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==== René Descartes ====
 
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[[Datei:Descartes Epistolae London 1668-2.gif|mini|Im Lichte der Erkenntnis: eine aus lauter kleinen Kügelchen zusammengesetzte seelenlose Welt, ''Renati Descartes Epistolae'' (Londini: 1668), Bd. 1, S. 147]]
 
[[Datei:Descartes Epistolae London 1668-2.gif|mini|Im Lichte der Erkenntnis: eine aus lauter kleinen Kügelchen zusammengesetzte seelenlose Welt, ''Renati Descartes Epistolae'' (Londini: 1668), Bd. 1, S. 147]]
Macht über die Scholastik gewann der Rationalismus vor allem als eine Philosophie, die Argumentationsformen der theologischen Debatte aufnahm. Wie die Scholastiker drangen die Rationalisten auf ein Philosophieren in logischen Schlüssen, das idealen Definitionen Schlagkraft einräumt. Der große Unterschied zu den Scholastikern bestand im Umgang mit Autoritäten. Thomas von Aquin gab Aristoteles heraus – [[Wikipedia:René Descartes|René Descartes]] verband seine Philosophie stattdessen mit den Naturwissenschaften, der Mathematik und einem neuen [[Wikipedia:Materialismus|Materialismus]]. Er plädierte für eine Welt, die sich im nach ihm benannten [[Wikipedia:Kartesisches Koordinatensystem|''kartesischen Koordinatensystem'']] unterbringen ließ. Der Mensch war mit einer Maschine vergleichbar. Die Nervenstränge kommunizierten nach Descartes über Druck und Zug mit dem Gehirn.<ref>Siehe Descartes’ ''Les passions de l’âme'' dt. ''Die Leidenschaften der Seele'' (1649) und, zu Lebzeiten unveröffentlicht geblieben, sein 1632 verfasstes ''Traité de l’homme'' deutsch: ''Abhandlung über den Menschen'', 1662 unter dem Titel ''De homine'' erstmals gedruckt.</ref> Autoritäten hatten in dieser Welt keine Beweiskraft mehr.
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Macht über die Scholastik gewann der Rationalismus vor allem als eine Philosophie, die Argumentationsformen der theologischen Debatte aufnahm. Wie die Scholastiker drangen die Rationalisten auf ein Philosophieren in logischen Schlüssen, das idealen Definitionen Schlagkraft einräumt. Der große Unterschied zu den Scholastikern bestand im Umgang mit Autoritäten. Thomas von Aquin gab Aristoteles heraus – [[Wikipedia:René Descartes|René Descartes]] verband seine Philosophie stattdessen mit den Naturwissenschaften, der Mathematik und einem neuen [[Materialismus|Materialismus]]. Er plädierte für eine Welt, die sich im nach ihm benannten [[Wikipedia:Kartesisches Koordinatensystem|''kartesischen Koordinatensystem'']] unterbringen ließ. Der Mensch war mit einer Maschine vergleichbar. Die Nervenstränge kommunizierten nach Descartes über Druck und Zug mit dem Gehirn.<ref>Siehe Descartes’ ''Les passions de l’âme'' dt. ''Die Leidenschaften der Seele'' (1649) und, zu Lebzeiten unveröffentlicht geblieben, sein 1632 verfasstes ''Traité de l’homme'' deutsch: ''Abhandlung über den Menschen'', 1662 unter dem Titel ''De homine'' erstmals gedruckt.</ref> Autoritäten hatten in dieser Welt keine Beweiskraft mehr.
    
