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Epidemiologie: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Die '''Epidemiologie''' (von [[Altgriechische Sprache|altgriechisch]] ἡ νούσος επιδημια, ''epidēmíā nósos'' „Epidemie, Volkskrankheit“,<ref>Ludwig August Kraus: ''Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon'', 3. Auflage, Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 371.</ref> wörtlich „über das ganze Volk verbreitete Krankheit“, und ''[[-logie]]'') ist jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Verbreitung sowie den Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in [[Bevölkerung]]en oder [[Population (Biologie)|Populationen]] beschäftigt. Das unterscheidet die Epidemiologie von der klinischen Medizin, bei der es darum geht, einem einzelnen Menschen in einem konkreten Krankheitsfall zu helfen. Auch wenn sich bereits zuvor einzelne Mediziner mit der Verbreitung und den Ursachen von Krankheiten beschäftigt haben, wird der Beginn der Epidemiologie allgemein auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert. | + | Die '''Epidemiologie''' (von [[Altgriechische Sprache|altgriechisch]] ἡ νούσος επιδημια, ''epidēmíā nósos'' „Epidemie, Volkskrankheit“,<ref>Ludwig August Kraus: ''Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon'', 3. Auflage, Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 371.</ref> wörtlich „über das ganze Volk verbreitete Krankheit“, und ''[[Wikipedia:-logie|-logie]]'') ist jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Verbreitung sowie den Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in [[Wikipedia:Bevölkerung|Bevölkerung]]en oder [[Wikipedia:Population (Biologie)|Populationen]] beschäftigt. Das unterscheidet die Epidemiologie von der klinischen Medizin, bei der es darum geht, einem einzelnen Menschen in einem konkreten Krankheitsfall zu helfen. Auch wenn sich bereits zuvor einzelne Mediziner mit der Verbreitung und den Ursachen von Krankheiten beschäftigt haben, wird der Beginn der Epidemiologie allgemein auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert. |
− | Zwei der wichtigsten Beobachtungsgrößen sind die [[Inzidenz (Medizin)|Inzidenz]] und die [[Prävalenz]], Maße für das Auftreten und die Verbreitung von [[Krankheit]]en in einer Population. Die Epidemiologie untersucht weiter die Faktoren, die zu [[Gesundheit]] und Krankheit von Individuen und Populationen beitragen, und legt damit die quantitative Basis vieler Maßnahmen, die im Interesse der [[Gesundheit der Bevölkerung]] unternommen werden. Epidemiologische Methoden bilden die Grundlage [[Klinische Studie|klinischer Studien]]. Epidemiologische Untersuchungen spielen auch in der [[Soziologie]] und [[Psychologie]] eine Rolle, z. B. bei [[Verhaltensstörung]]en, [[Autismus]] und [[Selbsttötung]]en. So können Zusammenhänge mit der Verbreitung dieser Erscheinungen erfasst und ggf. beeinflusst werden. Die ''Veterinärepidemiologie'' oder '''Epizootiologie''' untersucht die Verbreitung von Krankheiten in Tierpopulationen. | + | Zwei der wichtigsten Beobachtungsgrößen sind die [[Wikipedia:Inzidenz (Medizin)|Inzidenz]] und die [[Wikipedia:Prävalenz|Prävalenz]], Maße für das Auftreten und die Verbreitung von [[Krankheit]]en in einer Population. Die Epidemiologie untersucht weiter die Faktoren, die zu [[Gesundheit]] und Krankheit von Individuen und Populationen beitragen, und legt damit die quantitative Basis vieler Maßnahmen, die im Interesse der [[Wikipedia:Gesundheit der Bevölkerung|Gesundheit der Bevölkerung]] unternommen werden. Epidemiologische Methoden bilden die Grundlage [[Klinische Studie|klinischer Studien]]. Epidemiologische Untersuchungen spielen auch in der [[Wikipedia:Soziologie|Soziologie]] und [[Wikipedia:Psychologie|Psychologie]] eine Rolle, z. B. bei [[Wikipedia:Verhaltensstörung|Verhaltensstörung]]en, [[Wikipedia:Autismus|Autismus]] und [[Wikipedia:Selbsttötung|Selbsttötung]]en. So können Zusammenhänge mit der Verbreitung dieser Erscheinungen erfasst und ggf. beeinflusst werden. Die ''Veterinärepidemiologie'' oder '''Epizootiologie''' untersucht die Verbreitung von Krankheiten in Tierpopulationen. |
− | Die Epidemiologie befasst sich mit allen Arten von Krankheiten und mit den Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen, und nicht nur mit [[Epidemie]]n<ref>[[Otto Dornblüth]]: ''[[Pschyrembel (Medizinisches Wörterbuch)|Klinisches Wörterbuch]]'', 3. Auflage, Verlag von Veit & Comp, Leipzig 1907, S. 72.</ref> oder [[Infektionskrankheit]]en, wie der veraltete deutsche Begriff „Seuchenkunde“ (''Loimologie'') für [[Infektionsepidemiologie]] scheinbar vortäuscht. "Epidemisch nennt man eine zu derselben Zeit in derselben Gegend besonders häufige Krankheit. Das Gegentheil davon bilden die sporadischen Krankheiten."<ref>Ludwig August Kraus, am angegebenen Ort.</ref> Diese alte Definition der Epidemie von [[Hippokrates von Kos|Hippokrates]] (zitiert nach [[Galenos von Pergamon]]) gilt nicht mehr für die heutige Epidemiologie. Hier wird die [[Häufigkeit]] ''aller'' Krankheiten analysiert. | + | Die Epidemiologie befasst sich mit allen Arten von Krankheiten und mit den Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen, und nicht nur mit [[Wikipedia:Epidemie|Epidemie]]n<ref>[[Wikipedia:Otto Dornblüth|Otto Dornblüth]]: ''[[Wikipedia:Pschyrembel (Medizinisches Wörterbuch)|Klinisches Wörterbuch]]'', 3. Auflage, Verlag von Veit & Comp, Leipzig 1907, S. 72.</ref> oder [[Wikipedia:Infektionskrankheit|Infektionskrankheit]]en, wie der veraltete deutsche Begriff „Seuchenkunde“ (''Loimologie'') für [[Wikipedia:Infektionsepidemiologie|Infektionsepidemiologie]] scheinbar vortäuscht. "Epidemisch nennt man eine zu derselben Zeit in derselben Gegend besonders häufige Krankheit. Das Gegentheil davon bilden die sporadischen Krankheiten."<ref>Ludwig August Kraus, am angegebenen Ort.</ref> Diese alte Definition der Epidemie von [[Wikipedia:Hippokrates von Kos|Hippokrates]] (zitiert nach [[Wikipedia:Galenos von Pergamon|Galenos von Pergamon]]) gilt nicht mehr für die heutige Epidemiologie. Hier wird die [[Wikipedia:Häufigkeit|Häufigkeit]] ''aller'' Krankheiten analysiert. |
== Tätigkeiten der Epidemiologie == | == Tätigkeiten der Epidemiologie == | ||
− | Der Epidemiologe leistet praktische Arbeit in der Untersuchung einer [[Epidemie]], von Umwelteinflüssen und in der [[Gesundheitsförderung]]. Theoretische Aspekte sind statistische Erfassung von Krankheiten und deren Auslösern, die Entwicklung mathematischer Modelle und Methoden sowie die Klärung philosophischer und ethischer Aspekte. Um dies zu erreichen, wird mit beobachtenden oder experimentellen Studien gearbeitet. So können zum Beispiel Beziehungen zwischen möglichen Ursachen wie [[Ernährung]], [[Sozialer Status|sozialem Status]], [[Stress]] und [[Umweltgefährliche Stoffe|Umweltchemikalien]] sowie Folgen wie [[Krankheit]] und Wohlbefinden objektiv festgehalten werden. | + | Der Epidemiologe leistet praktische Arbeit in der Untersuchung einer [[Wikipedia:Epidemie|Epidemie]], von Umwelteinflüssen und in der [[Gesundheitsförderung|Gesundheitsförderung]]. Theoretische Aspekte sind statistische Erfassung von Krankheiten und deren Auslösern, die Entwicklung mathematischer Modelle und Methoden sowie die Klärung philosophischer und ethischer Aspekte. Um dies zu erreichen, wird mit beobachtenden oder experimentellen Studien gearbeitet. So können zum Beispiel Beziehungen zwischen möglichen Ursachen wie [[Ernährung|Ernährung]], [[Wikipedia:Sozialer Status|sozialem Status]], [[Wikipedia:Stress|Stress]] und [[Wikipedia:Umweltgefährliche Stoffe|Umweltchemikalien]] sowie Folgen wie [[Krankheit]] und Wohlbefinden objektiv festgehalten werden. |
− | [[Mathematik|Mathematische]] Modelle sind sehr wichtig, um die [[Wahrscheinlichkeit]] von zukünftigen Epidemien und deren Verlauf zu bestimmen. Ebenso helfen sie bei der Planung der [[Impfung|Impfkampagnen]]. Siehe dazu auch [[Mathematische Modellierung der Epidemiologie]]. | + | [[Wikipedia:Mathematik|Mathematische]] Modelle sind sehr wichtig, um die [[Wikipedia:Wahrscheinlichkeit|Wahrscheinlichkeit]] von zukünftigen Epidemien und deren Verlauf zu bestimmen. Ebenso helfen sie bei der Planung der [[Wikipedia:Impfung|Impfkampagnen]]. Siehe dazu auch [[Wikipedia:Mathematische Modellierung der Epidemiologie|Mathematische Modellierung der Epidemiologie]]. |
− | Epidemiologische Untersuchungen sind generell in ''beschreibende'', ''analytische'' und ''experimentelle'' Tätigkeiten unterteilt. Einige Wissenschaftler arbeiten in der öffentlichen Gesundheitsförderung, andere in Kliniken und wieder andere in der Entwicklungshilfe. Beim Auftreten neuer Krankheiten wie etwa [[SARS]], [[Vogelgrippe H5N1]] und [[Vogelgrippe H7N9]] sind Epidemiologen unentbehrlich. | + | Epidemiologische Untersuchungen sind generell in ''beschreibende'', ''analytische'' und ''experimentelle'' Tätigkeiten unterteilt. Einige Wissenschaftler arbeiten in der öffentlichen Gesundheitsförderung, andere in Kliniken und wieder andere in der Entwicklungshilfe. Beim Auftreten neuer Krankheiten wie etwa [[Wikipedia:SARS|SARS]], [[Wikipedia:Vogelgrippe H5N1|Vogelgrippe H5N1]] und [[Wikipedia:Vogelgrippe H7N9|Vogelgrippe H7N9]] sind Epidemiologen unentbehrlich. |
'''Epidemiologische Teilgebiete''' | '''Epidemiologische Teilgebiete''' | ||
− | Auflistung der Arbeitsgruppen der Dt. Ges. für Epidemiologie ([[DGEpi]]): [[Infektionsepidemiologie]], Epidemiologie allergischer und dermatologischer Erkrankungen, Epidemiologie der Arbeitswelt, Epidemiologische Methoden, Ernährungsepidemiologie, Genetische Epidemiologie, Herz-Kreislauf-Epidemiologie, Krebsepidemiologie, Statistische Methoden in der Epidemiologie, Umweltmedizin. Weitere Teilgebiete sind die [[Oralepidemiologie]], die [[Pharmakoepidemiologie]] | + | Auflistung der Arbeitsgruppen der Dt. Ges. für Epidemiologie ([[Wikipedia:DGEpi|DGEpi]]): [[Wikipedia:Infektionsepidemiologie|Infektionsepidemiologie]], Epidemiologie allergischer und dermatologischer Erkrankungen, Epidemiologie der Arbeitswelt, Epidemiologische Methoden, Ernährungsepidemiologie, Genetische Epidemiologie, Herz-Kreislauf-Epidemiologie, Krebsepidemiologie, Statistische Methoden in der Epidemiologie, Umweltmedizin. Weitere Teilgebiete sind die [[Wikipedia:Oralepidemiologie|Oralepidemiologie]], die [[Wikipedia:Pharmakoepidemiologie|Pharmakoepidemiologie]] |
− | und die [[Sozialepidemiologie]]. | + | und die [[Wikipedia:Sozialepidemiologie|Sozialepidemiologie]]. |
== Studientypen == | == Studientypen == | ||
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* Molekulare Epidemiologie<ref name=":0" /> | * Molekulare Epidemiologie<ref name=":0" /> | ||
* Genetische Epidemiologie<ref name=":0" /> | * Genetische Epidemiologie<ref name=":0" /> | ||
− | Im Zusammenhang mit [[Krebsregister]]n spricht man auch von: | + | Im Zusammenhang mit [[Wikipedia:Krebsregister|Krebsregister]]n spricht man auch von: |
* angewandter Epidemiologie.<ref name=":0" /> | * angewandter Epidemiologie.<ref name=":0" /> | ||
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== Epidemiologische Kennzahlen == | == Epidemiologische Kennzahlen == | ||
− | Diese Kennzahlen erleichtern den Überblick über die Lage der Bevölkerung oder über die Ausbreitung einer bestimmten Krankheit. Überschreitet eine Kennzahl ein gewisses Maß, so kann man gezielt Maßnahmen ergreifen. Definierte Situationen werden also mit definierten Aktionen bekämpft. Dies erleichtert auch eine objektive Beurteilung der Effizienz einer [[Intervention (Medizin)|Intervention]]. | + | Diese Kennzahlen erleichtern den Überblick über die Lage der Bevölkerung oder über die Ausbreitung einer bestimmten Krankheit. Überschreitet eine Kennzahl ein gewisses Maß, so kann man gezielt Maßnahmen ergreifen. Definierte Situationen werden also mit definierten Aktionen bekämpft. Dies erleichtert auch eine objektive Beurteilung der Effizienz einer [[Wikipedia:Intervention (Medizin)|Intervention]]. |
=== Prävalenz === | === Prävalenz === | ||
