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Anthroposophisches Arzneimittel

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Die Anthroposophische Pharmazie befasst sich mit der Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln auf der Grundlage des anthroposophischen Verständnisses von Mensch, Natur, Stoffen und pharmazeutischen Verfahren.[1] Charakteristisch für die anthroposophische Medizin und Pharmazie ist der Ansatz, Gesundheit und Medizin neben naturwissenschaftlichen auch unter „geisteswissenschaftlichen“ (d.h. anthroposophischen) Gesichtspunkten zu erfassen. In der anthroposophischen Pharmazie werden pflanzliche, mineralische und tierische Substanzen eingesetzt, die nach aus dem Therapiesystem folgenden Gesichtspunkten verarbeitet und zum Teil potenziert werden.

Anthroposophische Arzneimittel werden häufig begleitend zu solchen der naturwissenschaftlich-akademischen Medizin (Schulmedizin) verordnet - gemäß dem Ansatz der anthroposophischen Medizin, die sich selbst als deren Erweiterung, als integrative Medizin oder Komplementärmedizin[2] und nicht als Alternativmedizin betrachtet.

Die Genese der Heilmittelherstellung

Lange Zeit bevor Rudolf Steiner in den 1920er Jahren seine medizinisch-theosophischen Theoriefindungen darlegte, die die Grundlagen der Anthroposophischen Medizin (AM) bildeten, wurden alternativmedizinische Mittel angewandt, etwa die Ritterschen Heilmittel oder Peipers Farbtherapien. Die Heilmittelproduktion wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein eigenes Arbeitsfeld der AM, dass zum Teil aus den Versuchen der Farbherstellung für den Johannesbau in den Vorkriegsjahren hervorging. Eine Schlüsselfigur bei der Genese der Heilmittelherstellung war der Chemiker Oskar Schmiedel (1887–1959), dessen Laboratorium aufgrund finanzieller Schwierigkeiten in den Besitz des Johannesbau-Vereins in Dornach geriet. Schmiedel übersiedelte nach Dornach und das chemische Laboratorium wurde in einer einfachen Baracke nahe dem Johannesbau untergebracht. Die Schwerpunktverlagerung von der Farbherstellung zur Produktion pharmazeutischer Produkte fand wahrscheinlich im Oktober 1919 statt, als neue Finanzquellen für den Weiterbau des Goetheanums erschlossen werden mussten, zu denen auch die Heilmittel gehörten.[3]

Ursprung, Herstellung und Anwendung der anthroposophischen Arzneimittel gehen auf Rudolf Steiner zurück, der die anthroposophische Medizin zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen mit der Ärztin Ita Wegman begründet hat. Damals entwickelte Rudolf Steiner die noch heute gültigen Grundlagen für die Wahl der Rohstoffe und die verschiedenen Herstellungsverfahren. Als zweiter wichtigster Pionier für die anthroposophische Pharmazie gilt Rudolf Hauschka (1891–1969).

Verbreitung

2012 wurde die anthroposophische Medizin in über 60 Ländern praktiziert. In 22 europäischen Ländern gibt es ca. 15.000 Ärzte, die die anthroposophische Medizin verschreiben, z.B. in Österreich, Dänemark, Frankreich, Deutschland und Italien.[4] Laut dem deutschen Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) haben Anthroposophika im Jahr 2013 einen Umsatz von 58,4 Millionen Euro erzielt.[5]

Auf dem EU-Markt gibt es über 1.700 verschiedene anthroposophische Arzneimittel.[6] Innerhalb der EU ist unterschiedlich geregelt, ob anthroposophische Arzneimittel vom Arzt verschrieben werden müssen. In Deutschland beispielsweise sind die meisten der Präparate nicht verschreibungspflichtig und müssen deshalb seit 2004 von den Patienten selbst bezahlt werden.