Die Beweisführungen, die Descartes für die mit [[Wikipedia:Mathematik|Mathematik]], [[Wikipedia:Geometrie|Geometrie]] und moderner [[Wikipedia:Physik|Physik]] übereinkommende Philosophie aufbot, argumentierten vom strengsten Zweifel her. Diesem widerstand nur ein Faktum: Dass man im Moment des Zweifels noch denkt und demnach existiert: „dubito ergo sum, quod vel idem est, cogito ergo sum“, „ich zweifle also bin ich, was so viel bedeutet wie, ich denke also bin ich“. Auf dem puren Beweis der Existenz ließ sich ein Beweis der Welt und Gottes aufbauen, sobald man davon ausging, dass Gott das vollkommene Wesen ist. Vollkommenheit lässt Nichtexistenz nicht zu, sie lässt auch keinen Gott zu, der einen in einem Traum verbleiben lässt. Die Welt, die man wahrnimmt, verhält sich wie eine materielle Welt. Nahm man Gott als bewiesen ins Spiel, garantierte er ihre Existenz als genau die materielle Welt, die wahrgenommen wird.<ref>Lit.: Descartes’ ''Discours de la méthode'' (1637) und seine [[Wikipedia:Meditationes de prima philosophia|Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur]] (1641) deutsch: ''Meditationen über die Erste Philosophie, in welcher die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird'' Sekundärliteratur dazu: Steven M. Duncan, ''The Proof of the External World: Cartesian Theism and the Possibility of Knowledge'' (James Clarke & Co., Cambridge 2008).</ref>
 
Die Beweisführungen, die Descartes für die mit [[Wikipedia:Mathematik|Mathematik]], [[Wikipedia:Geometrie|Geometrie]] und moderner [[Wikipedia:Physik|Physik]] übereinkommende Philosophie aufbot, argumentierten vom strengsten Zweifel her. Diesem widerstand nur ein Faktum: Dass man im Moment des Zweifels noch denkt und demnach existiert: „dubito ergo sum, quod vel idem est, cogito ergo sum“, „ich zweifle also bin ich, was so viel bedeutet wie, ich denke also bin ich“. Auf dem puren Beweis der Existenz ließ sich ein Beweis der Welt und Gottes aufbauen, sobald man davon ausging, dass Gott das vollkommene Wesen ist. Vollkommenheit lässt Nichtexistenz nicht zu, sie lässt auch keinen Gott zu, der einen in einem Traum verbleiben lässt. Die Welt, die man wahrnimmt, verhält sich wie eine materielle Welt. Nahm man Gott als bewiesen ins Spiel, garantierte er ihre Existenz als genau die materielle Welt, die wahrgenommen wird.<ref>Lit.: Descartes’ ''Discours de la méthode'' (1637) und seine [[Wikipedia:Meditationes de prima philosophia|Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur]] (1641) deutsch: ''Meditationen über die Erste Philosophie, in welcher die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird'' Sekundärliteratur dazu: Steven M. Duncan, ''The Proof of the External World: Cartesian Theism and the Possibility of Knowledge'' (James Clarke & Co., Cambridge 2008).</ref>
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[[Wikipedia:Strukturalismus|Strukturalisten]] wie [[Wikipedia:Ferdinand de Saussure|Ferdinand de Saussure]], [[Wikipedia:Claude Lévi-Strauss|Claude Lévi-Strauss]], [[Wikipedia:Roman Jacobson|Roman Jacobson]] und [[Wikipedia:Poststrukturalismus|Poststrukturalisten]] wie [[Wikipedia:Jacques Derrida|Jacques Derrida]], [[Wikipedia:Roland Barthes|Roland Barthes]] oder [[Wikipedia:Michel Foucault|Michel Foucault]] zählen in der modernen Philosophiegeschichtsschreibung nicht zu den Erkenntnistheoretikern im herkömmlichen Sinn. Ihre Arbeiten stellten Weichen auf den Gebieten der Linguistik, der Literaturwissenschaft, der aktuellen [[Wikipedia:Cultural Studies|Cultural Studies]]. Sie in einem Artikel zu Erkenntnistheorie zu erwähnen, liegt in historischer Perspektive nahe. Gemeinsam ist ihnen ein Nachdenken über die Sprache als Medium der Herstellung von Bedeutung, sowie ein grundlegendes Nachdenken über epochale kulturelle Wissensformationen. Michel Foucault bezeichnete diese Wissensformationen als „[[Wikipedia:Episteme|Episteme]]“ und fragte nach der Logik, die sie [[Wikipedia:Diskurs|Diskurs]]&shy;teilnehmern auferlegen. Die Diskurstheorie erlaubt es zudem, Brücken zu Ludwig Wittgenstein und seinem Nachdenken über [[Wikipedia:Sprachspiel|Sprachspiel]]e als (Diskursen vergleichbare) Untereinheiten der Erkenntnis zu schlagen. [[Wikipedia:Jean-François Lyotard|Jean-François Lyotard]] bot diesen Brückenschlag in seinem Buch ''La condition postmoderne: rapport sur le savoir'' (1979) als Teil der Geschichte der Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert an.
 
