das [[Wikipedia:Antidot|Antidot]] bei Arsenvergiftung ist hochdosierter Schwefel bzw. Glutathion. <br />
<br />
=== Anwendung als Heilmittel ===<br />
Dementsprechend ergeben sich verschiedene Anwendungsbereiche als Heilmittel. So kann z.B. Arsen in hoher [[Potenzierung|Potenz]] bei innerer Unruhe und Angst (entspricht einer zu starken Wirksamkeit des Astralleibes) als "Gegenbild" verabreichen. In niedriger Potenz wird Arsen verwendet, um bei einem zu schwachen Eingreifen des Astralleibes (z.B. bei [[Wikipedia:Hypothyreose|Hypothyreose]]) dieses entsprechend zu fördern. <br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*{{WikipediaDE|Kategorie:Arsen}}<br />
*{{WikipediaDE|Arsen}}<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*Erwin Riedel: ''Anorganische Chemie''. de Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017439-1.<br />
*Dietmar Ritter: ''Charakterisierung und Einsatz alternativer Arsen- und Phosphor-Quellen für die Metallorganische Molekularstrahlepitaxie von InP und GaInAs.'' Shaker, Aachen 1998, ISBN 3-8265-4489-7.<br />
*Giulio Morteani, Lorenz Eichinger: ''Arsen im Trinkwasser und Dearsenierung. Gesetzliche Vorschriften, Toxikologie, Hydrochemie.'' In: ''Wasser, Luft, Boden.'' Vereinigte Fachverlag, Mainz 48. 6, 2004, S.&nbsp;24–26.<br />
*Nicholas C. Norman: ''Chemistry of Arsenic, Antimony and Bismuth.'' Blackie, London 1998, ISBN 0-7514-0389-X.<br />
*Andrew A Meharg: ''Venomous Earth: How arsenic caused the world’s worst mass poisoning.'' Macmillan Science.<br />
*{{Literatur<br />
|Autor=Georg Süss-Fink<br />
|Titel=Arsenvergiftungen<br />
|Sammelwerk=Chemie in unserer Zeit<br />
|Band=46<br />
|Nummer=2<br />
|Datum=2012<br />
|Seiten=100–109<br />
|DOI=10.1002/ciuz.201200565}}<br />
*''Die bremische Gesina.'' In: Hans Heinrich: ''Frau-Geschichten.'' WM-Literatur-Verlag, Weilheim 2002, ISBN 3-9808439-0-4, S. 62–72.<br />
<br />
==Weblinks==<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Commonscat|Arsenic|Arsen}}<br />
<br />
*[http://www.r-haas.de/F3.html Enzymatischer Abbau von Arsenkampfstoffen]<br />
*[https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/arsen-im-trinkwasser-beguenstigt-arteriosklerose/ wissenschaft.de – Arsen im Trinkwasser begünstigt Arteriosklerose]<br />
*[http://sis.nlm.nih.gov/enviro/arsenicandhumanhealth.html Arsenic and Human Health], Environmental Health & Toxicology, Specialized Information Services, [[Wikipedia:National Library of Medicine|National Library of Medicine]] (englisch)<br />
*{{Webarchiv | url=http://www.goek.tu-freiberg.de/oberseminar/OS_05_06/claudia_eckerl.pdf | wayback=20121011080112 | text=Studienarbeit zum Thema Trinkwasserkontamination mit Arsen}} (PDF, 295&nbsp;KiB)<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
<br />
{{Navigationsleiste Periodensystem}}<br />
<br />
{{Exzellent|1. Januar 2005|3942554}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4003041-6|LCCN=sh/85/007449|NDL=00563271}}<br />
<br />
[[Kategorie:Chemisches Element]]<br />
<br />
{{Wikipedia}}<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Tiermedizin&diff=45693
Tiermedizin
2022-12-18T09:12:16Z
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<hr />
<div>Die '''Tiermedizin''', '''Tierheilkunde''' oder '''Veterinärmedizin''' (vom französischen Wort ''vétérinaire''), beschäftigt sich mit den Krankheiten von [[Tier]]en, mit dem [[Wikipedia:Tierschutz|Tierschutz]] und begleitender [[Wikipedia:Forschung|Forschung]], aber auch mit [[Wikipedia:Lebensmittel|Lebensmittel]]n tierischer Herkunft und verwandten Themen. Gerade Letzteres ist im Rahmen eines stetig steigenden [[Wikipedia:Verbraucherschutz|Verbraucherschutz]]es von großer Bedeutung, obliegt doch die Kontrolle von Lebensmitteln tierischer Herkunft sowohl in der Erzeugung als auch in der Verarbeitung den Veterinärbehörden. Die Ausbildung zum [[Wikipedia:Tierarzt|Tierarzt]] ist durch die [[w:Approbationsordnung#Veterinärmedizin|Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten]] (TAppV) staatlich geregelt.<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
=== Global ===<br />
Das [[Wikipedia:Ägypten|ägyptische]] ''Papyrus von Kahun'' von 1900 v. Chr. ist eines der ersten Dokumente, das Tierheilkunde belegt – allgemein wird [[Shalihotra]] (etwa 2400 v. u. Z.) als Begründer angenommen.<ref>Thrusfield, Michael (2007), Veterinary epidemiology, Wiley-Blackwell, ISBN 978-1-4051-5627-1, [http://books.google.de/books?id=LZfevagYF4YC&redir_esc=y Google Books, 21. November 2011]</ref><br />
[[Bild:Shalihotra manuscript pages2.jpg|mini|links|Shalihotra Dokumente, etwa 2400 v.&nbsp;u.&nbsp;Z.]]<br />
In den [[Wikipedia:Edikte des Ashoka|Edikten des Ashoka]] ([[Wikipedia:3. Jahrhundert v. Chr.|3. Jahrhundert v. Chr.]]) ist geschrieben:<ref>Finger, Stanley (2001), Origins of neuroscience: a history of explorations into brain function, Oxford University Press, ISBN 978-0-19-514694-3, [http://books.google.de/books?id=_GMeW9E1IB4C&redir_esc=y Google Books, 21. November 2011].</ref><br />
{{Zitat|Everywhere King Piyadasi (Asoka) made two kinds of medicine (चिकित्सा) available, medicine for people and medicine for animals. Where there were no healing herbs for people and animals, he ordered that they be bought and planted.}} Deutsche Übersetzung: {{Zitat|König [[Wikipedia:Ashoka|Ashoka]] machte überall zwei Arten der Medizin verfügbar, für Menschen und für Tiere. Wo keine Heilpflanzen verfügbar waren, ordnete er Kauf und Kultivierung an.}}<br />
<br />
Im 5. oder 6. Jahrhundert n. Chr. erschien die Zusammengestellung antiker Schriften zur Pferdeheilkunde, die [[Hippiatrica]]. Im Mittelalter war das um 1250 verfasste sechsteiligen Handbuch der Pferdeheilkunde ''Hippiatria'' des [[Jordanus Ruffus]], dem Oberhofmarschall Friedrichs II., verbreitet und wurde seit dem 13. Jahrhundert auch in verschiedene Sprachen übersetzt.<ref>[[Gundolf Keil]]: ''Ruffus, Jordanus.'' In: ''[[Wikipedia:Verfasserlexikon|Verfasserlexikon]].'' Band VIII, Sp. 377 f.</ref><br />
<br />
=== Deutscher Sprachraum ===<br />
Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit sind auch im deutschsprachigen Raum tierheilkundliche Texte bezeugt.<ref>Gundolf Keil: ''‚Liber de cura equorum‘ (‚Practica equorum‘, ‚Roßarzneiliche Albertus-Magnus-Vorlage‘).'' In: ''[[Wikipedia:Verfasserlexikon|Verfasserlexikon]].'' Band V, Sp. 752–756.</ref><ref>[[Wikipedia:Gerhard Eis|Gerhard Eis]]: ''Zwei Tierheilmittel aus Arnold Doneldeys Arzneibuch von 1382.'' In: ''Deutsche tierärztliche Wochenschrift'' 63, 1956, S. 62 f.</ref><ref>Gerhard Eis: ''Deutsche Heilmittel für Haustiere aus dem Jahre 1321.'' In: ''Deutsche tierärztliche Wochenschrift'' 65, 1958, Nr. 4, S. 115 f.</ref><ref>Wilhelm Tzschacher: ''Salzburger Tierheilkunst um 1520.'' In: ''Veterinärhistorische Mitteilungen.'' Band 10, Nr. 9, 1930, S. 71 f.</ref><ref>Willy Louis Braekman: ''Zestiende-Eeuwse Veterinaire Literatuur uit de Nederlanden.'' Brüssel 1987 (= ''Scripta: Mediaeval and Renaissance texts and studies.'' Band 20).</ref> Eine der am weiträumigsten verbreiteten und vom 13. bis zum 18. Jahrhundert in viele Sprachen übersetzten, pferdeheilkundlichen Schriften war das sogenannte ''[[Wikipedia:Rossarzneibuch|Rossarzneibuch]]'' des Meister Albrant, der unter anderem in Neapel als [[Wikipedia:Marstall|Marstall]]er Kaiser Friedrichs II. wirkte.<ref>P. Rainer Rudolf SDS: ''Meister Albrant.'' In: ''[[Wikipedia:Verfasserlexikon|Verfasserlexikon]].'' Band I, Sp. 157 f.</ref> Die älteste [[Wikipedia:Tierärztliche Hochschule|veterinärmedizinische Hochschule]] im deutschen Sprachraum ist die 1765 als ''Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten'' gegründete [[Wikipedia:Veterinärmedizinische Universität Wien|Veterinärmedizinische Universität Wien]]. Auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland geht die akademische Ausbildung in der Veterinärmedizin ins Jahr 1771 zurück und hat ihre Wurzeln an der [[Wikipedia:Georg-August-Universität Göttingen|Universität Göttingen]]. Zu dieser Zeit erhielt der Göttinger Universalgelehrte [[Wikipedia:Johann Christian Polycarp Erxleben|Johann Christian Polycarp Erxleben]]<ref>Johann Christian Polykarp Erxleben: ''Praktischer Unterricht in der Vieharzneykunst.'' Göttingen und Gotha 1771.</ref> die Genehmigung, das Vieharzney-Institut an der Universität zu gründen. Das heutige [[Wikipedia:Tierärztliches Institut der Georg-August-Universität Göttingen|Tierärztliche Institut der Georg-August-Universität Göttingen]] ist somit die älteste und erste universitäre Bildungsstätte für Veterinärmedizin in Deutschland, an der allerdings heute kein Studium der Tiermedizin mehr möglich ist.<br />
<br />
Die älteste, noch bestehende, eigenständige tiermedizinische Hochschule in Deutschland ist die 1778 unter der Regentschaft von Georg III. als ''Roßarzney-Schule'' gegründete [[Wikipedia:Tierärztliche Hochschule Hannover|Tierärztliche Hochschule Hannover]] (seit 2003 Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover). Der Anatom Henryk Kadyi (1851–1912) setzte um 1900 im [[Wikipedia:Lwiw#Österreichisches Lemberg 1772–1918|Österreichischen Lemberg]] ein Reifezeugnis und ein vierjähriges Studium der Tiermedizin<ref>J. Stahnke: ''Ludwik Teichmann (1823–1895). Anatom in Krakau.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen'' 2, 1984, S. 205–267; hier: S. 216.</ref> als Voraussetzungen für die Zulassung von Tierärzten durch.<br />
<br />
== Studium in Deutschland ==<br />
Das Studium der Tiermedizin ist in Deutschland an der [[Wikipedia:Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover|Tierärztlichen Hochschule Hannover]], in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]] ([[Wikipedia:Freie Universität Berlin|Freie Universität Berlin]]), [[Wikipedia:Gießen|Gießen]] ([[Wikipedia:Justus-Liebig-Universität Gießen|Justus-Liebig-Universität]]), [[Wikipedia:Leipzig|Leipzig]] ([[Wikipedia:Universität Leipzig|Universität Leipzig]]) und [[Wikipedia:München|München]] ([[Wikipedia:Ludwig-Maximilians-Universität München|Ludwig-Maximilians-Universität]]) möglich. In der Republik Österreich ist das Studium nur in Wien, in der Schweiz an den [[Wikipedia:Universität Bern|Universitäten Bern]] und [[Wikipedia:Universität Zürich|Zürich]] möglich. Es gliedert sich in die Abschnitte Vorphysikum, [[Wikipedia:Physikum|Physikum]] und klinischer Abschnitt. Es endet mit dem Abschlussexamen und der [[Wikipedia:Approbationsordnung|Approbation]] als [[Wikipedia:Tierarzt|Tierarzt]].<br />
<br />
Je nach Universität erfolgt die Ausbildung in zwei Varianten. Bei der klassischen Methode wird nach Fächern gelehrt ([[Wikipedia:Chirurgie|Chirurgie]], [[Wikipedia:Innere Medizin|Innere Medizin]], [[Wikipedia:Theriogenologie|Theriogenologie]] etc.), bei der nordamerikanischen Methode wird nach Tierarten unterschieden und innerhalb dieser dann alle Fächer zusammen gelehrt (Klinik für [[Wikipedia:Wiederkäuer|Wiederkäuer]], [[Wikipedia:Pferde|Pferde]], [[Wikipedia:Kleintier|kleine Haustiere]] usw.). In Leipzig wird eine Mischform praktiziert, bei der [[Wikipedia:Nutztier|Nutztier]]e sowie Kleintiere und [[Wikipedia:Vögel|Vögel]] fächerspezifisch behandelt werden.<br />
<br />
Anschließend folgen gegebenenfalls eine [[Wikipedia:Dissertation|Dissertation]] mit dem Erwerb des akademischen Grades ''Doctor medicinae veterinariae'' (Dr. med. vet.), eine zusätzliche tierärztliche Prüfung im Rahmen einer Qualifikation als Fachtierarzt für öffentliches Veterinärwesen (sog. Kreisexamen<ref>[https://amtstierarzt.de/bundesverband/aufgaben-und-ausbildung/ausbildung-zum-verwaltungsdienst-im-oeffentlichen-veterinaerwesen/449-amtstierarzt-amtl-tierarzt-begriffe-und-qualifikation-eine-stellungnahme Amtstierarzt, amtl. Tierarzt, Begriffe und Qualifikation - eine Stellungnahme]</ref>) oder eine Weiterbildung als [[Wikipedia:Fachtierarzt|Fachtierarzt]]. Europaweit ist in jüngerer Zeit nach amerikanischem Vorbild ein standardisierter Weiterbildungsgang zum ''[[Wikipedia:Diplomate of the European College|Diplomate of the European College]]'' für viele Fachrichtungen entstanden (z.&nbsp;B. Diplomate of the European College of Veterinary Surgery, Dipl. ECVS). Dieser wird durch das ''European Board of Veterinary Specialisation'' koordiniert.<br />
<br />
Ähnlich wie in der [[Humanmedizin]] gibt es unter Tierärzten diverse Spezialisierungen im Rahmen der postgradualen Weiterbildung zum Fachtierarzt. Dabei gibt es sowohl disziplinabhängige Fachtierärzte (z.&nbsp;B. Chirurgie, [[Wikipedia:Pathologie|Pathologie]], Innere Medizin), tierartenbezogene Spezialisierungen (z.&nbsp;B. Kleintiere, Pferde, [[Wikipedia:Rinder|Rinder]], [[Wikipedia:Hausschwein|Schweine]], [[Wikipedia:Geflügel|Geflügel]]) und neben den eigentlichen Fachtierärzten ''Gebietsbezeichnungen'' (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Augenheilkunde|Augenheilkunde]], [[Akupunktur]]) (→ [[Liste medizinischer Fachgebiete]]).<br />
[[Datei:Veterinary literature.JPG|mini|links|Fachliteratur in einer tierärztlichen Praxis]]<br />
In der [[Wikipedia:Landwirtschaft|Landwirtschaft]] spielt die Veterinärmedizin eine große Rolle.<ref>vgl. exemplarisch: G. C. Haubner: ''Landwirthschaftliche Thierheilkunde ...'', 2. Aufl. Anklam 1847.</ref> Hier geht es unter anderem um den [[Wikipedia:Tierseuche|Tierseuche]]nschutz, so dass auch die Tötung von [[Wikipedia:Tierherde|Tierherde]]n bei Infektionen ([[Wikipedia:Maul- und Klauenseuche|MKS]], [[Wikipedia:BSE|BSE]] u. ä.) und der Schutz des Menschen vor Tierkrankheiten ([[Wikipedia:Zoonose|Zoonose]]n wie [[Wikipedia:Tollwut|Tollwut]] u. ä.) in den Bereich der Veterinärmediziner fallen.<br />
<br />
Während bei „Luxustieren“ wie [[Wikipedia:Pferde|Pferde]]n sowie kleinen Haus- und [[Wikipedia:Heimtier|Heimtier]]en wie [[Wikipedia:Haushund|Hunden]], [[Wikipedia:Hauskatze|Katzen]] oder [[Wikipedia:Hausmeerschweinchen|Meerschweinchen]] eine der Humanmedizin vergleichbare Versorgung möglich ist, unterliegt die medizinische Betreuung landwirtschaftlicher Nutztiere hauptsächlich den Aspekten der [[Wikipedia:Wirtschaftlichkeit|Wirtschaftlichkeit]].<br />
<br />
Ein weiterer Schwerpunkt der Veterinärmedizin ist die Sicherung der [[Wikipedia:Lebensmittelhygiene|Lebensmittelhygiene]]. Zu diesem Zweck wird beispielsweise die [[Wikipedia:Schlachttier- und Fleischuntersuchung|Schlachttier- und Fleischuntersuchung]] durch Tierärzte bzw. unter ihrer Aufsicht durchgeführt. Dazu gehört die Kontrolle von Tiertransporten und der Hygiene in Lebensmittelbetrieben wie z.&nbsp;B. in [[Wikipedia:Schlachthof|Schlachthöfen]]. Die Lebensmittelkunde ist ein wesentlicher Bestandteil der tierärztlichen Ausbildung.<br />
<br />
Die einstige Männerdomäne ist mehr und mehr zu einem Beruf für Frauen geworden. An manchen [[Wikipedia:Hochschule|Hochschule]]n stieg die Prozentzahl der [[Wikipedia:Student|Student]]innen der Veterinärmedizin auf über 90 %; im bundesdeutschen Durchschnitt betrugen die Zahlen bei den Studienanfängern: 1974 24 %, 1980 50 %, 1990 74 %, 2001 87 %.<br />
<br />
In den letzten Jahren gab es in der veterinärmedizinischen Ausbildung einen "shift from teaching to learning", bei dem Curricula zunehmend mit dem Ziel adaptiert wurden, die Studierenden mit relevanten Kompetenzen auszustatten (kompetenz-orientierte Lehre). Außerdem gibt es Bemühungen, Inhalte und Kompetenzen nicht mehr vordergründig nach Disziplinen, sondern umfassend nach thematischen Blöcken (z.&nbsp;B. Herz-Kreislauf-System, Bewegungsapparat) zu gliedern.<ref>[http://vetmediathek-gallery.vetmeduni.ac.at/impulsfruehstueck/2015/index.html#Impuls_15_03_2015.mp4 Kompetenz-Check an der Veterinärmedizinischen Universität Wien]</ref><ref>C. Burger, M. Pirker, E. M. Bergsmann, P. Winter: ''Qualitätsmanagement in der kompetenzorientierten Lehre: Theorie und Praxis an der Veterinärmedizinischen Universität Wien'' [Quality management in competence-oriented teaching: Theory and practice at the Vetmeduni Vienna]. In O. Vettori, G. Salmhofer, L. Mitterauer & K. Ledermüller (Hrsgs.), Eine Frage der Wirksamkeit? Qualitätsmanagement als Impulsgeber für Veränderungen an Hochschulen. Reihe 6: Qualität - Evaluation - Akkreditierung [A question of effectiveness? Quality management as innovation generator for changes at universities. Series 6: quality - evaluation - accreditation] UniversitätsVerlagWebler, Bielefeld 2015, ISBN 978-3-946017-00-4, S. 145–160.</ref><ref>E. Bergsmann, J. Klug, C. Burger, N. Förster, C. Spiel: ''The competence screening questionnaire for higher education: Adaptable to the needs of a study programme. Assessment and Evaluation in Higher Education'', 2017. [[doi:10.1080/02602938.2017.1378617]]</ref><br />
Weiters wird von einer zunehmenden Anzahl von veterinärmedizinischen Hochschulen die Wichtigkeit von institutionalisertem, systematisch gegebenem, qualitativ hochwertigem Lehrenden-Feedback an Studierende erkannt, um den Erwerb von klinischen Kompetenzen effizienter und effektiver zu gestalten.<ref>[http://jvme.utpjournals.press/doi/10.3138/jvme.0316-073R Buchner, H. H. F., Nawrocik, D., & Burger, C. (2017, in press). Student-initiated feedback using clinical encounter cards during clinical rotations in veterinary medicine: A feasibility study. Journal of Veterinary Medical Education. http://jvme.utpjournals.press/doi/10.3138/jvme.0316-073R]</ref><br />
<br />
== Studium in der Schweiz ==<br />
* [[Wikipedia:Studium_der_Medizin#Medizinstudium_in_der_Schweiz|''Hauptartikel Medizinstudium in der Schweiz'']]<br />
Seit dem Jahrgang mit Studienbeginn 2007 gilt an allen Universitäten das [[Wikipedia:Bologna-Prozess|Bologna System]], bei welchem nach dem dritten Jahr der '''Bachelor of Veterinary Medicine''' (B Vet Med) verliehen wird. <br />
<br />
In den sich anschliessenden zwei Jahre des Masterstudiums muss eine Masterarbeit geschrieben werden, und nach bestandenen Abschlussprüfungen erhält man den Titel '''Master of Veterinary Medicine''' (M Vet Med). Die Eidgenössische Schlussprüfung (Eidgenössisches Diplom des jeweiligen Faches) legen dann alle Studiengänge nach dem Masterstudium ab, der Master ist die Zulassungsvoraussetzung.<br />
<br />
Nach dem Masterstudium kann in einem weiteren Jahr der '''Doktortitel''' (Dr. med. vet.) durch Vorlegen einer Doktorarbeit erworben werden.<ref>[http://www.degrees.uzh.ch/ Informationsseite der Universität Zürich]</ref> <br />
<br />
Das Studium wird in Bern und Zürich angeboten (gemeinsame Fakultät Vetsuisse)<ref>[https://www.vetsuisse.ch/ Informationsseite Vetsuisse]</ref> und unterliegt einem [[Wikipedia:Numerus clausus|Numerus clausus]].<br />
<br />
== Berufsorganisationen ==<br />
<br />
Außer den gesetzlich festgelegten Organen der beruflichen Selbstverwaltung ([[Wikipedia:Körperschaft|Körperschaft]]en öffentlichen Rechtes), den 17 Landes[[Wikipedia:tierärztekammer|tierärztekammer]]n (es gibt in NRW zwei Kammern) kümmern sich noch die freien Berufsverbände um die Interessen des Berufsstandes. Während in den Landestierärztekammern alle Tierärzte Zwangsmitglieder sind, ist die Mitgliedschaft in den Berufsverbänden freiwillig. Entsprechend können die Verbände freier agieren und argumentieren.<br />
<br />
Die älteste Organisation ist die ''[[Wikipedia:Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft|Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft]]'' (DVG), gegründet 1949 und 1951 ins Vereinsregister eingetragen. Ziele der DVG sind die Förderung von [[Wikipedia:Forschung|Forschung]], Lehre und [[Wissenschaft]] in der Veterinärmedizin, die Nachwuchsförderung, Fortbildungen und wissenschaftliche Kongresse und die Verwaltung mehrerer Stiftungen zur Förderung der Wissenschaft. Sie ist eine [[Wikipedia:Dachorganisation|Dachorganisation]] von 36 Fachgruppen, die die Rolle der veterinärmedizinischen Fachgesellschaften in Deutschland einnehmen (z.&nbsp;B. Deutsche Gesellschaft für Kleintiermedizin DGK-DVG, Fachgruppe [[Wikipedia:Pferdekrankheit|Pferdekrankheit]]en, Fachgruppe Tierschutzrecht, FG Zootiere, Wildtiere und exotische Heimtiere ZWE, FG [[Wikipedia:Physiologie|Physiologie]] und [[Wikipedia:Biochemie|Biochemie]] etc.) und sechs Ausschüssen (z.&nbsp;B. Desinfektionsmittelausschuss der DVG oder Arbeitskreis Veterinärmedizinische Infektionsdiagnostik AVID). Die DVG prüft und listet seit 1970 Desinfektionsmittel für die [[Wikipedia:Tierhaltung|Tierhaltung]] und den Lebensmittelbereich. Diese Liste ist für alle behördlichen Desinfektionsmaßnahmen verbindlich.<br />
<br />
1953 wurde der BpT e.&nbsp;V. damals Bundesverband der praktischen Tierärzte, heute [[Bundesverband der praktizierenden Tierärzte]] gegründet. Der BpT hat einen Bundesverband und 16 Landesverbände. und ist der Lobbyverband der praktizierenden Tierärzte. Er kümmert sich neben seinen umfangreichen berufspolitischen Aufgaben um die Fortbildung durch ein großes Veranstaltungsangebot. Er ist Tarifpartner bei den Verhandlungen der Tarifverträge für [[Wikipedia:Tiermedizinischer Fachangestellter|Tiermedizinische Fachangestellte]].<br />
<br />
