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Misteltherapie

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Die Misteltherapie ist eine komplementärmedizinische Behandlungsmethode, die von dem Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner und der Ärztin Ita Wegman initiiert wurde. Die aus der weißbeerigen Mistel (Viscum Album) hergestellten Präparate werden heute zumeist innerhalb der anthroposophisch erweiterten Medizin zur ergänzenden Therapie bei Tumorleiden eingesetzt. Sie ist in Deutschland eine der bei Krebserkrankungen am häufigsten eingesetzten komplementärmedizinischen Therapien. Obwohl die medizinische Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist, wird sie in Deutschland von vielen (vor allem in palliativen Situationen) und in Österreich von den meisten Krankenkassen erstattet. Außerhalb des deutschsprachigen Raumes ist die Misteltherapie wenig bekannt und in Gebrauch.

Entstehungsgeschichte

Eine Weißbeerige Mistel (Viscum album)

1908 wendete sich Marie Ritter an Rudolf Steiner mit der Frage nach einem Heilmittel bei Krebs und Tuberkulose. Daraus entstanden um 1910 erste orale Präparate.[1] Steiner äußerte sich Ende 1916 zu den Möglichkeiten einer Behandlung von Krebs mit Mistelextrakten. Die Ärztin Ita Wegman griff diese Anregungen auf und entwickelte 1917 gemeinsam mit einem Zürcher Apotheker das erste Mistelpräparat Iscar, das 1926 in Iscador umbenannt wurde. Daraus entwickelte sich die bis heute im Rahmen der Anthroposophischen Medizin häufig verwendete Form der onkologischen Misteltherapie. Bis zu seinem Tod gab Rudolf Steiner zahlreiche Empfehlungen und Anregungen zur Misteltherapie, auf die sich anthroposophische Ärzte heute noch beziehen.

Verwendet wird die Weißbeerige Mistel (Viscum album) verschiedener Wirtsbäume. Die Anwendung der Mistel in der Tumortherapie hat weder eine traditionelle noch eine experimentelle Grundlage, sondern leitet sich aus geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen Steiners ab, der unter anderem auf die Analogie zwischen dem parasitären Wachstumsmuster der Mistel und dem Tumor hinwies, ebenso auf den Lebenszyklus der Pflanze, der sich nicht wie gewöhnliche Pflanzen am Jahreslauf orientiert, sondern einen eigenen von der Umgebung unterschiedenen Rhythmus entfaltet. Die Anregungen Rudolf Steiners wurden von verschiedenen Ärzten aufgegriffen, die Mistelpräparate mit teils etwas unterschiedlicher Herstellungsweise entwickelten. Dies sind heute beispielsweise Helixor, Abnoba, Iscador AG.

Studien

Ob und in welcher Weise die Mistel eine Wirksamkeit gegen Krebs besitzt, ist seit ihrer Einführung in die Krebstherapie 1917 ein Streitpunkt zwischen Wissenschaftsmedizinern und Vertretern anthroposophischer Heilkunde sowie Paramedizinern. Die bisher vorliegenden, wissenschaftlichen Standards entsprechenden randomisierten Studien konnten keinen eindeutigen klinischen Nutzen hinsichtlich der Überlebenszeit unter Misteltherapie zeigen.[2][3] Eine prospektive, randomisierte Studie aus 2004 mit Evidenz-Level Ib auf der 5-teiligen EBM-Skala zeigt eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität bei bestimmten Krebsarten durch die Misteltherapie sowie eine etwa 50%ige Reduktion der unerwünschten Wirkungen der zytostatischen Therapien.[4] Es liegen einzelne Studien unterschiedlicher Aussagekraft und Einzelfall- und Erfahrungsberichte vor, die eine Besserung des Allgemeinbefindens, sowie Verlangsamung, Stillstand oder gar Remission des Tumorwachstums beschreiben. Eine Studie aus Herdecke beschreibt die Freisetzung von Interleukin 6 durch die Misteltherapie.[5] Eine weitere Studie aus Herdecke gibt Hinweise auf positive Wirkungen der Misteltherapie bei Krebs des Rippenfelles durch Stimulation der Antitumorimmunität.[6]

Eine Arbeitsgruppe um Prof. Metelmann fand 1993 durch Untersuchungen an frisch explantierten Tumoren eine höhere zytostatische Wirkung der Mistelpräparate als der mituntersuchten Standardzytostatika (Cisplatin, Bleomycin, Methotrexat, 5-FU)[7]