[[Wikipedia:Strukturalismus|Strukturalisten]] wie [[Wikipedia:Ferdinand de Saussure|Ferdinand de Saussure]], [[Wikipedia:Claude Lévi-Strauss|Claude Lévi-Strauss]], [[Wikipedia:Roman Jacobson|Roman Jacobson]] und [[Wikipedia:Poststrukturalismus|Poststrukturalisten]] wie [[Wikipedia:Jacques Derrida|Jacques Derrida]], [[Wikipedia:Roland Barthes|Roland Barthes]] oder [[Wikipedia:Michel Foucault|Michel Foucault]] zählen in der modernen Philosophiegeschichtsschreibung nicht zu den Erkenntnistheoretikern im herkömmlichen Sinn. Ihre Arbeiten stellten Weichen auf den Gebieten der Linguistik, der Literaturwissenschaft, der aktuellen [[Wikipedia:Cultural Studies|Cultural Studies]]. Sie in einem Artikel zu Erkenntnistheorie zu erwähnen, liegt in historischer Perspektive nahe. Gemeinsam ist ihnen ein Nachdenken über die Sprache als Medium der Herstellung von Bedeutung, sowie ein grundlegendes Nachdenken über epochale kulturelle Wissensformationen. Michel Foucault bezeichnete diese Wissensformationen als „[[Wikipedia:Episteme|Episteme]]“ und fragte nach der Logik, die sie [[Wikipedia:Diskurs|Diskurs]]&shy;teilnehmern auferlegen. Die Diskurstheorie erlaubt es zudem, Brücken zu Ludwig Wittgenstein und seinem Nachdenken über [[Wikipedia:Sprachspiel|Sprachspiel]]e als (Diskursen vergleichbare) Untereinheiten der Erkenntnis zu schlagen. [[Wikipedia:Jean-François Lyotard|Jean-François Lyotard]] bot diesen Brückenschlag in seinem Buch ''La condition postmoderne: rapport sur le savoir'' (1979) als Teil der Geschichte der Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert an.
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Die philosophische Wendung, die hier stattfand, geschah in der Diskussion der Grenzen des Strukturalismus als einer wissenschaftlichen Methode. Der Poststrukturalismus wurde dabei die erkenntnistheoretische Position der Postmoderne. Aus dem Strukturalismus ging im Deutschen in einer eigenen Entwicklung die [[Wikipedia:Systemtheorie|Systemtheorie]] [[Wikipedia:Niklas Luhmann|Niklas Luhmann]]s hervor.
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Die philosophische Wendung, die hier stattfand, geschah in der Diskussion der Grenzen des Strukturalismus als einer wissenschaftlichen Methode. Der Poststrukturalismus wurde dabei die erkenntnistheoretische Position der Postmoderne. Aus dem Strukturalismus ging im Deutschen in einer eigenen Entwicklung die [[Systemtheorie|Systemtheorie]] [[Wikipedia:Niklas Luhmann|Niklas Luhmann]]s hervor.
    