− | Die [[Prävalenz]] einer Erkrankung gibt den ''Anteil der erkrankten Individuen'' in der betrachteten Population an. Nach Checkoway u. a. 1989 kann man genauer unterscheiden zwischen „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“ (''point prevalence'') und „Prävalenz über einen Zeitraum“ (''period prevalence''). Auf Grund der problematischen Interpretation der „Prävalenz über einen Zeitraum“ konzentriert man sich meist auf die „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“, was auch meist gemeint ist, wenn man nur von Prävalenz spricht. | + | Die [[Wikipedia:Prävalenz|Prävalenz]] einer Erkrankung gibt den ''Anteil der erkrankten Individuen'' in der betrachteten Population an. Nach Checkoway u. a. 1989 kann man genauer unterscheiden zwischen „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“ (''point prevalence'') und „Prävalenz über einen Zeitraum“ (''period prevalence''). Auf Grund der problematischen Interpretation der „Prävalenz über einen Zeitraum“ konzentriert man sich meist auf die „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“, was auch meist gemeint ist, wenn man nur von Prävalenz spricht. |
Die Prävalenz wird meistens als Quotient dargestellt – nämlich die Anzahl der jetzigen Fälle in einer Population (z. B. Erkrankte, Verstorbene, Unterernährte usw. unabhängig von der Dauer) dividiert durch die Anzahl aller Mitglieder dieser Population. Die Prävalenz als Maß für die Häufigkeit einer Krankheit ist nicht mit der Inzidenzrate zu verwechseln – das Maß für das Auftreten ''neuer'' Krankheitsfälle in einer Bevölkerung. | Die Prävalenz wird meistens als Quotient dargestellt – nämlich die Anzahl der jetzigen Fälle in einer Population (z. B. Erkrankte, Verstorbene, Unterernährte usw. unabhängig von der Dauer) dividiert durch die Anzahl aller Mitglieder dieser Population. Die Prävalenz als Maß für die Häufigkeit einer Krankheit ist nicht mit der Inzidenzrate zu verwechseln – das Maß für das Auftreten ''neuer'' Krankheitsfälle in einer Bevölkerung. | ||
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=== {{Anker|Lebenszeitrisiko}} Risiko === | === {{Anker|Lebenszeitrisiko}} Risiko === | ||
− | Als [[Risiko]] wird die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses während eines bestimmten Zeitraums bezeichnet; als Ereignisse werden dabei typischerweise Neuerkrankungen oder Todesfälle betrachtet. Zum Beispiel: Verfolgte man eine Gruppe von 1.000 Personen über einen Zeitraum von 15 Jahren und würde dabei feststellen, dass 20 Personen gestorben sind während dieser 15 Jahre, so läge das 15 Jahre-Risiko bei 20/1.000.<ref>Checkoway u. a.: ''Research methods in occupational epidemiology.'' 1989.</ref> | + | Als [[Wikipedia:Risiko|Risiko]] wird die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses während eines bestimmten Zeitraums bezeichnet; als Ereignisse werden dabei typischerweise Neuerkrankungen oder Todesfälle betrachtet. Zum Beispiel: Verfolgte man eine Gruppe von 1.000 Personen über einen Zeitraum von 15 Jahren und würde dabei feststellen, dass 20 Personen gestorben sind während dieser 15 Jahre, so läge das 15 Jahre-Risiko bei 20/1.000.<ref>Checkoway u. a.: ''Research methods in occupational epidemiology.'' 1989.</ref> |
Das Risiko für Neuerkrankungen wird auch als ''kumulative Inzidenz'' bezeichnet. Das ''Lebenszeitrisiko'' bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Lebens (mindestens) einmal zu erkranken, und ist damit eine spezielle kumulative Inzidenz; dennoch lautet eine alternative Bezeichnung ''Lebenszeitprävalenz''. | Das Risiko für Neuerkrankungen wird auch als ''kumulative Inzidenz'' bezeichnet. Das ''Lebenszeitrisiko'' bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Lebens (mindestens) einmal zu erkranken, und ist damit eine spezielle kumulative Inzidenz; dennoch lautet eine alternative Bezeichnung ''Lebenszeitprävalenz''. | ||
− | Zur Identifizierung von Risikofaktoren werden Populationen verglichen, die sich möglichst nur einer untersuchten Eigenschaft unterscheiden; dann lassen sich (absolute) Risikodifferenzen und [[Relatives Risiko|relative Risiken]] berechnen. Risikofaktoren liefern Hinweise auf die Ursachen von Krankheiten; es muss jedoch kein [[Kausalität|kausaler]] Zusammenhang bestehen, insbesondere bei [[Beobachtungsstudie]]n kann der Effekt auch durch [[Verzerrung (Statistik)|Verzerrung]] (Bias) oder [[Confounding]] zustande kommen. | + | Zur Identifizierung von Risikofaktoren werden Populationen verglichen, die sich möglichst nur einer untersuchten Eigenschaft unterscheiden; dann lassen sich (absolute) Risikodifferenzen und [[Wikipedia:Relatives Risiko|relative Risiken]] berechnen. Risikofaktoren liefern Hinweise auf die Ursachen von Krankheiten; es muss jedoch kein [[Wikipedia:Kausalität|kausaler]] Zusammenhang bestehen, insbesondere bei [[Wikipedia:Beobachtungsstudie|Beobachtungsstudie]]n kann der Effekt auch durch [[Wikipedia:Verzerrung (Statistik)|Verzerrung]] (Bias) oder [[Wikipedia:Confounding|Confounding]] zustande kommen. |
=== Attributionelles Risiko === | === Attributionelles Risiko === | ||
− | Das [[Attributables Risiko|attributable Risiko]] hilft abzuschätzen, wie stark ein bestimmter Faktor zu einer bestimmten Erkrankung beiträgt. Eine konkrete Fragestellung könnte lauten: Wie stark ist der Einfluss von 10 [[Zigarette]]n täglich auf das [[Lungenkrebs]]risiko? | + | Das [[Wikipedia:Attributables Risiko|attributable Risiko]] hilft abzuschätzen, wie stark ein bestimmter Faktor zu einer bestimmten Erkrankung beiträgt. Eine konkrete Fragestellung könnte lauten: Wie stark ist der Einfluss von 10 [[Wikipedia:Zigarette|Zigarette]]n täglich auf das [[Wikipedia:Lungenkrebs|Lungenkrebs]]risiko? |
Die Antwort darauf lautet: | Die Antwort darauf lautet: | ||
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=== Inzidenzrate === | === Inzidenzrate === | ||
− | Die [[Inzidenz (Medizin)|Inzidenzrate]] ist die ''Anzahl der Neuerkrankungen'' dividiert durch die unter dem Risiko einer Erkrankung verbrachte Personenzeit in einer Bevölkerung; statt Erkrankungen können auch andere definierte Ereignisse betrachtet werden. Der Kehrwert der Inzidenzrate ist die durchschnittliche Zeit für ein Individuum bis zum Auftreten der Krankheit. | + | Die [[Wikipedia:Inzidenz (Medizin)|Inzidenzrate]] ist die ''Anzahl der Neuerkrankungen'' dividiert durch die unter dem Risiko einer Erkrankung verbrachte Personenzeit in einer Bevölkerung; statt Erkrankungen können auch andere definierte Ereignisse betrachtet werden. Der Kehrwert der Inzidenzrate ist die durchschnittliche Zeit für ein Individuum bis zum Auftreten der Krankheit. |
=== Verhältnis von Prävalenz und Inzidenz === | === Verhältnis von Prävalenz und Inzidenz === | ||
Ist die Inzidenz als Kennzahl nicht überflüssig, wenn es die Kennzahl für die Prävalenz schon gibt? Nein, die Prävalenz hilft, zum Beispiel die Krankenpflegekosten der Unfallopfer in einer bestimmten Berufsgruppe zu errechnen (d. h. Zählung der Unfallopfer, die zum Zeitpunkt X in Behandlung/Rehabilitation sind). Die Inzidenz(rate) gibt aber der ''Unfallverhütung'' eine andere Information: Dort spielt es keine Rolle, wie lange sich jemand wegen Unfallschäden behandeln lassen muss (was sich in der Prävalenz niederschlägt), sondern, wie viele Unfälle geschehen. Ein abgewendetes Unglück bedeutet, dass eine Behandlung erspart wurde, die sowohl sehr kurz als auch sehr lange hätte dauern können. | Ist die Inzidenz als Kennzahl nicht überflüssig, wenn es die Kennzahl für die Prävalenz schon gibt? Nein, die Prävalenz hilft, zum Beispiel die Krankenpflegekosten der Unfallopfer in einer bestimmten Berufsgruppe zu errechnen (d. h. Zählung der Unfallopfer, die zum Zeitpunkt X in Behandlung/Rehabilitation sind). Die Inzidenz(rate) gibt aber der ''Unfallverhütung'' eine andere Information: Dort spielt es keine Rolle, wie lange sich jemand wegen Unfallschäden behandeln lassen muss (was sich in der Prävalenz niederschlägt), sondern, wie viele Unfälle geschehen. Ein abgewendetes Unglück bedeutet, dass eine Behandlung erspart wurde, die sowohl sehr kurz als auch sehr lange hätte dauern können. | ||
− | Man kann sich diese beiden Kennzahlen gut als einen Brunnen vorstellen. Der Zufluss in den Brunnentrog ist die Inzidenzrate der Erkrankung, und der Inhalt des Brunnentrogs ist die Prävalenz, also das ständige Vorkommen der Krankheit. Die zwei Abflüsse aus dem Trog sind die Inzidenzrate der [[Heilung]] und die Inzidenzrate des Todes. Im [[Fließgleichgewicht]] (es fließt stets gleich viel in den Brunnentrog wie auch abfließt, engl. ''steady state'') gilt: | + | Man kann sich diese beiden Kennzahlen gut als einen Brunnen vorstellen. Der Zufluss in den Brunnentrog ist die Inzidenzrate der Erkrankung, und der Inhalt des Brunnentrogs ist die Prävalenz, also das ständige Vorkommen der Krankheit. Die zwei Abflüsse aus dem Trog sind die Inzidenzrate der [[Wikipedia:Heilung|Heilung]] und die Inzidenzrate des Todes. Im [[Wikipedia:Fließgleichgewicht|Fließgleichgewicht]] (es fließt stets gleich viel in den Brunnentrog wie auch abfließt, engl. ''steady state'') gilt: |
:<math>\text{Inzidenzrate}_\text{Erkrankung} \cdot \text{Anzahl}_\text{Gesunde} = (\text{Inzidenzrate}_\text{Heilung} + \text{Inzidenzrate}_\text{Tod}) \cdot \mathrm{Anzahl}_\text{Kranke}</math> | :<math>\text{Inzidenzrate}_\text{Erkrankung} \cdot \text{Anzahl}_\text{Gesunde} = (\text{Inzidenzrate}_\text{Heilung} + \text{Inzidenzrate}_\text{Tod}) \cdot \mathrm{Anzahl}_\text{Kranke}</math> | ||
=== Reproduktionszahl === | === Reproduktionszahl === | ||
− | Die '''[[Basisreproduktionszahl]]''' '''''R''<sub>0</sub>''' (manchmal auch '''Grundvermehrungsrate''' genannt) gibt an, wie viele Menschen eine bereits erkrankte Person im Durchschnitt infiziert, falls die betroffene Bevölkerung weder geimpft noch anderweitig vor der Übertragung geschützt wird. Die '''Nettoreproduktionszahl''' '''''R<sub>t</sub>''''' berücksichtigt auch die Immunität der Menschen und den Einfluss von Kontrollmaßnahmen. Um eine Epidemie einzudämmen, muss die Nettoreproduktionszahl auf den Wert 1 gebracht werden (jeder Infektionsfall führt zu einem Folgefall, das heißt keine Vergrößerung der Krankenzahl). Für eine Bekämpfung der Krankheit ist folglich eine Nettoreproduktionsrate kleiner 1 notwendig; je näher der Wert gegen 0 geht, desto erfolgreicher ist die Bekämpfung. | + | Die '''[[Wikipedia:Basisreproduktionszahl|Basisreproduktionszahl]]''' '''''R''<sub>0</sub>''' (manchmal auch '''Grundvermehrungsrate''' genannt) gibt an, wie viele Menschen eine bereits erkrankte Person im Durchschnitt infiziert, falls die betroffene Bevölkerung weder geimpft noch anderweitig vor der Übertragung geschützt wird. Die '''Nettoreproduktionszahl''' '''''R<sub>t</sub>''''' berücksichtigt auch die Immunität der Menschen und den Einfluss von Kontrollmaßnahmen. Um eine Epidemie einzudämmen, muss die Nettoreproduktionszahl auf den Wert 1 gebracht werden (jeder Infektionsfall führt zu einem Folgefall, das heißt keine Vergrößerung der Krankenzahl). Für eine Bekämpfung der Krankheit ist folglich eine Nettoreproduktionsrate kleiner 1 notwendig; je näher der Wert gegen 0 geht, desto erfolgreicher ist die Bekämpfung. |
Beispiele für Basisreproduktionszahlen: | Beispiele für Basisreproduktionszahlen: | ||
− | * [[Malaria]]: mehr als 1000 | + | * [[Wikipedia:Malaria|Malaria]]: mehr als 1000 |
− | * [[Masern]]: 15 bis 18 | + | * [[Wikipedia:Masern|Masern]]: 15 bis 18 |
− | * [[Polio]]: 6 bis 8 | + | * [[Wikipedia:Polio|Polio]]: 6 bis 8 |
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|''R<sub>t</sub>'': Nettoreproduktionszahl | |''R<sub>t</sub>'': Nettoreproduktionszahl | ||
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− | |n: Anteil der Bevölkerung, der geimpft oder anderweitig [[Immunität (Medizin)|immunisiert]] ist ('''Durchimpfungsrate''') | + | |n: Anteil der Bevölkerung, der geimpft oder anderweitig [[Wikipedia:Immunität (Medizin)|immunisiert]] ist ('''Durchimpfungsrate''') |
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− | Aus dieser Formel folgt, dass bei Malaria 99,9 %, bei Masern etwa 94 % und bei Polio ([[Kinderlähmung]]) rund 86 % der Bevölkerung geimpft sein müssen, damit die Krankheit im Endemie-Zustand verharrt oder sogar ausgerottet werden kann. Eine Unterschreitung der Durchimpfungsraten hat lokale Epidemien zur Folge.<ref>{{Webarchiv|text=History and Epidemiology of Global Smallpox Eradication |url=http://www.bt.cdc.gov/agent/smallpox/training/overview/pdf/eradicationhistory.pdf |wayback=20070715234749 |archiv-bot=2018-03-25 13:58:56 InternetArchiveBot }}</ref><ref>[http://www.plosbiology.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pbio.0050042 Revisiting the Basic Reproductive Number for Malaria and Its Implications for Malaria Control] [[doi:10.1371/journal.pbio.0050042]].</ref> | + | Aus dieser Formel folgt, dass bei Malaria 99,9 %, bei Masern etwa 94 % und bei Polio ([[Wikipedia:Kinderlähmung|Kinderlähmung]]) rund 86 % der Bevölkerung geimpft sein müssen, damit die Krankheit im Endemie-Zustand verharrt oder sogar ausgerottet werden kann. Eine Unterschreitung der Durchimpfungsraten hat lokale Epidemien zur Folge.<ref>{{Webarchiv|text=History and Epidemiology of Global Smallpox Eradication |url=http://www.bt.cdc.gov/agent/smallpox/training/overview/pdf/eradicationhistory.pdf |wayback=20070715234749 |archiv-bot=2018-03-25 13:58:56 InternetArchiveBot }}</ref><ref>[http://www.plosbiology.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pbio.0050042 Revisiting the Basic Reproductive Number for Malaria and Its Implications for Malaria Control] [[doi:10.1371/journal.pbio.0050042]].</ref> |