Kritiker stellen die Ergebnisse dieser Studien und Einzelfallberichte aus methodischen und inhaltlichen Gründen in Frage. Die Misteltherapie ist deshalb in der Hochschulmedizin nicht durchgängig anerkannt. In der anthroposophischen und naturheilkundlichen Medizin genießt die Mistelbehandlung dagegen einen hohen Stellenwert. Es gibt Hinweise, dass Misteltherapie die Rate der Zehnjahresüberlebenszeit von Patientinnen mit Brustkrebs verbessern kann.[8] Andere Studien zeigten im Tierversuch im Gegenteil sogar Hinweise auf ein (allerdings nicht signifikantes) verstärktes Tumorwachstum bei Einsatz von isoliertem Lektin, einem Wirkstoff des Mistelextraktes.[9] Allerdings werden isolierte Lektine in der Misteltherapie nicht eingesetzt. Auch kann von einzelnen dadurch veränderten Immunparametern nicht auf die Wirkung von Mistelgesamtextrakten geschlossen werden. Sowohl private als auch gesetzliche Krankenkassen müssen die Misteltherapie mit zugelassenen anthroposophischen Präparaten bei Krebs in allen Stadien, mit phytomedizinischen Präparaten im unheilbaren Stadium bezahlen.

Die biochemische und pharmakologische Mistelforschung konzentriert sich heute auf die Inhaltsstoffe Viscotoxine (Polypeptide), Mistellektine (ML-1, ML-2, ML-3) und Polysaccharide.[10][11][12][13] Trotz der experimentellen Befunde hat sich eine antitumorale Wirksamkeit der Mistel bei ausschließlich subkutaner oder intravenöser Injektion am Menschen bisher nicht sichern lassen. Therapien mit Mistel-Inhaltsstoffen sind weiterhin Ziele in pharmakologischen Untersuchungen.

Anwendungsbereiche

Onkologie

Onkologische Behandlung bedeutet heute im engeren Sinne die drei Säulen von Chirurgie, tumorhemmenden Medikamenten und Strahlentherapie, im weiteren Sinne lindernde und unterstützende Maßnahmen, dazu psychologische und Selbsthilfe. Die Misteltherapie kann den etablierten Verfahren in allen Phasen einer Krebserkrankung hinzugefügt werden, wenn der Behandler eine Indikation sieht.

In der Regel wird der Extrakt der Mistel vom Patienten unter die Haut (subkutan) oder – im klinischen Rahmen durch Ärzte – direkt in Tumorgewebe gespritzt. Möglich sind außerdem die perorale, die intravenöse Gabe oder die Injektion in bestimmte Körperhöhlen: In Rippenfellspalt und Herzbeutelspalt kann bei krebsbedingten Flüssigkeitsansammlungen eine sterile Entzündung mit anschließender Verklebung, die so genannte Pleurodese beziehungsweise Perikardiodese, angeregt werden. Allen anderen nicht zugelassenen Anwendungen gemein ist die Fragwürdigkeit der Wirkung und das Risiko des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen. Allergische Reaktionen bis hin zum Tod durch den anaphylaktischen Schock können nicht ausgeschlossen werden.

Die in Anlehnung an Rudolf Steiner entwickelten Präparate enthalten speziell hergestellte Gemische aus Sommer- und Wintersaft der Mistel, die übrigen sind auf einzelne Inhaltsstoffe, insbesondere das Mistellektin-1, standardisiert.

Weitere anthroposophische Indikationen

Neben dem Schwerpunkt der onkologischen Behandlung gibt es im Rahmen der anthroposophischen Medizin weitere Indikationen zur Misteltherapie, z.B. für Sarkoidose und Autoimmunerkrankungen. Bei virusbedingter Hepatitis C wird eine die Misteltherapie einschließende anthroposophische Komplexbehandlung in Ergänzung der Standardbehandlung oder bei Kontraindikationen für dieselbe durchgeführt (Februar 2006: Interferon und Ribavirin). In einer veröffentlichten Studie konnte jedoch kein positiver Effekt einer Misteltherapie auf die Leberfunktion oder Viruslast nachgewiesen werden.[14] Mistel wird auch bei Gelenkerkrankungen wie Arthrose oder rheumatoider Arthritis eingesetzt. Dies geschieht in der Regel in Form von subkutanen Injektionen. In der Kinderheilkunde kommt auch eine orale Nutzung vor. Darüberhinaus wird ihr ein bescheidener antihypertonischer Effekt nachgesagt.