1954 schlossen sich die Landestierärztekammern zur Deutschen Tierärzteschaft e.&nbsp;V. zusammen. Diese nannte sich Ende der 1990er Jahre in [[Wikipedia:Bundestierärztekammer|Bundestierärztekammer]] e.&nbsp;V. (BTK) um. Die BTK ist keine Körperschaft öffentlichen Rechtes, sondern ein Verein. Durch die Zwangsmitgliedschaft in den Landestierärztekammern ist jeder Berufsangehörige Mitglied der BTK. Diese versteht sich somit als bundesweiter Gesamtverband aller Tierärzte und kümmert sich um die berufspolitischen Belange. Für Behörden und Politik ist sie der erste Ansprechpartner im Berufsstand. Während früher die Rolle als Gesamtorganisation eindeutig war, da auch die übrigen veterinärmedizinischen Verbände gleichberechtigtes Mitglied der BTK werden konnten, hat sich dies relativiert, seit rechtliche Bedenken (BTK als Verband aus Körperschaften öffentlichen Rechtes) zu einer Abschaffung der gleichberechtigten Mitgliedschaft führte. Die BTK führt im Auftrag der Landestierärztekammern, die gemäß gesetzlichem Auftrag (Heilberufegesetze der Länder) für die Fortbildung Sorge tragen müssen, über die Tochterorganisation ATF – Akademie für tierärztliche Fortbildung, seit 1974 Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Die BTK gibt das [[Wikipedia:Deutsches Tierärzteblatt|Deutsche Tierärzteblatt]] heraus.<br />
<br />
Der [[Wikipedia:Bundesverband der beamteten Tierärzte|Bundesverband der beamteten Tierärzte]] e.&nbsp;V. (BbT) vertritt die berufspolitischen Belange der Tierärzte, die als Beamte oder im öffentlich bestellten Auftrag arbeiten.<br />
<br />
Neben diesen vier großen Verbänden gibt es in der Veterinärmedizin eine umfangreiche Zahl an kleineren Vereinen.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Portal:Tiermedizin}}<br />
* {{WikipediaDE|Kategorie:Tiermedizin}}<br />
* {{WikipediaDE|Tiermedizin}}<br />
* {{WikipediaDE|Liste bekannter Historiker der Veterinärmedizin}}<br />
* {{WikipediaDE|NOVICE}}<br />
<br />
== Ältere tierheilkundliche Werke ==<br />
* Georg Friedrich Sick: ''Unterricht fuer den Landwirth so wie fuer jeden Pfede- und Viehbesitzer zur Abwendung und Heilung der in Kriegszeiten eben so gewöhnlich als häufig vorkommenden Vieh-Krankheiten und ansteckenden Vieh-Seuchen.'' Berlin 1807; Neudruck, mit einer Nachbemerkung von Dieter Lösch, Leipzig 1990.<br />
* Georg Friedrich Sick: ''Über die Natur der Rinderpest und die Gefahren, mit welchen ganz Deutschland von dieser verheerenden Pestseuche im Laufe des gegenwärtigen Krieges bedrohet wird [...].'' Berlin 1813.<br />
* Joh. Nicol. Rohlwes: ''Allgemeines Vieh-Arzneibuch oder Unterricht, wie der Landmann Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine, Ziegen und Hunde aufziehen, warten und füttern, und deren Krankheiten erkennen und heilen soll.'' 17. Aufl. (anastatischer Nachdruck) Reutlingen 1879.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Wikipedia:Angela von den Driesch|Angela von den Driesch]]: ''Geschichte der Tiermedizin. 5000 Jahre Tierheilkunde.'' Callwey, München 1989, ISBN 3-7667-0934-8.<br />
* [[Wikipedia:Reinhard Froehner|Reinhard Froehner]]: ''Kulturgeschichte der Tierheilkunde.'' I–III, Konstanz 1954–1968.<br />
* Cynthia M. Kahn (Hrsg.): ''The Merck veterinary manual'', 10th ed., John Wiley, Whitehouse Station, N.J. : Merck, Chichester, 2010, ISBN 978-0-911910-93-3.<br />
* Emmanuel Leclainche: ''Histoire illustrée de la médicine vétérinaire, presentée par Gaston Ramon.'' I–II, Paris 1955.<br />
* Emmanuel Leclainche: ''Die Tierheilkunde in der Antike.'' in R. Toellner (Hrsg.): ''Illustrierte Geschichte der Medizin.'' Band 5. Andreas Verlagsbuchhandlung, Salzburg 1990, S. 523–571.<br />
* Emmanuel Leclainche: ''Die Veterinärmedizin vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.'' In: R. Toellner (Hrsg.): ''Illustrierte Geschichte der Medizin.'' Sonderauflage in sechs Bänden, Salzburg 1986, Band 3, S. 1723–1773.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Veterinary medicine|Veterinärmedizin}}<br />
{{Wikinews|Kategorie:Veterinärmedizin|Veterinärmedizin}}<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4078315-7|LCCN=sh/85/143046}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Tiermedizin}}<br />
[[Kategorie:Tiermedizin|!]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia|datum=13. November 2019|oldid=194732841|oldid-lokal=3976}}<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
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Kupfer
2022-12-15T08:49:21Z
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<hr />
<div>'''Kupfer''' ([[Wikipedia:Lateinische Sprache|lat.]] ''Cuprum'') ist ein [[chemisches Element]] mit dem [[Wikipedia:Elementsymbol|Elementsymbol]] Cu und der [[Wikipedia:Ordnungszahl|Ordnungszahl]] 29. Es ist ein [[Wikipedia:Übergangsmetalle|Übergangsmetall]], im [[Periodensystem]] steht es in der 4. Periode und der 1. [[Wikipedia:Nebengruppe|Nebengruppe]] (nach neuer Zählung Gruppe 11) oder [[Wikipedia:Kupfergruppe|Kupfergruppe]]. Der lateinische Name ''cuprum'' ist abgeleitet von ''(aes) cyprium'' „[[Wikipedia:Erz|Erz]] von der griechischen Insel [[Wikipedia:Zypern|Zypern]]“, auf der im Altertum Kupfer gewonnen wurde.<br />
<br />
Kupfer ist als relativ weiches Metall gut formbar und zäh. Als hervorragender [[Wikipedia:Wärmeleiter|Wärme-]] und [[Wikipedia:Elektrischer Leiter|Stromleiter]] findet es vielseitige Verwendung. Darüber hinaus zählt es auch zur Gruppe der [[Wikipedia:Münzmetall|Münzmetall]]e.<br />
<br />
Als schwach reaktives [[Wikipedia:Schwermetall|Schwermetall]] gehört Kupfer zu den [[Wikipedia:Edelmetalle#Halbedelmetalle|Halbedelmetallen]].<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
[[Datei:Hendrick met de Bles 001.jpg|mini|hochkant=1.4|links|Kupferbergwerk ([[Wikipedia:Herri met de Bles|Herri met de Bles]], Mitte 16. Jh.)]]<br />
[[Datei:Venus symbol.svg|mini|hochkant=0.62|[[Wikipedia:Venussymbol|Venus&shy;symbol]]: Sym&shy;bol der [[Alchemie|Al&shy;chemie]] für Kupfer]]<br />
<br />
Kupfer, [[Gold]], [[Silber]] und [[Zinn]] waren die ersten [[Wikipedia:Metalle|Metalle]], welche die Menschheit in ihrer Entwicklung kennenlernte. Da Kupfer leicht zu verarbeiten ist, wurde es bereits von den ältesten bekannten [[Wikipedia:Kultur|Kultur]]en vor etwa 10.000 Jahren verwendet. Die Zeit seines weiträumigen Gebrauchs vom 5. Jahrtausend v. Chr. bis zum 3. Jahrtausend v. Chr. wird je nach Region auch [[Wikipedia:Kupfersteinzeit|Kupferzeit]] genannt. In [[Wikipedia:Hujayrat al-Ghuzlan|Hujayrat al-Ghuzlan]] in Jordanien bestand schon um 4.000 v. Chr. eine Massenproduktionsstätte von Kupfer. In der [[Alchemie]] wurde Kupfer mit Venus/Weiblichkeit [[Wikipedia:♀|♀]] ([[Wikipedia:Planetenmetalle|Planetenmetalle]]) assoziiert und als Verbindung von Schwefel und Quecksilber<ref>Wilhelm Hassenstein: ''Das Feuerwerksbuch von 1420. 600 Jahre deutsche Pulverwaffen und Büchsenmeisterei.'' Neudruck des Erstdrucks von 1529 mit Übertragung ins Hochdeutsche und Erläuterungen, München 1941, S. 104.</ref> angesehen. Die ersten Spiegel wurden aus diesem Metall hergestellt. Während der späten ost[[Wikipedia:Mittelmeerraum|mediterranen]] [[Wikipedia:Bronzezeit|Bronzezeit]] wurde Kupfer vor allem auf [[Wikipedia:Zypern in der späten Bronzezeit|Zypern]] gefördert und von dort in zumeist ca. 30 kg schweren Kupferbarren in Form von Rinderhäuten (sogenannte [[Wikipedia:Ochsenhautbarren|Ochsenhautbarren]]) exportiert. Fragmente zyprischer Ochsenhautbarren aus der Zeit zwischen dem 16. und dem 11. Jahrhundert v. Chr. finden sich in weiten Teilen des Mittelmeerraums, bis nach Sardinien, auf dem Balkan und sogar nördlich der Alpen ([[Wikipedia:Depotfund von Oberwilflingen|Depotfund von Oberwilflingen]]).<ref>Zu den Ochsenhautbarren, deren Verbreitung und den bronzezeitlichen Kupferhandel siehe: Serena Sabatini: ''Revisiting Late Bronze Age oxhide ingots. Meanings, questions and perspectives.'' In: Ole Christian Aslaksen (Hrsg.): ''Local and global perspectives on mobility in the Eastern Mediterranaean (= Papers and Monographs from the Norwegian Institute at Athens, Band 5).'' The Norwegian Institute at Athens, Athen 2016, ISBN 978-960-85145-5-3, S. 15–62.</ref> Größter [[Wikipedia:Industrielle Revolution|vorindustrieller]] Kupferhersteller war das [[Wikipedia:Römisches Reich|Römische Reich]] mit einer geschätzten Jahresproduktion von 15.000&nbsp;t.<ref>Sungmin Hong, Jean-Pierre Candelone, Clair C. Patterson, Claude F. Boutron: ''History of Ancient Copper Smelting Pollution During Roman and Medieval Times Recorded in Greenland Ice.'' In: ''[[Wikipedia:Science|Science]].'' Band 272, Nr. 5259, 1996, S.&nbsp;246–249 (247, Abb. 1 & 2; 248, Tab. 1)</ref><br />
<br />
Später wurde Kupfer mit Zinn und Bleianteilen zu [[Wikipedia:Bronze|Bronze]] legiert. Diese härtere und technisch widerstandsfähigere [[Wikipedia:Legierung|Legierung]] wurde zum Namensgeber der [[Wikipedia:Bronzezeit|Bronzezeit]]. Die Unterscheidung von [[Blei]] und Zinn wurde erst mit wachsenden Metallkenntnissen eingeführt, sodass der Begriff Bronze aus heutiger Sicht nur auf die hochkupferhaltigen Zinn-Kupferlegierungen richtig angewendet ist.<br />
<br />
Die goldgelbe Kupfer-Zink-Legierung „[[Wikipedia:Messing|Messing]]“ war bereits im antiken [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]] bekannt. Es wurde durch gemeinsames Verarbeiten der jeweiligen Erze erschmolzen, aber erst die Römer haben dieses Verfahren verstärkt verwendet. In [[Wikipedia:Geschichte Kolumbiens|Altkolumbien]] wurde die Gold-Kupfer-Legierung [[Wikipedia:Tumbaga|Tumbaga]] häufig verwendet.<br />
<br />
== Vorkommen ==<br />
{{Hauptartikel|Kupferbergbau}}<br />
Kupfer kommt in der Erde nach Angaben des ''Deutschen Kupferinstituts'' mit einem Gehalt von etwa 0,006 % vor und steht in Bezug auf die Häufigkeit der Elemente in der [[Wikipedia:Erdkruste|Erdkruste]] an der 23. Stelle.<ref>[https://www.kupferinstitut.de/de/werkstoffe/system/verfuegbarkeit-kupfer.html Deutsches Kupferinstitut – Verfügbarkeit von Kupfer]</ref> Häufig tritt Kupfer [[Wikipedia:gediegen|gediegen]], das heißt in elementarer Form auf. Weltweit sind aktuell (Stand 2017) über 3000 Fundorte für gediegen Kupfer bekannt, so unter anderem in [[Wikipedia:Afghanistan|Afghanistan]], [[Wikipedia:Argentinien|Argentinien]], [[Wikipedia:Australien|Australien]], [[Wikipedia:Belgien|Belgien]], [[Wikipedia:Bolivien|Bolivien]], [[Wikipedia:Brasilien|Brasilien]], [[Wikipedia:Bulgarien|Bulgarien]], [[Wikipedia:Chile|Chile]], [[Wikipedia:China|China]], der [[Wikipedia:Demokratische Republik Kongo|Demokratischen Republik Kongo]], [[Wikipedia:Deutschland|Deutschland]], [[Wikipedia:Finnland|Finnland]], [[Wikipedia:Frankreich|Frankreich]], [[Wikipedia:Griechenland|Griechenland]], [[Wikipedia:Indien|Indien]], im [[Wikipedia:Iran|Iran]], in [[Wikipedia:Irland|Irland]], [[Wikipedia:Italien|Italien]], [[Wikipedia:Japan|Japan]], [[Wikipedia:Kanada|Kanada]], [[Wikipedia:Kasachstan|Kasachstan]], [[Wikipedia:Marokko|Marokko]], [[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]], der [[Wikipedia:Mongolei|Mongolei]], [[Wikipedia:Namibia|Namibia]], [[Wikipedia:Neuseeland|Neuseeland]], [[Wikipedia:Norwegen|Norwegen]], [[Wikipedia:Österreich|Österreich]], [[Wikipedia:Peru|Peru]], den [[Wikipedia:Philippinen|Philippinen]], [[Wikipedia:Polen|Polen]], [[Wikipedia:Portugal|Portugal]], [[Wikipedia:Rumänien|Rumänien]], [[Wikipedia:Russland|Russland]], [[Wikipedia:Sambia|Sambia]], [[Wikipedia:Schweden|Schweden]], der [[Wikipedia:Schweiz|Schweiz]], [[Wikipedia:Simbabwe|Simbabwe]], der [[Wikipedia:Slowakei|Slowakei]], [[Wikipedia:Spanien|Spanien]], [[Wikipedia:Südafrika|Südafrika]], [[Wikipedia:Tschechien|Tschechien]], der [[Wikipedia:Türkei|Türkei]], der [[Wikipedia:Ukraine|Ukraine]], [[Wikipedia:Ungarn|Ungarn]], den [[Wikipedia:Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten von Amerika]] (USA) und dem [[Wikipedia:Vereinigtes Königreich|Vereinigten Königreich]] (UK).<ref name="Fundorte">Fundortliste für gediegen Kupfer beim [https://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/MineralDataShow?mineralid=2084&sections=12 Mineralienatlas] und bei [https://www.mindat.org/show.php?id=1209&ld=1#themap Mindat]</ref><br />
<br />
Auch in mehreren Gesteinsproben vom [[Wikipedia:Mittelatlantischer Rücken|Mittelatlantischen Rücken]] sowie vom [[Mond]], das die Sonde der [[Wikipedia:Luna-Programm|Luna 24-Mission]] vom [[Wikipedia:Mare Crisium|Mare Crisium]] mitbrachte, konnte gediegen Kupfer nachgewiesen werden.<ref name="Fundorte" /><br />
<br />
== Kupfer als Mineral ==<br />
Natürliche Vorkommen an [[Wikipedia:gediegen|gediegen]] Kupfer, das heißt in seiner elementaren Form, waren bereits lange vor der Gründung der [[Wikipedia:International Mineralogical Association|International Mineralogical Association]] (IMA) bekannt. Kupfer ist daher als sogenanntes ''grandfathered'' [[Wikipedia:Mineral|Mineral]] als eigenständige Mineralart anerkannt.<ref>[http://cnmnc.main.jp/IMA_Master_List_%282019-07%29.pdf#page=44 IMA/CNMNC List of Mineral Names; July 2019] (PDF 1,67&nbsp;MB; Kupfer (Copper) siehe S. 44)</ref><br />
<br />
Gemäß der [[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Strunz (9. Auflage)|Systematik der Minerale nach Strunz (9. Auflage)]] wird Kupfer unter der System-Nr. „1.AA.05“ (Elemente – Metalle und intermetallische Verbindungen – Kupfer-Cupalit-Familie – Kupfergruppe)<ref>[http://cnmnc.main.jp/IMA2009-01%20UPDATE%20160309.pdf#page=64 IMA/CNMNC List of Mineral Names – Copper] (englisch, PDF 1,8&nbsp;MB, S. 64)</ref> beziehungsweise in der veralteten [[Wikipedia:Systematik der Minerale nach Strunz (8. Auflage)#I/A. Metalle und intermetallische Legierungen (ohne Halbmetalle)|8. Auflage]] unter ''I/A.01'' (''Kupfer-Reihe'') eingeordnet. Die vorwiegend im englischsprachigen Raum verwendete [[Systematik der Minerale nach Dana/Elemente#01.01 Elemente: Metallische Elemente außer der Platingruppe|Systematik der Minerale nach Dana]] führt das Element-Mineral unter der System-Nr. 01.01.01.03 (''Goldgruppe'').<ref>[http://webmineral.com/dana/dana.php?class=01&subclass=01&group=01#.WlfYN4gxmUk Webmineral – Minerals Arranged by the New Dana Classification. 01.01.01 Gold group]</ref><br />
<br />
In der Natur bildet sich Kupfer meist in [[Wikipedia:basalt|basalt]]ischen [[Wikipedia:Lava|Laven]] entweder in Form von „kupferroten“, metallisch [[Wikipedia:Glanz|glänzenden]] [[Wikipedia:Nugget (Metallurgie)|Nuggets]] (aus der Schmelze erstarrt) oder in verzweigten Strukturen, so genannten [[Wikipedia:Dendrit (Kristallographie)|Dendriten]]. Gelegentlich sind auch kristalline Ausbildung anzutreffen. Kupfer tritt in [[Wikipedia:Paragenese|Paragenese]] mit verschiedenen, meist [[Wikipedia:Sekundärmineral|sekundären]] Kupfermineralen wie [[Wikipedia:Bornit|Bornit]], [[Wikipedia:Chalkosin|Chalkosin]], [[Wikipedia:Cornwallit|Cornwallit]], [[Wikipedia:Cuprit|Cuprit]], [[Wikipedia:Azurit|Azurit]] und [[Wikipedia:Malachit|Malachit]] sowie [[Wikipedia:Tenorit|Tenorit]] auf, kann aber auch mit vielen anderen Mineralen wie [[Wikipedia:Calcit|Calcit]], [[Wikipedia:Klinoklas|Klinoklas]], [[Wikipedia:Prehnit|Prehnit]], [[Pumpellyit]], [[Wikipedia:Quarz|Quarz]] und [[Silber]] vergesellschaftet sein.<ref>{{Literatur |Hrsg= John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols |Titel= Copper |Sammelwerk= Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America |Datum= 2001 |Online= http://www.handbookofmineralogy.org/pdfs/copper.pdf |Format=PDF |KBytes=58 | Abruf= 2018-01-22}}</ref><ref>[[Mineralienatlas:Kupfer]]</ref><br />
<br />
<gallery widths="240" heights="160" mode="packed"><br />
Copper.jpg|Kupfer-Nugget<br />
Copper-20862.jpg|Kupfer-Dendriten<br />
Copper-273153.jpg|Würfelige Kupfer-Kristalle<br />
Copper-263181.jpg|[[Wikipedia:Pseudomorphose|Pseudomorphose]] von Kupfer nach [[Wikipedia:Aragonit|Aragonit]]<br />
</gallery><br />
<br />
Kupfererze kommen häufig vor. So wird Kupfer aus [[Wikipedia:Chalkopyrit|Chalkopyrit]] (''Kupferkies'', CuFeS<sub>2</sub>), [[Wikipedia:Chalkosin|Chalkosin]] (''Kupferglanz'', Cu<sub>2</sub>S), seltener auch aus [[Wikipedia:Bornit|Bornit]] (''Buntkupferkies'', Cu<sub>5</sub>FeS<sub>4</sub>), [[Wikipedia:Atacamit|Atacamit]] (CuCl<sub>2</sub>·Cu(OH)<sub>2</sub>), [[Wikipedia:Malachit|Malachit]] (Cu<sub>2</sub>[(OH)<sub>2</sub><nowiki>|</nowiki>CO<sub>3</sub>]) und anderen Erzen gewonnen. Im Jahre 2019 waren 636 [[:Kategorie:Kupfermineral|Kupferminerale]] bekannt. Die Minerale mit der höchsten Kupferkonzentration in der Verbindung sind Cuprit (bis 88,8 %) und [[Wikipedia:Algodonit|Algodonit]] (bis 83,6 %) sowie [[Wikipedia:Paramelaconit|Paramelaconit]], Tenorit und Chalkosin (bis 79,9 %).<ref>[http://webmineral.com/chem/Chem-Cu.shtml Webmineral – Mineral Species sorted by the element Cu (Copper)] (englisch).</ref><br />
<br />
== Förderung ==<br />
=== Produzenten ===<br />
{{Siehe auch|Kupfer/Tabellen und Grafiken}}<br />
Der bedeutendste Kupferproduzent ist Chile, mit großem Abstand gefolgt von Peru und den USA. In Europa sind [[Wikipedia:Polen|Polen]], [[Wikipedia:Portugal|Portugal]] und [[Wikipedia:Schweden|Schweden]] nennenswert. Die wichtigsten Exportländer waren von 1967 bis 1988 in der [[Wikipedia:CIPEC|CIPEC]] organisiert. Zur CIPEC gehörten unter anderem Chile, Peru und [[Wikipedia:Papua-Neuguinea|Papua-Neuguinea]], auf dessen Insel [[Wikipedia:Bougainville|Bougainville]] eine der weltgrößten Kupferminen 1988 zu einem Bürgerkrieg führte.<br />
<br />
Historisch bedeutsam waren die Kupfergruben auf der [[Wikipedia:Keweenaw Peninsula|Keweenaw-Halbinsel]] im [[Wikipedia:Oberer See|Oberen See]] (USA). Dort gab es das weltweit größte Vorkommen von [[Wikipedia:gediegen|gediegen]] Kupfer. Abbau fand dort schon in vorkolumbischer Zeit statt. In Deutschland wurde bis 1990 im [[Wikipedia:Mansfelder Land|Mansfelder Land]] [[Wikipedia:Kupferschiefer|Kupferschiefer]] abgebaut und in [[Wikipedia:Cornwall|Cornwall]] hat es vor allem im 18. und 19.&nbsp;Jahrhundert bedeutenden Kupferbergbau gegeben.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.cornish-mining.org.uk/story/history.htm |wayback=20110217194802 |text=Weltkulturerbe Cornish Mining |archiv-bot=2019-09-16 15:26:13 InternetArchiveBot}}.</ref><br />
<br />
<gallery widths="300" heights="200" mode="packed" class="float-right"><br />
Intergovernmental Council of Copper Exporting Countries member states map.svg|Mitgliedsstaaten der CIPEC<br />
Kupfer - Trend Förderung.svg|Entwicklung der Kupferförderung (1900–2012)<br />
</gallery><br />
<br />
{| class="wikitable float-left" style="text-align:right;"<br />
|+Kupfererzförderung in Tausend Tonnen (2018)<ref>United States Geological Survey: [https://prd-wret.s3-us-west-2.amazonaws.com/assets/palladium/production/s3fs-public/atoms/files/mcs-2019-coppe.pdf World Mine Production and Reserves]</ref><br />
|-<br />
! Rang<br />
! Land<br />
! Förderung<br />
!Reserven<br />
|-<br />
| 1 || align="left" |[[Wikipedia:Chile|Chile]]|| 5800<br />
|170.000<br />
|-<br />
| 2 || align="left" |[[Wikipedia:Peru|Peru]]|| 2400<br />
|83.000<br />
|-<br />
| 3 || align="left" |[[Wikipedia:Volksrepublik China|Volksrepublik China]]|| 1600<br />
|26.000<br />
|-<br />
| 4 || align="left" |[[Wikipedia:Vereinigte Staaten|Vereinigte Staaten]]|| 1200<br />
|48.000<br />
|-<br />
| 5 || align="left" |[[Wikipedia:Demokratische Republik Kongo|Demokratische Republik Kongo]]<br />
| 1200<br />
|20.000<br />
|-<br />
| 6 || align="left" |[[Wikipedia:Australien|Australien]]<br />
|950<br />
|88.000<br />
|-<br />
| 7 || align="left" |[[Wikipedia:Sambia|Sambia]]<br />
|870<br />
|19.000<br />
|-<br />
| 8 || align="left" |[[Wikipedia:Indonesien|Indonesien]]<br />
|780<br />
|51.000<br />
|-<br />
| 9 || align="left" |[[Wikipedia:Mexiko|Mexiko]]<br />
|760<br />
|50.000<br />
|-<br />
| 10 || align="left" |[[Wikipedia:Russland|Russland]]<br />
|710<br />
|61.000<br />
|}<br />
{{Absatz}}<br />
<br />
=== Gewinnung ===<br />
[[Datei:Copper Flash Smelting Process (DE).svg|mini|hochkant=1.4|Kupfergewinnung nach dem Schwebeschmelzverfahren]]<br />
<br />
==== Verschiedene Verfahren ====<br />
Die wichtigsten Öfen für die Kupfergewinnung sind der [[Wikipedia:Flammofen|Flammofen]] und seit 1980 der [[Wikipedia:Schwebeschmelzofen|Schwebeschmelzofen]].<br />
<br />
==== Prozess der Kupfergewinnung ====<br />
Zur Herstellung von Kupfer wird aus Kupferkies (CuFeS<sub>2</sub>) zunächst so genannter ''Kupferstein'' (Cu<sub>2</sub>S mit variierenden Gehalten an FeS, Cu-Gehalt ca. 70 %) gewonnen. Dazu wird das Ausgangsmaterial unter Zusatz von [[Wikipedia:Koks|Koks]] [[Wikipedia:Rösten (Metallurgie)|geröstet]] und die enthaltenen Eisenoxide durch [[Wikipedia:Siliciumdioxid|kieselsäurehaltige]] [[Wikipedia:Zuschlagstoff|Zuschlagstoff]]e [[Wikipedia:Schlacke (Metallurgie)|verschlackt]]. Diese Eisensilikat-Schlacke schwimmt auf dem Kupferstein und kann so leicht abgegossen werden.<br />
<br />
:* ''Röstarbeit:''<br />
:<math>\mathrm{6 \ CuFeS_2 + 10 \ O_2 \longrightarrow 3 \ Cu_2S + 2 \ FeS + 2 \ Fe_2O_3 + 7 \ SO_2}</math><br />
<br />