Theorie und Hintergrund

Die Grundlage des anthroposophisch-pharmazeutischen Ansatzes ist eine ganzheitliche Betrachtung von Mensch und Natur. Dabei ist es eine Besonderheit der anthroposophischen Pharmazie, dass sie davon ausgeht, dass es zwischen dem menschlichen Organismus und den Naturprozessen in der mineralischen, pflanzlichen, tierischen Welt eine evolutionäre Verwandtschaft gibt.[7] Auf Grundlage dieses Zusammenhangs gelten für die Auswahl der Ausgangsstoffe und deren Verarbeitung sowie für die Herstellung und die Anwendung von anthroposophischen Arzneimitteln bestimmte Regeln. Vor diesem Hintergrund arbeitet die anthroposophische Pharmazie die spezifischen Heilkräfte eines natürlichen Stoffes heraus, um sie auf ein bestimmtes therapeutisches Ziel hin auszurichten. Die Vorgeschichte der Inhaltsstoffe anthroposophischer Mittel ist oft bedeutender als ihre stoffliche Zusammensetzung.[8]

Die anthroposophische Pharmazie basiert entsprechend dem Menschenbild der Anthroposophie auf dem Verständnis, dass vier Existenzebenen (Leiber / Wesensglieder) des menschlichen Wesens mit drei Natur-Systemen interagieren.[9] Die folgende Tabelle zeigt, von welchen Bezügen die anthroposophische Pharmazie ausgeht:

Mensch Naturreich
Die physisch-körperliche Ebene steht in Bezug zur... Welt der Mineralien
Lebens-Organisation, Ätherleib (biologische Identität, Regeneration und physiologische Funktionen) steht in Bezug zur Welt der Pflanzen
Empfindungsorganisation, Astralleib (Gefühl und Bewegung) steht in Bezug zur Welt der Tiere
Ich-Organisation (geistige Ebene) als individuelle Ebene Selbstwahrnehmung gibt es nur beim Menschen

Eine zweite Besonderheit der anthroposophischen Arzneimittel ist deren doppelte Ausrichtung: Zum einen werden die Mittel eingesetzt, um direkt in akute und chronische Krankheitsprozesse einzugreifen und Symptome zu lindern. Zum anderen ist es für die anthroposophische Medizin entscheidend, die selbstregulierenden Fähigkeiten des Organismus anzuregen.[10]

Pharmazeutische Herstellungsverfahren

Das anthroposophische Verständnis vom Menschen und seinen Krankheiten bedingt andere pharmakologische Prinzipien und pharmazeutische Richtlinien als in der naturwissenschaftlich orientierten Medizin.[11] Bei der anthroposophisch-pharmazeutischen Herstellung werden sowohl spezifisch anthroposophische als auch typisch homöopathische Verfahren eingesetzt.[12] Ausgangsstoffe von anthroposophischen Arzneimitteln sind mineralische/metallische, pflanzliche oder tierische Substanzen, zum Beispiel Quarz, Schwefel, Gold, Kupfer, Silber, Arnika, Kamille oder Calendula.[13] Tierversuche werden so weit wie möglich vermieden. Bei der Herstellung anthroposophischer Arzneimittel kommen vielfach rhythmische Prozesse und/oder abgestufte Wärmeanwendungen zum Einsatz.

Beispiele für typische anthroposophisch-pharmazeutische Verfahren bei pflanzlichen Ausgangsstoffen:

Pharmazeutisches Verfahren Temperatur Ausgangsstoff
Kaltes Mazerieren 2-8 °C frische oder getrocknete Pflanzen, alle Teile
Mazerieren ca. 15-20 °C frische oder getrocknete Pflanzen, alle Teile
Rhythmische Verarbeitung 4-37 °C frische oder getrocknete Pflanzen, alle Teile
Digerieren 37 °C frische Pflanzen, Blüten und Blätter
Infundieren 60-90 °C getrocknete Blätter und Blüten
Kochen ca. 100 °C getrocknete Wurzeln, Rinde und Samen
Destillieren Dampf, ca. 100 °C frische oder getrocknete Pflanzen, alle Teile