==== Strukturalismus und Poststrukturalismus ====
 
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==== Systemtheorie ====
 
==== Systemtheorie ====
Strukturalismus und Poststrukturalismus waren stark auf kulturell tradierte Formationen von (beanspruchtem) Wissen ausgerichtete Theorieansätze. Die [[Wikipedia:Systemtheorie|Systemtheorie]] rezipiert auch einige Elemente des Strukturalismus. Dabei analysiert sie sämtliche Gegenstandsbereiche als „Systeme“. Ein „System“ wird dabei als durch Operationen der Unterscheidung und Beobachtung erzeugt verstanden. Systemtheoretische Ansätze beziehen Anregungen aber nicht nur aus strukturalistischen Theorien, sondern verschiedensten Forschungsbereichen. Darunter zählen besonders die „Allgemeine Systemtheorie“ und die Theorie „Komplexer adaptiver Systeme“ in den Naturwissenschaften ([[Wikipedia:Ludwig von Bertalanffy|Ludwig von Bertalanffy]], [[Wikipedia:John H. Holland|John H. Holland]], [[Wikipedia:Murray Gell-Mann|Murray Gell-Mann]]) sowie die [[Wikipedia:Genetische Epistemologie|Genetische Epistemologie]] [[Wikipedia:Jean Piaget|Jean Piaget]]s, die [[Wikipedia:Kybernetik|Kybernetik]] ([[Wikipedia:W. Ross Ashby|W. Ross Ashby]], [[Wikipedia:Norbert Wiener|Norbert Wiener]], [[Wikipedia:Heinz von Foerster|Heinz von Foerster]]), verschiedene andere logische bzw. mathematische Impulse (etwa die Kalküle von [[Wikipedia:Gotthard Günther|Gotthard Günther]] und [[Wikipedia:George Spencer-Brown|George Spencer-Brown]]), einige informations- (etwa von [[Wikipedia:Gregory Bateson|Gregory Bateson]]) und ingenieurswissenschaftliche sowie wirtschaftswissenschaftliche Grundideen. Als soziologische Theorie wurde die moderne Systemtheorie von [[Wikipedia:Talcott Parsons|Talcott Parsons]] begründet und von [[Wikipedia:Niklas Luhmann|Niklas Luhmann]] ausgearbeitet, der wichtige Teilsysteme der funktionsteiligen modernen Gesellschaft analysierte und dies zu einer allgemeinen Theorie der Gesellschaft fortführte.
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Strukturalismus und Poststrukturalismus waren stark auf kulturell tradierte Formationen von (beanspruchtem) Wissen ausgerichtete Theorieansätze. Die [[Systemtheorie|Systemtheorie]] rezipiert auch einige Elemente des Strukturalismus. Dabei analysiert sie sämtliche Gegenstandsbereiche als „Systeme“. Ein „System“ wird dabei als durch Operationen der Unterscheidung und Beobachtung erzeugt verstanden. Systemtheoretische Ansätze beziehen Anregungen aber nicht nur aus strukturalistischen Theorien, sondern verschiedensten Forschungsbereichen. Darunter zählen besonders die „Allgemeine Systemtheorie“ und die Theorie „Komplexer adaptiver Systeme“ in den Naturwissenschaften ([[Wikipedia:Ludwig von Bertalanffy|Ludwig von Bertalanffy]], [[Wikipedia:John H. Holland|John H. Holland]], [[Wikipedia:Murray Gell-Mann|Murray Gell-Mann]]) sowie die [[Wikipedia:Genetische Epistemologie|Genetische Epistemologie]] [[Wikipedia:Jean Piaget|Jean Piaget]]s, die [[Wikipedia:Kybernetik|Kybernetik]] ([[Wikipedia:W. Ross Ashby|W. Ross Ashby]], [[Wikipedia:Norbert Wiener|Norbert Wiener]], [[Wikipedia:Heinz von Foerster|Heinz von Foerster]]), verschiedene andere logische bzw. mathematische Impulse (etwa die Kalküle von [[Wikipedia:Gotthard Günther|Gotthard Günther]] und [[Wikipedia:George Spencer-Brown|George Spencer-Brown]]), einige informations- (etwa von [[Wikipedia:Gregory Bateson|Gregory Bateson]]) und ingenieurswissenschaftliche sowie wirtschaftswissenschaftliche Grundideen. Als soziologische Theorie wurde die moderne Systemtheorie von [[Wikipedia:Talcott Parsons|Talcott Parsons]] begründet und von [[Wikipedia:Niklas Luhmann|Niklas Luhmann]] ausgearbeitet, der wichtige Teilsysteme der funktionsteiligen modernen Gesellschaft analysierte und dies zu einer allgemeinen Theorie der Gesellschaft fortführte.
    