:* ''Schmelzarbeit:''<br />
:<math>\mathrm{Fe_2O_3 + C + SiO_2 \longrightarrow Fe_2SiO_4 + CO}</math><br />
<br />
Der so erhaltene Kupferstein wird zu ''Rohkupfer'' (auch [[Wikipedia:Schwarzkupfer|Schwarzkupfer]]) weiterverarbeitet. Dazu wird er glutflüssig in einen Konverter gegossen und in diese Schmelze Luft eingeblasen. In einer ersten Stufe ''(Schlackenblasen)'' wird dabei das darin enthaltene Eisensulfid zu Eisenoxid geröstet und dieses durch zugeschlagenen Quarz zur Schlacke gebunden, die abgegossen werden kann. In einem zweiten Schritt ''(Garblasen)'' werden zwei Drittel des verbleibenden Cu<sub>2</sub>S zu Cu<sub>2</sub>O oxidiert. Das Oxid setzt sich dann mit dem restlichen Sulfid zum Rohkupfer um.<br />
<br />
:* ''Schlackenblasen:''<br />
:<math>\mathrm{2 \ Cu_2S + 3 \ O_2 \longrightarrow 2 \ Cu_2O + 2 \ SO_2}</math><br />
<br />
:* ''Garblasen:''<br />
:<math>\mathrm{Cu_2S + 2 \ Cu_2O \longrightarrow 6 \ Cu + SO_2}</math><br />
<br />
Das Rohkupfer hat einen Kupferanteil von 98 %. In den restlichen 2 % sind neben unedlen Metallen wie Eisen und Zink auch [[Wikipedia:Edelmetalle|Edelmetalle]] wie Silber und Gold enthalten. Die [[Wikipedia:Kupferraffination#Elektrolytische Kupferraffination|elektrolytische Raffination]] von Kupfer wird in einer [[Wikipedia:schwefelsäure|schwefelsäure]]haltigen Kupfer(II)-sulfat-Lösung mit einer Rohkupfer-[[Wikipedia:Anode|Anode]] und einer Reinkupfer-[[Wikipedia:Kathode|Kathode]] durchgeführt. Bei der Elektrolyse werden nun alle im Vergleich zu Kupfer unedleren Metalle oxidiert und gehen als [[Wikipedia:Kationen|Kationen]] in Lösung, während die edleren Metalle als [[Wikipedia:Anodenschlamm|Anodenschlamm]] absinken.<br />
<br />
Reaktionsgleichung der elektrolytischen Raffination:<br />
<br />
; Anode<br />
:<math>\mathrm{Cu \longrightarrow Cu^{2+} + 2 \ e^-}</math><br />
:<math>\mathrm{Fe \longrightarrow Fe^{2+} + 2 \ e^-}</math><br />
:<math>\mathrm{Zn \longrightarrow Zn^{2+} + 2 \ e^-}</math><br />
<br />
; Kathode<br />
:<math>\mathrm{Cu^{2+} + 2 \ e^- \longrightarrow Cu}</math><br />
<br />
Während die Anode sich langsam unter Bildung der Kationen auflöst, scheidet sich an der Kathode durch Reduktion von Kupferionen ausschließlich Kupfer, das ''Elektrolytkupfer,'' mit einem Massenanteil von w<sub>(Cu)</sub>&nbsp;=&nbsp;99,99 % ab.<br />
<br />
Der als Nebenprodukt entstehende Anodenschlamm wird später weiter verwertet und dient als Ausgangsmaterial für die Gewinnung der Edelmetalle.<br />
<br />
Die Gewinnung von Kupfer erfolgt in [[Wikipedia:Affinerie|Affinerie]]n. In Europa ist dafür die [[Wikipedia:Aurubis|Aurubis AG]] (früher Norddeutsche Affinerie) mit Hauptsitz in Hamburg bekannt, früher war es auch die [[Duisburger Kupferhütte]] (heute DK Recycling).<br />
<br />
Kupfer kann auch als so genannter ''Zementkupfer'' durch Fällung aus [[Wikipedia:Kupfersulfat|Kupfersulfat]]-Lösung mit [[Eisen]] gewonnen werden. Der Vorgang der Fällung wird [[Wikipedia:Zementation|Zementation]] genannt. Das erhaltene Kupfer ist oft verunreinigt.<ref>[{{Toter Link|inline=ja|date=2017-06-11|url=http://www.ezv.admin.ch/pdf_linker.php?doc=Tares_d6_74}} Kupfer und Waren daraus].</ref> Die Fällung von Kupfer auf Eisen aus natürlich vorkommenden Metallsalz-Lösungen wurde in [[Wikipedia:China|China]] bereits seit 1086 n. Chr. praktiziert.<ref>T. N. Lung: ''The history of copper cementation on iron — The world's first hydrometallurgical process from medieval China.'' In: ''[[Hydrometallurgy]].'' Volume 17, Issue 1, November 1986, S.&nbsp;113–129; [[doi:10.1016/0304-386X(86)90025-3]].</ref><br />
<br />
Kupfer kann auch durch eine [[Wikipedia:Aluminothermie|aluminothermische Reaktion]] dargestellt werden. Als Thermit dient hierbei ein Gemisch aus [[Wikipedia:Kupfer(II)-oxid|Kupfer(II)-oxid]] und [[Wikipedia:Aluminiumgrieß|Aluminiumgrieß]]. Durch den Einsatz eines Fließmittels (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Calciumfluorid|Calciumfluorid]]) kann die Ausbeute erhöht werden, weil sich die elementaren Metalle nicht, die entstehende Schlacke aber im Fließmittel lösen kann. Die aluminothermische Gewinnung ist wegen des dafür nötigen Aluminiums nicht wirtschaftlich.<br />
<br />
<gallery widths="500" heights="200" mode="packed" class="float-left"><br />
Copper Matte.jpg|Gerösteter Kupferkies, sogenannter ''Kupferstein''<br />
Kilianstollen Marsberg Zementkupfer.JPG|Entkupferung von Erzlösung über Eisenplatten durch Bildung von „Zementkupfer“ (hellrosa)<br />
Evolution copper smelting.svg|Verwendete Verfahren zur Kupfergewinnung (1930–1995)<br />
</gallery><br />
{{Absatz}}<br />
<br />
== Eigenschaften ==<br />
=== Physikalische Eigenschaften ===<br />
[[Datei:Face-centered cubic.svg|mini|[[Wikipedia:Kubisch-flächenzentriertes Gitter|Kubisch-flächenzentriertes Gitter]] des Kupfers]]<br />
[[Datei:Cu-Scheibe.JPG|mini|Kupferscheibe durch [[Wikipedia:Stranggießen|Stranggießen]] hergestellt, geätzt, Durchmesser ca. 83&nbsp;mm, Reinheit größer als 99,95 %]]<br />
<br />
Mit einer [[Wikipedia:Dichte|Dichte]] von 8920&nbsp;kg/m³ gehört Kupfer zu den [[Wikipedia:Schwermetalle|Schwermetalle]]n, das [[Wikipedia:Kubisches Kristallsystem|kubisch-flächenzentriert]] [[Wikipedia:kristallisiert|kristallisiert]] und damit eine [[Wikipedia:Kubisches Kristallsystem|kubisch]] [[Wikipedia:dichteste Kugelpackung|dichteste Kugelpackung]] mit der {{Raumgruppe|Fm-3m|lang}} aufweist. Der [[Wikipedia:Gitterparameter|Gitterparameter]] beträgt bei reinem Kupfer 0,3615&nbsp;[[Wikipedia:Nanometer|nm]]<ref>{{Literatur | Autor= Ralph W. G. Wyckoff | Titel= Crystal Structures | Band= 1 | Auflage= 2. | Verlag= John Wiley & Sons | Ort= New York, London, Sydney | Datum= 1963 | Seiten= 3 | ISBN= | Kommentar= im [http://som.web.cmu.edu/StructuresAppendix2.pdf#page=3 Anhang]}}</ref> (entspricht 3,615&nbsp;[[Wikipedia:Ångström (Einheit)|Å]]) bei 4 [[Wikipedia:Formeleinheit|Formeleinheit]]en pro [[Wikipedia:Elementarzelle|Elementarzelle]].<ref>{{Literatur| Autor= [[Wikipedia:Karl Hugo Strunz|Hugo Strunz]], [[Wikipedia:Ernest Henry Nickel|Ernest H. Nickel]] | Titel= Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System | Auflage= 9. | Verlag= E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller) | Ort= Stuttgart | Datum= 2001 | Seiten= 34 | ISBN= 3-510-65188-X}}</ref><br />
<br />
Kupfer ist ein sehr guter [[Wikipedia:Wärmeleiter|Wärmeleiter]]. Sein [[Wikipedia:Schmelzpunkt|Schmelzpunkt]] liegt bei 1083,4&nbsp;°C. Ebenso ist Kupfer ein sehr guter [[Wikipedia:elektrischer Leiter|elektrischer Leiter]] mit einer [[Wikipedia:Elektrische Leitfähigkeit|elektrischen Leitfähigkeit]] von 58&nbsp;·&nbsp;10<sup>6</sup>&nbsp;S/m. Seine [[Wikipedia:Leitfähigkeit|Leitfähigkeit]] ist nur wenig schlechter als [[Silber]] und deutlich besser als [[Gold]]. Da alle im Kupfer gelösten Beimengungen, besonders Verunreinigungen wie [[Phosphor]] und [[Eisen]]<ref>H. Keller,K. Eickhoff: Kuper und Kupferlegierungen, Springer-Verlag 2013, 54 Seiten, Seite 7</ref> die Leitfähigkeit stark herabsetzen, werden für Leiterwerkstoffe oft höchste [[Wikipedia:Stoffreinheit|Reinheitsgrade]] angestrebt.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Mohshärte|Mohshärte]] von Kupfer beträgt 2,5 bis 3, was einer [[Wikipedia:Vickershärte|Vickershärte]] (VHN) von 77–99 bei einer Prüfkraft von 100&nbsp;g entspricht. Durch [[Wikipedia:Kaltumformung|Kaltumformung]] wird die [[Wikipedia:Festigkeit|Festigkeit]] von 150…200&nbsp;MPa (Gusszustand) auf Werte um 450&nbsp;MPa erhöht. Die [[Wikipedia:Bruchdehnung|Bruchdehnung]] liegt dabei bei 4,5 % mit [[Wikipedia:Härte|Härte]]werten um 100&nbsp;[[Wikipedia:Brinellhärte|HB]]. Verformtes und anschließend [[Wikipedia:Weichglühen|weichgeglühtes]] Kupfer mit einer Festigkeit von 200…240&nbsp;MPa hat eine Bruchdehnung größer 38 % und Härtewerte um die 50&nbsp;HB.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Verformung|Weichheit]] von Kupfer erklärt zum Teil die hohe [[Wikipedia:elektrische Leitfähigkeit|elektrische Leitfähigkeit]] und die hohe [[Wikipedia:Wärmeleitfähigkeit|Wärmeleitfähigkeit]], die unter den reinen [[Wikipedia:Metalle|Metalle]]n bei [[Wikipedia:Raumtemperatur|Raumtemperatur]] die zweithöchste nach [[Silber]] ist. Dies liegt daran, dass der [[Wikipedia:Spezifischer Widerstand|spezifische Widerstand]] für den Elektronentransport in Metallen bei Raumtemperatur in erster Linie auf der [[Wikipedia:Streuung (Physik)|Streuung]] von [[Wikipedia:Elektron|Elektron]]en bei [[Wikipedia:Thermik|thermischen]] [[Wikipedia:Schwingung|Schwingung]]en des [[Wikipedia:Atomgitter|Gitters]] beruht, die in einem weichen [[Wikipedia:Metalle|Metall]] relativ schwach sind.<ref>{{cite book|author=George L. Trigg, Edmund H. Immergut|title=Encyclopedia of applied physics|url=https://books.google.com/books?id=sVQ5RAAACAAJ|accessdate=2 May 2011|year=1992|publisher=VCH Publishers|isbn=978-3-527-28126-8|pages=267–272|volume=4: Combustion to Diamagnetism}}</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Schmieden|Schmieden]] ist bei [[Wikipedia:Temperatur|Temperatur]]en von 700 bis 800&nbsp;°C sehr gut möglich. [[Wikipedia:Kaltverformung|Kaltverformung]]en sind gut ohne [[Wikipedia:Zwischenglühen|Zwischenglühen]] durchführbar.<br />
<br />
Als blankes [[Wikipedia:Metalle|Metall]] hat Kupfer eine hellrote Farbe, die [[Wikipedia:Strichfarbe|Strichfarbe]] ist rosarot. Die rote Farbe rührt daher, dass es bei normaler [[Wikipedia:Temperatur|Temperatur]] das [[Wikipedia:Komplementärfarbe|komplementäre]] grüne und blaue [[Wikipedia:Licht|Licht]] etwas mehr [[Wikipedia:Absorption (Physik)|absorbiert]]. An der [[Luft]] läuft es an und wird zunächst rotbraun. Bei weiterer [[Wikipedia:Verwitterung|Verwitterung]] und [[Wikipedia:Korrosion|Korrosion]] geht sehr langsam (oft über Jahrhunderte) die glatte Oberfläche verloren und die Farbe verändert sich durch die Bildung einer [[Wikipedia:Patina#Patina an Kupfer|Patina]] von rotbraun zu blaugrün.<br />
<br />
Kupfer ist eines der wenigen [[Wikipedia:Metalle|metallischen]] [[Chemisches Element|Elemente]] mit einer anderen natürlichen Farbe als Grau oder Silber.<ref>{{Cite book|last=Chambers|first=William|last2=Chambers|first2=Robert|title=Chambers's Information for the People|publisher=W. & R. Chambers|date=1884|volume=L|page=312|edition=5th|url=https://books.google.com/?id=eGIMAAAAYAAJ|isbn=978-0-665-46912-1}}</ref> Reines Kupfer ist orangerot und verfärbt sich an der [[Luft]] rötlich. Die charakteristische Farbe von Kupfer ergibt sich aus den [[Wikipedia:Elektronischer Übergang|elektronischen Übergängen]] zwischen der gefüllten 3d- und der halb leeren 4s-[[Wikipedia:Atomhülle|Atomhülle]] – der Energieunterschied zwischen diesen [[Wikipedia:Atomhülle|Hüllen]] entspricht orangefarbenem [[Wikipedia:Licht|Licht]].<br />
<br />
Wie bei anderen [[Wikipedia:Metalle|Metalle]]n tritt [[Wikipedia:galvanische Korrosion|galvanische Korrosion]] auf, wenn Kupfer mit einem anderen [[Wikipedia:Metalle|Metall]] in Kontakt gebracht wird.<ref>{{cite web|url=http://www.corrosion-doctors.org/Forms-galvanic/galvanic-corrosion.htm|title=Galvanic Corrosion|accessdate=2011-04-29|work=Corrosion Doctors}}</ref><br />
<br />
=== Chemische Eigenschaften ===<br />
{| class="wikitable" style="float:right; clear:right; margin-left:1em; margin-top:0;"<br />
! colspan="2" |Oxidationszustände von Kupfer<br />
|-<br />
| +1<br />
|[[Wikipedia:Kupfer(I)-chlorid|CuCl]], [[Wikipedia:Kupfer(I)-oxid|Cu<sub>2</sub>O]], [[Wikipedia:Kupferhydrid|CuH]], [[Wikipedia:Kupfer(I)-acetylid|Cu<sub>2</sub>C<sub>2</sub>]]<br />
|-<br />
|'''+2'''<br />
|[[Wikipedia:Kupfer(II)-chlorid|CuCl<sub>2</sub>]], [[Wikipedia:Kupfer(II)-oxid|CuO]], [[Wikipedia:Kupfersulfat|CuSO<sub>4</sub>]], [[Wikipedia:Kupfer(II)-acetat|Kupfer(II)-acetat]]<br />
|-<br />
| +3<br />
|KCuO<sub>2</sub>, K<sub>3</sub>CuF<sub>6</sub><br />
|-<br />
| +4<br />
|Cs<sub>2</sub>CuF<sub>6</sub><br />
|}<br />
Kupfer tritt in den [[Wikipedia:Oxidationsstufe|Oxidationsstufe]]n 0, +1, +2, +3 und +4 auf, am häufigsten sind +1 und +2, wobei +2 die stabilste Oxidationsstufe in [[Wikipedia:Wässrige Lösung|wässrigen Lösungen]] ist; Stufe +4 ist extrem selten (beispielsweise in Cs<sub>2</sub>CuF<sub>6</sub>). Kupfer(II)-Salze (z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Kupfersulfat|Kupfersulfat]]) sind meist von blauer oder grüner Farbe. Kupfer hat [[Wikipedia:chemisch|chemisch]] manche ähnliche Eigenschaften wie die in der gleichen Gruppe stehenden [[Chemisches Element|Elemente]] [[Silber]] und [[Gold]]. So scheidet sich an einem Eisennagel, der in eine [[Wikipedia:Lösung (Chemie)|Lösung]] aus Kupfersulfat getaucht wird, eine Schicht aus [[Wikipedia:Metalle|metallischem]] Kupfer ab, wofür [[Eisen]] als [[Wikipedia:Eisen(II)-sulfat|Eisensulfat]] in [[Wikipedia:Lösung (Chemie)|Lösung]] geht, weil Eisen unedler als Kupfer ist (siehe dazu auch [[Wikipedia:Spannungsreihe|Spannungsreihe]]). Kupfer wird von [[Wikipedia:Salzsäure|Salzsäure]] normalerweise nicht angegriffen,<ref>Universität Siegen: [http://www2.uni-siegen.de/~pci/versuche/v44-24-1.html Reaktion von Metallen mit Salzsäure].</ref> bei Anwesenheit von [[Sauerstoff]] jedoch stark angegriffen, von heißer [[Wikipedia:Schwefelsäure|Schwefelsäure]] wird es aufgelöst.<ref>{{Webarchiv | url=http://www.br-online.de/bildung/databrd/chemie7.htm/chem7fk2.htm | wayback=20010308061218 | text=Fakten zum Thema – Schwefelsäure}}</ref> Es löst sich auch in [[Wikipedia:Salpetersäure|Salpetersäure]]<ref>Universität Siegen: [http://www2.uni-siegen.de/~pci/versuche/v44-24-2.html Reaktion von Metallen mit Salpetersäure].</ref> und [[Wikipedia:Königswasser|Königswasser]] auf.<ref>eLexikon Chemie: [http://www.peter-hug.ch/lexikon/kupferchlorid Kupferchlorid].</ref> Eine [[Wikipedia:Gemisch|Mischung]] aus Salzsäure oder Schwefelsäure mit [[Wikipedia:Wasserstoffperoxid|Wasserstoffperoxid]] löst Kupfer sehr schnell auf. Das [[Wikipedia:Metalle|Metall]] wird auch von [[Wikipedia:Organische Säuren|organischen Säuren]] angegriffen. Gegen [[Wikipedia:Alkalische Lösung|Laugen]] verhält es sich stabil. Bei [[Wikipedia:Rotglut|Rotglut]] reagiert es mit Sauerstoff und bildet eine dicke Schicht aus [[Wikipedia:Kupfer(I)-oxid|Kupferoxid]]. Kupfer wird von [[Wikipedia:Fluor|Fluor]] und seinen [[Wikipedia:Chemische Verbindung|Verbindungen]] [[Wikipedia:Passivierung|passiviert]]. Abhängig von der [[Wikipedia:Korngröße|Korngröße]] ist Kupferpulver [[Wikipedia:entzündbar|entzündbar]] oder [[Wikipedia:Brennbarkeit|brennbar]]. Das [[Wikipedia:Metalle|Metall]] in kompakter Form ist nicht [[Wikipedia:Brennbarkeit|brennbar]] und wird nach Ausbildung einer dünnen [[Wikipedia:Oxidschicht|Oxidschicht]] von [[Luft]] und [[Wasser]] nicht weiter angegriffen, ist also gegen saubere Luft und Wasser [[Wikipedia:Chemische Beständigkeit|beständig]].<br />
<br />
In [[Wikipedia:Flüssig|flüssigem]] Kupfer lösen sich [[Sauerstoff]] und [[Wikipedia:Wasserstoff|Wasserstoff]], die sich bei der [[Wikipedia:Erstarren|Erstarrung]] der [[Wikipedia:Schmelzen|Schmelze]] zu [[Wikipedia:Wasserdampf|Wasserdampf]] umsetzen können und damit die Ursache für Gasporosität im [[Wikipedia:Gussstück|Gussstück]] bilden.<br />
<br />
In [[Sauerstoff|sauerstoffhaltigen]] Kupfersorten können beim Kontakt mit [[Wikipedia:Wasserstoff|wasserstoffhaltigen]] [[Wikipedia:Gas|Gas]]en Risse und [[Wikipedia:Hohlraum|Hohlräume]] entstehen, was zu der sogenannten [[Wikipedia:Wasserstoffversprödung#Wasserstoffversprödung bei Kupfer|Wasserstoffversprödung bei Kupfer]] führt.<br />
<br />
=== Biologische Eigenschaften ===<br />
Im Vergleich zu vielen anderen Schwermetallen ist Kupfer für höhere Organismen nur relativ schwach giftig. So kann ein Mensch täglich 0,04 Gramm Kupfer zu sich nehmen, ohne Schaden an seiner Gesundheit zu erleiden.<ref>Tägliche Aufnahme von 0,5&nbsp;mg/kg unbedenklich laut: {{Holleman-Wiberg|Auflage=102 |Startseite=1434 |Endseite= }}</ref> In freier, nicht an [[Wikipedia:Protein|Protein]]e gebundener Form wirkt Kupfer antibakteriell; man spricht hier, wie beim Silber, vom [[Wikipedia:Oligodynamie|oligodynamischen Effekt]], weshalb z.&nbsp;B. auch Blumenwasser, das in Kupfergefäßen aufbewahrt wird oder in das eine Kupfermünze gelegt wird, nicht so schnell faulig wird.<br />
<br />
==== Bakterizide Eigenschaften ====<br />
Kupfer ist für viele Mikroorganismen bereits in geringen Konzentrationen toxisch. Daher (aber auch weil leicht verlegbar) sind Wasserendleitungen oft kupferhaltig. Aufgrund der [[Wikipedia:bakterizid|bakterizid]]en Eigenschaft von Kupfer wird in Großversuchen getestet, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, Krankenhauszimmer mit kupferbeschichteten Türklinken auszustatten. So belegt eine Klinische Studie von 2008/2009, dass in der Asklepios-Klinik Wandsbeck, Hamburg, nach dem Austausch von 50 Türgriffen/-platten und Lichtschaltern die MRSA-Keime auf 63 % reduziert wurden.<ref>{{IDW-online | ID=320667 | Titel=Kupfer gegen Keime: Erwartungen wurden übertroffen | Autor=Jens Oliver Bonnet | Institution=Asklepios Kliniken Hamburg GmbH | Datum=16. Juni 2009 |Zugriff=15. September 2015}}</ref><ref>[http://www.3sat.de/page/?source=/wissenaktuell/144129/index.html Keimkiller Kupfer – Thema zu „wissen aktuell: Die Macht der Zellpiraten“].</ref> Eine Studie aus Chile stellte bei einer Luftfeuchte von 7,2 bis 19,7 % eine Reduktion der Keimzahlen auf Gegenständen aus Kupferlegierungen um bis zu 92 % fest. Eine Multicenterstudie von 2010/2011 aus den USA belegt, dass die Infektionsrate in „Kupferzimmern“ um annähernd 60 % sinkt, auf den Kupfergegenständen selbst um über 80 %. 2013 rüstete die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum Niederberg, Nordrhein-Westfalen, auf Kupferlegierungen um.<ref>[https://www.krankenhaushygiene.de/referate/ba679eab6a91471701b2cbf67f7ef52b.pdf Im Klinikalltag angekommen?Antimikrobielle Konstruktionswerkstoffe auf Basis masiven Kupfers], auf krankenhaushygiene.de</ref><br />
<br />
Die toxische Wirkung entsteht dadurch, dass Kupferionen sich an [[Wikipedia:Thiolgruppe|Thiolgruppe]]n von Proteinen binden und [[Wikipedia:Lipide|Lipide]] der [[Wikipedia:Zellmembran|Zellmembran]] peroxidieren, was zur Bildung von [[Wikipedia:Freie Radikale|freien Radikalen]] führt, welche die [[Wikipedia:Desoxyribonukleinsäure|DNA]] und Zellmembranen schädigen. Beim Menschen führt das beispielsweise im Fall von [[Wikipedia:Morbus Wilson|Morbus Wilson]] (Kupferspeicherkrankheit) zu Schädigungen der Organe mit einem hohen Kupferüberschuss.<ref>A. Ala, A. P. Walker, K. Ashkan, J. S. Dooley, M. L. Schilsky: ''Wilson’s disease.'' In: ''[[Wikipedia:The Lancet|The Lancet]].'' Band 369, Nummer 9559, Februar 2007, S.&nbsp;397–408, [[doi:10.1016/S0140-6736(07)60196-2]]. PMID 17276780.</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Kupferlegierungen|Kupferlegierungen]] mit einem Kupferanteil von mindestens 60 % zeigen auch eine toxische Wirkung gegenüber [[Wikipedia:Humane Noroviren|Noroviren]].<ref>S. L. Warnes, C. W. Keevil: ''Inactivation of norovirus on dry copper alloy surfaces.'' In: ''PLoS One.'' 8(9), 2013, e75017. PMID 24040380, {{PMC|3767632|pdf}}.</ref><br />
<br />
==== Wirkung gegen Schnecken ====<br />
Durch den Schneckenschleim wird das Kupfer im Kupferdraht oder Kupferfolie oxidiert, die als Barriere zu gefährdeten Pflanzen dient. Dadurch entsteht eine reizende Substanz, die die Schnecke daran hindert, weiter zu kriechen.<ref>ratschlag24.com: {{Webarchiv | url=http://www.ratschlag24.com/index.php/kupferdraht-gegen-schneckenplage-_72619 | archive-is=20130411173538 | text= ''Kupferdraht gegen Schneckenplage.''}} 17. März 2008.</ref><ref>{{Webarchiv|url=http://www.sat1.de/comedy_show/clever/wissensbuch/content/00632/002/ |wayback=20110526171500 |text=sat1.de: Sendung 24: ''clever! - Wissensbuch''}}.</ref><br />
<br />
==== Biologischer Kupferbedarf ====<br />
Bei den meisten Mehrzellern ist Kupfer Bestandteil vieler Enzyme ([[Wikipedia:Metalloenzyme|Metalloenzyme]]) und daher ein lebensnotwendiges [[Wikipedia:Spurenelement|Spurenelement]]. Kupfer ist Bestandteil des blauen [[Wikipedia:Hämocyanin|Hämocyanin]], das bei [[Wikipedia:Weichtier|Weichtier]]en und [[Wikipedia:Gliederfüßer|Gliederfüßer]]n als Blutfarbstoff dem Sauerstofftransport dient.<br />
<br />
Der tägliche Bedarf eines erwachsenen Menschen beträgt 1,0–1,5 Milligramm.<ref>med.de: Eintrag zu [http://www.med.de/gesundheit/ernaehrung/mineralstoffe/spurenelemente/kupfer.html Kupfer], abgerufen am 23. Februar 2013.</ref> Im menschlichen Körper wird Kupfer hauptsächlich in der Leber gespeichert.<br />
<br />