Potenzieren

Ein weiteres, häufig angewandtes Herstellungsverfahren ist das Potenzieren, das auch in der Homöopathie verwendet wird. Gegenüber der klassischen Homöopathie unterscheidet sich die Schüttelungstechnik, zudem werden Tageszeit und Sternenkonstellation bei der Herstellung berücksichtigt.[14] Potenzierte Präparate enthalten oft letztlich extrem verdünnte Substanzen. Jeder Verdünnungsgrad wird durch rhythmisches Schütteln oder Verreiben erzielt. Das Prinzip der Potenzierung wird kontrovers diskutiert, da in höheren Verdünnungen die stoffliche Menge der Ausgangssubstanz gegen Null geht, so dass selbst das Vorhandensein einzelner Atome oder Moleküle der Ausgangssubstanz unwahrscheinlich wird. Der Medizinhistoriker R. Jütte weist darauf hin[15], dass die von Hahnemann gezogene Grenze zwischen Homöopathie und Allopathie in der anthroposophischen Medizin weniger scharf sei.

Juristischer Sonderstatus

Mit der Novellierung des deutschen Arzneimittelgesetzes 1976 wurden die Anthroposophika von der Pflicht befreit, einen Wirksamkeitsnachweis in der sonst üblichen Form erbringen zu müssen. Anthroposophische Arzneimittel sind seither in Deutschland nach dem Sozialgesetzbuch V[16] und § 25 Abs. 7 des Arzneimittelgesetzes[17] (AMG, 10. Novelle) als „besondere“ bzw. „bestimmte“ Therapierichtung gesetzlich verankert. Kritiker bemängeln, dass dabei das Hauptproblem ausgeklammert worden sei: Man habe nicht geprüft, ob die anthroposophische Arzeimittellehre wissenschaftlichen Kriterien genüge.[18][19]

Anthroposophische Arzneimittel werden von eigens gegründeten pharmazeutischen Betrieben hergestellt, z.B. Weleda AG, Wala Heilmittel GmbH, Abnoba GmbH, Helixor Heilmittel GmbH & Co. KG und andere.[20]

Anwendungsbereiche

Eingesetzt werden anthroposophischen Medikamente in unterschiedlichen Darreichungsformen: Äußerlich zum Beispiel als Öle, Gele, Salben oder Tinkturen oder innerlich als Tropfen, Pulver, Tabletten oder Streukügelchen (Globuli).[21] Als Ampullen können sie außerdem injiziert oder als sterile Verdünnung inhaliert werden.

Auch in der Krebstherapie (Onkologie) werden anthroposophische Arzneimittel eingesetzt. Besonders bekannt ist die Mistel.[22] Es liegen zwar viele klinische Studien zur Misteltherapie vor. Deren Ergebnisse werden jedoch kontrovers diskutiert und unterschiedlich bewertet.[23][24][25] Der Internist Klaus Dietrich Bock bemängelt, dass es die Anthroposophen seit über 60 Jahren nicht geschafft haben, einen Wirksamkeitsnachweis an Krebskranken zu erbringen, der den Kriterien der universitären Medizin genügt. Derweil rekurriere man auf in vitro-Versuche, die alleine nichts besagten oder auf die „adjuvante“ Krebsbehandlung, für die es ebenfalls keine Wirsamkeitsnachweise gibt.[26][27]