In eine spezifisch deutschsprachige Konkurrenz zu französischen Diskurstheorien traten vor allem Luhmann und seine Nachfolger. Zentral sind Unterscheidungs- und Beobachtungsoperationen. Zunächst einmal unterscheidet sich ein System von seiner jeweiligen Umwelt – durch eine Unterscheidungsoperation, welche dieses System selbst hervorbringt. In Folgeschritten bildet ein System dann weitere Unterscheidungen aus. Unterscheidungen besitzen eine zweiseitige Form. Pro Unterscheidung wird jeweils eine der beiden Seiten akzentuiert. An dieser kann dann fortgefahren werden, zu unterscheiden. Beispielsweise kann ein System seine Umwelt feinkörniger unterscheiden. Dabei werden stets nur eigene Unterscheidungsformen angewendet und sich auf eigene Unterscheidungsleistungen bezogen. Dieser Autonomie (siehe auch [[Wikipedia:Autopoiesis|Autopoiesis]]) entspricht eine [[Wikipedia:Konstruktivismus (Philosophie)|konstruktivistische]] erkenntnistheoretische Position.
 
In eine spezifisch deutschsprachige Konkurrenz zu französischen Diskurstheorien traten vor allem Luhmann und seine Nachfolger. Zentral sind Unterscheidungs- und Beobachtungsoperationen. Zunächst einmal unterscheidet sich ein System von seiner jeweiligen Umwelt – durch eine Unterscheidungsoperation, welche dieses System selbst hervorbringt. In Folgeschritten bildet ein System dann weitere Unterscheidungen aus. Unterscheidungen besitzen eine zweiseitige Form. Pro Unterscheidung wird jeweils eine der beiden Seiten akzentuiert. An dieser kann dann fortgefahren werden, zu unterscheiden. Beispielsweise kann ein System seine Umwelt feinkörniger unterscheiden. Dabei werden stets nur eigene Unterscheidungsformen angewendet und sich auf eigene Unterscheidungsleistungen bezogen. Dieser Autonomie (siehe auch [[Wikipedia:Autopoiesis|Autopoiesis]]) entspricht eine [[Wikipedia:Konstruktivismus (Philosophie)|konstruktivistische]] erkenntnistheoretische Position.
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==== Evolutionäre Erkenntnistheorie ====
 