Kupfer ist vor allem in Schokolade, Leber, Getreide, Gemüse und Nüssen enthalten. Kupfermangel tritt beim Menschen selten auf, hauptsächlich bei langanhaltenden Durchfällen, frühreifen Kindern, nach einer langanhaltenden Unterernährung oder Malabsorption durch Krankheiten wie z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Zöliakie|Sprue]], [[Wikipedia:Morbus Crohn|Morbus Crohn]] oder [[Wikipedia:Mukoviszidose|Mukoviszidose]]. Die Einnahme hoher Dosen von [[Zink]], [[Eisen]] oder [[Wikipedia:Molybdat|Molybdat]] kann ebenfalls zu verringerten Kupfermengen im Körper führen.<ref name="merck" /> Das [[Wikipedia:Menkes-Syndrom|Menkes-Syndrom]] ist eine seltene angeborene Kupferstoffwechselstörung.<ref name="PMID9587146">J. F. Mercer: ''Menkes syndrome and animal models.'' In: ''The American journal of clinical nutrition.'' Band 67, Nummer 5 Suppl, Mai 1998, S.&nbsp;1022S–1028S. PMID 9587146. (Review).</ref><ref name="PMID17615395">S. Lutsenko, N. L. Barnes u.&nbsp;a.: ''Function and regulation of human copper-transporting ATPases.'' In: ''[[Wikipedia:Physiological reviews|Physiological reviews]].'' Band 87, Nummer 3, Juli 2007, S.&nbsp;1011–1046, [[doi:10.1152/physrev.00004.2006]]. PMID 17615395. (Review).</ref><br />
<br />
{{Siehe auch|Kupfermangel}}<br />
<br />
==== Kupferüberschuss und Vergiftung ====<br />
[[Datei:Kayser-Fleischer ring.jpg|mini|Kupferablagerung in der Hornhaut des Auges (Kayser-Fleischer-Kornealring), ein Symptom bei der Erbkrankheit Morbus Wilson]]<br />
Überschüssiges Kupfer wird mit der [[Galle]]nflüssigkeit zur Ausscheidung in das Verdauungssystem abgegeben.<ref name="merck">[http://www.merck.com/mmhe/sec12/ch155/ch155d.html Merck Manual: Copper].</ref><br />
<br />
[[Wikipedia:Kupfersulfat|Kupfersulfat]] (Kupfervitriol) ist ein starkes [[Wikipedia:Brechmittel|Brechmittel]] und wurde deshalb zur Behandlung vieler [[Wikipedia:Vergiftung|Vergiftung]]en eingesetzt, beispielsweise durch weißen [[Phosphor]], was in diesem speziellen Fall auch noch den Vorteil hat, dass gleichzeitig der Phosphor als schwerlösliches [[Wikipedia:Kupferphosphide|Kupferphosphid]] gebunden wird.<br />
<br />
Bei der seltenen Erbkrankheit [[Wikipedia:Morbus Wilson|Morbus Wilson]] ist die Kupferausscheidung beeinträchtigt und es kommt zu vermehrter Kupferanlagerung, zuerst in der Leber, dann, wenn diese das Kupfer in den Blutkreislauf ausscheidet, auch in anderen Organen. Eine weitere ebenso seltene Erkrankung des Kupferstoffwechsels ist das [[Wikipedia:Menkes-Syndrom|Menkes-Syndrom]]. Dabei kann das Kupfer von den Zellen zwar aufgenommen, dann aber nicht mehr geordnet weitertransportiert werden, so dass einige Organe einen erhöhten, andere wiederum einen erniedrigten Kupfergehalt aufweisen.<br />
<br />
==== Kupfer und Morbus Alzheimer ====<br />
Immer wieder wurde der Zusammenhang zwischen Kupfer und der Entstehung der [[Wikipedia:Alzheimer-Krankheit|Alzheimer-Krankheit]] diskutiert. Bereits 2003 vermuteten Forscher, dass Kupfer die Produktion von Amyloid A bremst und ein Mangel an Kupfer die Alzheimerdemenz fördert.<ref name="DOI10.1073/pnas.2332818100">T. A. Bayer: ''Dietary Cu stabilizes brain superoxide dismutase 1 activity and reduces amyloid Aβ production in APP23 transgenic mice.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences.'' 100, 2003, S.&nbsp;14187–14192, [[doi:10.1073/pnas.2332818100]].</ref> Eine darauf folgende Pilotstudie mit 70 Alzheimer-Patienten konnte jedoch keine protektive Wirkung von einer erhöhten Kupfer-Einnahme zeigen, auch wenn es zu einer Stabilisierung im Abfall von Abeta42 im [[Wikipedia:Liquor cerebrospinalis|Liquor]] kam, einem Krankheitsmarker der Alzheimer-Erkrankung.<ref name="DOI10.1007/s00702-008-0136-2">Holger Kessler, Frank-Gerald Pajonk, Daniela Bach, Thomas Schneider-Axmann, Peter Falkai, Wolfgang Herrmann, Gerd Multhaup, Jens Wiltfang, Stephanie Schäfer, Oliver Wirths, Thomas A. Bayer: ''Effect of copper intake on CSF parameters in patients with mild Alzheimer’s disease: a pilot phase, 2 clinical trial.'' In: ''Journal of Neural Transmission.'' 115, 2008, S.&nbsp;1651–1659, [[doi:10.1007/s00702-008-0136-2]].</ref><br />
<br />
Andere Studien zeigten, dass Kupfer für das [[Gehirn]] schädlich sein könnte. So zeigte eine Studie mit dem [[Wikipedia:Ionophor|Ionophor]] PBT2 als Wirkstoff gegen Alzheimer gute Ergebnisse in einer Phase-II-Studie. Der Wirkstoff bindet nicht nur [[Zink]], sondern auch Kupfer und verringert somit die Konzentration von Kupfer im Gehirn.<ref>N. G. Faux, C. W. Ritchie, A. Gunn, A. Rembach, A. Tsatsanis, J. Bedo, J. Harrison, L. Lannfelt, K. Blennow, H. Zetterberg, M. Ingelsson, C. L. Masters, R. E. Tanzi, J. L. Cummings, C. M. Herd, A. I. Bush: ''PBT2 rapidly improves cognition in Alzheimer's Disease: additional phase II analyses.'' In: ''Journal of Alzheimer's disease : JAD.'' Band 20, Nummer 2, 2010, S.&nbsp;509–516, [[doi:10.3233/JAD-2010-1390]]. PMID 20164561.</ref><br />
<br />
Eine neue Studie zeigt, dass Kupfer sich bei langfristiger hoher Zufuhr in den Hirnkapillaren ablagert und dort die [[Wikipedia:Blut-Hirn-Schranke|Blut-Hirn-Schranke]] schädigen kann. Dadurch wird der Abtransport von [[Wikipedia:Beta-Amyloid|Beta-Amyloid]] behindert, die Akkumulation des Stoffes verursacht dann den [[Wikipedia:Morbus Alzheimer|Morbus Alzheimer]].<ref name="DOI10.1073/pnas.1302212110">I. Singh, A. P. Sagare, M. Coma, D. Perlmutter, R. Gelein, R. D. Bell, R. J. Deane, E. Zhong, M. Parisi, J. Ciszewski, R. T. Kasper, R. Deane: ''Low levels of copper disrupt brain amyloid-β homeostasis by altering its production and clearance.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences.'' S.&nbsp;, [[doi:10.1073/pnas.1302212110]].</ref><br />
<br />
== Verwendung {{Anker|OFC}} ==<br />
[[Datei:Kupferlitze.jpg|mini|hochkant=0.8|Elektrische Leitung ([[Wikipedia:Litze (Elektrotechnik)|Litze]])]]<br />
[[Datei:Brueningtaler.jpg|mini|hochkant=0.8|Der „[[Wikipedia:Brüningtaler|Brüningtaler]]“&nbsp;– Kupfer- bzw. Bronze-[[Wikipedia:Kursmünze|Kursmünze]] zu 4 Reichspfennig von 1932]]<br />
[[Datei:Copper Roof Dresden 20070114.JPG|mini|hochkant=0.8|Kupferdach für das [[Wikipedia:Residenzschloss Dresden|Residenzschloss Dresden]]]]<br />
<br />
Kupfer wird rein oder als Legierung in der [[Wikipedia:Elektroinstallation|Elektroinstallation]], für Rohrleitungen (Heizung, Wasser, Gase), für Präzisionsteile, [[Wikipedia:Münze|Münze]]n, [[Wikipedia:Essbesteck|Essbesteck]], Kunstgegenstände, Musikinstrumente und vieles mehr verwendet.<br />
<br />
Wird es in Kontakt mit anderen Metallen eingesetzt, führt es bei diesen bei Feuchtigkeitseinfluss zu [[Wikipedia:Kontaktkorrosion|Kontaktkorrosion]].<br />
<br />
Nach Silber besitzt Kupfer noch vor Gold die zweithöchste elektrische Leitfähigkeit aller Stoffe und wird daher u.&nbsp;a. eingesetzt für:<br />
* [[Wikipedia:elektrische Leitung|elektrische Leitung]]en, [[Wikipedia:Schaltdraht|Schaltdrähte]] und Strom[[Wikipedia:kabel|kabel]] geringen Querschnitts, [[Wikipedia:Oberleitung|Oberleitung]]en<br />
* Leiterbahnen auf [[Wikipedia:Leiterplatte|Leiterplatte]]n und teilweise in [[Wikipedia:Integrierter Schaltkreis|integrierten Schaltkreisen]]<br />
* Elektrische Maschinen: Drahtwicklungen in [[Wikipedia:Transformator|Transformator]]en, [[Wikipedia:Drossel (Elektrotechnik)|Drosseln]]/[[Wikipedia:Spule (Elektrotechnik)|Spulen]] und [[Wikipedia:Elektromotor|Elektromotor]]en<br />
* Bauteile: Anodenkörper von [[Wikipedia:Magnetron|Magnetron]]s, [[Wikipedia:Klemme (Elektrotechnik)|Klemmen]], Bauteilanschlussbeine, Kontaktträger, Presshülsen<br />
[[Wikipedia:Aluminium|Aluminium]] ist zwar billiger und auf die Masse pro Länge bezogen ein besserer elektrischer Leiter als Kupfer. Es ist aber voluminöser. U.&nbsp;a. deshalb und auch weil Kupfer besser kontaktiert werden kann und es eine höhere Biegewechselbeständigkeit hat, wird es als Stromleiter gegenüber Aluminium meist bevorzugt, außer wenn es auf das Gewicht oder den Preis ankommt.<br />
<br />
Drähte und Litzen aus sogenanntem ''Oxygen Free Copper'' ('''OFC''', englisch für Sauerstoff-freies Kupfer mit einer Reinheit von > 99,99 %) haben ein sehr [[Wikipedia:Kornfeinung|feinkörniges]] Kristallgefüge und eine besonders hohe Ermüdungsbruchfestigkeit. Sie werden für mechanisch hochbeanspruchte Kabel und Leitungen eingesetzt.<br />
<br />
Für [[Wikipedia:Oberleitung|Oberleitung]]en werden Legierungen von Kupfer und Magnesium verwendet<ref>Deutsches Kupferinstitut: {{Webarchiv|url=http://kupferinstitut.de/front_frame/frameset.php3?idcat=122&client=1&idside=548&idcatside=695&lang=1&parent=13 |archive-is=20120716005623 |text=Kupfer und seine Anwendungen |archiv-bot=2019-04-24 08:07:22 InternetArchiveBot}}.</ref>. Dabei muss ein Kompromiss zwischen steigender Zugfestigkeit und sinkender Leitfähigkeit gefunden werden.<br />
<br />
Kupfer besitzt ein hohes [[Wikipedia:Reflexionsgrad|Reflexionsvermögen]] im [[Wikipedia:Infrarot|Infrarot]]bereich und wird daher als Spiegel für [[Wikipedia:Kohlendioxidlaser|Kohlendioxidlaser]]-Strahlen und zur Glasbeschichtung ([[Wikipedia:Mehrscheiben-Isolierglas#Wellenlängenselektive Beschichtung („Low-E“)|Isolierglas]]) eingesetzt.<br />
<br />
Wegen seiner hohen [[Wikipedia:Wärmeleitfähigkeit|Wärmeleitfähigkeit]] und Korrosionsbeständigkeit eignet es sich gut als Material für [[Wikipedia:Wärmetauscher|Wärmetauscher]], [[Wikipedia:Kühlkörper|Kühlkörper]] und Montageplatten von [[Wikipedia:Leistungshalbleiter|Leistungshalbleiter]]n.<br />
<br />
Im [[Wikipedia:Kunsthandwerk|Kunsthandwerk]] wird Kupferblech [[Wikipedia:Treibarbeit|getrieben]], das heißt durch Hämmern verformt, was aufgrund seiner Weichheit leicht möglich ist. In der bildenden Kunst wird Kupfer bis heute zur Fertigung von Druckplatten für [[Wikipedia:Kupferstich|Kupferstich]]e und [[Wikipedia:Radierung|Radierung]]en verwendet.<br />
<br />
Auch Dächer werden mit Kupferblech gedeckt, worauf sich dann eine beständige grünliche [[Wikipedia:Patina|Patina]] bildet, die aus verschiedenen [[Wikipedia:Basen (Chemie)|basischen]] [[Wikipedia:Kupfer(II)-hydroxid|Kupferhydroxiden]] bzw. [[Wikipedia:Basisches Kupfercarbonat|Kupfercarbonaten]] besteht. Diese oft fälschlich auch als „Grünspan“ (siehe [[Wikipedia:Kupferacetat|Kupferacetat]]) bezeichnete Patina schützt das darunterliegende Metall gut vor weiterer [[Wikipedia:Korrosion|Korrosion]], sodass Kupferdächer eine Lebensdauer von mehreren Jahrhunderten haben können. Kupfernägel finden beim traditionellen [[Wikipedia:Schieferdach|Schieferdach]] Verwendung.<br />
<br />
== Legierungen ==<br />
Kupfer ist auch Bestandteil vieler Legierungen wie z.&nbsp;B. [[Wikipedia:Messing|Messing]] (mit Zink), [[Wikipedia:Bronze|Bronze]] (mit Zinn) und [[Wikipedia:Neusilber|Neusilber]] (mit Zink und Nickel). Diese [[Wikipedia:Kupferlegierungen|Kupferlegierungen]] werden wegen ihrer guten Eigenschaften, wie Farbe, Korrosionsbeständigkeit und Verarbeitbarkeit gerne vielfältig eingesetzt. Man unterscheidet [[Wikipedia:Knetlegierung|Knetlegierung]]en (Messing und Neusilber) und [[Wikipedia:Gießen (Metall)|Gusswerkstoffe]] ([[Wikipedia:Rotguss|Rotguss]], Bronzen): Knetlegierungen werden durch plastisches Umformen (Warmumformen: Walzen, Schmieden usw. oder Kaltumformen: Drahtziehen, Hämmern, Kaltwalzen, Tiefziehen usw.) in die gewünschte Form gebracht, während Gusswerkstoffe meist nur schwer oder gar nicht plastisch formbar sind.<br />
<br />
Je nach [[Wikipedia:Nickel|Nickel]]zusatz verschwindet die kupfereigene Farbe und es entstehen gelbliche bis weiße korrosionsfeste Legierungen ([[Wikipedia:Kupfernickel|Kupfernickel]]).<br />
<br />
Viele Münzwerkstoffe sind auf Kupferbasis hergestellt, so ist das „[[Wikipedia:Nordisches Gold|Nordisches Gold]]“ genannte Metall der goldfarbigen Teile der Euromünzen eine Kupfer-Zink-Aluminium-Zinn-Legierung. Die Münzmetalle der bis 2001 gültigen 1-DM-Geldstücke sowie die hellen Anteile der Euromünzen bestehen aus [[Wikipedia:Kupfernickel|Kupfernickel]]-Legierungen.<br />
<br />
Kupferverbindungen kommen in [[Wikipedia:Pigment|Farbpigmenten]], als Toner, in medizinischen Präparaten und [[Wikipedia:Galvanik|galvanischen]] Oberflächenbeschichtungen zum Einsatz.<br />
<br />
{{Siehe auch|Kupferrecycling}}<br />
<br />
== Nachweis ==<br />
[[Datei:FlammenfärbungCu.png|mini|hochkant=0.5|rechts|[[Wikipedia:Flammenfärbung|Flammenfärbung]] von Kupfer]]<br />
<br />
Kupfer färbt die [[Wikipedia:Boraxperle|Boraxperle]] in der oxidierenden Flammenzone blau bis blau-grün, in der reduzierenden Flammenzone ist keine Färbung bemerkbar bzw. wird die Perle rot bis rotbraun gefärbt. Im klassischen [[Wikipedia:Kationentrenngang|Kationentrenngang]] wird Kupfer in der Schwefelwasserstoff-Gruppe gefällt und dort in der Kupfergruppe als blauer Komplex nachgewiesen. Letztere Färbung beruht darauf, dass Lösungen von Kupfer(II)-Ionen mit Ammoniak einen tiefblauen Kupfertetramminkomplex, [Cu(NH<sub>3</sub>)<sub>4</sub>]<sup>2+</sup>, bilden (siehe auch [[Wikipedia:Komplexbildungsreaktion|Komplexbildungsreaktion]]).<br />
<br />
Eine [[Wikipedia:Kaliumhexacyanoferrat(II)|Kaliumhexacyanoferrat(II)]]-Lösung fällt Kupfer(II)-Ionen als Kupfer(II)-hexacyanoferrat(II), Cu<sub>2</sub>[Fe(CN)<sub>6</sub>]. Diese Nachweisreaktion ist sehr empfindlich, d.&nbsp;h., sie zeigt auch geringe Kupfermengen an.<br />
<br />
Kupfersalze färben die Flamme (Bunsenbrennerflamme) grün bis blau ([[Wikipedia:Flammenfärbung|Flammenfärbung]], [[Wikipedia:Spektroskopie|Spektralanalyse]]).<br />
<br />
Die quantitative Bestimmung kann durch [[Wikipedia:Elektrogravimetrie|Elektrogravimetrie]] an einer [[Wikipedia:Platin|Platin]]netzkathode aus einer schwefelsauren Kupfer(II)-haltigen Lösung erfolgen. Maßanalytisch kann Kupfer durch [[Wikipedia:Iodometrie|Iodometrie]] oder [[Wikipedia:Komplexometrie|Komplexometrie]] ([[Wikipedia:Titration|Titration]] mit [[Wikipedia:Titriplex|Titriplex]]/[[Wikipedia:Komplexon|Komplexon]] III mit Indikator [[Wikipedia:Murexid|Murexid]]) bestimmt werden. Im [[Wikipedia:Spurenanalytik|Spurenbereich]] steht die [[Wikipedia:Polarographie|Differenzpulspolarographie]] zur Verfügung (Halbstufenpotential −0,62&nbsp;V gegen [[Wikipedia:Kalomelelektrode|SCE]] in 1 [[Wikipedia:Molarität|M]] [[Wikipedia:Thiocyanat|Thiocyanat]]-Lösung). [[Wikipedia:Spurenanalytik|Ultraspuren]] an Kupfer bestimmt man mittels [[Wikipedia:Voltammetrie|Inversvoltammetrie]],<ref>R. Neeb: ''Inverse Polarographie und Voltammetrie.'' Akademie-Verlag, Berlin 1969, S.&nbsp;185–188.</ref> [[Wikipedia:Atomspektrometrie|Graphitrohr-AAS]] oder [[Wikipedia:ICP-MS|ICP-MS]].<br />
<br />
Kupfer(II)-Ionen bilden mit [[Cuprizon]] (Oxalsäurebiscyclohexylidenhydrazid) in schwach alkalischer Lösung einen blauen Komplex.<br />
<br />
== Verbindungen ==<br />
=== Oxide und Hydroxide ===<br />
[[Datei:CopperIoxide.jpg|mini|[[Wikipedia:Kupfer(I)-oxid|Kupfer(I)-oxid]]]]<br />
[[Wikipedia:Kupfer(I)-oxid|Kupfer(I)-oxid]] ist rötlich und besitzt eine [[Wikipedia:Kubisches Kristallsystem|kubische Kristallstruktur]] mit der {{Raumgruppe|Pn-3m|lang}}.<ref name="brauer_979">[[Wikipedia:Georg Brauer|Georg Brauer]] (Hrsg.), unter Mitarbeit von [[Wikipedia:Marianne Baudler|Marianne Baudler]] u.&nbsp;a.: ''Handbuch der Präparativen Anorganischen Chemie.'' 3., umgearbeitete Auflage. Band II, Ferdinand Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-87813-3, S. 979.</ref> Es wird als [[Wikipedia:Pigmente|Pigment]] in [[Wikipedia:Glas|Glas]], [[Wikipedia:Keramik|Keramik]], [[Wikipedia:Email|Email]], Porzellanlasur sowie als [[Wikipedia:Optisches Glas|optisches Glaspoliermittel]], [[Wikipedia:Insektizid|Insektizid]], [[Wikipedia:Katalysator|Katalysator]] für die [[Wikipedia:Ammoniak|Ammoniak]]herstellung, [[Wikipedia:Lösungsmittel|Lösungsmittel]] für [[Wikipedia:Chromeisenerz|Chromeisenerz]]e, in [[Wikipedia:Galvanische Zelle|galvanischen Elektroden]], in der [[Wikipedia:Pyrotechnik|Pyrotechnik]], [[Wikipedia:Wolkenbildung|Wolkenbildung]], [[Wikipedia:Korrosionsinhibitor|Korrosionsinhibitor]]en, [[Wikipedia:Galvanisieren|Galvanisierverfahren]], [[Wikipedia:Elektronik|Elektronik]], [[Wikipedia:Textilie|Textilie]]n, als [[Wikipedia:Flammschutzmittel|Flammschutzmittel]], Kraftstoffadditiv, Katalysator zur Schadstoffbekämpfung, [[Wikipedia:Drucktechnik|Drucken]] und [[Wikipedia:Fotokopierer|Fotokopieren]] und als [[Wikipedia:Holzschutzmittel|Holzschutzmittel]] verwendet.<br />
<br />
[[Wikipedia:Kupfer(II)-oxid|Kupfer(II)-oxid]] ist ein schwarzer, [[Wikipedia:Amorph|amorpher]] oder [[Wikipedia:Kristall|kristalliner]] [[Wikipedia:Feststoff|Feststoff]] und bildet eine [[Wikipedia:Monoklines Kristallsystem|monokline Kristallstruktur]] mit der {{Raumgruppe|C2/c|lang}}.<ref name=brauer_979 /> Es wird in der Keramikindustrie verwendet, um [[Wikipedia:Glas|Gläser]], [[Wikipedia:Glasur (Keramik)|Glasuren]] und [[Wikipedia:Email|Email]]s blau, grün oder rot zu färben. Es wird gelegentlich zur Einarbeitung in Mineralstoffzusätze zur Absicherung gegen [[Wikipedia:Kupfermangel|Kupfermangel]] in der Tierernährung eingesetzt. Zu seinen weiteren Anwendungen gehört die Aufbereitung von [[Wikipedia:Lösung (Chemie)|Lösungen]] für die Zellstoffindustrie.<br />
<br />
[[Wikipedia:Kupfer(II)-hydroxid|Kupfer(II)-hydroxid]] ist blau und wird zur [[Wikipedia:Herstellung|Herstellung]] von [[Wikipedia:Zellstoff|Zellstoff]], [[Wikipedia:Batterie (Elektrotechnik)|Batterieelektroden]] und anderen Kupfersalzen verwendet. Es wird als [[Wikipedia:Beizen (Holz)|Beizmittel]] beim [[Wikipedia:Färben|Färben]], als [[Wikipedia:Pigmente|Pigment]]- und [[Wikipedia:Futtermittelzusatzstoff|Futtermittelzusatz]], bei der Behandlung der Lagerfäule bei Preiselbeeren und als [[Wikipedia:Fungizid|Fungizid]] gegen bakterielle Schwachstellen bei Salat, Pfirsichen, Preiselbeeren und Walnüssen verwendet.<ref name=":0">National Pollutant Inventory: [http://www.npi.gov.au/resource/copper-and-compounds Copper and compounds]</ref><br />
<br />
=== Halogenide ===<br />
[[Wikipedia:Kupfer(II)-chlorid|Kupfer(II)-chlorid]] ist ein braunes, stark [[Wikipedia:Hygroskopisch|hygroskopisches]] Pulver. Es wird als [[Wikipedia:Katalysator|Katalysator]] für [[Wikipedia:Organische Chemie|organische]] und [[Wikipedia:Anorganische Chemie|anorganische]] [[Wikipedia:Chemische Reaktion|Reaktionen]], [[Wikipedia:Beizen (Holz)|Beizmittel]] zum [[Wikipedia:Färben|Färben]] und [[Wikipedia:Drucktechnik|Bedrucken]] von [[Wikipedia:Textilie|Textilie]]n, [[Wikipedia:Pigmente|Pigment]] für [[Wikipedia:Glas|Glas]] und [[Wikipedia:Keramik|Keramik]], [[Wikipedia:Holzschutzmittel|Holzschutzmittel]], [[Wikipedia:Desinfektionsmittel|Desinfektionsmittel]], [[Wikipedia:Insektizid|Insektizid]], [[Wikipedia:Fungizid|Fungizid]] und [[Wikipedia:Herbizid|Herbizid]] sowie als Katalysator bei der [[Wikipedia:Herstellung|Herstellung]] von [[Wikipedia:Chlor|Chlor]] aus [[Wikipedia:Chlorwasserstoff|Chlorwasserstoff]] verwendet. [[Wikipedia:Kupfer(II)-chlorid-Dihydrat|Kupfer(II)-chlorid-Dihydrat]] (CuCl<sub>2</sub> · 2 H<sub>2</sub>O) ist ein blaugrüner [[Wikipedia:Feststoff|Feststoff]].<br />
<br />
[[Wikipedia:Kupfer(I)-chlorid|Kupfer(I)-chlorid]] ist weiß und besitzt eine [[Wikipedia:Kristallstruktur|Kristallstruktur]] vom [[Wikipedia:Zinkblende|Zinkblende]]-Typ mit der {{Raumgruppe|F-43m|lang}}.<ref>[[Wikipedia:Georg Brauer|Georg Brauer]] (Hrsg.), unter Mitarbeit von [[Wikipedia:Marianne Baudler|Marianne Baudler]] u.&nbsp;a.: ''Handbuch der Präparativen Anorganischen Chemie.'' 3., umgearbeitete Auflage. Band II, Ferdinand Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-87813-3, S. 973.</ref> Es wird als [[Wikipedia:Katalysator|Katalysator]] für viele [[Wikipedia:Organische Chemie|organische]] [[Wikipedia:Chemische Reaktion|Reaktionen]] verwendet. [[Wikipedia:Ammoniaklösung|Ammoniaklösung]]en von Kupfer(I)-chlorid werden zur Reinigung von [[Wikipedia:Gas|Gas]]en von [[Wikipedia:Kohlenstoffmonoxid|Kohlenstoffmonoxid]] eingesetzt.<ref name=":0" /><br />
<br />
=== Weitere anorganische Verbindungen ===<br />
[[Datei:Copper sulfate.jpg|mini|Synthetisch hergestellte [[Wikipedia:Kupfersulfat|Kupfersulfat]]-[[Wikipedia:Pentahydrat|Pentahydrat]]-[[Wikipedia:Kristall|Kristall]]e]]<br />
[[Wikipedia:Kupfersulfat|Kupfersulfat]] kommt in der Natur als [[Wikipedia:Chalkanthit|Chalkanthit]] (Kupfersulfat-Pentahydrat, Cu[SO<sub>4</sub>] · 5H<sub>2</sub>O) und als [[Wikipedia:Boothit|Boothit]] (Kupfersulfat-Heptahydrat, Cu[SO<sub>4</sub>] · 7H<sub>2</sub>O) vor. Es dient zum [[Wikipedia:Konservierung|Konservieren]] von Häuten, zum [[Wikipedia:Gerben|Gerben]] von [[Wikipedia:Leder|Leder]], zur [[Wikipedia:Herstellung|Herstellung]] von Kupfersalzen, zum [[Wikipedia:Konservierung|Konservieren]] von Zellstoffholz und gemahlenem [[Wikipedia:Zellstoff|Zellstoff]], zur Bekämpfung des Algenwachstums in [[Wikipedia:Stehendes Gewässer|stehenden Gewässern]]. Außerdem wird es in [[Wikipedia:Galvanotechnik|Galvaniklösungen]], Wasch- und Metallmarkierungsfarben, [[Wikipedia:Erdölraffinerie|Erdölraffinerie]]n, in der [[Wikipedia:Pyrotechnik|Pyrotechnik]] und für viele andere [[Wikipedia:Industrie|industrielle]] Anwendungen eingesetzt.<ref name=":0" /><br />
<br />
=== Organische Verbindungen ===<br />
[[Datei:Copper(II)-acetate.jpg|links|mini|[[Wikipedia:Kupfer(II)-acetat|Kupfer(II)-acetat]] (Grünspan) als Pulver]]<br />