− | Deshalb betrifft die Frage „Soll ich mein Kind impfen?“ keineswegs nur die Gesundheit des einzelnen Kindes, sondern auch die der gesamten Bevölkerung. Ein erkranktes Kind stirbt zwar sehr selten an einer Kinderkrankheit wie [[Röteln]] oder Masern, aber es kann die Infektion weiterverbreiten. | + | Deshalb betrifft die Frage „Soll ich mein Kind impfen?“ keineswegs nur die Gesundheit des einzelnen Kindes, sondern auch die der gesamten Bevölkerung. Ein erkranktes Kind stirbt zwar sehr selten an einer Kinderkrankheit wie [[Wikipedia:Röteln|Röteln]] oder Masern, aber es kann die Infektion weiterverbreiten. |
− | Ein extremes Beispiel unterschiedlicher Reproduktionszahlen der gleichen Krankheit wird für Malaria angegeben: in Afrika ist die Erkrankung verheerend, in Indien ist sie ein beherrschbares Problem. ''Siehe [[Anopheles#Verbreitung der Malaria|Anopheles: Malaria in Kenia und im Punjab (Indien)]].'' | + | Ein extremes Beispiel unterschiedlicher Reproduktionszahlen der gleichen Krankheit wird für Malaria angegeben: in Afrika ist die Erkrankung verheerend, in Indien ist sie ein beherrschbares Problem. ''Siehe [[Wikipedia:Anopheles#Verbreitung der Malaria|Anopheles: Malaria in Kenia und im Punjab (Indien)]].'' |
== Epidemiologische Methoden und Studientypen == | == Epidemiologische Methoden und Studientypen == | ||
Generell möchte man mit epidemiologischen Methoden und Studien den Zusammenhang zwischen Exposition gegenüber Risikofaktoren und Erkrankung ermitteln. Ein Risikofaktor kann etwa Rauchen, fettes Essen oder auch ein bestimmtes soziales Umfeld sein, welches die Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht. Analog zum Risikofaktor spricht man vom „protektiven Faktor“, welcher sie verringert. Regelmäßige Bewegung und Obst sind z. B. protektive Faktoren für Herz-Kreislauferkrankungen, Stillen schützt Babys vor Infektionen. Zu den allgemein erhobenen Daten gehören neben Krankheitsstatus, Grunderkrankungen, Alter und Geschlecht oft das Rauchverhalten und der Bildungsstand. Man unterscheidet zwischen Beobachtungsstudien (Querschnittsstudie, Kohortenstudie, Fall-Kontrollstudie) und Interventionsstudien. | Generell möchte man mit epidemiologischen Methoden und Studien den Zusammenhang zwischen Exposition gegenüber Risikofaktoren und Erkrankung ermitteln. Ein Risikofaktor kann etwa Rauchen, fettes Essen oder auch ein bestimmtes soziales Umfeld sein, welches die Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht. Analog zum Risikofaktor spricht man vom „protektiven Faktor“, welcher sie verringert. Regelmäßige Bewegung und Obst sind z. B. protektive Faktoren für Herz-Kreislauferkrankungen, Stillen schützt Babys vor Infektionen. Zu den allgemein erhobenen Daten gehören neben Krankheitsstatus, Grunderkrankungen, Alter und Geschlecht oft das Rauchverhalten und der Bildungsstand. Man unterscheidet zwischen Beobachtungsstudien (Querschnittsstudie, Kohortenstudie, Fall-Kontrollstudie) und Interventionsstudien. | ||
− | * [[Querschnitt (empirische Forschung)|Querschnittsstudien]] (engl. ''cross sectional study'') ermitteln eine Momentaufnahme der untersuchten epidemiologischen Daten. Durch den zeitlichen „Schnappschuss“ der epidemiologischen Daten sind die aus der Studie gezogenen kausalen Zusammenhänge zwischen Exposition und Erkrankung schwach und dienen mehr der Generierung von Hypothesen als deren Verifizierung. | + | * [[Wikipedia:Querschnitt (empirische Forschung)|Querschnittsstudien]] (engl. ''cross sectional study'') ermitteln eine Momentaufnahme der untersuchten epidemiologischen Daten. Durch den zeitlichen „Schnappschuss“ der epidemiologischen Daten sind die aus der Studie gezogenen kausalen Zusammenhänge zwischen Exposition und Erkrankung schwach und dienen mehr der Generierung von Hypothesen als deren Verifizierung. |
− | * [[Längsschnittstudie]]n (engl. ''longitudinal study'') sind ein Überbegriff für Studien, die regelmäßig Daten der Studienpopulation über einen längeren Zeitraum hinweg erheben. Sie entsprechen periodisch durchgeführten Querschnittsstudien. | + | * [[Wikipedia:Längsschnittstudie|Längsschnittstudie]]n (engl. ''longitudinal study'') sind ein Überbegriff für Studien, die regelmäßig Daten der Studienpopulation über einen längeren Zeitraum hinweg erheben. Sie entsprechen periodisch durchgeführten Querschnittsstudien. |
− | * [[Kohorte (Sozialwissenschaft)|Kohortenstudien]] (engl. ''cohort studies'') untersuchen definierte Gruppen von Menschen mit und ohne Exposition einem Risikofaktor gegenüber über eine längere Zeit und messen am Ende des Beobachtungszeitraums den Erkrankungsstatus. Aus der Anzahl Erkrankter unter den Exponierten dividiert durch die Gesamtzahl an Exponierten kann das Risiko der Exponierten für diese Erkrankung gemessen werden. Analog verfährt man für die Nicht-Exponierten. Das Verhältnis des Risikos der Exponierten zum Risiko der Nicht-Exponierten ist das Risikoverhältnis (auch genannt [[relatives Risiko]] oder engl. ''risk ratio'') und gibt an, wie stark die Exposition das Risiko der Erkrankung erhöht. Beispielsweise erhöht Rauchen von täglich 20 Zigaretten gegenüber Nicht-Rauchen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, um den Faktor 15. Bei [[Prospektive Studie|prospektiven]] Kohortenstudien liegen Studienbeginn und Beginn des Beobachtungszeitraums eng beieinander, die Kohorte wird „in die Zukunft“ (prospektiv) verfolgt und der Krankheitsstatus ist noch unbekannt. [[Retrospektive Studie|Retrospektive]] Kohortenstudien betrachten bereits vergangene Kohorten, hier sind die Beobachtungen bereits abgeschlossen und der Krankheitsstatus ist bereits bekannt. Sie sind einfacher und kostengünstiger durchzuführen als prospektive Kohortenstudien, allerdings auch anfälliger für Verzerrer (engl. ''bias''), speziell bei der Rekrutierung der Studienteilnehmer, die ja in der Vergangenheit lag und nicht mehr zu beeinflussen ist. Beispiele für Kohortenstudien wäre die Untersuchung von Lungenkrebs bei [[Asbest]]arbeitern (exponierte Gruppe) einer Firma und deren Büroangestellten (nicht-exponierte Gruppe). | + | * [[Wikipedia:Kohorte (Sozialwissenschaft)|Kohortenstudien]] (engl. ''cohort studies'') untersuchen definierte Gruppen von Menschen mit und ohne Exposition einem Risikofaktor gegenüber über eine längere Zeit und messen am Ende des Beobachtungszeitraums den Erkrankungsstatus. Aus der Anzahl Erkrankter unter den Exponierten dividiert durch die Gesamtzahl an Exponierten kann das Risiko der Exponierten für diese Erkrankung gemessen werden. Analog verfährt man für die Nicht-Exponierten. Das Verhältnis des Risikos der Exponierten zum Risiko der Nicht-Exponierten ist das Risikoverhältnis (auch genannt [[Wikipedia:relatives Risiko|relatives Risiko]] oder engl. ''risk ratio'') und gibt an, wie stark die Exposition das Risiko der Erkrankung erhöht. Beispielsweise erhöht Rauchen von täglich 20 Zigaretten gegenüber Nicht-Rauchen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, um den Faktor 15. Bei [[Wikipedia:Prospektive Studie|prospektiven]] Kohortenstudien liegen Studienbeginn und Beginn des Beobachtungszeitraums eng beieinander, die Kohorte wird „in die Zukunft“ (prospektiv) verfolgt und der Krankheitsstatus ist noch unbekannt. [[Wikipedia:Retrospektive Studie|Retrospektive]] Kohortenstudien betrachten bereits vergangene Kohorten, hier sind die Beobachtungen bereits abgeschlossen und der Krankheitsstatus ist bereits bekannt. Sie sind einfacher und kostengünstiger durchzuführen als prospektive Kohortenstudien, allerdings auch anfälliger für Verzerrer (engl. ''bias''), speziell bei der Rekrutierung der Studienteilnehmer, die ja in der Vergangenheit lag und nicht mehr zu beeinflussen ist. Beispiele für Kohortenstudien wäre die Untersuchung von Lungenkrebs bei [[Wikipedia:Asbest|Asbest]]arbeitern (exponierte Gruppe) einer Firma und deren Büroangestellten (nicht-exponierte Gruppe). |
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− | * [[Fall-Kontroll-Studie|Fall-Kontrollstudien]] (engl. ''case control study'') gehen methodisch den umgekehrten Weg einer Kohortenstudie. Bei einer Fall-Kontrollstudie ist der Krankheitsstatus bekannt und die Exposition unbekannt. Sie eignet sich insbesondere für seltene Erkrankungen, da eine Kohortenstudie sehr viele Teilnehmer haben müsste, um eine statistisch ausreichende Anzahl Erkrankter zu erreichen. Die Studienpopulation der Fall-Kontrollstudie besteht aus Erkrankten und Gesunden, wobei aus statistischen Gründen auf einen Erkrankten auch zwei oder mehr Gesunde kommen können (1:2 matching, 1:n matching). Erst nach der Zuordnung zu den beiden Gruppen wird die Exposition erfasst, um Beeinflussungen des Ergebnisses durch die Beobachter auszuschließen. Ausgewertet wird die [[Chance (Stochastik)|Chance]] (engl. ''odd'') der Erkrankten, exponiert zu sein. Sie ergibt sich aus der Zahl der Erkrankten mit Exposition dividiert durch die Zahl der Erkrankten ohne Exposition ('nicht' die Gesamtzahl der Erkrankten). Analog wird die Chance der Gesunden berechnet, exponiert zu sein. Die Division der Chance der Erkrankten durch die Chance der Gesunden ergibt das [[Chancenverhältnis]] (engl. ''odds ratio''). Es entspricht dem Faktor, um den sich die Chance erhöht, durch die Exposition zu erkranken. In einer Fall-Kontrollstudie muss man das Chancenverhältnis und nicht etwa das Risikoverhältnis berechnen, da man durch die willkürliche Wahl der Anzahl von Kontrollpersonen den Nenner des Risikoterms (der Summe von a+b) verzerren würde. Hingegen würde sich eine Verdoppelung von Kontrollen beim Chancenverhältnis wieder rechnerisch herauskürzen (doppelt so viele im Zähler wie im Nenner). | + | * [[Wikipedia:Fall-Kontroll-Studie|Fall-Kontrollstudien]] (engl. ''case control study'') gehen methodisch den umgekehrten Weg einer Kohortenstudie. Bei einer Fall-Kontrollstudie ist der Krankheitsstatus bekannt und die Exposition unbekannt. Sie eignet sich insbesondere für seltene Erkrankungen, da eine Kohortenstudie sehr viele Teilnehmer haben müsste, um eine statistisch ausreichende Anzahl Erkrankter zu erreichen. Die Studienpopulation der Fall-Kontrollstudie besteht aus Erkrankten und Gesunden, wobei aus statistischen Gründen auf einen Erkrankten auch zwei oder mehr Gesunde kommen können (1:2 matching, 1:n matching). Erst nach der Zuordnung zu den beiden Gruppen wird die Exposition erfasst, um Beeinflussungen des Ergebnisses durch die Beobachter auszuschließen. Ausgewertet wird die [[Wikipedia:Chance (Stochastik)|Chance]] (engl. ''odd'') der Erkrankten, exponiert zu sein. Sie ergibt sich aus der Zahl der Erkrankten mit Exposition dividiert durch die Zahl der Erkrankten ohne Exposition ('nicht' die Gesamtzahl der Erkrankten). Analog wird die Chance der Gesunden berechnet, exponiert zu sein. Die Division der Chance der Erkrankten durch die Chance der Gesunden ergibt das [[Wikipedia:Chancenverhältnis|Chancenverhältnis]] (engl. ''odds ratio''). Es entspricht dem Faktor, um den sich die Chance erhöht, durch die Exposition zu erkranken. In einer Fall-Kontrollstudie muss man das Chancenverhältnis und nicht etwa das Risikoverhältnis berechnen, da man durch die willkürliche Wahl der Anzahl von Kontrollpersonen den Nenner des Risikoterms (der Summe von a+b) verzerren würde. Hingegen würde sich eine Verdoppelung von Kontrollen beim Chancenverhältnis wieder rechnerisch herauskürzen (doppelt so viele im Zähler wie im Nenner). |
Bei seltenen Erkrankungen entspricht das Chancenverhältnis dem Risikoverhältnis. Fall-Kontrollstudien sind grundsätzlich retrospektiv. | Bei seltenen Erkrankungen entspricht das Chancenverhältnis dem Risikoverhältnis. Fall-Kontrollstudien sind grundsätzlich retrospektiv. | ||