==== Evolutionäre Erkenntnistheorie ====
 
{{Hauptartikel|Evolutionäre Erkenntnistheorie}}
 
{{Hauptartikel|Evolutionäre Erkenntnistheorie}}
Die evolutionäre Erkenntnistheorie bildet dabei eine anfangs vergleichsweise deutsche Traditionslinie.<ref>Für Informationen zum aktuellen Theoriestand nebst kurzem historischem Abriss vgl. [http://plato.stanford.edu/entries/epistemology-evolutionary/ Michael Bradie / William Harms (2004) Evolutionary Epistemology]; sowie zum damit verwandten Komplex naturalistischer erkenntnistheoretischer Konzeptionen [http://plato.stanford.edu/entries/epistemology-naturalized/ Richard Feldman (2001) Naturalized Epistemology]</ref> [[Wikipedia:Konrad Lorenz|Konrad Lorenz]], [[Wikipedia:Rupert Riedl|Rupert Riedl]], [[Wikipedia:Gerhard Vollmer|Gerhard Vollmer]] setzten eine Auseinandersetzung mit der deutschen idealistischen Philosophie fort, gerade wenn sie versuchten, deren Fragen naturwissenschaftlich zu entzaubern. Menschen denken in Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität. Kant hatte diese Kategorien als ''a priori'' des menschlichen Nachdenkens anerkannt: Sie werden benötigt, ''bevor'' man in ihnen nachdenkt. Die evolutionäre Erkenntnistheorie gibt denselben Kategorien in einem Brückenschlag in die [[Wikipedia:Biologie|Biologie]] und den Positivismus (Ernst Machs Empiriokritizismus nahm hier wesentliche Positionen vorweg) eine am Ende materialistische Geschichte: Raum, Zeit und Kausalität sind, so die Erklärung, Wahrnehmungsmuster, die sich im Laufe der [[Wikipedia:Evolution|Evolution]] als einfach nur praktisch erwiesen. Der biologische Erkenntnisapparat, die menschlichen Sinnesorgane, die Gehirnfunktionen schaffen die Kategorien und Dimensionen der menschlichen Wahrnehmung. So zu denken, wie der Mensch das tut, erwies sich schlicht als Überlebensvorteil. Das ließ sich auf kulturell gebundene Wahrnehmungsmuster ausdehnen: Kulturen entwickeln Erkenntnisse und Erkenntnismuster und stehen mit diesen in einer Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und untereinander in einem evolutionären Wettstreit. Der evolutionsgeschichtliche Ansatz wurde – in Verbindung mit [[Wikipedia:kognitionswissenschaft|kognitionswissenschaft]]lichen und erkenntnistheoretischen Perspektiven – von den Neurobiologen [[Wikipedia:Humberto Maturana|Humberto Maturana]] und [[Wikipedia:Francisco Varela|Francisco Varela]] (siehe auch: [[Wikipedia:Der Baum der Erkenntnis|Der Baum der Erkenntnis]]) unter dem Aspekt der [[Wikipedia:Autopoiese|Autopoiese]] als Lebensprinzip mit ständigen biologischen, kommunikativen und kognitiven [[Wikipedia:Rückkoppelung|Rückkoppelung]]s&shy;prozessen weiterentwickelt und differenziert.
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Die evolutionäre Erkenntnistheorie bildet dabei eine anfangs vergleichsweise deutsche Traditionslinie.<ref>Für Informationen zum aktuellen Theoriestand nebst kurzem historischem Abriss vgl. [http://plato.stanford.edu/entries/epistemology-evolutionary/ Michael Bradie / William Harms (2004) Evolutionary Epistemology]; sowie zum damit verwandten Komplex naturalistischer erkenntnistheoretischer Konzeptionen [http://plato.stanford.edu/entries/epistemology-naturalized/ Richard Feldman (2001) Naturalized Epistemology]</ref> [[Wikipedia:Konrad Lorenz|Konrad Lorenz]], [[Wikipedia:Rupert Riedl|Rupert Riedl]], [[Wikipedia:Gerhard Vollmer|Gerhard Vollmer]] setzten eine Auseinandersetzung mit der deutschen idealistischen Philosophie fort, gerade wenn sie versuchten, deren Fragen naturwissenschaftlich zu entzaubern. Menschen denken in Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität. Kant hatte diese Kategorien als ''a priori'' des menschlichen Nachdenkens anerkannt: Sie werden benötigt, ''bevor'' man in ihnen nachdenkt. Die evolutionäre Erkenntnistheorie gibt denselben Kategorien in einem Brückenschlag in die [[Biologie|Biologie]] und den Positivismus (Ernst Machs Empiriokritizismus nahm hier wesentliche Positionen vorweg) eine am Ende materialistische Geschichte: Raum, Zeit und Kausalität sind, so die Erklärung, Wahrnehmungsmuster, die sich im Laufe der [[Wikipedia:Evolution|Evolution]] als einfach nur praktisch erwiesen. Der biologische Erkenntnisapparat, die menschlichen Sinnesorgane, die Gehirnfunktionen schaffen die Kategorien und Dimensionen der menschlichen Wahrnehmung. So zu denken, wie der Mensch das tut, erwies sich schlicht als Überlebensvorteil. Das ließ sich auf kulturell gebundene Wahrnehmungsmuster ausdehnen: Kulturen entwickeln Erkenntnisse und Erkenntnismuster und stehen mit diesen in einer Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und untereinander in einem evolutionären Wettstreit. Der evolutionsgeschichtliche Ansatz wurde – in Verbindung mit [[Wikipedia:kognitionswissenschaft|kognitionswissenschaft]]lichen und erkenntnistheoretischen Perspektiven – von den Neurobiologen [[Wikipedia:Humberto Maturana|Humberto Maturana]] und [[Francisco Varela|Francisco Varela]] (siehe auch: [[Wikipedia:Der Baum der Erkenntnis|Der Baum der Erkenntnis]]) unter dem Aspekt der [[Wikipedia:Autopoiese|Autopoiese]] als Lebensprinzip mit ständigen biologischen, kommunikativen und kognitiven [[Wikipedia:Rückkoppelung|Rückkoppelung]]s&shy;prozessen weiterentwickelt und differenziert.
    