[[Wikipedia:Kupfer(II)-acetat|Kupfer(II)-acetat]] (Grünspan) bildet dunkelgrüne [[Wikipedia:Kristall|Kristall]]e. Es wird als [[Wikipedia:Fungizid|Fungizid]], [[Wikipedia:Katalysator|Katalysator]] für [[Wikipedia:Organische Chemie|organische]] [[Wikipedia:Chemische Reaktion|Reaktionen]], [[Wikipedia:Pigmente|Pigment]] für [[Wikipedia:Keramik|Keramik]]en, [[Wikipedia:Insektizid|Insektizid]], Schimmelschutzmittel, [[Wikipedia:Konservierungsmittel|Konservierungsmittel]] für [[Wikipedia:Cellulose|Cellulose]]materialien, [[Wikipedia:Stabilisator (Chemie)|Stabilisator]] für [[Wikipedia:Polyurethane|Polyurethane]] und [[Wikipedia:Nylon (Faser)|Nylons]], [[Wikipedia:Korrosionsschutzmittel|Korrosionsschutzmittel]] und Kraftstoffadditiv verwendet.<ref name=":0" /><br />
<br />
== Preisentwicklung ==<br />
[[Datei:Al-Cu-spotprice.svg|mini|hochkant=1.4|Der Kupferpreis im Vergleich zum Aluminiumpreis {{legend|#B87333|Kupfer}}<br />
{{legend|#ADB2BD|Aluminium}}]]<br />
Kupfer ist ein relativ teures Metall. Sein Preis entsteht maßgeblich an den großen [[Wikipedia:Warenbörse|Rohstoffbörsen]] und [[Wikipedia:Terminbörse|Warenterminbörsen]] der Welt. Führend im Kupferhandel ist die [[Wikipedia:London Metal Exchange|London Metal Exchange]]&nbsp;(LME).<ref>Führend im Handel mit Kupfer: [http://www.lme.com/en-gb/metals/non-ferrous/copper/ London Metal Exchange – LME Copper]. Abgerufen am 15. März 2013.</ref><br />
<br />
Der [[Wikipedia:Weltmarktpreis|Weltmarktpreis]] für Kupfer unterliegt starken [[Wikipedia:Volatilität|Schwankungen]]: Die größte Schwankung erfuhr er in den letzten 10&nbsp;Jahren [[Wikipedia:2008|im Jahre 2008]], als der Preis für Kupfer am 2.&nbsp;Juli an der LME noch zum zwischenzeitlichen Höchststand von 8.940&nbsp;[[Wikipedia:US-Dollar|USD]]/[[Wikipedia:Tonne (Einheit)|t]]<ref name="Kupferpreis 2008–2009">{{Webarchiv|url=http://finanzen.handelsblatt.com/kurse_einzelkurs_boersen.htn?i=354331&&von=02.07.2008&bis=15.04.2009 |wayback=20140812183734 |text=Entwicklung des Kupferpreises an der London Metal Exchange in der Zeit vom 2. Juli 2008 bis 15. April 2009 |archiv-bot=2019-04-24 08:07:22 InternetArchiveBot}} Quelle: Handelsblatt-Datenbank. Abgerufen am 15. März 2013.</ref> gehandelt wurde und bis zum 23. Dezember 2008 auf seinen [[Wikipedia:Extremwert|10-Jahres-Tiefststand]] von 2.825&nbsp;USD<ref name="Kupferpreis 2008–2009" /> fiel. Danach erholte sich der Kupferpreis in weniger als 4&nbsp;Monaten (15. April 2009) wieder bis auf 4.860&nbsp;USD/t.<ref name="Kupferpreis 2008–2009" /> Seinen [[Wikipedia:Extremwert|10-Jahres-Höchststand]] hatte der Kupferpreis am 14. Februar 2011 mit 10.180&nbsp;USD/t.<ref>[http://finanzen.handelsblatt.com/kurse_einzelkurs_uebersicht.htn?chart_zeit=100000&i=354331 Höchster Preis für Kupfer an der London Metal Exchange in den letzten 10 Jahren am 14. Februar 2011] Quelle: Handelsblatt. Abgerufen am 15. März 2013.</ref><br />
<br />
Von März 2012 bis März 2013 stieg der Kupferpreis in der Spitze (2.&nbsp;April 2012) bis auf 8.619,75&nbsp;USD und am 2.&nbsp;August 2012 bis auf 7.288,25&nbsp;USD.<ref>[http://finanzen.handelsblatt.com/kurse_einzelkurs_uebersicht.htn?chart_zeit=10000&i=354331 Entwicklung des Kupferpreises an der London Metal Exchange in den letzten 12 Monaten] Quelle: Handelsblatt. Abgerufen am 15. März 2013.</ref> Eine ähnliche [[Wikipedia:Spannweite (Statistik)|Spannweite]] zeigte sich auch von Oktober 2012 bis März 2013 zwischen 8.350&nbsp;USD/t und 7.577&nbsp;USD/t.<ref>[http://finanzen.handelsblatt.com/kurse_einzelkurs_uebersicht.htn?chart_zeit=600&i=354331 Entwicklung des Preises für Kupfer an der London Metal Exchange in den letzten 6 Monaten] Quelle: Handelsblatt. Abgerufen am 15. März 2013.</ref><br />
<br />
Im August 2014 lag der Weltmarktpreis für Kupfer bei etwa 7.000&nbsp;USD/t.<ref>{{Webarchiv|url=http://finanzen.handelsblatt.com/kurse_einzelkurs_boersen.htn?i=354331 |wayback=20140812183734 |text=Aktueller Preis für Kupfer an der London Metal Exchange |archiv-bot=2019-04-24 08:07:22 InternetArchiveBot}} Quelle: Handelsblatt.</ref> Dies waren nach damaligem Wechselkurs {{Wechselkurs|USD|EUR|Faktor=7000|NKS=0}}&nbsp;EUR/t.<ref name="Vorlage-Wechselkursdaten">Diese Zahl wurde mit der [[Vorlage:Wechselkurs]] ermittelt.</ref><br />
<br />
Der hohe Kupferpreis bedingt auch einen Anstieg der [[Wikipedia:Diebstahl|Diebstähle]] von kupferhaltigen Gegenständen. Besonders betroffen sind hier Erdungskabel von Eisenbahnen. Beispielsweise entstanden der Deutschen Bahn AG im Jahr 2015 rund 14 Mio. Euro Schaden.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=http://www.deutschebahn.com/presse/duesseldorf/de/hintergrund/themenschwerpunkte/9220670/themendienst_buntmetalldiebstahl.html |titel=Buntmetalldiebstahl bei der Deutschen Bahn |werk= |hrsg=Pressestelle der Deutschen Bahn |datum= |offline=ja |archiv-url=https://web.archive.org/web/20161223030430/http://www.deutschebahn.com/presse/duesseldorf/de/hintergrund/themenschwerpunkte/9220670/themendienst_buntmetalldiebstahl.html |archiv-datum=2016-12-23 |archiv-bot= |zugriff=2016-12-22 |sprache=}}</ref><br />
<br />
Einer der größten Finanzskandale der neueren Geschichte ist die [[Wikipedia:Sumitomo-Affäre|Sumitomo-Affäre]]. Sie beruhte auf dem Handel mit Kupfer. In Folge der Aufdeckung sank 1996 der Kupferpreis innerhalb eines Tages um 27 %.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* {{WikipediaDE|Kategorie:Kupfer}}<br />
* {{WikipediaDE|Kupfer}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Harry H. Binder: ''Lexikon der chemischen Elemente – das Periodensystem in Fakten, Zahlen und Daten.'' S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 3-7776-0736-3.<br />
* {{Literatur |Autor=J. W. Howard |Titel=The story of copper |Sammelwerk=Journal of Chemical Education |Band=6 |Nummer=3 |Datum=1929 |Seiten=413–431 |Online=[http://dlx.booksc.org/29900000/libgen.scimag29934000-29934999.zip/browse/10.1021/ed006p413.pdf PDF] |DOI=10.1021/ed006p413}}<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commons|Copper|Kupfer}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Praktikum Anorganische Chemie/ Kupfer}}<br />
* Mineralienatlas:Kupfer (Daten), Mineralienatlas:Mineralienportrait/Kupfer (Geschichte, Verhüttung etc.)<br />
* deutschlandfunk.de, ''Das Feature'', 18. Juli 2017, Michael Faulmüller: [http://www.deutschlandfunk.de/kupfer-element-der-zwietracht-eine-geschichte-vom-ewigen.1247.de.html?dram:article_id=386906 ''Kupfer – Element der Zwietracht: Eine Geschichte vom ewigen Kampf'']<br />
* [http://www.kupfer-institut.de/ kupfer-institut.de] (Deutsches Kupferinstitut DKI)<br />
* London Metal Exchange, [http://www.lme.com/en-gb/metals/non-ferrous/copper/ lme.com: Kupferpreis]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive /><br />
<br />
{{Navigationsleiste Periodensystem}}<br />
<br />
[[Kategorie:Chemisches Element]]<br />
[[Kategorie:Planetenmetalle|104]]<br />
<br />
{{QuelleWikipedia|datum=28. December 2019|oldid=194516226|oldid-lokal=31619|geschichte=true}}<br />
[[Kategorie:Wikipedialinks mit lokalen Entsprechungen]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=B&diff=45658
B
2022-12-06T07:47:06Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>{{Zeichen|Bb}}<br />
<br />
'''B''' bzw. '''b''' (gesprochen: [{{IPA|beː|b}}]) ist der zweite [[Wikipedia:Buchstabe|Buchstabe]] des [[Wikipedia:Lateinisches Alphabet#Klassisches lateinisches Alphabet|klassischen]] und [[Wikipedia:Lateinisches Schriftsystem|modernen lateinischen Alphabets]]. Er repräsentiert im Deutschen einen [[Wikipedia:Konsonant|Konsonant]]en. Der Buchstabe B hat in deutschen Texten eine durchschnittliche Häufigkeit von 1,89 %. Er ist damit der [[Wikipedia:Buchstabenhäufigkeit|sechzehnthäufigste Buchstabe in deutschen Texten]].<br />
<br />
==Aussprache im Deutschen==<br />
[[Datei:Fonts-B.jpg|mini|Der Buchstabe B in verschiedenen Schriftarten]]<br />
<br />
Dem [[Wikipedia:Graphem|Graphem]] ''B/b'' ist grundsätzlich das [[Wikipedia:Phonem|Phonem]] /b/, also der [[Wikipedia:stimmhafter bilabialer Plosiv|stimmhafte bilabiale Plosiv]], zugeordnet wie in ''Baum, Baby, Liebe, Robbe''. Dieser ist im Gegensatz zu seinem Gegenüber /p/ ein [[Wikipedia:Stimmhaftigkeit|stimmhaft]]er und nicht-[[Wikipedia:Aspiration (Phonetik)|aspirierter]] [[Wikipedia:Lenis|Lenis]]. ''B/b'' gehört damit zu den [[Wikipedia:Obstruent|Obstruent]]en, die sich im Deutschen jeweils in Stimmhaft-stimmlos- bzw. Lenis-Fortis-Paaren gegenüberstehen: ''b&nbsp;≠ p''.<br />
<br />
Am Wort- und Silbenende sowie vor anderen stimmlosen Obstruenten wird ''B/b'' allerdings ebenso wie sein eigentlicher [[Wikipedia:Fortis|Fortis]]-Gegenüber ''[[Wikipedia:P|P]]/p''&nbsp;– also als [[Wikipedia:stimmloser bilabialer Plosiv|stimmloser bilabialer Plosiv]] /p/&nbsp;– ausgesprochen (''lieb, lieblich, liebt, robbt, hübsch''). Wenn bei verwandten Wortformen stimmloses /p/ gesprochen wird, nennt man dies [[Wikipedia:Auslautverhärtung|Auslautverhärtung]]: ''lieb'' [-p], ''lieblich'' [-pl-], ''liebt'' [-pt] zu ''Liebe'' [-b-], ''robbt'' [-pt-] zu ''robben'' [-b-]; dagegen ist ''hübsch'' [-pʃ] ohne stimmhafte Entsprechung, also keine Auslautverhärtung.<br />
<br />
Nach einigen stimmlosen Obstruenten fällt die Aussprache des ''b'' nur fast mit der von ''p'' zusammen: ''lesbisch''. Hier liegt der realisierte Laut zwischen einem b- und p-Laut, ist nicht-aspiriert und mehr oder weniger stimmlos. Phonologisch gesehen findet in den genannten Fällen, in denen die Aussprache von der grundlegenden Aussprache abweicht (z.&nbsp;B. bei der Auslautverhärtung), eine [[Wikipedia:Neutralisation (Phonologie)|Neutralisation]] statt, das heißt die Opposition stimmhaft-stimmlos bzw. Lenis-Fortis ist in diesen Positionen aufgehoben und hat hier keine bedeutungsunterscheidende Funktion mehr.<br />
<br />
In einigen Dialekten wird es im Wortinneren und manchmal auch am Wortanfang als [[Wikipedia:Frikativ|Reibelaut]] gesprochen, wie der [[Wikipedia:Stimmhafter labiodentaler Frikativ|stimmhafte labiodentale Frikativ]] /v/ oder der [[Wikipedia:Stimmhafter bilabialer Frikativ|stimmhafte bilabiale Frikativ]] /β/.<br />
<br />
[[Datei:Fingeralphabet_B.jpg|mini|hochkant|Buchstabe B im [[Wikipedia:Fingeralphabet|Fingeralphabet]]]]<br />
Das [[Wikipedia:Fingeralphabet|Fingeralphabet]] für [[Wikipedia:Gehörlose|Gehörlose]] bzw. [[Wikipedia:Schwerhörigkeit|Schwerhörige]] stellt den Buchstaben ''B'' in Form einer geöffneten Hand mit eingeklappten [[Wikipedia:Daumen|Daumen]] dar.<br />
<br />
==Herkunft des Buchstabens==<br />
<br />
{| class="centered" style="text-align:center;" cellpadding="5"<br />
| width="130px" |[[Datei:Proto-semiticB-01.svg|x64px|Plan eines Hauses (protosinaitisch)]]<br />
| width="130px" |[[Datei:PhoenicianB-01.svg|x64px|Phönizisches Bet]][[Datei:PhoenicianB-02.png|x40px|kursives Phönizisches Bet]]<br />
| width="130px" |[[Datei:GreekB-02.png|x64px|Altgriechisches Beta]]<br />
| width="130px" |[[Datei:EtruscanB-01.svg|x64px|Etruskisches B]]<br />
| width="130px" |[[Datei:Beta uc lc.svg|x64px|Griechisches Beta]]<br />
| width="130px" |[[Datei:RomanB-01.svg|x64px|Lateinisches B]]<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
|Plan eines Hauses (protosinaitisch)<br />
|Phönizisches Bet<br />
|Altgriechisches Beta<br />
|Etruskisches B<br />
|Griechisches Beta<br />
|Lateinisches B<br />
|}<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Protosinaitische Schrift|protosinaitische Urform]] des Buchstabens stellt den Plan eines Hauses mit Ausgang dar. Die [[Wikipedia:Phönizier|Phönizier]] gaben dem Buchstaben den Namen [[Wikipedia:Beth|Bet]] (Haus), bis zum 9. Jahrhundert v. Chr. hatte sich der Buchstabe stark abstrahiert. Bereits Bet hatte den Lautwert [b]. Je nach Schreibwerkzeug konnte der Buchstabe sehr eckig oder abgerundet geschrieben werden.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:Antikes Griechenland|Griechen]] übernahmen den phönizischen Buchstaben, versahen ihn mit einer zusätzlichen Rundung und nannten ihn Beta. Den Lautwert behielten sie bei. Die [[Wikipedia:Etrusker|Etrusker]] übernahmen diesen Buchstaben als „B“, ohne ihn zu modifizieren. Da die [[Wikipedia:etruskische Sprache|etruskische Sprache]] allerdings keine stimmhaften Verschlusslaute wie [b] enthielt, verwarfen sie den Buchstaben nach kurzer Zeit.<br />
<br />
Die frühgriechische Schrift wurde von rechts nach links geschrieben. Als die Griechen die Schreibrichtung wechselten, spiegelten sie auch das Beta. Als die Römer das [[Wikipedia:Lateinisches Alphabet|lateinische Alphabet]] schufen, das ebenfalls von links nach rechts geschrieben wird, orientierten sie sich am griechischen Beta und übernahmen es ohne weitere Modifikationen.<br />
<br />
==B in der [[Eurythmie]] und [[Heileurythmie]]==<br />
[[Datei:B - Eurythmiefigur.jpg|mini|Eurythmiefigur zum Laut B]]<br />
In der [[Wikipedia:Anthroposophie|Anthroposophie]] und [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]] gibt es den Laut B als Bewegung. [[Rudolf Steiner]] entwarf [[Eurythmiefigur|Eurythmiefiguren]] vieler Laute. Der Laut B ist rechts dargestellt.<br />
<br />
==Siehe auch==<br />
[[Datei:Copte b.png|mini|bēta]]<br />
<br />
*'''[[Wikipedia:Β|Β]]''', '''β''' (Beta), der zweite Buchstabe des [[Wikipedia:Griechisches Alphabet|griechischen Alphabets]]<br />
*'''[[Wikipedia:Б|Б]]''', '''б ''' (Be), der zweite Buchstabe des [[Wikipedia:Kyrillisches Alphabet|kyrillischen Alphabets]]<br />
*'''[[Wikipedia:В|В]]''', '''в''' (We), der dritte Buchstabe des kyrillischen Alphabets<br />
*'''Ⲃ''', '''ⲃ''' (bēta), der zweite Buchstabe des [[Wikipedia:koptisches Alphabet|koptischen Alphabets]]<br />
*'''ב''', der [[Wikipedia:Hebräisches Alphabet|Hebräische]] Buchstabe [[Wikipedia:Beth|Beth]]<br />
*'''ب''', der [[Wikipedia:Arabisches Alphabet|Arabische]] Buchstabe [[Wikipedia:Bā'|Bā']]<br />
*verschiedene UNICODE-Zeichen, die vom lateinischen '''B''', '''b''' abgeleitet sind:<br />
**'''[[Wikipedia:♭|♭]]''', das Musikzeichen '''b''' oder '''Be'''<br />
**'''[[Wikipedia:␢|␢]]''', ein Symbol für das [[Wikipedia:Leerzeichen|Leerzeichen]] (englisch ''blank'')<br />
**B …<br />
***mit Akut: '''[[Wikipedia:B́|B́]]'''<br />
***mit Querstrich: '''[[Wikipedia:Ƀ|Ƀ]]''', '''ƀ'''<br />
***mit Haken: '''[[Wikipedia:Ɓ|Ɓ]]''', '''ɓ''' (Kleinbuchstabe auch [[Internationales Phonetisches Alphabet|IPA-Zeichen]])<br />
***mit oberem Balken: '''[[Wikipedia:Ƃ|Ƃ]]''', '''ƃ'''<br />
***mit Mitteltilde: '''[[ᵬ]]'''<br />
***mit Palatalhaken: '''[[ᶀ]]'''<br />
***mit Punkt darüber: '''[[Ḃ]]''', '''ḃ'''<br />
***mit Punkt darunter: '''[[Wikipedia:Ḅ|Ḅ]]''', '''ḅ'''<br />
***mit Strich darunter: '''[[Ḇ]]''', '''ḇ'''<br />
***als Kapitälchen: '''[[Wikipedia:ʙ|ʙ]]''' (auch IPA-Zeichen), daneben auch mit Querstrich: '''[[ᴃ]]'''<br />
***hochgestellt: '''[[ᴮ]]''', '''ᵇ'''<br />
***in Handschrift: '''[[ℬ]]'''<br />
**die L-B-Ligatur: '''[[Wikipedia:℔|℔]]'''<br />
**umkreistes B: '''[[Ⓑ]]''', '''[[ⓑ]]'''<br />
**geklammertes kleines b: '''[[⒝]]'''<br />
<br />
==Literatur==<br />
<br />
*{{Zedler Online|3|B (Buchstabe)|1|2}}<br />
<br />
==Weblinks==<br />
{{Commons|B}}<br />
{{Wiktionary|B}}<br />
{{Wiktionary|b}}<br />
<br />
*[http://www.wam.umd.edu/~rfradkin/alphapage.html Evolution of Alphabets] (englisch)<br />
<br />
{{NaviBlock<br />
|Navigationsleiste Lateinisches Alphabet<br />
|Navigationsleiste B-Diakritika<br />
}}{{QuelleWikipedia|lang=|quelltitel=}}<br />
[[Kategorie:Lateinischer Buchstabe]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Medizinische_Sektion_der_Freien_Hochschule_f%C3%BCr_Geisteswissenschaft&diff=45633
Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
2022-12-05T08:50:04Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>{{Infobox Organisation<br />
| Name = <br />
| Logo = <br />
| Rechtsform = <br />
| Gründungsdatum = <br />
| Breitengrad = 47.48446<br />
| Längengrad = 7.62004<br />
| ISO-Region = CH<br />
| Sitz = [[wikipedia:Dornach|Dornach]], [[wikipedia:Schweiz|Schweiz]]<br />
| Motto = <br />
| Zweck = <br />
| Aktionsraum = international<br />
| Vorsitz = [[Matthias Girke]], [[Georg Soldner]]<br />
| Geschäftsführung = <br />
| Website = [https://medsektion-goetheanum.org/medizinische-sektion/ medsektion-goetheanum.org/medizinische-sektion]<br />
}}<br />
<br />
Die '''Medizinische Sektion''' ist eine von 11 Fachrichtungen der [[Freie Hochschule für Geisteswissenschaft|Hochschule für Geisteswissenschaft]] am [[Wikipedia:Goetheanum|Goetheanum]] in [[Wikipedia:Dornach|Dornach]] ([[Wikipedia:Schweiz|Schweiz]]). Sie ist das internationale Zentrum der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophisch Medizinischen]] Bewegung. Ihre Aufgabe besteht nach eigenen Angaben darin, die [[Spiritualität|spirituelle]] Seite von [[Gesundheit]] und [[Krankheit]] zu erarbeiten und die Ergebnisse in die aktuelle [[wissenschaftliche Medizin]] und Praxis zu integrieren. Sie besteht aus einem weltweiten, interdisziplinären Netzwerk.<br />
<br />
Im Einzelnen widmet sie sich folgenden Aufgaben:<br />
<br />
*der Förderung und Koordination von Forschung und Entwicklung der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]] und ihren verschiedenen Therapieformen;<br />
*der Durchführung von Kongressen, Tagungen und Konferenzen sowie von Aus- und Weiterbildungsmodulen zur Vertiefung der Anthroposophischen Medizin weltweit;<br />
*dem Publizieren von Fachartikeln insbesondere zu den 5 CARE-Gebieten in Fachjournalen und auf der Online-Plattform [[Anthromedics]]<br />
*dem Einsatz für [[Therapiefreiheit]], [[Methodenvielfalt]] und eines qualifizierten [[Medizinischer Pluralismus|Pluralismus in der Medizin]].<br />
<br />
==Internationale Koordination Anthroposophische Medizin (IKAM)==<br />
IKAM ist die "Internationale Koordination Anthroposophische Medizin" in der Medizinischen Sektion am Goetheanum. Ihre Aufgabe liegt in der "Gesamtleitung" der anthroposophisch-medizinischen Bewegung.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.anthroposophie.ch/de/medizin/news/artikel/was-sind-die-aufgaben-der-internationalen-koordination-anthroposophische-medizin.html |titel=Was ist die IKAM? |werk=Website Anthroposophische Gesellschaft Schweiz |hrsg= |datum= |abruf=2020-09-19 |sprache=}}</ref> Die verschiedenen Therapierichtungen der Anthroposophisch Medizinischen Bewegung stellen hier jeweils eine* Vertreter*in.<br />
<br />
==CARE-Gebiete==<br />
Die CARE-Gebiete widmen sich in mehrjähriger [[Interprofessionalität|interprofessioneller]] Zusammenarbeit aktuellen gesellschaftlichen Themenfeldern.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://medsektion-goetheanum.org/care-projekte/uebersicht |titel=Arbeitsschwerpunkte der Medizinischen Sektion: die CARE-Gebiete |werk= |hrsg= |datum= |abruf=2021-10-19 |sprache=de}}</ref> Diese sind:<br />
<br />
*Schwangergeschaft, Geburt und frühe Kindheit<br />
*Umgang mit Fieber und Infektionserkrankungen<br />
*Angst und depressive Störungen<br />
*Onkologe<br />
*Palliativmedizin<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*Website der medizinischen Sektion am Goetheanum: [https://medsektion-goetheanum.org/medizinische-sektion/ medsektion-goetheanum.org/medizinische-sektion/]<br />
*IKAM: https://medsektion-goetheanum.org/anthroposophische-medizin/fachbereiche/<br />
<br />
==Quellen==<br />
<br />
*{{Internetquelle |autor= |url=https://medsektion-goetheanum.org/medizinische-sektion/ |titel=Medizinische Sektion |werk= |hrsg= |datum= |abruf=2020-09-18 |sprache=}}<br />
<br />
==Einzelnachweisliste==<br />
[[Kategorie:Organisation (Medizin)]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
[[Kategorie:Medizinische Aus-, Weiter- und Fortbildung]]<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
https://de.imedwiki.org/index.php?title=Heileurythmie&diff=45632
Heileurythmie
2022-12-05T08:27:49Z
<p>Otherwikibot: Interwikilinks anpassen</p>
<hr />
<div>Die '''Heileurythmie''' oder '''Therapeutische Eurythmie''' oder '''Eurythmietherapie''' ist eine ab 1921 von [[Rudolf Steiner]] und [[Wikipedia:Marie von Sivers|Marie von Sivers]] unter Mitarbeit von [[Ita Wegman]] aus der [[Eurythmie|Eurythmie]] weiterentwickelte [[Wikipedia:Bewegungstherapie|Bewegungstherapie]] der [[Anthroposophische Medizin|Anthroposophischen Medizin]].<ref name="Hemleben">{{Literatur |Autor=Johannes Hemleben |Titel=Rudolf Steiner. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Rowohlt Taschenbuch Verlag |Ort= |Datum=1992 |ISBN=3-499-50079-5 |Seiten=110–113}}</ref><ref>{{LiteraturSteinerGA|Nummer=315|Titel=Heileurythmie}}</ref><br />
<br />
In der Anthroposophischen Medizin wird eine [[Krankheit|Erkrankung]] unter anderem als Ungleichgewicht der [[Physischer Leib|leiblichen]], [[Seele|seelischen]] und [[Geist|geistig]]-[[Individualität|individuellen]] Ebenen des [[Mensch|Menschen]] betrachtet. Gezielte Bewegungsübungen sollen die gestört angenommenen Ebenen wieder in ein harmonisches Gleichgewicht bringen. Ein Großteil der Bewegungen sind [[Laut|Lauten]] der Sprache zugeordnet, es gibt auch [[Musik|musikalische]] und weitere Elemente. Die Übungen finden meist im Stehen oder Schreiten statt. Zumeist führen die Arme Bewegungen aus und ebenso die Beine, z.B. Sprünge. Typischerweise werden die Übungen durch eine:n Therapeut:in angeleitet und vom/von der Patient:in dann selber regelmäßig geübt.<ref name=":2">{{Internetquelle| autor=Désirée Poier, Arndt Büssing| titel = Eurythmy Therapy| sprache = en| datum = 2017-07| url = https://medsektion-goetheanum.org/forschung/investigating-clinical-fields/eurythmy-therapy| abruf = 2022-12-04| werk = Internationale Koordination Anthroposophische Medizin}}</ref><br />