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− | * Interventionsstudien (engl. intervention studies) verfolgen ähnlich einer prospektiven Kohortenstudie eine Population entlang der Zeit, wobei man den Einfluss einer spezifischen Intervention, meist eine neue Behandlung oder ein neues Medikament, auf das Krankheitsrisiko messen möchte. Vor der Studie wird die Population in den Interventionszweig und den Kontrollzweig geteilt. Während der Studie wird dann aktiv diese Intervention (z. B. Medikament) gegeben, während die Kontrollpopulation unbehandelt bleibt, bzw. eine nicht-wirksame Behandlung bekommt (z. B. [[Placebo]]). Die Auswertung erfolgt ähnlich einer Fall-Kontrollstudie über Chancenverhältnisse (engl. ''odds ratios''). Die Zuordnung zur Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe ist der kritische Punkt einer Interventionsstudie, da sich die Teilnehmer in ihren Gesundheitsparametern unterscheiden und man nur den Einfluss der Intervention und nicht dieser Parameter messen möchte. Erfolgt diese Auswahl zufällig und damit nicht gerichtet, spricht man von einer randomisierten, kontrollierten Studie (engl. randomised controlled trial). Diese Studien haben eine besonders starke Kausalität in Bezug auf Intervention und Krankheitsstatus und werden daher in der Medikamententestung eingesetzt. | + | * Interventionsstudien (engl. intervention studies) verfolgen ähnlich einer prospektiven Kohortenstudie eine Population entlang der Zeit, wobei man den Einfluss einer spezifischen Intervention, meist eine neue Behandlung oder ein neues Medikament, auf das Krankheitsrisiko messen möchte. Vor der Studie wird die Population in den Interventionszweig und den Kontrollzweig geteilt. Während der Studie wird dann aktiv diese Intervention (z. B. Medikament) gegeben, während die Kontrollpopulation unbehandelt bleibt, bzw. eine nicht-wirksame Behandlung bekommt (z. B. [[Wikipedia:Placebo|Placebo]]). Die Auswertung erfolgt ähnlich einer Fall-Kontrollstudie über Chancenverhältnisse (engl. ''odds ratios''). Die Zuordnung zur Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe ist der kritische Punkt einer Interventionsstudie, da sich die Teilnehmer in ihren Gesundheitsparametern unterscheiden und man nur den Einfluss der Intervention und nicht dieser Parameter messen möchte. Erfolgt diese Auswahl zufällig und damit nicht gerichtet, spricht man von einer randomisierten, kontrollierten Studie (engl. randomised controlled trial). Diese Studien haben eine besonders starke Kausalität in Bezug auf Intervention und Krankheitsstatus und werden daher in der Medikamententestung eingesetzt. |
− | * Die [[Paläopathologie]] liefert Fakten zur Ver- und Ausbreitung sowie Symptomatik von Krankheiten in historischen und prähistorischen Epochen; speziell anhand von Untersuchungen [[ADNA|alter DNA]] ist außerdem die Erforschung ausgestorbener Erregerstämme möglich. Ebenso können dank Skelettresten Symptome und Krankheiten diagnostiziert werden, wie etwa osteolytische Entzündungen. | + | * Die [[Wikipedia:Paläopathologie|Paläopathologie]] liefert Fakten zur Ver- und Ausbreitung sowie Symptomatik von Krankheiten in historischen und prähistorischen Epochen; speziell anhand von Untersuchungen [[Wikipedia:ADNA|alter DNA]] ist außerdem die Erforschung ausgestorbener Erregerstämme möglich. Ebenso können dank Skelettresten Symptome und Krankheiten diagnostiziert werden, wie etwa osteolytische Entzündungen. |
− | * Die laufende [[Epidemiologische Überwachung]] (Surveillance) der Gesundheitsbehörden zeigt kurz- und langfristige Entwicklungen der Verbreitung von Infektions- und anderen Krankheiten auf. | + | * Die laufende [[Wikipedia:Epidemiologische Überwachung|Epidemiologische Überwachung]] (Surveillance) der Gesundheitsbehörden zeigt kurz- und langfristige Entwicklungen der Verbreitung von Infektions- und anderen Krankheiten auf. |
* [[Molekulare Epidemiologie]], basierend auf Labordaten. | * [[Molekulare Epidemiologie]], basierend auf Labordaten. | ||
== Endemie, Epidemie und Pandemie == | == Endemie, Epidemie und Pandemie == | ||
− | Die [[Endemie]] ist das normale, übliche Auftreten einer bestimmten Krankheit in einer bestimmten Population. So ist ein gewisser Anteil von Grippe-Erkrankungen in der Bevölkerung üblich, und wird eine bestimmte Grenze überschritten – bei Grippe etwa 10 % – so spricht man von einer [[Epidemie]]. Aus der Definition der Endemie folgt also, dass die Epidemie das ''unüblich starke'' und ''zeitlich begrenzte'' Auftreten einer Krankheit ist. | + | Die [[Wikipedia:Endemie|Endemie]] ist das normale, übliche Auftreten einer bestimmten Krankheit in einer bestimmten Population. So ist ein gewisser Anteil von Grippe-Erkrankungen in der Bevölkerung üblich, und wird eine bestimmte Grenze überschritten – bei Grippe etwa 10 % – so spricht man von einer [[Wikipedia:Epidemie|Epidemie]]. Aus der Definition der Endemie folgt also, dass die Epidemie das ''unüblich starke'' und ''zeitlich begrenzte'' Auftreten einer Krankheit ist. |
− | Die [[Pandemie]] ist ebenso wie die Epidemie ein heftiger Ausbruch einer Krankheit, jedoch ist die Epidemie immer noch auf bestimmte Gebiete beschränkt. Pandemien sind dagegen länder- und kontinentübergreifend. Ihrer Vorbeugung und ggf. Eindämmung dient der Pandemieplan der [[Weltgesundheitsorganisation]] (WHO) und darauf aufbauend idealerweise jeweils ein [[Nationaler Pandemieplan]]. | + | Die [[Wikipedia:Pandemie|Pandemie]] ist ebenso wie die Epidemie ein heftiger Ausbruch einer Krankheit, jedoch ist die Epidemie immer noch auf bestimmte Gebiete beschränkt. Pandemien sind dagegen länder- und kontinentübergreifend. Ihrer Vorbeugung und ggf. Eindämmung dient der Pandemieplan der [[Wikipedia:Weltgesundheitsorganisation|Weltgesundheitsorganisation]] (WHO) und darauf aufbauend idealerweise jeweils ein [[Wikipedia:Nationaler Pandemieplan|Nationaler Pandemieplan]]. |
Man beachte, dass für die Einordnung von Erkrankungen als Endemie, Epidemie oder Pandemie ausschließlich die Auftretenshäufigkeit ausschlaggebend ist und nicht der Verlauf oder die Schwere der Erkrankungen. | Man beachte, dass für die Einordnung von Erkrankungen als Endemie, Epidemie oder Pandemie ausschließlich die Auftretenshäufigkeit ausschlaggebend ist und nicht der Verlauf oder die Schwere der Erkrankungen. | ||
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{{Hauptartikel|Sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen|Sozialmedizin}} | {{Hauptartikel|Sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen|Sozialmedizin}} | ||
− | Die Epidemiologie betrachtet auch das [[sozial]]e, [[geografisch]]e und [[Ökonomie|ökonomische]] Umfeld von Erkrankungen, während sich die Medizin meistens nur auf unmittelbare Faktoren wie etwa [[Virologie|Viren]] und Körperverletzungen beschränkt. In der Epidemiologie ist die alleinige Feststellung nicht ausreichend, dass der Erreger [[HIV|HI-Virus]] die Krankheit [[AIDS]] auslöst. Epidemiologen untersuchen das weitere Umfeld, in welchem jeder Zustand weitere Faktoren beeinflusst. | + | Die Epidemiologie betrachtet auch das [[Wikipedia:sozial|sozial]]e, [[Wikipedia:geografisch|geografisch]]e und [[Wikipedia:Ökonomie|ökonomische]] Umfeld von Erkrankungen, während sich die Medizin meistens nur auf unmittelbare Faktoren wie etwa [[Virologie|Viren]] und Körperverletzungen beschränkt. In der Epidemiologie ist die alleinige Feststellung nicht ausreichend, dass der Erreger [[Wikipedia:HIV|HI-Virus]] die Krankheit [[Wikipedia:AIDS|AIDS]] auslöst. Epidemiologen untersuchen das weitere Umfeld, in welchem jeder Zustand weitere Faktoren beeinflusst. |
Zum Beispiel: | Zum Beispiel: | ||
− | * Hierzulande ermöglicht das Klima den Anbau von Lebensmitteln, was [[Mangelernährung]] verhindert. Sind die Menschen einmal mit guter Ernährung gesünder geworden, können sie öfter die Schule besuchen, anstelle krank zuhause zu bleiben. | + | * Hierzulande ermöglicht das Klima den Anbau von Lebensmitteln, was [[Wikipedia:Mangelernährung|Mangelernährung]] verhindert. Sind die Menschen einmal mit guter Ernährung gesünder geworden, können sie öfter die Schule besuchen, anstelle krank zuhause zu bleiben. |
* Eine verbesserte Schulbildung kann für die Kinder zur Folge haben, dass sie als Erwachsene bessere Arbeitsplätze erhalten und mehr verdienen, was ihnen ermöglicht, bessere Gesundheitspflege zu empfangen oder in ein Gebiet zu ziehen, in welchem zum Beispiel keine Malaria vorkommt. | * Eine verbesserte Schulbildung kann für die Kinder zur Folge haben, dass sie als Erwachsene bessere Arbeitsplätze erhalten und mehr verdienen, was ihnen ermöglicht, bessere Gesundheitspflege zu empfangen oder in ein Gebiet zu ziehen, in welchem zum Beispiel keine Malaria vorkommt. | ||
* Eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht es den Eltern, den gesamten Nachwuchs pflegen zu lassen anstatt nur den ältesten Sohn, welcher in Zukunft den Betrieb des Vaters erben wird. Epidemiologen versuchen in Entwicklungsländern oft, die Gesundheitspflege so zu gestalten, dass die Familie als Ganzes möglichst produktiv bleibt. | * Eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht es den Eltern, den gesamten Nachwuchs pflegen zu lassen anstatt nur den ältesten Sohn, welcher in Zukunft den Betrieb des Vaters erben wird. Epidemiologen versuchen in Entwicklungsländern oft, die Gesundheitspflege so zu gestalten, dass die Familie als Ganzes möglichst produktiv bleibt. | ||
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== Geschichte == | == Geschichte == | ||
[[Datei:Snow-cholera-map.jpg|mini|Karte des Cholera-Ausbruchs, erstellt von Dr. Snow.]] | [[Datei:Snow-cholera-map.jpg|mini|Karte des Cholera-Ausbruchs, erstellt von Dr. Snow.]] | ||
− | [[Datei:Nightingale-mortality.jpg|mini|[[Kreisdiagramm#Variationen|Polar-Area-Diagramm]], mit dessen Hilfe [[Florence Nightingale]] die Todesursachen während des Krimkrieges darstellte:<br />blau: an Infektionskrankheiten Verstorbene<br />rot: an Verwundungen Verstorbene<br />schwarz: andere Todesursachen]] | + | [[Datei:Nightingale-mortality.jpg|mini|[[Wikipedia:Kreisdiagramm#Variationen|Polar-Area-Diagramm]], mit dessen Hilfe [[Wikipedia:Florence Nightingale|Florence Nightingale]] die Todesursachen während des Krimkrieges darstellte:<br />blau: an Infektionskrankheiten Verstorbene<br />rot: an Verwundungen Verstorbene<br />schwarz: andere Todesursachen]] |
− | Während der Pestepidemie 1483/84 erwies sich Konrad Schwestermüller (um 1450–1520), der Leibarzt von [[Johann Cicero]] von Brandenburg, als hervorragender Epidemiologe, der auch vom Mecklenburger Hof (unter den Herzögen [[Magnus II. (Mecklenburg)|Magnus]] und [[Balthasar (Mecklenburg)|Balthasar]]) als Berater während der Epidemie von 1490/92 hinzugezogen wurde. Er verfasste 1484 eine auch an die gesamte Bevölkerung gerichtete, noch im 17. Jahrhundert von der städtischen Seuchenprophylaxe in Berlin berücksichtigte Pestschrift<ref>Konrad Schwestermüller: ''Regiment und lere wider die swaren kranckheit der pestilentz.''</ref> zur Vorbeugung und differenzierten Behandlung der Seuche.<ref>Wolfgang Wegner: ''Schwestermüller, Konrad.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' [[De Gruyter]], Berlin, New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1312.</ref> | + | Während der Pestepidemie 1483/84 erwies sich Konrad Schwestermüller (um 1450–1520), der Leibarzt von [[Wikipedia:Johann Cicero|Johann Cicero]] von Brandenburg, als hervorragender Epidemiologe, der auch vom Mecklenburger Hof (unter den Herzögen [[Wikipedia:Magnus II. (Mecklenburg)|Magnus]] und [[Wikipedia:Balthasar (Mecklenburg)|Balthasar]]) als Berater während der Epidemie von 1490/92 hinzugezogen wurde. Er verfasste 1484 eine auch an die gesamte Bevölkerung gerichtete, noch im 17. Jahrhundert von der städtischen Seuchenprophylaxe in Berlin berücksichtigte Pestschrift<ref>Konrad Schwestermüller: ''Regiment und lere wider die swaren kranckheit der pestilentz.''</ref> zur Vorbeugung und differenzierten Behandlung der Seuche.<ref>Wolfgang Wegner: ''Schwestermüller, Konrad.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' [[Wikipedia:De Gruyter|De Gruyter]], Berlin, New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1312.</ref> |
