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Bitterstoff

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Strukturformeln einiger Bitterstoffe
Strukturformel von Chinin
Chinin
Ein Wirkstoff gegen Malaria
Strukturformel von Humulon
Humulon
Kommt in Hopfen und Bier vor
Strukturformel von Cucurbitacin E
Cucurbitacin E
Gift in Gurkenpflanzen
und Kürbissen
Strukturformel von Koffein
Koffein
Stimulans in Kaffee und Tee

Als Bitterstoffe werden alle chemischen Verbindungen bezeichnet, die durch Aktivierung von T2R (G-Protein-gekoppelter Rezeptor) einen bitteren Geschmack aufweisen. Sie können sowohl aus der Natur kommen als auch synthetisch hergestellt werden. Bitterstoffe sind keine chemisch einheitliche Gruppe, sondern zeichnen sich nur dadurch aus, dass sie bitter schmecken.

Bitterstoffe steigern reflektorisch die Magen- und Gallensaftsekretion und wirken daher appetitanregend und verdauungsfördernd. Viele sind allerdings giftig, sodass sie aus vielen Pflanzen herausgezüchtet wurden, um diese überhaupt genießbar zu machen.[1]

Vorkommen und Bedeutung

Bitterorange (Pommeranze) verdankt ihren Namen den Bitterstoffen

Bitterstoffe kommen natürlicherweise in fast allen Pflanzen vor. Für einige Pflanzen, wie Bittermandeln oder Bitterorangen sind sie sogar namensgebend. Oft wirken sie für die Pflanze als Schutz gegen Fraßfeinde, für die der Geschmack ungenießbar ist. In vielen kultivierten Gemüsesorten wurde der Gehalt durch Züchtung reduziert, um sie genießbar zu machen,[1] wohingegen in Wildpflanzen[2] oder älteren Sorten[3] oft noch hohe Gehalte an Bitterstoffen vorhanden sind. Im Gegenzug ist der bittere Geschmack ein natürlicher Schutz vor Giftstoffen, da diese oftmals bitter schmecken.[3][4]

Darüber hinaus gibt es auch synthetische Bitterstoffe. Beispiele dafür sind Denatoniumbenzoat, der bislang bitterste bekannte Stoff überhaupt, und Phenylthiocarbamid.[3]

Chemische Zusammensetzung

Bitterstoffe besitzen keine einheitliche chemische Zusammensetzung, so können die Vertreter verschiedenster Stoffgruppen bitter schmecken. Viele Bitterstoffe kommen unter anderem unter den Alkaloiden, Glycosiden und Isoprenoiden vor. Auch verschiedene Stereoisomere eines Stoffes können unterschiedlich schmecken, so ist die L-Form der Aminosäure Tryptophan ein Bitterstoff, während die D-Form ein Süßstoff ist.[5]

Physiologische Wirkung

Bitterstoffe regen über Bitterstoffrezeptoren auf den Geschmacksknospen per Reflex die Bildung von Speichel- und Magensaftsekretion an, was zu einer Appetiterhöhung führt. Außerdem wird im Magen das Hormon Gastrin ausgestoßen, das Magen- und Darmbewegung sowie die Produktion von Gallen- und Pankreasflüssigkeit anregt und damit die Verdauung erleichtert und Verdauungsbeschwerden vorbeugt. Durch zu hohe Aufnahme können allerdings auch entgegengesetzte Wirkungen auftreten.[6]

Seit wenigen Jahren ist bekannt, dass sich Bitterstoffrezeptoren auch im kompletten Verdauungstrakt und in weiteren Organen wie in der Haut und im Gehirn finden, wodurch weitere physiologische Einflüsse möglich sind.[5] Beispielsweise induzieren die Bitterstoffrezeptoren in der Haut den Aufbau der Hautbarriere.[5] Die Kollagensynthese wird angeregt, die Fibrinbildung gesteigert und die Entzündungsneigung gesenkt.

Im Respirationstrakt finden sich ebenfalls Bitterstoffrezeptoren. Bakterien sondern Bitterstoffe ab, um ihre eigene Population wahrzunehmen und die Bildung von Biofilmen zu regulieren. Diese Bitterstoffe können auch durch die Lunge wahrgenommen werden und führen zu erhöhter Schleimbildung, gesteigertem Zilienschlag und Bronchodilatation. Dies dient der Immunabwehr.

In der Harnröhre führen wahrgenommene Bitterstoffe zu einer Aktivierung der Muskulatur.