<br />
Es wird angenommen, dass die heileurythmischen Bewegungen auf eine Beeinflussung der [[Empfindung|Empfindungen]] des Patienten von außen nach innen zielen, also entgegengesetzt zu dem Vorgang menschlicher Gemütsäußerungen, bei dem sich Empfindungen von innen nach außen durch [[Mimik]] und [[Gestik]] äußern.<ref name="Heusser">{{cite book | title=Integrative Oncology | publisher=Oxford University Press | last1=Heusser|first1= Peter |last2=Kienle |first2=Gunver Sophia| chapter=Anthroposophic medicine, integrative oncology, and mistletoe therapy of cancer |editor=Donald Abrams, [[Andrew Weil]]|year=2009 |series=Weil Integrative Medicine Library |page=327 |isbn=978-0-19-988585-5 |url=https://books.google.com/books?id=0D-WlrrV520C&pg=PT251}}</ref><ref name=":1">{{Internetquelle |autor= |url=https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Eurythmie&oldid=217866050 |titel=Eurythmie |werk=Wikipedia |hrsg= |datum= |abruf=2021-12-29 |sprache=de}}</ref><br />
<br />
Die Fähigkeit zur therapeutischen Anwendung der Heileurythmie wird in einer mehrjährigen Berufsausbildung erworben.<ref>{{Literatur| Auflage = 1. Auflage| Verlag = Verlag am Goetheanum| ISBN = 978-3-7235-1667-6| Autor=Wilburg Keller Roth| Titel = System und Methode der Heil-Eurythmie Erläuterungen zu Rudolf Steiners Heil-Eurythmie-Kurs auf der Grundlage von Goethes naturwissenschaftlicher Methode und unter Berücksichtigung der Herz-Schrift von Thomas von Aquin| Ort = Dornach| Sprache = de| Datum = 2021|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Seiten=18|Spalten=|Kapitel=Vorwort}}</ref><br />
<br />
===Grundlagen und Geschichte===<br />
Erste Elemente einer therapeutischen Eurythmie begannen 1912.<ref name=":2" /> Im Rahmen ihrer Tätigkeit in der [[Wikipedia:Waldorfschule|Waldorfschule]] fragte Elisabeth Baumann, die zusammen mit [[Karl Schubert (Heilpädagoge)|Karl Schubert]] die Hilfsklasse betreute, Rudolf Steiner immer wieder um Rat im Zusammenhang mit schwierigen Kindern und bat um spezielle therapeutische und eurhythmische Übungen.<ref>{{Internetquelle| autor=Michaela Glöckler| titel = Entwicklung der Heileurythmie - Anthroposophie-Lebensnah.de| sprache = de| url = https://www.anthroposophie-lebensnah.de/lebensthemen/heileurythmie/entwicklung-der-heileurythmie/| abruf = 2022-12-04| werk = Anthroposophie lebensnah}}</ref> Zentrale Elemente als Grundlage der Heileurythmie stellte Rudolf Steiner 1921 in Vorträgen dar (siehe [[Heileurythmie-Kurs (GA 315)]]). Dies ging zurück auf die Fragen von Elisabeth Baumann und [[Erna van Deventer-Wolfram]], ob Rudolf Steiner "nicht etwas wie eine therapeutische Eurythmie uns systematisch lehren wollte".<ref>{{Literatur| Auflage = 1. Auflage| Verlag = Verlag am Goetheanum| ISBN = 978-3-7235-1667-6| Autor=Wilburg Keller Roth| Titel = System und Methode der Heil-Eurythmie Erläuterungen zu Rudolf Steiners Heil-Eurythmie-Kurs auf der Grundlage von Goethes naturwissenschaftlicher Methode und unter Berücksichtigung der Herz-Schrift von Thomas von Aquin| Ort = Dornach| Sprache = de| Datum = 2021|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Seiten=17|Spalten=|Kapitel=Vorwort}}</ref><br />
===Wissenschaftliche Evaluation===<br />
In einer 2008 veröffentlichten Metastudie der [[Wikipedia:Universität Witten/Herdecke|Universität Witten/Herdecke]] wurden acht Studien ausgewertet. Als Ergebnis betonen die Autoren, dass eine spezifische Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist und bemängeln die stark schwankende Qualität der betrachteten Studien. Sie bezeichnen Heileurythmie als potentiell relevanten Zusatz zu einer komplexen therapeutischen Intervention und regen weitere Forschung an.<ref name="BMC_2008">“EYT could be regarded as a potentially relevant add-on in a complex therapeutic concept which intends to support health and well-being (salutogenesis), although its specific relevance remains to be clarified. Well performed controlled studies with defined indications and treatment regimes are highly recommended.” Arndt Büssing, Thomas Ostermann, Magdalena Majorek, [[Peter Matthiessen|Peter F Matthiessen]]: ''Eurythmy Therapy in clinical studies: a systematic literature review''. In: ''BMC Complementary and Alternative Medicine'', 2008, 8, S. 8, [[doi:10.1186/1472-6882-8-8]], [http://www.biomedcentral.com/1472-6882/8/8 biomedcentral.com]</ref> Eine weitere Metastudie aus dem Jahr 2015 mit elf ausgewerteten Studien kommt zu dem Schluss, dass sich die Forschungslage seit 2008 nicht nennenswert verändert hat.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Désirée Lötzke, [[Peter Heusser]], Arndt Büssing |Titel=A systematic literature review on the effectiveness of eurythmy therapy |Sammelwerk=Journal of Integrative Medicine |Band=13 |Nummer=4 |Datum=2015-07 |DOI=10.1016/S2095-4964(15)60163-7 |Seiten=217–230 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S2095496415601637 |Abruf=2019-08-29|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}</ref><ref name=":1" /><br />
<br />
Zur Zeit findet eine Studie ([[ENTAiER-Studie|ENTAiER]]) durch das [[Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie (IFAEMM)|IFAEMM]] statt, in der [[Tai Chi]] und Heileurythmie zur [[Prävention]] bei sturzgefährdeten Menschen evaluiert werden.<ref>{{Literatur|Autor=GS Kienle, PG Werthmann, B Grotejohann, K Kaier, I Steinbrenner, S Voigt-Radloff, R Huber|Titel=A multi-centre, parallel-group, randomised controlled trial to assess the efficacy and safety of eurythmy therapy and tai chi in comparison with standard care in chronically ill elderly patients with increased risk of falling (ENTAiER): a trial protocol|Sammelwerk=BMC Geriatr|Datum=17 Mar 2020|Band=20|Nummer=1|Seiten=108|DOI=10.1186/s12877-020-1503-6|PMID=32183768|PMC=7076928}}</ref><br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*Berufsbild auf [[Anthromedics]]: https://www.anthromedics.org/BAS-0537-DE<br />
*Website zur Eurythmietherapie an der [[Medizinische Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft|medizinischen Sektion]]: https://eurythmytherapy-medsektion.net/<br />
*Forschung zur Eurythmietherapie auf der Website der [[IKAM]]: https://medsektion-goetheanum.org/forschung/investigating-clinical-fields/eurythmy-therapy<br />
*Berufsverband Deutschland: http://www.berufsverband-heileurythmie.de/<br />
*Video zur Heileurythmie: https://www.youtube.com/watch?v=riAirNVAoto<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
[[Kategorie:Heileurythmie|!]]<br />
[[Kategorie:Anthroposophische Medizin]]<br />
<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Bewegungstherapie]]<br />
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Erna van Deventer-Wolfram
2022-12-05T08:12:25Z
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<hr />
<div>'''Erna van Deventer-Wolfram''' (*31. März 1894 in [[Wikipedia:Auerbach|Auerbach]], [[Wikipedia:Deutschland|Deutschland]];<ref name=":0">{{Internetquelle| titel = Erna van Deventer-Wolfram (1894-1976)| sprache = nl| url = https://www.imkejellevandam.nl/100_jaar_euritmie/erna-van-deventer-wolfram-1894-1976-13.html| abruf = 2022-12-04| werk = 100 jaar euritmie in Nederland}}</ref> †31. Januar 1976 in [[Wikipedia:Zeist|Zeist]], [[Wikipedia:Niederlande|Niederlande]]<ref name=":0" />)<ref>{{Internetquelle| autor=MedAnt| titel = ERNA VAN DEVENTER – Una biografia| sprache = it| datum = 2021-06-08| url = https://www.medicinaantroposofica.it/pubblicazioni/erna-van-deventer-una-biografia/| abruf = 2022-12-04| werk = Società Italiana di Medicina Antroposofica}}</ref> war eine [[Eurythmie|Eurythmistin]] und [[Heileurythmie|Heileurythmistin]]. Ihre Frage an [[Rudolf Steiner]] nach einer systematischen therapeutischen Eurythmie war wegbereitend für die Entwicklung der [[Heileurythmie]].<ref name=":0" /><ref>{{Literatur| Auflage = 1. Auflage| Verlag = Verlag am Goetheanum| ISBN = 978-3-7235-1667-6| Autor=Wilburg Keller Roth| Titel = System und Methode der Heil-Eurythmie Erläuterungen zu Rudolf Steiners Heil-Eurythmie-Kurs auf der Grundlage von Goethes naturwissenschaftlicher Methode und unter Berücksichtigung der Herz-Schrift von Thomas von Aquin| Ort = Dornach| Sprache = de| Datum = 2021|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Seiten=17|Spalten=|Kapitel=Vorwort}}</ref> Zentral stand in ihrem Leben die Frage "Kann man Heilen lernen?".<ref>{{Literatur| DOI = 10.14271/DMS-21547-DE| ISSN = 0935798X| Band = 75| Nummer = 5| Seiten = 311| Autor=Matthias Mochner| Titel = Sigrid Gerbaldo: Kann man Heilen lernen? Eine biographische Studie zu Erna van Deventer| Sammelwerk = Der Merkurstab| Abruf = 2022-12-05| Sprache = de| Datum = 2022| Online = https://www.anthromedics.org/DMS-21547-DE}}</ref> Am 26. Mai 1921 heiratete sie in [[Wikipedia:Utrecht|Utrecht]] den [[Medizinstudium|Medizinstudenten]] [[Henk van Deventer]]. Im Januar 1922 fragten sie nach Eurythmie in niederländischer Sprache, für die Steiner im April 1922 in Den Haag einen Kurs gab. Erna van Deventer war bis zum Tod ihres Mannes im Jahr 1926 als Eurythmistin tätig. Später heiratete sie erneut seinen Cousin Gerrit Jan van Deventer. Mitte der 1930er Jahre nahm sie die eurythmische Arbeit in Zeist wieder auf. Sie starb am 31. Januar 1976 in Zeist.<ref name=":0" /> <br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
<br />
{{Personendaten<br />
|NAME=van Deventer-Wolfram, Erna<br />
|ALTERNATIVNAMEN=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Eurythmistin und Heileurythmistin<br />
|GEBURTSDATUM=31. März 1894<br />
|GEBURTSORT=[[Wikipedia:Auerbach|Auerbach]], [[Wikipedia:Deutschland|Deutschland]]<br />
|STERBEDATUM=31. Januar 1976<br />
|STERBEORT= [[Wikipedia:Zeist|Zeist]]<br />
}}<br />
[[Kategorie:Frau]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Anthroposoph:in]]<br />
[[Kategorie:Heileurythmie]]<br />
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Otherwikibot
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Materialismus
2022-12-01T08:54:46Z
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<hr />
<div>{{Dieser Artikel|behandelt den erkenntnistheoretischen oder ontologischen Materialismus. Zu anderen Bedeutungen siehe [[Wikipedia:Materialismus (Begriffsklärung)|Materialismus (Begriffsklärung)]].}}<br />
<br />
Der '''Materialismus''' ist eine [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretische]] und [[Wikipedia:Ontologie|ontologische]] Position, die alle [[Wikipedia:Ereignis|Vorgänge]] und Phänomene der Welt auf [[Wikipedia:Materie (Physik)|Materie]] und deren Gesetzmäßigkeiten und Verhältnisse zurückführt. Damit ist er auch eine Form des [[Wikipedia:Naturalismus (Philosophie)|Naturalismus]].<br />
<br />
In der [[Wikipedia:Grundfrage der Philosophie|Grundfrage der Philosophie]] grenzt sich der Materialismus von allen anderen Philosophien ab. Die idealistische Lösung der Grundfrage der Philosophie geht in allen Varianten vom [[Wikipedia:Priorität|Primat]] des [[Bewusstsein]]s gegenüber der Materie aus. Der Materialismus geht davon aus, dass selbst [[Wikipedia:Gedanke|Gedanke]]n, [[Wikipedia:Emotion|Gefühle]] oder das Bewusstsein auf Materie [[Reduktionismus|zurückgeführt]] werden können. Er erklärt die den [[Mensch]]en umgebende Welt und die in ihr ablaufenden Prozesse ohne [[Wikipedia:Gott|Gott]]. In der Gegenwartsphilosophie wird der Begriff „[[Wikipedia:Physikalismus (Ontologie)|Physikalismus]]“ oft gleichbedeutend mit „Materialismus“ verwendet. Gegenbegriffe sind der [[Wikipedia:Idealismus|Idealismus]], für den nur Bewusstseinsinhalte eigentlich wirklich sind, und der [[Wikipedia:Dualismus|Dualismus]], für den das Physische und das Psychische zwei strikt voneinander getrennte, eigenständig existierende Seinsbereiche darstellen.<br />
<br />
== Begriff ==<br />
Der Begriff Materialismus wurde zuerst im 17. Jahrhundert von [[Wikipedia:Henry More|Henry More]] verwendet und findet sich auch in der Korrespondenz von [[Wikipedia:Gottfried Wilhelm Leibniz|Gottfried Wilhelm Leibniz]] mit [[Wikipedia:Samuel Clarke|Samuel Clarke]] wieder.<ref>Arnim Regenbogen, Uwe Meyer (Hrsg.): ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' Verlag Felix Meiner, Hamburg 1998, ISBN 3-7873-1325-7, S. 399.</ref> In seinem heutigen Verständnis ist er eine Schöpfung des 18. Jahrhunderts.<ref>[[Wikipedia:Georg Klaus|Georg Klaus]], [[Wikipedia:Manfred Buhr|Manfred Buhr]] (Hrsg.): ''Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie'', Rowohlt, Hamburg 1972, ISBN 3-499-16155-9</ref> Noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts erscheint „Naturalist“ in den beiden grundverschiedenen Bedeutungen von „Naturwissenschaftler“ und „Materialist“. In Deutschland findet sich auch „Realist“ für „Materialist“ (W. Kraus).<br />
<br />
Schon bei [[Wikipedia:Julien Offray de La Mettrie|La Mettrie]] hat der Begriff eine zentrale Bedeutung gewonnen. In seiner Schrift ''L’homme machine'' (Der Mensch – eine Maschine) aus dem Jahre 1747 heißt es: „Ich führe die philosophischen Systeme von der menschlichen Seele auf zwei zurück. Das erste und älteste ist das System des Materialismus; das zweite ist das des ‚Spiritualismus‘.“ Auch bei Diderot in dem Enzyklopädieartikel zu ''Immaterialismus'' oder ''Spiritualismus'' (1765) und bei Holbach im ''Systeme de la nature'' (System der Natur, 1770) werden „Materialismus“ und „Immaterialismus“ oder „Spiritualismus“ einander gegenübergestellt. Holbach schreibt: „Wenn wir mit Hilfe der Erfahrung die Elemente erkennen würden, die die Grundlage des Temperaments eines Menschen oder des größeren Teils der Individuen ausmachen, aus denen sich ein Volk zusammensetzt, so wüssten wir, was für sie richtig wäre, welche Gesetze und Einrichtungen für sie notwendig und nützlich wären. Mit einem Wort: die Moral und Politik können aus dem ''Materialismus'' Vorteile ziehen, die ihnen die Lehre vom ''Spiritualismus'' niemals geben kann und an die auch nur zu denken diese Lehre sie hindert. Der Mensch wird stets für alle ein Geheimnis bleiben, die darauf beharren, ihn mit den voreingenommenen Augen der Theologie zu sehen.“ In Helvetius nachgelassenem Werk ''De l’homme'' (Vom Menschen 1772) wird betont, dass die Worte „Materialist“ und „Aufklärer“ gleichbedeutend seien.<br />
<br />
Auch Kant unterscheidet zwischen „Materialismus“ und „Spiritualismus“ (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793). Für Hegel ist der „Materialismus“, „Naturalismus“ das konsequente System des „Empirismus“ (ENZ. 1830, §&nbsp;60). Heine weist in seiner Schrift ''Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland'' (1834) darauf hin, dass man in Frankreich zwischen „Sensualismus“ einerseits und „Spiritualismus“ – manchmal auch „Rationalismus“ andererseits unterscheide. Er selbst zieht aber die Unterscheidung zwischen „Materialismus“ und „Idealismus“ vor. Den Materialismus definiert er als die Lehre von der Geisteserkenntnis durch die Erfahrung, durch die Sinne, als die Lehre von den Ideen a posteriori und den Idealismus als die Lehre von den angeborenen Ideen, von den Ideen a priori.<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
Die Ursprünge des Materialismus liegen in der griechischen [[Wikipedia:Naturphilosophie|Naturphilosophie]]. Wichtige Vordenker sind u.&nbsp;a. [[Wikipedia:Thales|Thales]], [[Wikipedia:Anaximander|Anaximander]], [[Wikipedia:Epikur|Epikur]], vor allem aber [[Wikipedia:Leukipp|Leukipp]] und [[Wikipedia:Demokrit|Demokrit]], die Begründer der materiellen [[Wikipedia:Atomistik|Atomistik]]. Die Naturphilosophen suchten natürliche Erklärungen der Wirklichkeit anstelle der mythologischen. Die Naturphilosophie gilt somit auch als Vorläuferin der modernen [[Wissenschaft]].<br />
<br />
Als Vertreter des Materialismus im Zeitalter der [[Wikipedia:Aufklärung|Aufklärung]] sind ab 1750 [[Wikipedia:Julien Offray de La Mettrie|La Mettrie]], gefolgt von [[Wikipedia:Paul Heinrich Dietrich von Holbach|d’Holbach]], [[Wikipedia:Claude Adrien Helvétius|Helvétius]] und [[Wikipedia:Denis Diderot|Diderot]] zu nennen. Für großes Aufsehen, sowohl bei den Aufklärern als auch bei deren Gegnern, sorgte 1770 die pseudonyme Veröffentlichung von Holbachs ''[[Wikipedia:System der Natur|Système de la nature]].'' Dieses zweibändige Werk legt ein [[mechanistisches Weltbild]] dar, in dem die Natur aus sich selbst wirkt und alle Prozesse [[Wikipedia:Determinismus|deterministisch]] ablaufen. Das Werk plädiert ausdrücklich für Atheismus, dem es die moralische Überlegenheit attestiert, und argumentiert gegen verschiedene [[Wikipedia:Gottesbeweis|Gottesbeweis]]e. Ein materialistisches Weltbild hatte jedoch schon über 100 Jahre früher der Philosoph [[Wikipedia:René Descartes|René Descartes]]. Er reduzierte den lebenden Organismus (auch des Menschen) auf dessen Mechanik und definierte die [[Wikipedia:Materie|Materie]] als Gegenstück zum [[Geist]].<br />
<br />
Ein streng mechanistisches, deterministisches Weltbild entwarf nach den Philosophen der Aufklärung der französische Mathematiker, Physiker und Philosoph [[Wikipedia:Pierre-Simon Laplace|Laplace]]. Er behauptete, die Kenntnis des gegenwärtigen Zustands eines jeden Teilchens im Universum erlaube es, auf Grundlage der Naturgesetze den Zustand des Universums zu jedem zukünftigen Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. [[Wikipedia:Laplacescher Dämon|Laplacescher Dämon]]). Gegen die Vorstellung vom Laplaceschen Dämon lassen sich verschiedene Einwände erheben, die auf von der Physik nach Laplace erkannten Gesetzmäßigkeiten beruhen. Der ''Laplacesche Dämon'' dient heute nur noch zur Veranschaulichung eines streng deterministischen Weltbildes.<br />
<br />
[[Wikipedia:Junghegelianer|Junghegelianische]] materialistische Wendungen des absoluten Idealismus [[Wikipedia:Hegel|Hegel]]s entwickelten [[Wikipedia:Ludwig Feuerbach|Ludwig Feuerbach]], [[Wikipedia:Karl Marx|Karl Marx]] und [[Wikipedia:Friedrich Engels|Friedrich Engels]] ab den 1840er-Jahren. Unter Rückgriff auf die englische [[Wikipedia:Klassische Nationalökonomie|Nationalökonomie]] (insbesondere [[Wikipedia:Adam Smith|Smiths]] und [[Wikipedia:David Ricardo|Ricardos]]) sowie Ideen des französischen Sozialismus begründeten Marx und Engels ihre materialistische [[Wikipedia:Geschichtsphilosophie|Geschichtsphilosophie]] (beim späten Engels und in dessen Nachfolge als [[Wikipedia:Historischer Materialismus|Historischer Materialismus]] bezeichnet) und [[Wikipedia:Dialektik bei Marx und Engels|dialektischen Methode]]. Engels wandte sich zugleich gegen den damals aufkommenden nicht-dialektischen [[Wikipedia:Naturwissenschaftlicher Materialismus ab 1850|naturwissenschaftlichen Materialismus]] – der im [[Wikipedia:Materialismusstreit|Materialismusstreit]] mit dem aufkommenden, sich ebenfalls von Hegel lossagenden [[Wikipedia:Neukantianismus|Neukantianismus]] in Konflikt geriet –, zuweilen als ''Vulgärmaterialismus'' bezeichnet. Der [[Wikipedia:Dialektischer Materialismus|dialektische Materialismus]] knüpft insbesondere an die von Engels im ''[[Wikipedia:Anti-Dühring|Anti-Dühring]]'' und der ''[[Wikipedia:Dialektik der Natur|Dialektik der Natur]]'' vorgenommene Verweltanschaulichung an und wurde mit dem historischen Materialismus zusammen hegemonialer philosophischer Grundansatz in den [[Wikipedia:Realsozialismus|realsozialistischen]] Staaten (vgl. etwa Josef Stalins ''[[Wikipedia:Über Dialektischen und Historischen Materialismus|Über Dialektischen und Historischen Materialismus]]''). Dem entgegen sehen manche marxistischen Materialisten [[Grenzen der Dialektik]], von denen bereits Marx andeutungsweise schrieb. [[Wikipedia:Georg Lukács|Georg Lukács]] sah die Dialektik auf die Menschheitsgeschichte begrenzt, während [[Wikipedia:Antonio Gramsci|Antonio Gramsci]] weder eine Beschränkung der Dialektik auf den Menschen noch eine Ausdehnung auf die Natur zu akzeptieren bereit war. Andere Marxisten gaben den Bezug auf die Dialektik weitgehend auf: Teile des Neu-Kantianismus suchten die Philosophie Kants mit dem historischen Materialismus zu verbinden. [[Wikipedia:Louis Althusser|Louis Althusser]] setzte zunächst eine [[Wikipedia:Strukturalismus|strukturalistische]] Marx-Interpretation hegelianischen Interpretationen entgegen und formulierte später in Anschluss an die griechische Atomistik einen [[Aleatorischer Materialismus|aleatorischen Materialismus]]. Der Materialismus ist je nach Strömung des [[Wikipedia:Marxismus|Marxismus]] mit einem Impetus auf Ökonomie, Gesellschaft, (Natur-)Wissenschaft, Natur oder (in Anknüpfung an die ''[[Wikipedia:Thesen über Feuerbach|Thesen über Feuerbach]]'') Praxis in unterschiedlicher Gewichtung verbunden. [[Wikipedia:Theodor W. Adorno|Theodor W. Adorno]] machte als Wesen des Marx folgenden ''kritischen'' Materialismus in Abgrenzung vom standpunktphilosophischen Vulgärmaterialismus die Kritik am Idealismus aus, was ihn für einen Ansatzpunkt seiner [[Wikipedia:negative Dialektik|negative Dialektik]] macht.<br />