− | Im frühen 18. Jahrhundert führte [[Giovanni Maria Lancisi]] (1654–1720), der in [[Rom]] als Leibarzt des Papstes wirkte, den Rückgang von diversen Erkrankungen – darunter [[Malaria]] – auf verbesserte [[Hygiene]] und die Trockenlegung von Sümpfen zurück. Dieser Rückgang der Infektionskrankheiten infolge von Hygienemaßnahmen wird auch als erster [[Epidemiologischer Übergang]] bezeichnet. | + | Im frühen 18. Jahrhundert führte [[Wikipedia:Giovanni Maria Lancisi|Giovanni Maria Lancisi]] (1654–1720), der in [[Wikipedia:Rom|Rom]] als Leibarzt des Papstes wirkte, den Rückgang von diversen Erkrankungen – darunter [[Wikipedia:Malaria|Malaria]] – auf verbesserte [[Hygiene]] und die Trockenlegung von Sümpfen zurück. Dieser Rückgang der Infektionskrankheiten infolge von Hygienemaßnahmen wird auch als erster [[Wikipedia:Epidemiologischer Übergang|Epidemiologischer Übergang]] bezeichnet. |
− | Der Beginn der modernen Epidemiologie wird jedoch auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert: 1854 bekämpfte [[John Snow (Mediziner)|John Snow]] einen [[Cholera]]-Ausbruch im [[London]]er [[Soho (London)|Soho]]-Bezirk erfolgreich, weil er aufgrund einer Kartierung der Erkrankungsfälle erkannte, dass eine öffentliche Wasserfassung die [[Krankheitserreger|Infektionsquelle]] war. Er ließ den verschmutzten Brunnen sperren, die Zahl der Krankheitsfälle nahm danach signifikant ab.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.evolve360.co.uk/Data/10/Docs/11/11Snow.pdf |autor=Stephanie J. Snow |titel=Death by Water. John Snow and the cholera in the 19th century |datum= |werk= |format=PDF; 204 kB |zugriff=2014-05-06}}</ref> Snows Erkenntnisse über die Ursache der Cholera, die er gemeinsam mit dem Arzt und Mikrobiologen [[Arthur Hill Hassall]] entwickelt hatte, wurden erst nach Snows Tod weit akzeptiert.<ref>Amanda J. Thomas: ''The Lambeth Cholera Outbreak of 1848–1849: The Setting, Causes, Course and Aftermath of an Epidemic in London.'' McFarland, 2009, ISBN 978-0-7864-5714-4, S. 37 f.</ref> Maßgeblich beteiligt daran war unter anderem der britische Statistiker [[William Farr]]. Zum Umfeld von William Farr gehörte auch [[Florence Nightingale]] (1820–1910), die als eine der Begründerinnen der westlichen Krankenpflege gilt.<ref>Mark Bostridge: ''Florence Nightingale''. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3.</ref> Sie stellte während des [[Krimkrieg]]es in [[Üsküdar|Scutari]], dem zentralen britischen Militärhospital während dieses Krieges in der [[Selimiye-Kaserne]], einen rudimentären Krankenhausbetrieb sicher und fand dabei unter anderem heraus, dass die Mehrzahl der britischen Opfer des Krimkrieges nicht auf Verwundungen, sondern auf Infektionskrankheiten zurückzuführen war. Den Ruhm, den ihr ihr Krimkrieg-Einsatz einbrachte, nutzte sie, um auf zahlreiche britische Gesundheitsreformen Einfluss zu nehmen. Auf Grund einer Erkrankung, die sie sich während des Krimkrieges zugezogen hatte, war sie außerstande, sich gegebenenfalls selbst ein Bild von der Situation in einer Kaserne, einem Kranken- oder Armenhaus zu machen. Sie konzentrierte sich daher darauf, Daten zu sammeln, diese aufzubereiten und zu analysieren, um dann daraus Schlüsse zu ziehen. Ein wesentliches Arbeitsmittel waren für sie Fragebögen, daneben griff sie auf bereits vorhandene Daten zurück, wie die als [[Blaubuch (England)|Blaubücher]] bezeichneten offiziellen Regierungsberichte sowie Stellungnahmen britischer Behörden.<ref>Mark Bostridge: ''Florence Nightingale''. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 407.</ref> Sie belegte unter anderem gravierende Probleme bei der militärischen Gesundheitsfürsorge: Obwohl britische Soldaten normalerweise zwischen 20 und 35 Jahre alt waren und damit einer Altersgruppe mit geringer Sterblichkeitsrate angehörten, wiesen sie in Friedenszeiten eine fast doppelt so hohe Sterblichkeitsrate wie Zivilisten auf. In ihrem Bericht an die britische Regierung fand Nightingale dafür deutliche Worte. Wenn jährlich von 1000 Zivilisten 11 sterben würden, aber 17, 19 und 20 von 1000 Soldaten der in England stationierten Linieninfanterie, Artillerie und Garde, dann sei das ähnlich kriminell wie jährlich 1100 Mann auf die [[Salisbury Plain]] zu führen und dort zu erschießen.<ref>Im Original lautet dieses Zitat ''[It is just as criminal]… to have a mortality of 17, 19 and 20 per thousand in the Line, Artillery and Guards in England, when that of Civil life is only 11 per 1,000, as it would be to take 1,000 men per annum out upon Salisbury Plain and shoot them'', Florence Nightingale in ''Notes on matters affecting…'', zitiert nach Mark Bostridge: ''Florence Nightingale''. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 314.</ref> Florence Nightingale gilt als eine der Pionierin der grafischen Datenaufbereitung solcher Daten. | + | Der Beginn der modernen Epidemiologie wird jedoch auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert: 1854 bekämpfte [[Wikipedia:John Snow (Mediziner)|John Snow]] einen [[Wikipedia:Cholera|Cholera]]-Ausbruch im [[Wikipedia:London|London]]er [[Wikipedia:Soho (London)|Soho]]-Bezirk erfolgreich, weil er aufgrund einer Kartierung der Erkrankungsfälle erkannte, dass eine öffentliche Wasserfassung die [[Wikipedia:Krankheitserreger|Infektionsquelle]] war. Er ließ den verschmutzten Brunnen sperren, die Zahl der Krankheitsfälle nahm danach signifikant ab.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.evolve360.co.uk/Data/10/Docs/11/11Snow.pdf |autor=Stephanie J. Snow |titel=Death by Water. John Snow and the cholera in the 19th century |datum= |werk= |format=PDF; 204 kB |zugriff=2014-05-06}}</ref> Snows Erkenntnisse über die Ursache der Cholera, die er gemeinsam mit dem Arzt und Mikrobiologen [[Wikipedia:Arthur Hill Hassall|Arthur Hill Hassall]] entwickelt hatte, wurden erst nach Snows Tod weit akzeptiert.<ref>Amanda J. Thomas: ''The Lambeth Cholera Outbreak of 1848–1849: The Setting, Causes, Course and Aftermath of an Epidemic in London.'' McFarland, 2009, ISBN 978-0-7864-5714-4, S. 37 f.</ref> Maßgeblich beteiligt daran war unter anderem der britische Statistiker [[Wikipedia:William Farr|William Farr]]. Zum Umfeld von William Farr gehörte auch [[Wikipedia:Florence Nightingale|Florence Nightingale]] (1820–1910), die als eine der Begründerinnen der westlichen Krankenpflege gilt.<ref>Mark Bostridge: ''Florence Nightingale''. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3.</ref> Sie stellte während des [[Wikipedia:Krimkrieg|Krimkrieg]]es in [[Wikipedia:Üsküdar|Scutari]], dem zentralen britischen Militärhospital während dieses Krieges in der [[Wikipedia:Selimiye-Kaserne|Selimiye-Kaserne]], einen rudimentären Krankenhausbetrieb sicher und fand dabei unter anderem heraus, dass die Mehrzahl der britischen Opfer des Krimkrieges nicht auf Verwundungen, sondern auf Infektionskrankheiten zurückzuführen war. Den Ruhm, den ihr ihr Krimkrieg-Einsatz einbrachte, nutzte sie, um auf zahlreiche britische Gesundheitsreformen Einfluss zu nehmen. Auf Grund einer Erkrankung, die sie sich während des Krimkrieges zugezogen hatte, war sie außerstande, sich gegebenenfalls selbst ein Bild von der Situation in einer Kaserne, einem Kranken- oder Armenhaus zu machen. Sie konzentrierte sich daher darauf, Daten zu sammeln, diese aufzubereiten und zu analysieren, um dann daraus Schlüsse zu ziehen. Ein wesentliches Arbeitsmittel waren für sie Fragebögen, daneben griff sie auf bereits vorhandene Daten zurück, wie die als [[Wikipedia:Blaubuch (England)|Blaubücher]] bezeichneten offiziellen Regierungsberichte sowie Stellungnahmen britischer Behörden.<ref>Mark Bostridge: ''Florence Nightingale''. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 407.</ref> Sie belegte unter anderem gravierende Probleme bei der militärischen Gesundheitsfürsorge: Obwohl britische Soldaten normalerweise zwischen 20 und 35 Jahre alt waren und damit einer Altersgruppe mit geringer Sterblichkeitsrate angehörten, wiesen sie in Friedenszeiten eine fast doppelt so hohe Sterblichkeitsrate wie Zivilisten auf. In ihrem Bericht an die britische Regierung fand Nightingale dafür deutliche Worte. Wenn jährlich von 1000 Zivilisten 11 sterben würden, aber 17, 19 und 20 von 1000 Soldaten der in England stationierten Linieninfanterie, Artillerie und Garde, dann sei das ähnlich kriminell wie jährlich 1100 Mann auf die [[Wikipedia:Salisbury Plain|Salisbury Plain]] zu führen und dort zu erschießen.<ref>Im Original lautet dieses Zitat ''[It is just as criminal]… to have a mortality of 17, 19 and 20 per thousand in the Line, Artillery and Guards in England, when that of Civil life is only 11 per 1,000, as it would be to take 1,000 men per annum out upon Salisbury Plain and shoot them'', Florence Nightingale in ''Notes on matters affecting…'', zitiert nach Mark Bostridge: ''Florence Nightingale''. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 314.</ref> Florence Nightingale gilt als eine der Pionierin der grafischen Datenaufbereitung solcher Daten. |
− | Andere Pioniere waren der dänische Arzt [[Peter Anton Schleisner]], der 1849 daran arbeitete, die [[Tetanus]]-neonatorum-Epidemie auf den [[Westmännerinseln]] durch vorbeugende Maßnahmen zu beenden, und der ungarische Arzt [[Ignaz Semmelweis]], der 1847 das oftmals tödliche [[Kindbettfieber]] durch Einführung konsequenter Hygienemaßnahmen abschaffte. Die Erkenntnisse von Semmelweis wurden von der Fachschaft nicht akzeptiert, denn damals galt die Annahme, dass es krankmachende Kleinstlebewesen – nämlich [[Bakterien]] – gebe, als lächerlich. | + | Andere Pioniere waren der dänische Arzt [[Wikipedia:Peter Anton Schleisner|Peter Anton Schleisner]], der 1849 daran arbeitete, die [[Wikipedia:Tetanus|Tetanus]]-neonatorum-Epidemie auf den [[Wikipedia:Westmännerinseln|Westmännerinseln]] durch vorbeugende Maßnahmen zu beenden, und der ungarische Arzt [[Wikipedia:Ignaz Semmelweis|Ignaz Semmelweis]], der 1847 das oftmals tödliche [[Wikipedia:Kindbettfieber|Kindbettfieber]] durch Einführung konsequenter Hygienemaßnahmen abschaffte. Die Erkenntnisse von Semmelweis wurden von der Fachschaft nicht akzeptiert, denn damals galt die Annahme, dass es krankmachende Kleinstlebewesen – nämlich [[Wikipedia:Bakterien|Bakterien]] – gebe, als lächerlich. |
− | Die ersten Mediziner, die die Vorgehensweise der Epidemiologie nicht nur auf Infektionskrankheiten, sondern auf Krebserkrankungen anwendeten, waren gegen Ende der 1870er Jahre [[Walther Hesse]] und Friedrich Härting.<ref name="Fagin-127" /> Walther Hesse wurde 1877 zum Bezirksarzt des Kreises [[Schwarzenberg/Erzgeb.|Schwarzenberg]] im Erzgebirge ernannt. In seinen Verantwortungsbereich fielen unter anderem 83 Dörfer, in denen vor allem Bergarbeiter lebten. Hesse war schockiert über ihren schlechten Gesundheitszustand und das geringe Lebensalter, das Bergleute typischerweise erreichten.<ref>[[Dan Fagin]]: ''Toms River: A Story of Science and Salvation''. Bantam Books, New York 2014, ISBN 978-0-345-53861-1. S. 125.</ref> Bereits [[Paracelsus]] hatte 1567 für dieses Gebiet das Auftreten von Lungenkrankheiten beschrieben, die er als ''Bergsucht'' bezeichnete.<ref>{{Literatur |Autor=[[Theophrastus Bombast von Hohenheim|Theophrastus Paracelsus von Hohenheim]] |Hrsg=Samuel Zimmermann |Titel=Von der Bergsucht oder Bergkranckheiten drey Bücher, inn dreyzehen Tractat verfast vnnd beschriben worden. |TitelErg=Darin̄en begryffen vom ursprung vnd herkom̄en derselbigen Kranckheiten, sampt jhren warhafftigen Preseruatiua vnnd Curen. Allen Ertz vnnd Bergleüten, Schmeltzern, Probierern, Müntzmaistern, Goldschmiden, vnnd Alchimisten, auch allen denē so inn Metallen vnd Mineralien arbayten, hoch nutzlich, tröstlich vnnd notturfftig. |Verlag=Sebaldus Mayer |Ort=Dillingen |Datum=1567}}</ref> Die Ursache der Erkrankung war jedoch unbekannt. Gemeinsam mit dem Bergwerksarzt Härting begann Hesse, einzelne Krankheitsfälle zusammenzutragen, Bergleute zu interviewen, Umweltmessungen vorzunehmen und letztlich auch 20 Autopsien durchzuführen. Am Ende ihrer Untersuchung stand eindeutig fest, dass es unter den Bergleuten zu einer Häufung von Krebsfällen kam, deren Ursache in Zusammenhang mit ihrer Arbeit stand. Hesse und Härting vermuteten als Auslöser der sogenannten [[Schneeberger Krankheit]] Asbeststäube, erst spätere Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Auslöser die aufgrund der besonderen [[Geologie]] des Ortes eng mit den [[BiCoNi-Formation|BiCoNi-Erzen]] verwachsenen [[Uran]]erze waren. Die Arbeit, die Hesse und Härting in Schneeberg geleistet hatte, waren beispielgebend für eine Reihe weiterer Wissenschaftler – am bekanntesten darunter ist die Leistung von [[Ludwig Rehn]], der 1895 nachweisen konnte, dass ein Zusammenhang zwischen der Arbeit in einer anilinverarbeitenden Industrie und dem Auftreten von [[Blasenkrebs]] bestand.