Nutzung in der Medizin

In der klassischen Medizin werden Bitterstoffe zur Appetitanregung z. B. bei Achylie oder Anorexie[7] und bei Mundtrockenheit[8] empfohlen. Substanzen, die von ihrem Geschmack unabhängige, starke pharmakologische Wirkungen haben, werden in der Regel nicht medizinisch als Bitterstoffe eingesetzt. Einige Bitterstoffe wie Koffein, Theobromin und andere psychoaktive Substanzen haben die Eigenschaft, die Blut-Hirn-Schranke passieren zu können. Ein medizinisch bedeutender Bitterstoff ist das aus Chinarinde gewonnene Alkaloid Chinin, das zur Behandlung von Malaria eingesetzt wird.

Bitterstoffe sollten aufgrund der physiologischen Auswirkungen nicht bei Hyperazidität des Magens, Magengeschwüren, Ulcus duodeni oder Gallensteinen zugeführt werden.[9]

Bitterstoffverständnis der Anthroposophischen Medizin

Bitterstoffgenuss regt die Verdauungstätigkeit, vor allem im unteren Verdauungstrakt an. Galle schmeckt bitter und ist nötig für die Fettverdauung. Zucker werden bereits im Mund zersetzt, Proteine im Magen, die Fettverdauung findet am tiefsten, im Darm statt. Der Astralleib in seiner abbauenden Tätigkeit wird durch das Bittere nach unten in den Verdauungstrakt gezogen, der Stoffwechselpol (s. Dreigliederung) wird gestärkt.

Pflanzenheilkunde

Schon in den Rezepten von antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Autoren wie Hippokrates, Hildegard von Bingen oder Leonhart Fuchs werden heimische Bitterkräuter gegen verschiedene innere Leiden empfohlen.[5] Heute basiert ein Drittel aller pflanzlichen Heilmittel auf bitteren Zutaten. Bitterstoffdrogen (Amara) sind Heilpflanzen, bei denen die Wirkung der Bitterstoffe im Vordergrund steht. Diese werden in vier Klassen eingeteilt.[9] Bei reinen Bitterstoffdrogen (Amara pura) steht die Bitterwirkung allein im Vordergrund.[9] Beispiele dafür sind: Enzian, Artischocke, Tausendgüldenkraut und Löwenzahn.

Aromatische Bitterstoffe (Amara aromatica) enthalten neben Bittermitteln auch ätherische Öle.[9] Beispiele sind: Hopfen, Bitterorange, Wermut und Engelwurz.

Daneben gibt es noch Bitterstoffdrogen, die auch Scharfstoffe enthalten (Amara acria) wie zum Beispiel Ingwer oder Galgant und solche, die Schleimstoffe enthalten (Amara mucilacinosa) wie etwa Isländisch Moos.[9]

Allgemein werden sie bei verschieden somaotoformen Störungen wie Stress, Müdigkeit oder Erschöpfung eingesetzt und ihnen wird eine antidepressive Wirkung sowie eine allgemeine kräftigende Wirkung nachgesagt.[10][5] Deshalb sind sie häufig als Tinktur oder Teezubereitung in frei verkäuflichen „Tonika“ (Kräftigungsmitteln) oder Geriatrika enthalten.[11] Eine mögliche wissenschaftliche Erklärung für die allgemeinen positiven Effekte sind die Bitterstoffrezeptoren im Darmbereich. Diese könnten zu Rückwirkungen auf das ZNS und das Vegetative Nervensystem führen.[10]

Weitere Anwendungen

Der künstliche Bitterstoff Denatoniumbenzoat wird für die Vergällung von Alkohol und zahlreiche weiteren Flüssigkeiten, die beim Verschlucken insbesondere für Kinder gefährlich sind, genutzt. Beispiele dafür sind Methanol, Lösungsmittel, Reinigungsmittel oder Shampoos. Außerdem wird es in Lacken verwendet, die das Fingernägelkauen verhindern sollen.[12]

Von manchen Nahrungsergänzungsmitteln werden Bitterstoffe genutzt, welche das Abnehmen erleichtern sollen, indem sie den Heißhunger auf süßes reduzieren sollen.

Standardisierung

Die „Bitterkeit“ ist eine nicht objektiv messbare Eigenschaft der genannten Stoffe. Zur Abstufung und quantitativen Beschreibung dient ihr Bitterwert, der pharmazeutisch als der reziproke Wert derjenigen Konzentration, die gerade noch als bitter wahrgenommen wird, definiert ist. Der Bitterwert wird mit einer Geschmacksprüfung im Vergleich zu einer Verdünnungsreihe von Chininhydrochlorid ermittelt.