Literatur

  • Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel. Eine kritische Betrachtung. GOVI, Eschborn 2000, ISBN 3-7741-0810-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. IVAA: http://www.ivaa.info/fileadmin/editor/file/The_system_of_Anthroposophic_Medicine_2014.pdf (Stand: 13. Juli 2015)
  2. Glöckler: Anthroposophische Arzneitherapie für Ärzte und Apotheker, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2005, Grundwerk, S.1-2
  3. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. 2007, S. 1540ff.
  4. https://www.ivaa.info/fileadmin/editor/file/Facts_and_Figures_AM_WorldwideJuly2012_Final_Public_Light.pdf (Stand: 20. Mai 2015)
  5. http://www.bpi.de/fileadmin/media/bpi/Downloads/Internet/Publikationen/Pharma-Daten/Pharmadaten_2014_DE.pdf (Stand: 20. Mai 2015)
  6. IVAA: The System of Anthroposophic Medicine, gefunden unter: http://www.ivaa.info/fileadmin/editor/file/The_system_of_Anthroposophic_Medicine_2014.pdf, S. 21 (Stand: 20. Mai 2015)
  7. Glöckler: Anthroposophische Arzneitherapie für Ärzte und Apotheker, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2005, 3. Akt.-Lfg. 2010 S. 2–14
  8. Edzard Ernst: Anthroposophische Medizin: Eine kritische Analyse. In: MMW-Fortschritte der Medizin. Ergänzungsband Nr. 1, Nr. 150. Urban & Vogel, April 2008, ISSN 1438-3276, OCLC(w) 890211612, ZDB-ID 1478211-X, S. 1–6.
  9. Rankin-Box and Williamson: Complementary Medicine. A Guide for Pharmacists, Churchill Livingston, 2006
  10. Deutscher Apotheker Verlag: Komplementärmedizin für die Kitteltasche. Beratungsempfehlungen für die Selbstmedikation, 2009, S. 20
  11. Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel. Eine kritische Betrachtung. GOVI, 2000, ISBN  3-7741-0810-2, ISSN 0936-658X, S. 15.
  12. GAPiD: Grundfragen zur Anthroposophischen Pharmazie, 2014, S. 29f
  13. http://www.damid.de/anthroposophische-medizin/arzneimittel/19-anthroposophische-arzneitherapie.html, (Stand: 14. Juli 2015)
  14. Hans Wolfgang Hoefert, Bernhard Uehleke: Komplementäre Heilverfahren im Gesundheitswesen. Analyse und Bewertung. 1. Auflage. Huber, Bern 2009, ISBN  978-3-456-84700-9, S. 184 f.
  15. Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute. C.H. Beck, München 1996, ISBN  978-3-406-40495-5, S. 238.
  16. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V), gefunden unter: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__34.html (Stand: 20. Mai 2015)
  17. Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, Paragraph 4, Absatz 3: Sonstige Begriffsbestimmungen; gefunden unter: http://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/__4.html (Stand: 20. Mai 2015)
  18. Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel. Eine kritische Betrachtung. GOVI, Eschborn 2000, S. 163
  19. Klaus Dietrich Bock: Wissenschaftliche und alternative Medizin: Paradigmen—Praxis—Perspektiven. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1993. S. 65f.
  20. Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel. Eine kritische Betrachtung. GOVI, Eschborn 2000. S. 15.
  21. GAÄD: Vademecum Anhroposophische Medizin, 2008, S. 364ff
  22. Kienle, Kiene and Albonico: Anthroposophische Medizin in der klinischen Forschung, Schattauer, 2006, Kapitel 6
  23. Kienle, Kiene: Influence of mistletoe treatment on quality of life in cancer patients. A systematic review of controlled clinical studies. Integrative Cancer Therapies 2010: http://ict.sagepub.com/content/9/2/142.full.pdf+html (Stand: 14. Juli 2015)
  24. Horneber, Bueschel, Huber, Linde, Rostock: Mistletoe therapy in oncology (Cochrane-Review: Mistletoe in oncology (Review). 2008 The Cochrane Collaboration. Published by John Wiley & Sons, Ltd)
  25. Kienle, Berrino, Büssing, Portalupi, Rosenzweig, Kiene: Mistletoe in cancer - a systematic review on controlled clinical trials. Eur J Med Res 8, 2003,S. 109-119
  26. Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel. Eine kritische Betrachtung. GOVI, Eschborn 2000, S. 162f
  27. Klaus Dietrich Bock: Wissenschaftliche und alternative Medizin: Paradigmen—Praxis—Perspektiven. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1993. S. 65f.