<ref name="Fagin-127" /> | + | Die ersten Mediziner, die die Vorgehensweise der Epidemiologie nicht nur auf Infektionskrankheiten, sondern auf Krebserkrankungen anwendeten, waren gegen Ende der 1870er Jahre [[Wikipedia:Walther Hesse|Walther Hesse]] und Friedrich Härting.<ref name="Fagin-127" /> Walther Hesse wurde 1877 zum Bezirksarzt des Kreises [[Wikipedia:Schwarzenberg/Erzgeb.|Schwarzenberg]] im Erzgebirge ernannt. In seinen Verantwortungsbereich fielen unter anderem 83 Dörfer, in denen vor allem Bergarbeiter lebten. Hesse war schockiert über ihren schlechten Gesundheitszustand und das geringe Lebensalter, das Bergleute typischerweise erreichten.<ref>[[Wikipedia:Dan Fagin|Dan Fagin]]: ''Toms River: A Story of Science and Salvation''. Bantam Books, New York 2014, ISBN 978-0-345-53861-1. S. 125.</ref> Bereits [[Paracelsus]] hatte 1567 für dieses Gebiet das Auftreten von Lungenkrankheiten beschrieben, die er als ''Bergsucht'' bezeichnete.<ref>{{Literatur |Autor=[[Wikipedia:Theophrastus Bombast von Hohenheim|Theophrastus Paracelsus von Hohenheim]] |Hrsg=Samuel Zimmermann |Titel=Von der Bergsucht oder Bergkranckheiten drey Bücher, inn dreyzehen Tractat verfast vnnd beschriben worden. |TitelErg=Darin̄en begryffen vom ursprung vnd herkom̄en derselbigen Kranckheiten, sampt jhren warhafftigen Preseruatiua vnnd Curen. Allen Ertz vnnd Bergleüten, Schmeltzern, Probierern, Müntzmaistern, Goldschmiden, vnnd Alchimisten, auch allen denē so inn Metallen vnd Mineralien arbayten, hoch nutzlich, tröstlich vnnd notturfftig. |Verlag=Sebaldus Mayer |Ort=Dillingen |Datum=1567}}</ref> Die Ursache der Erkrankung war jedoch unbekannt. Gemeinsam mit dem Bergwerksarzt Härting begann Hesse, einzelne Krankheitsfälle zusammenzutragen, Bergleute zu interviewen, Umweltmessungen vorzunehmen und letztlich auch 20 Autopsien durchzuführen. Am Ende ihrer Untersuchung stand eindeutig fest, dass es unter den Bergleuten zu einer Häufung von Krebsfällen kam, deren Ursache in Zusammenhang mit ihrer Arbeit stand. Hesse und Härting vermuteten als Auslöser der sogenannten [[Wikipedia:Schneeberger Krankheit|Schneeberger Krankheit]] Asbeststäube, erst spätere Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Auslöser die aufgrund der besonderen [[Wikipedia:Geologie|Geologie]] des Ortes eng mit den [[Wikipedia:BiCoNi-Formation|BiCoNi-Erzen]] verwachsenen [[Wikipedia:Uran|Uran]]erze waren. Die Arbeit, die Hesse und Härting in Schneeberg geleistet hatte, waren beispielgebend für eine Reihe weiterer Wissenschaftler – am bekanntesten darunter ist die Leistung von [[Wikipedia:Ludwig Rehn|Ludwig Rehn]], der 1895 nachweisen konnte, dass ein Zusammenhang zwischen der Arbeit in einer anilinverarbeitenden Industrie und dem Auftreten von [[Wikipedia:Blasenkrebs|Blasenkrebs]] bestand.<ref name="Fagin-127" /> |
− | Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Epidemiologie (und auch der [[Parasitologie]]) ist die 1880 während des Baus des [[Gotthardtunnel|Gotthard-Eisenbahntunnels]] erfolgte Entdeckung des [[Hakenwürmer|Hakenwurms]], ''[[Ancylostoma duodenale]]'', als Ursache der sogenannten [[Sankt-Gotthard-Krankheit]] – einer parasitären [[Anämie]]. Auf der Grundlage der epidemiologischen Erkenntnisse wurden dann die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse verbessert. | + | Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Epidemiologie (und auch der [[Wikipedia:Parasitologie|Parasitologie]]) ist die 1880 während des Baus des [[Wikipedia:Gotthardtunnel|Gotthard-Eisenbahntunnels]] erfolgte Entdeckung des [[Wikipedia:Hakenwürmer|Hakenwurms]], ''[[Wikipedia:Ancylostoma duodenale|Ancylostoma duodenale]]'', als Ursache der sogenannten [[Sankt-Gotthard-Krankheit]] – einer parasitären [[Wikipedia:Anämie|Anämie]]. Auf der Grundlage der epidemiologischen Erkenntnisse wurden dann die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse verbessert. |
− | Die [[Desinfektion]] wurde in der Medizin erst dann breit angewandt, als der britische Chirurg [[Joseph Lister, 1. Baron Lister|Joseph Lister]] [[Antisepsis|antiseptische]] Mittel entdeckte, basierend auf Arbeiten von [[Louis Pasteur]]. Im frühen 20. Jahrhundert wurden mathematische Methoden in die Epidemiologie eingeführt, um das Auftreten von Krankheiten in Populationen zu beschreiben und zu prognostizieren. | + | Die [[Wikipedia:Desinfektion|Desinfektion]] wurde in der Medizin erst dann breit angewandt, als der britische Chirurg [[Wikipedia:Joseph Lister, 1. Baron Lister|Joseph Lister]] [[Wikipedia:Antisepsis|antiseptische]] Mittel entdeckte, basierend auf Arbeiten von [[Wikipedia:Louis Pasteur|Louis Pasteur]]. Im frühen 20. Jahrhundert wurden mathematische Methoden in die Epidemiologie eingeführt, um das Auftreten von Krankheiten in Populationen zu beschreiben und zu prognostizieren. |
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Aktuelle Version vom 4. Mai 2022, 08:08 Uhr
Die Epidemiologie (von altgriechisch ἡ νούσος επιδημια, epidēmíā nósos „Epidemie, Volkskrankheit“,[1] wörtlich „über das ganze Volk verbreitete Krankheit“, und -logie) ist jene wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Verbreitung sowie den Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in Bevölkerungen oder Populationen beschäftigt. Das unterscheidet die Epidemiologie von der klinischen Medizin, bei der es darum geht, einem einzelnen Menschen in einem konkreten Krankheitsfall zu helfen. Auch wenn sich bereits zuvor einzelne Mediziner mit der Verbreitung und den Ursachen von Krankheiten beschäftigt haben, wird der Beginn der Epidemiologie allgemein auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert.
Zwei der wichtigsten Beobachtungsgrößen sind die Inzidenz und die Prävalenz, Maße für das Auftreten und die Verbreitung von Krankheiten in einer Population. Die Epidemiologie untersucht weiter die Faktoren, die zu Gesundheit und Krankheit von Individuen und Populationen beitragen, und legt damit die quantitative Basis vieler Maßnahmen, die im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung unternommen werden. Epidemiologische Methoden bilden die Grundlage klinischer Studien. Epidemiologische Untersuchungen spielen auch in der Soziologie und Psychologie eine Rolle, z. B. bei Verhaltensstörungen, Autismus und Selbsttötungen. So können Zusammenhänge mit der Verbreitung dieser Erscheinungen erfasst und ggf. beeinflusst werden. Die Veterinärepidemiologie oder Epizootiologie untersucht die Verbreitung von Krankheiten in Tierpopulationen.
Die Epidemiologie befasst sich mit allen Arten von Krankheiten und mit den Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen, und nicht nur mit Epidemien[2] oder Infektionskrankheiten, wie der veraltete deutsche Begriff „Seuchenkunde“ (Loimologie) für Infektionsepidemiologie scheinbar vortäuscht. "Epidemisch nennt man eine zu derselben Zeit in derselben Gegend besonders häufige Krankheit. Das Gegentheil davon bilden die sporadischen Krankheiten."[3] Diese alte Definition der Epidemie von Hippokrates (zitiert nach Galenos von Pergamon) gilt nicht mehr für die heutige Epidemiologie. Hier wird die Häufigkeit aller Krankheiten analysiert.
Tätigkeiten der Epidemiologie
Der Epidemiologe leistet praktische Arbeit in der Untersuchung einer Epidemie, von Umwelteinflüssen und in der Gesundheitsförderung. Theoretische Aspekte sind statistische Erfassung von Krankheiten und deren Auslösern, die Entwicklung mathematischer Modelle und Methoden sowie die Klärung philosophischer und ethischer Aspekte. Um dies zu erreichen, wird mit beobachtenden oder experimentellen Studien gearbeitet. So können zum Beispiel Beziehungen zwischen möglichen Ursachen wie Ernährung, sozialem Status, Stress und Umweltchemikalien sowie Folgen wie Krankheit und Wohlbefinden objektiv festgehalten werden.
Mathematische Modelle sind sehr wichtig, um die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Epidemien und deren Verlauf zu bestimmen. Ebenso helfen sie bei der Planung der Impfkampagnen. Siehe dazu auch Mathematische Modellierung der Epidemiologie.
Epidemiologische Untersuchungen sind generell in beschreibende, analytische und experimentelle Tätigkeiten unterteilt. Einige Wissenschaftler arbeiten in der öffentlichen Gesundheitsförderung, andere in Kliniken und wieder andere in der Entwicklungshilfe. Beim Auftreten neuer Krankheiten wie etwa SARS, Vogelgrippe H5N1 und Vogelgrippe H7N9 sind Epidemiologen unentbehrlich.
Epidemiologische Teilgebiete
Auflistung der Arbeitsgruppen der Dt. Ges. für Epidemiologie (DGEpi): Infektionsepidemiologie, Epidemiologie allergischer und dermatologischer Erkrankungen, Epidemiologie der Arbeitswelt, Epidemiologische Methoden, Ernährungsepidemiologie, Genetische Epidemiologie, Herz-Kreislauf-Epidemiologie, Krebsepidemiologie, Statistische Methoden in der Epidemiologie, Umweltmedizin. Weitere Teilgebiete sind die Oralepidemiologie, die Pharmakoepidemiologie und die Sozialepidemiologie.
Studientypen
Man unterscheidet folgende epidemiologische Studientypen:[4][5][6]
- Deskriptive Epidemiologie[7]
- Analytische Epidemiologie[7]
- Experimentelle Epidemiologie
- Molekulare Epidemiologie[7]
- Genetische Epidemiologie[7]
Im Zusammenhang mit Krebsregistern spricht man auch von:
- angewandter Epidemiologie.[7]
Herkunft des Begriffs
„Epidemiologie“ stammt vom griechischen epi „über“, demos „Menschen, Bezirk“ und logos „Wort, Beschreibung“ und suggeriert somit, die Epidemiologie befasse sich nur mit der Ausbreitung von Krankheiten in menschlichen Populationen. Es gibt allerdings auch die veterinärmedizinische Epidemiologie (auch Epizootiologie) und epidemiologische Untersuchungen von Krankheiten auf Pflanzen (botanische Epidemiologie).
Epidemiologische Kennzahlen
Diese Kennzahlen erleichtern den Überblick über die Lage der Bevölkerung oder über die Ausbreitung einer bestimmten Krankheit. Überschreitet eine Kennzahl ein gewisses Maß, so kann man gezielt Maßnahmen ergreifen. Definierte Situationen werden also mit definierten Aktionen bekämpft. Dies erleichtert auch eine objektive Beurteilung der Effizienz einer Intervention.
Prävalenz
Die Prävalenz einer Erkrankung gibt den Anteil der erkrankten Individuen in der betrachteten Population an. Nach Checkoway u. a. 1989 kann man genauer unterscheiden zwischen „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“ (point prevalence) und „Prävalenz über einen Zeitraum“ (period prevalence). Auf Grund der problematischen Interpretation der „Prävalenz über einen Zeitraum“ konzentriert man sich meist auf die „Prävalenz zu einem Zeitpunkt“, was auch meist gemeint ist, wenn man nur von Prävalenz spricht.
Die Prävalenz wird meistens als Quotient dargestellt – nämlich die Anzahl der jetzigen Fälle in einer Population (z. B. Erkrankte, Verstorbene, Unterernährte usw. unabhängig von der Dauer) dividiert durch die Anzahl aller Mitglieder dieser Population. Die Prävalenz als Maß für die Häufigkeit einer Krankheit ist nicht mit der Inzidenzrate zu verwechseln – das Maß für das Auftreten neuer Krankheitsfälle in einer Bevölkerung.
Beispiel: Zum 1. Januar 2002 waren in einem bestimmten Unternehmen 1.024 Mitarbeiter an Rückenleiden erkrankt. Bei einer Belegschaft von insgesamt 15.000 Mitarbeitern liegt die Prävalenz somit bei 0,068 oder 6,8 Prozent.
Risiko
Als Risiko wird die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses während eines bestimmten Zeitraums bezeichnet; als Ereignisse werden dabei typischerweise Neuerkrankungen oder Todesfälle betrachtet. Zum Beispiel: Verfolgte man eine Gruppe von 1.000 Personen über einen Zeitraum von 15 Jahren und würde dabei feststellen, dass 20 Personen gestorben sind während dieser 15 Jahre, so läge das 15 Jahre-Risiko bei 20/1.000.[8]
Das Risiko für Neuerkrankungen wird auch als kumulative Inzidenz bezeichnet. Das Lebenszeitrisiko bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Lebens (mindestens) einmal zu erkranken, und ist damit eine spezielle kumulative Inzidenz; dennoch lautet eine alternative Bezeichnung Lebenszeitprävalenz.
Zur Identifizierung von Risikofaktoren werden Populationen verglichen, die sich möglichst nur einer untersuchten Eigenschaft unterscheiden; dann lassen sich (absolute) Risikodifferenzen und relative Risiken berechnen. Risikofaktoren liefern Hinweise auf die Ursachen von Krankheiten; es muss jedoch kein kausaler Zusammenhang bestehen, insbesondere bei Beobachtungsstudien kann der Effekt auch durch Verzerrung (Bias) oder Confounding zustande kommen.