Die bitterste natürliche Substanz der Welt ist Amarogentin, ein Bitterstoff, der aus der Enzianwurzel gewonnen wird. Amarogentin ist auch in einer Verdünnung von eins zu 58 Millionen noch deutlich wahrnehmbar.[13]

Literatur

  • Rudolf Hänsel, Otto Sticher (Hrsg.); Ernst Steinegger (Begründer): Pharmakognosie – Phytopharmazie. 8. Auflage. Springer, Heidelberg / Berlin 2007, ISBN 978-3-540-34256-4.
  • Hans Funke: Die Welt der Heilpflanzen. Band 1: Wirkstoffe. Pflaum, München 1980, ISBN 3-7905-0311-8.
  • Mannfried Pahlow: Heilpflanzen. Edel, Hamburg 2002, ISBN 3-8118-1747-7.
  • Gertrud Olbrich: Über die Verwendung von bitterstoffhaltigen Heilpflanzen als Fiebermittel in der Medizin der Kräuterbücher des 15.-17. Jahrhunderts und in der Volksmedizin, Leipzig 1948, DNB 481736859 (Dissertation Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, 8. Juli 1948, 66 Seiten).

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Udo Maid-Kohnert: Bitterstoffe. In: Lexikon der Ernährung in drei Bänden. 1. A bis Fettk. Spektrum akademischer Verlag, Heidelberg 2001, ISBN  3-8274-0444-4, S. 179.
  2. Reinhard Matissek: Unverträglichkeitsreaktionen/Allergien gegen Lebensmittel. In: Reinhard Matissek & Werner Baltes (Hrsg.): Lebensmittelchemie. 8. Auflage. Springer Spektrum, Berlin 2016, ISBN  978-3-662-47111-1, Kap. 20, S. 579.
  3. 3,0 3,1 3,2 Petra Schling: Der Geschmack – Von Genen, Molekülen und der faszinierenden Biologie eines der grundlegendsten Sinne. Springer Spektrum, Wiesbaden 2019, ISBN  978-3-658-25213-7, S. 15–19, doi:10.1007/978-3-658-25214-4.
  4. Werner A. Müller, Stephan Frings & Frank Möhrlen: Tier- und Humanphysiologie – Eine Einführung. 6. Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2019, ISBN  978-3-662-58461-3, 20 (Chemische Sinne), S. 473–493, doi:10.1007/978-3-662-58462-0.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 Ute Wölfle & Christoph M. Schempp: Bitterstoe – von der traditionellen Verwendung bis zum Einsatz an der Haut. In: ZPT – Zeitschrift für Phytotherapie. Band 39, 2018, S. 210–215, doi:10.1055/a-0654-1711.
  6. O. Sticher: Pharmakognosie – Phytopharmazie. Hrsg.: R. Hänsel & O. Sticher. 9. Auflage. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2010, ISBN  978-3-642-00962-4, S. 761.
  7. Karin Kraft, Christopher Hobbs: Pocket Guide to Herbal Medicine. Thieme, 1. Januar 2011, ISBN 978-1-60406-013-3, S. 165–168.
  8. Karin Kraft, Christopher Hobbs: Pocket Guide to Herbal Medicine. Thieme, 1. Januar 2011, ISBN 9781604060133, S. 164.
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 Ursel Bühring & Michaela Girsch: Praxis Heilpflanzenkunde. Haug Verlag, Stuttgart 2016, ISBN  978-3-13-220591-8, S. 340–343.
  10. 10,0 10,1 Reinhard Saller, Jörg Melzer, Bernhard Uehleke & Matthias Rostock: Phytotherapeutische Bittermittel. In: Schweizer Zeitschrift für ganzheitliche Medizin. Band 21, Nr. 4, 2009, S. 200–205, doi:10.1159/000287223.
  11. Rainer Brenke: Naturheilverfahren: Leitfaden für die ärztliche Aus-, Fort- und Weiterbildung. Schattauer Verlag, 2008, ISBN 978-3-7945-2615-4, S. 239.
  12. Eintrag zu Denatonium-Salze. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 22. November 2019.
  13. Geschmackssensoren für die bitterste natürliche Substanz der Welt identifiziert. Deutsches Institut für Ernährungsforschung (Pressemitteilung). Abgerufen am 15. Oktober 2009.
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