Aus Sicht der [[Wikipedia:Dekonstruktion|dekonstruktiven]], auf die Sprache ausgerichteten [[Wikipedia:Diskurs|Diskurs]]&shy;theorien, wie aus Sicht der poststrukturalistischen Geschichtsschreibung erschienen die hier gewonnenen Theoreme beklemmend schlicht: Sie schaffen eine untere Ebene universeller Wahrnehmungsmuster, die für Mensch und Tier gelten sollen. Hier wird kaum erklärt, warum es dann doch eine erhebliche Vielfalt in der „Erkenntnis“ zwischen verschiedenen Kulturen gibt. Auf der höheren Ebene, auf der man kulturelle Ausformungen der Wahrnehmungsmuster zulässt, wird – so die Kritiker von Seiten der Diskurstheorie – nicht wesentlich komplexer gedacht: [[Wikipedia:Darwinismus|Darwinismus]] wird hier auf die Kulturgeschichte übertragen. Unklar ist demnach, ob sich die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster verschiedener Kulturen in einem Wettstreit um das „Überleben“ miteinander befinden und ob gesagt werden könne, dass alle Erkenntnisse „nützlich“ im Umgang mit der Welt sind. Zirkelschlüsse weist die Evolutionäre Erkenntnistheorie aus Sicht der strengen idealistischen oder positivistischen Philosophie auf: Materie, die Existenz von Körpern, deren Evolution – all dies wird von der evolutionären Erkenntnistheorie vorausgesetzt. Sie benötigt die der Evolution unterworfene Materie für die Produktion der biologischen Erkenntnisapparate, die am Ende der Evolution eben in Kategorien wie Materie, Raum, Zeit und Kausalität denken sollen. Ein Glaube an die naturwissenschaftlichen Erklärungsmodelle stabilisiert die evolutionäre Erkenntnistheorie.
 
Aus Sicht der [[Wikipedia:Dekonstruktion|dekonstruktiven]], auf die Sprache ausgerichteten [[Wikipedia:Diskurs|Diskurs]]&shy;theorien, wie aus Sicht der poststrukturalistischen Geschichtsschreibung erschienen die hier gewonnenen Theoreme beklemmend schlicht: Sie schaffen eine untere Ebene universeller Wahrnehmungsmuster, die für Mensch und Tier gelten sollen. Hier wird kaum erklärt, warum es dann doch eine erhebliche Vielfalt in der „Erkenntnis“ zwischen verschiedenen Kulturen gibt. Auf der höheren Ebene, auf der man kulturelle Ausformungen der Wahrnehmungsmuster zulässt, wird – so die Kritiker von Seiten der Diskurstheorie – nicht wesentlich komplexer gedacht: [[Wikipedia:Darwinismus|Darwinismus]] wird hier auf die Kulturgeschichte übertragen. Unklar ist demnach, ob sich die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster verschiedener Kulturen in einem Wettstreit um das „Überleben“ miteinander befinden und ob gesagt werden könne, dass alle Erkenntnisse „nützlich“ im Umgang mit der Welt sind. Zirkelschlüsse weist die Evolutionäre Erkenntnistheorie aus Sicht der strengen idealistischen oder positivistischen Philosophie auf: Materie, die Existenz von Körpern, deren Evolution – all dies wird von der evolutionären Erkenntnistheorie vorausgesetzt. Sie benötigt die der Evolution unterworfene Materie für die Produktion der biologischen Erkenntnisapparate, die am Ende der Evolution eben in Kategorien wie Materie, Raum, Zeit und Kausalität denken sollen. Ein Glaube an die naturwissenschaftlichen Erklärungsmodelle stabilisiert die evolutionäre Erkenntnistheorie.
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