Attributionelles Risiko
Das attributable Risiko hilft abzuschätzen, wie stark ein bestimmter Faktor zu einer bestimmten Erkrankung beiträgt. Eine konkrete Fragestellung könnte lauten: Wie stark ist der Einfluss von 10 Zigaretten täglich auf das Lungenkrebsrisiko?
Die Antwort darauf lautet:
Im Prinzip werden also die Risiken von Personen, die entweder 10 oder 0 Zigaretten pro Tag rauchen, miteinander verglichen. Das Risiko der Nichtraucher ist sozusagen das „Restrisiko“, das man (oft) nicht vermeiden kann und somit keine weitere Beachtung verdient.
Inzidenzrate
Die Inzidenzrate ist die Anzahl der Neuerkrankungen dividiert durch die unter dem Risiko einer Erkrankung verbrachte Personenzeit in einer Bevölkerung; statt Erkrankungen können auch andere definierte Ereignisse betrachtet werden. Der Kehrwert der Inzidenzrate ist die durchschnittliche Zeit für ein Individuum bis zum Auftreten der Krankheit.
Verhältnis von Prävalenz und Inzidenz
Ist die Inzidenz als Kennzahl nicht überflüssig, wenn es die Kennzahl für die Prävalenz schon gibt? Nein, die Prävalenz hilft, zum Beispiel die Krankenpflegekosten der Unfallopfer in einer bestimmten Berufsgruppe zu errechnen (d. h. Zählung der Unfallopfer, die zum Zeitpunkt X in Behandlung/Rehabilitation sind). Die Inzidenz(rate) gibt aber der Unfallverhütung eine andere Information: Dort spielt es keine Rolle, wie lange sich jemand wegen Unfallschäden behandeln lassen muss (was sich in der Prävalenz niederschlägt), sondern, wie viele Unfälle geschehen. Ein abgewendetes Unglück bedeutet, dass eine Behandlung erspart wurde, die sowohl sehr kurz als auch sehr lange hätte dauern können.
Man kann sich diese beiden Kennzahlen gut als einen Brunnen vorstellen. Der Zufluss in den Brunnentrog ist die Inzidenzrate der Erkrankung, und der Inhalt des Brunnentrogs ist die Prävalenz, also das ständige Vorkommen der Krankheit. Die zwei Abflüsse aus dem Trog sind die Inzidenzrate der Heilung und die Inzidenzrate des Todes. Im Fließgleichgewicht (es fließt stets gleich viel in den Brunnentrog wie auch abfließt, engl. steady state) gilt:
Reproduktionszahl
Die Basisreproduktionszahl R0 (manchmal auch Grundvermehrungsrate genannt) gibt an, wie viele Menschen eine bereits erkrankte Person im Durchschnitt infiziert, falls die betroffene Bevölkerung weder geimpft noch anderweitig vor der Übertragung geschützt wird. Die Nettoreproduktionszahl Rt berücksichtigt auch die Immunität der Menschen und den Einfluss von Kontrollmaßnahmen. Um eine Epidemie einzudämmen, muss die Nettoreproduktionszahl auf den Wert 1 gebracht werden (jeder Infektionsfall führt zu einem Folgefall, das heißt keine Vergrößerung der Krankenzahl). Für eine Bekämpfung der Krankheit ist folglich eine Nettoreproduktionsrate kleiner 1 notwendig; je näher der Wert gegen 0 geht, desto erfolgreicher ist die Bekämpfung.
Beispiele für Basisreproduktionszahlen:
oder: |
R0: Basisreproduktionszahl |
Rt: Nettoreproduktionszahl |
n: Anteil der Bevölkerung, der geimpft oder anderweitig immunisiert ist (Durchimpfungsrate) |
Aus dieser Formel folgt, dass bei Malaria 99,9 %, bei Masern etwa 94 % und bei Polio (Kinderlähmung) rund 86 % der Bevölkerung geimpft sein müssen, damit die Krankheit im Endemie-Zustand verharrt oder sogar ausgerottet werden kann. Eine Unterschreitung der Durchimpfungsraten hat lokale Epidemien zur Folge.[9][10]
Deshalb betrifft die Frage „Soll ich mein Kind impfen?“ keineswegs nur die Gesundheit des einzelnen Kindes, sondern auch die der gesamten Bevölkerung. Ein erkranktes Kind stirbt zwar sehr selten an einer Kinderkrankheit wie Röteln oder Masern, aber es kann die Infektion weiterverbreiten.
Ein extremes Beispiel unterschiedlicher Reproduktionszahlen der gleichen Krankheit wird für Malaria angegeben: in Afrika ist die Erkrankung verheerend, in Indien ist sie ein beherrschbares Problem. Siehe Anopheles: Malaria in Kenia und im Punjab (Indien).
Epidemiologische Methoden und Studientypen
Generell möchte man mit epidemiologischen Methoden und Studien den Zusammenhang zwischen Exposition gegenüber Risikofaktoren und Erkrankung ermitteln. Ein Risikofaktor kann etwa Rauchen, fettes Essen oder auch ein bestimmtes soziales Umfeld sein, welches die Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht. Analog zum Risikofaktor spricht man vom „protektiven Faktor“, welcher sie verringert. Regelmäßige Bewegung und Obst sind z. B. protektive Faktoren für Herz-Kreislauferkrankungen, Stillen schützt Babys vor Infektionen. Zu den allgemein erhobenen Daten gehören neben Krankheitsstatus, Grunderkrankungen, Alter und Geschlecht oft das Rauchverhalten und der Bildungsstand. Man unterscheidet zwischen Beobachtungsstudien (Querschnittsstudie, Kohortenstudie, Fall-Kontrollstudie) und Interventionsstudien.
- Querschnittsstudien (engl. cross sectional study) ermitteln eine Momentaufnahme der untersuchten epidemiologischen Daten. Durch den zeitlichen „Schnappschuss“ der epidemiologischen Daten sind die aus der Studie gezogenen kausalen Zusammenhänge zwischen Exposition und Erkrankung schwach und dienen mehr der Generierung von Hypothesen als deren Verifizierung.
- Längsschnittstudien (engl. longitudinal study) sind ein Überbegriff für Studien, die regelmäßig Daten der Studienpopulation über einen längeren Zeitraum hinweg erheben. Sie entsprechen periodisch durchgeführten Querschnittsstudien.
- Kohortenstudien (engl. cohort studies) untersuchen definierte Gruppen von Menschen mit und ohne Exposition einem Risikofaktor gegenüber über eine längere Zeit und messen am Ende des Beobachtungszeitraums den Erkrankungsstatus. Aus der Anzahl Erkrankter unter den Exponierten dividiert durch die Gesamtzahl an Exponierten kann das Risiko der Exponierten für diese Erkrankung gemessen werden. Analog verfährt man für die Nicht-Exponierten. Das Verhältnis des Risikos der Exponierten zum Risiko der Nicht-Exponierten ist das Risikoverhältnis (auch genannt relatives Risiko oder engl. risk ratio) und gibt an, wie stark die Exposition das Risiko der Erkrankung erhöht. Beispielsweise erhöht Rauchen von täglich 20 Zigaretten gegenüber Nicht-Rauchen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, um den Faktor 15. Bei prospektiven Kohortenstudien liegen Studienbeginn und Beginn des Beobachtungszeitraums eng beieinander, die Kohorte wird „in die Zukunft“ (prospektiv) verfolgt und der Krankheitsstatus ist noch unbekannt. Retrospektive Kohortenstudien betrachten bereits vergangene Kohorten, hier sind die Beobachtungen bereits abgeschlossen und der Krankheitsstatus ist bereits bekannt. Sie sind einfacher und kostengünstiger durchzuführen als prospektive Kohortenstudien, allerdings auch anfälliger für Verzerrer (engl. bias), speziell bei der Rekrutierung der Studienteilnehmer, die ja in der Vergangenheit lag und nicht mehr zu beeinflussen ist. Beispiele für Kohortenstudien wäre die Untersuchung von Lungenkrebs bei Asbestarbeitern (exponierte Gruppe) einer Firma und deren Büroangestellten (nicht-exponierte Gruppe).
Anzahl Erkrankter | Anzahl Gesunder | |
---|---|---|
Anzahl Exponierter | a | b |
Anzahl Nicht-Exponierter | c | d |
- Fall-Kontrollstudien (engl. case control study) gehen methodisch den umgekehrten Weg einer Kohortenstudie. Bei einer Fall-Kontrollstudie ist der Krankheitsstatus bekannt und die Exposition unbekannt. Sie eignet sich insbesondere für seltene Erkrankungen, da eine Kohortenstudie sehr viele Teilnehmer haben müsste, um eine statistisch ausreichende Anzahl Erkrankter zu erreichen. Die Studienpopulation der Fall-Kontrollstudie besteht aus Erkrankten und Gesunden, wobei aus statistischen Gründen auf einen Erkrankten auch zwei oder mehr Gesunde kommen können (1:2 matching, 1:n matching). Erst nach der Zuordnung zu den beiden Gruppen wird die Exposition erfasst, um Beeinflussungen des Ergebnisses durch die Beobachter auszuschließen. Ausgewertet wird die Chance (engl. odd) der Erkrankten, exponiert zu sein. Sie ergibt sich aus der Zahl der Erkrankten mit Exposition dividiert durch die Zahl der Erkrankten ohne Exposition ('nicht' die Gesamtzahl der Erkrankten). Analog wird die Chance der Gesunden berechnet, exponiert zu sein. Die Division der Chance der Erkrankten durch die Chance der Gesunden ergibt das Chancenverhältnis (engl. odds ratio). Es entspricht dem Faktor, um den sich die Chance erhöht, durch die Exposition zu erkranken. In einer Fall-Kontrollstudie muss man das Chancenverhältnis und nicht etwa das Risikoverhältnis berechnen, da man durch die willkürliche Wahl der Anzahl von Kontrollpersonen den Nenner des Risikoterms (der Summe von a+b) verzerren würde. Hingegen würde sich eine Verdoppelung von Kontrollen beim Chancenverhältnis wieder rechnerisch herauskürzen (doppelt so viele im Zähler wie im Nenner).
Bei seltenen Erkrankungen entspricht das Chancenverhältnis dem Risikoverhältnis. Fall-Kontrollstudien sind grundsätzlich retrospektiv.
Anzahl Erkrankter | Anzahl Gesunder | |
---|---|---|
exponiert | a | b |
nicht exponiert | c | d |
- Interventionsstudien (engl. intervention studies) verfolgen ähnlich einer prospektiven Kohortenstudie eine Population entlang der Zeit, wobei man den Einfluss einer spezifischen Intervention, meist eine neue Behandlung oder ein neues Medikament, auf das Krankheitsrisiko messen möchte. Vor der Studie wird die Population in den Interventionszweig und den Kontrollzweig geteilt. Während der Studie wird dann aktiv diese Intervention (z. B. Medikament) gegeben, während die Kontrollpopulation unbehandelt bleibt, bzw. eine nicht-wirksame Behandlung bekommt (z. B. Placebo). Die Auswertung erfolgt ähnlich einer Fall-Kontrollstudie über Chancenverhältnisse (engl. odds ratios). Die Zuordnung zur Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe ist der kritische Punkt einer Interventionsstudie, da sich die Teilnehmer in ihren Gesundheitsparametern unterscheiden und man nur den Einfluss der Intervention und nicht dieser Parameter messen möchte. Erfolgt diese Auswahl zufällig und damit nicht gerichtet, spricht man von einer randomisierten, kontrollierten Studie (engl. randomised controlled trial). Diese Studien haben eine besonders starke Kausalität in Bezug auf Intervention und Krankheitsstatus und werden daher in der Medikamententestung eingesetzt.
- Die Paläopathologie liefert Fakten zur Ver- und Ausbreitung sowie Symptomatik von Krankheiten in historischen und prähistorischen Epochen; speziell anhand von Untersuchungen alter DNA ist außerdem die Erforschung ausgestorbener Erregerstämme möglich. Ebenso können dank Skelettresten Symptome und Krankheiten diagnostiziert werden, wie etwa osteolytische Entzündungen.
- Die laufende Epidemiologische Überwachung (Surveillance) der Gesundheitsbehörden zeigt kurz- und langfristige Entwicklungen der Verbreitung von Infektions- und anderen Krankheiten auf.
- Molekulare Epidemiologie, basierend auf Labordaten.
Endemie, Epidemie und Pandemie
Die Endemie ist das normale, übliche Auftreten einer bestimmten Krankheit in einer bestimmten Population. So ist ein gewisser Anteil von Grippe-Erkrankungen in der Bevölkerung üblich, und wird eine bestimmte Grenze überschritten – bei Grippe etwa 10 % – so spricht man von einer Epidemie. Aus der Definition der Endemie folgt also, dass die Epidemie das unüblich starke und zeitlich begrenzte Auftreten einer Krankheit ist.
Die Pandemie ist ebenso wie die Epidemie ein heftiger Ausbruch einer Krankheit, jedoch ist die Epidemie immer noch auf bestimmte Gebiete beschränkt. Pandemien sind dagegen länder- und kontinentübergreifend. Ihrer Vorbeugung und ggf. Eindämmung dient der Pandemieplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und darauf aufbauend idealerweise jeweils ein Nationaler Pandemieplan.
Man beachte, dass für die Einordnung von Erkrankungen als Endemie, Epidemie oder Pandemie ausschließlich die Auftretenshäufigkeit ausschlaggebend ist und nicht der Verlauf oder die Schwere der Erkrankungen.
Epidemiologisches Beziehungsnetz
Die Epidemiologie betrachtet auch das soziale, geografische und ökonomische Umfeld von Erkrankungen, während sich die Medizin meistens nur auf unmittelbare Faktoren wie etwa Viren und Körperverletzungen beschränkt. In der Epidemiologie ist die alleinige Feststellung nicht ausreichend, dass der Erreger HI-Virus die Krankheit AIDS auslöst. Epidemiologen untersuchen das weitere Umfeld, in welchem jeder Zustand weitere Faktoren beeinflusst.