<br />
In der [[Wikipedia:Analytische Philosophie|analytischen Philosophie]] finden sich viele Vertreter materialistischer Positionen. Es werden verschiedene Modelle entwickelt, wie Bewusstsein und [[Wikipedia:Sinnesempfindung|Sinnesempfindung]]en (siehe auch [[Wikipedia:Qualia|Qualia]]) in ein physikalistisches Weltbild integriert werden können. Während manche Philosophen solche Vorgänge zur Illusion erklären wollen (der [[Wikipedia:Eliminativer Materialismus|Eliminative Materialismus]] etwa bei [[Wikipedia:Paul Churchland|Paul Churchland]] und [[Wikipedia:Daniel Dennett|Daniel Dennett]]), betonen andere, dass das Psychische zwar keine eigene Seinssphäre neben dem Physischen ist, sich aber dennoch nicht völlig auf letzteres zurückführen lässt (z.&nbsp;B. der [[Wikipedia:Anomaler Monismus|Anomale Monismus]] bei [[Wikipedia:Donald Davidson|Donald Davidson]]).<br />
<br />
== Kritik am Materialismus und Auseinandersetzung mit dem Idealismus ==<br />
Der Materialismus ist seit seinen Anfängen kritisiert worden. Neben Auseinandersetzungen der verschiedenen Strömungen des Materialismus spielt dabei hauptsächlich die Auseinandersetzung zwischen Materialismus und Idealismus eine Rolle.<br />
<br />
=== Grundlegende Positionen, Erkenntnistheorie und Materialismus ===<br />
Eines der Hauptargumente von idealistischer Seite gegen den Materialismus ist, dass man mentale menschliche Fähigkeiten wie das [[Selbstbewusstsein]] nicht (rein) materiell verstehen und nicht vollständig auf [[Wikipedia:Materie|Materie]] zurückführen könne. Demgegenüber ist eines der wichtigsten Argumente gegen den Idealismus bzw. für den Materialismus, dass der Idealismus die Eigengesetzlichkeit der sinnlich wahrnehmbaren Welt und deren beobachtete Unabhängigkeit von mentalen Prozessen nicht erklären könne.<br />
<br />
Weiter wird gegen den Materialismus argumentiert, dass der Materialismus sich nicht selbst erklären könne, da er als Theorie und nicht als Materie auftritt. Darüber hinaus sei der Begriff der [[Wikipedia:Wahrheit|Wahrheit]] (bzw. die gesamte [[Erkenntnistheorie]]) rein materiell nicht zu verstehen. Die Erkenntnistheorie werde durch den Materialismus auf eine empirische Wissenschaft verkürzt. Kulturelle Inhalte, Ideen und alle immateriellen Formen hätten keine eigenständige Existenz mehr. Eine Erkenntniskritik oder eine unabhängige Reflexion der Erkenntnis seien in einem Materialismus nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. Eine Überprüfung von wissenschaftlichen Hypothesen sei nur noch innerhalb bestimmter [[Wikipedia:Metaphysik|metaphysischer]] Vorbedingungen möglich.<br />
<br />
Gegen diese Kritik wird eingewendet, dass die Materie sich sehr wohl selbst erklären könne, und zwar mittels ihrer „höchstentwickelten“ Erscheinungsform, des menschlichen Gehirns. So habe der Mensch im Verlauf von Jahrtausenden in der praktischen Auseinandersetzung in und mit der Natur (d.&nbsp;h. durch [[Wikipedia:Arbeit (Philosophie)|Arbeit]]) die Fähigkeit erlangt, seine ihm über die Sinneswahrnehmung vermittelten Erkenntnisse im Denken und in der [[Wikipedia:Sprache|Sprache]] zusammenzufassen. Die Resultate des Denkens selbst, die Ideen, seien nicht materiell, beruhten aber auf der Tätigkeit des Gehirns und seien damit Produkt der Materie.<br />
<br />
Eine wesentliche Kritik nimmt die Produkte menschlichen Geistes als Ausgangspunkt für ihre Argumentation. Selbst unter der Annahme, dass Ideen, Theorien, (Bau-)Pläne, technisches Know-how etc. vom Gehirn (und nicht vom Bewusstsein) produziert seien, müsse bedacht werden, dass diese unabhängig von ihren Urhebern (weiter-)existieren könnten. Insofern sei der Mensch von einer geistigen Welt umgeben, die sein kulturelles Erbe ausmache.<br />
<br />
Dem entgegensetzen kann man wiederum, dass diese Ideen bei anderen Menschen auch nur als Synapsenverbindungen im Gehirn gespeichert und somit nach wie vor „sterblich“ sind.<br />
<br />
=== Materialismus und die Wahrnehmung von Raum und Zeit ===<br />
Der Materialismus beruht auf der Grundannahme, dass wir die Welt so erfahren, wie sie ist, dass wir das [[Wikipedia:Ding an sich|Ding an sich]] unmittelbar wahrnehmen, oder sich unsere Erkenntnis doch jedenfalls im Sinne der [[Wikipedia:Karl Popper|Popperschen]] [[Wikipedia:Falsifikation|Falsifikation]] mittels empirischer Methoden an die Welt an sich stetig weiter annähern könne. In der Annäherung kommt das dialektische Verhältnis von absoluter und relativer Wahrheit zum Ausdruck. Somit ist die Natur um uns ein Fakt und unsere Wahrnehmung dessen richtig – wenn auch über die Sinne manches durch Farben, Klänge usw. verfälscht wird.<br />
<br />
Die Währung dieser faktischen Natur ist (trotz [[Wikipedia:Quantenphysik|Quantenphysik]] weiterhin) die Materie. Raum und Zeit sind grundlegende Existenzformen der Materie. Es gibt weder einen an sich seienden unabhängigen Raum noch eine an sich seiende unabhängige Zeit, sie sind stets an Materie gebunden.<ref>Artikel ''Raum und Zeit.'' In: Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg.): ''Philosophisches Wörterbuch.'' 11. Aufl., Leipzig 1975.</ref> Das Nebeneinander und Nacheinander der Dinge sind Raum und Zeit. Die [[Wikipedia:Relativitätstheorie|Relativitätstheorie]] hat das Verständnis von Raum und Zeit revolutioniert und Zusammenhänge aufgedeckt, die sich mathematisch präzise in Formeln fassen und durch Experimente bestätigen lassen.<br />
<br />
Die Materialisten sehen in diesen Veräußerungen einen klaren Widerspruch zu den Aussagen der Idealisten, wie [[Wikipedia:Immanuel Kant|Immanuel Kant]]. Dieser vertrat die Auffassung, dass der Mensch im Geiste nur über eine subjektive Anschauung von der Natur verfügen kann, während die wahre Seinsform der Natur ihm nicht zugänglich ist. Er ging dabei so weit zu behaupten, dass auch die Ordnungen und Strukturen, die wir wahrnehmen, nur von uns im Gedanken hinein gebracht sind.<br />
<br />
Die [[Wikipedia:evolutionäre Erkenntnistheorie|evolutionäre Erkenntnistheorie]] strebt eine Verbindung von [[Wikipedia:Physikalismus (Ontologie)|Physikalismus]] und [[Wikipedia:Idealismus|Idealismus]] an. Demnach sollen diese angeblichen geistigen [[Wikipedia:A priori|A priori]] letztlich doch [[Wikipedia:a posteriori|Aposteriori]] sein, nämlich insofern auf Erfahrung – also auf einer Wechselwirkung mit der Realität – beruhen, als unser Erkenntnisapparat sich im Laufe der Evolution an die eben vorhandene raumzeitliche Struktur seiner Umgebung angepasst habe und diese deshalb von Geburt an, ohne dass dies erlernt werden müsste, voraussetze.<br />
<br />
Geht man davon aus, dass dieser Erkenntnisapparat als Gehirn auch aus der Materie erschaffen ist und somit seine Wahrnehmung sich auf Gesetze der Physik zurück führen lässt – ohne damit zwingend das Erleben der Wahrnehmung als [[Wikipedia:Phänomen|Phänomen]] erklärt zu haben –, ist ein heute sehr populärer Schulterschluss gefunden.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Wikipedia:Atheismus|Atheismus]]<br />
* [[Wikipedia:Empirismus|Empirismus]]<br />
* [[Wikipedia:Neutraler Monismus|Neutraler Monismus]]<br />
* [[Wikipedia:Positivismus|Positivismus]]<br />
* [[Wikipedia:wissenschaftlicher Realismus|wissenschaftlicher Realismus]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg.): ''Philosophisches Wörterbuch.'' 2 Bände. 12. gegenüber der 10, neuerarbeitete und durchgesehene Auflage, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1976.<br />
* [[Wikipedia:Mario Bunge|Mario Bunge]], Martin Mahner: ''Über die Natur der Dinge. Materialismus und Wissenschaft''. Hirzel-Verlag, Stuttgart 2004.<br />
* [[Wikipedia:Eduard Jan Dijksterhuis|Eduard Jan Dijksterhuis]]: ''Die Mechanisierung des Weltbildes.'' Springer, Berlin / Heidelberg / New York 1956, {{DNB|451027213}}. (Neuauflage: 1983, ISBN 3-540-02003-9).<br />
* [[Wikipedia:Terry Eagleton|Terry Eagleton]]: ''Materialismus. Die Welt erfassen und verändern''. Promedia, Wien 2018, ISBN 978-3-85371-433-1.<br />
* Frederic Gregory: ''Scientific Materialism in Nineteenth Century Germany.'' D. Reidel, Dordrecht 1977.<br />
* [[Wikipedia:Friedrich Albert Lange|Friedrich Albert Lange]]: ''Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart.'' 2 Bände, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974.<br />
* Margarete J. Osler: ''Mechanical Philosophy.'' In: ''[[Wikipedia:New Dictionary of the History of Ideas|New Dictionary of the History of Ideas]].'' 1389–1392.<br />
* M. Overmann: ''Der Ursprung des französischen Materialismus. Die Kontinuität materialistischen Denkens von der Antike bis zur Aufklärung.'' Peter Lang, Frankfurt 1993.<br />
* Annette Wittkau-Horgby: ''Materialismus. Entstehung und Wirkung in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998.<br />
* Martin Küpper: ''Materialismus'', PapyRossa Verlag, Köln 2017, ISBN 978-3-89438-639-9.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary}}<br />
* [http://re-visionen.net/materialismus-das-ende-einer-weltanschauung/ Eckart Löhr: Materialismus – Das Ende einer Weltanschauung]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4127749-1}}<br />
<br />
[[Kategorie:Philosophische Strömung]]<br />
[[Kategorie:Philosophie des Geistes]]<br />
[[Kategorie:Ontologie]]{{QuelleWikipedia}}<br />
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Positive health
2022-10-05T07:58:53Z
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<hr />
<div>'''Positive health''' (positive Gesundheit) ist ein medizinisches Konzept, das gekennzeichnet ist durch die Suche nach einem [[Gesundheit|Gesundheitsbegriff]], der über die bloße Abwesenheit von [[Krankheit]] hinausgeht und der definierbar und messbar ist.<ref>{{Literatur| DOI = 10.1111/j.1464-0597.2008.00351.x| ISSN = 1464-0597| Band = 57| Nummer = s1| Seiten = 3-18| Autor=Martin E.P. Seligman| Titel = Positive Health| Sammelwerk = Applied Psychology| Abruf = 2022-08-21| Sprache = en| Datum = 2008| Online = https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1464-0597.2008.00351.x}}</ref> Ausgangspunkt war die Gesundheitsdefinition der WHO von 1948, die über die Jahre verschiedentlich diskutiert wurde, auch 2009 auf einer Konferenz in den Niederlanden. Hier sowie in sich anschließenden Studien wurde das Konzept positive health entwickelt. Anstelle eines auf die Krankheit bezogenen, "negativen", defizitorientierten, rein kurativen Ansatzes wird ein [[Ganzheitliche Medizin|ganzheitliches]], positives Verständnis von Gesundheit gesucht, das einen Schwerpunkt in [[Wikipedia:Resilienz|Resilienz]] und [[Wikipedia:Selbstmanagement|Selbstmanagement]] der [[Wikipedia:Patient|Patientinnen und Patienten]] hat und Gesundheit als einen dynamischen Prozess versteht,<ref>{{Literatur| Titel = Webgespräch mit Machteld Huber: Positive Health| Sammelwerk = BMC e. V.| Abruf = 2022-08-21| Sprache = de| Datum = 2021-12-01| Online = https://www.bmcev.de/event/webgespraech-mit-machteld-huber-positive-health/}}</ref> der sich in einem [[Gesundheitskontinuum|Kontinuum]] zwischen Gesundheit und Krankheit abspielt.<ref name=":0" /> Es werden Gesundheitsfaktoren (health assets) aufgesucht, die ein gesundes Leben ermöglichen, [[Gesundheitsförderung|Gesundheit fördern]] und Krankheitsrisiko und Gesundheitskosten senken.<ref>{{Internetquelle| titel = What is Positive Health?| sprache = en| url = https://positivehealthresearch.org/about| abruf = 2022-08-21| werk = positive health research}}</ref> Positive Gesundheit konzentriert sich auf die Fähigkeit, sich an soziale, körperliche und emotionale Herausforderungen anzupassen und diese selbst zu bewältigen.<ref>{{Internetquelle| autor=T. S. Berkenbosch| titel = Positive health in Dutch public health services possibilities for integration of the concept positive health in work-related activities of professionals at the Dutch Public Health Services (GGD)| format = info:eu-repo/semantics/masterThesis| sprache = en| datum = 2016-08-24| url = https://essay.utwente.nl/70840/| abruf = 2022-08-22}}</ref> Eine Pionierin von Positive health und Gründerin des [[Institute for positive health|Instituts für positive health]] ist die Ärztin [[Machteld Huber]], die zusammen mit anderen 2011 das Konzept darstellte.<ref name=":2">{{Literatur| DOI = 10.1136/bmj.d4163| Band = 343| Seiten = d4163| Autor=[[Machteld Huber]], J Knottnerus, Lawrence Green, Henriëtte Horst, Alejandro Jadad, Daan Kromhout, Brian Leonard, Kate Lorig, Maria Loureiro, Jos Meer, Paul Schnabel, Richard Smith, Chris Weel, Henk Smid| Titel = How should we define health?| Sammelwerk = BMJ (Clinical research ed.)| Datum = 2011-07-26|Hrsg=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}</ref><br />
<br />
Das [[Wikipedia:Niederlande|niederländische]] Gesundheitssystem verwendet in zunehmendem Umfang das Konzept positive health.<ref>{{Internetquelle| titel = Positive Health: what is it and how do you measure it?| sprache = en| url = https://www.universiteitleiden.nl/en/news/2021/12/positive-health-what-is-it-and-how-do-you-measure-it| abruf = 2022-08-22| werk = Leiden University}}</ref> Eine weitere Innovation des niederländischen Gesundheitssystem, die oft im Zusammenhang mit positive health genannt wird, ist das System häuslicher Pflege [[Buurtzorg]], welches in der Entstehung aber keine direkten Verbindungen mit positive health hat. Es kam allerdings in letzter Zeit zu Zusammenarbeit beider Ansätze.<br />
<br />
Die Provinz [[Wikipedia:Provinz Limburg (Niederlande)|Limburg]] der Niederlande hat als Ziel, das Konzept als Region umzusetzen.<ref>{{Literatur| DOI = 10.1186/s12889-019-6551-5| ISSN = 1471-2458| Band = 19| Seiten = 248| Autor=Sanneke J. M. Grootjans, M. M. N. Stijnen, M. E. A. L. Kroese, A. J. M. Vermeer, D. Ruwaard, M. W. J. Jansen| Titel = Positive Health beyond boundaries in community care: design of a prospective study on the effects and implementation of an integrated community approach| Sammelwerk = BMC Public Health| Datum = 2019-02-28| Online = |Hrsg=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|PMC=6396504}}</ref><ref name=":1" /><br />
<br />
Der Begriff positive health wurde auch zuvor oder anderweitig vorgeschlagen oder genutzt, z.B. von Julius Seeman<ref>{{Literatur| DOI = 10.1037//0003-066x.44.8.1099| ISSN = 0003-066X| Band = 44| Nummer = 8| Seiten = 1099-1109| Autor=J. Seeman| Titel = Toward a model of positive health| Sammelwerk = The American Psychologist| Sprache = en| Datum = 1989-08|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|PMID=2672917}}</ref>, oder Kathleen Prendergast<ref>{{Literatur| Verlag = Auckland University of Technology| Autor=Kathleen Prendergast| Titel = Toward a Framework for Positive Health| Abruf = 2022-10-04| Sprache = en| Datum = 2016| Online = https://openrepository.aut.ac.nz/handle/10292/10205}}</ref>. Ähnliche Begrifflichkeiten sind die schon länger bestehende [[positive Psychologie]]<ref>{{Internetquelle| titel = Positive Psychology {{!}} Psychology Today| sprache = en| url = https://www.psychologytoday.com/us/basics/positive-psychology| abruf = 2022-10-04}}</ref> oder [[positive Sexualität]]<ref>{{Literatur| DOI = 10.1007/s00103-012-1607-z| ISSN = 1437-1588| Band = 56| Nummer = 2| Seiten = 208-214| Autor=R. M. Anderson| Titel = Positive sexuality and its impact on overall well-being| Sammelwerk = Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz| Sprache = en| Datum = 2013-02|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=|PMID=23361205}}</ref>.<br />
<br />
==Geschichte==<br />
Die heute gemeinhin verwendete Definition von [[Gesundheit]] ist die von der [[Wikipedia:Weltgesundheitsorganisation|Weltgesundheitsorganisation (WHO)]] im Jahr 1946 formulierte: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Das Erreichen des höchstmöglichen Gesundheitsniveaus ist eines der Grundrechte jedes Menschen, ohne Unterschied der ethnischen Zugehörigkeit [original: „race“], der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.“<ref>{{Literatur| DOI = 10.17623/BZGA:224-i023-1.0| Autor=Peter Franzkowiak, Klaus Hurrelmann| Titel = Gesundheit| Reihe = BZgA-Leitbegriffe| Abruf = 2022-10-04| Sprache = de| Datum = 2022-05-19| Online = https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/gesundheit/}}</ref> Zu ihrer Zeit war diese Formulierung aufgrund ihres Umfangs und ihres Anspruchs bahnbrechend. Sie überwand die negative Definition von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit und schloss körperliche, geistige und soziale Aspekte ein. Obwohl es zu verschiedentlicher Kritik an dieser Definition in den letzten 60 Jahren kam, erfolgte keine Anpassung.<ref name=":2" /> Als Ergebnis einer Konferenz zum Gesundheitsbegriff, die 2009 in den Niederlanden stattfand, einberufen von den beiden führenden niederländischen Regierungsorganisationen, die wissenschaftliche Beratung zu Gesundheit und Gesundheitsforschung anbieten, dem Gesundheitsrat der Niederlande (GR-Gezondheidsraad) und der Niederländischen Organisation für Gesundheit Forschung und Entwicklung (ZonMw)<ref>{{Internetquelle| autor=Welzijn en Sport Ministerie van Volksgezondheid| titel = Invitational Conference 'Is health a state or an ability? Towards a dynamic concept of health' - Advisory report - The Health Council of the Netherlands| format = publicatie| sprache = en-GB| datum = 2010-07-13| url = https://www.healthcouncil.nl/documents/advisory-reports/2010/07/13/invitational-conference-is-health-a-state-or-an-ability-towards-a-dynamic-concept-of-health| abruf = 2022-10-04}}</ref>, schlugen [[Machteld Huber]] et al. angesichts zunehmender [[Chronische Erkrankung|chronischer Erkrankungen]] 2011 eine Charakterisierung mit geändertem Schwerpunkt vor. Diese umfasste neben dem Endpunkt ''vollständiger'' Gesundheit auch ein Kontinuum unterschiedlicher Gesundheitszustände und legte den Fokus auf Tätigkeit des Menschen: "Gesundheit als Fähigkeit zur Anpassung und zum Selbstmanagement, im Angesicht von sozialen, physischen und emotionalen Herausforderungen" [Health as the ability to adapt and to self manage, in the face of social, physical and emotional challenges]<ref name=":2" />.<br />
<br />
In der Folge wurde eine Studie durchgeführt, um dieses Gesundheitskonzept nach verschiedenen Richtungen zu evaluieren und operationalisieren.<ref name=":3">{{Literatur| DOI = 10.1136/bmjopen-2015-010091| ISSN = 2044-6055| Band = 6| Nummer = 1| Seiten = e010091| Autor=M Huber, M van Vliet, M Giezenberg, B Winkens, Y Heerkens, P C Dagnelie, J A Knottnerus| Titel = Towards a ‘patient-centred’ operationalisation of the new dynamic concept of health: a mixed methods study| Sammelwerk = BMJ Open| Abruf = 2022-10-04| Sprache = en| Datum = 2016-01| Online = https://bmjopen.bmj.com/lookup/doi/10.1136/bmjopen-2015-010091|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}</ref> Die Studie umfasste qualitative und quantitative Ansätze. Es wurden sieben unterschiedliche Interessengruppen mit Bezug zu Gesundheit identifiziert. Das neue Konzept wurde allgemein begrüßt, da es den Menschen als mehr als nur seine Krankheit betrachtet und sich auf die Stärken und nicht auf die Schwächen konzentriert. In der qualitativen Studie wurden 556 Gesundheitsindikatoren ermittelt, die in sechs Dimensionen eingeteilt wurden: Körperfunktionen, psychische Funktionen und Wahrnehmung, spirituelle/existentielle Dimension, Lebensqualität, soziale und gesellschaftliche Teilhabe und Alltagsfunktionalität, mit 32 zugrunde liegenden Aspekten. In der quantitativen Studie zeigte sich, dass alle Stakeholder-Gruppen Körperfunktionen als Ausdruck von Gesundheit ansehen, während es bei anderen Dimensionen erhebliche Unterschiede zwischen den Gruppen gab. Die Patienten hielten alle sechs Dimensionen für fast gleich wichtig und bevorzugten somit ein breites Gesundheitskonzept, während die Ärzte Gesundheit enger und biomedizinischer beurteilten. In der qualitativen Studie sahen 78% der Befragten ihre Gesundheitsindikatoren als repräsentativ für das Konzept an.<ref name=":3" /><br />
<br />
Das Konzept wurde positive health benannt in Anlehnung an bestehende Begrifflichkeiten.<br />
<br />
Aus den Gesundheitsdimensionen wurde ein Spinnennetzdiagramm erstellt, in dem Patient:innen ihre Selbsteinschätzung von Gesundheit zu mehreren Zeitpunkten eintragen könnnen. Huber schlägt das Instrument zur Verlaufskontrolle vor und zur Selbstevaluation von Patienten und als Diskussionsgrundlage für das ärztliche Gespräch.<br />
<br />
==Dimensionen der Gesundheit==<br />
[[Datei:Web only de.svg|alternativtext=|mini|Positive health Diagramm, deutsche Übersetzung nach Franzowiak<ref name=":0">{{Literatur| DOI = 10.17623/BZGA:224-i026-1.0| Autor=Peter Franzowiak| Titel = BZgA-Leitbegriffe: Gesundheits-Krankheits-Kontinuum| Sammelwerk = BZgA| Abruf = 2022-08-24| Sprache = de| Datum = 2022-05-19| Online = https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/gesundheits-krankheits-kontinuum/}}</ref>.]]<br />