Literatur

  • E. Ernst, K. Schmidt, M. K. Steuer-Vogt: Mistletoe for cancer? A systematic review of randomised clinical trials. Int J Cancer. 2003; 107: 262-7. PMID 12949804
  • I. Gerhard, U. Abel, A. Loewe-Mesch, S. Huppmann, J. J. Kuehn: Problems of randomized studies in complementary medicine demonstrated in a study on mistletoe treatment of patients with breast cancer. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2004; 11: 150–157 Volltext (pdf)
  • R. Grossarth-Maticek, H. Kiene, S. Baumgartner, R. Ziegler: Use of Iscador, an extract of European Mistleote (Viscum album) in cancer treatment: prospective nonrandomized and randomized matched-pair studies nested within a cohort study. Altern Ther Health Med. 2001; 7: 57-78. PMID 11347286
  • R. Huber et al.: Effects of a mistletoe preparation with defined lectin content on chronic hepatitis C: an individually controlled cohort study. Eur J Med Res. 2001; 6: 399-405. PMID 11669085
  • G. S. Kienle, F. Berrino, A. Bussing, E. Portalupi, S. Rosenzweig, H. Kiene: Mistletoe in cancer - a systematic review on controlled clinical trials. Eur J Med Res. 2003 Mar 27; 8 (3): 109-19. PMID 12730032
  • G. S. Kienle, H. Kiene: Die Mistel in der Onkologie - Fakten und konzeptionelle Grundlagen. Stuttgart: Schattauer Verlag; 2003, 749 S. ISBN 3-7945-2282-6
  • G. S. Kienle, H. Kiene: Klinische Studien zur Misteltherapie onkologischer Erkrankungen. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2004; 36: 17-24.
  • U. R. Kleeberg, S. Suciu, E.B. Brocker, D. J. Ruiter et al.: Final results of the EORTC 18871/DKG 80-1 randomised phase III trial. rIFN-alpha2b versus rIFN-gamma versus ISCADOR M versus observation after surgery in melanoma patients with either high-risk primary (thickness >3 mm) or regional lymph node metastasis. Eur J Cancer 2004; 40:390-402. PMID 14746858
  • M. K. Steuer-Vogt, V. Bonkowsky, P. Ambrosch et al.: The effect of an adjuvant mistletoe treatment programme in resected head and neck cancer patients: a randomised controlled clinical trial. Eur J Cancer. 2001. 37: 23-31. PMID 11165126
  • M. Rostock, R. Huber.: Randomized and double-blind studies - demands and reality as demonstrated by two examples of mistletoe research. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd. 2004 Aug; 11 Suppl 1: 18-22. PMID 15353898

Weitere Literatur

  • Barbara Burkhard: Anthroposophische Medizin am Beispiel Mistel in: Michael Shermer, Lee Traynor (Hrsg.): Heilungsversprechen. Alternativmedizin zwischen Versuch und Irrtum Alibri Verlag, 2. Auflage, Aschaffenburg 2004. ISBN 3-932710-86-X
  • E. Ernst, K. Schmidt, M. K. Steuer-Vogt: Mistletoe for cancer? A systematic review of randomised clinical trials. Int J Cancer. 2003; 107: 262-7. PMID 12949804
  • Thomas Göbel: Heilpflanzen gegen Krebs und Psychose, Nuytsia Floribunda und Viscum Album, Betrachtung und Beurteilung zweier polarer Pflanzencharaktere und ihre Anwendungsmöglichkeiten. Verlag Freies Geistesleben, 2004, ISBN 3772522300
  • R. Grossarth-Maticek, H. Kiene, S. Baumgartner, R. Ziegler: Use of Iscador, an extract of European Mistleote (Viscum album) in cancer treatment: prospective nonrandomized and randomized matched-pair studies nested within a cohort study. Altern Ther Health Med. 2001; 7: 57-78. PMID 11347286
  • S. Kienle, Gunver, Helmut Kiene und Hans-Ulrich Albonico: Anthroposophische Medizin in der klinischen Forschung. Wirksamkeit, Nutzen, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit. Schattauer, Stuttgart 2006, ISBN  3-7945-2471-3.
  • G. S. Kienle, F. Berrino, A. Bussing, E. Portalupi, S. Rosenzweig, H. Kiene: Mistletoe in cancer - a systematic review on controlled clinical trials. Eur J Med Res. 2003 Mar 27; 8 (3): 109-19. PMID 12730032
  • G. S. Kienle, H. Kiene: Klinische Studien zur Misteltherapie onkologischer Erkrankungen. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2004; 36: 17-24.
  • A. Bopp: Die Mistel - Heilpflanze in der Krebstherapie, Zürich, Rüffer und Rub, 2006, ISBN 978-3-907625-32-3