Zum Beispiel:
- Hierzulande ermöglicht das Klima den Anbau von Lebensmitteln, was Mangelernährung verhindert. Sind die Menschen einmal mit guter Ernährung gesünder geworden, können sie öfter die Schule besuchen, anstelle krank zuhause zu bleiben.
- Eine verbesserte Schulbildung kann für die Kinder zur Folge haben, dass sie als Erwachsene bessere Arbeitsplätze erhalten und mehr verdienen, was ihnen ermöglicht, bessere Gesundheitspflege zu empfangen oder in ein Gebiet zu ziehen, in welchem zum Beispiel keine Malaria vorkommt.
- Eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle ermöglicht es den Eltern, den gesamten Nachwuchs pflegen zu lassen anstatt nur den ältesten Sohn, welcher in Zukunft den Betrieb des Vaters erben wird. Epidemiologen versuchen in Entwicklungsländern oft, die Gesundheitspflege so zu gestalten, dass die Familie als Ganzes möglichst produktiv bleibt.
Geschichte
Während der Pestepidemie 1483/84 erwies sich Konrad Schwestermüller (um 1450–1520), der Leibarzt von Johann Cicero von Brandenburg, als hervorragender Epidemiologe, der auch vom Mecklenburger Hof (unter den Herzögen Magnus und Balthasar) als Berater während der Epidemie von 1490/92 hinzugezogen wurde. Er verfasste 1484 eine auch an die gesamte Bevölkerung gerichtete, noch im 17. Jahrhundert von der städtischen Seuchenprophylaxe in Berlin berücksichtigte Pestschrift[11] zur Vorbeugung und differenzierten Behandlung der Seuche.[12]
Im frühen 18. Jahrhundert führte Giovanni Maria Lancisi (1654–1720), der in Rom als Leibarzt des Papstes wirkte, den Rückgang von diversen Erkrankungen – darunter Malaria – auf verbesserte Hygiene und die Trockenlegung von Sümpfen zurück. Dieser Rückgang der Infektionskrankheiten infolge von Hygienemaßnahmen wird auch als erster Epidemiologischer Übergang bezeichnet.
Der Beginn der modernen Epidemiologie wird jedoch auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert: 1854 bekämpfte John Snow einen Cholera-Ausbruch im Londoner Soho-Bezirk erfolgreich, weil er aufgrund einer Kartierung der Erkrankungsfälle erkannte, dass eine öffentliche Wasserfassung die Infektionsquelle war. Er ließ den verschmutzten Brunnen sperren, die Zahl der Krankheitsfälle nahm danach signifikant ab.[13] Snows Erkenntnisse über die Ursache der Cholera, die er gemeinsam mit dem Arzt und Mikrobiologen Arthur Hill Hassall entwickelt hatte, wurden erst nach Snows Tod weit akzeptiert.[14] Maßgeblich beteiligt daran war unter anderem der britische Statistiker William Farr. Zum Umfeld von William Farr gehörte auch Florence Nightingale (1820–1910), die als eine der Begründerinnen der westlichen Krankenpflege gilt.[15] Sie stellte während des Krimkrieges in Scutari, dem zentralen britischen Militärhospital während dieses Krieges in der Selimiye-Kaserne, einen rudimentären Krankenhausbetrieb sicher und fand dabei unter anderem heraus, dass die Mehrzahl der britischen Opfer des Krimkrieges nicht auf Verwundungen, sondern auf Infektionskrankheiten zurückzuführen war. Den Ruhm, den ihr ihr Krimkrieg-Einsatz einbrachte, nutzte sie, um auf zahlreiche britische Gesundheitsreformen Einfluss zu nehmen. Auf Grund einer Erkrankung, die sie sich während des Krimkrieges zugezogen hatte, war sie außerstande, sich gegebenenfalls selbst ein Bild von der Situation in einer Kaserne, einem Kranken- oder Armenhaus zu machen. Sie konzentrierte sich daher darauf, Daten zu sammeln, diese aufzubereiten und zu analysieren, um dann daraus Schlüsse zu ziehen. Ein wesentliches Arbeitsmittel waren für sie Fragebögen, daneben griff sie auf bereits vorhandene Daten zurück, wie die als Blaubücher bezeichneten offiziellen Regierungsberichte sowie Stellungnahmen britischer Behörden.[16] Sie belegte unter anderem gravierende Probleme bei der militärischen Gesundheitsfürsorge: Obwohl britische Soldaten normalerweise zwischen 20 und 35 Jahre alt waren und damit einer Altersgruppe mit geringer Sterblichkeitsrate angehörten, wiesen sie in Friedenszeiten eine fast doppelt so hohe Sterblichkeitsrate wie Zivilisten auf. In ihrem Bericht an die britische Regierung fand Nightingale dafür deutliche Worte. Wenn jährlich von 1000 Zivilisten 11 sterben würden, aber 17, 19 und 20 von 1000 Soldaten der in England stationierten Linieninfanterie, Artillerie und Garde, dann sei das ähnlich kriminell wie jährlich 1100 Mann auf die Salisbury Plain zu führen und dort zu erschießen.[17] Florence Nightingale gilt als eine der Pionierin der grafischen Datenaufbereitung solcher Daten.
Andere Pioniere waren der dänische Arzt Peter Anton Schleisner, der 1849 daran arbeitete, die Tetanus-neonatorum-Epidemie auf den Westmännerinseln durch vorbeugende Maßnahmen zu beenden, und der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, der 1847 das oftmals tödliche Kindbettfieber durch Einführung konsequenter Hygienemaßnahmen abschaffte. Die Erkenntnisse von Semmelweis wurden von der Fachschaft nicht akzeptiert, denn damals galt die Annahme, dass es krankmachende Kleinstlebewesen – nämlich Bakterien – gebe, als lächerlich.
Die ersten Mediziner, die die Vorgehensweise der Epidemiologie nicht nur auf Infektionskrankheiten, sondern auf Krebserkrankungen anwendeten, waren gegen Ende der 1870er Jahre Walther Hesse und Friedrich Härting.[18] Walther Hesse wurde 1877 zum Bezirksarzt des Kreises Schwarzenberg im Erzgebirge ernannt. In seinen Verantwortungsbereich fielen unter anderem 83 Dörfer, in denen vor allem Bergarbeiter lebten. Hesse war schockiert über ihren schlechten Gesundheitszustand und das geringe Lebensalter, das Bergleute typischerweise erreichten.[19] Bereits Paracelsus hatte 1567 für dieses Gebiet das Auftreten von Lungenkrankheiten beschrieben, die er als Bergsucht bezeichnete.[20] Die Ursache der Erkrankung war jedoch unbekannt. Gemeinsam mit dem Bergwerksarzt Härting begann Hesse, einzelne Krankheitsfälle zusammenzutragen, Bergleute zu interviewen, Umweltmessungen vorzunehmen und letztlich auch 20 Autopsien durchzuführen. Am Ende ihrer Untersuchung stand eindeutig fest, dass es unter den Bergleuten zu einer Häufung von Krebsfällen kam, deren Ursache in Zusammenhang mit ihrer Arbeit stand. Hesse und Härting vermuteten als Auslöser der sogenannten Schneeberger Krankheit Asbeststäube, erst spätere Wissenschaftler konnten nachweisen, dass Auslöser die aufgrund der besonderen Geologie des Ortes eng mit den BiCoNi-Erzen verwachsenen Uranerze waren. Die Arbeit, die Hesse und Härting in Schneeberg geleistet hatte, waren beispielgebend für eine Reihe weiterer Wissenschaftler – am bekanntesten darunter ist die Leistung von Ludwig Rehn, der 1895 nachweisen konnte, dass ein Zusammenhang zwischen der Arbeit in einer anilinverarbeitenden Industrie und dem Auftreten von Blasenkrebs bestand.[18]
Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Epidemiologie (und auch der Parasitologie) ist die 1880 während des Baus des Gotthard-Eisenbahntunnels erfolgte Entdeckung des Hakenwurms, Ancylostoma duodenale, als Ursache der sogenannten Sankt-Gotthard-Krankheit – einer parasitären Anämie. Auf der Grundlage der epidemiologischen Erkenntnisse wurden dann die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse verbessert.
Die Desinfektion wurde in der Medizin erst dann breit angewandt, als der britische Chirurg Joseph Lister antiseptische Mittel entdeckte, basierend auf Arbeiten von Louis Pasteur. Im frühen 20. Jahrhundert wurden mathematische Methoden in die Epidemiologie eingeführt, um das Auftreten von Krankheiten in Populationen zu beschreiben und zu prognostizieren.
Siehe auch
- Kategorie:Epidemologie - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Epidemologie - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Gesundheitsberichterstattung - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Immunologie - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Medizinsoziologie - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Positiver prädiktiver Wert - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Bedingte Wahrscheinlichkeit - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Spezifität - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Krankheitsprävention - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Präventivmedizin - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Risikofaktor - Artikel in der deutschen Wikipedia
Literatur
- K. J. Rothman: Epidemiology: An introduction. Oxford University Press, 2002, ISBN 0-19-513554-7.
- M. Porta, S. Greenland, M. Hernán, I. dos Santos Silva, J. M. Last (Hrsg.): A dictionary of epidemiology. 6. Auflage, Oxford University Press, New York 2014, ISBN 978-0-19-997673-7.
- Lothar Kreienbrock, Siegfried Schach: Epidemiologische Methoden. 4. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2005, ISBN 3-8274-1528-4.
- Alexander Krämer, Ralf Reintjes (Hrsg.): Infektionsepidemiologie – Methoden, Surveillance, Mathematische Modelle, Global Public Health. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-42764-3 (mit CD-ROM).
- R. Beaglehole, R. Bonita, T. Kjellström: Einführung in die Epidemiologie. Huber, Bern 1997, ISBN 3-456-82767-9.
- H. Checkoway, N. Pearce, D. J. Crawdorf-Brown: Research methods in occupational epidemiology. Oxford University Press, New York 1989, ISBN 0-19-505224-2.
- P. Armitage, G. Berry: Statistical Methods in Medical Research. Blackwell Scientific Publications, Oxford 1987.
- J. W. R. Twisk: Applied Longitudinal Data Analysis for Epidemiology. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0-521-52580-2.
- J. Hardin, J. Hilbe: Generalized Linear Models and Extensions. Stata Press, College Station TX 2001.
- Leon Gordis: Epidemiologie. Verlag im Kilian, ISBN 3-932091-63-9.
- Wolfgang Ahrens, Iris Pigeot (Hrsg.): Handbook of Epidemiology. Springer, Berlin/ Heidelberg 2005, ISBN 3-540-00566-8.
- Christel Weiß: Basiswissen Medizinische Statistik. 5. Auflage. (mit Epidemiologie). Springer, Berlin/ Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-11336-9.
Einzelnachweise
- ↑ Ludwig August Kraus: Kritisch-etymologisches medicinisches Lexikon, 3. Auflage, Verlag der Deuerlich- und Dieterichschen Buchhandlung, Göttingen 1844, S. 371.
- ↑ Otto Dornblüth: Klinisches Wörterbuch, 3. Auflage, Verlag von Veit & Comp, Leipzig 1907, S. 72.
- ↑ Ludwig August Kraus, am angegebenen Ort.
- ↑ Präventivmedizin, Epidemiologie und Sozialmedizin: für Human- und Zahnmediziner. Facultas, 2007, ISBN 978-3-7089-0094-0, S. 18–26 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Psychiatrie und Psychotherapie. Springer-Verlag, 2008, ISBN 978-3-540-33129-2, S. 57 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Pathologie: mit über 200 Tabellen. Elsevier, Urban & Fischer Verlag, 2008, ISBN 978-3-437-42382-6, S. 32–33 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 Repetitorium Pathologie: mit 161 Tabellen. Elsevier, Urban & Fischer Verlag, 2004, ISBN 978-3-437-43400-6, S. 8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Checkoway u. a.: Research methods in occupational epidemiology. 1989.
- ↑ History and Epidemiology of Global Smallpox Eradication (Memento des Originals vom 15. Juli 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Revisiting the Basic Reproductive Number for Malaria and Its Implications for Malaria Control doi:10.1371/journal.pbio.0050042.
- ↑ Konrad Schwestermüller: Regiment und lere wider die swaren kranckheit der pestilentz.
- ↑ Wolfgang Wegner: Schwestermüller, Konrad. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin, New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1312.
- ↑ Stephanie J. Snow: Death by Water. John Snow and the cholera in the 19th century. (PDF; 204 kB) Abgerufen am 6. Mai 2014.
- ↑ Amanda J. Thomas: The Lambeth Cholera Outbreak of 1848–1849: The Setting, Causes, Course and Aftermath of an Epidemic in London. McFarland, 2009, ISBN 978-0-7864-5714-4, S. 37 f.
- ↑ Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3.
- ↑ Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 407.
- ↑ Im Original lautet dieses Zitat [It is just as criminal]… to have a mortality of 17, 19 and 20 per thousand in the Line, Artillery and Guards in England, when that of Civil life is only 11 per 1,000, as it would be to take 1,000 men per annum out upon Salisbury Plain and shoot them, Florence Nightingale in Notes on matters affecting…, zitiert nach Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-14-026392-3, S. 314.
- ↑ 18,0 18,1 Dan Fagin: Toms River: A Story of Science and Salvation. Bantam Books, New York 2014, ISBN 978-0-345-53861-1, S. 127.
- ↑ Dan Fagin: Toms River: A Story of Science and Salvation. Bantam Books, New York 2014, ISBN 978-0-345-53861-1. S. 125.
- ↑ Theophrastus Paracelsus von Hohenheim: Von der Bergsucht oder Bergkranckheiten drey Bücher, inn dreyzehen Tractat verfast vnnd beschriben worden. Darin̄en begryffen vom ursprung vnd herkom̄en derselbigen Kranckheiten, sampt jhren warhafftigen Preseruatiua vnnd Curen. Allen Ertz vnnd Bergleüten, Schmeltzern, Probierern, Müntzmaistern, Goldschmiden, vnnd Alchimisten, auch allen denē so inn Metallen vnd Mineralien arbayten, hoch nutzlich, tröstlich vnnd notturfftig. Hrsg.: Samuel Zimmermann. Sebaldus Mayer, Dillingen 1567.
Weblinks
- Uni Basel: Einführung in die Epidemiologie
- Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi)
- Österreichische Gesellschaft für Epidemiologie (OeGEpi)
- Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS)
- International Epidemiological Association (IEA)
- People’s Epidemiology Library