Positive health beschreibt sechs Dimensionen:<ref>{{Internetquelle| titel = Positive health - ZonMw| sprache = en| url = https://www.zonmw.nl/en/research-and-results/positive-health/| abruf = 2022-08-22| werk = ZonMw}}</ref><ref name=":0" /> <br />
<br />
*Körperliche Funktionsfähigkeit (bodily functions),<br />
*Mentale Funktionsfähigkeit und Wahrnehmung (mental functions & perceptions),<br />
*Spirituelle/existenzielle Dimension (spiritual dimension),<br />
*Lebensqualität (quality of life),<br />
*Soziale und gesellschaftliche Teilhabe (social & societal participation),<br />
*Alltägliche Funktionsfähigkeit (daily functioning).<br />
<br />
Diese Dimensionen ergaben sich als Systematisierung aus einer Sammlung unterschiedlicher Gesundheit bestimmender Faktoren.<ref name=":3" /> Diese sind im Einzelnen:<br />
<br />
===Körperliche Funktionsfähigkeit (bodily functions)===<br />
<br />
*Medizinische Fakten (Medical facts)<br />
*Medizinische Beobachtungen (Medical observations)<br />
*Körperliche Funktionsfähigkeit (Physical functioning)<br />
*Beschwerden und Schmerzen (Complaints and pain)<br />
*Energie (Energy)<ref name=":1">{{Literatur| Autor=Machteld Huber| Titel = ‘Positive Health’; A new, dynamic concept of health| Ort = Maastricht| Abruf = 2022-10-04| Sprache = en| Datum = 2017-11-23| Online = https://euprevent.eu/wp-content/uploads/2017/11/2.-Machteld-Huber-Positive-Health.pdf}}</ref><br />
<br />
===Mentale Funktionsfähigkeit und Wahrnehmung (mental functions & perceptions)===<br />
<br />
*Kognitive Funktionsfähigkeit (Cognitive functioning)<br />
*Emotionaler Zustand (Emotional state)<br />
*Selbstwertgefühl/Selbstachtung (Esteem/self respect)<br />
*Kontrolle/Handhabbarkeit (In control/manageability)<br />
*Selbstmanagement (Self-management)<br />
*Resilienz & "Kohärenzgefühl (Resilience & ‘sense of coherence’)<ref name=":1" /><br />
<br />
===Spirituelle/existenzielle Dimension (spiritual dimension)===<br />
<br />
*Sinn und Zweck, Sinnhaftigkeit (Meaning/purpose meaningfulness)<br />
*Streben nach Zielen/Idealen (Striving for aims/ideals)<br />
*Zukunftsperspektiven (Future prospects)<br />
*Akzeptanz (Acceptation)<ref name=":1" /><br />
<br />
===Lebensqualität (quality of life)===<br />
<br />
*Lebensqualität/Wohlbefinden (Quality of life/well being)<br />
*Glücklichsein (Happiness)<br />
*Vergnügen (Enjoyment)<br />
*Wahrgenommene Gesundheit (Perceived health)<br />
*Bühendes Leben (Flourishing)<br />
*Lebensfreude (Zest for life)<br />
*Ausgeglichenheit (Balance)<ref name=":1" /><br />
<br />
===Soziale und gesellschaftliche Teilhabe (social & societal participation)===<br />
<br />
*Soziale und kommunikative Fähigkeiten (Social and communicative skills)<br />
*Soziale Kontakte (Social contacts)<br />
*Bedeutungsvolle Beziehungen (Meaningful relationships)<br />
*Akzeptiert werden (Being accepted)<br />
*Einbindung in die Gemeinschaft (Community involvement)<br />
*Sinnvolle Arbeit (Meaningful work)<ref name=":1" /><br />
<br />
===Alltägliche Funktionsfähigkeit (daily functioning)===<br />
<br />
*Grundlegende ADL (Aktivitäten des täglichen Lebens) (Basis ADL (Activities of Daily Living))<br />
*Instrumentelle ADL (Instrumental ADL)<br />
*Fähigkeit zu arbeiten (Ability to work)<br />
*Gesundheitsbildung (Health literacy)<ref name=":1" /><br />
<br />
==Publikationen==<br />
<br />
*{{Literatur| DOI = 10.1136/bmj.d4163| Band = 343| Seiten = d4163| Autor=[[Machteld Huber]], J Knottnerus, Lawrence Green, Henriëtte Horst, Alejandro Jadad, Daan Kromhout, Brian Leonard, Kate Lorig, Maria Loureiro, Jos Meer, Paul Schnabel, Richard Smith, Chris Weel, Henk Smid| Titel = How should we define health?| Sammelwerk = BMJ (Clinical research ed.)| Datum = 2011-07-26|Hrsg=|Nummer=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}<br />
*{{Literatur| DOI = 10.1136/bmjopen-2015-010091| ISSN = 2044-6055| Band = 6| Nummer = 1| Seiten = e010091| Autor=M Huber, M van Vliet, M Giezenberg, B Winkens, Y Heerkens, P C Dagnelie, J A Knottnerus| Titel = Towards a ‘patient-centred’ operationalisation of the new dynamic concept of health: a mixed methods study| Sammelwerk = BMJ Open| Abruf = 2022-08-28| Sprache = en| Datum = 2016-01| Online = https://bmjopen.bmj.com/lookup/doi/10.1136/bmjopen-2015-010091|Hrsg=|Auflage=|Verlag=|Ort=|ISBN=}}<br />
<br />
==Siehe auch==<br />
<br />
*[[Institute for positive health]]<br />
*[[Machteld Huber]]<br />
*[[Salutogenese]]<br />
*[[Positive Psychologie]]<br />
<br />
==Weblinks==<br />
<br />
*https://positivehealthresearch.org/<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references /><br />
[[Kategorie:Medizinisches System]]<br />
[[Kategorie:Stub]]<br />
[[Kategorie:Positive health]]<br />
[[Kategorie:Gesundheit]]<br />
[[Kategorie:Fehlende lokale verlinkte Seite mit existierender Wikipediaseite]]</div>
Otherwikibot
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Positive Psychologie
2022-10-04T07:42:34Z
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<hr />
<div>Der Begriff '''Positive Psychologie''' wurde 1954 von dem US-amerikanischen Psychologen [[Wikipedia:Abraham Maslow|Abraham Maslow]] erstmals verwendet und fand in den 1990er Jahren durch den US-amerikanischen Psychologen [[Wikipedia:Martin Seligman|Martin Seligman]] breite Aufmerksamkeit.<ref>Shane J. Lopez, Matthew W. Gallagher: ''A case for positive psychology.'' In: Shane J. Lopez, C. R. Snyder (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Positive Psychology.'' 2. Auflage. Oxford University Press, New York 2009, S. 3–6.</ref> Im Gegensatz zur traditionellen defizitorientierten Psychologie befasst sich die Positive Psychologie mit den positiven Aspekten des Menschseins, so werden etwa [[Wikipedia:Glück|Glück]], [[Wikipedia:Optimismus|Optimismus]], [[Wikipedia:Geborgenheit|Geborgenheit]], [[Wikipedia:Vertrauen|Vertrauen]], individuelle Stärken, Verzeihen ([[Wikipedia:Vergebung (Psychologie)|Vergebung]]) oder auch [[Wikipedia:Solidarität|Solidarität]] behandelt. Inzwischen benennt der Begriff eine Strömung (möglicherweise eine [[Wikipedia:Schule (Psychologie)|Schule]]) innerhalb der Psychologie.<ref>Franz-Josef Hücker, Margot Jung: ''Update on Positive Psychology. Ist die Positive Psychologie eine Anleitung zum Glücklichsein und Wohlbefinden?'' In: ''[[Wikipedia:Sozial Extra|Sozial Extra]].'' 38. Jg., 6, VS Verlag, Wiesbaden 2014, S. 6–9.</ref><br />
<br />
== Entstehung ==<br />
Der Begriff „Positive Psychology“ wurde 1954 von Abraham Maslow geprägt.<ref>Abraham H. Maslow: ''Motivation and personality.'' Brandeis University, New York 1954.</ref> Die Positive Psychologie knüpft mit ihrer Sichtweise an Ideen der [[Wikipedia:Humanistische Psychologie|Humanistischen Psychologie]] an. Viele ihrer Aspekte sind bereits in der ressourcenorientierten Psychotherapie zu finden. Der Blick auf die positiven Seiten der menschlichen Existenz ist in der Geschichte der wissenschaftlichen Psychologie nicht neu, jedoch das Bemühen um wissenschaftliche Fundierung auf breiter Basis. Im Jahr 1998 gewann der Begriff „Positive Psychology“ erneut an Popularität, als der US-amerikanische Psychologe [[Wikipedia:Martin Seligman|Martin Seligman]] das Konzept der Positiven Psychologie aufgriff und als Thema für seine Amtszeit als Präsident der [[Wikipedia:American Psychological Association|American Psychological Association]] wählte.<ref>{{Internetquelle |autor=Claudia Wallis |url=https://web.archive.org/web/20060711093607/http://www.authentichappiness.sas.upenn.edu/images/timemagazine/Time-Happiness.pdf |titel=The Science of Happiness |werk= |hrsg=Time Magazine |datum=2004 |abruf=2019-07-22 |sprache=en}}</ref><br />
<br />
== Schwerpunkte ==<br />
Im US-amerikanischen und angelsächsischen Raum spielen Charakterstärken bzw. [[Wikipedia:Tugend|Tugend]]en (''virtues'') eine bedeutende Rolle in der Forschung zur Positiven Psychologie. Christopher Peterson und Martin Seligman<ref>Christopher Peterson, Martin E. P. Seligman: ''Character strengths and virtues: A handbook and classification.'' [[Wikipedia:Oxford University Press|Oxford University Press]], New York 2004.</ref> unterscheiden sechs Tugenden, denen insgesamt 24 Charakterstärken zugeordnet sind:<br />
* Weisheit und Wissen (kognitive Stärken): [[Wikipedia:Kreativität|Kreativität]], Neugier, Aufgeschlossenheit, Lernfreude, Perspektive<br />
* Courage (emotionale Stärken): Tapferkeit, Beharrlichkeit, Integrität, Vitalität<br />
* Menschlichkeit (interpersonale Stärken): [[Wikipedia:Liebe|Liebe]], Freundlichkeit, soziale Intelligenz<br />
* Gerechtigkeit (zivile Stärken): soziale Verantwortung, [[Wikipedia:Fairness|Fairness]], Führungsstärke<br />
* Mäßigung (Stärken, die gegen Exzesse schützen): Vergeben und Mitleid, Demut und Bescheidenheit, Besonnenheit, Selbstregulation<br />
* Transzendenz (spirituelle Stärken, die mit Bedeutsamkeit zu tun haben): Wertschätzung von Schönheit und Exzellenz, Dankbarkeit, Hoffnung, Humor, Spiritualität.<br />
Park, Peterson und Seligman führten zahlreiche empirische Studien in Verbindung mit der Identifikation menschlicher Charakterstärken durch.<ref>Nansook Park, Christopher Peterson, Martin P. Seligman: ''Strengths of Character and Wellbeing.'' In: ''Journal of Social and Clinical Psychology.'' Vol. 23(5), 2004, S. 603–619.</ref><ref>Nansook Park, Christopher Peterson, Martin P. Seligman: ''Reply Strengths of Character and Wellbeing: A Closer Look at Hope and Modesty.'' In: ''Journal of Social and Clinical Psychology.'' Vol. 23(5) 2004, S. 628–634.</ref><ref>P. Alex Linley u. a.: ''Character Strengths in the United Kingdom: The VIA Inventory of Strengths.'' In: ''Personality and Individual Differences.'' Vol. 43(2) 2007, S. 341–351.</ref> Auch in der kontinental-europäischen Forschung zur Positiven Psychologie im Bildungskontext spielen Kernqualitäten eine wichtige Rolle, beispielsweise in Untersuchungen zur Förderung der persönlichen Fähigkeiten von Menschen durch positive Aktivitäten.<ref>Peter Ruit, Fred Korthagen: ''Bewustwording en ontwikkeling van kernkwaliteiten bij leerlingen.'' In: ''Tijdschrift voor orthopedagogiek.'' 51, 2012, S. 491–505.</ref><br />
<br />
== Anwendungsbereiche ==<br />
Seit der Begründung der Positiven Psychologie macht sich auch die Unternehmenspraxis deren Erkenntnisse zunutze, beispielsweise in Form des [[Wikipedia:Positive Leadership|Positive-Leadership]]-Konzepts im angelsächsischen Raum. Erziehung und Bildung sind weitere Anwendungsbereiche, in denen die Positive Psychologie in der [[Wikipedia:Arbeitswelt|Arbeitswelt]] zunehmend an Bedeutung gewinnt.<ref>Rich Gilman, E. Scott Huebner, Michael J. Furlong (Hrsg.): ''Handbook of Positive Psychology in Schools.'' Routledge, New York 2009.</ref><br />
<br />
== Ausbildung ==<br />
Die Positive Psychologie ist kein fester Bestandteil der universitären Ausbildung in Deutschland. Aus- und Weiterbildungen im deutschen Sprachraum werden bislang vorwiegend von privaten Instituten realisiert. Seit 2015 besteht die Möglichkeit ein CAS an der [[Wikipedia:Universität Zürich|Universität Zürich]] zu absolvieren.<ref>[http://www.psychologie.uzh.ch/fachrichtungen/perspsy/CAS.html Eintrag bei der Uni Zürich]</ref> Mit dem Wintersemester 2018/2019 wurde erstmals auch in Deutschland ein einsemestriges universitäres Weiterbildungsstudium an der [[Wikipedia:Universität Trier|Universität Trier]] unter der Leitung von [[Wikipedia:Michaela Brohm-Badry|Michaela Brohm-Badry]] angeboten: ''Zukunftsmanagement und Positiver Wandel (ZUPO) – Positive Psychologie, Bildung und Philosophie''.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.zupo.uni-trier.de |titel=Uni Trier: Erziehungs- und Bildungswissenschaften – Zukunftsmanagement und Positiver Wandel |zugriff=2018-07-13 |sprache=de}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=http://www.zupo.eu/termine-i-zulassung-i-kosten/wintersemester-2019-2020/ |titel=Wintersemester 2019/2020 |werk=Zukunftsmanagement und Positiver Wandel |zugriff=2019-01-10 |sprache=de-DE}}</ref> Seit 2021 ist es nun auch in Deutschland möglich, ein vollständiges Masterstudium in Positiver Psychologie und Coaching zu absolvieren<ref>{{Internetquelle |url=https://www.dhgs-hochschule.de/studienangebot/master/gesundheit/positive-psychologie-coaching/ |titel=Master Positive Psychologie & Coaching ▷ DHGS ↓ |werk=Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport |sprache=de-DE |abruf=2022-03-05}}</ref>. Deutschlands erster Masterstudiengang steht unter der Leitung von [[Wikipedia:Judith Mangelsdorf|Judith Mangelsdorf]] und ist im Rahmen einer Kooperation der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie (DGPP)<ref>{{Internetquelle |url=https://www.dgpp-online.de/ |titel=DGPP {{!}} Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie in Berlin |sprache=de |abruf=2022-03-05}}</ref> und der [[Wikipedia:Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport|Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport]] (DHGS) in Berlin, Hamburg und Ismaning studierbar. <br />
<br />
== Kritik ==<br />
Positive Psychologie steht in der Kritik. Insbesondere wird ihr vorgeworfen, die Anhänger würden unter dem Deckmantel eines „positiven Menschenbildes“ einer Ideologie anhängen, die einen Menschentyp nach den Maßgaben ökonomischer Verwertbarkeit proklamiert und glaubt, Menschen umprogrammieren zu können.<ref>https://www.lukasverlag.com/ebooks/titel/493-die-gedanken-sind-nicht-frei.html</ref><ref>''[https://www.psychologie-heute.de/beruf/39536-ideologien-statt-methoden.html Ideologien statt Methoden - Rezension des Buches „Die Gedanken sind nicht frei“ von Georg Steinmeyer]'', Bärbel Schwertfeger in ''Psychologie heute'', 2018.</ref><ref>''[https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/55972/ssoar-psychges-2012-1-mayring-Zur_Kritik_der_Positiven_Psychologie.pdf?sequence=1 Zur Kritik der Positiven Psychologie]'', Philipp Mayring im ''Social Science Open Access Repository'', GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, PDF, 2012.</ref> Insbesondere der Charaktertest der Positiven Psychologie müsse sich den Gütekriterien der wissenschaftlichen Psychologie stellen.<ref>''[https://www.wirtschaftspsychologie-heute.de/coaching-achtung-ideologie/ Coaching – Achtung Ideologie!]'', Georg Steinmeyer in ''Wirtschaftspsychologie heute'', 2020.</ref><br />
Nach der Überprüfung einiger Studien konnten positive Auswirkungen auf an [[Wikipedia:Depression|Depression]]en erkrankte Menschen überhaupt nicht mehr festgestellt werden.<ref>''[https://www.deutschlandfunkkultur.de/positive-psychologie-in-der-kritik-schluss-mit-lustig.976.de.html?dram:article_id=492004 Schluss mit lustig!- Positive Psychologie in der Kritik]'', Pia Masurczak für ''Deutschlandfunk'', 2021.</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Wikipedia:Flow (Psychologie)|Flow (Psychologie)]]<br />
* [[Wikipedia:Gewaltfreie Kommunikation|Gewaltfreie Kommunikation]] nach [[Wikipedia:Marshall B. Rosenberg|Marshall B. Rosenberg]]<br />
* [[Wikipedia:Kernqualitäten|Kernqualitäten]]<br />
* [[Wikipedia:Positive Psychotherapie|Positive Psychotherapie]]<br />
* [[Salutogenese]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* A. E. Auhagen (Hrsg.): ''Religiosität und Spiritualität.'' Kapitel ''Positive Psychologie. Anleitung zum „besseren“ Leben.'' BeltzPVU, Weinheim 2004, ISBN 3-621-27555-X, S. 67–85.<br />
*Cabanas, Edgar / Illouz, Eva: ''Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht.'' Suhrkamp, Berlin 2019, ISBN 978-3-518-46998-9.<br />
*Cederström, Carl: ''Die Phantasie vom Glück.'' Edition TIAMAT, Berlin 2019, ISBN 978-3-89320-242-3.<br />
*Cederström, Carl / Spicer, André: ''Das Wellness-Syndrom. Die Glücksdoktrin und der perfekte Mensch.'' Edition TIAMAT, Berlin 2016, ISBN 978-3-89320-205-8.<br />
*Grubner, Angelika: ''Die Macht der Psychotherapie im Neoliberalismus. Eine Streitschrift.'' Mandelbaum Verlag, Wien 2017, ISBN 978-3-85476-663-6. <br />
* Michaela Brohm, Wolfgang Endres: ''Positive Psychologie in der Schule: Die »Glücksrevolution« im Schulalltag. Mit 5x8 Übungen für die Unterrichtspraxis''. Beltz, Weinheim/ Basel 2015, ISBN 978-3-407-62924-1.<br />
* Michaela Brohm: ''Positive Psychologie in Bildungseinrichtungen: Konzepte und Strategien für Fach- und Führungskräfte (essentials)''. Springer, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-13048-0.<br />
* Rich Gilman, E. Scott Huebner, Michael J. Furlong (Hrsg.): ''Handbook of Positive Psychology in Schools.'' Routledge, New York 2009.<br />
* Stefanie Elfriede Haub: ''Positive Psychologie: Versuch einer ideologie-kritischen Inhaltsanalyse'' – Diplomarbeit an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Mai 2011.<br />
* Nansook Park, Christopher Petersen, Martin P. Seligman: ''Strengths of Character and Well-Being.'' In: ''Journal of Social and Clinical Psychology.'' Volume 23, Nr. 5, 2004.<br />
* Anthony D. Ong, Manfred H. M. van Dulmen (Hrsg.): ''Oxford Handbook of Methods in Positive Psychology.'' [[Wikipedia:Oxford University Press|Oxford University Press]], Oxford 2007, ISBN 978-0-19-517218-8.<br />
* Peter Alex Linley u. a.: ''Character Strengths in the United Kingdom: The VIA Inventory of Strengths.'' In: ''Personality and Individual Differences.'' Volume 43, 2007.<br />
* Shane J. Lopez, Matthew W. Gallagher: ''A case for positive psychology.'' In: Shane J. Lopez, C. R. Snyder (Hrsg.): ''The Oxford Handbook of Positive Psychology.'' 2. Auflage. Oxford University Press, New York 2009, ISBN 978-0-19-986216-0, S. 3–6.<br />
* Abraham H. Maslow: ''Motivation and personality''. Brandeis University, New York 1954.<br />
* Peter Ruit, Fred Korthagen: ''Bewustwording en ontwikkeling van kernkwaliteiten bij leerlingen.'' In: ''Tijdschrift voor orthopedagogiek.'' 51, 2012. ([http://www.kernquadrat.de/das-kernquadrat-in-grundschulen deutsche Übersetzung des Artikels])<br />
* Christopher Peterson, Martin E. P. Seligman: ''Character strengths and virtues: A handbook and classification''. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-516701-5.<br />
* Martin E. P. Seligman: ''Der Glücks-Faktor. Warum Optimisten länger leben''. Lübbe 2005, ISBN 3-404-60548-9.<br />
* Martin E. P. Seligman: ''Flourish – Wie Menschen aufblühen''. Kösel-Verlag, München 2012, ISBN 978-3-466-30934-4.<br />
* Georg Steinmeyer: ''Die Gedanken sind nicht frei. Coaching: eine Kritik'' Lukas Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-867-32307-9<br />
* Michael Tomoff: ''Kritisch hinterfragt – Positive Psychologie – Erfolgsgarant oder Schönmalerei?'' Springer, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-662-50386-7.<br />
*[[Wikipedia:Michaela Brohm-Badry|Michaela Brohm-Badry]], Corinna Pfeifer, Julian M. Greve (Hrsg.): ''Positive-Psychologische Forschung im deutschsprachigen Raum – State of the Art''. Pabst Science Publishers, Kengerich. 2017. ISBN 978-3-95853-310-3<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* Michaela Brohm-Badry, Benjamin Berend (2017): [https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PAD/BW2/Berend/Grundlagen_Positive_Psychologie_01.pdf Positive Psychologie: Grundlagen, Geschichte, Elemente, Zukunft] (PDF-Datei; 546 kB). Universität Trier.<br />
*Utho Creusen, Gordon Müller-Seitz: [http://www.utho-creusen.com/download/creusen-0802-PERS.pdf ''Gaudi bei Gaudi.''] (PDF-Datei; 316 kB). In: ''Personal.'' Heft 02/2008.<br />
* [http://dach-pp.eu/ DACH-PP (Deutschsprachiger Dachverband für Positive Psychologie)]<br />
* [http://www.dgppf.de/ Deutsche Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung]<br />
* [https://www.dgpp-online.de/home/positive-psychologie-2/ Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie: ''Wie entstand die Positive Psychologie?'']<br />
* Uwe Hartmann, Udo Schneider, Hinderk Emrich: [http://www.wissenschaft-online.de/artikel/835284 ''Auf der Jagd nach dem Glück.''] In: ''[[Wikipedia:Gehirn&Geist|Gehirn&Geist]].'' 04/2002.<br />
* Lisa Laurenz: [http://www.dradio.de/download/46262/ ''Ressourcen entdecken – Stärken entwickeln. Die Ziele der positiven Psychologie.''] In: ''Deutschlandradio.'' 12. Januar 2006.<br />
* Philip Mayring (2012): Zur Kritik an der Positiven Psychologie. In: Psychologie & Gesellschaftskritik 36 (1). 45 - 61 [https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/55972/ssoar-psychges-2012-1-mayring-Zur_Kritik_der_Positiven_Psychologie.pdf?sequence=1]<br />
* F. Strack, M. Argyle, N. Schwarz (Hrsg.): [http://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/volltexte/2007/2170/ ''Subjective well-being. An interdisciplinary perspective.''] Pergamon Press, Oxford 1991.<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
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{{Normdaten|TYP=s|GND=7529822-3}}<br />
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[[Kategorie:Positive Psychologie| ]]</div>
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