Weblinks

Allgemeines

Diskurs im deutschen Ärzteblatt

Einzelanchweise

  1. Hans-Jürgen Bracker: Marie Ritter. In: Forschungsstelle Kulturimpuls. Abgerufen am 12. Juni 2021.
  2. M. K. Steuer-Vogt, V. Bonkowsky, P. Ambrosch et al.: The effect of an adjuvant mistletoe treatment programme in resected head and neck cancer patients: a randomised controlled clinical trial. Eur J Cancer. 2001. 37: 23-31. PMID 11165126
  3. U. R. Kleeberg, S. Suciu, E.B. Brocker, D. J. Ruiter et al.: Final results of the EORTC 18871/DKG 80-1 randomised phase III trial. rIFN-alpha2b versus rIFN-gamma versus ISCADOR M versus observation after surgery in melanoma patients with either high-risk primary (thickness >3 mm) or regional lymph node metastasis. Eur J Cancer 2004; 40:390-402. PMID 14746858
  4. Piao BK, Wang YX, Xie GR, Mansmann U, Matthes H, Beuth J, Lin HS.: Impact of complementary mistletoe extract treatment on quality of life in breast, ovarian and non-small cell lung cancer patients. A prospective randomized controlled clinical trial. Anticancer Res. 2004 Jan-Feb;24(1):303-9. PMID 15015612
  5. A. Bussing A, G.M. Stein, C. Stumpf , M. Schietzel: Release of interleukin-6 in cultured B-chronic lymphocytic leukaemia cells is associated with both activation and cell death via apoptosis. Anticancer Res. 1999 Sep-Oct;19(5B):3953-9. PMID 10628337
  6. Stumpf C, Bussing A.: Stimulation of antitumour immunity by intrapleural instillation of a Viscum album L. extract. Anticancer Drugs. 1997 Apr;8 Suppl 1:S23-6. PMID 9179363
  7. W. Hankel: Über die in-vitro-Wirksamkeit von Mistelextrakten auf die klonale Wachstumsfähigkeit individueller Explantate aus Mundhöhlenkarzinomen. 1-45. 1993. FU Berlin.
  8. Herzig M, Mansheim U: Retrospektive Untersuchung der Wirksamkeit von Misteltherapie bei Mamma-Ca-Patienten PDF, 2 Mb
  9. Pharmazeutische Zeitung: Zur Diskussion gestellt: Mistelextrakte in der Krebstherapie
  10. A. Büssing (Hrsg.): Mistletoe. The Genus Viscum. Medicinal and Aromatic plants - Industrial Profiles. Harwood Academic Publishers, Amsterdam 2000
  11. A. Büssing: Mistel (Viscum album) - anthroposophischer und phytotherapeutischer Ansatz. In: K. Münstedt (Hrsg.): Ratgeber unkonventionelle Krebstherapien. ECOMED Verlag, Landsberg 2003, S. 184-199
  12. A. Büssing: Mistletoe extracts from the anthroposophical point of view. In: J. Beuth, R.W. Moss (Hrsg.) Complementary Oncology. Thieme-Verlag, Stuttgart 2005, S. 197-206
  13. G. S. Kienle, H. Kiene: Die Mistel in der Onkologie - Fakten und konzeptionelle Grundlagen. Schattauer Verlag, Stuttgart 2003, 749 S., ISBN 3-7945-2282-6
  14. R. Huber et al.: Effects of a mistletoe preparation with defined lectin content on chronic hepatitis C: an individually controlled cohort study. Eur J Med Res. 2001; 6: 399-405. PMID 11669085
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